nicht nur die Ukraine dürfte diese Woche ganz besonders nach Brüssel und München schauen: Heute treffen sich die Unterstützer für die Ukraine im Ramstein-Format, fast im Anschluss kommen die Nato-Verteidigungsminister zu Beratungen zusammen. Es wird vor allem um konkrete Hilfe für das angegriffene Land gehen. Allerdings muss sich die internationale Gemeinschaft auch die Frage stellen, wie die regelbasierte Weltordnung angesichts des russischen Angriffskrieges erhalten bleiben kann – eine Frage, die auf der Münchner Sicherheitskonferenz ab Freitag diskutiert werden wird. Thomas Wiegold berichtet, wer und was zu erwarten ist.
Das Ansehen des Militärs in den USA ist traditionell sehr hoch, allerdings nicht mehr so hoch wie früher. Die zunehmende, nicht immer vorteilhafte Einmischung der Militärs in die Politik – man denke an den Sturm aufs Kapitol, bei dem viele aktive und ehemalige Soldaten teilnahmen – hat das Image der Armee massiv beschädigt, weiß Nana Brink.
Noch ein kurzer Blick zurück: Im ersten Live.Briefing von Security.Table gestern sprach Viktor Funk mit Stefan Meister von der DGAP und Iryna Solonenko vom Zentrum Liberale Moderne über die fehlende mentale Zeitenwende in Deutschland und die Zukunftsperspektiven für die Ukraine.
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Das traditionelle Treffen der internationalen Sicherheitspolitik steht im Zeichen des nun fast ein Jahr dauernden Kriegs in der Ukraine. Es bildet den Höhepunkt von Tagen hektischer Beratungen vor allem der westlichen Staaten, wie das angegriffene Land besser, schneller und dauerhaft gegen den russischen Angriffskrieg unterstützt werden kann.
Was die stellvertretende ukrainische Ministerpräsidentin Olha Stefanischyna zum Wochenbeginn in Berlin bei einer Auftaktveranstaltung für die Sicherheitskonferenz als “sense of urgency” bezeichnete, ist im Deutschen mit der Forderung nach einem Bewusstsein für die Dringlichkeit weiterer (Waffen)Hilfe nur unzureichend übersetzt. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bezeichnete es in seiner Vorschau für das Verteidigungsministertreffen der Allianz als “ein logistisches Wettrennen”.
Erst einmal ist es allerdings ein Wettrennen der verschiedenen Beratungsformate. Bereits am (heutigen) Dienstag trifft sich die internationale Unterstützergruppe für die Ukraine in Brüssel im sogenannten Ramstein-Format. Das vorangegangene Treffen dieser Koalition war von der Nicht-Einigung über die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine überschattet – die dann ein paar Tage später doch angekündigt wurden. Allerdings ist bislang immer noch nicht klar, wie viele Länder außer Deutschland und Polen tatsächlich Leopard-Kampfpanzer zur Verfügung stellen wollen.
Diesmal dürfte der ukrainische Wunsch nach Kampfjets die Beratungen dominieren. Verteidigungsminister Oleksii Resnikow reist mit konkreten Vorstellungen an, die er auch zuvor via Facebook öffentlich machte: Mehr Munition, verlässliche Zusagen für mehr Kampfpanzer – aber eben auch eine “fliegende Plattform zum Schutz des Himmels über der Ukraine”.
Das Treffen der Ramstein-Gruppe geht fast nahtlos über in das formale Treffen der Nato-Verteidigungsminister. Die haben zwar genügend mit den eigenen Problemen der Allianz zu tun (siehe Meldung in dieser Ausgabe), werden sich aber auch mit den dringenden Wünschen der Ukraine befassen müssen. “Schlüsselfähigkeiten und -ausrüstung wie Munition, Treibstoff und Ersatzteile müssen die Ukraine erreichen, ehe Russland auf dem Schlachtfeld die Initiative ergreifen kann”, forderte der Nato-Generalsekretär. “Geschwindigkeit kann Leben retten.”
Während die Zusammenkünfte auf den verschiedenen Ebenen in Brüssel ganz konkreten Schritten dienen sollen, wird die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) dann eher die grundsätzliche Orientierung für den weiteren Umgang mit der Situation in der Ukraine geben müssen. Von Bundeskanzler Olaf Scholz werden ebenso wie vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron und US-Vizepräsidentin Kamala Harris die Positionierung für die nächsten Schritte erwartet. “Wie geht es weiter?”, beschrieb der neue Konferenzvorsitzende und deutsche Ex-Diplomat Christoph Heusgen das inoffizielle Motto des Münchner Treffens.
Rund 150 Staats- und Regierungschefs und Fachminister vor allem aus den Nato-Staaten, aber auch aus dem sogenannten Globalen Süden wird die Frage beschäftigen, wie eine regelbasierte Weltordnung angesichts des russischen Angriffskrieges weltweit erhalten bleiben kann. Die Sicherheitskonferenz wird dabei, wenig überraschend, aus ihrer traditionellen transatlantischen Orientierung keinen Hehl machen. So wird, das ist durchaus als Demonstration zu verstehen, der nach dem Gründer der Konferenz benannte Ewald-von-Kleist-Preis an die Nato-Anwärter Schweden und Finnland verliehen – als “erneutes Signal der Geschlossenheit des transatlantischen Bündnisses”.
Im Gegenzug fehlen auf dieser Sicherheitskonferenz Vertreter der Länder, die aus westlicher Sicht eben die Gegner der regelbasierten Ordnung sind. Weder Offizielle aus Russland noch aus Iran, auf früheren Münchner Treffen immer vertreten, wurden diesmal eingeladen. Der russischen Propaganda solle kein Forum geboten werden, begründete Heusgen das Vorgehen. Und angesichts der Situation in Iran seien bewusst keine Vertreter Teherans eingeladen worden. China hingegen bleibt ein Gesprächspartner und wird durch den früheren Außenminister und jetzigen Vorsitzenden der außenpolitischen Kommission der Kommunistischen Partei Chinas, Wang Yi, in München vertreten.
Wer zur Münchner Sicherheitskonferenz eingeladen wird, die formal eine private Veranstaltung ist, entscheidet der jeweilige Vorsitzende. Und der neue “Chairman” Heusgen traf auch eine Entscheidung, die weniger außenpolitische Bedeutung hat, dafür das Zeug zum innenpolitischen Streit: Als einzige Bundestagsfraktion darf die AfD keine Teilnehmer in den Bayerischen Hof schicken. Das sei, sagte Heusgen bei der Vorstellung des Programms knapp, “eine Entscheidung des Chairman.”
“Es fehlt noch die mentale und die strategische Zeitwende in diesem Land”, sagte Stefan Meister. “Mir fehlt das Verständnis der Deutschen, dass es um die Sicherheit Deutschlands und Europas geht, nicht nur der Ukraine”, sagte Iryna Solonenko.
Meister leitet das Osteuropa-Zentrum bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Solonenko ist leitende Wissenschaftlerin am Zentrum Liberale Moderne. Beide sind ausgewiesene Fachleute für die Ukraine und Russland, am Montag sprachen sie mit Table.Media im Live-Briefing über ein Jahr Krieg in der Ukraine und über die Perspektiven des von Russland angegriffenen Landes.
Die positive Erkenntnis zuerst: Die Bevölkerung in der Ukraine ist viel widerstandsfähiger als gedacht, auch nach knapp einem Jahr Krieg und russischen Raketenterror sei das Durchhaltevermögen stark. “Die Menschen haben sich an die Stromausfälle gewöhnt, waschen etwa die Wäsche nachts, wenn Strom vorhanden ist. Die Kinder gehen zur Schule oder lernen online, die Krankenhäuser funktionieren. Die Arbeitslosigkeit ist natürlich sehr hoch, es gibt sechs Millionen Binnenflüchtlinge. Aber alle glauben daran, dass die Ukraine siegen wird“, beschrieb Iryna Solonenko die Stimmung im Land.
Eine zweite positive Erkenntnis: Deutschland und die EU beschäftigen sich nun mehr mit der Ukraine. “Es gibt mehr Wissen und eine hohe Solidarität mit der Ukraine”, antwortete Stefan Meister auf die Frage, ob Deutschland inzwischen seinen Nachbarn im Osten mehr Aufmerksamkeit schenke. Auf Belarus angesprochen sagte er jedoch: Belarus war nur kurz in den Medien, ist aber wie der Konflikt in Berg-Karabach wieder aus der Wahrnehmung der westlichen Medien verschwunden.
Meister und Solonenko unterstrichen beide, dass Deutschland eine bessere Expertise für den osteuropäischen und zentralasiatischen Raum brauche. Weil die Expertise fehlte, sind selbst innerhalb der EU Warnungen etwa der baltischen Staaten, Polens und Tschechiens überhört oder ignoriert worden. “Jetzt gibt es Diskussionen, dass wir Lehrstühle für die Ukraine aufbauen. Ob es einen politischen Willen gibt, Ressourcen dafür zu schaffen, wird sich zeigen”, sagte Solonenko.
Kritischer blicken Meister und Solonenko auf die Realpolitik in Deutschland. “Deutschland muss noch einen sehr weiten Weg gehen, um zu verstehen, wie sich die Sicherheitslage in Europa verändert hat”, sagt Meister. Er kritisiert zudem klar Bundeskanzler Olaf Scholz, der nicht nur kein guter Kommunikator sei, sondern offenbar auch nicht führen wolle, “weder Deutschland noch Europa”. Er nimmt Rücksicht auf die skeptischen Stimmen, aber ist das genug? Scholz handelt bisher nur reaktiv. Ich denke, das ist für die jetzige Situation zu wenig.”
Schließlich gehe es auch um die Sicherheit Deutschlands und Europas, nicht nur der Ukraine, ergänzte Solonenko. “Wir müssen überlegen, wie wir die beschädigte Friedens- und Sicherheitsordnung wieder reparieren können.”
Hoffnungen, dass es in Russland einen inneren Wandel geben könnte, der den Krieg in absehbarer Zeit beendet, haben weder Meister noch Soloneko. Meister sagte sogar, der russische Krieg sei “nur ein Element für einen großen globalen Wandel”. Das zeige sich etwa darin, dass nur der Westen die Sanktionen unterstütze, viele Staaten weltweit dagegen nicht. “Und solange das Regime noch Ressourcen hat, Öl, Gas und anderes wird das System sich halten.
Die Ukraine dagegen “brauche mehr als Lippenbekenntnisse – einen EU-Beitritt”, sagte Meister. “Das ist wichtig, damit Menschen bleiben und kämpfen und das Land wieder aufbauen.”
Solonenko unterstrich, dass auch der Nato-Beitritt wichtig sei. “Das ist die einzige Sicherheitsgarantie, die man der Ukraine geben kann. Russland wird immer eine Bedrohung bleiben.”
Dass es für beide Forderungen keine breite und kurzfristige Unterstützung innerhalb der EU und der Nato gibt, ist den Fachleuten klar. Deswegen sei eine Politik der “Zwischenschritte” nötig, zum Beispiel eine schrittweise Integration in den EU-Binnenmarkt. So sei die Verlängerung der günstigen Roaming-Konditionen zwischen ukrainischen und EU-Telekommunikationsunternehmen ein wichtiger Moment, sagte Solonenko.
Dass die Ukraine und Russland demnächst über ein Ende der Kämpfe sprechen könnten, glaubten weder Meister noch Solonenko. Knapp 90 Prozent der Menschen in der Ukraine wollten keine Zugeständnisse machen, sagte Solonenko. Und in Russland unterstütze die Mehrheit den Kurs von Präsident Wladimir Putin, so Meister. “Einen Wandel in Russland gibt es nur, wenn es eine Niederlage in der Ukraine erfährt”, unterstrich Solonenko. Also keine Verhandlungen über die von Russland besetzten Gebiete?
Meister antwortet vorsichtig: “Ich glaube nicht, dass wir all die Waffen liefern würden, die nötig sind, um die besetzten Gebiete zu befreien. Beide Seiten sind erschöpft, es läuft auf eine Stagnation hinaus. Das wird auch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj unter Druck setzten.”
In Kürze soll das zehnte Sanktionspaket der EU gegen Russland verabschiedet werden, die Verhandlungen über die einzelnen Strafen laufen. In diesem Zusammenhang geht es auch um Belarus, das der russischen Armee nicht nur das eigene Territorium zur Verfügung stellt, sondern für Russland auch Munition herstellt. Vor diesem Hintergrund müsste Belarus wie eine Kriegspartei behandelt und die Sanktionen wie denen gegen Russland angepasst werden, forderte Solonenko.
Wenige Tage vor dem Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine geben sich Meister und Solonenko keinen Illusionen hin. Der Krieg könne noch lange dauern, ist ihr Fazit. Sie bezweifeln aber, dass diese Erkenntnis politisch in Deutschland angekommen sei. Mit Lisa-Martina Klein
Das gesamte Gespräch mit Dr. Iryna Solonenko und Dr. Stefan Meister ist hier nachzusehen.
Noch nie in der Geschichte der USA sind so viele Amerikaner unzufrieden mit ihrem Militär gewesen. Laut einer Studie des Ronald Reagan Institute geben nur noch 48 Prozent aller Amerikaner an, sie hätten “großes Vertrauen” in das Militär. Der Negativ-Trend der vergangenen Jahre setzt sich somit fort. Keine andere öffentliche Institution, nach der gefragt wurde, wie der Oberste Gerichtshof, der Kongress, die Präsidentschaft oder die Medien, “hat in dieser Zeit einen so starken Rückgang des öffentlichen Vertrauens erlebt”.
Fünf Jahre zuvor, im Jahr 2017, waren noch 70 Prozent davon überzeugt, das Militär der USA sei eine vertrauenswürdige Institution und diene dem Land. Die Zahlen sind umso bemerkenswerter, da der “Reagan National Defense Survey” von der konservativen und dem Militär gegenüber positiv eingestellten Stiftung des ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan erstellt wurde. Sie werden durch Umfragen des angesehenen Pew Research Center aus Washington gestützt. Demnach hatten 2022 nur noch knapp 50 Prozent aller Amerikaner “großes oder sehr großes Vertrauen” in ihr Militär.
Die Gründe für den andauernden Imageverlust sind laut der Studie nicht in den militärischen Fähigkeiten zu suchen. “Es sind Dinge, die außerhalb der eigentlichen Kompetenz des Militärs liegen, vor allem in der zunehmenden Politisierung”, erklärt Roger Zakheim, Leiter des Washingtoner Büros der Ronald Reagan Stiftung. Ein Trend, den der ehemalige militärische Oberbefehlshaber der Nato, der amerikanische General Philip Breedlove gegenüber Table.Media bestätigte: “Das Militär ist in den vergangenen Jahren zunehmend politisch geworden” und dies ist “keine gute Entwicklung”.
Im US-Wahlkampf 2016 hatten sich mehrere Generale aufseiten der Demokraten und der Republikaner mit Reden auf den jeweiligen Parteitagen in die Politik eingemischt. Einer von ihnen, General Michael Flynn, wurde später Nationaler Sicherheitsberater in der Regierung Trump.
Flynn musste nach nur drei Wochen zurücktreten, weil er Kontakte zu fremden Sicherheitsdiensten hatte, die er verschwiegen hatte. Mit H.R. McMaster wurde im Anschluss ein weiterer hochrangiger Militär Nationaler Sicherheitsberater. Seine Amtszeit währte nur knapp ein Jahr, bevor ihn der damalige Präsident Donald Trump feuerte.
Auch der amtierende Stabschef der US-Armee, Mark Milley, hat die Debatte um die Politisierung der Armee befeuert. In Uniform begleitete er Trump im Juni 2020 bei einem Besuch eines Gottesdienstes. Zuvor war das Gebiet in der Nähe des Weißen Hauses nach Demonstrationen von der Polizei gewaltsam geräumt worden. Man warf Milley vor, das Militär in innenpolitische Angelegenheiten hineingezogen zu haben.
“Die Führungsspitze des Militärs hat es versäumt, in der Trump-Zeit die Grundfeste der Demokratie aktiv zu verteidigen. Sie haben sich dem Präsidenten nicht aktiv in den Weg gestellt”, urteilt der Politikwissenschaftler Michael Werz vom liberalen Washingtoner Think-Tank Center for American Progress. Über 60 Prozent der Befragten des “Reagan National Defense Survey” sind der Meinung, dass sich Uniformierte zu sehr in die Politik einmischen. Eine erstaunliche Anzahl in einem Land, in dem Militärangehörige traditionell ein hohes Ansehen genießen. Kritisiert wird von vielen, dass nach Jim Mattis unter Präsident Trump jetzt auch mit Lloyd Austin unter Präsident Biden wieder ein Ex-Militär Verteidigungsminister ist.
“Der Sturm auf das Capitol, an dem überdurchschnittlich viele Veteranen und aktive Mitglieder der Sicherheitskräfte beteiligt waren, hat erheblich zur Verschlechterung des Images beigetragen. Jeder fünfte Angeklagte war oder ist Militärangehöriger”, analysiert Werz.
Für den ehemaligen Nato-Oberbefehlshaber Breedlove gibt es nur einen Weg, verlorenes Vertrauen in das Militär wiederherzustellen: “Das oberste Gebot ist Zurückhaltung. Angehörige des Militärs sollten weder Stellung zu politischen Dingen nehmen, noch öffentlich Kandidaten unterstützen. Wir sollten eine unpolitische Gruppe bleiben.”
Dieser Name war für viele eine Überraschung: Claudia Plattner soll ab Juli die Leitung des BSI übernehmen. Die Mathematikerin folgt damit auf Arne Schönbohm. Dem hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Herbst in Folge eines Fernsehberichts über angeblich fehlende Distanz zu russischen Akteuren die Ausübung der Dienstgeschäfte verboten. Im Dezember dann, nachdem der Haushaltsausschuss die dortige Leitungsstelle hochdotierte und damit den Weg freimachte, wurde Schönbohm an die Bundesakademie für die öffentliche Verwaltung (BaköV) versetzt.
Mit Plattner kommt eine versierte IT-Managerin an den Rhein. Plattners Vita führt von einer Firma für Finanz-Spezialsoftware über die Deutsche Bahn bis zur Europäischen Zentralbank in Frankfurt, wo sie bis Mitte des Jahres noch als Generaldirektorin für IT zuständig ist. Die EZB wollte Plattner nicht vorzeitig gehen lassen, berichten mit dem Vorgang vertraute Kreise.
Bis Amtsantritt wird Vizepräsident Gerhard Schabhüser das BSI weiterhin leiten, der dies seit dem Kaltstellen Schönbohms bereits übernommen hatte. Schabhüser protestierte gegen das Abservieren Schönbohms per Brief an Faeser – im BSI fand man Faesers Reaktion auf Jan Böhmermanns Fernsehshow überhaupt nicht witzig.
1991 aus dem BND ausgegründet, hat sich das BSI über Jahre den Ruf erarbeitet, tatsächlich vor allem die IT-Sicherheit im Blick zu haben. Einmal als jene Stelle, die für die Sicherheit der IT des Bundes zuständig ist. Aber auch als Behörde, die bei Sicherheitsvorfällen kompetent Rat weiß und mit Personal zur Unterstützung beispringen kann. Etwa, wenn wieder einmal ein Landkreis mit Schadsoftware in die Untätigkeit geschickt wurde oder ein Unternehmen sich nicht mehr zu helfen weiß.
Zugleich ist das BSI ein Sicherheitsbehörden-Unikat: Bestmögliche IT-Sicherheit macht auch eigenen Nachrichtendiensten das Leben schwer. Was sicher vor NSA und dem russischen Pendant GRU sein soll, dürfte auch relativ sicher vor der Abteilung Technische Aufklärung des BND sein. Genau dieser Widerspruch – eine Sicherheitsbehörde, die auch vor Sicherheitsbehörden schützen soll – ist seit Jahren Teil umfangreicher Debatten. Denn bislang ist das BSI eine ganz normale, nachgeordnete Behörde im Geschäftsbereich des Innenministeriums, wie Verfassungsschutz oder Bundeskriminalamt. Und sie soll noch ungewöhnlicher werden.
Im Koalitionsvertrag ist das Ziel einer stärkeren Unabhängigkeit von der politischen Steuerung vorgesehen. “Frau Plattner muss einen Vorschlag machen, wie das BSI unabhängiger werden soll”, sagt Haya Shulman. “Kritiker am jetzigen Status vergleichen das BSI mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten, aber das BSI ist nicht primär eine Aufsichtsbehörde, sondern hat sehr viele operative Aufgaben, zum Beispiel für die Netze des Bundes.” Shulman ist eine der profiliertesten deutschen Cybersicherheitsforscherinnen der Republik.
Was für das BSI Unabhängigkeit bedeuten kann, ist Gegenstand politischer Debatten, im Januar lud der Digitalausschuss des Bundestages eine Vielzahl Experten zur Anhörung. Einer davon: Sven Herpig vom Think-Tank Stiftung Neue Verantwortung. Er sieht als eine zentrale Aufgabe für die kommende BSI-Leitung: “Als Präsidentin muss Frau Plattner das Vertrauen in das BSI als Fachbehörde garantieren, dass es so unabhängig wie möglich von politischen Entscheidungen agiert.” Herpig war einst selbst beim BSI tätig. Die Stiftung Neue Verantwortung veröffentlicht unregelmäßig eine Übersicht der deutschen Zuständigkeiten in der Cybersicherheit.
Die Darstellung erinnert an die berühmten Wimmelbild-Bücher von Ali Mitgutsch: Am Cyber-Zuständigkeits-Chaos wirken Nato, Innenministerium, Verteidigungsministerium, der dem Kanzleramt unterstehende Bundesnachrichtendienst und die Länder nach Kräften mit. “Frau Plattner muss eine Lösung finden, wie die föderale Cybersicherheitsarchitektur so aufgeräumt werden kann, dass es wirklich nützt”, sagt Shulman.
“Manche Länder haben schon selbst viel getan, und das sollte bewahrt werden. Andere aber brauchen und wollen mehr Unterstützung vom BSI, und die sollten sie auch schnell und rechtlich abgesichert bekommen können.” Bayern etwa hat mit einem eigenen Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik einen Sonderweg beschritten – mit inzwischen mehr als 100 Mitarbeitern.
Der Ampel-Koalitionsvertrag sieht auch vor, dass das BSI künftig als Zentralstelle für IT-Sicherheitsvorfälle agieren soll und als erster Ansprechpartner für Schwachstellen in Hard- und Software mit Herstellern in Kontakt treten soll. Aber wie genau? Schließt das auch Erkenntnisse anderer Sicherheitsbehörden ein? Die Experten diskutieren, die Politik streitet.
Von europäischer Ebene kommen schon die nächsten Aufgabenstellungen. Die überarbeitete Netzwerk- und Informationssicherheitsrichtlinie (NIS2) verpflichtet deutlich mehr Bereiche zum Einhalten von IT-Mindeststandards. Und die CER-Richtlinie soll den Schutz von kritischen Infrastrukturen – in Deutschland jenseits der IT weitgehend Länderdomäne – insgesamt in den Blick rücken.
Für die NIS2-Umsetzung plant das BMI eine Überarbeitung des BSI-Gesetzes – für die CER-Richtlinie sollte in Deutschland mit dem KRITIS-Dachgesetz das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) das Offlinependant werden. Doch sieht es derzeit nicht danach aus, dass die Länder hier zu einer größeren Kompetenzverlagerung auf den Bund zu bewegen wären.
Claudia Plattner kommt auf exakt derselben Besoldungsstufe B8 ins Amt, die auch ihr Vorgänger Schönbohm hatte, wie das BMI auf Anfrage bestätigte. Eine Stufe höher und sie wäre eine sogenannte politische Beamtin, die von Ministerinnen und Ministern jederzeit ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können. Wie etwa BKA-Chef, Bundespolizei- oder BfV-Präsident. Aber wenn Nancy Faeser im Herbst ihren Wahlkampf in Hessen gewinnen sollte, wäre sie eh kürzeste Zeit Plattners Chefin gewesen.
Jens Stoltenberg sind Fragen zu seiner eigenen beruflichen Zukunft sichtlich unangenehm. Sein Fokus liege auf der Aufgabe als Nato-Generalsekretär, sagte er vor dem Treffen der Verteidigungsminister am Dienstag und Mittwoch in Brüssel. Seine Sprecherin hatte am Wochenende Berichte dementiert, wonach der Norweger bereits zugestimmt habe, sein eigener Nachfolger zu werden.
Die Nachfolgedebatte kommt für das Militärbündnis zur Unzeit, mitten in einem Krieg auf dem europäischen Kontinent. Tatsache ist, dass das Mandat des Nato-Generalsekretärs am 30. September ausläuft. Der Norweger hatte zudem nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine bereits einmal kurzfristig einer Verlängerung seiner Amtszeit zugestimmt. Damals schon aus Pflichtbewusstsein, schließlich hatte Stoltenberg für den Posten als Präsident der norwegischen Nationalbank zugesagt.
Trotz aller Dementis ist nicht ausgeschlossen, dass der 63-jährige sich noch einmal überreden lässt. Auch wenn Namen für mögliche Nachfolgerinnen bereits zirkulieren. Immer wieder erwähnt werden Estlands Regierungschefin Kaja Kallas, die frühere britische Premierministerin Theresa May oder etwa die ehemalige Präsidentin Kroatiens Kolinda Grabar-Kitarović. Im Gespräch für den Spitzenposten hält sich auch der niederländische Regierungschef Mark Rutte.
Anders als in der EU gibt es in der Nato kein vorgeschriebenes Verfahren, außer dass traditionell die Europäer den Spitzenposten besetzen dürfen. Ein entscheidendes Wort haben die USA als wichtigster Pfeiler der Allianz mitzureden.
Ob Verlängerung oder Neubesetzung, die Staats- und Regierungschefs müssen die Entscheidung beim Nato-Gipfel im Juli in Vilnius treffen. Ein Wechsel in dieser kritischen Phase wäre für die Allianz ungünstig. Wie kritisch die Lage insbesondere in der Ukraine ist, machte Stoltenberg vor dem Treffen der Verteidigungsminister nochmals deutlich.
Diese kommen zuerst im sogenannten Ramstein-Format unter Führung von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin zusammen. Dort dürfte auch die Frage der Lieferung von Kampfflugzeugen wieder aufkommen. Wie immer man zu Kampfflugzeugen stehe, das werde Zeit brauchen, mahnte Stoltenberg. Ähnlich wie bei den Leopard-Panzern wird versucht, eine Allianz zu bilden. Die Niederlande haben bereits signalisiert, sie könnten F-16-Jets abgeben. Auch die Briten wären an Bord. Die Slowakei will Kampfflugzeuge vom Typ MiG-29 beisteuern. Die schnelle Erfüllung der Zusagen zu Schützenpanzern und Kampfpanzern habe jedoch Priorität, deutete Stoltenberg an.
Im Fokus des Treffens am Mittwoch steht deshalb auch die Frage, wie die Nato-Staaten die Produktionskapazitäten ihrer Rüstungsindustrien erhöhen und ihre Lagerbestände wieder füllen können. Der Krieg in der Ukraine führe zu einem “enormen Bedarf an Munition” und zu Lücken in den Beständen der Verbündeten, so der Nato-Chef. “Wir müssen unsere Produktionskapazitäten erhöhen.” Die gute Nachricht sei, dass verschiedene Verbündete bereits mehrjährige Langfristverträge mit der Rüstungsindustrie abgeschlossen hätten. Stoltenberg erwähnte konkret die USA und Frankreich. sti
Die Präsidentin der Ex-Sowjetrepublik Moldau, Maia Sandu, hat vor russischen Umsturzversuchen in ihrem Land gewarnt. Der Plan Moskaus beinhalte, gewalttätige Ausschreitungen und Angriffe auf staatliche moldauische Institutionen anzuzetteln und diese als Proteste zu tarnen, sagte Sandu am Montag Medienberichten zufolge.
“Das Ziel ist es, die verfassungsmäßige und legitime Ordnung in eine illegitime umzuwandeln (…), damit Russland Moldau in seinem Krieg gegen die Ukraine benutzen kann”, fügte die proeuropäische Staatschefin der kleinen Republik hinzu.
Sandu stützte sich bei ihren Aussagen auf Geheimdienst-Dokumente, die Moldau kürzlich von der Ukraine erhalten hat. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte bereits in der vergangenen Woche, Russland habe konkrete Pläne zur Störung der politischen Ordnung in Moldau.
Die kleine Republik zählt zu den ärmsten Ländern Europas und ist immer wieder von politischer Instabilität geplagt. Erst vor wenigen Tagen reichte Regierungschefin Natalia Gavrilița ihren Rücktritt ein. Russland hat traditionell einen großen Einfluss in Moldau – insbesondere in der abtrünnigen Region Transnistrien, wo seit den 1990er Jahren russische Soldaten stationiert sind. dpa
China hat am Montag schwere Spionage-Vorwürfe gegenüber den USA erhoben: Die Vereinigten Staaten hätten allein im vergangenen Jahr mehr als zehn Mal illegale Ballons über China fliegen lassen, sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums in Peking. Zudem habe Peking im vergangenen Jahr 657 Nahaufklärungsflüge im Jahr 2022 und allein in diesem Januar schon 64 Kriegsschiffe im Südchinesischen Meer registriert. “Es ist ziemlich klar, welches Land das führende Spionage-Imperium in der Welt ist”, sagte Wang Wenbin.
Das US-Militär wiederum hat in den vergangenen Tagen vier Flugobjekte über Nordamerika abgeschossen: einen chinesischen Ballon und drei weitere unbekannte Flugobjekte, zu denen bislang allerdings keine Erkenntnisse vorliegen. Vor allem ist nicht bekannt, wo sie herkamen.
Die Vorgänge der vergangenen Tage haben eine Lücke in der amerikanischen Luftverteidigung offengelegt, warnt Malcolm Davis im Gespräch mit Table.Media. Der Wissenschaftler vom renommierten Australian Strategic Policy Institute rechnet mit weiteren Entdeckungen – auch über den USA. Das North American Aerospace Defense Command habe inzwischen die Einstellungen der Sensoren angepasst, sodass nun auch sich langsam bewegende Objekte wie Ballons entdeckt würden, erklärt Davis. rad
ARD-Doku – Krieg im Leben: Ukraine-Korrespondent Vassili Golod geht mit Ukrainerinnen und Ukrainern durch den Alltag. Wie ist das, wenn man sich beeilen muss, weil gleich der Strom weg ist? Wie verarbeiten Künstlerinnen den Dauerstress? Wie ergeht es Vätern, wenn ihre Familie nach der Flucht ins Ausland kurz auf einen Besuch zurückkehrt? Golod geht nah ran und zeigt die inneren Konflikte der Ukrainerinnen und Ukrainer. 45 Minuten.
War on the Rocks – The Iran-Iraq War and the Lessons for Ukraine: Der Beginn des Krieges zwischen Iran und Irak 1980 bis 1988 zeigt Parallelen zum Krieg in der Ukraine beim Verlauf, in der Kriegsführung durch Demoralisierung der Bevölkerung und auf geostrategischem Level. Mit dem Blick auf die Entscheidungen von damals will Ronan Mainprize Entscheidungshilfen für heute liefern.
Foreign Affairs – How Russia Decides to Go Nuclear (Paywall): Unaufgeregt wägt Kristin Ven Bruusgaard ab, unter welchen Umständen Russland Atomwaffen einsetzen könnte, wie ein Einsatz ablaufen würde, wie sich die Protokolle von denen der USA unterscheiden und was die Konsequenzen aus diesen Unterschieden sind.
Arte-Doku – Propagandaschlacht um die Ukraine: Mit Expertise aus der Ukraine, Russland und Deutschland werden Propagandavideos aus dem Krieg in der Ukraine ausgewertet. Wie auf beiden Seiten Spindoktoren versuchen, das Geschehen umzudeuten. 90 Minuten. Für Fans des linearen Fernsehens auch heute um 21.45 Uhr auf Arte.
The National Interest – There Is No ‘Global South’ and ‘West’ When It Comes to Ukraine: Die USA seien seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht wegen ihrer Unterstützung ärmerer Länder beliebt gewesen, sondern weil sie die Sieger waren und ihr Wirtschaftsmodell Aufstieg ermöglichte. Leon Hadar legt dar, warum eigene Interessen und nicht Idealismus bei Ländern des Globalen Südens die Triebfedern bei der Unterstützung der Ukraine sind.
Drei Wochen vor der Rede de Villepins 2003 hatte Bundespräsident Johannes Rau anlässlich des 40. Jubiläums des Élysée-Vertrags den französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac in Berlin empfangen. Rau unterstrich dabei den Wert der deutsch-französischen Versöhnung für die europäische Integration: “Unsere Partner wissen, wie wichtig es ist, dass Deutschland und Frankreich gemeinsam vorangehen, damit das europäische Einigungswerk gelingt.”
Noch einen Tag zuvor hatte sich US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld auf der anderen Seite des Atlantiks ganz anders geäußert. Auf den Widerstand mancher Europäer gegen US-Pläne zur Invasion des Iraks angesprochen, antwortete Rumsfeld vor Journalisten: “Wenn Sie an Europa denken, denken Sie an Deutschland und Frankreich. Ich nicht. Ich denke, das ist das alte Europa. Betrachtet man heute aber Nato-Europa, so verlagert sich das Gleichgewicht nach Osten.” Die Nato hatte gerade ihre erste Osterweiterung hinter sich, die EU-Ost-Erweiterung stand bevor. Ein neues “Nato-Europa” war in der Entstehung begriffen, dass sich mit den Beitritten der baltischen und osteuropäischen Mitgliedstaaten seitdem konsolidiert hat.
In Paris sah man die Dinge 2003, wie zuvor und auch danach, naturgemäß anders. Die Staatsraison der Fünften Republik beruht seit 1958 auf dem Anspruch, dass Frankreich eine souveräne Macht bleibt, allem Einflussverlust seit 1945 zum Trotz. Sie speist sich aus dem Selbstverständnis als Sieger zweier Weltkriege, dem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat und seit den 1960er Jahren aus der nuklearen Bewaffnung. Letztere machte für den Übervater der Fünften Republik, Charles de Gaulle, die Nato-Mitgliedschaft zweitrangig. 1966 verließ Frankreich die integrierte Kommandostruktur der Allianz und trat erst 2009 wieder bei. Frankreichs Verhältnis zur Nato bleibt eines, das auf Eigenständigkeit pocht und bis heute Teile ausklammert, etwa die Teilnahme an der Nuclear Planning Group.
Diese Vorgeschichte stand im Raum, als de Villepin am 14. Februar 2003 im UN-Sicherheitsrat seine versammelten Kollegen beschwor, die militärische Option nicht zu überstürzen, der UN-Resolution 1441 vom 8. November 2002 Zeit zu geben und Chefinspektor Hans Blix sowie dem Leiter der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohammed al-Baradei, zu vertrauen. Er verteidigte die Resolution gegen Stimmen, die eine Verzögerungstaktik Saddam Husseins hinter der Mission vermuteten, allen voran George W. Bush. Dessen Außenminister, Colin Powell, hatte Anfang Februar Verbindungen zwischen al Qaida und dem irakischen Regime angedeutet.
De Villepin wies das scharf zurück und warnte vor den Konsequenzen einer Invasion: “Vergessen wir nicht, dass nach dem Krieg der Frieden gewonnen werden muss.” Ein Krieg drohe nicht nur fatale Folgen für die Stabilität der Region zu haben, sondern auch für die internationalen Beziehungen. Schließlich beruhten Autorität und Legitimität des UN-Sicherheitsrates auf der Einigkeit der Mitglieder. Seine Rede “im Tempel der Vereinten Nationen” schloss de Villepin mit einer Replik auf Rumsfelds Äußerungen zum alten, deutsch-französischen Europa: “Lassen Sie sich das sagen, von einem alten Land, Frankreich, von einem alten Kontinent wie dem meinen, Europa”.
Rund einen Monat später, am 19. März 2003, begann die Irak-Invasion. Die Bush-Regierung ignorierte die Warnungen und handelte ohne UN-Mandat – als Supermacht mit einer Koalition der Willigen.
Für die irakische Bevölkerung, die Stabilität in der Region und die internationalen Beziehungen hatte der Krieg fatale Folgen. Die vergangenen zwei Jahrzehnte haben de Villepin Recht gegeben. Einer der Zuhörer des französischen Außenministers war 2003 Sergej Lawrow, heute russischer Außenminister, damals ständiger Vertreter im Sicherheitsrat. Dass de Villepins Warnungen ungehört verhallten, zeigte Lawrow und den Vertretern vieler anderer Staaten, dass internationales Recht eben doch nicht für alle gleich ist. Diese Lehre wird nun zitiert, wenn westliche Staaten die Verurteilung des russischen Angriffs auf die Ukraine fordern.
Für Frankreich waren die Folgen der Rede und des deutsch-französischen Widerstands gegen die Invasion des Iraks zwiespältig. Das Verhältnis zu den USA nahm massiven Schaden: Gastronomen an der Ostküste boykottierten französische Weine und in den Kantinen auf dem Capitol Hill wurden die “French Fries” in “Freedom Fries” umbenannt. Gleichzeitig war Frankreichs Ruf in der arabischen Welt wohl nie so gut wie im Sommer 2003. Für die französische Diplomatie bleibt die Rede de Villepins ein Artefakt der Souveränität, dessen Entstehung in einem preisgekrönten Comic und einem erfolgreichen Kinofilm verewigt wurde.
Und Europa? Bei der europäischen Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik hat sich seit 2003 kaum etwas getan. Die Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags vor kurzem konnten nicht verdecken, dass vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine das “Nato-Europa” Rumsfelds heute wesentlich klarere Konturen hat als das “souveräne Europa” Emmanuel Macrons.
nicht nur die Ukraine dürfte diese Woche ganz besonders nach Brüssel und München schauen: Heute treffen sich die Unterstützer für die Ukraine im Ramstein-Format, fast im Anschluss kommen die Nato-Verteidigungsminister zu Beratungen zusammen. Es wird vor allem um konkrete Hilfe für das angegriffene Land gehen. Allerdings muss sich die internationale Gemeinschaft auch die Frage stellen, wie die regelbasierte Weltordnung angesichts des russischen Angriffskrieges erhalten bleiben kann – eine Frage, die auf der Münchner Sicherheitskonferenz ab Freitag diskutiert werden wird. Thomas Wiegold berichtet, wer und was zu erwarten ist.
Das Ansehen des Militärs in den USA ist traditionell sehr hoch, allerdings nicht mehr so hoch wie früher. Die zunehmende, nicht immer vorteilhafte Einmischung der Militärs in die Politik – man denke an den Sturm aufs Kapitol, bei dem viele aktive und ehemalige Soldaten teilnahmen – hat das Image der Armee massiv beschädigt, weiß Nana Brink.
Noch ein kurzer Blick zurück: Im ersten Live.Briefing von Security.Table gestern sprach Viktor Funk mit Stefan Meister von der DGAP und Iryna Solonenko vom Zentrum Liberale Moderne über die fehlende mentale Zeitenwende in Deutschland und die Zukunftsperspektiven für die Ukraine.
Wenn Ihnen der Security.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Und wenn Ihnen diese Mail zugeleitet wurde: Hier können Sie sich für das Security-Briefing und weitere Themen anmelden.
Das traditionelle Treffen der internationalen Sicherheitspolitik steht im Zeichen des nun fast ein Jahr dauernden Kriegs in der Ukraine. Es bildet den Höhepunkt von Tagen hektischer Beratungen vor allem der westlichen Staaten, wie das angegriffene Land besser, schneller und dauerhaft gegen den russischen Angriffskrieg unterstützt werden kann.
Was die stellvertretende ukrainische Ministerpräsidentin Olha Stefanischyna zum Wochenbeginn in Berlin bei einer Auftaktveranstaltung für die Sicherheitskonferenz als “sense of urgency” bezeichnete, ist im Deutschen mit der Forderung nach einem Bewusstsein für die Dringlichkeit weiterer (Waffen)Hilfe nur unzureichend übersetzt. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bezeichnete es in seiner Vorschau für das Verteidigungsministertreffen der Allianz als “ein logistisches Wettrennen”.
Erst einmal ist es allerdings ein Wettrennen der verschiedenen Beratungsformate. Bereits am (heutigen) Dienstag trifft sich die internationale Unterstützergruppe für die Ukraine in Brüssel im sogenannten Ramstein-Format. Das vorangegangene Treffen dieser Koalition war von der Nicht-Einigung über die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine überschattet – die dann ein paar Tage später doch angekündigt wurden. Allerdings ist bislang immer noch nicht klar, wie viele Länder außer Deutschland und Polen tatsächlich Leopard-Kampfpanzer zur Verfügung stellen wollen.
Diesmal dürfte der ukrainische Wunsch nach Kampfjets die Beratungen dominieren. Verteidigungsminister Oleksii Resnikow reist mit konkreten Vorstellungen an, die er auch zuvor via Facebook öffentlich machte: Mehr Munition, verlässliche Zusagen für mehr Kampfpanzer – aber eben auch eine “fliegende Plattform zum Schutz des Himmels über der Ukraine”.
Das Treffen der Ramstein-Gruppe geht fast nahtlos über in das formale Treffen der Nato-Verteidigungsminister. Die haben zwar genügend mit den eigenen Problemen der Allianz zu tun (siehe Meldung in dieser Ausgabe), werden sich aber auch mit den dringenden Wünschen der Ukraine befassen müssen. “Schlüsselfähigkeiten und -ausrüstung wie Munition, Treibstoff und Ersatzteile müssen die Ukraine erreichen, ehe Russland auf dem Schlachtfeld die Initiative ergreifen kann”, forderte der Nato-Generalsekretär. “Geschwindigkeit kann Leben retten.”
Während die Zusammenkünfte auf den verschiedenen Ebenen in Brüssel ganz konkreten Schritten dienen sollen, wird die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) dann eher die grundsätzliche Orientierung für den weiteren Umgang mit der Situation in der Ukraine geben müssen. Von Bundeskanzler Olaf Scholz werden ebenso wie vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron und US-Vizepräsidentin Kamala Harris die Positionierung für die nächsten Schritte erwartet. “Wie geht es weiter?”, beschrieb der neue Konferenzvorsitzende und deutsche Ex-Diplomat Christoph Heusgen das inoffizielle Motto des Münchner Treffens.
Rund 150 Staats- und Regierungschefs und Fachminister vor allem aus den Nato-Staaten, aber auch aus dem sogenannten Globalen Süden wird die Frage beschäftigen, wie eine regelbasierte Weltordnung angesichts des russischen Angriffskrieges weltweit erhalten bleiben kann. Die Sicherheitskonferenz wird dabei, wenig überraschend, aus ihrer traditionellen transatlantischen Orientierung keinen Hehl machen. So wird, das ist durchaus als Demonstration zu verstehen, der nach dem Gründer der Konferenz benannte Ewald-von-Kleist-Preis an die Nato-Anwärter Schweden und Finnland verliehen – als “erneutes Signal der Geschlossenheit des transatlantischen Bündnisses”.
Im Gegenzug fehlen auf dieser Sicherheitskonferenz Vertreter der Länder, die aus westlicher Sicht eben die Gegner der regelbasierten Ordnung sind. Weder Offizielle aus Russland noch aus Iran, auf früheren Münchner Treffen immer vertreten, wurden diesmal eingeladen. Der russischen Propaganda solle kein Forum geboten werden, begründete Heusgen das Vorgehen. Und angesichts der Situation in Iran seien bewusst keine Vertreter Teherans eingeladen worden. China hingegen bleibt ein Gesprächspartner und wird durch den früheren Außenminister und jetzigen Vorsitzenden der außenpolitischen Kommission der Kommunistischen Partei Chinas, Wang Yi, in München vertreten.
Wer zur Münchner Sicherheitskonferenz eingeladen wird, die formal eine private Veranstaltung ist, entscheidet der jeweilige Vorsitzende. Und der neue “Chairman” Heusgen traf auch eine Entscheidung, die weniger außenpolitische Bedeutung hat, dafür das Zeug zum innenpolitischen Streit: Als einzige Bundestagsfraktion darf die AfD keine Teilnehmer in den Bayerischen Hof schicken. Das sei, sagte Heusgen bei der Vorstellung des Programms knapp, “eine Entscheidung des Chairman.”
“Es fehlt noch die mentale und die strategische Zeitwende in diesem Land”, sagte Stefan Meister. “Mir fehlt das Verständnis der Deutschen, dass es um die Sicherheit Deutschlands und Europas geht, nicht nur der Ukraine”, sagte Iryna Solonenko.
Meister leitet das Osteuropa-Zentrum bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Solonenko ist leitende Wissenschaftlerin am Zentrum Liberale Moderne. Beide sind ausgewiesene Fachleute für die Ukraine und Russland, am Montag sprachen sie mit Table.Media im Live-Briefing über ein Jahr Krieg in der Ukraine und über die Perspektiven des von Russland angegriffenen Landes.
Die positive Erkenntnis zuerst: Die Bevölkerung in der Ukraine ist viel widerstandsfähiger als gedacht, auch nach knapp einem Jahr Krieg und russischen Raketenterror sei das Durchhaltevermögen stark. “Die Menschen haben sich an die Stromausfälle gewöhnt, waschen etwa die Wäsche nachts, wenn Strom vorhanden ist. Die Kinder gehen zur Schule oder lernen online, die Krankenhäuser funktionieren. Die Arbeitslosigkeit ist natürlich sehr hoch, es gibt sechs Millionen Binnenflüchtlinge. Aber alle glauben daran, dass die Ukraine siegen wird“, beschrieb Iryna Solonenko die Stimmung im Land.
Eine zweite positive Erkenntnis: Deutschland und die EU beschäftigen sich nun mehr mit der Ukraine. “Es gibt mehr Wissen und eine hohe Solidarität mit der Ukraine”, antwortete Stefan Meister auf die Frage, ob Deutschland inzwischen seinen Nachbarn im Osten mehr Aufmerksamkeit schenke. Auf Belarus angesprochen sagte er jedoch: Belarus war nur kurz in den Medien, ist aber wie der Konflikt in Berg-Karabach wieder aus der Wahrnehmung der westlichen Medien verschwunden.
Meister und Solonenko unterstrichen beide, dass Deutschland eine bessere Expertise für den osteuropäischen und zentralasiatischen Raum brauche. Weil die Expertise fehlte, sind selbst innerhalb der EU Warnungen etwa der baltischen Staaten, Polens und Tschechiens überhört oder ignoriert worden. “Jetzt gibt es Diskussionen, dass wir Lehrstühle für die Ukraine aufbauen. Ob es einen politischen Willen gibt, Ressourcen dafür zu schaffen, wird sich zeigen”, sagte Solonenko.
Kritischer blicken Meister und Solonenko auf die Realpolitik in Deutschland. “Deutschland muss noch einen sehr weiten Weg gehen, um zu verstehen, wie sich die Sicherheitslage in Europa verändert hat”, sagt Meister. Er kritisiert zudem klar Bundeskanzler Olaf Scholz, der nicht nur kein guter Kommunikator sei, sondern offenbar auch nicht führen wolle, “weder Deutschland noch Europa”. Er nimmt Rücksicht auf die skeptischen Stimmen, aber ist das genug? Scholz handelt bisher nur reaktiv. Ich denke, das ist für die jetzige Situation zu wenig.”
Schließlich gehe es auch um die Sicherheit Deutschlands und Europas, nicht nur der Ukraine, ergänzte Solonenko. “Wir müssen überlegen, wie wir die beschädigte Friedens- und Sicherheitsordnung wieder reparieren können.”
Hoffnungen, dass es in Russland einen inneren Wandel geben könnte, der den Krieg in absehbarer Zeit beendet, haben weder Meister noch Soloneko. Meister sagte sogar, der russische Krieg sei “nur ein Element für einen großen globalen Wandel”. Das zeige sich etwa darin, dass nur der Westen die Sanktionen unterstütze, viele Staaten weltweit dagegen nicht. “Und solange das Regime noch Ressourcen hat, Öl, Gas und anderes wird das System sich halten.
Die Ukraine dagegen “brauche mehr als Lippenbekenntnisse – einen EU-Beitritt”, sagte Meister. “Das ist wichtig, damit Menschen bleiben und kämpfen und das Land wieder aufbauen.”
Solonenko unterstrich, dass auch der Nato-Beitritt wichtig sei. “Das ist die einzige Sicherheitsgarantie, die man der Ukraine geben kann. Russland wird immer eine Bedrohung bleiben.”
Dass es für beide Forderungen keine breite und kurzfristige Unterstützung innerhalb der EU und der Nato gibt, ist den Fachleuten klar. Deswegen sei eine Politik der “Zwischenschritte” nötig, zum Beispiel eine schrittweise Integration in den EU-Binnenmarkt. So sei die Verlängerung der günstigen Roaming-Konditionen zwischen ukrainischen und EU-Telekommunikationsunternehmen ein wichtiger Moment, sagte Solonenko.
Dass die Ukraine und Russland demnächst über ein Ende der Kämpfe sprechen könnten, glaubten weder Meister noch Solonenko. Knapp 90 Prozent der Menschen in der Ukraine wollten keine Zugeständnisse machen, sagte Solonenko. Und in Russland unterstütze die Mehrheit den Kurs von Präsident Wladimir Putin, so Meister. “Einen Wandel in Russland gibt es nur, wenn es eine Niederlage in der Ukraine erfährt”, unterstrich Solonenko. Also keine Verhandlungen über die von Russland besetzten Gebiete?
Meister antwortet vorsichtig: “Ich glaube nicht, dass wir all die Waffen liefern würden, die nötig sind, um die besetzten Gebiete zu befreien. Beide Seiten sind erschöpft, es läuft auf eine Stagnation hinaus. Das wird auch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj unter Druck setzten.”
In Kürze soll das zehnte Sanktionspaket der EU gegen Russland verabschiedet werden, die Verhandlungen über die einzelnen Strafen laufen. In diesem Zusammenhang geht es auch um Belarus, das der russischen Armee nicht nur das eigene Territorium zur Verfügung stellt, sondern für Russland auch Munition herstellt. Vor diesem Hintergrund müsste Belarus wie eine Kriegspartei behandelt und die Sanktionen wie denen gegen Russland angepasst werden, forderte Solonenko.
Wenige Tage vor dem Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine geben sich Meister und Solonenko keinen Illusionen hin. Der Krieg könne noch lange dauern, ist ihr Fazit. Sie bezweifeln aber, dass diese Erkenntnis politisch in Deutschland angekommen sei. Mit Lisa-Martina Klein
Das gesamte Gespräch mit Dr. Iryna Solonenko und Dr. Stefan Meister ist hier nachzusehen.
Noch nie in der Geschichte der USA sind so viele Amerikaner unzufrieden mit ihrem Militär gewesen. Laut einer Studie des Ronald Reagan Institute geben nur noch 48 Prozent aller Amerikaner an, sie hätten “großes Vertrauen” in das Militär. Der Negativ-Trend der vergangenen Jahre setzt sich somit fort. Keine andere öffentliche Institution, nach der gefragt wurde, wie der Oberste Gerichtshof, der Kongress, die Präsidentschaft oder die Medien, “hat in dieser Zeit einen so starken Rückgang des öffentlichen Vertrauens erlebt”.
Fünf Jahre zuvor, im Jahr 2017, waren noch 70 Prozent davon überzeugt, das Militär der USA sei eine vertrauenswürdige Institution und diene dem Land. Die Zahlen sind umso bemerkenswerter, da der “Reagan National Defense Survey” von der konservativen und dem Militär gegenüber positiv eingestellten Stiftung des ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan erstellt wurde. Sie werden durch Umfragen des angesehenen Pew Research Center aus Washington gestützt. Demnach hatten 2022 nur noch knapp 50 Prozent aller Amerikaner “großes oder sehr großes Vertrauen” in ihr Militär.
Die Gründe für den andauernden Imageverlust sind laut der Studie nicht in den militärischen Fähigkeiten zu suchen. “Es sind Dinge, die außerhalb der eigentlichen Kompetenz des Militärs liegen, vor allem in der zunehmenden Politisierung”, erklärt Roger Zakheim, Leiter des Washingtoner Büros der Ronald Reagan Stiftung. Ein Trend, den der ehemalige militärische Oberbefehlshaber der Nato, der amerikanische General Philip Breedlove gegenüber Table.Media bestätigte: “Das Militär ist in den vergangenen Jahren zunehmend politisch geworden” und dies ist “keine gute Entwicklung”.
Im US-Wahlkampf 2016 hatten sich mehrere Generale aufseiten der Demokraten und der Republikaner mit Reden auf den jeweiligen Parteitagen in die Politik eingemischt. Einer von ihnen, General Michael Flynn, wurde später Nationaler Sicherheitsberater in der Regierung Trump.
Flynn musste nach nur drei Wochen zurücktreten, weil er Kontakte zu fremden Sicherheitsdiensten hatte, die er verschwiegen hatte. Mit H.R. McMaster wurde im Anschluss ein weiterer hochrangiger Militär Nationaler Sicherheitsberater. Seine Amtszeit währte nur knapp ein Jahr, bevor ihn der damalige Präsident Donald Trump feuerte.
Auch der amtierende Stabschef der US-Armee, Mark Milley, hat die Debatte um die Politisierung der Armee befeuert. In Uniform begleitete er Trump im Juni 2020 bei einem Besuch eines Gottesdienstes. Zuvor war das Gebiet in der Nähe des Weißen Hauses nach Demonstrationen von der Polizei gewaltsam geräumt worden. Man warf Milley vor, das Militär in innenpolitische Angelegenheiten hineingezogen zu haben.
“Die Führungsspitze des Militärs hat es versäumt, in der Trump-Zeit die Grundfeste der Demokratie aktiv zu verteidigen. Sie haben sich dem Präsidenten nicht aktiv in den Weg gestellt”, urteilt der Politikwissenschaftler Michael Werz vom liberalen Washingtoner Think-Tank Center for American Progress. Über 60 Prozent der Befragten des “Reagan National Defense Survey” sind der Meinung, dass sich Uniformierte zu sehr in die Politik einmischen. Eine erstaunliche Anzahl in einem Land, in dem Militärangehörige traditionell ein hohes Ansehen genießen. Kritisiert wird von vielen, dass nach Jim Mattis unter Präsident Trump jetzt auch mit Lloyd Austin unter Präsident Biden wieder ein Ex-Militär Verteidigungsminister ist.
“Der Sturm auf das Capitol, an dem überdurchschnittlich viele Veteranen und aktive Mitglieder der Sicherheitskräfte beteiligt waren, hat erheblich zur Verschlechterung des Images beigetragen. Jeder fünfte Angeklagte war oder ist Militärangehöriger”, analysiert Werz.
Für den ehemaligen Nato-Oberbefehlshaber Breedlove gibt es nur einen Weg, verlorenes Vertrauen in das Militär wiederherzustellen: “Das oberste Gebot ist Zurückhaltung. Angehörige des Militärs sollten weder Stellung zu politischen Dingen nehmen, noch öffentlich Kandidaten unterstützen. Wir sollten eine unpolitische Gruppe bleiben.”
Dieser Name war für viele eine Überraschung: Claudia Plattner soll ab Juli die Leitung des BSI übernehmen. Die Mathematikerin folgt damit auf Arne Schönbohm. Dem hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Herbst in Folge eines Fernsehberichts über angeblich fehlende Distanz zu russischen Akteuren die Ausübung der Dienstgeschäfte verboten. Im Dezember dann, nachdem der Haushaltsausschuss die dortige Leitungsstelle hochdotierte und damit den Weg freimachte, wurde Schönbohm an die Bundesakademie für die öffentliche Verwaltung (BaköV) versetzt.
Mit Plattner kommt eine versierte IT-Managerin an den Rhein. Plattners Vita führt von einer Firma für Finanz-Spezialsoftware über die Deutsche Bahn bis zur Europäischen Zentralbank in Frankfurt, wo sie bis Mitte des Jahres noch als Generaldirektorin für IT zuständig ist. Die EZB wollte Plattner nicht vorzeitig gehen lassen, berichten mit dem Vorgang vertraute Kreise.
Bis Amtsantritt wird Vizepräsident Gerhard Schabhüser das BSI weiterhin leiten, der dies seit dem Kaltstellen Schönbohms bereits übernommen hatte. Schabhüser protestierte gegen das Abservieren Schönbohms per Brief an Faeser – im BSI fand man Faesers Reaktion auf Jan Böhmermanns Fernsehshow überhaupt nicht witzig.
1991 aus dem BND ausgegründet, hat sich das BSI über Jahre den Ruf erarbeitet, tatsächlich vor allem die IT-Sicherheit im Blick zu haben. Einmal als jene Stelle, die für die Sicherheit der IT des Bundes zuständig ist. Aber auch als Behörde, die bei Sicherheitsvorfällen kompetent Rat weiß und mit Personal zur Unterstützung beispringen kann. Etwa, wenn wieder einmal ein Landkreis mit Schadsoftware in die Untätigkeit geschickt wurde oder ein Unternehmen sich nicht mehr zu helfen weiß.
Zugleich ist das BSI ein Sicherheitsbehörden-Unikat: Bestmögliche IT-Sicherheit macht auch eigenen Nachrichtendiensten das Leben schwer. Was sicher vor NSA und dem russischen Pendant GRU sein soll, dürfte auch relativ sicher vor der Abteilung Technische Aufklärung des BND sein. Genau dieser Widerspruch – eine Sicherheitsbehörde, die auch vor Sicherheitsbehörden schützen soll – ist seit Jahren Teil umfangreicher Debatten. Denn bislang ist das BSI eine ganz normale, nachgeordnete Behörde im Geschäftsbereich des Innenministeriums, wie Verfassungsschutz oder Bundeskriminalamt. Und sie soll noch ungewöhnlicher werden.
Im Koalitionsvertrag ist das Ziel einer stärkeren Unabhängigkeit von der politischen Steuerung vorgesehen. “Frau Plattner muss einen Vorschlag machen, wie das BSI unabhängiger werden soll”, sagt Haya Shulman. “Kritiker am jetzigen Status vergleichen das BSI mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten, aber das BSI ist nicht primär eine Aufsichtsbehörde, sondern hat sehr viele operative Aufgaben, zum Beispiel für die Netze des Bundes.” Shulman ist eine der profiliertesten deutschen Cybersicherheitsforscherinnen der Republik.
Was für das BSI Unabhängigkeit bedeuten kann, ist Gegenstand politischer Debatten, im Januar lud der Digitalausschuss des Bundestages eine Vielzahl Experten zur Anhörung. Einer davon: Sven Herpig vom Think-Tank Stiftung Neue Verantwortung. Er sieht als eine zentrale Aufgabe für die kommende BSI-Leitung: “Als Präsidentin muss Frau Plattner das Vertrauen in das BSI als Fachbehörde garantieren, dass es so unabhängig wie möglich von politischen Entscheidungen agiert.” Herpig war einst selbst beim BSI tätig. Die Stiftung Neue Verantwortung veröffentlicht unregelmäßig eine Übersicht der deutschen Zuständigkeiten in der Cybersicherheit.
Die Darstellung erinnert an die berühmten Wimmelbild-Bücher von Ali Mitgutsch: Am Cyber-Zuständigkeits-Chaos wirken Nato, Innenministerium, Verteidigungsministerium, der dem Kanzleramt unterstehende Bundesnachrichtendienst und die Länder nach Kräften mit. “Frau Plattner muss eine Lösung finden, wie die föderale Cybersicherheitsarchitektur so aufgeräumt werden kann, dass es wirklich nützt”, sagt Shulman.
“Manche Länder haben schon selbst viel getan, und das sollte bewahrt werden. Andere aber brauchen und wollen mehr Unterstützung vom BSI, und die sollten sie auch schnell und rechtlich abgesichert bekommen können.” Bayern etwa hat mit einem eigenen Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik einen Sonderweg beschritten – mit inzwischen mehr als 100 Mitarbeitern.
Der Ampel-Koalitionsvertrag sieht auch vor, dass das BSI künftig als Zentralstelle für IT-Sicherheitsvorfälle agieren soll und als erster Ansprechpartner für Schwachstellen in Hard- und Software mit Herstellern in Kontakt treten soll. Aber wie genau? Schließt das auch Erkenntnisse anderer Sicherheitsbehörden ein? Die Experten diskutieren, die Politik streitet.
Von europäischer Ebene kommen schon die nächsten Aufgabenstellungen. Die überarbeitete Netzwerk- und Informationssicherheitsrichtlinie (NIS2) verpflichtet deutlich mehr Bereiche zum Einhalten von IT-Mindeststandards. Und die CER-Richtlinie soll den Schutz von kritischen Infrastrukturen – in Deutschland jenseits der IT weitgehend Länderdomäne – insgesamt in den Blick rücken.
Für die NIS2-Umsetzung plant das BMI eine Überarbeitung des BSI-Gesetzes – für die CER-Richtlinie sollte in Deutschland mit dem KRITIS-Dachgesetz das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) das Offlinependant werden. Doch sieht es derzeit nicht danach aus, dass die Länder hier zu einer größeren Kompetenzverlagerung auf den Bund zu bewegen wären.
Claudia Plattner kommt auf exakt derselben Besoldungsstufe B8 ins Amt, die auch ihr Vorgänger Schönbohm hatte, wie das BMI auf Anfrage bestätigte. Eine Stufe höher und sie wäre eine sogenannte politische Beamtin, die von Ministerinnen und Ministern jederzeit ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können. Wie etwa BKA-Chef, Bundespolizei- oder BfV-Präsident. Aber wenn Nancy Faeser im Herbst ihren Wahlkampf in Hessen gewinnen sollte, wäre sie eh kürzeste Zeit Plattners Chefin gewesen.
Jens Stoltenberg sind Fragen zu seiner eigenen beruflichen Zukunft sichtlich unangenehm. Sein Fokus liege auf der Aufgabe als Nato-Generalsekretär, sagte er vor dem Treffen der Verteidigungsminister am Dienstag und Mittwoch in Brüssel. Seine Sprecherin hatte am Wochenende Berichte dementiert, wonach der Norweger bereits zugestimmt habe, sein eigener Nachfolger zu werden.
Die Nachfolgedebatte kommt für das Militärbündnis zur Unzeit, mitten in einem Krieg auf dem europäischen Kontinent. Tatsache ist, dass das Mandat des Nato-Generalsekretärs am 30. September ausläuft. Der Norweger hatte zudem nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine bereits einmal kurzfristig einer Verlängerung seiner Amtszeit zugestimmt. Damals schon aus Pflichtbewusstsein, schließlich hatte Stoltenberg für den Posten als Präsident der norwegischen Nationalbank zugesagt.
Trotz aller Dementis ist nicht ausgeschlossen, dass der 63-jährige sich noch einmal überreden lässt. Auch wenn Namen für mögliche Nachfolgerinnen bereits zirkulieren. Immer wieder erwähnt werden Estlands Regierungschefin Kaja Kallas, die frühere britische Premierministerin Theresa May oder etwa die ehemalige Präsidentin Kroatiens Kolinda Grabar-Kitarović. Im Gespräch für den Spitzenposten hält sich auch der niederländische Regierungschef Mark Rutte.
Anders als in der EU gibt es in der Nato kein vorgeschriebenes Verfahren, außer dass traditionell die Europäer den Spitzenposten besetzen dürfen. Ein entscheidendes Wort haben die USA als wichtigster Pfeiler der Allianz mitzureden.
Ob Verlängerung oder Neubesetzung, die Staats- und Regierungschefs müssen die Entscheidung beim Nato-Gipfel im Juli in Vilnius treffen. Ein Wechsel in dieser kritischen Phase wäre für die Allianz ungünstig. Wie kritisch die Lage insbesondere in der Ukraine ist, machte Stoltenberg vor dem Treffen der Verteidigungsminister nochmals deutlich.
Diese kommen zuerst im sogenannten Ramstein-Format unter Führung von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin zusammen. Dort dürfte auch die Frage der Lieferung von Kampfflugzeugen wieder aufkommen. Wie immer man zu Kampfflugzeugen stehe, das werde Zeit brauchen, mahnte Stoltenberg. Ähnlich wie bei den Leopard-Panzern wird versucht, eine Allianz zu bilden. Die Niederlande haben bereits signalisiert, sie könnten F-16-Jets abgeben. Auch die Briten wären an Bord. Die Slowakei will Kampfflugzeuge vom Typ MiG-29 beisteuern. Die schnelle Erfüllung der Zusagen zu Schützenpanzern und Kampfpanzern habe jedoch Priorität, deutete Stoltenberg an.
Im Fokus des Treffens am Mittwoch steht deshalb auch die Frage, wie die Nato-Staaten die Produktionskapazitäten ihrer Rüstungsindustrien erhöhen und ihre Lagerbestände wieder füllen können. Der Krieg in der Ukraine führe zu einem “enormen Bedarf an Munition” und zu Lücken in den Beständen der Verbündeten, so der Nato-Chef. “Wir müssen unsere Produktionskapazitäten erhöhen.” Die gute Nachricht sei, dass verschiedene Verbündete bereits mehrjährige Langfristverträge mit der Rüstungsindustrie abgeschlossen hätten. Stoltenberg erwähnte konkret die USA und Frankreich. sti
Die Präsidentin der Ex-Sowjetrepublik Moldau, Maia Sandu, hat vor russischen Umsturzversuchen in ihrem Land gewarnt. Der Plan Moskaus beinhalte, gewalttätige Ausschreitungen und Angriffe auf staatliche moldauische Institutionen anzuzetteln und diese als Proteste zu tarnen, sagte Sandu am Montag Medienberichten zufolge.
“Das Ziel ist es, die verfassungsmäßige und legitime Ordnung in eine illegitime umzuwandeln (…), damit Russland Moldau in seinem Krieg gegen die Ukraine benutzen kann”, fügte die proeuropäische Staatschefin der kleinen Republik hinzu.
Sandu stützte sich bei ihren Aussagen auf Geheimdienst-Dokumente, die Moldau kürzlich von der Ukraine erhalten hat. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte bereits in der vergangenen Woche, Russland habe konkrete Pläne zur Störung der politischen Ordnung in Moldau.
Die kleine Republik zählt zu den ärmsten Ländern Europas und ist immer wieder von politischer Instabilität geplagt. Erst vor wenigen Tagen reichte Regierungschefin Natalia Gavrilița ihren Rücktritt ein. Russland hat traditionell einen großen Einfluss in Moldau – insbesondere in der abtrünnigen Region Transnistrien, wo seit den 1990er Jahren russische Soldaten stationiert sind. dpa
China hat am Montag schwere Spionage-Vorwürfe gegenüber den USA erhoben: Die Vereinigten Staaten hätten allein im vergangenen Jahr mehr als zehn Mal illegale Ballons über China fliegen lassen, sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums in Peking. Zudem habe Peking im vergangenen Jahr 657 Nahaufklärungsflüge im Jahr 2022 und allein in diesem Januar schon 64 Kriegsschiffe im Südchinesischen Meer registriert. “Es ist ziemlich klar, welches Land das führende Spionage-Imperium in der Welt ist”, sagte Wang Wenbin.
Das US-Militär wiederum hat in den vergangenen Tagen vier Flugobjekte über Nordamerika abgeschossen: einen chinesischen Ballon und drei weitere unbekannte Flugobjekte, zu denen bislang allerdings keine Erkenntnisse vorliegen. Vor allem ist nicht bekannt, wo sie herkamen.
Die Vorgänge der vergangenen Tage haben eine Lücke in der amerikanischen Luftverteidigung offengelegt, warnt Malcolm Davis im Gespräch mit Table.Media. Der Wissenschaftler vom renommierten Australian Strategic Policy Institute rechnet mit weiteren Entdeckungen – auch über den USA. Das North American Aerospace Defense Command habe inzwischen die Einstellungen der Sensoren angepasst, sodass nun auch sich langsam bewegende Objekte wie Ballons entdeckt würden, erklärt Davis. rad
ARD-Doku – Krieg im Leben: Ukraine-Korrespondent Vassili Golod geht mit Ukrainerinnen und Ukrainern durch den Alltag. Wie ist das, wenn man sich beeilen muss, weil gleich der Strom weg ist? Wie verarbeiten Künstlerinnen den Dauerstress? Wie ergeht es Vätern, wenn ihre Familie nach der Flucht ins Ausland kurz auf einen Besuch zurückkehrt? Golod geht nah ran und zeigt die inneren Konflikte der Ukrainerinnen und Ukrainer. 45 Minuten.
War on the Rocks – The Iran-Iraq War and the Lessons for Ukraine: Der Beginn des Krieges zwischen Iran und Irak 1980 bis 1988 zeigt Parallelen zum Krieg in der Ukraine beim Verlauf, in der Kriegsführung durch Demoralisierung der Bevölkerung und auf geostrategischem Level. Mit dem Blick auf die Entscheidungen von damals will Ronan Mainprize Entscheidungshilfen für heute liefern.
Foreign Affairs – How Russia Decides to Go Nuclear (Paywall): Unaufgeregt wägt Kristin Ven Bruusgaard ab, unter welchen Umständen Russland Atomwaffen einsetzen könnte, wie ein Einsatz ablaufen würde, wie sich die Protokolle von denen der USA unterscheiden und was die Konsequenzen aus diesen Unterschieden sind.
Arte-Doku – Propagandaschlacht um die Ukraine: Mit Expertise aus der Ukraine, Russland und Deutschland werden Propagandavideos aus dem Krieg in der Ukraine ausgewertet. Wie auf beiden Seiten Spindoktoren versuchen, das Geschehen umzudeuten. 90 Minuten. Für Fans des linearen Fernsehens auch heute um 21.45 Uhr auf Arte.
The National Interest – There Is No ‘Global South’ and ‘West’ When It Comes to Ukraine: Die USA seien seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht wegen ihrer Unterstützung ärmerer Länder beliebt gewesen, sondern weil sie die Sieger waren und ihr Wirtschaftsmodell Aufstieg ermöglichte. Leon Hadar legt dar, warum eigene Interessen und nicht Idealismus bei Ländern des Globalen Südens die Triebfedern bei der Unterstützung der Ukraine sind.
Drei Wochen vor der Rede de Villepins 2003 hatte Bundespräsident Johannes Rau anlässlich des 40. Jubiläums des Élysée-Vertrags den französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac in Berlin empfangen. Rau unterstrich dabei den Wert der deutsch-französischen Versöhnung für die europäische Integration: “Unsere Partner wissen, wie wichtig es ist, dass Deutschland und Frankreich gemeinsam vorangehen, damit das europäische Einigungswerk gelingt.”
Noch einen Tag zuvor hatte sich US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld auf der anderen Seite des Atlantiks ganz anders geäußert. Auf den Widerstand mancher Europäer gegen US-Pläne zur Invasion des Iraks angesprochen, antwortete Rumsfeld vor Journalisten: “Wenn Sie an Europa denken, denken Sie an Deutschland und Frankreich. Ich nicht. Ich denke, das ist das alte Europa. Betrachtet man heute aber Nato-Europa, so verlagert sich das Gleichgewicht nach Osten.” Die Nato hatte gerade ihre erste Osterweiterung hinter sich, die EU-Ost-Erweiterung stand bevor. Ein neues “Nato-Europa” war in der Entstehung begriffen, dass sich mit den Beitritten der baltischen und osteuropäischen Mitgliedstaaten seitdem konsolidiert hat.
In Paris sah man die Dinge 2003, wie zuvor und auch danach, naturgemäß anders. Die Staatsraison der Fünften Republik beruht seit 1958 auf dem Anspruch, dass Frankreich eine souveräne Macht bleibt, allem Einflussverlust seit 1945 zum Trotz. Sie speist sich aus dem Selbstverständnis als Sieger zweier Weltkriege, dem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat und seit den 1960er Jahren aus der nuklearen Bewaffnung. Letztere machte für den Übervater der Fünften Republik, Charles de Gaulle, die Nato-Mitgliedschaft zweitrangig. 1966 verließ Frankreich die integrierte Kommandostruktur der Allianz und trat erst 2009 wieder bei. Frankreichs Verhältnis zur Nato bleibt eines, das auf Eigenständigkeit pocht und bis heute Teile ausklammert, etwa die Teilnahme an der Nuclear Planning Group.
Diese Vorgeschichte stand im Raum, als de Villepin am 14. Februar 2003 im UN-Sicherheitsrat seine versammelten Kollegen beschwor, die militärische Option nicht zu überstürzen, der UN-Resolution 1441 vom 8. November 2002 Zeit zu geben und Chefinspektor Hans Blix sowie dem Leiter der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohammed al-Baradei, zu vertrauen. Er verteidigte die Resolution gegen Stimmen, die eine Verzögerungstaktik Saddam Husseins hinter der Mission vermuteten, allen voran George W. Bush. Dessen Außenminister, Colin Powell, hatte Anfang Februar Verbindungen zwischen al Qaida und dem irakischen Regime angedeutet.
De Villepin wies das scharf zurück und warnte vor den Konsequenzen einer Invasion: “Vergessen wir nicht, dass nach dem Krieg der Frieden gewonnen werden muss.” Ein Krieg drohe nicht nur fatale Folgen für die Stabilität der Region zu haben, sondern auch für die internationalen Beziehungen. Schließlich beruhten Autorität und Legitimität des UN-Sicherheitsrates auf der Einigkeit der Mitglieder. Seine Rede “im Tempel der Vereinten Nationen” schloss de Villepin mit einer Replik auf Rumsfelds Äußerungen zum alten, deutsch-französischen Europa: “Lassen Sie sich das sagen, von einem alten Land, Frankreich, von einem alten Kontinent wie dem meinen, Europa”.
Rund einen Monat später, am 19. März 2003, begann die Irak-Invasion. Die Bush-Regierung ignorierte die Warnungen und handelte ohne UN-Mandat – als Supermacht mit einer Koalition der Willigen.
Für die irakische Bevölkerung, die Stabilität in der Region und die internationalen Beziehungen hatte der Krieg fatale Folgen. Die vergangenen zwei Jahrzehnte haben de Villepin Recht gegeben. Einer der Zuhörer des französischen Außenministers war 2003 Sergej Lawrow, heute russischer Außenminister, damals ständiger Vertreter im Sicherheitsrat. Dass de Villepins Warnungen ungehört verhallten, zeigte Lawrow und den Vertretern vieler anderer Staaten, dass internationales Recht eben doch nicht für alle gleich ist. Diese Lehre wird nun zitiert, wenn westliche Staaten die Verurteilung des russischen Angriffs auf die Ukraine fordern.
Für Frankreich waren die Folgen der Rede und des deutsch-französischen Widerstands gegen die Invasion des Iraks zwiespältig. Das Verhältnis zu den USA nahm massiven Schaden: Gastronomen an der Ostküste boykottierten französische Weine und in den Kantinen auf dem Capitol Hill wurden die “French Fries” in “Freedom Fries” umbenannt. Gleichzeitig war Frankreichs Ruf in der arabischen Welt wohl nie so gut wie im Sommer 2003. Für die französische Diplomatie bleibt die Rede de Villepins ein Artefakt der Souveränität, dessen Entstehung in einem preisgekrönten Comic und einem erfolgreichen Kinofilm verewigt wurde.
Und Europa? Bei der europäischen Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik hat sich seit 2003 kaum etwas getan. Die Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags vor kurzem konnten nicht verdecken, dass vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine das “Nato-Europa” Rumsfelds heute wesentlich klarere Konturen hat als das “souveräne Europa” Emmanuel Macrons.