Table.Briefing: Security

Pistorius’ Bundeswehr-Reform + Stoltenbergs Plan zur langfristigen Ukraine-Unterstützung

Liebe Leserin, lieber Leser,

von der Armee der Einheit zur Armee im Einsatz zur Armee der Zeitenwende: Umstrukturierung ist die Bundeswehr gewöhnt, Kollateralschäden auch. Wilhelmine Preußen, Thomas Wiegold und Nana Brink analysieren die jüngste Strukturreform, die Boris Pistorius gestern vorgestellt hat. Welche Auswirkungen – positiv wie negativ – die Änderungen im Einzelnen haben werden, wird sich aber wohl erst in einem Jahr zeigen, wenn die neue Organisation tatsächlich umgesetzt ist.

Eines zeichnet sich jetzt schon ab: Die nötigen Strukturen für die Reaktivierung einer Dienstpflicht werden mit der Umstrukturierung bereits geschaffen werden. Denn die Rückkehr zur Wehrpflicht bereits im Frieden steht im Raum – Mitte April will Pistorius sein präferiertes Konzept der Wehrpflicht vorstellen. Table.Briefings hat dazu ein Whitepaper veröffentlicht, welches Sie hier abrufen können.

Langfristig plant auch die Nato. Zu ihrem 75. Geburtstag hat sie die wohl schwerste Aufgabe ihrer Existenz zu lösen: Wie unterstützt man ein Land, das von einem durchhaltefähigen Russland angegriffen wird, und dem gleichzeitig eine einzige Personalie in den USA zum Verhängnis werden kann? Stephan Israel berichtet aus Brüssel von den Reaktionen auf den Plan des Generalsekretärs Jens Stoltenberg.

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Lisa-Martina Klein
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Analyse

Bundeswehr der Zeitenwende: Ein Jahr Zeit für “richtungsweisende” Strukturreformen

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bei der Pressekonferenz zur Entscheidung über die künftige Struktur der Bundeswehr.

Pünktlich zum 75. Geburtstag der Nato hat Verteidigungsminister Boris Pistorius der Bundeswehr eine Strukturreform verordnet. Die Bundeswehr der Zeitenwende soll die Streitkräfte nach Jahren der Ausrichtung auf Auslandseinsätze für einen Kriegsfall vorbereiten. Schlankere Strukturen, weniger Bürokratie, schnellere Handlungsfähigkeit durch die Führung aus “einer Hand”, so beschrieb der Minister die Reform am Donnerstag an der Seite von Generalinspekteur Carsten Breuer und Staatssekretär Nils Hilmer.

Ausschlaggebend für die geplante Umstrukturierung war vor allem der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. “Jede und jeder kennt die Bilder aus der Ukraine und kann sich vorstellen, welche Anforderungen mit einer solchen Einsatzrealität einhergehen. Das sind die Bilder, auf die sich die Truppe einstellen muss”, heißt es in den Erläuterungen zur Reform im Intranet der Bundeswehr. “Uns geht es darum, die Bundeswehr insgesamt kriegstüchtig zu machen und auf den Verteidigungsauftrag zu fokussieren.”

Die wichtigsten Änderungen, die größtenteils so bereits erwartet worden waren, sind:

  • Aus bisher zwei Führungskommandos – dem Territorialen Führungskommando, das für Einsätze im Inland zuständig ist, und dem Einsatzführungskommando für Auslandsmissionen – soll ein Operatives Führungskommando der Bundeswehr (OpFüKdoBw) werden. Alle Aktivitäten der Streitkräfte werden künftig dort gesteuert. Zudem soll in einer Operationszentrale für alle Bundeswehraktivitäten ein gemeinsames “360 Grad-Lagebild” entstehen, das das Ministerium bei Einsätzen umfassend beraten kann. Das neue Kommando wird auch der zentrale Ansprechpartner sowohl im Inland für Landes- und Bundesbehörden, Polizei und Technisches Hilfswerk als auch für andere Nationen und die Nato.
  • Neben die traditionellen Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine tritt der bisherige militärische Organisationsbereich Cyber/Informationsraum (CIR) als weitere Teilstreitkraft. Alle vier werden von einem Inspekteur geführt. Die neue Teilstreitkraft CIR wird nicht nur entscheidend für die weitere beziehungsweise künftige Digitalisierung der Streitkräfte, sondern auch für den Kampf gegen Desinformation sein. Pistorius bezeichnete das als ein Beispiel, wie die Kriegsführung Russlands in der Ukraine bei der Strukturreform mitgedacht werde.
  • Ein neu geschaffener Unterstützungsbereich soll vor allem als Dienstleister für die Teilstreitkräfte zur Verfügung stehen und damit knappe Fähigkeiten wie Logistik oder Sanität für alle Truppenteile bereithalten. Damit hätten “alle Teilstreitkräfte auf alle Fähigkeiten Zugriff, je nach Bedarf”, sagte Pistorius. Entgegen ersten Überlegungen werden auch die ABC-Abwehrkräfte und die Feldjäger zu diesem Unterstützungsbereich gehören und nicht ins Heer eingegliedert. Der Sprecher des Gesamtvertrauenspersonenausschuss (GVPA), Sebastian Habicht, begrüßte gegenüber Table.Briefings diese Regelung, weil bei den Kräften derzeit ein “eklatanter Mangel” herrsche, dem das Heer nicht gerecht werden könne. “Das Heer würde mit der Wahrnehmung dieser bundeswehrgemeinsamen und ressortübergreifenden Aufgaben neben der Aufstellung der Division 2025 oder der Brigade Litauen unnötig belastet werden”, so Habicht.
  • Für die zivilen Mitarbeitenden der Wehrverwaltung sind ebenfalls neue Strukturen vorgesehen, die auch diesen Teil der Bundeswehr auf das Ziel der Kriegstüchtigkeit ausrichten sollen. So wird die Möglichkeit zur Erfassung von Wehrpflichtigen geschaffen. Das ist zunächst unabhängig von einer möglichen Wiedereinführung der Wehrpflicht, zu der Pistorius bis “Mitte April” ein Konzeptpapier vorstellen will. Im Verteidigungs- und Spannungsfall würde diese Dienstpflicht automatisch reaktiviert; die dafür nötigen Strukturen sollen bereits jetzt aufgebaut werden.

Die neuen Strukturen sollen innerhalb eines Jahres eingerichtet werden. Zunächst ist nach der Entscheidung des Ministers ein halbes Jahr für die sogenannte Feinausplanung vorgesehen, für die Umsetzung sind weitere sechs Monate eingeplant. Damit bleiben Auswirkungen auf das Personal einzelner Dienststellen, aber auch auf Standorte vorerst offen.

Auch zu Personalentscheidungen wollten Pistorius und der Generalinspekteur zunächst keine Aussagen machen. Wer als Befehlshaber das operative Führungskommando oder den Unterstützungsbereich künftig leiten wird, ist damit ebenfalls noch nicht entschieden. Absehbar ist dagegen, dass sich an den Planungen für den Personalumfang der Streitkräfte vorerst nichts ändern wird: “Angesichts der Rekrutierungszahlen musste davon abgesehen werden, die Streitkräfte zu vergrößern. Dies hätte nicht mehr bedeutet als leere Strukturen aufzubauen, was der Kriegstüchtigkeit widersprochen hätte”, erläuterte das Ministerium. Damit bleibt es vorerst bei dem Ziel, die Bundeswehr auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten zu bringen – derzeit hat sie allerdings nur rund 182.000 Aktive.

Unterstützung aus dem Parlament

Aus dem Bundestag gab es parteiübergreifend weitgehende Zustimmung zu Pistorius’ Plänen. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), bezeichnete die angestoßene Reform als “mehr als notwendig” und forderte den Minister auf, sich auch möglichen “Beharrungskräften im Sinne der ganzen Truppen beherzt entgegenzustellen” um diese Reformen umzusetzen.

Merle Spellerberg, Mitglied der Grünen im Verteidigungsausschuss, bezeichnete vor allem die Entscheidung, den Cyber- und Informationsraum als eigene Teilstreitkraft aufzuwerten als “absolut richtig”.

Auch aus der Opposition gab es Zustimmung. So begrüßte CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter zumindest die Ankündigung eines gemeinsamen Führungskommandos. Gleichzeitig aber kritisierte er die fehlenden haushaltspolitischen Forderungen.Wie soll das jenseits des Sondervermögens finanziert werden?”, so Kiesewetter.

Die Entscheidungen über die Organisation der Bundeswehr liegen grundsätzlich bei der Bundesregierung. Der Bundestag hat nur ein nachgelagertes Mitspracherecht, denn die zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge der Organisation der Streitkräfte müssen sich laut Grundgesetz Art. 87a “aus dem Haushaltsplan ergeben”.

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Stoltenbergs 100-Milliarden-Euro-Plan für die Ukraine stößt auf Vorbehalte

Annalena Baerbock (Grüne) und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg beim Treffen der Außenminister in Brüssel.

Für Jens Stoltenberg geht es auch um das persönliche Vermächtnis wenige Monate vor dem Ende seiner Amtszeit als Generalsekretär. Hinzu kommt die schwierige militärische Lage der Ukraine. Zudem spielt das Szenario eines möglichen Comebacks von Donald Trump eine zentrale Rolle. Wie kann die Unterstützung der Ukraine mit Rüstungsgütern auf eine langfristige Basis gestellt und auch abgesichert werden, sollte Trump als US-Präsident zurückkehren?

Das ist der Hintergrund für den Plan, den Jens Stoltenberg am zweitägigen Treffen der Nato-Außenminister in Brüssel erstmals präsentierte. Der Generalsekretär selber wollte den Betrag von 100 Milliarden Euro nicht bestätigen, der laut Diplomaten über fünf Jahre bereitgestellt werden müsse. Die Ukraine soll auf dem Schlachtfeld bestehen, aber auch die Transformation der Streitkräfte in Hinblick auf einen späteren Beitritt schaffen können. Es gehe darum, die Hilfe unabhängiger von kurzfristigen und freiwilligen Beiträgen einzelner Mitgliedstaaten zu machen, so Stoltenberg. Wenn die Ukraine da Klarheit habe, sei das auch ein deutliches Signal Richtung Moskau.

Ukrainehilfe absichern gegen “politischen Wandel” in den USA

Stoltenbergs Plan sieht zudem vor, dass die Nato schrittweise die Koordination der Hilfe vom US-geführten Ramsteinformat übernimmt. Auch hier geht es darum, die Unterstützung der Ukraine mit Rüstungsgütern gegen “den Wind des politischen Wandels” in Washington abzuschirmen, wie der Generalsekretär laut Diplomaten formulierte. Fragen und Vorbehalte gab es von den Außenministern in erster Linie mit Blick auf die 100 Milliarden Euro. Positiv reagierten Balten und Polen. Außenministerin Annalena Baerbock warnte zusammen mit anderen Kollegen vor Doppelstrukturen mit der EU, die über die Friedensfazilität bereits Rüstungsgüter finanziert. Es bringe nichts, mit immer neuen Zahlen zu jonglieren.

Unklar ist auch, ob es um neues Geld gehen soll oder bestehende Programme angerechnet werden könnten. Laut Diplomaten schwebt Stoltenberg für die Finanzierung derselbe Schlüssel vor, wie er für den Nato-Haushalt vorgesehen ist. Trump hatte in seiner ersten Amtszeit einst eine Deckelung bei 16 Prozent durchgesetzt, weshalb die USA und Deutschland hier heute gleichviel beisteuern. Der Generalsekretär dürfte darauf setzen, dass Trump sich daran erinnert. Und 16 Prozent von 100 Milliarden Euro wären weniger als die 60 Milliarden Dollar, die derzeit im US-Kongress blockiert sind.

Langfristige Strukturen statt Ad hoc

Weniger umstritten scheint der Transfer der Koordination hin zur Nato und weg vom Ramsteinformat, wo US-Soldaten am Europahauptquartier die Aufgabe ausüben: “Es ist wichtig, dass wir die Ad-hoc-Strukturen in verlässliche, langfristige Strukturen überführen”, äußerte sich Annalena Baerbock zustimmend. Auch ihr polnischer Kollege Radosław Sikorski unterstützte in Brüssel den Plan.

Stoltenberg betonte, dass eine stärkere Rolle der Nato bei der Koordinierung und Unterstützung der Ukraine ein Weg sein werde, Russlands Krieg so zu beenden, dass die Ukraine die Oberhand gewinne. Der Generalsekretär versuchte dabei Befürchtungen zu entkräften, wonach eine größere Rolle der Nato die amerikanische Präsenz schwächen könnte. Christopher Cavoli sei ja nicht nur Befehlshaber des US-Europakommandos, sondern in Personalunion auch alliierter Oberkommandierender.

Stoltenbergs Plan war auch Thema beim Ukraine-Nato-Rat am Donnerstag. Es sei nicht darum gegangen, Entscheidungen zu treffen, sagte der Generalsekretär am Ende des Außenministertreffens, an dem auch mit einer einfachen Zeremonie das 75. Jubiläum der Allianz gefeiert wurde. Man habe sich aber geeinigt, die Militärs mit der Planung zu beauftragten, sagte Stoltenberg. Es gehe dabei um neue Strukturen für die Unterstützung der Ukraine, die gleichzeitig mit ausreichend Geld unterlegt werden müssten. Eine Entscheidung über den Stoltenberg-Plan soll bis zum eigentlichen Jubiläumsgipfel der Nato im Juli in Washington erzielt werden.

Kallas unterstützt nun Rutte

Bis dann soll auch die Nachfolge des Norwegers geregelt sein, der im Herbst nach dreimaliger Verlängerung aus dem Amt scheiden will. Die Chancen von Mark Rutte sind diese Woche stark gestiegen, nachdem Estlands Regierungschefin Kaja Kallas als inoffizielle Kandidaten sich öffentlich für den Niederländer ausgesprochen hat.

Dem rumänischen Staatsoberhaupt Klaus Iohannis werden keine Chancen eingeräumt. Selbst der türkische Präsident will Rutte inzwischen unterstützen, wenn die Anliegen der Nicht-EU-Mitglieder im Bündnis stärker berücksichtigt würden, wie Recep Tayyip Erdoğan sagte. Einzig Ungarns Regierungschef Viktor Orbán steht der nötigen Einstimmigkeit noch im Weg.

Der Bundeswehr fehlt es an allem. Material, ausreichender Infrastruktur und vor allem auch Personal. Die Wehrpflicht Debatte ist deswegen wieder in vollem Gange. In unserer Standpunkt-Reihe “Deutschland zu Diensten” wollen wir möglichst viele Perspektiven beleuchten und so einen differenzierten Beitrag zur Debatte leisten.

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Syrien wird zum zentralen Schauplatz von Israels Schattenkrieg gegen Iran

Gebannt blicken Sicherheitsexperten in den USA, Israel und Europa auf den heutigen Freitag. In vielen Städten weltweit begehen pro-palästinensische Gruppen und Anhänger des Mullah-Regimes in Teheran dann den sogenannten al-Quds-Tag, benannt nach dem arabischen Namen für Jerusalem, begangen Jahr für Jahr am letzten Freitag des muslimischen Fastenmonats Ramadan.

Im August 1979, wenige Monate nach der Flucht von Schah Mohammad Reza Pahlavi aus dem Iran, rief Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomenei den Protesttag aus, um gegen die israelische Besetzung Ostjerusalems, wo die den Muslimen heilige al-Aqsa-Moschee liegt, zu demonstrieren.

Schwerster Schlag seit Tötung Soleimanis 2020

Besondere Brisanz bekommen die anti-israelischen und anti-amerikanischen Proteste dieses Jahr durch den Gaza-Krieg – sowie durch die Tötung hochrangiger Offiziere der iranischen Revolutionsgarden in Damaskus am Montag. Bei dem Angriff auf ein Gebäude auf dem Gelände der iranischen Botschaft in der syrischen Hauptstadt, der selbst nach Einschätzung der US-Regierung von Israel ausgeführt wurde, waren hochrangige Mitglieder der Auslandsspezialeinheit al-Quds getötet worden.

Dazu gehörten Brigadegeneral Mohammed Zahedi, der Kommandeur der Quds-Einheit für Syrien und den Libanon, dessen Stabschef General Hossein Aminullah und Generalmajor Mohammed Hadi Haj Rahimi, Kommandeur der Quds-Einheit in den palästinensischen Gebieten. Es waren die hochrangigsten Opfer aus den Reihen der iranischen Auslandsspezialeinheiten seit der Tötung von Quds-Kommandeur Qassem Soleimani im Januar 2020 in Bagdad.

Wöchentliche Luftschläge gegen Stellungen in Syrien

Der schwere Schlag gegen den für die Koordinierung der Aktivitäten der sogenannten “Achse des Widerstands” zuständigen Auslandsarm der Revolutionsgarden am helllichten Tag bedeutet einen neuen Höhepunkt im Schattenkrieg zwischen Israel und Iran. Dieser wird seit Jahren mit Cyberoperationen, gezielten Tötungen und Bombardierung von Waffendepots und -lieferungen an die libanesische Hisbollah geführt.

Erst Ende März kamen bei israelischen Luftschlägen nahe der nordsyrischen Stadt Aleppo Dutzende Menschen ums Leben, darunter zahlreiche Hisbollah-Kämpfer. Zentrales Ziel der israelischen Seite: ein weiteres Erstarken von Revolutionsgarden und Hisbollah an der Grenze zum Heiligen Land zu verhindern, nicht zuletzt im volatilen, geostrategisch wichtigen Dreiländereck mit Jordanien. Seit 2017 hat Israel die Zahl seiner Luftangriffe auf Waffendepots und Operationsbasen von Revolutionsgarden und Hisbollah in Syrien stetig erhöht, fast jede Woche kommt es zu Militärschlägen.

Stegner: “Mangelnder Schutz diplomatischer Vertretungen beunruhigend”

Dass dabei traditionelles Kriegsrecht immer mehr aufgeweicht wird, kritisiert der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner im Gespräch mit Table.Briefings: “Insgesamt ist es eine beunruhigende Entwicklung, wenn in militärischen Konflikten internationale Regelungen und Vereinbarungen wie der Schutz von diplomatischen Vertretungen oder Ärzten, Hilfskräften oder Journalisten vor Übergriffen nicht mehr beachtet werden.”

Hinzu kommt die regionale Dimension: Zwischen Oktober 2023 und Januar dieses Jahres kam es zu mehr als 180 Angriffen pro-iranischer Milizen auf US-Stellungen im Irak und Syrien. Zudem haben die Angriffe der jemenitischen Huthi-Rebellen auf Handelsschiffe im Roten Meer die operativen Fähigkeiten der von Iran und Syrien geförderten “Achse des Widerstands” erheblich erweitert. Noch vor zehn Jahren waren es vor allem die libanesische Hisbollah und die palästinensische Terrororganisation Hamas, die gegen israelische und US-Ziele vorgingen.

Phase der Deeskalation könnte vorbei sein

Seit dem Angriff auf den US-Stützpunkt Tower 22 in Jordanien Anfang Februar, bei dem drei US-Soldaten getötet wurden, hatten sich die von Iran unterstützten Milizen im Irak und Syrien mit ihren Angriffen zurückgehalten. Diplomatischer Druck seitens der US-Regierung und der iranischen Führung hatte die anti-amerikanischen Milizen zu diesem Schritt bewegt. Zu groß war die Gefahr eines regionalen Flächenbrands geworden, nachdem die USA erstmals seit Beginn des Gaza-Kriegs im Oktober 2023 selbst Opfer zu beklagen hatten. Eine direkte Konfrontation mit den US-amerikanischen Streitkräften in der Region sucht auch das Regime um Revolutionsführer Ali Chamenei nicht, sondern setzt stattdessen auf “strategische Geduld”.

Diese Phase der Deeskalation dürfte mit dem Angriff in Damaskus vorbei sein, da die iranische Führung unmittelbar nach dem Militärschlag am Montag harte Vergeltung angedroht hat. “Am nächstliegenden wäre der Einsatz einer oder mehrerer Drohnen oder ballistischer Kurzstreckenraketen aus Irak, Syrien oder Jemen gegen ein militärisches Ziel in Israel”, sagt der Nahost-Experte und Islamwissenschaftler Gerhard Conrad, von 1998 bis 2002 Leiter der Residentur des Bundesnachrichtendienstes in Damaskus, zu Table.Briefings. “Spektakulär wäre auch ein konzertiertes Vorgehen von allen drei Seiten, unabhängig vom konkret angerichteten Schaden.”

Israel auf Krieg mit Libanon vorbereitet

In israelischen Sicherheitskreisen wiederum gibt es auch Stimmen, die die Ausschaltung der Revolutionsgardenoffiziere in Damaskus als Testballon dafür sehen, wie weit die Armee mit ihren Angriffen gehen kann. Schließlich habe Teheran trotz heftiger Vergeltungsandrohungen auf die gezielte Tötung des Kommandeurs der Auslandseliteeinheit al-Quds der Revolutionsgarden, Qassem Soleimani, im Januar 2020 in Bagdad durch US-Militärs auch nicht in dem Ausmaß reagiert, wie manche befürchtet hatten. Bei den Angriffen auf zwei US-Stützpunkte im Irak wenige Tage später kam niemand ums Leben.

Auch die Vergeltung für den Israel zugeschriebenen Anschlag auf die Trauerfeier am vierten Jahrestag der Ermordung Soleimanis im iranischen Kerman im Januar dieses Jahres fiel vergleichsweise zurückhaltend aus. Revolutionsgarden beschossen ein als Basis des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad bezeichnetes Gebäude im nordirakischen Erbil mit Raketen.

Vier Tage nach dem Angriff auf das Gelände der iranischen Botschaft in Damaskus ist abgesehen von einem abgewehrten Drohnenangriff auf den US-Stützpunkt al-Tanf in Syrien in der Nacht auf Dienstag eine harte iranische Reaktion bislang ausgeblieben. Das israelische Kalkül gehe daher bislang auf, so Ex-BND-Mann Conrad: “Es geht letztlich darum, durch massive Abschreckung und präventive Schläge gegen das gegnerische Dispositiv in Südlibanon und Syrien bis in die Tiefe des Raums einen möglichst hohen militärischen Druck aufzubauen, um Hisbollah zum Rückzug aus den grenznahen Räumen zu Israel zu veranlassen.”

Ungebrochen weiter ging allerdings der Beschuss aus dem Libanon auf den Norden Israels. Die Armee bereite sich “auf jedes Szenario vor – auf Bedrohungen von nah und fern”, sagte Verteidigungsminister Yoav Gallant am Mittwoch. Dazu zähle auch ein Krieg mit dem Libanon, selbst wenn dieser eine “schwierige Herausforderung für den Staat Israel” bedeute.

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Nach Angriff auf humanitäre Helfer in Gaza: Hilfsorganisationen schlagen Alarm

Sechs Monate nach Beginn des Gazakriegs warnen in dem Kriegsgebiet tätige Hilfsorganisation vor weiteren verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung, sollte nicht umgehend eine Feuerpause in Kraft treten. In einer gemeinsamen Erklärung von 15 Organisationen, darunter Ärzte ohne Grenzen, Oxfam, Save the Children, Norwegian Refugee Council, Action Aid International und Amnesty International, wird die internationale Staatengemeinschaft aufgefordert, dringend Maßnahmen zu ergreifen, “um die sofortige Umsetzung eines dauerhaften Waffenstillstands zu gewährleisten und alle verfügbaren Optionen zum Schutz der Zivilbevölkerung im Einklang mit ihren Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht und den Menschenrechten zu prüfen.”

Dazu zähle auch “die sofortige Einstellung des Transfers von Waffen und Munition, wenn die Gefahr besteht, dass sie zur Begehung oder Erleichterung schwerer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht oder die Menschenrechte verwendet werden”, so die Unterzeichner der Erklärung. Gut eine Woche nach Verabschiedung einer Resolution im UN-Sicherheitsrat, die einen sofortigen Waffenstillstand vorsieht, laufe die Zeit aus, diesen umzusetzen.

Warnungen vor Bodenoffensive in Rafah

Christoph Lockyear, Generalsekretär von Ärzte ohne Grenzen, forderte in einer Pressekonferenz die Verbündeten Israels dazu auf, Druck auf die Regierung in Jerusalem auszuüben, um Hilfsorganisationen einen umfassenden Zugang zu dem Kriegsgebiet zu ermöglichen. Zugleich warnte er vor einer Bodenoffensive auf das im Süden des Gazastreifens gelegene Rafah; diese würde “katastrophale Auswirkungen” haben.

Nach der Tötung von sieben Mitarbeitern der Hilfsorganisation World Central Kitchen am Montag verlangte Lockyear von den israelischen Behörden, die Verantwortlichen für den Angriff zur Rechenschaft zu ziehen. “Wir akzeptieren das Narrativ bedauerlicher Vorfälle nicht”, so der Generalsekretär der weiterhin im Gazastreifen tätigen Gesundheitsorganisation. So sei auch nach dem Beschuss von Mitarbeitern seiner Organisation im vergangenen November keinerlei Aufklärung seitens Israels erfolgt. Seit Beginn des Kriegs im vergangenen Oktober sind mehr als 200 Mitarbeiter von Hilfsorganisationen getötet worden.

Mehr als 13.000 Kinder seit Oktober in Gaza getötet

Florian Westphal, Geschäftsführer der Kinderhilfsorganisation Save the Children Deutschland, wies am Donnerstag auf die verheerenden Folgen für rund eine Million Kinder im Gazastreifen hin, sollte der Krieg wie bisher weitergehen. “Nur die Freilassung aller Geiseln, ein sofortiger, endgültiger Waffenstillstand und ungehinderter Zugang zu den notleidenden Menschen können den schwerwiegenden Verstößen gegen Kinderrechte ein Ende setzen, eine drohende Hungersnot aufhalten und Leben retten”, so Westphal.

Seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem 33 Kinder getötet wurden, sind nach Angaben des Amtes der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UN-OCHA) und des Gesundheitsministeriums in Gaza mehr als 13.800 Kinder im Gazastreifen und 113 im Westjordanland ums Leben gekommen. mrb

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Charkiw: Spekulationen über russische Eroberungspläne

In der Nacht auf Donnerstag hat das ukrainische Charkiw erneut Angriffe durch Drohnen der russischen Armee gemeldet – und erneut zivile Opfer. Mindestens drei Rettungskräfte kamen ums Leben. Die zweitgrößte Stadt der Ukraine, die sich in den ersten Wochen der russischen Vollinvasion gegen die Aggressoren erfolgreich verteidigt hatte, war in den vergangenen Wochen regelmäßigem und heftigem Beschuss mit Drohnen und Raketen ausgesetzt.

Parallel behaupten russische Propagandisten, die russische Armee wolle die Stadt unbedingt einnehmen, berichtet das Exilmedium Meduza. Trotz unterschiedlicher Einschätzungen Kreml-naher Kreise darüber, wie weit Präsident Wladimir Putin in dem Krieg noch gehen wolle, gelte Charkiw als “eher realistisches Ziel”.

Doch ohne eine neue Mobilmachung ist Russland mit den jetzigen Kapazitäten nicht in der Lage, einen Großangriff auf eine Stadt mit starken Verteidigungslinien durchzuführen. Der ukrainische Geheimdienst HUR sieht bisher keine Anzeichen für die Vorbereitung einer Eroberung, die mutmaßlich von der russisch-ukrainischen Region Belgorod ausgehen müsste. Die Spekulationen darüber bezeichnet HUR als Propaganda, die Verwirrung und Panik auslösen soll.

Einberufungsalter in der Ukraine gesenkt

Sollte Charkiw – eine symbolisch wichtige Stadt – ein Eroberungsziel darstellen, würden dafür 300.000 zusätzliche Kräfte benötigt, um die Stadt zu umzingeln, berichtete kürzlich das russische Exilmedium Verstka. Parallel zur aktuell laufenden Einberufung Wehrdienstleistender in Russland können die Behörden diese Zahl aber nicht bewältigen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erwartet die Mobilmachung in Russland deshalb für den Sommer. Hinter dieser öffentlich geäußerten Einschätzung steckt auch der Ruf nach mehr Unterstützung aus dem Westen.

Seit mehr als einem Jahr gibt es an der Front keine substanziellen Veränderungen. Russlands Armee konnte die Offensive der Ukraine im vergangenen Frühjahr/Sommer weitgehend abwehren, aber auch die Ukraine hat die russische Winteroffensive weitgehend gestoppt. Beide Seiten schränken einander durch die permanente Überwachung und Angriffe mit Drohnen ein. Die Ukraine leidet jedoch stärker an Artilleriemangel.

Auf Drängen des Militärs und im Zuge verschiedener Reformen bei der Einberufung hat die Ukraine in dieser Woche das Einberufungsalter für Reservisten von 27 auf 25 gesenkt. Es können damit mehr junge Männer für den Krieg mobilisiert werden. Die Rede ist von bis zu 400.000. An aktuellen Mobilmachungsplänen wird die neue Regelung jedoch wahrscheinlich nichts ändern, wie Table.Briefings-Korrespondent in Kiew, Denis Trubetskoy, in seiner Analyse schrieb. vf 

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Macron rechnet mit russischen Störmanövern bei Olympia in Paris

“Keinen Zweifel” hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, dass Russland die Olympischen und die Paralympischen Spiele in Paris mit Desinformationskampagnen stören wird. Das sagte er am Donnerstag bei der Eröffnung einer Schwimmhalle in Paris. Die Olympischen Spiele finden vom 26. Juli bis 11. August statt, die Paralympics vom 28. August bis 8. September.

Nachdem der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu mit seinem russischen Amtskollegen Sergei Schoigu am Mittwoch telefoniert hatte – es war das erste Gespräch seit Oktober 2022 – teilte das russische Verteidigungsministerium mit, dass Frankreich etwas mit dem Terroranschlag auf die Crocus City Hall bei Moskau im März zu tun haben könnte. Russland habe Informationen zu ukrainischen Spuren bei der Planung des Terroranschlags und die Ukraine tue nichts ohne die “Zustimmung ihrer westlichen Handlanger”. Man hoffe, “dass in diesem Fall nicht der französische Geheimdienst dahintersteckt.”

Lecornu habe Schoigu über nützliche Informationen zu der Herkunft und der Organisation des Attentats informieren wollen, sagte Macron. Die russischen Kommentare bezeichnete er als “lächerlich”, und “bedrohlich”. Das sei eine “Manipulation von Information” und Teil “des Kriegsarsenals, wie Russland es heute nutzt”.

Klage über zunehmende Desinformation

Im Januar hatte Lecornu die “x-te vulgäre russische Desinformationskampagne” beklagt. Die Attacken hätten sich intensiviert, seit Macron seine Ukraine-Unterstützung immer deutlicher formuliere, teilte das französische Verteidigungsministerium mit.

Ein Bericht des französischen Generalsekretariats der Verteidigung und der Nationalen Sicherheit, das dem Premierminister untersteht, hatte im Februar von 193 russisch gesteuerten Nachrichtenseiten berichtet, die systematisch Falschmeldungen in den USA und Europa streuten. Dazu gehörten etwa Berichte über in Charkiw getötete französische Söldner oder eine Bettwanzen-Plage, die Paris im Herbst 2023 heimgesucht haben soll. Auch diese “Plage” sei durch russische Desinformationskampagnen verbreitet und künstlich aufgebauscht worden, teilte ein französischer Staatssekretär mit. bub

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Norwegen erhöht Zahl der Wehrpflichtigen

Nach Dänemark will auch Norwegen künftig mehr Wehrpflichtige einziehen. Bis 2036 soll die Zahl der eingezogenen Männer und Frauen von derzeit 9.000 auf 13.500 pro Jahr erhöht werden. “Wir müssen zur richtigen Zeit über genügend Leute mit den richtigen Fähigkeiten verfügen”, sagte Norwegens Verteidigungsminister Bjørn Arild Gram diese Woche. “Wir werden in Zukunft mehr Menschen mit professionellen militärischen Kenntnissen brauchen.”

In dem 5,5-Millionen-Einwohner-Land gilt eine allgemeine Wehrpflicht für Frauen und Männer zwischen 19 und 44 Jahren. Alle werden gemustert, aber nur ein Teil absolviert die zwölfmonatige Grundausbildung. 

Um mehr Soldatinnen und Soldaten rekrutieren zu können, muss Norwegen die nötigen Kapazitäten aufbauen. Das Finanzministerium rechnet damit, dass 400 neue Stellen für die Verwaltung der Wehrpflichtigen geschaffen werden müssen. Außerdem muss das Ausbildungszentrum modernisiert und erweitert werden. Statt aktuell 300 sollen dort künftig bis zu 1.800 Rekruten ausgebildet werden. Für den Ausbau plant Norwegen mit mehreren Milliarden Norwegischer Kronen (mehr als 100 Millionen Euro). 

Am heutigen Freitag wird die norwegische Regierung zudem ihren langfristigen Verteidigungsplan von 2025 bis 2036 vorstellen. Im Vorfeld hatte Premierminister Jonas Gahr Store angekündigt, dass sein Land bereits 2024, und nicht erst wie ursprünglich geplant 2026, zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Verteidigung ausgeben will. 2022 lag Norwegen bei 1,64 Prozent des BIP. klm

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Presseschau

SIPRI: Nato: A new need for some old ideas. Anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Nato argumentieren die Autoren, dass viele Konzepte und strategische Debatten der Anfänge heute noch Bestand haben. Es geht um nukleare Abschreckung, aber auch die Notwendigkeit, die Perspektive des Gegenübers einzunehmen. Übersetzt in die aktuelle Lage bedeute das, “sich darüber im Klaren zu sein, dass Maßnahmen, die die Nato als defensiv ansieht, in Russland immer noch als offensiv empfunden werden können (…)”.

FAZ: Wir kennen die Russen besser. Eine litauische Schriftstellerin erklärt, warum die Hoffnungen, dass es in Russland eines Tages zum Regimewechsel kommt, naiv sind. In großen Teilen Europas würde man die Augen vor dem tief verwurzelten russischen Imperialismus verschließen. Und man müsse nur zuhören, was im russischen Staatsfernsehen öffentlich gesagt wird: Dass Deutschland irgendwann unter russischer Flagge stehen werde.

Bloomberg: We Can´t Bear to Think About Haiti and Sudan, so We Don´t. Warum bekommen Kriege und Elend in Sudan, Myanmar und Haiti im Westen unverhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit? Westlichen Journalisten und Experten fällt es leichter, das Konzept des interstaatlichen Konfliktes zu verstehen als die oft hochkomplexen Kriege zwischen ethnischen Gruppen oder nichtstaatlichen Organisationen. Und, so der Autor, wir verschließen die Augen, weil wir schlussendlich einfach sprachlos und ideenlos ob einer Lösung sind.

Swedish Defence Research Agency (FOI): Western Military Capability in Northern Europe 2023. Ausführliche Übersicht zu zwölf Nato-Staaten und wie sie ihre Militärausgaben und Sicherheitspolitik seit Russlands Angriff auf die Ukraine neu ausgerichtet haben. Deutschlands Bestrebungen, große Nato-Verbände aufzustellen, könnten “durch begrenzte Fähigkeiten in den Bereichen Führung und Interoperabilität mit kleineren Staaten beeinträchtigt werden”.

Heads

Jürgen Kerner – Ein Gewerkschafter kämpft für den Eurofighter

Jürgen Kerner ist 2. Vorsitzender der IG Metall.

Was macht ein Mann, der “sein Hobby zu seinem Beruf” gemacht hat, wenn er gerade mal nicht seinem Hobby nachgeht? Er liest Krimis. Jürgen Kerner lacht ein wenig verlegen. Und fällt in seinen leicht ostschwäbischen Dialekt, den sich der 2. Vorsitzende der IG Metall in seinen offiziellen Reden fast ganz abgewöhnt zu haben scheint. Die “gruseligen skandinavischen” Krimis haben es ihm angetan: “Das ist vielleicht meine dunkle Seite.”

Die sieht man dem 55-jährigen gebürtigen Augsburger auf den ersten Blick so gar nicht an. Fester Händedruck, klarer Blick, immer ein wenig in Bewegung. Langjährige Kollegen beschreiben ihn als “sehr zugewandt”. Immer “gesprächsbereit” sei “der Jürgen”, aber hinter der freundlichen Fassade stecke ein “kühl kalkulierender Manager”.

Wenn es Kerners Plan war, der IG Metall eine eigene Zeitenwende zu verpassen, dann ist sein Plan zumindest teilweise aufgegangen. In einem zusammen mit dem Wirtschaftsforum der SPD und dem Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) kürzlich vorgelegten Positionspapier heißt es vollmundig: Die Handlungsfähigkeit Deutschlands sei nur “mit einer national wettbewerbsfähigen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie und Bundeswehr darstellbar”. Die Gewerkschaft, die sich in ihrer im Januar aktualisierten Satzung noch für “Abrüstung” einsetzt, ist zu einer Fürsprecherin rüstungspolitischer Projekte geworden.

Kehrtwende für die Rüstungsindustrie

Wie kein anderer verkörpert Kerner diesen Widerspruch. Mit 17 beginnt er eine Lehre als Informationselektroniker bei Siemens in Augsburg, ist schon in der Gewerkschaft aktiv und verweigert den Wehrdienst. Ein Gewerkschaftsgewächs durch und durch. Er findet die Demonstrationen gegen die atomaren Mittelstreckenraketen gut. Und macht heute keinen Hehl aus seiner Kehrtwende, die – siehe Kalkül – natürlich knallharte Gewerkschaftsinteressen spiegelt. Die 100.000 Beschäftigten in der deutschen Rüstungsindustrie wollen betreut werden.

Die Zeiten, in denen sich die Mitglieder des IG Metall-Arbeitskreises “Wehrtechnik und Arbeitsplätze” als Schmuddelkinder fühlten, seien vorbei, betont Kerner. Und als Mitglied im Aufsichtsrat von Thyssenkrupp und Airbus weiß er genau, welche Projekte Zukunft haben. Und welche vielleicht nicht, sollte der politische Wille fehlen. So wundert es nicht, dass der Chef-Funktionär der IG Metall das Lied des Airbus-Chefs Michael Schöllhorn singt.

Ohne Forschung kein militärischer Flugzeugbau in Deutschland

Der fordert die Bundesregierung schon länger auf, zusätzlich zum Kauf der geplanten US-amerikanischen F-35-Kampfjets mindestens noch 40 Eurofighter bei Airbus zu bestellen. Nur so könne man über 2030 hinaus, wenn die letzte Tranche Eurofighter geliefert sei, weiterhin Kampfflugzeuge in Deutschland bauen. 2040 soll dann das hauptsächlich deutsch-französische Luftkampfsystem Future Combat Air System (FCAS) eingeführt werden.

“Wenn wir die Ingenieure im militärischen Flugzeugbau behalten wollen”, analysiert Kerner deshalb mit Blick auf heimische Arbeitsplätze, “dann brauchen wir eine Weiterentwicklung des bestehenden Systems. Wenn es keine Forschung für den Eurofighter gibt, dann wird das das Ende des militärischen Flugzeugbaus in Deutschland sein”.

“Soziales nicht gegen Sicherheit ausspielen”

Und weil “der Jürgen” in seiner Gewerkschaft “ziemlich beliebt” ist, wie ein Insider weiß, kommt auch seine Quasi-Forderung nach einem zweiten Sondervermögen gut an. Denn da lässt der Gewerkschafter natürlich nicht mit sich reden: “Wir dürfen Soziales nicht gegen Sicherheit ausspielen.” Mit dem derzeitigen Sondervermögen würden ja fast keine neuen Rüstungsprojekte finanziert. “Und zu glauben, dass man solch große Unternehmungen, wie zum Beispiel die Weiterentwicklung des Eurofighters in Richtung FCAS, über den Haushalt finanzieren kann, halte ich für eine Illusion.”

Unterschätzen sollte man den konzilianten IG-Metall-Funktionär also auf keinen Fall. Das Manager-Magazin schrieb jüngst: “Die wahre Macht bei Thyssenkrupp ist längst Jürgen Kerner”. Es ging um den Fall der ehemaligen Konzernchefin Martina Merz vor einem Jahr, den Kerner als Aufsichtsratsvize maßgeblich vorangetrieben haben soll. Begründung: Es gebe keine “Zukunftsperspektive” für Deutschlands größten Stahlkonzern. Bis heute will Kerner dies nicht als Revolte verstanden wissen. Freundlich im Ton, aber hart in der Sache.

So geht er auch sein nächstes Projekt an. Die Werften-Sparte bei Thyssenkrupp soll mithilfe eines Investors an die Börse. Natürlich, um heimische Arbeitsplätze zu sichern. Und: Um den Verkauf von Thyssenkrupp Marine Systems an die Konkurrenz im Ausland zu verhindern, soll der Bund einsteigen. “Wir haben den Anspruch, dass wir Steuergelder nicht ins Ausland schicken”. Ein Grund, warum Kerner, der als gut vernetzt gilt, sehr oft in Berlin und fast nicht mehr in Augsburg ist. Nana Brink

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    von der Armee der Einheit zur Armee im Einsatz zur Armee der Zeitenwende: Umstrukturierung ist die Bundeswehr gewöhnt, Kollateralschäden auch. Wilhelmine Preußen, Thomas Wiegold und Nana Brink analysieren die jüngste Strukturreform, die Boris Pistorius gestern vorgestellt hat. Welche Auswirkungen – positiv wie negativ – die Änderungen im Einzelnen haben werden, wird sich aber wohl erst in einem Jahr zeigen, wenn die neue Organisation tatsächlich umgesetzt ist.

    Eines zeichnet sich jetzt schon ab: Die nötigen Strukturen für die Reaktivierung einer Dienstpflicht werden mit der Umstrukturierung bereits geschaffen werden. Denn die Rückkehr zur Wehrpflicht bereits im Frieden steht im Raum – Mitte April will Pistorius sein präferiertes Konzept der Wehrpflicht vorstellen. Table.Briefings hat dazu ein Whitepaper veröffentlicht, welches Sie hier abrufen können.

    Langfristig plant auch die Nato. Zu ihrem 75. Geburtstag hat sie die wohl schwerste Aufgabe ihrer Existenz zu lösen: Wie unterstützt man ein Land, das von einem durchhaltefähigen Russland angegriffen wird, und dem gleichzeitig eine einzige Personalie in den USA zum Verhängnis werden kann? Stephan Israel berichtet aus Brüssel von den Reaktionen auf den Plan des Generalsekretärs Jens Stoltenberg.

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    Lisa-Martina Klein
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    Analyse

    Bundeswehr der Zeitenwende: Ein Jahr Zeit für “richtungsweisende” Strukturreformen

    Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bei der Pressekonferenz zur Entscheidung über die künftige Struktur der Bundeswehr.

    Pünktlich zum 75. Geburtstag der Nato hat Verteidigungsminister Boris Pistorius der Bundeswehr eine Strukturreform verordnet. Die Bundeswehr der Zeitenwende soll die Streitkräfte nach Jahren der Ausrichtung auf Auslandseinsätze für einen Kriegsfall vorbereiten. Schlankere Strukturen, weniger Bürokratie, schnellere Handlungsfähigkeit durch die Führung aus “einer Hand”, so beschrieb der Minister die Reform am Donnerstag an der Seite von Generalinspekteur Carsten Breuer und Staatssekretär Nils Hilmer.

    Ausschlaggebend für die geplante Umstrukturierung war vor allem der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. “Jede und jeder kennt die Bilder aus der Ukraine und kann sich vorstellen, welche Anforderungen mit einer solchen Einsatzrealität einhergehen. Das sind die Bilder, auf die sich die Truppe einstellen muss”, heißt es in den Erläuterungen zur Reform im Intranet der Bundeswehr. “Uns geht es darum, die Bundeswehr insgesamt kriegstüchtig zu machen und auf den Verteidigungsauftrag zu fokussieren.”

    Die wichtigsten Änderungen, die größtenteils so bereits erwartet worden waren, sind:

    • Aus bisher zwei Führungskommandos – dem Territorialen Führungskommando, das für Einsätze im Inland zuständig ist, und dem Einsatzführungskommando für Auslandsmissionen – soll ein Operatives Führungskommando der Bundeswehr (OpFüKdoBw) werden. Alle Aktivitäten der Streitkräfte werden künftig dort gesteuert. Zudem soll in einer Operationszentrale für alle Bundeswehraktivitäten ein gemeinsames “360 Grad-Lagebild” entstehen, das das Ministerium bei Einsätzen umfassend beraten kann. Das neue Kommando wird auch der zentrale Ansprechpartner sowohl im Inland für Landes- und Bundesbehörden, Polizei und Technisches Hilfswerk als auch für andere Nationen und die Nato.
    • Neben die traditionellen Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine tritt der bisherige militärische Organisationsbereich Cyber/Informationsraum (CIR) als weitere Teilstreitkraft. Alle vier werden von einem Inspekteur geführt. Die neue Teilstreitkraft CIR wird nicht nur entscheidend für die weitere beziehungsweise künftige Digitalisierung der Streitkräfte, sondern auch für den Kampf gegen Desinformation sein. Pistorius bezeichnete das als ein Beispiel, wie die Kriegsführung Russlands in der Ukraine bei der Strukturreform mitgedacht werde.
    • Ein neu geschaffener Unterstützungsbereich soll vor allem als Dienstleister für die Teilstreitkräfte zur Verfügung stehen und damit knappe Fähigkeiten wie Logistik oder Sanität für alle Truppenteile bereithalten. Damit hätten “alle Teilstreitkräfte auf alle Fähigkeiten Zugriff, je nach Bedarf”, sagte Pistorius. Entgegen ersten Überlegungen werden auch die ABC-Abwehrkräfte und die Feldjäger zu diesem Unterstützungsbereich gehören und nicht ins Heer eingegliedert. Der Sprecher des Gesamtvertrauenspersonenausschuss (GVPA), Sebastian Habicht, begrüßte gegenüber Table.Briefings diese Regelung, weil bei den Kräften derzeit ein “eklatanter Mangel” herrsche, dem das Heer nicht gerecht werden könne. “Das Heer würde mit der Wahrnehmung dieser bundeswehrgemeinsamen und ressortübergreifenden Aufgaben neben der Aufstellung der Division 2025 oder der Brigade Litauen unnötig belastet werden”, so Habicht.
    • Für die zivilen Mitarbeitenden der Wehrverwaltung sind ebenfalls neue Strukturen vorgesehen, die auch diesen Teil der Bundeswehr auf das Ziel der Kriegstüchtigkeit ausrichten sollen. So wird die Möglichkeit zur Erfassung von Wehrpflichtigen geschaffen. Das ist zunächst unabhängig von einer möglichen Wiedereinführung der Wehrpflicht, zu der Pistorius bis “Mitte April” ein Konzeptpapier vorstellen will. Im Verteidigungs- und Spannungsfall würde diese Dienstpflicht automatisch reaktiviert; die dafür nötigen Strukturen sollen bereits jetzt aufgebaut werden.

    Die neuen Strukturen sollen innerhalb eines Jahres eingerichtet werden. Zunächst ist nach der Entscheidung des Ministers ein halbes Jahr für die sogenannte Feinausplanung vorgesehen, für die Umsetzung sind weitere sechs Monate eingeplant. Damit bleiben Auswirkungen auf das Personal einzelner Dienststellen, aber auch auf Standorte vorerst offen.

    Auch zu Personalentscheidungen wollten Pistorius und der Generalinspekteur zunächst keine Aussagen machen. Wer als Befehlshaber das operative Führungskommando oder den Unterstützungsbereich künftig leiten wird, ist damit ebenfalls noch nicht entschieden. Absehbar ist dagegen, dass sich an den Planungen für den Personalumfang der Streitkräfte vorerst nichts ändern wird: “Angesichts der Rekrutierungszahlen musste davon abgesehen werden, die Streitkräfte zu vergrößern. Dies hätte nicht mehr bedeutet als leere Strukturen aufzubauen, was der Kriegstüchtigkeit widersprochen hätte”, erläuterte das Ministerium. Damit bleibt es vorerst bei dem Ziel, die Bundeswehr auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten zu bringen – derzeit hat sie allerdings nur rund 182.000 Aktive.

    Unterstützung aus dem Parlament

    Aus dem Bundestag gab es parteiübergreifend weitgehende Zustimmung zu Pistorius’ Plänen. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), bezeichnete die angestoßene Reform als “mehr als notwendig” und forderte den Minister auf, sich auch möglichen “Beharrungskräften im Sinne der ganzen Truppen beherzt entgegenzustellen” um diese Reformen umzusetzen.

    Merle Spellerberg, Mitglied der Grünen im Verteidigungsausschuss, bezeichnete vor allem die Entscheidung, den Cyber- und Informationsraum als eigene Teilstreitkraft aufzuwerten als “absolut richtig”.

    Auch aus der Opposition gab es Zustimmung. So begrüßte CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter zumindest die Ankündigung eines gemeinsamen Führungskommandos. Gleichzeitig aber kritisierte er die fehlenden haushaltspolitischen Forderungen.Wie soll das jenseits des Sondervermögens finanziert werden?”, so Kiesewetter.

    Die Entscheidungen über die Organisation der Bundeswehr liegen grundsätzlich bei der Bundesregierung. Der Bundestag hat nur ein nachgelagertes Mitspracherecht, denn die zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge der Organisation der Streitkräfte müssen sich laut Grundgesetz Art. 87a “aus dem Haushaltsplan ergeben”.

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    Stoltenbergs 100-Milliarden-Euro-Plan für die Ukraine stößt auf Vorbehalte

    Annalena Baerbock (Grüne) und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg beim Treffen der Außenminister in Brüssel.

    Für Jens Stoltenberg geht es auch um das persönliche Vermächtnis wenige Monate vor dem Ende seiner Amtszeit als Generalsekretär. Hinzu kommt die schwierige militärische Lage der Ukraine. Zudem spielt das Szenario eines möglichen Comebacks von Donald Trump eine zentrale Rolle. Wie kann die Unterstützung der Ukraine mit Rüstungsgütern auf eine langfristige Basis gestellt und auch abgesichert werden, sollte Trump als US-Präsident zurückkehren?

    Das ist der Hintergrund für den Plan, den Jens Stoltenberg am zweitägigen Treffen der Nato-Außenminister in Brüssel erstmals präsentierte. Der Generalsekretär selber wollte den Betrag von 100 Milliarden Euro nicht bestätigen, der laut Diplomaten über fünf Jahre bereitgestellt werden müsse. Die Ukraine soll auf dem Schlachtfeld bestehen, aber auch die Transformation der Streitkräfte in Hinblick auf einen späteren Beitritt schaffen können. Es gehe darum, die Hilfe unabhängiger von kurzfristigen und freiwilligen Beiträgen einzelner Mitgliedstaaten zu machen, so Stoltenberg. Wenn die Ukraine da Klarheit habe, sei das auch ein deutliches Signal Richtung Moskau.

    Ukrainehilfe absichern gegen “politischen Wandel” in den USA

    Stoltenbergs Plan sieht zudem vor, dass die Nato schrittweise die Koordination der Hilfe vom US-geführten Ramsteinformat übernimmt. Auch hier geht es darum, die Unterstützung der Ukraine mit Rüstungsgütern gegen “den Wind des politischen Wandels” in Washington abzuschirmen, wie der Generalsekretär laut Diplomaten formulierte. Fragen und Vorbehalte gab es von den Außenministern in erster Linie mit Blick auf die 100 Milliarden Euro. Positiv reagierten Balten und Polen. Außenministerin Annalena Baerbock warnte zusammen mit anderen Kollegen vor Doppelstrukturen mit der EU, die über die Friedensfazilität bereits Rüstungsgüter finanziert. Es bringe nichts, mit immer neuen Zahlen zu jonglieren.

    Unklar ist auch, ob es um neues Geld gehen soll oder bestehende Programme angerechnet werden könnten. Laut Diplomaten schwebt Stoltenberg für die Finanzierung derselbe Schlüssel vor, wie er für den Nato-Haushalt vorgesehen ist. Trump hatte in seiner ersten Amtszeit einst eine Deckelung bei 16 Prozent durchgesetzt, weshalb die USA und Deutschland hier heute gleichviel beisteuern. Der Generalsekretär dürfte darauf setzen, dass Trump sich daran erinnert. Und 16 Prozent von 100 Milliarden Euro wären weniger als die 60 Milliarden Dollar, die derzeit im US-Kongress blockiert sind.

    Langfristige Strukturen statt Ad hoc

    Weniger umstritten scheint der Transfer der Koordination hin zur Nato und weg vom Ramsteinformat, wo US-Soldaten am Europahauptquartier die Aufgabe ausüben: “Es ist wichtig, dass wir die Ad-hoc-Strukturen in verlässliche, langfristige Strukturen überführen”, äußerte sich Annalena Baerbock zustimmend. Auch ihr polnischer Kollege Radosław Sikorski unterstützte in Brüssel den Plan.

    Stoltenberg betonte, dass eine stärkere Rolle der Nato bei der Koordinierung und Unterstützung der Ukraine ein Weg sein werde, Russlands Krieg so zu beenden, dass die Ukraine die Oberhand gewinne. Der Generalsekretär versuchte dabei Befürchtungen zu entkräften, wonach eine größere Rolle der Nato die amerikanische Präsenz schwächen könnte. Christopher Cavoli sei ja nicht nur Befehlshaber des US-Europakommandos, sondern in Personalunion auch alliierter Oberkommandierender.

    Stoltenbergs Plan war auch Thema beim Ukraine-Nato-Rat am Donnerstag. Es sei nicht darum gegangen, Entscheidungen zu treffen, sagte der Generalsekretär am Ende des Außenministertreffens, an dem auch mit einer einfachen Zeremonie das 75. Jubiläum der Allianz gefeiert wurde. Man habe sich aber geeinigt, die Militärs mit der Planung zu beauftragten, sagte Stoltenberg. Es gehe dabei um neue Strukturen für die Unterstützung der Ukraine, die gleichzeitig mit ausreichend Geld unterlegt werden müssten. Eine Entscheidung über den Stoltenberg-Plan soll bis zum eigentlichen Jubiläumsgipfel der Nato im Juli in Washington erzielt werden.

    Kallas unterstützt nun Rutte

    Bis dann soll auch die Nachfolge des Norwegers geregelt sein, der im Herbst nach dreimaliger Verlängerung aus dem Amt scheiden will. Die Chancen von Mark Rutte sind diese Woche stark gestiegen, nachdem Estlands Regierungschefin Kaja Kallas als inoffizielle Kandidaten sich öffentlich für den Niederländer ausgesprochen hat.

    Dem rumänischen Staatsoberhaupt Klaus Iohannis werden keine Chancen eingeräumt. Selbst der türkische Präsident will Rutte inzwischen unterstützen, wenn die Anliegen der Nicht-EU-Mitglieder im Bündnis stärker berücksichtigt würden, wie Recep Tayyip Erdoğan sagte. Einzig Ungarns Regierungschef Viktor Orbán steht der nötigen Einstimmigkeit noch im Weg.

    Der Bundeswehr fehlt es an allem. Material, ausreichender Infrastruktur und vor allem auch Personal. Die Wehrpflicht Debatte ist deswegen wieder in vollem Gange. In unserer Standpunkt-Reihe “Deutschland zu Diensten” wollen wir möglichst viele Perspektiven beleuchten und so einen differenzierten Beitrag zur Debatte leisten.

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    Syrien wird zum zentralen Schauplatz von Israels Schattenkrieg gegen Iran

    Gebannt blicken Sicherheitsexperten in den USA, Israel und Europa auf den heutigen Freitag. In vielen Städten weltweit begehen pro-palästinensische Gruppen und Anhänger des Mullah-Regimes in Teheran dann den sogenannten al-Quds-Tag, benannt nach dem arabischen Namen für Jerusalem, begangen Jahr für Jahr am letzten Freitag des muslimischen Fastenmonats Ramadan.

    Im August 1979, wenige Monate nach der Flucht von Schah Mohammad Reza Pahlavi aus dem Iran, rief Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomenei den Protesttag aus, um gegen die israelische Besetzung Ostjerusalems, wo die den Muslimen heilige al-Aqsa-Moschee liegt, zu demonstrieren.

    Schwerster Schlag seit Tötung Soleimanis 2020

    Besondere Brisanz bekommen die anti-israelischen und anti-amerikanischen Proteste dieses Jahr durch den Gaza-Krieg – sowie durch die Tötung hochrangiger Offiziere der iranischen Revolutionsgarden in Damaskus am Montag. Bei dem Angriff auf ein Gebäude auf dem Gelände der iranischen Botschaft in der syrischen Hauptstadt, der selbst nach Einschätzung der US-Regierung von Israel ausgeführt wurde, waren hochrangige Mitglieder der Auslandsspezialeinheit al-Quds getötet worden.

    Dazu gehörten Brigadegeneral Mohammed Zahedi, der Kommandeur der Quds-Einheit für Syrien und den Libanon, dessen Stabschef General Hossein Aminullah und Generalmajor Mohammed Hadi Haj Rahimi, Kommandeur der Quds-Einheit in den palästinensischen Gebieten. Es waren die hochrangigsten Opfer aus den Reihen der iranischen Auslandsspezialeinheiten seit der Tötung von Quds-Kommandeur Qassem Soleimani im Januar 2020 in Bagdad.

    Wöchentliche Luftschläge gegen Stellungen in Syrien

    Der schwere Schlag gegen den für die Koordinierung der Aktivitäten der sogenannten “Achse des Widerstands” zuständigen Auslandsarm der Revolutionsgarden am helllichten Tag bedeutet einen neuen Höhepunkt im Schattenkrieg zwischen Israel und Iran. Dieser wird seit Jahren mit Cyberoperationen, gezielten Tötungen und Bombardierung von Waffendepots und -lieferungen an die libanesische Hisbollah geführt.

    Erst Ende März kamen bei israelischen Luftschlägen nahe der nordsyrischen Stadt Aleppo Dutzende Menschen ums Leben, darunter zahlreiche Hisbollah-Kämpfer. Zentrales Ziel der israelischen Seite: ein weiteres Erstarken von Revolutionsgarden und Hisbollah an der Grenze zum Heiligen Land zu verhindern, nicht zuletzt im volatilen, geostrategisch wichtigen Dreiländereck mit Jordanien. Seit 2017 hat Israel die Zahl seiner Luftangriffe auf Waffendepots und Operationsbasen von Revolutionsgarden und Hisbollah in Syrien stetig erhöht, fast jede Woche kommt es zu Militärschlägen.

    Stegner: “Mangelnder Schutz diplomatischer Vertretungen beunruhigend”

    Dass dabei traditionelles Kriegsrecht immer mehr aufgeweicht wird, kritisiert der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner im Gespräch mit Table.Briefings: “Insgesamt ist es eine beunruhigende Entwicklung, wenn in militärischen Konflikten internationale Regelungen und Vereinbarungen wie der Schutz von diplomatischen Vertretungen oder Ärzten, Hilfskräften oder Journalisten vor Übergriffen nicht mehr beachtet werden.”

    Hinzu kommt die regionale Dimension: Zwischen Oktober 2023 und Januar dieses Jahres kam es zu mehr als 180 Angriffen pro-iranischer Milizen auf US-Stellungen im Irak und Syrien. Zudem haben die Angriffe der jemenitischen Huthi-Rebellen auf Handelsschiffe im Roten Meer die operativen Fähigkeiten der von Iran und Syrien geförderten “Achse des Widerstands” erheblich erweitert. Noch vor zehn Jahren waren es vor allem die libanesische Hisbollah und die palästinensische Terrororganisation Hamas, die gegen israelische und US-Ziele vorgingen.

    Phase der Deeskalation könnte vorbei sein

    Seit dem Angriff auf den US-Stützpunkt Tower 22 in Jordanien Anfang Februar, bei dem drei US-Soldaten getötet wurden, hatten sich die von Iran unterstützten Milizen im Irak und Syrien mit ihren Angriffen zurückgehalten. Diplomatischer Druck seitens der US-Regierung und der iranischen Führung hatte die anti-amerikanischen Milizen zu diesem Schritt bewegt. Zu groß war die Gefahr eines regionalen Flächenbrands geworden, nachdem die USA erstmals seit Beginn des Gaza-Kriegs im Oktober 2023 selbst Opfer zu beklagen hatten. Eine direkte Konfrontation mit den US-amerikanischen Streitkräften in der Region sucht auch das Regime um Revolutionsführer Ali Chamenei nicht, sondern setzt stattdessen auf “strategische Geduld”.

    Diese Phase der Deeskalation dürfte mit dem Angriff in Damaskus vorbei sein, da die iranische Führung unmittelbar nach dem Militärschlag am Montag harte Vergeltung angedroht hat. “Am nächstliegenden wäre der Einsatz einer oder mehrerer Drohnen oder ballistischer Kurzstreckenraketen aus Irak, Syrien oder Jemen gegen ein militärisches Ziel in Israel”, sagt der Nahost-Experte und Islamwissenschaftler Gerhard Conrad, von 1998 bis 2002 Leiter der Residentur des Bundesnachrichtendienstes in Damaskus, zu Table.Briefings. “Spektakulär wäre auch ein konzertiertes Vorgehen von allen drei Seiten, unabhängig vom konkret angerichteten Schaden.”

    Israel auf Krieg mit Libanon vorbereitet

    In israelischen Sicherheitskreisen wiederum gibt es auch Stimmen, die die Ausschaltung der Revolutionsgardenoffiziere in Damaskus als Testballon dafür sehen, wie weit die Armee mit ihren Angriffen gehen kann. Schließlich habe Teheran trotz heftiger Vergeltungsandrohungen auf die gezielte Tötung des Kommandeurs der Auslandseliteeinheit al-Quds der Revolutionsgarden, Qassem Soleimani, im Januar 2020 in Bagdad durch US-Militärs auch nicht in dem Ausmaß reagiert, wie manche befürchtet hatten. Bei den Angriffen auf zwei US-Stützpunkte im Irak wenige Tage später kam niemand ums Leben.

    Auch die Vergeltung für den Israel zugeschriebenen Anschlag auf die Trauerfeier am vierten Jahrestag der Ermordung Soleimanis im iranischen Kerman im Januar dieses Jahres fiel vergleichsweise zurückhaltend aus. Revolutionsgarden beschossen ein als Basis des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad bezeichnetes Gebäude im nordirakischen Erbil mit Raketen.

    Vier Tage nach dem Angriff auf das Gelände der iranischen Botschaft in Damaskus ist abgesehen von einem abgewehrten Drohnenangriff auf den US-Stützpunkt al-Tanf in Syrien in der Nacht auf Dienstag eine harte iranische Reaktion bislang ausgeblieben. Das israelische Kalkül gehe daher bislang auf, so Ex-BND-Mann Conrad: “Es geht letztlich darum, durch massive Abschreckung und präventive Schläge gegen das gegnerische Dispositiv in Südlibanon und Syrien bis in die Tiefe des Raums einen möglichst hohen militärischen Druck aufzubauen, um Hisbollah zum Rückzug aus den grenznahen Räumen zu Israel zu veranlassen.”

    Ungebrochen weiter ging allerdings der Beschuss aus dem Libanon auf den Norden Israels. Die Armee bereite sich “auf jedes Szenario vor – auf Bedrohungen von nah und fern”, sagte Verteidigungsminister Yoav Gallant am Mittwoch. Dazu zähle auch ein Krieg mit dem Libanon, selbst wenn dieser eine “schwierige Herausforderung für den Staat Israel” bedeute.

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    Nach Angriff auf humanitäre Helfer in Gaza: Hilfsorganisationen schlagen Alarm

    Sechs Monate nach Beginn des Gazakriegs warnen in dem Kriegsgebiet tätige Hilfsorganisation vor weiteren verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung, sollte nicht umgehend eine Feuerpause in Kraft treten. In einer gemeinsamen Erklärung von 15 Organisationen, darunter Ärzte ohne Grenzen, Oxfam, Save the Children, Norwegian Refugee Council, Action Aid International und Amnesty International, wird die internationale Staatengemeinschaft aufgefordert, dringend Maßnahmen zu ergreifen, “um die sofortige Umsetzung eines dauerhaften Waffenstillstands zu gewährleisten und alle verfügbaren Optionen zum Schutz der Zivilbevölkerung im Einklang mit ihren Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht und den Menschenrechten zu prüfen.”

    Dazu zähle auch “die sofortige Einstellung des Transfers von Waffen und Munition, wenn die Gefahr besteht, dass sie zur Begehung oder Erleichterung schwerer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht oder die Menschenrechte verwendet werden”, so die Unterzeichner der Erklärung. Gut eine Woche nach Verabschiedung einer Resolution im UN-Sicherheitsrat, die einen sofortigen Waffenstillstand vorsieht, laufe die Zeit aus, diesen umzusetzen.

    Warnungen vor Bodenoffensive in Rafah

    Christoph Lockyear, Generalsekretär von Ärzte ohne Grenzen, forderte in einer Pressekonferenz die Verbündeten Israels dazu auf, Druck auf die Regierung in Jerusalem auszuüben, um Hilfsorganisationen einen umfassenden Zugang zu dem Kriegsgebiet zu ermöglichen. Zugleich warnte er vor einer Bodenoffensive auf das im Süden des Gazastreifens gelegene Rafah; diese würde “katastrophale Auswirkungen” haben.

    Nach der Tötung von sieben Mitarbeitern der Hilfsorganisation World Central Kitchen am Montag verlangte Lockyear von den israelischen Behörden, die Verantwortlichen für den Angriff zur Rechenschaft zu ziehen. “Wir akzeptieren das Narrativ bedauerlicher Vorfälle nicht”, so der Generalsekretär der weiterhin im Gazastreifen tätigen Gesundheitsorganisation. So sei auch nach dem Beschuss von Mitarbeitern seiner Organisation im vergangenen November keinerlei Aufklärung seitens Israels erfolgt. Seit Beginn des Kriegs im vergangenen Oktober sind mehr als 200 Mitarbeiter von Hilfsorganisationen getötet worden.

    Mehr als 13.000 Kinder seit Oktober in Gaza getötet

    Florian Westphal, Geschäftsführer der Kinderhilfsorganisation Save the Children Deutschland, wies am Donnerstag auf die verheerenden Folgen für rund eine Million Kinder im Gazastreifen hin, sollte der Krieg wie bisher weitergehen. “Nur die Freilassung aller Geiseln, ein sofortiger, endgültiger Waffenstillstand und ungehinderter Zugang zu den notleidenden Menschen können den schwerwiegenden Verstößen gegen Kinderrechte ein Ende setzen, eine drohende Hungersnot aufhalten und Leben retten”, so Westphal.

    Seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem 33 Kinder getötet wurden, sind nach Angaben des Amtes der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UN-OCHA) und des Gesundheitsministeriums in Gaza mehr als 13.800 Kinder im Gazastreifen und 113 im Westjordanland ums Leben gekommen. mrb

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    Charkiw: Spekulationen über russische Eroberungspläne

    In der Nacht auf Donnerstag hat das ukrainische Charkiw erneut Angriffe durch Drohnen der russischen Armee gemeldet – und erneut zivile Opfer. Mindestens drei Rettungskräfte kamen ums Leben. Die zweitgrößte Stadt der Ukraine, die sich in den ersten Wochen der russischen Vollinvasion gegen die Aggressoren erfolgreich verteidigt hatte, war in den vergangenen Wochen regelmäßigem und heftigem Beschuss mit Drohnen und Raketen ausgesetzt.

    Parallel behaupten russische Propagandisten, die russische Armee wolle die Stadt unbedingt einnehmen, berichtet das Exilmedium Meduza. Trotz unterschiedlicher Einschätzungen Kreml-naher Kreise darüber, wie weit Präsident Wladimir Putin in dem Krieg noch gehen wolle, gelte Charkiw als “eher realistisches Ziel”.

    Doch ohne eine neue Mobilmachung ist Russland mit den jetzigen Kapazitäten nicht in der Lage, einen Großangriff auf eine Stadt mit starken Verteidigungslinien durchzuführen. Der ukrainische Geheimdienst HUR sieht bisher keine Anzeichen für die Vorbereitung einer Eroberung, die mutmaßlich von der russisch-ukrainischen Region Belgorod ausgehen müsste. Die Spekulationen darüber bezeichnet HUR als Propaganda, die Verwirrung und Panik auslösen soll.

    Einberufungsalter in der Ukraine gesenkt

    Sollte Charkiw – eine symbolisch wichtige Stadt – ein Eroberungsziel darstellen, würden dafür 300.000 zusätzliche Kräfte benötigt, um die Stadt zu umzingeln, berichtete kürzlich das russische Exilmedium Verstka. Parallel zur aktuell laufenden Einberufung Wehrdienstleistender in Russland können die Behörden diese Zahl aber nicht bewältigen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erwartet die Mobilmachung in Russland deshalb für den Sommer. Hinter dieser öffentlich geäußerten Einschätzung steckt auch der Ruf nach mehr Unterstützung aus dem Westen.

    Seit mehr als einem Jahr gibt es an der Front keine substanziellen Veränderungen. Russlands Armee konnte die Offensive der Ukraine im vergangenen Frühjahr/Sommer weitgehend abwehren, aber auch die Ukraine hat die russische Winteroffensive weitgehend gestoppt. Beide Seiten schränken einander durch die permanente Überwachung und Angriffe mit Drohnen ein. Die Ukraine leidet jedoch stärker an Artilleriemangel.

    Auf Drängen des Militärs und im Zuge verschiedener Reformen bei der Einberufung hat die Ukraine in dieser Woche das Einberufungsalter für Reservisten von 27 auf 25 gesenkt. Es können damit mehr junge Männer für den Krieg mobilisiert werden. Die Rede ist von bis zu 400.000. An aktuellen Mobilmachungsplänen wird die neue Regelung jedoch wahrscheinlich nichts ändern, wie Table.Briefings-Korrespondent in Kiew, Denis Trubetskoy, in seiner Analyse schrieb. vf 

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    Macron rechnet mit russischen Störmanövern bei Olympia in Paris

    “Keinen Zweifel” hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, dass Russland die Olympischen und die Paralympischen Spiele in Paris mit Desinformationskampagnen stören wird. Das sagte er am Donnerstag bei der Eröffnung einer Schwimmhalle in Paris. Die Olympischen Spiele finden vom 26. Juli bis 11. August statt, die Paralympics vom 28. August bis 8. September.

    Nachdem der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu mit seinem russischen Amtskollegen Sergei Schoigu am Mittwoch telefoniert hatte – es war das erste Gespräch seit Oktober 2022 – teilte das russische Verteidigungsministerium mit, dass Frankreich etwas mit dem Terroranschlag auf die Crocus City Hall bei Moskau im März zu tun haben könnte. Russland habe Informationen zu ukrainischen Spuren bei der Planung des Terroranschlags und die Ukraine tue nichts ohne die “Zustimmung ihrer westlichen Handlanger”. Man hoffe, “dass in diesem Fall nicht der französische Geheimdienst dahintersteckt.”

    Lecornu habe Schoigu über nützliche Informationen zu der Herkunft und der Organisation des Attentats informieren wollen, sagte Macron. Die russischen Kommentare bezeichnete er als “lächerlich”, und “bedrohlich”. Das sei eine “Manipulation von Information” und Teil “des Kriegsarsenals, wie Russland es heute nutzt”.

    Klage über zunehmende Desinformation

    Im Januar hatte Lecornu die “x-te vulgäre russische Desinformationskampagne” beklagt. Die Attacken hätten sich intensiviert, seit Macron seine Ukraine-Unterstützung immer deutlicher formuliere, teilte das französische Verteidigungsministerium mit.

    Ein Bericht des französischen Generalsekretariats der Verteidigung und der Nationalen Sicherheit, das dem Premierminister untersteht, hatte im Februar von 193 russisch gesteuerten Nachrichtenseiten berichtet, die systematisch Falschmeldungen in den USA und Europa streuten. Dazu gehörten etwa Berichte über in Charkiw getötete französische Söldner oder eine Bettwanzen-Plage, die Paris im Herbst 2023 heimgesucht haben soll. Auch diese “Plage” sei durch russische Desinformationskampagnen verbreitet und künstlich aufgebauscht worden, teilte ein französischer Staatssekretär mit. bub

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    Norwegen erhöht Zahl der Wehrpflichtigen

    Nach Dänemark will auch Norwegen künftig mehr Wehrpflichtige einziehen. Bis 2036 soll die Zahl der eingezogenen Männer und Frauen von derzeit 9.000 auf 13.500 pro Jahr erhöht werden. “Wir müssen zur richtigen Zeit über genügend Leute mit den richtigen Fähigkeiten verfügen”, sagte Norwegens Verteidigungsminister Bjørn Arild Gram diese Woche. “Wir werden in Zukunft mehr Menschen mit professionellen militärischen Kenntnissen brauchen.”

    In dem 5,5-Millionen-Einwohner-Land gilt eine allgemeine Wehrpflicht für Frauen und Männer zwischen 19 und 44 Jahren. Alle werden gemustert, aber nur ein Teil absolviert die zwölfmonatige Grundausbildung. 

    Um mehr Soldatinnen und Soldaten rekrutieren zu können, muss Norwegen die nötigen Kapazitäten aufbauen. Das Finanzministerium rechnet damit, dass 400 neue Stellen für die Verwaltung der Wehrpflichtigen geschaffen werden müssen. Außerdem muss das Ausbildungszentrum modernisiert und erweitert werden. Statt aktuell 300 sollen dort künftig bis zu 1.800 Rekruten ausgebildet werden. Für den Ausbau plant Norwegen mit mehreren Milliarden Norwegischer Kronen (mehr als 100 Millionen Euro). 

    Am heutigen Freitag wird die norwegische Regierung zudem ihren langfristigen Verteidigungsplan von 2025 bis 2036 vorstellen. Im Vorfeld hatte Premierminister Jonas Gahr Store angekündigt, dass sein Land bereits 2024, und nicht erst wie ursprünglich geplant 2026, zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Verteidigung ausgeben will. 2022 lag Norwegen bei 1,64 Prozent des BIP. klm

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    Presseschau

    SIPRI: Nato: A new need for some old ideas. Anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Nato argumentieren die Autoren, dass viele Konzepte und strategische Debatten der Anfänge heute noch Bestand haben. Es geht um nukleare Abschreckung, aber auch die Notwendigkeit, die Perspektive des Gegenübers einzunehmen. Übersetzt in die aktuelle Lage bedeute das, “sich darüber im Klaren zu sein, dass Maßnahmen, die die Nato als defensiv ansieht, in Russland immer noch als offensiv empfunden werden können (…)”.

    FAZ: Wir kennen die Russen besser. Eine litauische Schriftstellerin erklärt, warum die Hoffnungen, dass es in Russland eines Tages zum Regimewechsel kommt, naiv sind. In großen Teilen Europas würde man die Augen vor dem tief verwurzelten russischen Imperialismus verschließen. Und man müsse nur zuhören, was im russischen Staatsfernsehen öffentlich gesagt wird: Dass Deutschland irgendwann unter russischer Flagge stehen werde.

    Bloomberg: We Can´t Bear to Think About Haiti and Sudan, so We Don´t. Warum bekommen Kriege und Elend in Sudan, Myanmar und Haiti im Westen unverhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit? Westlichen Journalisten und Experten fällt es leichter, das Konzept des interstaatlichen Konfliktes zu verstehen als die oft hochkomplexen Kriege zwischen ethnischen Gruppen oder nichtstaatlichen Organisationen. Und, so der Autor, wir verschließen die Augen, weil wir schlussendlich einfach sprachlos und ideenlos ob einer Lösung sind.

    Swedish Defence Research Agency (FOI): Western Military Capability in Northern Europe 2023. Ausführliche Übersicht zu zwölf Nato-Staaten und wie sie ihre Militärausgaben und Sicherheitspolitik seit Russlands Angriff auf die Ukraine neu ausgerichtet haben. Deutschlands Bestrebungen, große Nato-Verbände aufzustellen, könnten “durch begrenzte Fähigkeiten in den Bereichen Führung und Interoperabilität mit kleineren Staaten beeinträchtigt werden”.

    Heads

    Jürgen Kerner – Ein Gewerkschafter kämpft für den Eurofighter

    Jürgen Kerner ist 2. Vorsitzender der IG Metall.

    Was macht ein Mann, der “sein Hobby zu seinem Beruf” gemacht hat, wenn er gerade mal nicht seinem Hobby nachgeht? Er liest Krimis. Jürgen Kerner lacht ein wenig verlegen. Und fällt in seinen leicht ostschwäbischen Dialekt, den sich der 2. Vorsitzende der IG Metall in seinen offiziellen Reden fast ganz abgewöhnt zu haben scheint. Die “gruseligen skandinavischen” Krimis haben es ihm angetan: “Das ist vielleicht meine dunkle Seite.”

    Die sieht man dem 55-jährigen gebürtigen Augsburger auf den ersten Blick so gar nicht an. Fester Händedruck, klarer Blick, immer ein wenig in Bewegung. Langjährige Kollegen beschreiben ihn als “sehr zugewandt”. Immer “gesprächsbereit” sei “der Jürgen”, aber hinter der freundlichen Fassade stecke ein “kühl kalkulierender Manager”.

    Wenn es Kerners Plan war, der IG Metall eine eigene Zeitenwende zu verpassen, dann ist sein Plan zumindest teilweise aufgegangen. In einem zusammen mit dem Wirtschaftsforum der SPD und dem Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) kürzlich vorgelegten Positionspapier heißt es vollmundig: Die Handlungsfähigkeit Deutschlands sei nur “mit einer national wettbewerbsfähigen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie und Bundeswehr darstellbar”. Die Gewerkschaft, die sich in ihrer im Januar aktualisierten Satzung noch für “Abrüstung” einsetzt, ist zu einer Fürsprecherin rüstungspolitischer Projekte geworden.

    Kehrtwende für die Rüstungsindustrie

    Wie kein anderer verkörpert Kerner diesen Widerspruch. Mit 17 beginnt er eine Lehre als Informationselektroniker bei Siemens in Augsburg, ist schon in der Gewerkschaft aktiv und verweigert den Wehrdienst. Ein Gewerkschaftsgewächs durch und durch. Er findet die Demonstrationen gegen die atomaren Mittelstreckenraketen gut. Und macht heute keinen Hehl aus seiner Kehrtwende, die – siehe Kalkül – natürlich knallharte Gewerkschaftsinteressen spiegelt. Die 100.000 Beschäftigten in der deutschen Rüstungsindustrie wollen betreut werden.

    Die Zeiten, in denen sich die Mitglieder des IG Metall-Arbeitskreises “Wehrtechnik und Arbeitsplätze” als Schmuddelkinder fühlten, seien vorbei, betont Kerner. Und als Mitglied im Aufsichtsrat von Thyssenkrupp und Airbus weiß er genau, welche Projekte Zukunft haben. Und welche vielleicht nicht, sollte der politische Wille fehlen. So wundert es nicht, dass der Chef-Funktionär der IG Metall das Lied des Airbus-Chefs Michael Schöllhorn singt.

    Ohne Forschung kein militärischer Flugzeugbau in Deutschland

    Der fordert die Bundesregierung schon länger auf, zusätzlich zum Kauf der geplanten US-amerikanischen F-35-Kampfjets mindestens noch 40 Eurofighter bei Airbus zu bestellen. Nur so könne man über 2030 hinaus, wenn die letzte Tranche Eurofighter geliefert sei, weiterhin Kampfflugzeuge in Deutschland bauen. 2040 soll dann das hauptsächlich deutsch-französische Luftkampfsystem Future Combat Air System (FCAS) eingeführt werden.

    “Wenn wir die Ingenieure im militärischen Flugzeugbau behalten wollen”, analysiert Kerner deshalb mit Blick auf heimische Arbeitsplätze, “dann brauchen wir eine Weiterentwicklung des bestehenden Systems. Wenn es keine Forschung für den Eurofighter gibt, dann wird das das Ende des militärischen Flugzeugbaus in Deutschland sein”.

    “Soziales nicht gegen Sicherheit ausspielen”

    Und weil “der Jürgen” in seiner Gewerkschaft “ziemlich beliebt” ist, wie ein Insider weiß, kommt auch seine Quasi-Forderung nach einem zweiten Sondervermögen gut an. Denn da lässt der Gewerkschafter natürlich nicht mit sich reden: “Wir dürfen Soziales nicht gegen Sicherheit ausspielen.” Mit dem derzeitigen Sondervermögen würden ja fast keine neuen Rüstungsprojekte finanziert. “Und zu glauben, dass man solch große Unternehmungen, wie zum Beispiel die Weiterentwicklung des Eurofighters in Richtung FCAS, über den Haushalt finanzieren kann, halte ich für eine Illusion.”

    Unterschätzen sollte man den konzilianten IG-Metall-Funktionär also auf keinen Fall. Das Manager-Magazin schrieb jüngst: “Die wahre Macht bei Thyssenkrupp ist längst Jürgen Kerner”. Es ging um den Fall der ehemaligen Konzernchefin Martina Merz vor einem Jahr, den Kerner als Aufsichtsratsvize maßgeblich vorangetrieben haben soll. Begründung: Es gebe keine “Zukunftsperspektive” für Deutschlands größten Stahlkonzern. Bis heute will Kerner dies nicht als Revolte verstanden wissen. Freundlich im Ton, aber hart in der Sache.

    So geht er auch sein nächstes Projekt an. Die Werften-Sparte bei Thyssenkrupp soll mithilfe eines Investors an die Börse. Natürlich, um heimische Arbeitsplätze zu sichern. Und: Um den Verkauf von Thyssenkrupp Marine Systems an die Konkurrenz im Ausland zu verhindern, soll der Bund einsteigen. “Wir haben den Anspruch, dass wir Steuergelder nicht ins Ausland schicken”. Ein Grund, warum Kerner, der als gut vernetzt gilt, sehr oft in Berlin und fast nicht mehr in Augsburg ist. Nana Brink

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