diesen Dienstag findet in Brüssel der immer wieder verschobene Wachwechsel statt: Nach zehn Jahren tritt der Norweger Jens Stoltenberg von der Nato-Spitze ab – und es übernimmt der langjährige niederländische Ministerpräsident Mark Rutte den Posten des Generalsekretärs. Was das für das westliche Verteidigungsbündnis angesichts zunehmender russischer Bedrohung und Flächenbrand in Nahost bedeutet, hat Stephan Israel analysiert.
Zu einer Sondersitzung kamen gestern Abend per Liveschalte die EU-Außenminister zusammen. Das einzige Thema: Die Eskalation in Nahost, wo Israel nach den verheerenden Luftschlägen der vergangenen Tage offenbar kurz vor dem Beginn einer Bodenoffensive in den Libanon steht. Weshalb Iran keine eigenen Truppen zur Verstärkung der Hisbollah schickt, lesen Sie in meiner Analyse.
Ihnen eine gute Woche,
Eine israelische Bodenoffensive in den Libanon steht offenbar unmittelbar bevor. Einheiten der libanesischen Armee zogen sich in der Nacht auf Dienstag aus einem fünf Kilometer breiten Streifen entlang der Grenze mit Israel zurück, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters. Zuvor hatte die israelische Armee die Grenzgemeinden Metula, Kfar Giladi und Misgav Am zu militärischem Sperrgebiet erklärt. In Washington bekräftige eine Sprecherin des Weißen Hauses am Montag Israels Rechts auf Selbstverteidigung: “Wir wissen, dass der strategische Zweck darin besteht, sicherzustellen, dass die Hisbollah nicht in der Lage ist, israelische Gemeinden auf der gegenüberliegenden Seite der Grenze anzugreifen.”
Ungeachtet anhaltender israelischer Luftangriffee, denen seit Sonntag 136 Menschen zum Opfer fielen, kündigte der stellvertretende Hisbollah-Generalsekretär Naim Kassem am Montag Widerstand gegen eine mögliche Bodenoffensive an. “Wir sind auf alle Möglichkeiten vorbereitet und bereit, sollten die Israelis sich entscheiden, zu Land vorzurücken”, sagte der Stellvertreter des am Wochenende getöteten Hisbollah-Anführers Hassan Nasrallahs. “Die Widerstandskräfte sind für einen Bodenkampf gerüstet.” Über einen Nachfolger werde die Organisation “so bald wie möglich” entscheiden, sagte Kassem. Haschem Safieddine, ein Cousin Nasrallahs und Schwiegersohn des 2020 bei einem US-Militärschlag getöteten Kommandeurs der Revolutionsgarden, Soleimani, gilt als aussichtsreichster Kandidat.
Nasrallah stand seit 1992 an der Spitze der von Irans Revolutionsgarden aufgebauten Schiitenmiliz. Er galt als wichtigster Repräsentant der antiwestlichen Achse des Widerstands, der neben der Hisbollah, Iran und Syrien auch die jemenitischen Huthi-Milizen, die palästinensische Hamas und paramilitärische Schiitenverbände im Irak angehören. Ein Sprecher des iranischen Außenministeriums sagte am Montag, Teheran werde keine der “kriminellen Handlungen” Israels unbeantwortet lassen.
Bei dem Angriff auf das Hauptquartier der Hisbollah im Süden Beiruts war in der Nacht auf Samstag auch der stellvertretende Kommandeur der Revolutionsgarden, Brigadegeneral Abbas Nilforoushan, ums Leben gekommen. Am Montag tötete die israelische Luftwaffe zudem drei Anführer der Palästinensischen Front zur Befreiung Palästinas (PFLP) beim Beschuss eines Wohnhauses in der Beiruter Innenstadt; die Hamas vermeldete den Tod eines ihrer Anführer, Fateh Sherif Abu el-Amin, in der südlibanesischen Hafenstadt Tyros.
Drei Tage nach der Tötung Nasrallahs bereiten sich die israelischen Streitkräfte offenbar weiter für eine Bodenoffensive in den Libanon vor. So bekräftigte Verteidigungsminister Yoav Gallant die Absicht Israels, die Rückkehr von mehr als 60.000 Menschen zu ermöglichen, die ihre Wohnungen an der Grenze zum Libanon verlassen mussten. “Die Beseitigung von Nasrallah ist ein wichtiger Schritt, aber nicht der letzte”, sagte er am Montag vor Soldaten. “Um die Rückkehr der nördlichen Gemeinden Israels zu gewährleisten, werden wir alle unsere Fähigkeiten einsetzen, und dazu gehören auch Sie.”
Gallants Aussagen lassen die Chancen für einen raschen Waffenstillstand gering erscheinen, den die USA und Frankreich vergangene Woche ins Spiel gebracht haben. Fast eine Million Libanesen sind seit Beginn der israelischen Offensive vor zwei Wochen auf der Flucht, mehr als tausend Menschen wurden getötet – so viele wie während des Zweiten Libanon-Kriegs 2006.
Auch auf das Angebot des geschäftsführenden libanesischen Ministerpräsidenten, Nadschib Mikati, ging die israelische Regierung am Montag nicht ein. Er hatte gesagt, seine Regierung sei bereit, UN-Resolution 1701 von 2006 vollständig umzusetzen. Diese zielt darauf ab, die bewaffnete Präsenz der Hisbollah südlich des Litani-Flusses und damit im Grenzgebiet zu Israel zu beenden.
Seit 2014 diskutiert die Convention on Certain Conventional Weapons (CCW) über die Regulierung autonomer Waffensysteme. Die CCW wurde 1980 angenommen, trat 1983 in Kraft und soll die Nutzung bestimmter Waffentypen, die exzessiv wirken können, verbieten. Nur: Geschehen ist bei der Regulierung autonomer Waffensysteme bislang wenig. Länder wie die USA, Russland und Israel wollen keine Regulierung. Auf der anderen Seite stehen vor allem weniger einflussreiche Staaten, die eine Eskalation befürchten.
Der UN-Generalsekretär António Guterres und das Internationale Rote Kreuz haben gemeinsam dazu aufgerufen, bis 2026 einen Vertrag auf den Weg zu bringen, der die Nutzung von Lethal Autonomous Weapons (Laws), also tödlichen autonomen Waffen, reguliert. Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten: “Letale Autonome Waffensysteme, die vollständig der Verfügung des Menschen entzogen sind, lehnen wir ab. Deren internationale Ächtung treiben wir aktiv voran.“
Anja Dahlmann, Leiterin des Berliner Büros des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) hat keine besonders hohen Erwartungen an eine Regelung aus Genf, wo die CCW tagt. Die Diskussionen im Rahmen der CCW seien wichtig gewesen, um die Debatte voranzubringen. “Aber die CCW ist blockiert, Fortschritte sind nun in anderen Foren zu erwarten”, sagte Dahlmann bei einer Diskussion, die Table.Briefings mit der Non-Profit-Organisation Future of Life Institute in Berlin veranstaltet hat. Und das könne der 1. Ausschuss der UN-Generalversammlung sein, der ab Oktober über die Regulierung autonomer Waffensysteme berät. Die CCW benötigt Einstimmigkeit, um Entscheidungen zu treffen, Russland blockiere in Genf jegliche Diskussionen, sagte Mark Brakel vom Future of Life Institute, das sich für die Verringerung von Risiken durch Künstliche Intelligenz (KI) einsetzt. “Genf heißt: knien vor den Russen”, so Brakel.
Eine einheitliche Definition, welche Systeme als autonome Waffensysteme bezeichnet werden können, gibt es noch nicht. Doch in vielen Kriegsgebieten sind bereits automatisierte Waffensysteme im Einsatz. Auch große Rüstungsprojekte wie das deutsch-französisch-spanische Future Combat Air System (FCAS) sollen mit Künstlicher Intelligenz ausgestattet werden.
Den meisten, die sich für die Regulierung autonomer Waffensysteme einsetzen, geht es nicht um ein gänzliches Verbot von Künstlicher Intelligenz in Waffensystemen. Es geht darum, dass ein Mensch entscheidet, ob getötet wird oder nicht. “Wenn die gesamte Killchain so weit automatisiert wird, dass ein vollautonomes Waffensystem entsteht, wird das Töten willkürlich”, sagte Dahlmann. Der Mensch werde “zu einem Datenpunkt reduziert” und das “Auslagern der moralischen Bürde des Tötens” zum Problem für demokratische und humanitäre Normen einer Gesellschaft.
Harold Hongju Koh blickt als Jurist und früherer Politikberater von vier US-Regierungen auf autonome Waffensysteme. Der Professor für internationales Recht an der Yale Law School vertritt heute die Ukraine vor dem internationalen Gerichtshof. Er warnt: Durch die niedrigeren Hürden, die der Einsatz von KI ermöglicht, würde auch der Anreiz für Staaten erhöht, Gewalt mit autonomen Waffen einzusetzen. Die Folge: Man werde immer öfter zwei Konflikttypen sehen: “Roboter gegen Zivilisten und sogenannte ‘Videospiel-Kriege’: cyber-gestützte KI gegen cyber-gestützte KI.“
Weitere Sorgen bereitet ihm die fehlende Verantwortlichkeit. Nach dem Holocaust wurden in den Nürnberger Prozessen Kriegsverbrecher bestraft, die sich darauf beriefen, nur Befehle befolgt zu haben. Wenn Maschinen nun in der Lage seien, autonom Tötungsentscheidungen zu treffen und auszuführen, werde es “unmöglich, zu unterscheiden, ob und inwieweit die Verantwortung bei den verschiedenen Konstrukteuren, der Hardware und Software, den Programmierern, Herstellern, militärischen Befehlshabern, den Operateuren vor Ort oder remote” liege. “Alle werden beteiligt gewesen sein, aber niemand verantwortlich”, sagt Koh.
Ein generelles Verbot völlig autonomer tödlicher Waffensysteme würde eine klare Norm internationalen Rechts herstellen, sagte Koh. Auch wenn Russland und China sich dem nicht anschließen würden, würde das Druck auf die beiden Länder ausüben. So hätten die USA auch 1997 nicht die Ottawa-Konvention zum Verbot von Landminen unterschrieben, auch wenn sie versucht hätten, sich an die darin gefassten Regeln zu halten. Wenn Putin in Russland eines Tages nicht mehr an der Macht sei, müsste das Land sich wieder der Weltgemeinschaft anschließen. Und das müsse es tun, indem es sich verpflichtet, gesetzlichen Auflagen zu folgen, die es bisher abgelehnt hat. “Und das sollte eine davon sein”, so Koh.
Als jahrzehntelanger, starker Unterstützer internationaler Institutionen habe Deutschland “eine besonders gewichtige Rolle”, wenn es um die Ausarbeitung eines Regulierungsabkommens gehe, sagte Merle Spellerberg, Obfrau für die Grünen im Unterausschuss Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung im Bundestag. Und man solle “über die Möglichkeit nachdenken, den Einsatz von allen autonomen Waffen zu verbieten, die auf Menschen gerichtet sind”.
Ein andere Maßnahme wäre ein strategisches Dokument. Ein solches Papier, das Rote Linien definiert und festlegt, was Deutschland im militärischen Einsatz von KI sieht, forderte Dahlmann.
Anmerkung: Der Text entstand in Folge der Diskussion “Momentum for the international regulation of autonomous weapons systems“, die Table.Briefings am vergangenen Freitag mit dem Future of Life Institute veranstaltet hat. Der Autor hat die Podiumsdiskussion moderiert.
Der Stabwechsel beginnt heute um neun Uhr morgens im Hauptquartier der Nato mit einer Kranzniederlegung und einem gemeinsamen Auftritt Jens Stoltenbergs und Mark Ruttes vor den Medien. Bei einer Sitzung des Nordatlantikrates folgt die formelle Amtsübergabe vom Norweger Stoltenberg an den Niederländer Rutte, mit kurzen Begrüßungworten des dann neuen Nato-Generalsekretärs vor den Nato-Botschaftern.
Die große Frage ist, ob sich am Kurs der Allianz unter neuer Führung etwas ändern wird? Mit Blick auf die Bedrohung durch Russland und die Unterstützung der Ukraine bestehen zwischen Stoltenberg und Rutte jedenfalls keine Unterschiede.
Rutte ist geprägt durch die Katastrophe vom Sommer 2014, als eine russische Rakete ein Passagierflugzeug der Malaysia Airlines auf der Reise von Amsterdam nach Kuala Lumpur über dem Osten der Ukraine zum Absturz brachte. Unter den 298 Opfern an Bord der MH17 waren knapp ein Drittel Niederländer. Ein Gericht in Den Haag verurteilte einen russischen Geheimdienstoberst und zwei weitere Angeklagte in Abwesenheit zu lebenslanger Haft.
In der Amtszeit Ruttes als Regierungschef in Den Haag beschlossen die Niederlande, der Ukraine bis zu 24 Kampfflugzeuge vom Typ F-16 zur Verfügung zu stellen. Mit Blick auf die Wirtschaftskraft gehören die Niederlande zu den größten Unterstützern der Ukraine. Anders als etwa der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich Mark Rutte dafür ausgesprochen, dass Kiew westliche Waffen ohne Einschränkungen gegen militärische Ziele in Russland nutzen können sollte.
In der neuen Rolle sind Mark Rutte allerdings enge Grenzen gesetzt, als Generalsekretär ist er nicht viel mehr als Koordinator der Nato-Staaten, und hier bestimmten die USA als gewichtigstes Mitglied weitgehend das Skript.
Da wartet mit dem ungewissen Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen möglicherweise die erste große Herausforderung für Mark Rutte. Sollte Donald Trump am 5. November das Comeback schaffen, wird das Kommunikationstalent des Niederländers gefordert sein, den Rückkehrer im Weißen Haus zu besänftigen und von einem Austritt aus dem Bündnis abzuhalten. Die Voraussetzungen sind nicht schlecht. In seiner Funktion als Regierungschef schaffte er es bei einem Besuch im Weißen Haus, Donald Trump kontra zu geben und den damaligen US-Präsidenten zu beeindrucken.
Bei einem anderen Thema ist die Ausgangslage für Mark Rutte schwieriger, und zwar dann, wenn es um höhere Verteidigungsausgaben der europäischen Verbündeten geht. Das Thema kommt unabhängig vom Wahlausgang in den USA auf den Tisch, und der Niederländer ist hier weniger glaubwürdig als Vorgänger Stoltenberg. Mark Rutte hat in den 14 Jahren als Regierungschef die Streitkräfte seines Landes praktisch kaputt gespart. Die Niederlande dürften das Nato-Ziel der zwei Prozent Verteidigungsausgaben im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung erst in diesem Jahr knapp erreichen.
Einen Startvorteil hat Mark Rutte hingegen, wenn es um die schwelende Rivalität zwischen Nato und EU geht. Der scheidende Amtsinhaber hatte hier zuletzt immer deutlicher vor Doppelstrukturen gewarnt, ohne viel Erfolg. Jetzt, da die EU erstmals einen Verteidigungskommissar haben wird, könnte das Konkurrenzverhältnis sich weiter verschärfen.
Als langjähriger Regierungschef in Den Haag kennt Rutte anders als der Norweger Stoltenberg die EU auch von Innen und hat bessere Karten, drohende Spannungen frühzeitig zu entschärfen. Der Niederländer ist zudem ein überzeugter Transatlantiker. Er gehört zwar der selben liberalen Parteienfamilie wie Emmanuel Macron an, hält aber nichts davon, Europa von den USA abzukoppeln.
Kurz vor Amtsende zog Stoltenberg in einem Meinungsbeitrag noch einmal Bilanz. “Wir müssen bereit sein, den Preis für den Frieden zu bezahlen”, schrieb er, und dass militärische Stärke Voraussetzung für Dialog sei. “Ich glaube nicht, dass wir Präsident Putins Einstellung zu einer freien und unabhängigen Ukraine ändern können.” Der Westen könne aber die Kostenrechnung des russischen Präsidenten beeinflussen: Es klinge paradox, aber der kürzeste Weg, Russland an den Verhandlungstisch zu bringen sei es, der Ukraine mehr Waffen zu liefern.
Gut möglich, dass für Rutte die Konfrontation mit China schon bald eine größere Rolle spielen könnte als der Krieg in der Ukraine für Stoltenberg, der große Fußstapfen hinterlässt. Ruttes offener Kommunikationsstil könnte sich fürs Erste als Trumpf erweisen, könnte aber auch zum Risiko werden. In Den Haag konnte Rutte mit seinem jovialen Auftritt verschiedene Krisen an sich abperlen lassen, was ihm den Spitznamen «Teflon Mark» einbrachte. Am Hauptquartier in Brüssel wird der Niederländer sich in der neuen Rolle mit dem engen Korsett noch behaupten müssen.
Mindestens 133.000 Wehrdienstleistende sieht der diesjährige Erlass des russischen Präsidenten zum Start der Herbsteinberufung vor. Das entsprechende Dokument hat Wladimir Putin am Montag unterzeichnet, als er auch zur offiziellen Feier “des Tages der Wiedervereinigung” der besetzten ukrainischen Gebiete mit Russland seinen Krieg rechtfertigte. Die Schuld für den Krieg gab er den “westlichen Eliten”, die die Ukraine in ihre Kolonie verwandelt hätten, so der 71-Jährige bei einer Videoansprache. Obwohl es seit Monaten keine substanziellen Bewegungen an der Front gibt, hält Putin an seinem Plan fest. Er betonte in seiner Ansprache: “Die Wahrheit ist auf unserer Seite. Alle gesetzten Ziele werden erreicht.”
Der russische Generalsstab beeilte sich zu versichern, dass die Wehrdienstleistenden nicht zum Dienst in die “neuen Regionen” entsandt werden. Bisher sind namentlich knapp 160 Wehrdienstleistende bekannt, die im Krieg getötet wurden. Die russischen Militärbehörden sind immer wieder mit wütenden Eltern konfrontiert, die ihre verschwundenen Söhne suchen und sie im Kriegsgebiet vermuten. Seit der Vollinvasion in die Ukraine im Februar 2022 werben die Militärbehörden bereits unter Wehrdienstleistenden stark dafür, sich als Zeitsoldaten zu verpflichten.
Vom 1. November an werden die Einberufungsbescheide elektronisch über ein spezielles Portal zugestellt. Es wird schwieriger werden, sich der Einberufung zu entziehen. Den Männern, die die Bescheide erhalten, ist es untersagt, Russland zu verlassen. Im Frühjahr dieses Jahres wurden 150.000 Männer eingezogen. Aufgrund der demografischen Entwicklung sinken die personellen Reserven für Wehrdienstleistende in Russland. Aus diesem Grund ist die Spanne des Wehrdienstalters um drei Jahre verlängert worden und umfasst jetzt alle Männer zwischen 18 und 30; bis 2024 galt das Höchstalter von 27 Jahren für eine Einberufung. vf
Annalena Baerbock hat die neue EU-Kommission dazu aufgefordert, stärker gegen Desinformation in sozialen Netzwerken vorzugehen. “Wenn man Algorithmen hat, die ganz bewusst nicht nur Fake News, sondern Hass und Hetze ausspielen, (…) dann ist das Zersetzung unserer demokratischen Lebenswirklichkeit“, sagte die Bundesaußenministerin am Montag auf einer Konferenz der Grünen in Berlin. Als Beispiel nannte sie Rekrutierungsvideos islamistischer Terroristen, die Jugendlichen in ihre Feeds eingespielt würden, sobald sie einmal ein solches Video anklickten.
Baerbock sieht die EU-Kommission am Zug: “Wenn wir das nicht regulieren, so wie wir auch Regulierung im normalen Leben haben, dann werden wir diesen Fake News hilflos ausgeliefert sein.” Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in ihren politischen Leitlinien einen Vorschlag für ein “European Democracy Shield” angekündigt, das sich etwa an der französischen Beobachtungsstelle für digitale Einflussnahme aus dem Ausland (Viginum) orientieren soll. Der designierte Justizkommissar Michael McGrath soll die Arbeit daran leiten. tho
Internationale Politik: How a “Defense Tax” Can Finance Europe’s Higher Defense Expenditure. Um ihr langfristiges Engagement für eine stärkere Verteidigung glaubwürdig zu untermauern, könnten hoch verschuldete europäische Nato-Staaten eine spezielle Verteidigungssteuer einführen. Allerdings birgt sie auch das Risiko politischer Spannungen: Denn sie erfordert wirtschaftliche Kompromisse und kann Verteilungskonflikte innerhalb von Gesellschaft auslösen.
The Barents Oberver: Under flag of Gabon, tankers sail sanctioned Russian oil through Arctic ice. Der kleine westafrikanische Staat Gabun hilft Moskau, Sanktionen zu umgehen. Er bietet einer schnell wachsenden Flotte von Schattenschiffen die Möglichkeit, Erdöl aus Russland zu exportieren.
Financial Times: Sudan becoming ‘fertile ground’ for jihadis, says ex-prime minister. Der letzte zivile Premierminister des Sudan warnt, dass der brutale Bürgerkrieg ein “fruchtbarer Boden” für die Ausbreitung des regionalen Terrorismus werden könnte. Seitdem die Allianz zwischen General Abdel Fattah al-Burhan und dessen früherem Stellvertreter, Mohamed Hamdan Dagalo (Hemeti) von den paramiilitärischen Rapid Support Forces (RSF) im April 2023 zerbrach, wurden im Sudan etwa 150.000 Menschen getötet. Zehn Millionen mussten fliehen.
Stiftung Wissenschaft und Politik: Lernfähige deutsche Krisenpolitik? Lehren aus Mali. Der Einsatz der Bundeswehr in Mali hat verdeutlicht, dass die deutsche Krisenpolitik präziser konzeptioniert werden muss. Wenn die vorrangigen Ziele, wie in den ersten Jahren des Mali-Engagements, krisenfern und dennoch gut vertretbar sind, sollte die Regierung den Mut haben, Ross und Reiter konkret zu benennen, schreibt Autor Denis M. Tull.
Seit 2022 hat die Nato, wenn auch mit einigen Schwierigkeiten, ihre Einigkeit bei der Unterstützung der Ukraine zur Verteidigung gegen Russland gewahrt. Aber wo ist die kohärente Nato-Strategie, um auf Putins Russland zu reagieren? Die ernüchternde Antwort lautet: Es gibt sie nicht!
Dabei hat man sich bereits im Strategisches Konzept von 2022 darauf verständigt, dass die “Russische Föderation die bedeutendste und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Bündnispartner sowie für Frieden und Stabilität im euro-atlantischen Raum” ist.
Demzufolge könnte die Mission der Nato als Grundlage einer neuen Russland-Strategie lauten: Unsere Mission ist es, Russland als Bedrohung für die Sicherheit des Bündnisses sowie für Frieden und Stabilität im euro-atlantischen Raum und darüber hinaus einzudämmen.
Zur Umsetzung einer solchen Mission sollte die Nato auch ihre strategischen Hauptziele definieren:
Als Hauptbausteine einer kohärenten Eindämmungsstrategie gegen Russland sollten die hier skizzierten Aktionsstränge verfolgt werden:
Die Ukraine muss in die Lage versetzt werden, den Krieg gegen Russland zu ihren eigenen Bedingungen zu gewinnen. Leider haben sich seit 2022 zu viele Entscheidungsträger selbst auferlegte “rote Linien” verordnet. Das typische Argument lautet: Eskalation. Das ist ein grundlegendes Missverständnis. Präsident Putin agiert nicht auf einer Eskalations- und Deeskalationsleiter. Vielmehr respektiert er Stärke und nutzt Schwäche aus. Was wir bisher erlebt haben, ist ein kollektives Versagen von historischem Ausmaß: Die 56 an der Koalition zur Unterstützung der Ukraine beteiligten Partner, deren gemeinsames Bruttoinlandsprodukt das Russlands exponentiell übersteigt, waren seit 2022 nicht willens oder nicht in der Lage, die Ukraine so zu unterstützen, dass sie den Kampf gegen den Aggressor gewinnen kann.
Der Aufbruch in eine neue Ära der kollektiven Abschreckung und Verteidigung muss intensiviert und zu einem guten Teil auch neu gedacht werden. Der Nachholbedarf der Nato-Staaten ist immens, und es braucht neue Antworten auf Russlands hybriden Schattenkrieg.
Die internen Schwächen der Verbündeten müssen angegangen und minimiert werden. Schließlich ist jede Kette nur so stark, wie ihr schwächstes Glied. Die Resilienz aller Bündnispartner muss weiter ausgebaut werden, beispielsweise in den Bereichen Energiesicherheit und kritische Infrastruktur. Vor allem aber gilt es, auch innerhalb der Nato-Staaten die verantwortungsvolle Regierungsführung zu stärken.
Die Nato-Kernaufgabe der Krisenprävention und kooperativen Sicherheit muss auf ein strategisch relevantes Niveau angehoben werden. Derzeit wird dies im Wesentlichen als Nebentätigkeit behandelt. Damit wird die Nato den strategischen Herausforderungen, wie der Einflussnahme von Russland und China in Afrika, im Kaukasus oder dem westlichen Balkan, in keiner Weise gerecht.
Die strategische Nato-EU Partnerschaft muss weiter ausgebaut werden. Dazu sollten europäische Staaten ihre Investitionen in Sicherheit und Verteidigung weiter erhöhen. Die EU könnte den Nato-Grundwert von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Investitionen in Sicherheit als ihren eigenen Standard übernehmen.
Die Debatte um eine Aussetzung der Mitgliedschaft Russlands im UN-Sicherheitsrat sollte neu belebt werden. Russland missbraucht auf schändliche Weise seinen Sitz und sein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat. Die Hürden für einen Ausschluss sind hoch, aber nicht unüberwindbar. Eine Wiederbelebung der Debatte wäre ein starkes Signal an Russland.
Aber vor allem: Treten wir für unsere Vision ein! Die wohl stärkste und dauerhafteste Eindämmung beginnt in den Köpfen und Herzen der Menschen. Es muss das Verständnis und der Wille vorhanden sein, Russland einzudämmen, nicht weil wir per se gegen Russland sind, sondern weil der Putinismus eine Gefahr für sein Land ist, eine Bedrohung für den Frieden und die Stabilität im euro-atlantischen Raum und eine Bedrohung für genau die Art von offenen Gesellschaften, die wir sein wollen.
Dr. Gerlinde Niehus war seit 2019 und bis Ende September 2024 im Nato-Hauptquartier als Vize-Direktorin für die Sicherheitskooperation mit den Partnerländern der Nato verantwortlich. Sie arbeitet jetzt als unabhängige Expertin für Nato- und internationale Sicherheitspolitik.
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten sind die der Autorin und sollten nicht so verstanden werden, dass sie notwendigerweise die der Nato oder der Nato-Mitgliedsstaaten wiedergeben.
diesen Dienstag findet in Brüssel der immer wieder verschobene Wachwechsel statt: Nach zehn Jahren tritt der Norweger Jens Stoltenberg von der Nato-Spitze ab – und es übernimmt der langjährige niederländische Ministerpräsident Mark Rutte den Posten des Generalsekretärs. Was das für das westliche Verteidigungsbündnis angesichts zunehmender russischer Bedrohung und Flächenbrand in Nahost bedeutet, hat Stephan Israel analysiert.
Zu einer Sondersitzung kamen gestern Abend per Liveschalte die EU-Außenminister zusammen. Das einzige Thema: Die Eskalation in Nahost, wo Israel nach den verheerenden Luftschlägen der vergangenen Tage offenbar kurz vor dem Beginn einer Bodenoffensive in den Libanon steht. Weshalb Iran keine eigenen Truppen zur Verstärkung der Hisbollah schickt, lesen Sie in meiner Analyse.
Ihnen eine gute Woche,
Eine israelische Bodenoffensive in den Libanon steht offenbar unmittelbar bevor. Einheiten der libanesischen Armee zogen sich in der Nacht auf Dienstag aus einem fünf Kilometer breiten Streifen entlang der Grenze mit Israel zurück, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters. Zuvor hatte die israelische Armee die Grenzgemeinden Metula, Kfar Giladi und Misgav Am zu militärischem Sperrgebiet erklärt. In Washington bekräftige eine Sprecherin des Weißen Hauses am Montag Israels Rechts auf Selbstverteidigung: “Wir wissen, dass der strategische Zweck darin besteht, sicherzustellen, dass die Hisbollah nicht in der Lage ist, israelische Gemeinden auf der gegenüberliegenden Seite der Grenze anzugreifen.”
Ungeachtet anhaltender israelischer Luftangriffee, denen seit Sonntag 136 Menschen zum Opfer fielen, kündigte der stellvertretende Hisbollah-Generalsekretär Naim Kassem am Montag Widerstand gegen eine mögliche Bodenoffensive an. “Wir sind auf alle Möglichkeiten vorbereitet und bereit, sollten die Israelis sich entscheiden, zu Land vorzurücken”, sagte der Stellvertreter des am Wochenende getöteten Hisbollah-Anführers Hassan Nasrallahs. “Die Widerstandskräfte sind für einen Bodenkampf gerüstet.” Über einen Nachfolger werde die Organisation “so bald wie möglich” entscheiden, sagte Kassem. Haschem Safieddine, ein Cousin Nasrallahs und Schwiegersohn des 2020 bei einem US-Militärschlag getöteten Kommandeurs der Revolutionsgarden, Soleimani, gilt als aussichtsreichster Kandidat.
Nasrallah stand seit 1992 an der Spitze der von Irans Revolutionsgarden aufgebauten Schiitenmiliz. Er galt als wichtigster Repräsentant der antiwestlichen Achse des Widerstands, der neben der Hisbollah, Iran und Syrien auch die jemenitischen Huthi-Milizen, die palästinensische Hamas und paramilitärische Schiitenverbände im Irak angehören. Ein Sprecher des iranischen Außenministeriums sagte am Montag, Teheran werde keine der “kriminellen Handlungen” Israels unbeantwortet lassen.
Bei dem Angriff auf das Hauptquartier der Hisbollah im Süden Beiruts war in der Nacht auf Samstag auch der stellvertretende Kommandeur der Revolutionsgarden, Brigadegeneral Abbas Nilforoushan, ums Leben gekommen. Am Montag tötete die israelische Luftwaffe zudem drei Anführer der Palästinensischen Front zur Befreiung Palästinas (PFLP) beim Beschuss eines Wohnhauses in der Beiruter Innenstadt; die Hamas vermeldete den Tod eines ihrer Anführer, Fateh Sherif Abu el-Amin, in der südlibanesischen Hafenstadt Tyros.
Drei Tage nach der Tötung Nasrallahs bereiten sich die israelischen Streitkräfte offenbar weiter für eine Bodenoffensive in den Libanon vor. So bekräftigte Verteidigungsminister Yoav Gallant die Absicht Israels, die Rückkehr von mehr als 60.000 Menschen zu ermöglichen, die ihre Wohnungen an der Grenze zum Libanon verlassen mussten. “Die Beseitigung von Nasrallah ist ein wichtiger Schritt, aber nicht der letzte”, sagte er am Montag vor Soldaten. “Um die Rückkehr der nördlichen Gemeinden Israels zu gewährleisten, werden wir alle unsere Fähigkeiten einsetzen, und dazu gehören auch Sie.”
Gallants Aussagen lassen die Chancen für einen raschen Waffenstillstand gering erscheinen, den die USA und Frankreich vergangene Woche ins Spiel gebracht haben. Fast eine Million Libanesen sind seit Beginn der israelischen Offensive vor zwei Wochen auf der Flucht, mehr als tausend Menschen wurden getötet – so viele wie während des Zweiten Libanon-Kriegs 2006.
Auch auf das Angebot des geschäftsführenden libanesischen Ministerpräsidenten, Nadschib Mikati, ging die israelische Regierung am Montag nicht ein. Er hatte gesagt, seine Regierung sei bereit, UN-Resolution 1701 von 2006 vollständig umzusetzen. Diese zielt darauf ab, die bewaffnete Präsenz der Hisbollah südlich des Litani-Flusses und damit im Grenzgebiet zu Israel zu beenden.
Seit 2014 diskutiert die Convention on Certain Conventional Weapons (CCW) über die Regulierung autonomer Waffensysteme. Die CCW wurde 1980 angenommen, trat 1983 in Kraft und soll die Nutzung bestimmter Waffentypen, die exzessiv wirken können, verbieten. Nur: Geschehen ist bei der Regulierung autonomer Waffensysteme bislang wenig. Länder wie die USA, Russland und Israel wollen keine Regulierung. Auf der anderen Seite stehen vor allem weniger einflussreiche Staaten, die eine Eskalation befürchten.
Der UN-Generalsekretär António Guterres und das Internationale Rote Kreuz haben gemeinsam dazu aufgerufen, bis 2026 einen Vertrag auf den Weg zu bringen, der die Nutzung von Lethal Autonomous Weapons (Laws), also tödlichen autonomen Waffen, reguliert. Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten: “Letale Autonome Waffensysteme, die vollständig der Verfügung des Menschen entzogen sind, lehnen wir ab. Deren internationale Ächtung treiben wir aktiv voran.“
Anja Dahlmann, Leiterin des Berliner Büros des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) hat keine besonders hohen Erwartungen an eine Regelung aus Genf, wo die CCW tagt. Die Diskussionen im Rahmen der CCW seien wichtig gewesen, um die Debatte voranzubringen. “Aber die CCW ist blockiert, Fortschritte sind nun in anderen Foren zu erwarten”, sagte Dahlmann bei einer Diskussion, die Table.Briefings mit der Non-Profit-Organisation Future of Life Institute in Berlin veranstaltet hat. Und das könne der 1. Ausschuss der UN-Generalversammlung sein, der ab Oktober über die Regulierung autonomer Waffensysteme berät. Die CCW benötigt Einstimmigkeit, um Entscheidungen zu treffen, Russland blockiere in Genf jegliche Diskussionen, sagte Mark Brakel vom Future of Life Institute, das sich für die Verringerung von Risiken durch Künstliche Intelligenz (KI) einsetzt. “Genf heißt: knien vor den Russen”, so Brakel.
Eine einheitliche Definition, welche Systeme als autonome Waffensysteme bezeichnet werden können, gibt es noch nicht. Doch in vielen Kriegsgebieten sind bereits automatisierte Waffensysteme im Einsatz. Auch große Rüstungsprojekte wie das deutsch-französisch-spanische Future Combat Air System (FCAS) sollen mit Künstlicher Intelligenz ausgestattet werden.
Den meisten, die sich für die Regulierung autonomer Waffensysteme einsetzen, geht es nicht um ein gänzliches Verbot von Künstlicher Intelligenz in Waffensystemen. Es geht darum, dass ein Mensch entscheidet, ob getötet wird oder nicht. “Wenn die gesamte Killchain so weit automatisiert wird, dass ein vollautonomes Waffensystem entsteht, wird das Töten willkürlich”, sagte Dahlmann. Der Mensch werde “zu einem Datenpunkt reduziert” und das “Auslagern der moralischen Bürde des Tötens” zum Problem für demokratische und humanitäre Normen einer Gesellschaft.
Harold Hongju Koh blickt als Jurist und früherer Politikberater von vier US-Regierungen auf autonome Waffensysteme. Der Professor für internationales Recht an der Yale Law School vertritt heute die Ukraine vor dem internationalen Gerichtshof. Er warnt: Durch die niedrigeren Hürden, die der Einsatz von KI ermöglicht, würde auch der Anreiz für Staaten erhöht, Gewalt mit autonomen Waffen einzusetzen. Die Folge: Man werde immer öfter zwei Konflikttypen sehen: “Roboter gegen Zivilisten und sogenannte ‘Videospiel-Kriege’: cyber-gestützte KI gegen cyber-gestützte KI.“
Weitere Sorgen bereitet ihm die fehlende Verantwortlichkeit. Nach dem Holocaust wurden in den Nürnberger Prozessen Kriegsverbrecher bestraft, die sich darauf beriefen, nur Befehle befolgt zu haben. Wenn Maschinen nun in der Lage seien, autonom Tötungsentscheidungen zu treffen und auszuführen, werde es “unmöglich, zu unterscheiden, ob und inwieweit die Verantwortung bei den verschiedenen Konstrukteuren, der Hardware und Software, den Programmierern, Herstellern, militärischen Befehlshabern, den Operateuren vor Ort oder remote” liege. “Alle werden beteiligt gewesen sein, aber niemand verantwortlich”, sagt Koh.
Ein generelles Verbot völlig autonomer tödlicher Waffensysteme würde eine klare Norm internationalen Rechts herstellen, sagte Koh. Auch wenn Russland und China sich dem nicht anschließen würden, würde das Druck auf die beiden Länder ausüben. So hätten die USA auch 1997 nicht die Ottawa-Konvention zum Verbot von Landminen unterschrieben, auch wenn sie versucht hätten, sich an die darin gefassten Regeln zu halten. Wenn Putin in Russland eines Tages nicht mehr an der Macht sei, müsste das Land sich wieder der Weltgemeinschaft anschließen. Und das müsse es tun, indem es sich verpflichtet, gesetzlichen Auflagen zu folgen, die es bisher abgelehnt hat. “Und das sollte eine davon sein”, so Koh.
Als jahrzehntelanger, starker Unterstützer internationaler Institutionen habe Deutschland “eine besonders gewichtige Rolle”, wenn es um die Ausarbeitung eines Regulierungsabkommens gehe, sagte Merle Spellerberg, Obfrau für die Grünen im Unterausschuss Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung im Bundestag. Und man solle “über die Möglichkeit nachdenken, den Einsatz von allen autonomen Waffen zu verbieten, die auf Menschen gerichtet sind”.
Ein andere Maßnahme wäre ein strategisches Dokument. Ein solches Papier, das Rote Linien definiert und festlegt, was Deutschland im militärischen Einsatz von KI sieht, forderte Dahlmann.
Anmerkung: Der Text entstand in Folge der Diskussion “Momentum for the international regulation of autonomous weapons systems“, die Table.Briefings am vergangenen Freitag mit dem Future of Life Institute veranstaltet hat. Der Autor hat die Podiumsdiskussion moderiert.
Der Stabwechsel beginnt heute um neun Uhr morgens im Hauptquartier der Nato mit einer Kranzniederlegung und einem gemeinsamen Auftritt Jens Stoltenbergs und Mark Ruttes vor den Medien. Bei einer Sitzung des Nordatlantikrates folgt die formelle Amtsübergabe vom Norweger Stoltenberg an den Niederländer Rutte, mit kurzen Begrüßungworten des dann neuen Nato-Generalsekretärs vor den Nato-Botschaftern.
Die große Frage ist, ob sich am Kurs der Allianz unter neuer Führung etwas ändern wird? Mit Blick auf die Bedrohung durch Russland und die Unterstützung der Ukraine bestehen zwischen Stoltenberg und Rutte jedenfalls keine Unterschiede.
Rutte ist geprägt durch die Katastrophe vom Sommer 2014, als eine russische Rakete ein Passagierflugzeug der Malaysia Airlines auf der Reise von Amsterdam nach Kuala Lumpur über dem Osten der Ukraine zum Absturz brachte. Unter den 298 Opfern an Bord der MH17 waren knapp ein Drittel Niederländer. Ein Gericht in Den Haag verurteilte einen russischen Geheimdienstoberst und zwei weitere Angeklagte in Abwesenheit zu lebenslanger Haft.
In der Amtszeit Ruttes als Regierungschef in Den Haag beschlossen die Niederlande, der Ukraine bis zu 24 Kampfflugzeuge vom Typ F-16 zur Verfügung zu stellen. Mit Blick auf die Wirtschaftskraft gehören die Niederlande zu den größten Unterstützern der Ukraine. Anders als etwa der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich Mark Rutte dafür ausgesprochen, dass Kiew westliche Waffen ohne Einschränkungen gegen militärische Ziele in Russland nutzen können sollte.
In der neuen Rolle sind Mark Rutte allerdings enge Grenzen gesetzt, als Generalsekretär ist er nicht viel mehr als Koordinator der Nato-Staaten, und hier bestimmten die USA als gewichtigstes Mitglied weitgehend das Skript.
Da wartet mit dem ungewissen Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen möglicherweise die erste große Herausforderung für Mark Rutte. Sollte Donald Trump am 5. November das Comeback schaffen, wird das Kommunikationstalent des Niederländers gefordert sein, den Rückkehrer im Weißen Haus zu besänftigen und von einem Austritt aus dem Bündnis abzuhalten. Die Voraussetzungen sind nicht schlecht. In seiner Funktion als Regierungschef schaffte er es bei einem Besuch im Weißen Haus, Donald Trump kontra zu geben und den damaligen US-Präsidenten zu beeindrucken.
Bei einem anderen Thema ist die Ausgangslage für Mark Rutte schwieriger, und zwar dann, wenn es um höhere Verteidigungsausgaben der europäischen Verbündeten geht. Das Thema kommt unabhängig vom Wahlausgang in den USA auf den Tisch, und der Niederländer ist hier weniger glaubwürdig als Vorgänger Stoltenberg. Mark Rutte hat in den 14 Jahren als Regierungschef die Streitkräfte seines Landes praktisch kaputt gespart. Die Niederlande dürften das Nato-Ziel der zwei Prozent Verteidigungsausgaben im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung erst in diesem Jahr knapp erreichen.
Einen Startvorteil hat Mark Rutte hingegen, wenn es um die schwelende Rivalität zwischen Nato und EU geht. Der scheidende Amtsinhaber hatte hier zuletzt immer deutlicher vor Doppelstrukturen gewarnt, ohne viel Erfolg. Jetzt, da die EU erstmals einen Verteidigungskommissar haben wird, könnte das Konkurrenzverhältnis sich weiter verschärfen.
Als langjähriger Regierungschef in Den Haag kennt Rutte anders als der Norweger Stoltenberg die EU auch von Innen und hat bessere Karten, drohende Spannungen frühzeitig zu entschärfen. Der Niederländer ist zudem ein überzeugter Transatlantiker. Er gehört zwar der selben liberalen Parteienfamilie wie Emmanuel Macron an, hält aber nichts davon, Europa von den USA abzukoppeln.
Kurz vor Amtsende zog Stoltenberg in einem Meinungsbeitrag noch einmal Bilanz. “Wir müssen bereit sein, den Preis für den Frieden zu bezahlen”, schrieb er, und dass militärische Stärke Voraussetzung für Dialog sei. “Ich glaube nicht, dass wir Präsident Putins Einstellung zu einer freien und unabhängigen Ukraine ändern können.” Der Westen könne aber die Kostenrechnung des russischen Präsidenten beeinflussen: Es klinge paradox, aber der kürzeste Weg, Russland an den Verhandlungstisch zu bringen sei es, der Ukraine mehr Waffen zu liefern.
Gut möglich, dass für Rutte die Konfrontation mit China schon bald eine größere Rolle spielen könnte als der Krieg in der Ukraine für Stoltenberg, der große Fußstapfen hinterlässt. Ruttes offener Kommunikationsstil könnte sich fürs Erste als Trumpf erweisen, könnte aber auch zum Risiko werden. In Den Haag konnte Rutte mit seinem jovialen Auftritt verschiedene Krisen an sich abperlen lassen, was ihm den Spitznamen «Teflon Mark» einbrachte. Am Hauptquartier in Brüssel wird der Niederländer sich in der neuen Rolle mit dem engen Korsett noch behaupten müssen.
Mindestens 133.000 Wehrdienstleistende sieht der diesjährige Erlass des russischen Präsidenten zum Start der Herbsteinberufung vor. Das entsprechende Dokument hat Wladimir Putin am Montag unterzeichnet, als er auch zur offiziellen Feier “des Tages der Wiedervereinigung” der besetzten ukrainischen Gebiete mit Russland seinen Krieg rechtfertigte. Die Schuld für den Krieg gab er den “westlichen Eliten”, die die Ukraine in ihre Kolonie verwandelt hätten, so der 71-Jährige bei einer Videoansprache. Obwohl es seit Monaten keine substanziellen Bewegungen an der Front gibt, hält Putin an seinem Plan fest. Er betonte in seiner Ansprache: “Die Wahrheit ist auf unserer Seite. Alle gesetzten Ziele werden erreicht.”
Der russische Generalsstab beeilte sich zu versichern, dass die Wehrdienstleistenden nicht zum Dienst in die “neuen Regionen” entsandt werden. Bisher sind namentlich knapp 160 Wehrdienstleistende bekannt, die im Krieg getötet wurden. Die russischen Militärbehörden sind immer wieder mit wütenden Eltern konfrontiert, die ihre verschwundenen Söhne suchen und sie im Kriegsgebiet vermuten. Seit der Vollinvasion in die Ukraine im Februar 2022 werben die Militärbehörden bereits unter Wehrdienstleistenden stark dafür, sich als Zeitsoldaten zu verpflichten.
Vom 1. November an werden die Einberufungsbescheide elektronisch über ein spezielles Portal zugestellt. Es wird schwieriger werden, sich der Einberufung zu entziehen. Den Männern, die die Bescheide erhalten, ist es untersagt, Russland zu verlassen. Im Frühjahr dieses Jahres wurden 150.000 Männer eingezogen. Aufgrund der demografischen Entwicklung sinken die personellen Reserven für Wehrdienstleistende in Russland. Aus diesem Grund ist die Spanne des Wehrdienstalters um drei Jahre verlängert worden und umfasst jetzt alle Männer zwischen 18 und 30; bis 2024 galt das Höchstalter von 27 Jahren für eine Einberufung. vf
Annalena Baerbock hat die neue EU-Kommission dazu aufgefordert, stärker gegen Desinformation in sozialen Netzwerken vorzugehen. “Wenn man Algorithmen hat, die ganz bewusst nicht nur Fake News, sondern Hass und Hetze ausspielen, (…) dann ist das Zersetzung unserer demokratischen Lebenswirklichkeit“, sagte die Bundesaußenministerin am Montag auf einer Konferenz der Grünen in Berlin. Als Beispiel nannte sie Rekrutierungsvideos islamistischer Terroristen, die Jugendlichen in ihre Feeds eingespielt würden, sobald sie einmal ein solches Video anklickten.
Baerbock sieht die EU-Kommission am Zug: “Wenn wir das nicht regulieren, so wie wir auch Regulierung im normalen Leben haben, dann werden wir diesen Fake News hilflos ausgeliefert sein.” Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in ihren politischen Leitlinien einen Vorschlag für ein “European Democracy Shield” angekündigt, das sich etwa an der französischen Beobachtungsstelle für digitale Einflussnahme aus dem Ausland (Viginum) orientieren soll. Der designierte Justizkommissar Michael McGrath soll die Arbeit daran leiten. tho
Internationale Politik: How a “Defense Tax” Can Finance Europe’s Higher Defense Expenditure. Um ihr langfristiges Engagement für eine stärkere Verteidigung glaubwürdig zu untermauern, könnten hoch verschuldete europäische Nato-Staaten eine spezielle Verteidigungssteuer einführen. Allerdings birgt sie auch das Risiko politischer Spannungen: Denn sie erfordert wirtschaftliche Kompromisse und kann Verteilungskonflikte innerhalb von Gesellschaft auslösen.
The Barents Oberver: Under flag of Gabon, tankers sail sanctioned Russian oil through Arctic ice. Der kleine westafrikanische Staat Gabun hilft Moskau, Sanktionen zu umgehen. Er bietet einer schnell wachsenden Flotte von Schattenschiffen die Möglichkeit, Erdöl aus Russland zu exportieren.
Financial Times: Sudan becoming ‘fertile ground’ for jihadis, says ex-prime minister. Der letzte zivile Premierminister des Sudan warnt, dass der brutale Bürgerkrieg ein “fruchtbarer Boden” für die Ausbreitung des regionalen Terrorismus werden könnte. Seitdem die Allianz zwischen General Abdel Fattah al-Burhan und dessen früherem Stellvertreter, Mohamed Hamdan Dagalo (Hemeti) von den paramiilitärischen Rapid Support Forces (RSF) im April 2023 zerbrach, wurden im Sudan etwa 150.000 Menschen getötet. Zehn Millionen mussten fliehen.
Stiftung Wissenschaft und Politik: Lernfähige deutsche Krisenpolitik? Lehren aus Mali. Der Einsatz der Bundeswehr in Mali hat verdeutlicht, dass die deutsche Krisenpolitik präziser konzeptioniert werden muss. Wenn die vorrangigen Ziele, wie in den ersten Jahren des Mali-Engagements, krisenfern und dennoch gut vertretbar sind, sollte die Regierung den Mut haben, Ross und Reiter konkret zu benennen, schreibt Autor Denis M. Tull.
Seit 2022 hat die Nato, wenn auch mit einigen Schwierigkeiten, ihre Einigkeit bei der Unterstützung der Ukraine zur Verteidigung gegen Russland gewahrt. Aber wo ist die kohärente Nato-Strategie, um auf Putins Russland zu reagieren? Die ernüchternde Antwort lautet: Es gibt sie nicht!
Dabei hat man sich bereits im Strategisches Konzept von 2022 darauf verständigt, dass die “Russische Föderation die bedeutendste und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Bündnispartner sowie für Frieden und Stabilität im euro-atlantischen Raum” ist.
Demzufolge könnte die Mission der Nato als Grundlage einer neuen Russland-Strategie lauten: Unsere Mission ist es, Russland als Bedrohung für die Sicherheit des Bündnisses sowie für Frieden und Stabilität im euro-atlantischen Raum und darüber hinaus einzudämmen.
Zur Umsetzung einer solchen Mission sollte die Nato auch ihre strategischen Hauptziele definieren:
Als Hauptbausteine einer kohärenten Eindämmungsstrategie gegen Russland sollten die hier skizzierten Aktionsstränge verfolgt werden:
Die Ukraine muss in die Lage versetzt werden, den Krieg gegen Russland zu ihren eigenen Bedingungen zu gewinnen. Leider haben sich seit 2022 zu viele Entscheidungsträger selbst auferlegte “rote Linien” verordnet. Das typische Argument lautet: Eskalation. Das ist ein grundlegendes Missverständnis. Präsident Putin agiert nicht auf einer Eskalations- und Deeskalationsleiter. Vielmehr respektiert er Stärke und nutzt Schwäche aus. Was wir bisher erlebt haben, ist ein kollektives Versagen von historischem Ausmaß: Die 56 an der Koalition zur Unterstützung der Ukraine beteiligten Partner, deren gemeinsames Bruttoinlandsprodukt das Russlands exponentiell übersteigt, waren seit 2022 nicht willens oder nicht in der Lage, die Ukraine so zu unterstützen, dass sie den Kampf gegen den Aggressor gewinnen kann.
Der Aufbruch in eine neue Ära der kollektiven Abschreckung und Verteidigung muss intensiviert und zu einem guten Teil auch neu gedacht werden. Der Nachholbedarf der Nato-Staaten ist immens, und es braucht neue Antworten auf Russlands hybriden Schattenkrieg.
Die internen Schwächen der Verbündeten müssen angegangen und minimiert werden. Schließlich ist jede Kette nur so stark, wie ihr schwächstes Glied. Die Resilienz aller Bündnispartner muss weiter ausgebaut werden, beispielsweise in den Bereichen Energiesicherheit und kritische Infrastruktur. Vor allem aber gilt es, auch innerhalb der Nato-Staaten die verantwortungsvolle Regierungsführung zu stärken.
Die Nato-Kernaufgabe der Krisenprävention und kooperativen Sicherheit muss auf ein strategisch relevantes Niveau angehoben werden. Derzeit wird dies im Wesentlichen als Nebentätigkeit behandelt. Damit wird die Nato den strategischen Herausforderungen, wie der Einflussnahme von Russland und China in Afrika, im Kaukasus oder dem westlichen Balkan, in keiner Weise gerecht.
Die strategische Nato-EU Partnerschaft muss weiter ausgebaut werden. Dazu sollten europäische Staaten ihre Investitionen in Sicherheit und Verteidigung weiter erhöhen. Die EU könnte den Nato-Grundwert von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Investitionen in Sicherheit als ihren eigenen Standard übernehmen.
Die Debatte um eine Aussetzung der Mitgliedschaft Russlands im UN-Sicherheitsrat sollte neu belebt werden. Russland missbraucht auf schändliche Weise seinen Sitz und sein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat. Die Hürden für einen Ausschluss sind hoch, aber nicht unüberwindbar. Eine Wiederbelebung der Debatte wäre ein starkes Signal an Russland.
Aber vor allem: Treten wir für unsere Vision ein! Die wohl stärkste und dauerhafteste Eindämmung beginnt in den Köpfen und Herzen der Menschen. Es muss das Verständnis und der Wille vorhanden sein, Russland einzudämmen, nicht weil wir per se gegen Russland sind, sondern weil der Putinismus eine Gefahr für sein Land ist, eine Bedrohung für den Frieden und die Stabilität im euro-atlantischen Raum und eine Bedrohung für genau die Art von offenen Gesellschaften, die wir sein wollen.
Dr. Gerlinde Niehus war seit 2019 und bis Ende September 2024 im Nato-Hauptquartier als Vize-Direktorin für die Sicherheitskooperation mit den Partnerländern der Nato verantwortlich. Sie arbeitet jetzt als unabhängige Expertin für Nato- und internationale Sicherheitspolitik.
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten sind die der Autorin und sollten nicht so verstanden werden, dass sie notwendigerweise die der Nato oder der Nato-Mitgliedsstaaten wiedergeben.