morgen Früh um elf ist es endlich so weit: Nach monatelangem Verzug will die Bundesregierung dann ihre Nationale Sicherheitsstrategie vorstellen. Wegen Kompetenzgerangels zwischen Kanzler- und Auswärtigem Amt, Verteidigungs- und Innenministerium sowie den Bundesländern war die Veröffentlichung immer wieder verschoben – und das Papier zuletzt sogar als geheim eingestuft worden. Auf die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrats wie ursprünglich geplant verzichtete die Bundesregierung gar ganz.
Ich habe den früheren Direktor des EU-Geheimdienstes INTCEN und BND-Leitungsstabsleiter, Gerhard Conrad, gefragt, wo sich die nationalen Sicherheitskompetenzen am besten bündeln ließen. Seine Antwort: im Bundessicherheitsrat. Der zurzeit vorrangig mit Rüstungsexporten befasste Kabinettsausschuss müsse für die Koordination von Gesamtverteidigung gestärkt werden – unter anderem durch Aufbau eines eigenen Analysezentrums. Das ließe sich durch eine simple Änderung der Geschäftsordnung der Bundesregierung erreichen.
Ginge es nach Litauen oder Polen, würde die Nato auf ihrem Gipfel in vier Wochen in Vilnius die Ukraine direkt als Mitglied aufnehmen. Aus Sorge, damit zur Kriegspartei zu werden, lehnen das die USA, Deutschland, Ungarn und andere alte Allianzmitglieder aber ab. Lisa-Martina Klein hat sich an der Nato-Ostflanke umgehört und aufgeschrieben, wie Polen und die baltischen Staaten an einer “Koalition der Willigen” basteln – Entsendung eigener Soldaten in die Ukraine nicht ausgeschlossen.
Zum Schutz des Nato-Gipfels im Juli zieht die Luftwaffe übrigens zwei ihrer in der Slowakei stationierten Patriot-Flugabwehrsysteme nach Vilnius ab. Und bereits am morgigen Mittwoch berät der Haushaltsausschuss des Bundestags über Nachschub bei der Luftverteidigung: Die ersten Schritte zur Beschaffung des israelischen Raketenabwehrsystems Arrow stehen auf der Agenda. Damit solle nicht nur Deutschland vor weit reichenden ballistischen Raketen geschützt werden, schreibt Thomas Wiegold, sondern im Rahmen der European Sky Shield Initiative (ESSI) auch benachbarte Länder.
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Eine erkenntnisreiche Lektüre wünscht Ihnen
Deutschland wird auch künftig keinen Nationalen Sicherheitsrat bekommen. Ist das bedauerlich – oder ist das Bundeskanzleramt nicht ohnehin der richtige Ort, um die in Krisensituationen notwendige Koordination mit den Fachministerien und den Bundesländern zu koordinieren?
Gesamtstaatliches Handeln muss ressortübergreifend und unter Berücksichtigung der föderalen Ordnung der Bundesrepublik koordiniert werden. Der sachlogisch wie verfassungsmäßig unstrittige Ort hierfür ist das Bundeskanzleramt, das ja auch der organisatorische Rahmen für Kabinettssitzungen und -entscheidungen ist. Aus den gleichen Erwägungen heraus ist auch in anderen Staaten der Nationale Sicherheitsrat dem Regierungschef zugeordnet. In Deutschland wäre ein Bundessicherheitsrat rechtlich wie organisatorisch gesehen ja auch nichts anderes als ein Kabinettsausschuss mit leistungsstarkem Unterbau für Lagefeststellung und Lagebeurteilung, der die Entscheidungen des Kabinetts vorbereitete.
Wie sollen wir uns das vorstellen?
Eigentlich ist es recht banal: Bekanntlich besteht bereits seit langem ein Bundessicherheitsrat (BSR) in genau dieser Funktion als Kabinettsausschuss, der ursprünglich schon einmal für die Koordination von Gesamtverteidigung, also dem Zusammenwirken von militärischen und zivilen Kräften, eingerichtet worden war. Erst seit den 70er Jahren wurden dessen Beratungen im Wesentlichen nur noch auf Fragen des Rüstungsexports beschränkt. Allein schon eine erneute Änderung der Geschäftsordnung würde da weiterhelfen. Wichtig wäre es allerdings zugleich, einen dem BSR nachgeordneten, ressortübergreifenden Analysestab zusammenzustellen, der die erforderlichen Lagefeststellungen und -beurteilungen zeitgerecht erstellt und dem BSR zur Diskussion und Entscheidungsvorbereitung vorlegen kann. Erfahrungswerte hierfür gibt es bereits und sind bekannt, auf denen man aufbauen könnte.
Wo bleiben da die Nachrichtendienste?
Bundesnachrichtendienst und das Bundesamt für Verfassungsschutz zählen mit ihren Kapazitäten zur Lagefeststellung und Lagebeurteilung seit jeher zum Kernbereich der Entscheidungsprozesse zu allen Fragen von innerer und äußerer Sicherheit, Verteidigung, Außen- und Sicherheitspolitik. Das würde in einer erweiterten Struktur auch notwendig so bleiben, wenn sie sich nicht noch weiter akzentuieren.
Verstehen Sie den Ärger der Länder darüber, in die Nationale Sicherheitsstrategie nicht ausreichend eingebunden worden zu sein?
Wenn die Nationale Sicherheitsstrategie originäre Länderbelange wie innere Sicherheit bis hin zum Katastrophenschutz berühren soll, dann müssen die Länder mit ins Boot. Auch das sollte nach über 70 Jahren Föderalismus eigentlich keine Überraschung für alle Beteiligten sein.
Die britische Regierung hat erst im März eine neue Sicherheitsstrategie vorgelegt. Sie haben lange die BND-Residentur in London geleitet, was kann Deutschland von Großbritannien in Sachen Sicherheit und Verteidigung lernen?
Den politischen Willen und die administrative Fähigkeit, Fragen der nationalen Sicherheit als gesamtstaatliche, parteiübergreifende Aufgabe zu verstehen und auch so zu behandeln. Nationale Sicherheit sollte keinesfalls Verhandlungssache im freien Spiel der Kräfte zwischen parteipolitisch geprägten, nur durch eine allgemeine Richtlinienkompetenz des Kanzlers moderierten unabhängigen Ressorts und ihren Ministerinnen und Ministern sein. Es wäre gut, wenn hier die von Wolfgang Schmidt, dem Chef des Bundeskanzleramts, einmal konstatierten sicherheitspolitischen “Teenager-Jahre” der Bundesrepublik Deutschland so rasch wie möglich überwunden werden könnten.
Dezidiert beschäftigt sich die britische Sicherheitsstrategie auch mit Investitionen in neue Rüstungsprojekte, zum Beispiel in Kooperation mit französischen Waffenproduzenten. Ist Deutschland zu pazifistisch, um strategische Debatten über nationale Sicherheitsinteressen auch mit militärisch-industriellem Blick zu führen?
Unter den Aspekten von Verteidigungsfähigkeit und damit einhergehender Notwendigkeit leistungsfähiger Waffen und Rüstungsgüter zweifellos ja. Diese Erkenntnis zählt ja im Rahmen der Zeitenwende inzwischen fast schon zum Gemeingut, in zumindest verbaler Abkehr von der Sicherheitspolitik nach dem Pippi Langstrumpf-Prinzip – “Ich mach’ mir die Welt, wie sie mir gefällt”. Hier scheinen sich neue Güterabwägungen zu entwickeln, die auch eine tragfähigere Zusammenarbeit mit Verbündeten und Partnern in Entwicklung, Produktion, aber eben auch in der Weitergabe von Waffen, ermöglichen.
Der Dreiklang der deutschen Sicherheitsstrategie lautet wohl auf Wehrhaftigkeit/Resilienz/Nachhaltigkeit. Was fehlt Ihnen dabei, ist die Schwerpunktsetzung richtig?
Ich würde als vierte Kategorie auf jeden Fall noch Gesprächsfähigkeit hinzufügen. Wer redet, schießt nicht, muss das jedoch mit Aussicht auf Erfolg im Rahmen von Selbstverteidigung oder völkerrechtlich mandatierter Nothilfe tun können, wenn kein friedlicher Ansatz für eine Abwendung des Angriffs gefunden werden kann.
Wie feministisch sollte die künftige deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik sein?
Wirksame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik muss gesamtheitlich orientiert und auf eine Überwindung von Konfliktursachen, so insbesondere Diskriminierung und Gewalt aller Art ausgerichtet sein. Allein schon in diesem allgemeinen Rahmen kommt der einen Hälfte der Weltbevölkerung eine ebenso große Bedeutung zu wie der anderen. Aus dieser allgemeinen Gerechtigkeitsmaxime muss Politik feministisch in ihrer Orientierung sein, nicht zuletzt in dem Bestreben, gravierenden Ungerechtigkeiten mit häufig destabilisierenden Konsequenzen entgegenzuwirken.
Gerhard Conrad ist Vorstandsmitglied des Gesprächskreises Nachrichtendienste in Deutschland. Von 1990 bis 2020 arbeite er für den Bundesnachrichtendienst (BND), unter anderem als Leiter des Leitungsstabs – und als Vermittler bei Gefangenenaustauschen zwischen Israel, der palästinensischen Hamas und der libanesischen Hisbollah, was ihm den Namen “Mr. Hisbollah” einbrachte.
Konsens über eine schnelle Aufnahme der Ukraine in die Nato wird es auf dem Gipfeltreffen der westlichen Verteidigungsallianz am 11. und 12. Juli in der litauischen Hauptstadt Vilnius kaum geben. Zwar fordert der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj weiter eine klare Beitrittsperspektive; die Länder der Nato-Ostflanke, allen voran Litauen und Polen, unterstützen ihn darin. Doch Deutschland, die Vereinigten Staaten, die Niederlande und Ungarn lehnen einen Beitritt vor Kriegsende kategorisch ab – mit Verweis auf die Beistandspflicht aus Artikel 5 des Washingtoner Vertrags, weil sie befürchten, die Nato mit der Aufnahme der Ukraine zur Kriegspartei zu machen.
Dafür aber erwarten Kiew und die Nato-Staaten mit Grenzen zu Russland oder zur Ukraine deutliche Signale an die ukrainische Regierung. Eine Wiederholung des Nato-Gipfels in Bukarest 2008 soll unbedingt vermieden werden: Damals wurde der Ukraine eine Mitgliedschaft zwar in Aussicht gestellt, allerdings ohne konkreten Zeitplan – Bundeskanzlerin Angela Merkel richtete Deutschland seinerzeit trotz Drängens der USA gegen eine rasche Aufnahme Kiews aus.
Statt einer Vollmitgliedschaft wird darüber diskutiert, die bestehende Nato-Ukraine-Kommission zu einem neuen Nato-Ukraine-Rat aufzuwerten. Ein solches gemeinsames Beratungsforum wäre ein wichtiger Schritt, um mit der Ukraine auf Augenhöhe Schlüsselfragen der Sicherheit diskutieren zu können.
Doch das könnte Polen und den baltischen Länder nicht weit genug gehen. Sie sind offenbar bereit, Kiew nach dem Gipfel in Vilnius auf bilateralem Wege Sicherheitszusagen zu machen – und möglicherweise sogar eigene Soldaten in die Ukraine zu entsenden. “Ich denke, die Polen werden ernsthaft in Erwägung ziehen, eine Koalition der Willigen zu bilden, wenn die Ukraine in Vilnius nichts erhält”, sagte der frühere Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, vergangene Woche. “Die Polen haben das Gefühl, dass Westeuropa zu lange nicht auf ihre Warnungen vor der wahren russischen Mentalität gehört hat”, so Rasmussen, der Ukraines Präsident Selenskyj offiziell berät.
Truppen auf ukrainisches Gebiet zu entsenden, hält der SPD-Verteidigungspolitiker Jörg Nürnberger jedoch für ausgeschlossen: “Es gibt schon unter politischen Gesichtspunkten keine geeignete militärische Eingreifmöglichkeit zugunsten der Ukraine. Das wollen weder die deutsche Bundesregierung noch die Nato insgesamt. Ein Eingreifen von Nato-Truppen in die Kampfhandlungen auf ukrainischem Territorium haben Deutschland und die Bündnispartner von Beginn an unmissverständlich ausgeschlossen und dabei wird es auch bleiben.”
Die “höchst theoretischen Überlegungen” einer Beteiligung der litauischen oder estnischen Marine im Asowschen Meer oder der polnischen Armee in der Ostukraine, seien weder militärisch noch politisch sinnvoll, sagt Nürnberger. “Es gilt, eine direkte Konfrontation der Nato oder einzelner Mitgliedstaaten mit der Russischen Föderation zu vermeiden.” Die derzeit beste Sicherheitsgarantie, die die Nato der Ukraine zurzeit geben könne, so der SPD-Bundestagsabgeordnete, sei die weiter ungebrochene militärische und humanitäre Unterstützung der Ukraine – sowie eine anhaltende Aufnahmebereitschaft Geflüchteter in Ländern wie Deutschland und Polen.
Bundeskanzler Olaf Scholz bekräftigte gestern Abend bei einem Treffen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Polens Präsident Andrzej Duda in Paris seine Haltung zu den Sicherheitsgarantien für die Ukraine: Die Ukraine brauche Sicherheitsgarantien in “sehr konkreter Form”. Wie diese konkrete Form aussehen könnte, ließ er allerdings offen.
Auf dem Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) Anfang Juni im moldauischen Chișinău hatte er das deutsche “Commitment im Hinblick auf die Herstellung von Verteidigungsfähigkeit seitens der Ukraine” betont. “Sicherheitsgarantien müssen so beschaffen sein, dass sie der Ukraine Sicherheit geben, und dass sie gleichzeitig auch die Ukraine stabilisieren”, sagte er beim Treffen des 2022 von Macron ins Leben gerufenen Zusammenschlusses der 27 EU-Staaten und ihrer Anrainer.
Göran Swistek, der an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zu Sicherheits- und Verteidigungspolitik forscht, hält es für denkbar, dass ausländische Truppen gewisse Schutzaufgaben wie die Luftraumverteidigung über Kiew übernehmen könnten: “Solche Maßnahmen würden der ukrainischen Armee Bewegungsfreiheit anderswo eröffnen.”
Das höre er nicht nur aus Polen, sondern auch aus Frankreich und Großbritannien. Eine Unterstützung der ukrainischen Armee durch Truppen anderer Länder würde langfristig auch die westlichen Staaten entlasten, so Swistek. Die könnten sich auf Dauer den ständigen Nachschub an Waffen und finanzieller Hilfe auch nicht leisten.
Die Rede ist von fünf Kilometern Vorstoß und fünf befreiten Dörfern in den Regionen Donezk und Saporischschja: Die ukrainische Armee mache Fortschritte im Südosten des Landes, teilte die Regierung in Kiew am Montag mit. Um die ukrainischen Truppen aufzuhalten, soll die russische Armee am Sonntagabend einen weiteren Staudamm am Fluss Mokrye Jaly in der Region Donezk gesprengt haben. Davon berichtete ein ukrainischer Armeesprecher. Überprüfen lässt sich diese Angabe nicht.
Auf Bildern und Videos, die prorussische Telegram-Kanäle verbreiten, ist die Rede von Verlusten westlicher Kampffahrzeugen auf ukrainischer Seite, darunter deutsche Leopard-Panzer und US-amerikanische Bradley-Schützenpanzer. Nach Angaben des Portals Oryx sind bis Montagabend vier Leopard-Panzer und 17 Bradleys zerstört worden. Die Plattform Oryx wird von mehreren Spezialisten für Analysen öffentlich zugänglicher Daten (open source intelligence) betrieben, sie sammeln Bildbeweise über zerstörte Militärtechnik in der Ukraine.
Das britische Verteidigungsministerium berichtete von sehr vielen getöteten und verwundeten Soldaten auf der russischen Seite während des monatelangen Kampfes um die Stadt Bachmut: bis zu 60.000 Männer sollen dabei gestorben oder verwundet worden sein, für jede eroberten “48 Zentimeter ein Soldat”, teilte das britische Ministerium in einem Video auf Russisch mit.
Angesichts der ukrainischen Offensive spitzt sich der Streit zwischen dem russischen Verteidigungsminister und der Söldner-Gruppe Wagner zu. Nach einem Befehl von Sergei Schoigu vom Wochenende sollen alle militärischen “Freiwilligenverbände” bis zum 1. Juli Verträge mit seinem Ministerium unterzeichnen. Sie sollen so der Organisation des Ministeriums unterstellt werden.
Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin lehnt das ab; die von Tschetschenen-Führer Ramsan Kadyrow gegründete Miliz “Achmat” hingegen unterzeichnete am Montag einen entsprechenden Vertrag. Kadyrow hatte sich mehrfach mit Prigoschin solidarisiert und die russische Generalität kritisiert.
Wie angekündigt, reiste am Montag der Leiter der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA), Rafael Grossi, in die Ukraine, um das Atomkraftwerk Saporischschja zu inspizieren. In seinem Tweet vor der Reise kündigte er eine Verstärkung des internationalen Beobachtungsteams vor Ort an. Die IAEA sorgt sich nach der Sprengung des Kachowka-Staudammes vergangener Woche um das Kühlwasser für die Reaktorblöcke. Grossi will sich auch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj treffen, um kurzfristige Maßnahmen zur Sicherung des AKW zu besprechen. vf
Als eine wesentliche Folgerung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine will Deutschland die Luftverteidigung gegen Raketen und Marschflugkörper verbessern. Der Bundestag will dafür in dieser Woche die ersten Neubestellungen für Flugabwehrsysteme billigen. Auf der Tagesordnung des Haushaltsausschusses am Mittwoch stehen die ersten Schritte für den Kauf des israelischen Raketenabwehrsystems Arrow. Außerdem soll das Flugabwehrsystem Iris-T SLM der deutschen Firma Diehl gekauft werden.
Arrow mit den Abwehrraketen Arrow 3 soll sowohl Deutschland als auch im Rahmen der European Sky Shield Initiative (ESSI) benachbarte Länder vor Angriffen mit weit reichenden ballistischen Raketen schützen. Bereits seit dem vergangenen Jahr hatte es darüber Gespräche zwischen der Bundesregierung und der israelischen Regierung gegeben; nötig war zudem die Zustimmung der USA, die an der Entwicklung der staatseigenen israelischen Firma Israel Aircraft Industries (IAI) beteiligt waren.
Dem Haushaltsausschuss liegt eine Vorlage des Verteidigungsministeriums vor, die eine deutsche Verpflichtungserklärung für eine “vorvertragliche Vereinbarung” zur Beschaffung des Systems und der Lenkflugkörper ermöglichen soll. Zunächst sind dafür bis zu 560 Millionen Euro aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr vorgesehen. Die Beschaffung des Gesamtsystems dürfte allerdings etwa drei Milliarden Euro kosten.
Für Raketen und Marschflugkörper kürzerer Reichweite sollen sechs Systeme Iris-T SLM beschafft werden, die sich bereits in der Ukraine bei der Abwehr russischer Raketen, Marschflugkörper und Drohnen bewährt haben. Das erste System soll voraussichtlich bereits im kommenden Jahr geliefert werden. Wann die vollständige Ausstattung bei der Bundeswehr ankommt, ist allerdings noch offen – die Bundesregierung hatte der Ukraine über die zwei bereits gelieferten Iris-T SLM-Systeme sechs weitere zugesagt.
Die Beschaffung von Arrow 3 und Iris-T SLM soll die Raketenabwehr der Luftwaffe ergänzen, die derzeit ausschließlich aus dem US-System Patriot besteht. Von den bislang zwölf deutschen Patriot-Systemen war eines an die Ukraine abgegeben worden, drei sind derzeit in Polen stationiert. Zwei weitere Systeme sollen vom aktuellen Einsatz in der Slowakei abgezogen und zum Schutz des Nato-Gipfels in der litauischen Hauptstadt Vilnius im Juli eingesetzt werden. tw
Am Montag hat mit Air Defender 23 die größte Verlegeübung von Luftstreitkräften seit Gründung der Nato begonnen. Unter deutscher Führung proben bis 23. Juni fast 10.000 Soldatinnen und Soldaten aus 25 Nationen die Verteidigung des europäischen Luftraums im Falle eines Angriffs aus dem Osten auf das Bündnisgebiet. Das Manöver war 2018 als Reaktion auf die russische Einnahme der Krim konzipiert worden.
Die US-Botschafterin in Deutschland, Amy Gutman, sagte vergangene Woche, dass sie überrascht wäre, wenn “irgendein Staatsoberhaupt nicht wahrnehmen würde, was die Übung über die Stärke und den Geist der Allianz” aussage. Das schließe den russischen Präsidenten Wladimir Putin ein.
Neben dem Eurofighter, US-amerikanischen F-35, F-18, F-16 und A10-Kampfjets sowie schwedischen Gripen kommen auch Tornado-Kampfjets bei dem Manöver zum Einsatz. Nicht eingesetzt werden können im deutschen Luftraum die größeren Drohnensysteme der Bundeswehr.
“Da wird man sich sicherlich in mehreren Jahren darüber unterhalten müssen, Drohnen in entsprechende Übungsszenarien zu integrieren”, sagt der Kommodore des taktischen Luftwaffengeschwaders 51 in Jagel, Jörg Schröder, zu Table.Media. Gegen Jahresende will die Bundeswehr eine Heron TP-Drohne aus israelischer Produktion in Jagel stationieren. Bei der Übung sollen über Tschechien allerdings US-Drohnen vom Typ MQ-9 zum Einsatz kommen.
Air Defender 23 soll die Interoperabilität zwischen den Streitkräften der beteiligten Nationen verbessern, darunter neben 23 Nato-Staaten auch Schweden und Japan. “Deutschland kommt hier aufgrund unserer geostrategischen Lage eine ganz wichtige Rolle zu”, so der Inspekteur der Luftwaffe, Ingo Gerhartz, auf dem Luftwaffenstützpunkt im schleswig-holsteinischen Jagel.
In den kommenden neun Tagen üben die Luftstreitkräfte in drei Lufträumen über Deutschland unter anderem den Kampf gegen Drohnen und Marschflugkörper, den Schutz von Städten, Flughäfen und Seehäfen, Evakuierungsoperationen wie zuletzt in Khartum und Kabul sowie die Unterstützung von Bodentruppen. Gerhartz sagte, dass die Einsatzfähigkeit der Eurofighter seit 2018 von 30 Prozent auf 80 Prozent gestiegen sei, während die Quote für die älteren Tornados “weit weg von 80 Prozent” liege.
Air Defender 23 ist zwar die größte Luftwaffen-Verlegeübung seit Gründung der Nato 1945. Das Manöver Carte Blanche 1955 über Westdeutschland war allerdings größer – da die US-Luftwaffenkräfte damals in Europa stationiert waren, mussten sie jedoch nicht verlegt werden. bub
Die großen deutschen Friedensforschungsinstitute haben die Bundesregierung aufgerufen, die Ukraine weiter auch mit Waffen zu unterstützen – und bereits während des anhaltenden Krieges mit Vorbereitungen für Verhandlungen zu beginnen. Eine solche Doppelstrategie müsse berücksichtigen, dass die Ukraine noch “vermutlich sehr lange Zeit” auf militärische Unterstützung aus dem Westen angewiesen sei, sagte die Frankfurter Friedensforscherin Nicole Deitelhoff am Montag bei der Vorstellung des Friedensgutachtens 2023 in Berlin.
Die vier Einrichtungen – das Leibniz-Institut der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt, das Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen, das Bonn International Centre for Conflict Studies und das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg – legen jährlich ein Gutachten zum Stand der Friedens- und Konfliktforschung mit Empfehlungen für die Bundesregierung vor.
Unmittelbar nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine 2022 hatten sich Friedensforscherinnen und -forscher für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen. Forderungen, diese Unterstützung sofort einzustellen und so zu Friedensverhandlungen zu kommen, würden “nach jetzigem Wissensstand keinen greifbaren Frieden bringen”, warnte Deitelhoff.
Die Institute sprachen sich auch für Sicherheitsgarantien für die Ukraine aus, die bereits vor einem Beginn möglicher Verhandlungen über eine Friedenslösung feststehen müssten. Es gehe um die Glaubwürdigkeit dieser Zusagen, betonte Ursula Schröder vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Das bedeute allerdings nicht die Stationierung von Soldaten aus Nato-Mitgliedsländern in der Ukraine. Zu einer militärischen Abwehr müsse das Land selbst befähigt werden.
Mit Sorge blicken die Forschungsinstitute auf den Stand der internationalen Rüstungskontrolle, die durch die Aufkündigung mehrerer Abkommen immer weiter unter Druck gerät. Die Kommunikationskanäle in den noch bestehenden Rüstungskontrollverträgen müssten mehr genutzt werden. Auch die Vereinten Nationen müssten trotz der Probleme mit Russland als Sicherheitsratsmitglied mit Veto-Recht gestärkt werden, wo ihre Aktivitäten funktionierten: “Die UN haben nicht aufgehört zu arbeiten”, sagte Schröder. tw
Der frühere Linken-Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich übernimmt im März 2024 die Leitung des USA-Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York – ein gutes halbes Jahr vor der Präsidentenwahl. “Die Republikanische Partei in den USA erkennt Wahlergebnisse und eine unabhängige Justiz nur noch an, wenn es ihr nützt”, sagte Liebich gegenüber Table.Media. “Diese Trumpisierung bringt die Demokratie in existentielle Gefahr.”
Liebich war nach drei Legislaturperioden als direkt gewählter Abgeordneter bei der Bundestagswahl im September 2021 nicht mehr angetreten. Mit seinen prowestlichen Positionen war er innerhalb der Linkspartei immer wieder angeeckt – unter anderem wegen seiner Mitgliedschaft in der transatlantischen Atlantik-Brücke. “Ich möchte von New York aus informieren und damit dazu beitragen, dass unser Land seine falsche Neutralität beendet und Haltung zeigt“, so Liebich. “Die Mehrheit der US-Demokraten will mit einer Politik, die wieder für die einfachen Leute liefert, den Rechtsruck des Landes beenden. Wie dieses Ringen ausgeht, hat auch für Deutschland Konsequenzen.”
Der 1972 in Wismar geborene Liebich war über viele Jahre Obmann der Linken-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss; die Unterstützung des für Außenpolitik zuständigen Arbeitskreises IV der Bundestagsfraktion jedoch genoss er nie. Dieser wird vom autokratischen, antiwestlichen Flügel um die Sprecherin für Abrüstungspolitik, Sevim Dagdelen, den verteidigungspolitischen Sprecher, Ali Al-Dailami, und den Sprecher für Europapolitik, Andrej Hunko, dominiert. Gemeinsam haben sie die Fraktion in den vergangenen Jahren außenpolitisch auf einen Russland-freundlichen Kurs gebracht; auch Nähe zu den autoritären Regimen in China und Venezuela zählt zur politischen DNA der SED-Nachfolgepartei.
Liebich konnte sich mit seinem Gegenkurs zu den regressiv-autoritären Kräften nicht durchsetzen; auch sein außenpolitisch vielleicht wichtigster in der Fraktion verbliebener Verbündeter, der Parlamentarische Geschäftsführer Jan Korte, hat angekündigt, 2025 nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren. Liebich war es 2009 zum ersten Mal gelungen, den Bundestagswahlkreis Berlin-Pankow gegen den damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse von der SPD zu gewinnen. Auch 2013 und 2017 zog er hier mit Direktmandat in den Bundestag ein. Von 1995 bis 2009 war Liebich Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin. mrb
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Sipri – Atommächte rüsten auf: Die Atommächte investieren angesichts der insgesamt verschlechterten Sicherheitslage auf der Welt in eine Modernisierung ihrer nuklearen Arsenale. Das – und vieles mehr – geht aus dem neuen Jahresbericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri hervor.
Spiegel – So rüsten sich Zivilisten gegen eine russische Invasion (Videoreportage): 14.000 Mitglieder hat die Litauische Schützenunion, ein paramilitärischer Verein, der ähnlich wie in Estland, Lettland und Finnland Freiwillige in die nationale Verteidigungsstrategie einbindet. 21 Minuten.
Foreign Policy – Wie Israel offiziell die Westbank annektiert: Nicht mit viel Pomp, sondern still und leise zieht die Regierung Benjamin Netanjahus die Annektion des seit 1967 besetzten Westjordanlands als Verwaltungsakt durch – und verstößt damit gegen das Völkerrecht, wie der israelische Menschenrechtsanwalt Michael Sfard in seiner Analyse schreibt.
Wall Street Journal – Nord Stream Sabotage Probe Turns to Clues Inside Poland (Paywall): Es deuten aktuell viele Anzeichen darauf hin, dass die Ukraine hinter dem Anschlag auf die Nord-Stream-2-Pipelines steckt. Neuesten Erkenntnissen zufolge könnte polnisches Staatsgebiet als Operationsbasis genutzt worden sein.
Natasha Fox ist als erste Frau in der australischen Armee zur Drei-Sterne-Generalin befördert worden. Seit Anfang Juni leitet die frühere stellvertretende Befehlshaberin des australischen Heers die Personalabteilung der Australian Defence Forces (ADF). Generalleutnant Fox ist damit eine von insgesamt sieben Drei-Sterne-Generalen der ADF. Die Position wurde neu geschaffen, um Personalmanagement und Rekrutierung zu reformieren; sie ist direkt dem Befehlshaber der Streitkräfte unterstellt.
Fox trat 1988 in die Australian Defence Force Academy ein und graduierte 1991 am Royal Military College. Ihre ersten Verwendungen waren im Bereich Logistik. Sie war überdies leitende Ausbilderin an der Australian Defence Force Academy. Fox hat den australischen Generalstabslehrgang absolviert und verfügt über Master-Abschlüsse in Betriebswirtschaft, Politikwissenschaft und Management. Sie war mit den ADF im Libanon, in Syrien und in Israel. Der Frauenanteil in den Streitkräften liegt in Australien bei 16 Prozent, in Deutschland bei 13 Prozent.
Im Zuge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine hatte Australien im März 2022 beschlossen, die Anzahl des militärischen Personals von derzeit 59.800 auf 80.000 im Jahr 2040 aufzustocken, die größte Erweiterung seit vierzig Jahren. Mit den neuen Truppen sollen die Weltraumstreitkräfte, die Cyberabwehr, vor allem aber die Marine ausgebaut werden. Gebraucht werden demnach Soldatinnen und Soldaten für die neuen nuklear angetriebenen U-Boote, die Australien im Rahmen des trilateralen Bündnisses Aukus (Australien, Großbritannien, USA) bekommen wird.
Nicht nur in Europa klagen die Streitkräfte über Schwierigkeiten bei der Personalgewinnung. Der neue Posten einer zentralen Personalabteilung in den ADF geht auf den Bericht zur Überprüfung der Verteidigungsstrategie zurück, der im April veröffentlicht wurde. Laut des Defence Strategic Review stehen die ADF vor “massiven Herausforderungen”: “Ohne kreative und flexible Lösungsansätze wird sich die Personallage im Verteidigungssektor weiter verschlechtern.” Zudem fordert der Review mehr “Risikobereitschaft” im Personalgewinnungsprozess: “Die Gewinnung von Personal muss innerhalb von Tagen und nicht Monaten erreicht werden können.” Nana Brink
morgen Früh um elf ist es endlich so weit: Nach monatelangem Verzug will die Bundesregierung dann ihre Nationale Sicherheitsstrategie vorstellen. Wegen Kompetenzgerangels zwischen Kanzler- und Auswärtigem Amt, Verteidigungs- und Innenministerium sowie den Bundesländern war die Veröffentlichung immer wieder verschoben – und das Papier zuletzt sogar als geheim eingestuft worden. Auf die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrats wie ursprünglich geplant verzichtete die Bundesregierung gar ganz.
Ich habe den früheren Direktor des EU-Geheimdienstes INTCEN und BND-Leitungsstabsleiter, Gerhard Conrad, gefragt, wo sich die nationalen Sicherheitskompetenzen am besten bündeln ließen. Seine Antwort: im Bundessicherheitsrat. Der zurzeit vorrangig mit Rüstungsexporten befasste Kabinettsausschuss müsse für die Koordination von Gesamtverteidigung gestärkt werden – unter anderem durch Aufbau eines eigenen Analysezentrums. Das ließe sich durch eine simple Änderung der Geschäftsordnung der Bundesregierung erreichen.
Ginge es nach Litauen oder Polen, würde die Nato auf ihrem Gipfel in vier Wochen in Vilnius die Ukraine direkt als Mitglied aufnehmen. Aus Sorge, damit zur Kriegspartei zu werden, lehnen das die USA, Deutschland, Ungarn und andere alte Allianzmitglieder aber ab. Lisa-Martina Klein hat sich an der Nato-Ostflanke umgehört und aufgeschrieben, wie Polen und die baltischen Staaten an einer “Koalition der Willigen” basteln – Entsendung eigener Soldaten in die Ukraine nicht ausgeschlossen.
Zum Schutz des Nato-Gipfels im Juli zieht die Luftwaffe übrigens zwei ihrer in der Slowakei stationierten Patriot-Flugabwehrsysteme nach Vilnius ab. Und bereits am morgigen Mittwoch berät der Haushaltsausschuss des Bundestags über Nachschub bei der Luftverteidigung: Die ersten Schritte zur Beschaffung des israelischen Raketenabwehrsystems Arrow stehen auf der Agenda. Damit solle nicht nur Deutschland vor weit reichenden ballistischen Raketen geschützt werden, schreibt Thomas Wiegold, sondern im Rahmen der European Sky Shield Initiative (ESSI) auch benachbarte Länder.
Wenn Ihnen der Security.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Und wenn Ihnen diese Mail weitergeleitet wurde: Hier können Sie sich für den Security.Table und weitere Themen anmelden.
Eine erkenntnisreiche Lektüre wünscht Ihnen
Deutschland wird auch künftig keinen Nationalen Sicherheitsrat bekommen. Ist das bedauerlich – oder ist das Bundeskanzleramt nicht ohnehin der richtige Ort, um die in Krisensituationen notwendige Koordination mit den Fachministerien und den Bundesländern zu koordinieren?
Gesamtstaatliches Handeln muss ressortübergreifend und unter Berücksichtigung der föderalen Ordnung der Bundesrepublik koordiniert werden. Der sachlogisch wie verfassungsmäßig unstrittige Ort hierfür ist das Bundeskanzleramt, das ja auch der organisatorische Rahmen für Kabinettssitzungen und -entscheidungen ist. Aus den gleichen Erwägungen heraus ist auch in anderen Staaten der Nationale Sicherheitsrat dem Regierungschef zugeordnet. In Deutschland wäre ein Bundessicherheitsrat rechtlich wie organisatorisch gesehen ja auch nichts anderes als ein Kabinettsausschuss mit leistungsstarkem Unterbau für Lagefeststellung und Lagebeurteilung, der die Entscheidungen des Kabinetts vorbereitete.
Wie sollen wir uns das vorstellen?
Eigentlich ist es recht banal: Bekanntlich besteht bereits seit langem ein Bundessicherheitsrat (BSR) in genau dieser Funktion als Kabinettsausschuss, der ursprünglich schon einmal für die Koordination von Gesamtverteidigung, also dem Zusammenwirken von militärischen und zivilen Kräften, eingerichtet worden war. Erst seit den 70er Jahren wurden dessen Beratungen im Wesentlichen nur noch auf Fragen des Rüstungsexports beschränkt. Allein schon eine erneute Änderung der Geschäftsordnung würde da weiterhelfen. Wichtig wäre es allerdings zugleich, einen dem BSR nachgeordneten, ressortübergreifenden Analysestab zusammenzustellen, der die erforderlichen Lagefeststellungen und -beurteilungen zeitgerecht erstellt und dem BSR zur Diskussion und Entscheidungsvorbereitung vorlegen kann. Erfahrungswerte hierfür gibt es bereits und sind bekannt, auf denen man aufbauen könnte.
Wo bleiben da die Nachrichtendienste?
Bundesnachrichtendienst und das Bundesamt für Verfassungsschutz zählen mit ihren Kapazitäten zur Lagefeststellung und Lagebeurteilung seit jeher zum Kernbereich der Entscheidungsprozesse zu allen Fragen von innerer und äußerer Sicherheit, Verteidigung, Außen- und Sicherheitspolitik. Das würde in einer erweiterten Struktur auch notwendig so bleiben, wenn sie sich nicht noch weiter akzentuieren.
Verstehen Sie den Ärger der Länder darüber, in die Nationale Sicherheitsstrategie nicht ausreichend eingebunden worden zu sein?
Wenn die Nationale Sicherheitsstrategie originäre Länderbelange wie innere Sicherheit bis hin zum Katastrophenschutz berühren soll, dann müssen die Länder mit ins Boot. Auch das sollte nach über 70 Jahren Föderalismus eigentlich keine Überraschung für alle Beteiligten sein.
Die britische Regierung hat erst im März eine neue Sicherheitsstrategie vorgelegt. Sie haben lange die BND-Residentur in London geleitet, was kann Deutschland von Großbritannien in Sachen Sicherheit und Verteidigung lernen?
Den politischen Willen und die administrative Fähigkeit, Fragen der nationalen Sicherheit als gesamtstaatliche, parteiübergreifende Aufgabe zu verstehen und auch so zu behandeln. Nationale Sicherheit sollte keinesfalls Verhandlungssache im freien Spiel der Kräfte zwischen parteipolitisch geprägten, nur durch eine allgemeine Richtlinienkompetenz des Kanzlers moderierten unabhängigen Ressorts und ihren Ministerinnen und Ministern sein. Es wäre gut, wenn hier die von Wolfgang Schmidt, dem Chef des Bundeskanzleramts, einmal konstatierten sicherheitspolitischen “Teenager-Jahre” der Bundesrepublik Deutschland so rasch wie möglich überwunden werden könnten.
Dezidiert beschäftigt sich die britische Sicherheitsstrategie auch mit Investitionen in neue Rüstungsprojekte, zum Beispiel in Kooperation mit französischen Waffenproduzenten. Ist Deutschland zu pazifistisch, um strategische Debatten über nationale Sicherheitsinteressen auch mit militärisch-industriellem Blick zu führen?
Unter den Aspekten von Verteidigungsfähigkeit und damit einhergehender Notwendigkeit leistungsfähiger Waffen und Rüstungsgüter zweifellos ja. Diese Erkenntnis zählt ja im Rahmen der Zeitenwende inzwischen fast schon zum Gemeingut, in zumindest verbaler Abkehr von der Sicherheitspolitik nach dem Pippi Langstrumpf-Prinzip – “Ich mach’ mir die Welt, wie sie mir gefällt”. Hier scheinen sich neue Güterabwägungen zu entwickeln, die auch eine tragfähigere Zusammenarbeit mit Verbündeten und Partnern in Entwicklung, Produktion, aber eben auch in der Weitergabe von Waffen, ermöglichen.
Der Dreiklang der deutschen Sicherheitsstrategie lautet wohl auf Wehrhaftigkeit/Resilienz/Nachhaltigkeit. Was fehlt Ihnen dabei, ist die Schwerpunktsetzung richtig?
Ich würde als vierte Kategorie auf jeden Fall noch Gesprächsfähigkeit hinzufügen. Wer redet, schießt nicht, muss das jedoch mit Aussicht auf Erfolg im Rahmen von Selbstverteidigung oder völkerrechtlich mandatierter Nothilfe tun können, wenn kein friedlicher Ansatz für eine Abwendung des Angriffs gefunden werden kann.
Wie feministisch sollte die künftige deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik sein?
Wirksame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik muss gesamtheitlich orientiert und auf eine Überwindung von Konfliktursachen, so insbesondere Diskriminierung und Gewalt aller Art ausgerichtet sein. Allein schon in diesem allgemeinen Rahmen kommt der einen Hälfte der Weltbevölkerung eine ebenso große Bedeutung zu wie der anderen. Aus dieser allgemeinen Gerechtigkeitsmaxime muss Politik feministisch in ihrer Orientierung sein, nicht zuletzt in dem Bestreben, gravierenden Ungerechtigkeiten mit häufig destabilisierenden Konsequenzen entgegenzuwirken.
Gerhard Conrad ist Vorstandsmitglied des Gesprächskreises Nachrichtendienste in Deutschland. Von 1990 bis 2020 arbeite er für den Bundesnachrichtendienst (BND), unter anderem als Leiter des Leitungsstabs – und als Vermittler bei Gefangenenaustauschen zwischen Israel, der palästinensischen Hamas und der libanesischen Hisbollah, was ihm den Namen “Mr. Hisbollah” einbrachte.
Konsens über eine schnelle Aufnahme der Ukraine in die Nato wird es auf dem Gipfeltreffen der westlichen Verteidigungsallianz am 11. und 12. Juli in der litauischen Hauptstadt Vilnius kaum geben. Zwar fordert der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj weiter eine klare Beitrittsperspektive; die Länder der Nato-Ostflanke, allen voran Litauen und Polen, unterstützen ihn darin. Doch Deutschland, die Vereinigten Staaten, die Niederlande und Ungarn lehnen einen Beitritt vor Kriegsende kategorisch ab – mit Verweis auf die Beistandspflicht aus Artikel 5 des Washingtoner Vertrags, weil sie befürchten, die Nato mit der Aufnahme der Ukraine zur Kriegspartei zu machen.
Dafür aber erwarten Kiew und die Nato-Staaten mit Grenzen zu Russland oder zur Ukraine deutliche Signale an die ukrainische Regierung. Eine Wiederholung des Nato-Gipfels in Bukarest 2008 soll unbedingt vermieden werden: Damals wurde der Ukraine eine Mitgliedschaft zwar in Aussicht gestellt, allerdings ohne konkreten Zeitplan – Bundeskanzlerin Angela Merkel richtete Deutschland seinerzeit trotz Drängens der USA gegen eine rasche Aufnahme Kiews aus.
Statt einer Vollmitgliedschaft wird darüber diskutiert, die bestehende Nato-Ukraine-Kommission zu einem neuen Nato-Ukraine-Rat aufzuwerten. Ein solches gemeinsames Beratungsforum wäre ein wichtiger Schritt, um mit der Ukraine auf Augenhöhe Schlüsselfragen der Sicherheit diskutieren zu können.
Doch das könnte Polen und den baltischen Länder nicht weit genug gehen. Sie sind offenbar bereit, Kiew nach dem Gipfel in Vilnius auf bilateralem Wege Sicherheitszusagen zu machen – und möglicherweise sogar eigene Soldaten in die Ukraine zu entsenden. “Ich denke, die Polen werden ernsthaft in Erwägung ziehen, eine Koalition der Willigen zu bilden, wenn die Ukraine in Vilnius nichts erhält”, sagte der frühere Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, vergangene Woche. “Die Polen haben das Gefühl, dass Westeuropa zu lange nicht auf ihre Warnungen vor der wahren russischen Mentalität gehört hat”, so Rasmussen, der Ukraines Präsident Selenskyj offiziell berät.
Truppen auf ukrainisches Gebiet zu entsenden, hält der SPD-Verteidigungspolitiker Jörg Nürnberger jedoch für ausgeschlossen: “Es gibt schon unter politischen Gesichtspunkten keine geeignete militärische Eingreifmöglichkeit zugunsten der Ukraine. Das wollen weder die deutsche Bundesregierung noch die Nato insgesamt. Ein Eingreifen von Nato-Truppen in die Kampfhandlungen auf ukrainischem Territorium haben Deutschland und die Bündnispartner von Beginn an unmissverständlich ausgeschlossen und dabei wird es auch bleiben.”
Die “höchst theoretischen Überlegungen” einer Beteiligung der litauischen oder estnischen Marine im Asowschen Meer oder der polnischen Armee in der Ostukraine, seien weder militärisch noch politisch sinnvoll, sagt Nürnberger. “Es gilt, eine direkte Konfrontation der Nato oder einzelner Mitgliedstaaten mit der Russischen Föderation zu vermeiden.” Die derzeit beste Sicherheitsgarantie, die die Nato der Ukraine zurzeit geben könne, so der SPD-Bundestagsabgeordnete, sei die weiter ungebrochene militärische und humanitäre Unterstützung der Ukraine – sowie eine anhaltende Aufnahmebereitschaft Geflüchteter in Ländern wie Deutschland und Polen.
Bundeskanzler Olaf Scholz bekräftigte gestern Abend bei einem Treffen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Polens Präsident Andrzej Duda in Paris seine Haltung zu den Sicherheitsgarantien für die Ukraine: Die Ukraine brauche Sicherheitsgarantien in “sehr konkreter Form”. Wie diese konkrete Form aussehen könnte, ließ er allerdings offen.
Auf dem Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) Anfang Juni im moldauischen Chișinău hatte er das deutsche “Commitment im Hinblick auf die Herstellung von Verteidigungsfähigkeit seitens der Ukraine” betont. “Sicherheitsgarantien müssen so beschaffen sein, dass sie der Ukraine Sicherheit geben, und dass sie gleichzeitig auch die Ukraine stabilisieren”, sagte er beim Treffen des 2022 von Macron ins Leben gerufenen Zusammenschlusses der 27 EU-Staaten und ihrer Anrainer.
Göran Swistek, der an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zu Sicherheits- und Verteidigungspolitik forscht, hält es für denkbar, dass ausländische Truppen gewisse Schutzaufgaben wie die Luftraumverteidigung über Kiew übernehmen könnten: “Solche Maßnahmen würden der ukrainischen Armee Bewegungsfreiheit anderswo eröffnen.”
Das höre er nicht nur aus Polen, sondern auch aus Frankreich und Großbritannien. Eine Unterstützung der ukrainischen Armee durch Truppen anderer Länder würde langfristig auch die westlichen Staaten entlasten, so Swistek. Die könnten sich auf Dauer den ständigen Nachschub an Waffen und finanzieller Hilfe auch nicht leisten.
Die Rede ist von fünf Kilometern Vorstoß und fünf befreiten Dörfern in den Regionen Donezk und Saporischschja: Die ukrainische Armee mache Fortschritte im Südosten des Landes, teilte die Regierung in Kiew am Montag mit. Um die ukrainischen Truppen aufzuhalten, soll die russische Armee am Sonntagabend einen weiteren Staudamm am Fluss Mokrye Jaly in der Region Donezk gesprengt haben. Davon berichtete ein ukrainischer Armeesprecher. Überprüfen lässt sich diese Angabe nicht.
Auf Bildern und Videos, die prorussische Telegram-Kanäle verbreiten, ist die Rede von Verlusten westlicher Kampffahrzeugen auf ukrainischer Seite, darunter deutsche Leopard-Panzer und US-amerikanische Bradley-Schützenpanzer. Nach Angaben des Portals Oryx sind bis Montagabend vier Leopard-Panzer und 17 Bradleys zerstört worden. Die Plattform Oryx wird von mehreren Spezialisten für Analysen öffentlich zugänglicher Daten (open source intelligence) betrieben, sie sammeln Bildbeweise über zerstörte Militärtechnik in der Ukraine.
Das britische Verteidigungsministerium berichtete von sehr vielen getöteten und verwundeten Soldaten auf der russischen Seite während des monatelangen Kampfes um die Stadt Bachmut: bis zu 60.000 Männer sollen dabei gestorben oder verwundet worden sein, für jede eroberten “48 Zentimeter ein Soldat”, teilte das britische Ministerium in einem Video auf Russisch mit.
Angesichts der ukrainischen Offensive spitzt sich der Streit zwischen dem russischen Verteidigungsminister und der Söldner-Gruppe Wagner zu. Nach einem Befehl von Sergei Schoigu vom Wochenende sollen alle militärischen “Freiwilligenverbände” bis zum 1. Juli Verträge mit seinem Ministerium unterzeichnen. Sie sollen so der Organisation des Ministeriums unterstellt werden.
Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin lehnt das ab; die von Tschetschenen-Führer Ramsan Kadyrow gegründete Miliz “Achmat” hingegen unterzeichnete am Montag einen entsprechenden Vertrag. Kadyrow hatte sich mehrfach mit Prigoschin solidarisiert und die russische Generalität kritisiert.
Wie angekündigt, reiste am Montag der Leiter der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA), Rafael Grossi, in die Ukraine, um das Atomkraftwerk Saporischschja zu inspizieren. In seinem Tweet vor der Reise kündigte er eine Verstärkung des internationalen Beobachtungsteams vor Ort an. Die IAEA sorgt sich nach der Sprengung des Kachowka-Staudammes vergangener Woche um das Kühlwasser für die Reaktorblöcke. Grossi will sich auch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj treffen, um kurzfristige Maßnahmen zur Sicherung des AKW zu besprechen. vf
Als eine wesentliche Folgerung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine will Deutschland die Luftverteidigung gegen Raketen und Marschflugkörper verbessern. Der Bundestag will dafür in dieser Woche die ersten Neubestellungen für Flugabwehrsysteme billigen. Auf der Tagesordnung des Haushaltsausschusses am Mittwoch stehen die ersten Schritte für den Kauf des israelischen Raketenabwehrsystems Arrow. Außerdem soll das Flugabwehrsystem Iris-T SLM der deutschen Firma Diehl gekauft werden.
Arrow mit den Abwehrraketen Arrow 3 soll sowohl Deutschland als auch im Rahmen der European Sky Shield Initiative (ESSI) benachbarte Länder vor Angriffen mit weit reichenden ballistischen Raketen schützen. Bereits seit dem vergangenen Jahr hatte es darüber Gespräche zwischen der Bundesregierung und der israelischen Regierung gegeben; nötig war zudem die Zustimmung der USA, die an der Entwicklung der staatseigenen israelischen Firma Israel Aircraft Industries (IAI) beteiligt waren.
Dem Haushaltsausschuss liegt eine Vorlage des Verteidigungsministeriums vor, die eine deutsche Verpflichtungserklärung für eine “vorvertragliche Vereinbarung” zur Beschaffung des Systems und der Lenkflugkörper ermöglichen soll. Zunächst sind dafür bis zu 560 Millionen Euro aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr vorgesehen. Die Beschaffung des Gesamtsystems dürfte allerdings etwa drei Milliarden Euro kosten.
Für Raketen und Marschflugkörper kürzerer Reichweite sollen sechs Systeme Iris-T SLM beschafft werden, die sich bereits in der Ukraine bei der Abwehr russischer Raketen, Marschflugkörper und Drohnen bewährt haben. Das erste System soll voraussichtlich bereits im kommenden Jahr geliefert werden. Wann die vollständige Ausstattung bei der Bundeswehr ankommt, ist allerdings noch offen – die Bundesregierung hatte der Ukraine über die zwei bereits gelieferten Iris-T SLM-Systeme sechs weitere zugesagt.
Die Beschaffung von Arrow 3 und Iris-T SLM soll die Raketenabwehr der Luftwaffe ergänzen, die derzeit ausschließlich aus dem US-System Patriot besteht. Von den bislang zwölf deutschen Patriot-Systemen war eines an die Ukraine abgegeben worden, drei sind derzeit in Polen stationiert. Zwei weitere Systeme sollen vom aktuellen Einsatz in der Slowakei abgezogen und zum Schutz des Nato-Gipfels in der litauischen Hauptstadt Vilnius im Juli eingesetzt werden. tw
Am Montag hat mit Air Defender 23 die größte Verlegeübung von Luftstreitkräften seit Gründung der Nato begonnen. Unter deutscher Führung proben bis 23. Juni fast 10.000 Soldatinnen und Soldaten aus 25 Nationen die Verteidigung des europäischen Luftraums im Falle eines Angriffs aus dem Osten auf das Bündnisgebiet. Das Manöver war 2018 als Reaktion auf die russische Einnahme der Krim konzipiert worden.
Die US-Botschafterin in Deutschland, Amy Gutman, sagte vergangene Woche, dass sie überrascht wäre, wenn “irgendein Staatsoberhaupt nicht wahrnehmen würde, was die Übung über die Stärke und den Geist der Allianz” aussage. Das schließe den russischen Präsidenten Wladimir Putin ein.
Neben dem Eurofighter, US-amerikanischen F-35, F-18, F-16 und A10-Kampfjets sowie schwedischen Gripen kommen auch Tornado-Kampfjets bei dem Manöver zum Einsatz. Nicht eingesetzt werden können im deutschen Luftraum die größeren Drohnensysteme der Bundeswehr.
“Da wird man sich sicherlich in mehreren Jahren darüber unterhalten müssen, Drohnen in entsprechende Übungsszenarien zu integrieren”, sagt der Kommodore des taktischen Luftwaffengeschwaders 51 in Jagel, Jörg Schröder, zu Table.Media. Gegen Jahresende will die Bundeswehr eine Heron TP-Drohne aus israelischer Produktion in Jagel stationieren. Bei der Übung sollen über Tschechien allerdings US-Drohnen vom Typ MQ-9 zum Einsatz kommen.
Air Defender 23 soll die Interoperabilität zwischen den Streitkräften der beteiligten Nationen verbessern, darunter neben 23 Nato-Staaten auch Schweden und Japan. “Deutschland kommt hier aufgrund unserer geostrategischen Lage eine ganz wichtige Rolle zu”, so der Inspekteur der Luftwaffe, Ingo Gerhartz, auf dem Luftwaffenstützpunkt im schleswig-holsteinischen Jagel.
In den kommenden neun Tagen üben die Luftstreitkräfte in drei Lufträumen über Deutschland unter anderem den Kampf gegen Drohnen und Marschflugkörper, den Schutz von Städten, Flughäfen und Seehäfen, Evakuierungsoperationen wie zuletzt in Khartum und Kabul sowie die Unterstützung von Bodentruppen. Gerhartz sagte, dass die Einsatzfähigkeit der Eurofighter seit 2018 von 30 Prozent auf 80 Prozent gestiegen sei, während die Quote für die älteren Tornados “weit weg von 80 Prozent” liege.
Air Defender 23 ist zwar die größte Luftwaffen-Verlegeübung seit Gründung der Nato 1945. Das Manöver Carte Blanche 1955 über Westdeutschland war allerdings größer – da die US-Luftwaffenkräfte damals in Europa stationiert waren, mussten sie jedoch nicht verlegt werden. bub
Die großen deutschen Friedensforschungsinstitute haben die Bundesregierung aufgerufen, die Ukraine weiter auch mit Waffen zu unterstützen – und bereits während des anhaltenden Krieges mit Vorbereitungen für Verhandlungen zu beginnen. Eine solche Doppelstrategie müsse berücksichtigen, dass die Ukraine noch “vermutlich sehr lange Zeit” auf militärische Unterstützung aus dem Westen angewiesen sei, sagte die Frankfurter Friedensforscherin Nicole Deitelhoff am Montag bei der Vorstellung des Friedensgutachtens 2023 in Berlin.
Die vier Einrichtungen – das Leibniz-Institut der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt, das Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen, das Bonn International Centre for Conflict Studies und das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg – legen jährlich ein Gutachten zum Stand der Friedens- und Konfliktforschung mit Empfehlungen für die Bundesregierung vor.
Unmittelbar nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine 2022 hatten sich Friedensforscherinnen und -forscher für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen. Forderungen, diese Unterstützung sofort einzustellen und so zu Friedensverhandlungen zu kommen, würden “nach jetzigem Wissensstand keinen greifbaren Frieden bringen”, warnte Deitelhoff.
Die Institute sprachen sich auch für Sicherheitsgarantien für die Ukraine aus, die bereits vor einem Beginn möglicher Verhandlungen über eine Friedenslösung feststehen müssten. Es gehe um die Glaubwürdigkeit dieser Zusagen, betonte Ursula Schröder vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Das bedeute allerdings nicht die Stationierung von Soldaten aus Nato-Mitgliedsländern in der Ukraine. Zu einer militärischen Abwehr müsse das Land selbst befähigt werden.
Mit Sorge blicken die Forschungsinstitute auf den Stand der internationalen Rüstungskontrolle, die durch die Aufkündigung mehrerer Abkommen immer weiter unter Druck gerät. Die Kommunikationskanäle in den noch bestehenden Rüstungskontrollverträgen müssten mehr genutzt werden. Auch die Vereinten Nationen müssten trotz der Probleme mit Russland als Sicherheitsratsmitglied mit Veto-Recht gestärkt werden, wo ihre Aktivitäten funktionierten: “Die UN haben nicht aufgehört zu arbeiten”, sagte Schröder. tw
Der frühere Linken-Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich übernimmt im März 2024 die Leitung des USA-Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York – ein gutes halbes Jahr vor der Präsidentenwahl. “Die Republikanische Partei in den USA erkennt Wahlergebnisse und eine unabhängige Justiz nur noch an, wenn es ihr nützt”, sagte Liebich gegenüber Table.Media. “Diese Trumpisierung bringt die Demokratie in existentielle Gefahr.”
Liebich war nach drei Legislaturperioden als direkt gewählter Abgeordneter bei der Bundestagswahl im September 2021 nicht mehr angetreten. Mit seinen prowestlichen Positionen war er innerhalb der Linkspartei immer wieder angeeckt – unter anderem wegen seiner Mitgliedschaft in der transatlantischen Atlantik-Brücke. “Ich möchte von New York aus informieren und damit dazu beitragen, dass unser Land seine falsche Neutralität beendet und Haltung zeigt“, so Liebich. “Die Mehrheit der US-Demokraten will mit einer Politik, die wieder für die einfachen Leute liefert, den Rechtsruck des Landes beenden. Wie dieses Ringen ausgeht, hat auch für Deutschland Konsequenzen.”
Der 1972 in Wismar geborene Liebich war über viele Jahre Obmann der Linken-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss; die Unterstützung des für Außenpolitik zuständigen Arbeitskreises IV der Bundestagsfraktion jedoch genoss er nie. Dieser wird vom autokratischen, antiwestlichen Flügel um die Sprecherin für Abrüstungspolitik, Sevim Dagdelen, den verteidigungspolitischen Sprecher, Ali Al-Dailami, und den Sprecher für Europapolitik, Andrej Hunko, dominiert. Gemeinsam haben sie die Fraktion in den vergangenen Jahren außenpolitisch auf einen Russland-freundlichen Kurs gebracht; auch Nähe zu den autoritären Regimen in China und Venezuela zählt zur politischen DNA der SED-Nachfolgepartei.
Liebich konnte sich mit seinem Gegenkurs zu den regressiv-autoritären Kräften nicht durchsetzen; auch sein außenpolitisch vielleicht wichtigster in der Fraktion verbliebener Verbündeter, der Parlamentarische Geschäftsführer Jan Korte, hat angekündigt, 2025 nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren. Liebich war es 2009 zum ersten Mal gelungen, den Bundestagswahlkreis Berlin-Pankow gegen den damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse von der SPD zu gewinnen. Auch 2013 und 2017 zog er hier mit Direktmandat in den Bundestag ein. Von 1995 bis 2009 war Liebich Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin. mrb
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Sipri – Atommächte rüsten auf: Die Atommächte investieren angesichts der insgesamt verschlechterten Sicherheitslage auf der Welt in eine Modernisierung ihrer nuklearen Arsenale. Das – und vieles mehr – geht aus dem neuen Jahresbericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri hervor.
Spiegel – So rüsten sich Zivilisten gegen eine russische Invasion (Videoreportage): 14.000 Mitglieder hat die Litauische Schützenunion, ein paramilitärischer Verein, der ähnlich wie in Estland, Lettland und Finnland Freiwillige in die nationale Verteidigungsstrategie einbindet. 21 Minuten.
Foreign Policy – Wie Israel offiziell die Westbank annektiert: Nicht mit viel Pomp, sondern still und leise zieht die Regierung Benjamin Netanjahus die Annektion des seit 1967 besetzten Westjordanlands als Verwaltungsakt durch – und verstößt damit gegen das Völkerrecht, wie der israelische Menschenrechtsanwalt Michael Sfard in seiner Analyse schreibt.
Wall Street Journal – Nord Stream Sabotage Probe Turns to Clues Inside Poland (Paywall): Es deuten aktuell viele Anzeichen darauf hin, dass die Ukraine hinter dem Anschlag auf die Nord-Stream-2-Pipelines steckt. Neuesten Erkenntnissen zufolge könnte polnisches Staatsgebiet als Operationsbasis genutzt worden sein.
Natasha Fox ist als erste Frau in der australischen Armee zur Drei-Sterne-Generalin befördert worden. Seit Anfang Juni leitet die frühere stellvertretende Befehlshaberin des australischen Heers die Personalabteilung der Australian Defence Forces (ADF). Generalleutnant Fox ist damit eine von insgesamt sieben Drei-Sterne-Generalen der ADF. Die Position wurde neu geschaffen, um Personalmanagement und Rekrutierung zu reformieren; sie ist direkt dem Befehlshaber der Streitkräfte unterstellt.
Fox trat 1988 in die Australian Defence Force Academy ein und graduierte 1991 am Royal Military College. Ihre ersten Verwendungen waren im Bereich Logistik. Sie war überdies leitende Ausbilderin an der Australian Defence Force Academy. Fox hat den australischen Generalstabslehrgang absolviert und verfügt über Master-Abschlüsse in Betriebswirtschaft, Politikwissenschaft und Management. Sie war mit den ADF im Libanon, in Syrien und in Israel. Der Frauenanteil in den Streitkräften liegt in Australien bei 16 Prozent, in Deutschland bei 13 Prozent.
Im Zuge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine hatte Australien im März 2022 beschlossen, die Anzahl des militärischen Personals von derzeit 59.800 auf 80.000 im Jahr 2040 aufzustocken, die größte Erweiterung seit vierzig Jahren. Mit den neuen Truppen sollen die Weltraumstreitkräfte, die Cyberabwehr, vor allem aber die Marine ausgebaut werden. Gebraucht werden demnach Soldatinnen und Soldaten für die neuen nuklear angetriebenen U-Boote, die Australien im Rahmen des trilateralen Bündnisses Aukus (Australien, Großbritannien, USA) bekommen wird.
Nicht nur in Europa klagen die Streitkräfte über Schwierigkeiten bei der Personalgewinnung. Der neue Posten einer zentralen Personalabteilung in den ADF geht auf den Bericht zur Überprüfung der Verteidigungsstrategie zurück, der im April veröffentlicht wurde. Laut des Defence Strategic Review stehen die ADF vor “massiven Herausforderungen”: “Ohne kreative und flexible Lösungsansätze wird sich die Personallage im Verteidigungssektor weiter verschlechtern.” Zudem fordert der Review mehr “Risikobereitschaft” im Personalgewinnungsprozess: “Die Gewinnung von Personal muss innerhalb von Tagen und nicht Monaten erreicht werden können.” Nana Brink