von zwei Parteien getragen – bipartisan – lautet das Gebot der Stunde in Washington zehn Tage nach dem Attentat auf Donald Trump. Daran hält sich selbst Benjamin Netanjahu. Israel bleibe “Amerikas unverzichtbarer und starker Verbündeter im Nahen Osten”, sagte der innenpolitisch wie international umstrittene Regierungschef zu Beginn seines dreitägigen USA-Besuchs, “unabhängig davon, wen das amerikanische Volk als nächsten Präsidenten wählt”. Nach dem Rückzug Bidens von der Kandidatur der Demokraten ist nicht mehr ausgemacht, dass Netanjahus Kalkül aufgeht, alles auf einen Sieg Trumps zu setzen, schreibe ich in meiner Analyse.
Auf Überparteilichkeit setzt auch US-Heimatschutzminister Alejandro Mayorka. Um das Fehlverhalten der Sicherheitskräfte beim Attentat auf Trump am 13. Juli in Butler/Pennsylvania aufzuklären, berief er am Montag ein unabhängiges, überparteiliches Panel ein. 45 Tage Zeit hat das 15-köpfige Gremium aus früheren Heimatschutzministern und Sicherheitsberatern ehemaliger Präsidenten, um das Vorgehen von Secret Service und lokalen Sicherheitsbehörden zu untersuchen. Wilhelmine Preußen hat die Einzelheiten.
Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre,
Diesen Dienstag trifft Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit US-Präsident Joe Biden in Washington zusammen. Vor dem Abflug vom Ben Gurion-Flughafen in Tel Aviv dankte er Biden am Montag für Jahrzehnte der Unterstützung Israels durch die USA. Und er vermied es, sich im abzeichnenden Wahlkampf zwischen Donald Trump und Kamala Harris auf eine Seite zu schlagen: “Unabhängig davon, wen das amerikanische Volk als nächsten Präsidenten wählt”, bleibe Israel “Amerikas unverzichtbarer und starker Verbündeter im Nahen Osten”, sagte Netanjahu.
“In dieser Zeit des Krieges und der Unsicherheit ist es wichtig, dass Israels Feinde wissen, dass Amerika und Israel heute, morgen und immer zusammenstehen.”
Das Verhältnis zwischen Biden und Netanjahu war zuletzt angespannt. Durch die wahrscheinliche Ernennung von Vizepräsidentin Harris zur Präsidentschaftskandidatin der US-Demokraten bekommt die Reise zusätzliche sicherheitspolitische Bedeutung. Sowohl auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar wie in den ersten Monaten nach dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hatte Bidens Vize Harris Israel immer wieder zu stärkerem Zulassen humanitärer Organisationen im Gazastreifen gedrängt.
International bedeutet die Reise für Netanjahu noch aus einem anderen Grund einen Drahtseilakt. Vergangene Woche hat der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag die israelische Siedlungspolitik in den besetzten palästinensischen Gebieten als Verstoß gegen das Völkerrecht eingestuft. Palästinenser würden dort systematisch diskriminiert, heißt es in dem Gutachten des Gerichts, das rechtlich nicht bindend ist. Politisch relevant ist es deshalb, weil es von einer Mehrheit der UN-Generalversammlung beantragt worden war, um zu klären, welche rechtlichen Folgen die seit 1967 anhaltende Besatzung der palästinensischen Gebiete hat. Israel müsse die Besatzung “so schnell wie möglich beenden”, erklärte Richter Nawaf Salam.
Das Urteil des IGH verstärkt die internationale Isolation Israels. Auch Biden hat die militärische Unterstützung durch die USA zuletzt verstärkt an Fortschritte bei humanitärer Hilfe geknüpft. Politisch will er vor dem Ende seiner Amtszeit einen langfristigen Waffenstillstand erreichen – und die Rückkehr der überlebenden israelischen Geiseln aus der Gefangenschaft der Hamas im Gazastreifen.
Beide Bedingungen hintertreibt Netanjahu systematisch – nicht zuletzt mit Blick auf seine wichtigsten innenpolitischen Verbündeten. Ohne den Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir (Jüdische Stärke), und Finanzminister Betzalel Smotrich (Religiöser Zionismus) hätte er keine Mehrheit für seine Koalition mehr. Deshalb gibt er den beiden rechtsextremen Siedlervertretern weitgehend freie Hand bei der schleichenden Annexion des Westjordanlands, die das IGH nun ausdrücklich als völkerrechtswidrig bezeichnete.
Netanjahus bisheriges Kalkül, auf eine Rückkehr Trumps ins Weiße Haus zu setzen, um den Krieg im Gazastreifen über die US-Präsidentenwahl im November hinaus fortführen zu können, ist durch den Rückzug Bidens als Präsidentschaftskandidat gefährdet. Diplomatischer als 2015 tritt er deshalb diesmal auf – Biden will er nicht so brüskieren wie seinerzeit Barack Obama durch seinen provokanten Auftritt vor dem US-Kongress. Im Schulterschluss mit den Republikanern wollte Netanjahu damals die schließlich im Juli 2015 in Wien von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland, China und den USA mit dem Iran unterzeichnete Nuklearvereinbarung (JCPoA) hintertreiben.
Bei einem seiner letzten Telefonate mit Trump als Präsident 2020 verweigerte Netanjahu ihm in einem live mitgeschnittenen Gespräch die offene Unterstützung. Das heißt nicht, dass Netanjahu einem transaktionalen Abkommen zur Schaffung eines Palästinenserstaats nach dem Vorbild von Trumps Deal of the Century von 2020 nicht abgeneigt wäre. Der sieht die Annexion von Jordantal und israelischen Siedlungen im Westjordanland sowie deren Eingliederung unter israelische Jurisdiktion vor – ein Schritt, der nach den Kriterien des jüngsten Rechtsgutachtens des IGH völkerrechtswidrig wäre.
Am wichtigsten wird es für Netanjahu in Washington aber sein, die anhaltende militärische Unterstützung der Israel Defense Forces (IDF) durch die USA zu sichern. Nach den israelischen Luftschlägen gegen den strategisch wichtigen Hafen von Hodeida im Jemen ist die Gefahr einer regionalen Ausweitung des Gaza-Kriegs wieder gewachsen.
Israel hat mit dem Angriff gegen die Houthis deutlich gemacht, dass sie sich mehr militärisches Engagement der USA und seiner Verbündeten beim Schutz der zivilen Schifffahrt im Roten Meer wünschen. Das, sowie Schutz vor den libanesischen Houthi-Verbündeten von der Hisbollah an seiner Nordgrenze. Bis zur Amtseinführung des nächsten US-Präsidenten im Januar 2025 bleiben für diese sicherheitspolitischen Fragen aller Voraussicht nach Biden und Harris Netanjahus wichtigste Ansprechpartner – und nicht Trump.
Ginge es nur um Zahlen, dann müsste die Situation zwischen der Ukraine und Russland im Schwarzen Meer heute anders aussehen: Im Februar 2022, als Russland die Ukraine umfassend angriff, hatte die russische Kriegsmarine im Schwarzen Meer über 80 Kriegsschiffe und Boote sowie bis zu 200 Versorgungsschiffe. Die Ukraine hatte so gut wie keine.
Zweieinhalb Jahre später versucht Moskau von seiner Schwarzmeerflotte zu retten, was noch zu retten ist. Mehr als 40 Schiffe und Boote sind nach ukrainischen Angaben zerstört oder so stark beschädigt, dass sie auf absehbare Zeit nicht einsatzbereit sind. Mit Seeminen, Überwasserdrohnen, Raketen, die teils erst in den vergangenen zwei Jahren bis zur Einsatzbereitschaft entwickelt worden sind, hat die Ukraine Russlands Marine stark geschwächt.
Dennoch: “Russland dominiert weiterhin die Schwarzmeerregion, kann aber bestimmte Teile im Westen und Odessa nicht mehr kontrollieren”, erläutert Stefan Meister, der für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) die politische Lage der Region erforscht. “Russland hat nach 2014 systematisch die militärische Kontrolle über die Schwarzmeerregion ausgebaut und auch die europäische Sicherheit bedroht.”
Besonders im Fokus Moskaus war die Krim – seit Jahrhunderten das wichtigste geostrategische Territorium in der Region. Für das Regime Wladimir Putins ist die ehemalige Halbinsel, die sowjetische Militärs gerne als ihren Alterswohnsitz wählten, von großer Bedeutung. “Krym nash” – “Die Krim ist unser” war nach der Annexion 2014 ein beliebter Spruch in Russland. Für die russische Marine gilt das aber heute nicht mehr.
Reparaturmöglichkeiten auf der Halbinsel sind nur noch begrenzt vorhanden, und kein Hafen bietet der russischen Marine mehr volle Sicherheit. Moskau musste aufgrund der ständigen Bedrohung durch die ukrainische Armee die Reste der Kriegsflotte nach Osten, nach Noworossijsk und ins Asowsche Meer sowie perspektivisch nach Abchasien verlegen.
Was für Putin auf dem Spiel steht, wird deutlich, wenn man die ökonomische und die geopolitische Bedeutung der Region für Russland betrachtet:
Hinzu kommt die militärische Bedeutung, die in der Marine-Doktrin vom Juli 2022 beschrieben wird. Das Dokument erschien, als klar war, dass Russland nicht mehr mit einem schnellen Sieg rechnen konnte und drei Monate, nachdem das Flaggschiff der Schwarzmeerflotte, die Moskwa, gesunken war.
Die neue Doktrin (englische Fassung hier) ersetzt die alte von 2015. Wichtigster Unterschied: Die globalen russischen Marineambitionen werden detaillierter beschrieben. Das Schwarze Meer sowie das Asowsche Meer werden in ihrer geostrategischen Bedeutung aufgewertet.
Erneut war für die Krim eine besondere Rolle vorgesehen. Schon seit 2014 nutzte Russland die alte sowjetische Werft Zaliw für Reparatur und Bau von Kriegsschiffen. Mit dem geplanten Ausbau der ökonomischen und militärischen Präsenz sollte das Schwarze Meer insgesamt eine größere Rolle in Russlands Geopolitik spielen. Der Krieg zeigt zudem, dass Russland der Ukraine die globale Position im Lebensmittelhandel streitig machen wollte.
Hätte Russland tatsächlich die ukrainische Küste in weiten Teilen besetzen oder den Seehandel der Ukraine effektiv und langfristig blockieren können, hätte Putin ein wichtiges Kriegsziel erreicht und die Ukraine nachhaltig wirtschaftlich geschwächt. Deshalb sei die Kontrolle der Krim zentral für die Sicherheit der Ukraine, betont DGAP-Wissenschaftler Meister.
Im Moment sieht es so aus, als wäre Putin auf dem Wasser gescheitert. Neben der Widerstandsfähigkeit der Ukraine und gemeinsamen Antiseeminen-Projekten zwischen Bulgarien, Rumänien und der Türkei schenken Berlin und Brüssel der Region inzwischen mehr Aufmerksamkeit. Das zeigt nicht nur der Bericht des Rats der EU vom 3. Juli über die Zusammenarbeit in der Schwarzmeerregion, sondern auch eine geplante Schwarzmeerstrategie der Europäischen Union.
“Deutschland und die EU haben verstanden, dass die Schwarzmeerregion zentral sein wird für die Aushandlungen einer neuen europäischen Sicherheitsordnung”, erläutert Stefan Meister. “Hier wird sich entscheiden, inwieweit die Ukraine ökonomisch überlebensfähig ist.”
Obwohl mithilfe der Türkei und der UN der ausverhandelte Grain Deal vor einem Jahr auslief, hat die Ukraine es geschafft, die Exportkapazitäten für Getreide zu erhöhen. Vor Februar 2022 exportiere das Land über das Schwarze Meer 6,5 Millionen Tonnen Getreide monatlich, jetzt sind es mehr als 5,2 Millionen. Die Exportmenge 2023/2024 ist gestiegen und lag um rund 3,17 Prozent höher als 2022/2023. Das Niveau von vor 2022 ist aber noch nicht wieder erreicht.
Der Erfolg der ukrainischen Getreideexportroute zeigt zwar, dass Russland die Initiative im westlichen Teil des Schwarzen Meeres verloren hat, doch dafür festigt es seine Macht im Osten, im von Georgien abtrünnigen Abchasien. Der alte sowjetische Hafen in Otschmtschiare wird für die russische Marine ausgebaut. So wird Moskau seine Rolle in der Region, insbesondere in der Beziehung zu Georgien, wieder festigen und damit auch Einfluss auf die europäischen Global-Gateway-Pläne nehmen können.
Der “Killer-Roboter”, der sich selbstständig macht und einen Weltkrieg auslöst, scheint – noch – nicht Realität zu sein. Zu diesem Schluss kommt das frei verfügbare Buch “The Very Long Game”, herausgegeben vom Defense Artificial Intelligence Observatory (DAIO) der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg. Es untersucht den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in den Streitkräften von 25 Staaten. “Wir waren überrascht, dass alle 25 Länder mehr oder weniger in den gleichen Denkmustern gefangen sind”, sagt Heiko Borchert, einer der Herausgeber, gegenüber Table.Briefings. Die meisten Länder würden sich “auf die zentrale Rolle des Menschen fokussieren”, so der KI-Experte.
KI ist längst Bestandteil moderner Armeen, auch der Bundeswehr. Ohne KI würde das Flugabwehrraketensystem Patriot oder das Waffenleitsystem der Fregatte 125 nicht funktionieren. Die meisten KI-Technologien der sogenannten zweiten Welle (maschinelles Lernen) werden derzeit in der Datenanalyse eingesetzt, zum Beispiel zur Aufklärung eines Gefechtsfelds. Ein Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung unbemannter Systeme wie Drohnen, die sowohl in der Luft als auch unter Wasser operieren. Entscheidend für die Zukunft wird die KI der dritten Welle sein. Dies bedeutet, dass KI-Technologien Aufgaben und Ziele selbstständig analysieren und eigene Strategien entwickeln können.
Zu den 25 untersuchten Ländern gehören vor allem Nato-Staaten. Um ein weltweit möglichst umfassendes Bild über die Bedeutung von KI im militärischen Bereich zu bekommen, wurden auch Staaten wie China, Indien, Iran, Israel, Südkorea, Russland, Singapur und die Ukraine einbezogen.
USA
Die USA gelten als einer der großen Player im Bereich der militärischen KI. Jährlich fließen mehr als fünf Milliarden US-Dollar in die Forschung. Es gibt mehrere hundert KI-Projekte. Eines der spektakulärsten: Im Mai startete ein mit KI gesteuerter Kampfjet. Schon seit Jahren verfügt das Land über eine KI-Strategie, die eine “verantwortliche menschliche Kontrolle” voraussetzt. Ende November 2023 haben die USA eine “Political Declaration on Responsible Military Use of Artificial Intelligence and Autonomy” veröffentlicht, der sich mittlerweile 52 Staaten, darunter Deutschland, angeschlossen haben. Darin heißt es vage: “Der militärische Einsatz von KI sollte ethisch und verantwortungsvoll sein und die internationale Sicherheit erhöhen.”
Grundsätzlich gilt: Für die USA ist KI ein Wettbewerbsinstrument gegenüber China. Im Vordergrund steht die Entwicklung von automatisierten Waffensystemen der dritten Welle. Auch das Ziel ist klar. Weitgehend unbemerkt hat das US Marine Corps Anfang Juli eine KI-Strategie veröffentlicht, in der es explizit heißt: “Wir sind in einer guten Position, unsere Letalität zu erhöhen.”
China
Nach dem Urteil der meisten chinesischen und vieler ausländischer Analysten ist China noch “weit von einem revolutionären KI-Einsatz in der Verteidigung entfernt”. Allerdings warnen die Experten davor, Chinas Kapazitäten – gerade auch im Bereich der Daten-Ressourcen – in diesem Bereich zu unterschätzen. Auch wenn die meisten KI-Technologien vermutlich nicht über die zweite Welle hinausgehen, setze man alles daran, eine führende Rolle in der “intelligenten Kriegsführung” einzunehmen. Aber auch in einem diktatorisch geführten Land wie China habe man kein Interesse, die menschliche Kontrolle über KI gestützte Waffensysteme zu verlieren.
Ukraine
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine liefert, so zynisch es klingt, ein Testfeld für den Einsatz von KI in Waffensystemen. Das Land hat nicht nur eine der innovativsten Drohnenproduktionen, inklusive einer Drohnenarmee. Es experimentiert in Echtzeit mit den Möglichkeiten teil-autonomer Technologien. Nicht umsonst haben relevante Drohnenhersteller und Software-Entwickler Niederlassungen in der Ukraine, darunter auch deutsche Unternehmen wie Quantum oder Helsing.
Ein Großteil der Zielerfassung durch die ukrainische Armee soll bereits jetzt durch KI-Technologien erfolgen. Über 200 Start-ups arbeiten mit internationalem Kapital an der Entwicklung von KI-gesteuerten Drohnenschwärmen. So kommt die Studie zu dem Schluss: “Der Einsatz von KI in diesem Krieg wird die künftigen Regeln bestimmen.”
Türkei
Von allen Ländern in “The Very Long Game” setzt die Türkei am stärksten auf die Entwicklung von autonomen Systemen. Dabei wird der Schwerpunkt weniger auf die menschliche Kontrolle als auf die technischen Möglichkeiten gelegt. Im vergangenen Jahrzehnt ist eine innovative Drohnenindustrie entstanden, angeführt von der Firma Baykar, die der Schwiegersohn des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan führt. Über den Grad an Automatisierung herrscht weitgehend Unklarheit, ebenso darüber, nach welchen Kriterien die Türkei ihre Waffensysteme verkauft: “Wir kennen die Prinzipien nicht.” Laut einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik hat der Nato-Staat Türkei auch Rüstungskooperationen mit Saudi-Arabien oder China abgeschlossen.
“Wir haben versagt”, sagte die Direktorin des US-Geheimdienstes Secret Service, Kimberly Cheatle, am Montag vor einem für die Kontrolle der Bundesbehörden zuständigen Ausschuss im US-Kongress.
Zehn Tage nach dem Attentat auf Donald Trump am 13. Juli in Butler/Pennsylvania laufen die Bemühungen um eine Aufklärung möglichen Sicherheitsversagen der zuständigen Behörden immer stärker an. Im Mittelpunkt der Vorwürfe steht Kimberley Cheatle, deren Behörde für die Sicherheit des amtierenden und ehemaliger Präsidenten, aber auch von Präsidentschaftskandidaten und hohen Staatsgästen verantwortlich ist. Am Montag musste sie sich vor dem Ausschuss für Aufsicht und Rechenschaftspflicht des US-Repräsentantenhauses über mehrere Stunden hinweg rechtfertigen.
Der Vorsitzende des Ausschusses, James Comer (Republikaner) sagte, die Behörde sei durch den Vorfall das “Gesicht der Inkompetenz” geworden und forderte Cheatles Rücktritt. Cheatle selbst lehnt nach wie vor einen Rücktritt ab, räumte jedoch ein, dass der Attentatsversuch auf den früheren Präsidenten Donald Trump das “schwerste operative Versagen des Secret Service seit Jahrzehnten” sei.
Am Sonntag ernannte US-Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas zudem 15 Mitglieder eines parteiübergreifenden, unabhängigen Panels, das “Planung und Maßnahmen des US-Geheimdienstes und der staatlichen und lokalen Behörden vor, während und nach der Kundgebung” untersuchen soll, heißt es auf der Seite des Heimatschutzministeriums. Die Untersuchung soll 45 Tage dauern. Teil des Gremiums sind eine Reihe von Nichtregierungsexperten, unter anderem die ehemalige Heimatschutzministerin unter Barack Obama, Janet Napolitano und Frances Townsend, Heimatschutzberaterin des früheren Präsidenten George W. Bush. Der Secret Service ist dem Heimatschutzministerium unterstellt.
Ebenfalls am Montag hat eine parteiübergreifende Gruppe von Abgeordneten des Heimatschutzausschusses des Repräsentantenhauses den Ort der Schießerei im US-Bundesstaat Pennsylvania besucht. Aufgeklärt werden soll, wie der Schütze bewaffnet auf das Dach in 150 Metern Entfernung von Trumps Rednerbühne gelangen und auf ihn schießen konnte und, ob die Schutzvorkehrungen des Secret Service ausreichend waren. US-Präsident Joe Biden hatte die Untersuchung der Sicherheitsmaßnahmen bei der Veranstaltung angeordnet. wp
Der neue britische Premierminister Keir Starmer hat seinen Rückhalt für das britisch-italienisch-japanische Kampfjet-Projekt Global Combat Air Programme (GCAP) bekräftigt. Am Montag sagte Starmer bei der Eröffnung der Farnborough Airshow in der Nähe von London, das Projekt werde zwar geprüft, es sei ihm aber wichtig, “festzuhalten, wie wichtig dieses Programm ist”.
Nach dem Regierungswechsel in Großbritannien war Unruhe in der britischen Rüstungsindustrie aufgekommen, weil der Staatsminister für die Streitkräfte, Luke Pollard, keine Garantie für eine Fortführung des Programms geben wollte. In London waren zuvor Zweifel aufgekommen, ob aufgrund der akuten Bedrohung durch Russland derartige langfristige Projekte sinnvoll seien. Die neue britische Regierung will zunächst mit der Strategic Defence Review bis 2025 Prioritäten und Bedürfnisse in der britischen Rüstungsindustrie evaluieren.
Bei GCAP, das auch unter dem Namen Tempest bekannt ist, will Großbritannien gemeinsam mit Italien und Japan einen Kampfjet entwickeln, der ähnlich dem Future Combat Air System (FCAS), das Deutschland mit Frankreich und Spanien vorantreibt, vernetzt agieren soll. Laut Zeitplan soll GCAP ab 2035 die britischen und italienischen Eurofighter Typhoon ersetzen. Auch Saudi-Arabien hatte Interesse bekundet, sich GCAP anzuschließen.
Bei der Farnborough Airshow stellen die drei GCAP-Partnerunternehmen BAE Systems aus Großbritannien, Leonardo aus Italien und Mitsubishi Heavy Industries aus Japan erstmals gemeinsam ein Konzept des Kampfjets aus. Die Luftfahrtausstellung, die auch über einen beträchtlichen militärischen Teil verfügt, endet am Freitag, rund 75.000 Besucher werden erwartet.
Zuvor hatte auch die US-amerikanische Luftwaffe Zweifel an der Konzeptionierung des amerikanischen Next Generation Air Dominance (NGAD)-Programm geäußert, bei dem ein Kampfjet der nächsten Generation entwickelt werden soll, weil die Entwicklungs- und Produktionskosten höher als geplant seien. bub
Etwa 100.000 Granaten soll die Ukraine im Juli und August aus der tschechischen Munitionsinitiative erhalten. Das sagte der tschechische Außenminister Jan Lipavsky am Montag laut übereinstimmender Berichte in Brüssel. Derzeit versuche man mehr Geld zu sammeln, um die Initiative im kommenden Jahr fortzuführen, ab September solle sich das Liefertempo erhöhen. Bisher haben sich 18 Länder der Initiative angeschlossen, 15 davon hätten ihren Beitrag bereits bezahlt, so der Minister. Damit sei genug Geld da, um bis Jahresende 500.000 Schuss an die Ukraine zu liefern. Ziel der Initiative ist es, bis zum Jahreswechsel bis zu 800.000 Schuss zu liefern.
Tschechien hatte die Initiative, bei der gemeinsam Munition in Nicht-EU-Ländern beschafft wird, im Februar dieses Jahres vorgebracht. Über die genaue Herkunft der Geschosse macht Tschechien keine Angaben. Deutschland unterstützt die Initiative mit einem dreistelligen Millionenbetrag.
Ende Mai hatte der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala mitgeteilt, dass bereits 1,6 Milliarden Euro zusammengekommen seien. Vergangene Woche hieß es, dass bereits 50.000 Geschosse in die Ukraine geliefert worden seien. Ein Teil der Munition werde schon jetzt “auf dem Schlachtfeld verwendet”, sagte der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal in Prag.
Insbesondere die Munitionsknappheit bereitet der Ukraine auf dem Schlachtfeld große Sorgen. Europäische Länder wie Deutschland und Frankreich fahren die Munitionsproduktion zwar zügig hoch, andere Programme zur Versorgung der Ukraine wie das EU-Vorhaben, der Ukraine innerhalb eines Jahres eine Million 155mm-Kaliber-Geschosse zur Verfügung zu stellen, waren hinter den Erwartungen zurückgeblieben. bub
Lesen Sie hier einen Standpunkt von Lucas Hellermeier, der am John-F.-Kennedy-Institut forscht, warum außereuropäische Munitionskäufe helfen könnten, den Markt nach den Bedürfnissen von Nato-Staaten zu formen.
Tagesspiegel: Deutschlands oberster Bundeswehr-Soldat Breuer: “Überall ist die neue Bedrohungslage noch nicht angekommen.” Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr, spricht im Interview über die Stationierung von US-Raketensystemen, die Schwierigkeit, Formen der hybriden Kriegführung richtig einzuordnen und was passiert, wenn die USA der Nato den Rücken kehren würden.
Stiftung Wissenschaft und Politik: Gewichtig und richtig – weitreichende US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland. 2026 werden in Deutschland bodengestützte amerikanische Mittelstreckenwaffen stationiert werden. Moskau droht mit militärischen Gegenmaßnahmen. In diesem Papier geht es darum, warum die Pläne Potenzial haben, zu künftigen Rüstungskontrollvereinbarungen mit Russland beizutragen.
ZEIT: Nordkorea – Ein Staat zieht die Mauern hoch. Kim Jong-un droht Südkorea seit Beginn des Jahres offen mit einem Atomkrieg und schottet sein Land ab, wie nie zuvor. Das Nukleararsenal Nordkoreas wuchs innerhalb weniger Jahre von schätzungsweise 35 auf 60 Sprengköpfe an. Dieser Artikel erläutert die Beziehungen Nordkoreas zu Russland und China und wie Kim Jong-un sich eine abgelenkte UN zunutze macht.
Foreign Affairs: The Rising Tide of Political Violence. Das Attentat auf Trump war kein Einzelfall, sondern ist Teil eines Trends: Zwischen 2016 und 2021 haben sich die Drohungen gegen US-Kongressabgeordnete verzehnfacht. Doch das Problem ist kein rein amerikanisches. Dieser Artikel fasst globale Fälle politischer Gewalt der vergangenen Jahre und ihre Entwicklung zusammen.
Politico: How Alexander Lukashenko’s tyranny ends. Nach drei Jahrzehnten an der Macht schwächele der belarussische Diktator, heißt es aus Insiderkreisen. Er sei verwundbar, weil er Russlands Krieg in der Ukraine unterstütze und auf das Geld des Kremls angewiesen sei. Sollte er gezwungen sein, Truppen zu entsenden, käme die größte Bedrohung für seine Autorität von innen. “Die Verluste würden unvorhergesehene Reaktionen von Loyalisten hervorrufen”, heißt es.
Der Berg kreißte und gebar eine Maus – das mag manch Beobachterin oder Beobachter bei der Vorstellung der Pläne zur Einführung eines Wehrdienstes durch Verteidigungsminister Boris Pistorius im Juni gedacht haben. Nicht wenige glaubten, der Minister würde eine der grundlegendsten Wehrreformen seit Jahren präsentieren: Eine Rückkehr zu einer, wenn auch erneuerten, Wehrpflicht. Stattdessen verkündete Pistorius lediglich den Plan, allen jungen Männern ein Schreiben der Bundeswehr zukommen zu lassen, in dem gefragt wird, ob Interesse an einem Wehrdienst bestünde oder nicht. Die Beantwortung dieses Schreiben solle verpflichtend sein. Donnerwetter!
Auf den ersten Blick fragt man sich, was all die gewaltige, kontroverse Debatte vorab sollte, so wenig wie schlussendlich präsentiert wurde. Und das von dem Minister, der das Aussetzen der Wehrpflicht als Fehler bezeichnete und der viel zu viel über Wehrpflicht und Kriegstüchtigkeit spricht. Darum werbe ich für einen zweiten Blick auf die politische Großlage. Nächstes Jahr wird ein neuer Bundestag gewählt. In diesen Kontext sollte die Debatte rund um die Wehrpflicht eingeordnet werden.
Grundsätzlich bin ich gegen alle Zwangsdienste, also auch gegen eine Wehrpflicht. Es gibt aktuell überhaupt keine Grundlagen für die Wiedereinführung der Wehrpflicht.
Künftige Regierungskoalitionen brauchen neben machtpolitischen Erwägungen Ideen und Projekte, hinter denen sich Parteien versammeln und vereinen lassen. Mit der Rückkehr zu einer wie auch immer konkret gestalteten Wehrpflicht dürften Pistorius und relevante Teile der SPD ein Projekt gefunden haben, das Grünen und FDP nicht schmeckt – ganz im Gegensatz zur Union.
Die CDU wirbt seit Monaten vehement für eine Wehrpflicht, einen entsprechenden Beschluss hat deren Parteitag mit überwältigender Mehrheit jüngst gefasst. Die CSU sekundiert bei jeder Gelegenheit. Längst vergessen scheint, dass es die Union und deren Verteidigungsminister zu Guttenberg und de Maizière waren, die im Jahr 2011 für eine Aussetzung der Wehrpflicht sorgten.
Natürlich ist nicht völlig auszuschließen, dass auch FDP und Grüne sich beim Thema Wehrpflicht bewegen, aber klar wäre auch, dass es dann Berge zu versetzen gelte – vor allem in der eigenen Anhängerschaft. Im Gegensatz zur Union. Umso besser versteht man, warum Verteidigungsminister Boris Pistorius kürzlich nicht mehr präsentieren konnte als das, was auf den ersten Blick ausschließlich ein staatlich finanzierter Werbebrief der Bundeswehr an alle jungen Männer ist. Mehr war und ist aktuell mit den Koalitionspartnern FDP und Grünen nicht zu machen.
Es braucht keine große Fantasie, um zu verstehen, dass einer wie Boris Pistorius gern mehr wollte und will. Eine richtige, “moderne” Wehrpflicht. Die allerdings würde er am schnellsten und so weitgehend wie möglich mit der Union bekommen.
So klein das jetzige Reförmchen auch war, es kann als Einstieg in eine neue Wehrpflicht gelesen werden, und taktisch als Element eines möglichen Einstiegs in eine schwarz-rote Koalition. Was mit Grünen und FDP sicher ein Zankapfel wäre, ist mit Blick auf die Union ungleich leichter. Ein gemeinsames Thema, ein gemeinsames Projekt – eines, das zwar auch in der SPD nicht unumstritten ist, aber das mit Sicherheit nicht der Grund sein dürfte, um eine Koalitionsmöglichkeit liegenzulassen. Zumal in diesen – auch für die SPD – schweren Zeiten.
Eine Koalition mit der CDU ohne Wehrpflicht einzugehen, erscheint in diesen außenpolitisch aufgeladenen Zeiten nahezu unmöglich. Genauso wie die Chance der Ampelparteien auf eine gemeinsame neue Regierungsbildung. Irgendjemand wird sich bei diesem Thema bewegen müssen. Boris Pistorius hat ein deutliches Zeichen gesetzt – vielleicht auch für sich selbst. Bundeskanzler Olaf Scholz gilt nicht als Fan einer Wehrpflicht, Pistorius nicht als Befürworter einer eigenen Kanzler-Kandidatur. Ein SPD-Verteidigungsminister in der nächsten Regierung ist wahrscheinlicher als ein SPD-Kanzler. Insbesondere einer, der so vehement für eine Wehrpflicht wirbt und arbeitet.
Dietmar Bartsch ist verteidigungspolitischer Sprecher der Gruppe Der Linken im Deutschen Bundestag, ordentliches Mitglied und Obmann im Verteidigungsausschuss.
von zwei Parteien getragen – bipartisan – lautet das Gebot der Stunde in Washington zehn Tage nach dem Attentat auf Donald Trump. Daran hält sich selbst Benjamin Netanjahu. Israel bleibe “Amerikas unverzichtbarer und starker Verbündeter im Nahen Osten”, sagte der innenpolitisch wie international umstrittene Regierungschef zu Beginn seines dreitägigen USA-Besuchs, “unabhängig davon, wen das amerikanische Volk als nächsten Präsidenten wählt”. Nach dem Rückzug Bidens von der Kandidatur der Demokraten ist nicht mehr ausgemacht, dass Netanjahus Kalkül aufgeht, alles auf einen Sieg Trumps zu setzen, schreibe ich in meiner Analyse.
Auf Überparteilichkeit setzt auch US-Heimatschutzminister Alejandro Mayorka. Um das Fehlverhalten der Sicherheitskräfte beim Attentat auf Trump am 13. Juli in Butler/Pennsylvania aufzuklären, berief er am Montag ein unabhängiges, überparteiliches Panel ein. 45 Tage Zeit hat das 15-köpfige Gremium aus früheren Heimatschutzministern und Sicherheitsberatern ehemaliger Präsidenten, um das Vorgehen von Secret Service und lokalen Sicherheitsbehörden zu untersuchen. Wilhelmine Preußen hat die Einzelheiten.
Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre,
Diesen Dienstag trifft Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit US-Präsident Joe Biden in Washington zusammen. Vor dem Abflug vom Ben Gurion-Flughafen in Tel Aviv dankte er Biden am Montag für Jahrzehnte der Unterstützung Israels durch die USA. Und er vermied es, sich im abzeichnenden Wahlkampf zwischen Donald Trump und Kamala Harris auf eine Seite zu schlagen: “Unabhängig davon, wen das amerikanische Volk als nächsten Präsidenten wählt”, bleibe Israel “Amerikas unverzichtbarer und starker Verbündeter im Nahen Osten”, sagte Netanjahu.
“In dieser Zeit des Krieges und der Unsicherheit ist es wichtig, dass Israels Feinde wissen, dass Amerika und Israel heute, morgen und immer zusammenstehen.”
Das Verhältnis zwischen Biden und Netanjahu war zuletzt angespannt. Durch die wahrscheinliche Ernennung von Vizepräsidentin Harris zur Präsidentschaftskandidatin der US-Demokraten bekommt die Reise zusätzliche sicherheitspolitische Bedeutung. Sowohl auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar wie in den ersten Monaten nach dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hatte Bidens Vize Harris Israel immer wieder zu stärkerem Zulassen humanitärer Organisationen im Gazastreifen gedrängt.
International bedeutet die Reise für Netanjahu noch aus einem anderen Grund einen Drahtseilakt. Vergangene Woche hat der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag die israelische Siedlungspolitik in den besetzten palästinensischen Gebieten als Verstoß gegen das Völkerrecht eingestuft. Palästinenser würden dort systematisch diskriminiert, heißt es in dem Gutachten des Gerichts, das rechtlich nicht bindend ist. Politisch relevant ist es deshalb, weil es von einer Mehrheit der UN-Generalversammlung beantragt worden war, um zu klären, welche rechtlichen Folgen die seit 1967 anhaltende Besatzung der palästinensischen Gebiete hat. Israel müsse die Besatzung “so schnell wie möglich beenden”, erklärte Richter Nawaf Salam.
Das Urteil des IGH verstärkt die internationale Isolation Israels. Auch Biden hat die militärische Unterstützung durch die USA zuletzt verstärkt an Fortschritte bei humanitärer Hilfe geknüpft. Politisch will er vor dem Ende seiner Amtszeit einen langfristigen Waffenstillstand erreichen – und die Rückkehr der überlebenden israelischen Geiseln aus der Gefangenschaft der Hamas im Gazastreifen.
Beide Bedingungen hintertreibt Netanjahu systematisch – nicht zuletzt mit Blick auf seine wichtigsten innenpolitischen Verbündeten. Ohne den Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir (Jüdische Stärke), und Finanzminister Betzalel Smotrich (Religiöser Zionismus) hätte er keine Mehrheit für seine Koalition mehr. Deshalb gibt er den beiden rechtsextremen Siedlervertretern weitgehend freie Hand bei der schleichenden Annexion des Westjordanlands, die das IGH nun ausdrücklich als völkerrechtswidrig bezeichnete.
Netanjahus bisheriges Kalkül, auf eine Rückkehr Trumps ins Weiße Haus zu setzen, um den Krieg im Gazastreifen über die US-Präsidentenwahl im November hinaus fortführen zu können, ist durch den Rückzug Bidens als Präsidentschaftskandidat gefährdet. Diplomatischer als 2015 tritt er deshalb diesmal auf – Biden will er nicht so brüskieren wie seinerzeit Barack Obama durch seinen provokanten Auftritt vor dem US-Kongress. Im Schulterschluss mit den Republikanern wollte Netanjahu damals die schließlich im Juli 2015 in Wien von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland, China und den USA mit dem Iran unterzeichnete Nuklearvereinbarung (JCPoA) hintertreiben.
Bei einem seiner letzten Telefonate mit Trump als Präsident 2020 verweigerte Netanjahu ihm in einem live mitgeschnittenen Gespräch die offene Unterstützung. Das heißt nicht, dass Netanjahu einem transaktionalen Abkommen zur Schaffung eines Palästinenserstaats nach dem Vorbild von Trumps Deal of the Century von 2020 nicht abgeneigt wäre. Der sieht die Annexion von Jordantal und israelischen Siedlungen im Westjordanland sowie deren Eingliederung unter israelische Jurisdiktion vor – ein Schritt, der nach den Kriterien des jüngsten Rechtsgutachtens des IGH völkerrechtswidrig wäre.
Am wichtigsten wird es für Netanjahu in Washington aber sein, die anhaltende militärische Unterstützung der Israel Defense Forces (IDF) durch die USA zu sichern. Nach den israelischen Luftschlägen gegen den strategisch wichtigen Hafen von Hodeida im Jemen ist die Gefahr einer regionalen Ausweitung des Gaza-Kriegs wieder gewachsen.
Israel hat mit dem Angriff gegen die Houthis deutlich gemacht, dass sie sich mehr militärisches Engagement der USA und seiner Verbündeten beim Schutz der zivilen Schifffahrt im Roten Meer wünschen. Das, sowie Schutz vor den libanesischen Houthi-Verbündeten von der Hisbollah an seiner Nordgrenze. Bis zur Amtseinführung des nächsten US-Präsidenten im Januar 2025 bleiben für diese sicherheitspolitischen Fragen aller Voraussicht nach Biden und Harris Netanjahus wichtigste Ansprechpartner – und nicht Trump.
Ginge es nur um Zahlen, dann müsste die Situation zwischen der Ukraine und Russland im Schwarzen Meer heute anders aussehen: Im Februar 2022, als Russland die Ukraine umfassend angriff, hatte die russische Kriegsmarine im Schwarzen Meer über 80 Kriegsschiffe und Boote sowie bis zu 200 Versorgungsschiffe. Die Ukraine hatte so gut wie keine.
Zweieinhalb Jahre später versucht Moskau von seiner Schwarzmeerflotte zu retten, was noch zu retten ist. Mehr als 40 Schiffe und Boote sind nach ukrainischen Angaben zerstört oder so stark beschädigt, dass sie auf absehbare Zeit nicht einsatzbereit sind. Mit Seeminen, Überwasserdrohnen, Raketen, die teils erst in den vergangenen zwei Jahren bis zur Einsatzbereitschaft entwickelt worden sind, hat die Ukraine Russlands Marine stark geschwächt.
Dennoch: “Russland dominiert weiterhin die Schwarzmeerregion, kann aber bestimmte Teile im Westen und Odessa nicht mehr kontrollieren”, erläutert Stefan Meister, der für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) die politische Lage der Region erforscht. “Russland hat nach 2014 systematisch die militärische Kontrolle über die Schwarzmeerregion ausgebaut und auch die europäische Sicherheit bedroht.”
Besonders im Fokus Moskaus war die Krim – seit Jahrhunderten das wichtigste geostrategische Territorium in der Region. Für das Regime Wladimir Putins ist die ehemalige Halbinsel, die sowjetische Militärs gerne als ihren Alterswohnsitz wählten, von großer Bedeutung. “Krym nash” – “Die Krim ist unser” war nach der Annexion 2014 ein beliebter Spruch in Russland. Für die russische Marine gilt das aber heute nicht mehr.
Reparaturmöglichkeiten auf der Halbinsel sind nur noch begrenzt vorhanden, und kein Hafen bietet der russischen Marine mehr volle Sicherheit. Moskau musste aufgrund der ständigen Bedrohung durch die ukrainische Armee die Reste der Kriegsflotte nach Osten, nach Noworossijsk und ins Asowsche Meer sowie perspektivisch nach Abchasien verlegen.
Was für Putin auf dem Spiel steht, wird deutlich, wenn man die ökonomische und die geopolitische Bedeutung der Region für Russland betrachtet:
Hinzu kommt die militärische Bedeutung, die in der Marine-Doktrin vom Juli 2022 beschrieben wird. Das Dokument erschien, als klar war, dass Russland nicht mehr mit einem schnellen Sieg rechnen konnte und drei Monate, nachdem das Flaggschiff der Schwarzmeerflotte, die Moskwa, gesunken war.
Die neue Doktrin (englische Fassung hier) ersetzt die alte von 2015. Wichtigster Unterschied: Die globalen russischen Marineambitionen werden detaillierter beschrieben. Das Schwarze Meer sowie das Asowsche Meer werden in ihrer geostrategischen Bedeutung aufgewertet.
Erneut war für die Krim eine besondere Rolle vorgesehen. Schon seit 2014 nutzte Russland die alte sowjetische Werft Zaliw für Reparatur und Bau von Kriegsschiffen. Mit dem geplanten Ausbau der ökonomischen und militärischen Präsenz sollte das Schwarze Meer insgesamt eine größere Rolle in Russlands Geopolitik spielen. Der Krieg zeigt zudem, dass Russland der Ukraine die globale Position im Lebensmittelhandel streitig machen wollte.
Hätte Russland tatsächlich die ukrainische Küste in weiten Teilen besetzen oder den Seehandel der Ukraine effektiv und langfristig blockieren können, hätte Putin ein wichtiges Kriegsziel erreicht und die Ukraine nachhaltig wirtschaftlich geschwächt. Deshalb sei die Kontrolle der Krim zentral für die Sicherheit der Ukraine, betont DGAP-Wissenschaftler Meister.
Im Moment sieht es so aus, als wäre Putin auf dem Wasser gescheitert. Neben der Widerstandsfähigkeit der Ukraine und gemeinsamen Antiseeminen-Projekten zwischen Bulgarien, Rumänien und der Türkei schenken Berlin und Brüssel der Region inzwischen mehr Aufmerksamkeit. Das zeigt nicht nur der Bericht des Rats der EU vom 3. Juli über die Zusammenarbeit in der Schwarzmeerregion, sondern auch eine geplante Schwarzmeerstrategie der Europäischen Union.
“Deutschland und die EU haben verstanden, dass die Schwarzmeerregion zentral sein wird für die Aushandlungen einer neuen europäischen Sicherheitsordnung”, erläutert Stefan Meister. “Hier wird sich entscheiden, inwieweit die Ukraine ökonomisch überlebensfähig ist.”
Obwohl mithilfe der Türkei und der UN der ausverhandelte Grain Deal vor einem Jahr auslief, hat die Ukraine es geschafft, die Exportkapazitäten für Getreide zu erhöhen. Vor Februar 2022 exportiere das Land über das Schwarze Meer 6,5 Millionen Tonnen Getreide monatlich, jetzt sind es mehr als 5,2 Millionen. Die Exportmenge 2023/2024 ist gestiegen und lag um rund 3,17 Prozent höher als 2022/2023. Das Niveau von vor 2022 ist aber noch nicht wieder erreicht.
Der Erfolg der ukrainischen Getreideexportroute zeigt zwar, dass Russland die Initiative im westlichen Teil des Schwarzen Meeres verloren hat, doch dafür festigt es seine Macht im Osten, im von Georgien abtrünnigen Abchasien. Der alte sowjetische Hafen in Otschmtschiare wird für die russische Marine ausgebaut. So wird Moskau seine Rolle in der Region, insbesondere in der Beziehung zu Georgien, wieder festigen und damit auch Einfluss auf die europäischen Global-Gateway-Pläne nehmen können.
Der “Killer-Roboter”, der sich selbstständig macht und einen Weltkrieg auslöst, scheint – noch – nicht Realität zu sein. Zu diesem Schluss kommt das frei verfügbare Buch “The Very Long Game”, herausgegeben vom Defense Artificial Intelligence Observatory (DAIO) der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg. Es untersucht den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in den Streitkräften von 25 Staaten. “Wir waren überrascht, dass alle 25 Länder mehr oder weniger in den gleichen Denkmustern gefangen sind”, sagt Heiko Borchert, einer der Herausgeber, gegenüber Table.Briefings. Die meisten Länder würden sich “auf die zentrale Rolle des Menschen fokussieren”, so der KI-Experte.
KI ist längst Bestandteil moderner Armeen, auch der Bundeswehr. Ohne KI würde das Flugabwehrraketensystem Patriot oder das Waffenleitsystem der Fregatte 125 nicht funktionieren. Die meisten KI-Technologien der sogenannten zweiten Welle (maschinelles Lernen) werden derzeit in der Datenanalyse eingesetzt, zum Beispiel zur Aufklärung eines Gefechtsfelds. Ein Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung unbemannter Systeme wie Drohnen, die sowohl in der Luft als auch unter Wasser operieren. Entscheidend für die Zukunft wird die KI der dritten Welle sein. Dies bedeutet, dass KI-Technologien Aufgaben und Ziele selbstständig analysieren und eigene Strategien entwickeln können.
Zu den 25 untersuchten Ländern gehören vor allem Nato-Staaten. Um ein weltweit möglichst umfassendes Bild über die Bedeutung von KI im militärischen Bereich zu bekommen, wurden auch Staaten wie China, Indien, Iran, Israel, Südkorea, Russland, Singapur und die Ukraine einbezogen.
USA
Die USA gelten als einer der großen Player im Bereich der militärischen KI. Jährlich fließen mehr als fünf Milliarden US-Dollar in die Forschung. Es gibt mehrere hundert KI-Projekte. Eines der spektakulärsten: Im Mai startete ein mit KI gesteuerter Kampfjet. Schon seit Jahren verfügt das Land über eine KI-Strategie, die eine “verantwortliche menschliche Kontrolle” voraussetzt. Ende November 2023 haben die USA eine “Political Declaration on Responsible Military Use of Artificial Intelligence and Autonomy” veröffentlicht, der sich mittlerweile 52 Staaten, darunter Deutschland, angeschlossen haben. Darin heißt es vage: “Der militärische Einsatz von KI sollte ethisch und verantwortungsvoll sein und die internationale Sicherheit erhöhen.”
Grundsätzlich gilt: Für die USA ist KI ein Wettbewerbsinstrument gegenüber China. Im Vordergrund steht die Entwicklung von automatisierten Waffensystemen der dritten Welle. Auch das Ziel ist klar. Weitgehend unbemerkt hat das US Marine Corps Anfang Juli eine KI-Strategie veröffentlicht, in der es explizit heißt: “Wir sind in einer guten Position, unsere Letalität zu erhöhen.”
China
Nach dem Urteil der meisten chinesischen und vieler ausländischer Analysten ist China noch “weit von einem revolutionären KI-Einsatz in der Verteidigung entfernt”. Allerdings warnen die Experten davor, Chinas Kapazitäten – gerade auch im Bereich der Daten-Ressourcen – in diesem Bereich zu unterschätzen. Auch wenn die meisten KI-Technologien vermutlich nicht über die zweite Welle hinausgehen, setze man alles daran, eine führende Rolle in der “intelligenten Kriegsführung” einzunehmen. Aber auch in einem diktatorisch geführten Land wie China habe man kein Interesse, die menschliche Kontrolle über KI gestützte Waffensysteme zu verlieren.
Ukraine
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine liefert, so zynisch es klingt, ein Testfeld für den Einsatz von KI in Waffensystemen. Das Land hat nicht nur eine der innovativsten Drohnenproduktionen, inklusive einer Drohnenarmee. Es experimentiert in Echtzeit mit den Möglichkeiten teil-autonomer Technologien. Nicht umsonst haben relevante Drohnenhersteller und Software-Entwickler Niederlassungen in der Ukraine, darunter auch deutsche Unternehmen wie Quantum oder Helsing.
Ein Großteil der Zielerfassung durch die ukrainische Armee soll bereits jetzt durch KI-Technologien erfolgen. Über 200 Start-ups arbeiten mit internationalem Kapital an der Entwicklung von KI-gesteuerten Drohnenschwärmen. So kommt die Studie zu dem Schluss: “Der Einsatz von KI in diesem Krieg wird die künftigen Regeln bestimmen.”
Türkei
Von allen Ländern in “The Very Long Game” setzt die Türkei am stärksten auf die Entwicklung von autonomen Systemen. Dabei wird der Schwerpunkt weniger auf die menschliche Kontrolle als auf die technischen Möglichkeiten gelegt. Im vergangenen Jahrzehnt ist eine innovative Drohnenindustrie entstanden, angeführt von der Firma Baykar, die der Schwiegersohn des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan führt. Über den Grad an Automatisierung herrscht weitgehend Unklarheit, ebenso darüber, nach welchen Kriterien die Türkei ihre Waffensysteme verkauft: “Wir kennen die Prinzipien nicht.” Laut einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik hat der Nato-Staat Türkei auch Rüstungskooperationen mit Saudi-Arabien oder China abgeschlossen.
“Wir haben versagt”, sagte die Direktorin des US-Geheimdienstes Secret Service, Kimberly Cheatle, am Montag vor einem für die Kontrolle der Bundesbehörden zuständigen Ausschuss im US-Kongress.
Zehn Tage nach dem Attentat auf Donald Trump am 13. Juli in Butler/Pennsylvania laufen die Bemühungen um eine Aufklärung möglichen Sicherheitsversagen der zuständigen Behörden immer stärker an. Im Mittelpunkt der Vorwürfe steht Kimberley Cheatle, deren Behörde für die Sicherheit des amtierenden und ehemaliger Präsidenten, aber auch von Präsidentschaftskandidaten und hohen Staatsgästen verantwortlich ist. Am Montag musste sie sich vor dem Ausschuss für Aufsicht und Rechenschaftspflicht des US-Repräsentantenhauses über mehrere Stunden hinweg rechtfertigen.
Der Vorsitzende des Ausschusses, James Comer (Republikaner) sagte, die Behörde sei durch den Vorfall das “Gesicht der Inkompetenz” geworden und forderte Cheatles Rücktritt. Cheatle selbst lehnt nach wie vor einen Rücktritt ab, räumte jedoch ein, dass der Attentatsversuch auf den früheren Präsidenten Donald Trump das “schwerste operative Versagen des Secret Service seit Jahrzehnten” sei.
Am Sonntag ernannte US-Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas zudem 15 Mitglieder eines parteiübergreifenden, unabhängigen Panels, das “Planung und Maßnahmen des US-Geheimdienstes und der staatlichen und lokalen Behörden vor, während und nach der Kundgebung” untersuchen soll, heißt es auf der Seite des Heimatschutzministeriums. Die Untersuchung soll 45 Tage dauern. Teil des Gremiums sind eine Reihe von Nichtregierungsexperten, unter anderem die ehemalige Heimatschutzministerin unter Barack Obama, Janet Napolitano und Frances Townsend, Heimatschutzberaterin des früheren Präsidenten George W. Bush. Der Secret Service ist dem Heimatschutzministerium unterstellt.
Ebenfalls am Montag hat eine parteiübergreifende Gruppe von Abgeordneten des Heimatschutzausschusses des Repräsentantenhauses den Ort der Schießerei im US-Bundesstaat Pennsylvania besucht. Aufgeklärt werden soll, wie der Schütze bewaffnet auf das Dach in 150 Metern Entfernung von Trumps Rednerbühne gelangen und auf ihn schießen konnte und, ob die Schutzvorkehrungen des Secret Service ausreichend waren. US-Präsident Joe Biden hatte die Untersuchung der Sicherheitsmaßnahmen bei der Veranstaltung angeordnet. wp
Der neue britische Premierminister Keir Starmer hat seinen Rückhalt für das britisch-italienisch-japanische Kampfjet-Projekt Global Combat Air Programme (GCAP) bekräftigt. Am Montag sagte Starmer bei der Eröffnung der Farnborough Airshow in der Nähe von London, das Projekt werde zwar geprüft, es sei ihm aber wichtig, “festzuhalten, wie wichtig dieses Programm ist”.
Nach dem Regierungswechsel in Großbritannien war Unruhe in der britischen Rüstungsindustrie aufgekommen, weil der Staatsminister für die Streitkräfte, Luke Pollard, keine Garantie für eine Fortführung des Programms geben wollte. In London waren zuvor Zweifel aufgekommen, ob aufgrund der akuten Bedrohung durch Russland derartige langfristige Projekte sinnvoll seien. Die neue britische Regierung will zunächst mit der Strategic Defence Review bis 2025 Prioritäten und Bedürfnisse in der britischen Rüstungsindustrie evaluieren.
Bei GCAP, das auch unter dem Namen Tempest bekannt ist, will Großbritannien gemeinsam mit Italien und Japan einen Kampfjet entwickeln, der ähnlich dem Future Combat Air System (FCAS), das Deutschland mit Frankreich und Spanien vorantreibt, vernetzt agieren soll. Laut Zeitplan soll GCAP ab 2035 die britischen und italienischen Eurofighter Typhoon ersetzen. Auch Saudi-Arabien hatte Interesse bekundet, sich GCAP anzuschließen.
Bei der Farnborough Airshow stellen die drei GCAP-Partnerunternehmen BAE Systems aus Großbritannien, Leonardo aus Italien und Mitsubishi Heavy Industries aus Japan erstmals gemeinsam ein Konzept des Kampfjets aus. Die Luftfahrtausstellung, die auch über einen beträchtlichen militärischen Teil verfügt, endet am Freitag, rund 75.000 Besucher werden erwartet.
Zuvor hatte auch die US-amerikanische Luftwaffe Zweifel an der Konzeptionierung des amerikanischen Next Generation Air Dominance (NGAD)-Programm geäußert, bei dem ein Kampfjet der nächsten Generation entwickelt werden soll, weil die Entwicklungs- und Produktionskosten höher als geplant seien. bub
Etwa 100.000 Granaten soll die Ukraine im Juli und August aus der tschechischen Munitionsinitiative erhalten. Das sagte der tschechische Außenminister Jan Lipavsky am Montag laut übereinstimmender Berichte in Brüssel. Derzeit versuche man mehr Geld zu sammeln, um die Initiative im kommenden Jahr fortzuführen, ab September solle sich das Liefertempo erhöhen. Bisher haben sich 18 Länder der Initiative angeschlossen, 15 davon hätten ihren Beitrag bereits bezahlt, so der Minister. Damit sei genug Geld da, um bis Jahresende 500.000 Schuss an die Ukraine zu liefern. Ziel der Initiative ist es, bis zum Jahreswechsel bis zu 800.000 Schuss zu liefern.
Tschechien hatte die Initiative, bei der gemeinsam Munition in Nicht-EU-Ländern beschafft wird, im Februar dieses Jahres vorgebracht. Über die genaue Herkunft der Geschosse macht Tschechien keine Angaben. Deutschland unterstützt die Initiative mit einem dreistelligen Millionenbetrag.
Ende Mai hatte der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala mitgeteilt, dass bereits 1,6 Milliarden Euro zusammengekommen seien. Vergangene Woche hieß es, dass bereits 50.000 Geschosse in die Ukraine geliefert worden seien. Ein Teil der Munition werde schon jetzt “auf dem Schlachtfeld verwendet”, sagte der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal in Prag.
Insbesondere die Munitionsknappheit bereitet der Ukraine auf dem Schlachtfeld große Sorgen. Europäische Länder wie Deutschland und Frankreich fahren die Munitionsproduktion zwar zügig hoch, andere Programme zur Versorgung der Ukraine wie das EU-Vorhaben, der Ukraine innerhalb eines Jahres eine Million 155mm-Kaliber-Geschosse zur Verfügung zu stellen, waren hinter den Erwartungen zurückgeblieben. bub
Lesen Sie hier einen Standpunkt von Lucas Hellermeier, der am John-F.-Kennedy-Institut forscht, warum außereuropäische Munitionskäufe helfen könnten, den Markt nach den Bedürfnissen von Nato-Staaten zu formen.
Tagesspiegel: Deutschlands oberster Bundeswehr-Soldat Breuer: “Überall ist die neue Bedrohungslage noch nicht angekommen.” Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr, spricht im Interview über die Stationierung von US-Raketensystemen, die Schwierigkeit, Formen der hybriden Kriegführung richtig einzuordnen und was passiert, wenn die USA der Nato den Rücken kehren würden.
Stiftung Wissenschaft und Politik: Gewichtig und richtig – weitreichende US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland. 2026 werden in Deutschland bodengestützte amerikanische Mittelstreckenwaffen stationiert werden. Moskau droht mit militärischen Gegenmaßnahmen. In diesem Papier geht es darum, warum die Pläne Potenzial haben, zu künftigen Rüstungskontrollvereinbarungen mit Russland beizutragen.
ZEIT: Nordkorea – Ein Staat zieht die Mauern hoch. Kim Jong-un droht Südkorea seit Beginn des Jahres offen mit einem Atomkrieg und schottet sein Land ab, wie nie zuvor. Das Nukleararsenal Nordkoreas wuchs innerhalb weniger Jahre von schätzungsweise 35 auf 60 Sprengköpfe an. Dieser Artikel erläutert die Beziehungen Nordkoreas zu Russland und China und wie Kim Jong-un sich eine abgelenkte UN zunutze macht.
Foreign Affairs: The Rising Tide of Political Violence. Das Attentat auf Trump war kein Einzelfall, sondern ist Teil eines Trends: Zwischen 2016 und 2021 haben sich die Drohungen gegen US-Kongressabgeordnete verzehnfacht. Doch das Problem ist kein rein amerikanisches. Dieser Artikel fasst globale Fälle politischer Gewalt der vergangenen Jahre und ihre Entwicklung zusammen.
Politico: How Alexander Lukashenko’s tyranny ends. Nach drei Jahrzehnten an der Macht schwächele der belarussische Diktator, heißt es aus Insiderkreisen. Er sei verwundbar, weil er Russlands Krieg in der Ukraine unterstütze und auf das Geld des Kremls angewiesen sei. Sollte er gezwungen sein, Truppen zu entsenden, käme die größte Bedrohung für seine Autorität von innen. “Die Verluste würden unvorhergesehene Reaktionen von Loyalisten hervorrufen”, heißt es.
Der Berg kreißte und gebar eine Maus – das mag manch Beobachterin oder Beobachter bei der Vorstellung der Pläne zur Einführung eines Wehrdienstes durch Verteidigungsminister Boris Pistorius im Juni gedacht haben. Nicht wenige glaubten, der Minister würde eine der grundlegendsten Wehrreformen seit Jahren präsentieren: Eine Rückkehr zu einer, wenn auch erneuerten, Wehrpflicht. Stattdessen verkündete Pistorius lediglich den Plan, allen jungen Männern ein Schreiben der Bundeswehr zukommen zu lassen, in dem gefragt wird, ob Interesse an einem Wehrdienst bestünde oder nicht. Die Beantwortung dieses Schreiben solle verpflichtend sein. Donnerwetter!
Auf den ersten Blick fragt man sich, was all die gewaltige, kontroverse Debatte vorab sollte, so wenig wie schlussendlich präsentiert wurde. Und das von dem Minister, der das Aussetzen der Wehrpflicht als Fehler bezeichnete und der viel zu viel über Wehrpflicht und Kriegstüchtigkeit spricht. Darum werbe ich für einen zweiten Blick auf die politische Großlage. Nächstes Jahr wird ein neuer Bundestag gewählt. In diesen Kontext sollte die Debatte rund um die Wehrpflicht eingeordnet werden.
Grundsätzlich bin ich gegen alle Zwangsdienste, also auch gegen eine Wehrpflicht. Es gibt aktuell überhaupt keine Grundlagen für die Wiedereinführung der Wehrpflicht.
Künftige Regierungskoalitionen brauchen neben machtpolitischen Erwägungen Ideen und Projekte, hinter denen sich Parteien versammeln und vereinen lassen. Mit der Rückkehr zu einer wie auch immer konkret gestalteten Wehrpflicht dürften Pistorius und relevante Teile der SPD ein Projekt gefunden haben, das Grünen und FDP nicht schmeckt – ganz im Gegensatz zur Union.
Die CDU wirbt seit Monaten vehement für eine Wehrpflicht, einen entsprechenden Beschluss hat deren Parteitag mit überwältigender Mehrheit jüngst gefasst. Die CSU sekundiert bei jeder Gelegenheit. Längst vergessen scheint, dass es die Union und deren Verteidigungsminister zu Guttenberg und de Maizière waren, die im Jahr 2011 für eine Aussetzung der Wehrpflicht sorgten.
Natürlich ist nicht völlig auszuschließen, dass auch FDP und Grüne sich beim Thema Wehrpflicht bewegen, aber klar wäre auch, dass es dann Berge zu versetzen gelte – vor allem in der eigenen Anhängerschaft. Im Gegensatz zur Union. Umso besser versteht man, warum Verteidigungsminister Boris Pistorius kürzlich nicht mehr präsentieren konnte als das, was auf den ersten Blick ausschließlich ein staatlich finanzierter Werbebrief der Bundeswehr an alle jungen Männer ist. Mehr war und ist aktuell mit den Koalitionspartnern FDP und Grünen nicht zu machen.
Es braucht keine große Fantasie, um zu verstehen, dass einer wie Boris Pistorius gern mehr wollte und will. Eine richtige, “moderne” Wehrpflicht. Die allerdings würde er am schnellsten und so weitgehend wie möglich mit der Union bekommen.
So klein das jetzige Reförmchen auch war, es kann als Einstieg in eine neue Wehrpflicht gelesen werden, und taktisch als Element eines möglichen Einstiegs in eine schwarz-rote Koalition. Was mit Grünen und FDP sicher ein Zankapfel wäre, ist mit Blick auf die Union ungleich leichter. Ein gemeinsames Thema, ein gemeinsames Projekt – eines, das zwar auch in der SPD nicht unumstritten ist, aber das mit Sicherheit nicht der Grund sein dürfte, um eine Koalitionsmöglichkeit liegenzulassen. Zumal in diesen – auch für die SPD – schweren Zeiten.
Eine Koalition mit der CDU ohne Wehrpflicht einzugehen, erscheint in diesen außenpolitisch aufgeladenen Zeiten nahezu unmöglich. Genauso wie die Chance der Ampelparteien auf eine gemeinsame neue Regierungsbildung. Irgendjemand wird sich bei diesem Thema bewegen müssen. Boris Pistorius hat ein deutliches Zeichen gesetzt – vielleicht auch für sich selbst. Bundeskanzler Olaf Scholz gilt nicht als Fan einer Wehrpflicht, Pistorius nicht als Befürworter einer eigenen Kanzler-Kandidatur. Ein SPD-Verteidigungsminister in der nächsten Regierung ist wahrscheinlicher als ein SPD-Kanzler. Insbesondere einer, der so vehement für eine Wehrpflicht wirbt und arbeitet.
Dietmar Bartsch ist verteidigungspolitischer Sprecher der Gruppe Der Linken im Deutschen Bundestag, ordentliches Mitglied und Obmann im Verteidigungsausschuss.