Table.Briefing: Security

Moskau entmachtet Wagner + EU plant neue Militärmission in Westafrika + Bastian Giegerich: Neuer IISS-Leiter

Liebe Leserin, lieber Leser,

keine Woche nach dem Tod des russischen Milizenführers Jewgenij Prigoschin deutet sich an, dass die reguläre russische Armee die Aufgaben von Wagner in einigen Ländern übernehmen wird. Reisen des stellvertretenden russischen Verteidigungsministers zeigen, dass die private Miliz entmachtet werden soll, doch wahrscheinlich nicht überall. In einigen Subsahara-Staaten könnten die Wagner-Strukturen bestehen bleiben – keine gute Nachricht für die Zivilbevölkerung vor Ort. Lucia Weiß und ich analysieren, welche Veränderungen Wagner erwarten.

Trotz – oder vielleicht wegen des Scheiterns in Mali? – will die EU eine neue zivil-militärische Ausbildungsmission in Westafrika aufbauen. Gleich in vier Staaten sollen die Sicherheitskräfte von Europäern ausgebildet werden. Stephan Israel fasst zusammen, was bekannt ist. Außerdem berichten wir über die Pläne europäischer Rüstungsunternehmen und schauen auf die Hintergründe der Unruhen in der libyschen Hauptstadt Tripoli.

Wir stellen Ihnen zudem Bastian Giegerich vor. Nana Brink hat mit dem aus Deutschland stammenden Politikwissenschaftler gesprochen. Der 47-Jährige übernimmt im Oktober die Leitung des Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS).

Eine erkenntnisreiche Lektüre wünscht Ihnen

Ihr
Viktor Funk
Bild von Viktor  Funk

Analyse

Wie Moskau Wagner in Afrika ersetzen will

Wagner im Ausland - Standorte

Für einen Helden Russlands ist Jewgenij Prigoschin überraschend schnell von den wichtigsten Plätzen der russischen Nachrichtenseiten gerutscht. Offensichtlich soll der Mann, der für den Präsidenten Wladimir Putin die schmutzige Arbeit im Ausland erledigte, rasch aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwinden. Nun geht es um die Strukturen und die Geschäfte von Wagner, die übernommen – oder aufrechterhalten werden sollen.

Schon nach seinem Marsch auf Moskau vor zwei Monaten sah sich Prigoschin gezwungen, schwere militärische Technik seiner Truppe der Nationalgarde zu übergeben und ins Exil zu gehen. Aus der Ukraine hatte er sich da bereits zurückgezogen, Teile seiner Miliz schlugen ein Lager in Belarus auf. Seitdem klagen Polen und baltische Staaten über Wagner-Einheiten in ihrem Nachbarland und fordern, Minsk solle die Truppe ganz aus dem Land werfen.

Komplizierter ist es in Afrika und Syrien: Dort versuchen einerseits reguläre russische Streitkräfte, Wagner nachzufolgen, doch ob das gelingen wird, ist noch nicht absehbar. Der US-amerikanische Sicherheitsanalyst John Lechner schätzt den Tod Prigoschins für Wagners Präsenz in Afrika nicht als entscheidend ein. Im Gespräch mit Table.Media sagte er: “Ich denke, wir werden eher viel Kontinuität von Wagner in Afrika sehen. Denn Wagner war auch eine Folge des Unwillens und der Unfähigkeit Russlands, reguläre Truppen nach Afrika zu entsenden. Wagner-Strukturen sind etabliert, die Truppe hat Kontakte und Erfahrung vor Ort. Es wird schwierig, sie ganz zu ersetzen.”

Genau das scheint das russische Verteidigungsministerium zumindest in Libyen und in Syrien zu versuchen. Einen Tag vor Prigoschins Tod berichteten russische Medien über einen Besuch des Vizeverteidigungsministers Junus-Bek Jewkurow in Libyen. Dabei soll die künftige militärische Zusammenarbeit besprochen worden sein.

Wagner-Chronik

Laut dem im Exil lebenden russischen Investigativjournalisten Andrej Sacharow war Jewkurow vor Libyen bereits in Syrien, wo es ausdrücklich darum gegangen sei, die Zusammenarbeit mit Wagner zu beenden. In Syrien unterhält Russland einen Militärhafen in Tartus und einen Militärflughafen in Hmeimim.    

Neben Libyen ist Wagner auf dem afrikanischen Kontinent in Sudan und in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) aktiv. Eine Studie der NGO “Global Initiative” bezeichnet das Wagner-Modell dort als “staatliche Übernahme”. Im Austausch für Bodenschätze – Gold und Diamanten vor allem – liefere Wagner dem Regime von Präsident Touadéra politische und militärische Unterstützung. In Mali hat die Militärregierung von Faustin-Archange Assimi Goita die Wagner-Präsenz nie offiziell bestätigt, sondern spricht von russischen Militärausbildern. Regelmäßig telefoniere er mit Putin. 

Kreml wärmt für Afrika alte sowjetische Narrative auf

Ende Juni gab der russische Präsident zum ersten Mal öffentlich zu, dass der Kreml Wagner finanziert. Demnach erhielt die Gruppe von Mai 2022 bis Mai 2023 umgerechnet rund 930 Millionen Euro aus dem Staatshaushalt.

Russland pflegt mit vielen afrikanischen Ländern seit dem Kalten Krieg enge Beziehungen. Erst im Juli lud Putin afrikanische Staats- und Regierungschefs nach St. Petersburg zum Afrika-Russland-Gipfel ein. Es kamen zwar weniger Teilnehmer als geplant, doch Putin positionierte sich einmal mehr erfolgreich als Freund und Helfer Afrikas und knüpfte an das alte sowjetische Narrativ des antikolonialen Kampfes an.

Wagner-Chef Prigoschin war in St. Petersburg zugegen, kurz nach seinem Aufstandsversuch. Dort ließ er sich mit afrikanischen Teilnehmern ablichten, unter anderem dem Protokollchef der Zentralafrikanischen Republik. Vor diesem Hintergrund haben sowohl Russland als auch die afrikanischen Partnerländer ein Interesse, die Wagner-Aktivitäten stabil erscheinen zu lassen, so Lechner.

“Andere können die Lücke nicht füllen”

Für die militärischen Einsätze in Afrika und die damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Aktivitäten bedeute der Tod Prigoschins erst einmal nicht viel, so Lechner. “Prigoschin als Person wird schwierig zu ersetzen sein. Nur wenige Menschen haben so ein Charisma. Aber Wagners Geschäfte laufen weiter. Und Prigoschin selbst war nie ein Anführer direkt vor Ort. Es wird wohl langfristig davon abhängen, wie das Verhältnis zwischen Wagner und dem russischen Staat geregelt wird.”

Der Einfluss von Wagner könnte sich im fragilen Sahel sogar noch ausdehnen, vermutet Lechner. “Niger hat nicht wirklich eine andere Option, ich denke, wir werden dort Wagner-Kräfte sehen. Und andere russische Privatmilizen, die diese Lücke füllen könnten, gibt es nicht.”

Da westliche Partner laut den Regierungen in Mali, Burkina Faso und Niger nicht die Wünsche nach stärkerer militärischer Unterstützung erfüllten, wird Russland vorerst weiter als Alternative gesehen. Am Montag sagte der stellvertretende russische UN-Botschafter Dmitri Poljanskij im UN-Sicherheitsrat: “Russland wird seinerseits Mali und anderen interessierten afrikanischen Partnern weiterhin umfassende Unterstützung auf bilateraler, gleichberechtigter und gegenseitig respektvoller Basis gewähren.”

Gewalt gegen Zivilisten nimmt zu

Die Sicherheitslage im Zentral-Sahel verschlechtert sich derzeit: Von Januar 2018 bis Juli 2023 hat sich die Gewalt gegen Zivilisten vervielfacht, wie Daten des Armed Conflict Location & Event Data Project (Acled) zeigen. In Burkina Faso, wo seit dem Putsch im Herbst 2022 der frühere Offizier Ibrahima Traoré als Interimspräsident regiert, ist die Lage am dramatischsten: 2023 wurden jeden Monat weit mehr als 100 Angriffe registriert.

In Niger gab es am wenigsten Gewalt gegen die Bevölkerung, mit 50 und weniger Fällen pro Monat. Doch der jetzige Herrscher Tchiani rechtfertigte seinen Putsch vor gut einem Monat mit einer Verschlechterung der Sicherheitslage.

In Mali, wo die UN-Einheiten der Mission Minusma nach und nach ihre Militärbasen an die Regierung übergeben, haben Extremisten des Islamischen Staates ihre Kontrolle ausgeweitet. Laut einem aktuellen UN-Bericht verdoppelten die Islamisten das von ihnen kontrollierte Territorium in weniger als einem Jahr. Auch die rivalisierenden, Al-Kaida nahenstehende Gruppen würden an Macht gewinnen, so die UN. Mit Viktor Funk

  • Geopolitik
  • Russland
  • Sahel

News

EU plant neue Militärmission in Westafrika

Die EU will verhindern, dass sich die Instabilität von der Sahelzone weiter in die Region der Staaten am Golf von Guinea ausweitet. Die Außenminister der EU-Staaten sollen voraussichtlich bei ihrem Treffen im Oktober den formellen Start für eine sogenannte zivil-militärische Mission in Westafrika beschließen. Die Welt am Sonntag berichtete am Wochenende darüber. Die Botschafter der Mitgliedstaaten haben sich bereits vor der Sommerpause auf den Rahmen der sogenannten European Stability and Defence Initiative (EUSDI) geeinigt.

Die vorerst auf zwei Jahre befristete Mission soll flexibel reagieren können und bei Bedarf ausgebaut werden. Es wird in erster Linie um Unterstützung bei der Ausbildung der Streitkräfte in Benin, Ghana, Togo und Elfenbeinküste gehen. Die Streitkräfte sollen in die Lage versetzt werden, terroristische Gruppierungen einzudämmen und zurückzudrängen, so Diplomaten. Neben Beratung und Training soll es auch um konkrete Einsatzvorbereitungen für Anti-Terror-Operationen, technische Hilfe, vertrauensbildende Maßnahmen und Kontrolle der Sicherheitskräfte gehen.

Die EU-Staaten werden dafür Polizisten und Soldaten als mobile Teams für die Ausbildung entsenden müssen. Vorgesehen ist im ersten Halbjahr nach Start der Mission ein Budget von 1,2 Millionen Euro. Die Mission dürfte vorerst nur in Benin und Ghana beginnen. Nur die Präsidenten der beiden Länder haben die formelle Einladung schon ausgesprochen, während das grüne Licht der Elfenbeinküste und Togos noch aussteht. Die EU hatte mit ihrem Engagement nördlich in Mali und Niger zuletzt wenig Erfolg. Erst Ende 2022 hatten die Mitgliedstaaten eine Militärmission in Niger beschlossen, wichtiges Transitland für Migration und im Fokus des islamistischen Terrors. Seit dem Militärputsch vom 26. Juli musste die EU die Zusammenarbeit aussetzen. sti

  • Bundeswehr
  • EU
  • Mali
  • Sicherheit

MGCS: Frankreich will Italien bei Panzerprojekt integrieren

Paris und Rom wollen wohl eine italienische Beteiligung am deutsch-französischen Panzerprojekt MGCS (Main Ground Combat System). Das berichtet die französische Zeitung La Tribune. Demnach bereiteten Frankreich und Italien ein Angebot vor, den italienischen Panzerbauer Leonardo in das Vorhaben zu integrieren. Bei dem Projekt soll bis zum Ende der 2030er Jahre ein Kampfpanzersystem entwickelt werden, das auf deutscher Seite den Leopard 2 und auf französischer den Leclerc ersetzen soll. Italien hat bei dem Projekt gemeinsam mit Schweden derzeit Beobachterstatus. Im deutschen Verteidigungsministerium habe man keine Kenntnis eines entsprechenden Angebots, teilte eine Sprecherin Table.Media mit.

Streit um Aufträge zwischen den beteiligten Unternehmen Rheinmetall auf deutscher Seite und der französischen Firma Nexter, die gemeinsam mit Krauss-Maffei-Wegmann der Holding KNDS untersteht, hatten immer wieder für Ärger zwischen den Partnernationen gesorgt.

Frankreich setzt zunehmend auf Italien als Partner für Rüstungsprojekte. Der von Deutschland initiierten European Sky Shield Initiative (Essi) wollen weder Frankreich noch Italien beitreten, die mit dem gemeinsamen Luftverteidigungssystem Samp/T Mamba eine eigene Alternative zum US-amerikanischen Patriot-System haben, auf das Deutschland setzt. Anfang des Jahres bestellten Rom und Paris 700 Aster-Raketen für geschätzt zwei Milliarden Euro, und Italien schloss sich im Juni dem britisch-französischen Programm für Anti-Schiffs-Raketen und Marschflugkörper Fman/FMC an.

Im Juli hatten Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius und sein französischer Amtskollege Sébastien Lecornu nach vorangegangenen Streitigkeiten mit abgesagten und kurzfristig wieder zugesagten Terminen für den September ein Papier mit konkreten Anforderungen für MGCS angekündigt. Ende September wollen sie sich in Paris treffen, um die Fortschritte zu besprechen. bub

  • Europa
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  • Frankreich
  • Leopard 2 Panzer
  • MGCS
  • Rüstung

Finnisches Rüstungsunternehmen prüft Produktion von Radpanzern in der Ukraine

Das finnische Rüstungsunternehmen Patria prüft die Möglichkeit, gepanzerte Kampffahrzeuge in der Ukraine herzustellen. Die finnische Regierung unterstützt das Vorhaben. Patria baut unter anderem den Truppentransporter AMV. Grundsätzlich kann das Patria-AMV-Modell für unterschiedliche Aufgaben moduliert werden. Im April hatte die Ukraine in Polen 150 Radschützenpanzer des Typs KTO Rosomak bestellt, eine Lizenzversion des AMV. Für die Ukraine wird ebenfalls eine Lizenzversion diskutiert.

Erst kürzlich hatte Schweden zugesagt, in der Ukraine eine Produktions-, Reparatur- und Trainingsstätte für den schwedischen Panzer CV90 zu errichten. Auch der deutsche Panzerbauer Rheinmetall will in der Ukraine produzieren, konkrete Pläne sind aber bisher nicht bekannt. Laut Aussagen des Vorstandsvorsitzenden Armin Papperger sollte noch im August die Wartung von Leopard-Panzern in der Ukraine nach der Ausbildung ukrainischer Techniker beginnen. Die Ukraine hatte schon vor dem russischen Überfall im Februar 2022 eine große Rüstungsbranche und gehörte zu den wichtigen Exportländern für Waffen, 2021 nahm sie global den 14. Platz ein. Die Bereitschaft westlicher Rüstungsunternehmen, in der Ukraine Produktionsstätten aufzubauen, zeigt, dass das Land auch künftig eine große Rolle als Waffenhersteller spielen wird. vf

  • Rüstung
  • Ukraine-Krieg

Libyen: Ausschreitungen nach Treffen mit israelischem Außenminister

Nach einem Treffen der libyschen Außenministerin Najla Mangoush mit ihrem israelischen Amtskollegen Eli Cohen in Rom ist es in der Nacht zu Montag im Westen Libyens zu Ausschreitungen gekommen. In der Hauptstadt Tripoli sowie der Hafenstadt Zauwia brannten Autoreifen. Premierminister Abdulhamid Dabaiba reagierte prompt: Ab sofort werde der Minister für Kultur und Jugend, Mohamed Mehdi Bensaid, das Außenministerium leiten, so eine Regierungserklärung auf Facebook. Außenministerin Mangoush sei so lange freigestellt, bis eine Untersuchung die Umstände des Treffens aufgeklärt habe.

Es habe sich um kein formelles, sondern um ein spontanes Treffen ohne Vorbereitung gehandelt, sagte ein Sprecher des libyschen Außenministeriums am Montag. Najla Mangoush erklärte, sie sei nach einem Austausch mit italienischen Regierungsvertretern zufällig auf Cohen getroffen und dann nach London weitergereist.

In ihrer Heimat droht der 50-Jährigen nun die Verhaftung, da jede Kontaktaufnahme mit offiziellen Vertretern Israels wie im benachbarten Tunesien ein gesellschaftliches Tabu ist. Libyen und Israel unterhalten zwar keinerlei offizielle Beziehungen, stehen jedoch durch die ehemals über 30.000 jüdischen Libyer in Kontakt. Angehörige der jüdischen Minderheit Libyens mussten nach dem von Israel gewonnenen Sechs-Tage-Krieg 1967 Nordafrika verlassen.  

Am Sonntagnachmittag hatte der israelische Außenminister Cohen das Treffen mit der früheren Menschenrechtlerin Mangoush als historisch bezeichnet und als ersten Schritt auf dem Weg zur Neuschaffung einer Beziehung beider Länder. Man habe sich über die Erhaltung des jüdischen Kulturerbes in Libyen unterhalten, so Cohen gegenüber israelischen Medien, die ausführlich über das erste Treffen libyscher und israelischer Spitzendiplomaten berichteten. 

Wie brenzlig die Proteste für Premierminister Dabaiba persönlich sind, zeigen nächtliche Aufnahmen von einem Angriff auf dessen Privathaus. Unbekannte warfen Steine und Molotowcocktails auf das von bewaffneten Milizen geschützte Gebäude in Tripolis, ohne es jedoch zu beschädigen. mk

  • Afrika
  • Diplomatie
  • Geopolitik
  • Israel

Presseschau

Spiegel – Ampelpolitiker fordern besseren Schutz für lokale Helfer. Nach Berichten über die Ermordung eines Beschäftigten der Bundeswehr in Mali schlagen Ampelpolitiker Alarm: Um ein Desaster wie bei dem Abzug aus Afghanistan 2021 zu verhindern, müsste die Bundesregierung sicherstellen, dass Dolmetscher und über Subunternehmen Angestellte nach Einsatzende im Dezember dieses Jahres nicht in Gefahr gerieten.

F.A.Z. – EU-Gesandter für palästinensische Gebiete: “Ich hoffe, dass Israel zu Sinnen kommt.” Der deutsche Diplomat Sven Kühn von Burgsdorff wirft im Interview einen kritischen Blick auf seine gerade zu Ende gegangene Zeit als EU-Vertreter in Ostjerusalem und stellt dreißig Jahre nach Abschluss der Osloer Verträge die Frage: “Wie will man den Konflikt mit Militarisierung und einem exzessiven Sicherheitsdenken lösen?” 

The Tahrir Institute – Tunisia at the Center of a Failed Asylum Architecture. Angesichts zunehmender Fremdenfeindlichkeit und dem im Juli mit der EU vereinbarten Migrationsdeal verschlechtert sich die Lage für Flüchtlinge in Tunesien weiter. Das nordafrikanische Land wird so zum Beispiel einer gescheiterten Asylarchitektur, schreibt der US-amerikanische Think Tank in einer neuen Analyse.

Heads

Bastian Giegerich – Der Deutschland-Erklärer

Bastian Giegerich ist Politikwissenschaftler und künftiger Generaldirektor des Londoner International Institute for Strategic Studies.

Er ist so in der englischen Sprache zu Hause, dass er schon nach deutschen Wörtern sucht – und sich darüber amüsiert. Auch sein Humor kann sehr britisch sein und die Attitüde, lieber etwas tiefer zu stapeln. Er sei, sagt Bastian Giegerich, der ab Oktober einen der renommiertesten Thinktanks in London führen wird, ein ganz passabler “Übersetzer”. Er erklärt dann deutschen Medien, was das Ausland so über deutsche Sicherheitspolitik denkt. Die viel schwierigere Übersetzungsleistung ist aber: Wie ticken die Deutschen denn eigentlich?

Bastian Giegerich lächelt bei dieser Bemerkung sehr fein, fast unmerklich. Seit der “Zeitenwende” muss er viel erklären – in beide Richtungen. Vor allem den Briten, die zumindest beim Fußball immer noch gern einen “Blitzkrieg” gegen die Deutschen führen wollen. Und die als ehemalige Großmacht die deutschen “Zeitenwende”-Schwüre belächeln.

Ein Fehler, wie der 47-jährige Sicherheitsexperte erklärt: “Eine langsame Bewegung ist auch eine Bewegung; aber entscheidend ist ja nicht, ob sich Deutschland schneller bewegt als vorher, sondern ob es sich angesichts der sicherheitspolitischen Anforderungen schnell genug bewegt.”

Fasziniert vom angelsächsischen Sicherheitsdenken

Schon früh ist dem Studenten der Politikwissenschaft an der Universität Potsdam klar geworden, dass er den Blick von außen braucht. Und dass die Sicherheitspolitik sein Metier werden würde. Er geht mit einem Stipendium in die USA, studiert an der National Defense Universität in Washington DC und macht 2005 seinen Doktor im Bereich Internationale Beziehungen an der London School of Economics and Political Science.

“Mich hat fasziniert, wie im angelsächsischen Raum über das Thema Strategie nachgedacht wird, nämlich sehr praxisnah.” Nach Zwischenstationen am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr und als Referent in der Abteilung Politik des Bundesministeriums der Verteidigung wird schließlich London sein Lebensmittelpunkt. Und das 1958 gegründete International Institute for Strategic Studies (IISS): “In Deutschland hat das strategische Denken keine Tradition mehr und wird auch an Universitäten kaum gelehrt.”

Zuletzt leitete Giegerich das IISS-Team, das die Publikation “The Military Balance” herausgibt, die die militärischen Potenziale und Verteidigungswirtschaften von 173 Ländern auflistet und bewertet. Zudem gibt das Flaggschiff des IISS einen Überblick über bewaffnete Konflikte wie den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Wie tief das angelsächsische Denken auch Giegerichs Expertise beeinflusst hat, zeigt sich in seiner Fundamentalkritik an Deutschlands strategischer Kultur. Sein Buch “The Responsibility to Defend. Rethinking Germany’s Strategic Culture”, das er zusammen mit dem konservativen Politologen Maximilian Terhalle vom Londoner King’s College verfasst, ist 2021 erschienen – bis auf eine deutsche Zusammenfassung bislang allerdings nur auf Englisch.

Kritik an Nationaler Sicherheitsstrategie

Bewegt sich Deutschland denn nun schnell genug? Als professioneller Übersetzer findet Giegerich deutliche Worte – was übrigens ganz unbritisch ist. In der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung in Berlin sieht er einen großen Fortschritt: “Die künstliche Trennung zwischen Sicherheit und Wirtschaft ist aufgehoben. Ebenso die Vorstellung, dass Abhängigkeiten – siehe Russland – stabilisierend wirken.” Allerdings spart er auch nicht mit Kritik: “Der Begriff ‘integrierte Sicherheit’ ist nicht institutionell verankert, ob in einem Nationalen Sicherheitsrat oder etwas Ähnlichem. Das ist ein Bruch in der Logik, den ich nicht nachvollziehen kann.”

Aber letztlich kann auch der Übersetzer, der seine Bücher auf Englisch schreibt, nicht aus seiner deutschen Haut heraus. Kritik an Deutschland, zumal aus dem Brexit-Land Großbritannien, findet er wohlfeil: “Es ist ja nicht so, dass Deutschland keine Position hat. Es ist aber viel schwieriger, seine Position an eine geänderte Realität anzupassen, als eine Position da neu zu erfinden, wo vorher keine war”. Nana Brink

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Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

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    keine Woche nach dem Tod des russischen Milizenführers Jewgenij Prigoschin deutet sich an, dass die reguläre russische Armee die Aufgaben von Wagner in einigen Ländern übernehmen wird. Reisen des stellvertretenden russischen Verteidigungsministers zeigen, dass die private Miliz entmachtet werden soll, doch wahrscheinlich nicht überall. In einigen Subsahara-Staaten könnten die Wagner-Strukturen bestehen bleiben – keine gute Nachricht für die Zivilbevölkerung vor Ort. Lucia Weiß und ich analysieren, welche Veränderungen Wagner erwarten.

    Trotz – oder vielleicht wegen des Scheiterns in Mali? – will die EU eine neue zivil-militärische Ausbildungsmission in Westafrika aufbauen. Gleich in vier Staaten sollen die Sicherheitskräfte von Europäern ausgebildet werden. Stephan Israel fasst zusammen, was bekannt ist. Außerdem berichten wir über die Pläne europäischer Rüstungsunternehmen und schauen auf die Hintergründe der Unruhen in der libyschen Hauptstadt Tripoli.

    Wir stellen Ihnen zudem Bastian Giegerich vor. Nana Brink hat mit dem aus Deutschland stammenden Politikwissenschaftler gesprochen. Der 47-Jährige übernimmt im Oktober die Leitung des Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS).

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    Wie Moskau Wagner in Afrika ersetzen will

    Wagner im Ausland - Standorte

    Für einen Helden Russlands ist Jewgenij Prigoschin überraschend schnell von den wichtigsten Plätzen der russischen Nachrichtenseiten gerutscht. Offensichtlich soll der Mann, der für den Präsidenten Wladimir Putin die schmutzige Arbeit im Ausland erledigte, rasch aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwinden. Nun geht es um die Strukturen und die Geschäfte von Wagner, die übernommen – oder aufrechterhalten werden sollen.

    Schon nach seinem Marsch auf Moskau vor zwei Monaten sah sich Prigoschin gezwungen, schwere militärische Technik seiner Truppe der Nationalgarde zu übergeben und ins Exil zu gehen. Aus der Ukraine hatte er sich da bereits zurückgezogen, Teile seiner Miliz schlugen ein Lager in Belarus auf. Seitdem klagen Polen und baltische Staaten über Wagner-Einheiten in ihrem Nachbarland und fordern, Minsk solle die Truppe ganz aus dem Land werfen.

    Komplizierter ist es in Afrika und Syrien: Dort versuchen einerseits reguläre russische Streitkräfte, Wagner nachzufolgen, doch ob das gelingen wird, ist noch nicht absehbar. Der US-amerikanische Sicherheitsanalyst John Lechner schätzt den Tod Prigoschins für Wagners Präsenz in Afrika nicht als entscheidend ein. Im Gespräch mit Table.Media sagte er: “Ich denke, wir werden eher viel Kontinuität von Wagner in Afrika sehen. Denn Wagner war auch eine Folge des Unwillens und der Unfähigkeit Russlands, reguläre Truppen nach Afrika zu entsenden. Wagner-Strukturen sind etabliert, die Truppe hat Kontakte und Erfahrung vor Ort. Es wird schwierig, sie ganz zu ersetzen.”

    Genau das scheint das russische Verteidigungsministerium zumindest in Libyen und in Syrien zu versuchen. Einen Tag vor Prigoschins Tod berichteten russische Medien über einen Besuch des Vizeverteidigungsministers Junus-Bek Jewkurow in Libyen. Dabei soll die künftige militärische Zusammenarbeit besprochen worden sein.

    Wagner-Chronik

    Laut dem im Exil lebenden russischen Investigativjournalisten Andrej Sacharow war Jewkurow vor Libyen bereits in Syrien, wo es ausdrücklich darum gegangen sei, die Zusammenarbeit mit Wagner zu beenden. In Syrien unterhält Russland einen Militärhafen in Tartus und einen Militärflughafen in Hmeimim.    

    Neben Libyen ist Wagner auf dem afrikanischen Kontinent in Sudan und in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) aktiv. Eine Studie der NGO “Global Initiative” bezeichnet das Wagner-Modell dort als “staatliche Übernahme”. Im Austausch für Bodenschätze – Gold und Diamanten vor allem – liefere Wagner dem Regime von Präsident Touadéra politische und militärische Unterstützung. In Mali hat die Militärregierung von Faustin-Archange Assimi Goita die Wagner-Präsenz nie offiziell bestätigt, sondern spricht von russischen Militärausbildern. Regelmäßig telefoniere er mit Putin. 

    Kreml wärmt für Afrika alte sowjetische Narrative auf

    Ende Juni gab der russische Präsident zum ersten Mal öffentlich zu, dass der Kreml Wagner finanziert. Demnach erhielt die Gruppe von Mai 2022 bis Mai 2023 umgerechnet rund 930 Millionen Euro aus dem Staatshaushalt.

    Russland pflegt mit vielen afrikanischen Ländern seit dem Kalten Krieg enge Beziehungen. Erst im Juli lud Putin afrikanische Staats- und Regierungschefs nach St. Petersburg zum Afrika-Russland-Gipfel ein. Es kamen zwar weniger Teilnehmer als geplant, doch Putin positionierte sich einmal mehr erfolgreich als Freund und Helfer Afrikas und knüpfte an das alte sowjetische Narrativ des antikolonialen Kampfes an.

    Wagner-Chef Prigoschin war in St. Petersburg zugegen, kurz nach seinem Aufstandsversuch. Dort ließ er sich mit afrikanischen Teilnehmern ablichten, unter anderem dem Protokollchef der Zentralafrikanischen Republik. Vor diesem Hintergrund haben sowohl Russland als auch die afrikanischen Partnerländer ein Interesse, die Wagner-Aktivitäten stabil erscheinen zu lassen, so Lechner.

    “Andere können die Lücke nicht füllen”

    Für die militärischen Einsätze in Afrika und die damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Aktivitäten bedeute der Tod Prigoschins erst einmal nicht viel, so Lechner. “Prigoschin als Person wird schwierig zu ersetzen sein. Nur wenige Menschen haben so ein Charisma. Aber Wagners Geschäfte laufen weiter. Und Prigoschin selbst war nie ein Anführer direkt vor Ort. Es wird wohl langfristig davon abhängen, wie das Verhältnis zwischen Wagner und dem russischen Staat geregelt wird.”

    Der Einfluss von Wagner könnte sich im fragilen Sahel sogar noch ausdehnen, vermutet Lechner. “Niger hat nicht wirklich eine andere Option, ich denke, wir werden dort Wagner-Kräfte sehen. Und andere russische Privatmilizen, die diese Lücke füllen könnten, gibt es nicht.”

    Da westliche Partner laut den Regierungen in Mali, Burkina Faso und Niger nicht die Wünsche nach stärkerer militärischer Unterstützung erfüllten, wird Russland vorerst weiter als Alternative gesehen. Am Montag sagte der stellvertretende russische UN-Botschafter Dmitri Poljanskij im UN-Sicherheitsrat: “Russland wird seinerseits Mali und anderen interessierten afrikanischen Partnern weiterhin umfassende Unterstützung auf bilateraler, gleichberechtigter und gegenseitig respektvoller Basis gewähren.”

    Gewalt gegen Zivilisten nimmt zu

    Die Sicherheitslage im Zentral-Sahel verschlechtert sich derzeit: Von Januar 2018 bis Juli 2023 hat sich die Gewalt gegen Zivilisten vervielfacht, wie Daten des Armed Conflict Location & Event Data Project (Acled) zeigen. In Burkina Faso, wo seit dem Putsch im Herbst 2022 der frühere Offizier Ibrahima Traoré als Interimspräsident regiert, ist die Lage am dramatischsten: 2023 wurden jeden Monat weit mehr als 100 Angriffe registriert.

    In Niger gab es am wenigsten Gewalt gegen die Bevölkerung, mit 50 und weniger Fällen pro Monat. Doch der jetzige Herrscher Tchiani rechtfertigte seinen Putsch vor gut einem Monat mit einer Verschlechterung der Sicherheitslage.

    In Mali, wo die UN-Einheiten der Mission Minusma nach und nach ihre Militärbasen an die Regierung übergeben, haben Extremisten des Islamischen Staates ihre Kontrolle ausgeweitet. Laut einem aktuellen UN-Bericht verdoppelten die Islamisten das von ihnen kontrollierte Territorium in weniger als einem Jahr. Auch die rivalisierenden, Al-Kaida nahenstehende Gruppen würden an Macht gewinnen, so die UN. Mit Viktor Funk

    • Geopolitik
    • Russland
    • Sahel

    News

    EU plant neue Militärmission in Westafrika

    Die EU will verhindern, dass sich die Instabilität von der Sahelzone weiter in die Region der Staaten am Golf von Guinea ausweitet. Die Außenminister der EU-Staaten sollen voraussichtlich bei ihrem Treffen im Oktober den formellen Start für eine sogenannte zivil-militärische Mission in Westafrika beschließen. Die Welt am Sonntag berichtete am Wochenende darüber. Die Botschafter der Mitgliedstaaten haben sich bereits vor der Sommerpause auf den Rahmen der sogenannten European Stability and Defence Initiative (EUSDI) geeinigt.

    Die vorerst auf zwei Jahre befristete Mission soll flexibel reagieren können und bei Bedarf ausgebaut werden. Es wird in erster Linie um Unterstützung bei der Ausbildung der Streitkräfte in Benin, Ghana, Togo und Elfenbeinküste gehen. Die Streitkräfte sollen in die Lage versetzt werden, terroristische Gruppierungen einzudämmen und zurückzudrängen, so Diplomaten. Neben Beratung und Training soll es auch um konkrete Einsatzvorbereitungen für Anti-Terror-Operationen, technische Hilfe, vertrauensbildende Maßnahmen und Kontrolle der Sicherheitskräfte gehen.

    Die EU-Staaten werden dafür Polizisten und Soldaten als mobile Teams für die Ausbildung entsenden müssen. Vorgesehen ist im ersten Halbjahr nach Start der Mission ein Budget von 1,2 Millionen Euro. Die Mission dürfte vorerst nur in Benin und Ghana beginnen. Nur die Präsidenten der beiden Länder haben die formelle Einladung schon ausgesprochen, während das grüne Licht der Elfenbeinküste und Togos noch aussteht. Die EU hatte mit ihrem Engagement nördlich in Mali und Niger zuletzt wenig Erfolg. Erst Ende 2022 hatten die Mitgliedstaaten eine Militärmission in Niger beschlossen, wichtiges Transitland für Migration und im Fokus des islamistischen Terrors. Seit dem Militärputsch vom 26. Juli musste die EU die Zusammenarbeit aussetzen. sti

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    MGCS: Frankreich will Italien bei Panzerprojekt integrieren

    Paris und Rom wollen wohl eine italienische Beteiligung am deutsch-französischen Panzerprojekt MGCS (Main Ground Combat System). Das berichtet die französische Zeitung La Tribune. Demnach bereiteten Frankreich und Italien ein Angebot vor, den italienischen Panzerbauer Leonardo in das Vorhaben zu integrieren. Bei dem Projekt soll bis zum Ende der 2030er Jahre ein Kampfpanzersystem entwickelt werden, das auf deutscher Seite den Leopard 2 und auf französischer den Leclerc ersetzen soll. Italien hat bei dem Projekt gemeinsam mit Schweden derzeit Beobachterstatus. Im deutschen Verteidigungsministerium habe man keine Kenntnis eines entsprechenden Angebots, teilte eine Sprecherin Table.Media mit.

    Streit um Aufträge zwischen den beteiligten Unternehmen Rheinmetall auf deutscher Seite und der französischen Firma Nexter, die gemeinsam mit Krauss-Maffei-Wegmann der Holding KNDS untersteht, hatten immer wieder für Ärger zwischen den Partnernationen gesorgt.

    Frankreich setzt zunehmend auf Italien als Partner für Rüstungsprojekte. Der von Deutschland initiierten European Sky Shield Initiative (Essi) wollen weder Frankreich noch Italien beitreten, die mit dem gemeinsamen Luftverteidigungssystem Samp/T Mamba eine eigene Alternative zum US-amerikanischen Patriot-System haben, auf das Deutschland setzt. Anfang des Jahres bestellten Rom und Paris 700 Aster-Raketen für geschätzt zwei Milliarden Euro, und Italien schloss sich im Juni dem britisch-französischen Programm für Anti-Schiffs-Raketen und Marschflugkörper Fman/FMC an.

    Im Juli hatten Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius und sein französischer Amtskollege Sébastien Lecornu nach vorangegangenen Streitigkeiten mit abgesagten und kurzfristig wieder zugesagten Terminen für den September ein Papier mit konkreten Anforderungen für MGCS angekündigt. Ende September wollen sie sich in Paris treffen, um die Fortschritte zu besprechen. bub

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    Finnisches Rüstungsunternehmen prüft Produktion von Radpanzern in der Ukraine

    Das finnische Rüstungsunternehmen Patria prüft die Möglichkeit, gepanzerte Kampffahrzeuge in der Ukraine herzustellen. Die finnische Regierung unterstützt das Vorhaben. Patria baut unter anderem den Truppentransporter AMV. Grundsätzlich kann das Patria-AMV-Modell für unterschiedliche Aufgaben moduliert werden. Im April hatte die Ukraine in Polen 150 Radschützenpanzer des Typs KTO Rosomak bestellt, eine Lizenzversion des AMV. Für die Ukraine wird ebenfalls eine Lizenzversion diskutiert.

    Erst kürzlich hatte Schweden zugesagt, in der Ukraine eine Produktions-, Reparatur- und Trainingsstätte für den schwedischen Panzer CV90 zu errichten. Auch der deutsche Panzerbauer Rheinmetall will in der Ukraine produzieren, konkrete Pläne sind aber bisher nicht bekannt. Laut Aussagen des Vorstandsvorsitzenden Armin Papperger sollte noch im August die Wartung von Leopard-Panzern in der Ukraine nach der Ausbildung ukrainischer Techniker beginnen. Die Ukraine hatte schon vor dem russischen Überfall im Februar 2022 eine große Rüstungsbranche und gehörte zu den wichtigen Exportländern für Waffen, 2021 nahm sie global den 14. Platz ein. Die Bereitschaft westlicher Rüstungsunternehmen, in der Ukraine Produktionsstätten aufzubauen, zeigt, dass das Land auch künftig eine große Rolle als Waffenhersteller spielen wird. vf

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    Libyen: Ausschreitungen nach Treffen mit israelischem Außenminister

    Nach einem Treffen der libyschen Außenministerin Najla Mangoush mit ihrem israelischen Amtskollegen Eli Cohen in Rom ist es in der Nacht zu Montag im Westen Libyens zu Ausschreitungen gekommen. In der Hauptstadt Tripoli sowie der Hafenstadt Zauwia brannten Autoreifen. Premierminister Abdulhamid Dabaiba reagierte prompt: Ab sofort werde der Minister für Kultur und Jugend, Mohamed Mehdi Bensaid, das Außenministerium leiten, so eine Regierungserklärung auf Facebook. Außenministerin Mangoush sei so lange freigestellt, bis eine Untersuchung die Umstände des Treffens aufgeklärt habe.

    Es habe sich um kein formelles, sondern um ein spontanes Treffen ohne Vorbereitung gehandelt, sagte ein Sprecher des libyschen Außenministeriums am Montag. Najla Mangoush erklärte, sie sei nach einem Austausch mit italienischen Regierungsvertretern zufällig auf Cohen getroffen und dann nach London weitergereist.

    In ihrer Heimat droht der 50-Jährigen nun die Verhaftung, da jede Kontaktaufnahme mit offiziellen Vertretern Israels wie im benachbarten Tunesien ein gesellschaftliches Tabu ist. Libyen und Israel unterhalten zwar keinerlei offizielle Beziehungen, stehen jedoch durch die ehemals über 30.000 jüdischen Libyer in Kontakt. Angehörige der jüdischen Minderheit Libyens mussten nach dem von Israel gewonnenen Sechs-Tage-Krieg 1967 Nordafrika verlassen.  

    Am Sonntagnachmittag hatte der israelische Außenminister Cohen das Treffen mit der früheren Menschenrechtlerin Mangoush als historisch bezeichnet und als ersten Schritt auf dem Weg zur Neuschaffung einer Beziehung beider Länder. Man habe sich über die Erhaltung des jüdischen Kulturerbes in Libyen unterhalten, so Cohen gegenüber israelischen Medien, die ausführlich über das erste Treffen libyscher und israelischer Spitzendiplomaten berichteten. 

    Wie brenzlig die Proteste für Premierminister Dabaiba persönlich sind, zeigen nächtliche Aufnahmen von einem Angriff auf dessen Privathaus. Unbekannte warfen Steine und Molotowcocktails auf das von bewaffneten Milizen geschützte Gebäude in Tripolis, ohne es jedoch zu beschädigen. mk

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    Presseschau

    Spiegel – Ampelpolitiker fordern besseren Schutz für lokale Helfer. Nach Berichten über die Ermordung eines Beschäftigten der Bundeswehr in Mali schlagen Ampelpolitiker Alarm: Um ein Desaster wie bei dem Abzug aus Afghanistan 2021 zu verhindern, müsste die Bundesregierung sicherstellen, dass Dolmetscher und über Subunternehmen Angestellte nach Einsatzende im Dezember dieses Jahres nicht in Gefahr gerieten.

    F.A.Z. – EU-Gesandter für palästinensische Gebiete: “Ich hoffe, dass Israel zu Sinnen kommt.” Der deutsche Diplomat Sven Kühn von Burgsdorff wirft im Interview einen kritischen Blick auf seine gerade zu Ende gegangene Zeit als EU-Vertreter in Ostjerusalem und stellt dreißig Jahre nach Abschluss der Osloer Verträge die Frage: “Wie will man den Konflikt mit Militarisierung und einem exzessiven Sicherheitsdenken lösen?” 

    The Tahrir Institute – Tunisia at the Center of a Failed Asylum Architecture. Angesichts zunehmender Fremdenfeindlichkeit und dem im Juli mit der EU vereinbarten Migrationsdeal verschlechtert sich die Lage für Flüchtlinge in Tunesien weiter. Das nordafrikanische Land wird so zum Beispiel einer gescheiterten Asylarchitektur, schreibt der US-amerikanische Think Tank in einer neuen Analyse.

    Heads

    Bastian Giegerich – Der Deutschland-Erklärer

    Bastian Giegerich ist Politikwissenschaftler und künftiger Generaldirektor des Londoner International Institute for Strategic Studies.

    Er ist so in der englischen Sprache zu Hause, dass er schon nach deutschen Wörtern sucht – und sich darüber amüsiert. Auch sein Humor kann sehr britisch sein und die Attitüde, lieber etwas tiefer zu stapeln. Er sei, sagt Bastian Giegerich, der ab Oktober einen der renommiertesten Thinktanks in London führen wird, ein ganz passabler “Übersetzer”. Er erklärt dann deutschen Medien, was das Ausland so über deutsche Sicherheitspolitik denkt. Die viel schwierigere Übersetzungsleistung ist aber: Wie ticken die Deutschen denn eigentlich?

    Bastian Giegerich lächelt bei dieser Bemerkung sehr fein, fast unmerklich. Seit der “Zeitenwende” muss er viel erklären – in beide Richtungen. Vor allem den Briten, die zumindest beim Fußball immer noch gern einen “Blitzkrieg” gegen die Deutschen führen wollen. Und die als ehemalige Großmacht die deutschen “Zeitenwende”-Schwüre belächeln.

    Ein Fehler, wie der 47-jährige Sicherheitsexperte erklärt: “Eine langsame Bewegung ist auch eine Bewegung; aber entscheidend ist ja nicht, ob sich Deutschland schneller bewegt als vorher, sondern ob es sich angesichts der sicherheitspolitischen Anforderungen schnell genug bewegt.”

    Fasziniert vom angelsächsischen Sicherheitsdenken

    Schon früh ist dem Studenten der Politikwissenschaft an der Universität Potsdam klar geworden, dass er den Blick von außen braucht. Und dass die Sicherheitspolitik sein Metier werden würde. Er geht mit einem Stipendium in die USA, studiert an der National Defense Universität in Washington DC und macht 2005 seinen Doktor im Bereich Internationale Beziehungen an der London School of Economics and Political Science.

    “Mich hat fasziniert, wie im angelsächsischen Raum über das Thema Strategie nachgedacht wird, nämlich sehr praxisnah.” Nach Zwischenstationen am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr und als Referent in der Abteilung Politik des Bundesministeriums der Verteidigung wird schließlich London sein Lebensmittelpunkt. Und das 1958 gegründete International Institute for Strategic Studies (IISS): “In Deutschland hat das strategische Denken keine Tradition mehr und wird auch an Universitäten kaum gelehrt.”

    Zuletzt leitete Giegerich das IISS-Team, das die Publikation “The Military Balance” herausgibt, die die militärischen Potenziale und Verteidigungswirtschaften von 173 Ländern auflistet und bewertet. Zudem gibt das Flaggschiff des IISS einen Überblick über bewaffnete Konflikte wie den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

    Wie tief das angelsächsische Denken auch Giegerichs Expertise beeinflusst hat, zeigt sich in seiner Fundamentalkritik an Deutschlands strategischer Kultur. Sein Buch “The Responsibility to Defend. Rethinking Germany’s Strategic Culture”, das er zusammen mit dem konservativen Politologen Maximilian Terhalle vom Londoner King’s College verfasst, ist 2021 erschienen – bis auf eine deutsche Zusammenfassung bislang allerdings nur auf Englisch.

    Kritik an Nationaler Sicherheitsstrategie

    Bewegt sich Deutschland denn nun schnell genug? Als professioneller Übersetzer findet Giegerich deutliche Worte – was übrigens ganz unbritisch ist. In der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung in Berlin sieht er einen großen Fortschritt: “Die künstliche Trennung zwischen Sicherheit und Wirtschaft ist aufgehoben. Ebenso die Vorstellung, dass Abhängigkeiten – siehe Russland – stabilisierend wirken.” Allerdings spart er auch nicht mit Kritik: “Der Begriff ‘integrierte Sicherheit’ ist nicht institutionell verankert, ob in einem Nationalen Sicherheitsrat oder etwas Ähnlichem. Das ist ein Bruch in der Logik, den ich nicht nachvollziehen kann.”

    Aber letztlich kann auch der Übersetzer, der seine Bücher auf Englisch schreibt, nicht aus seiner deutschen Haut heraus. Kritik an Deutschland, zumal aus dem Brexit-Land Großbritannien, findet er wohlfeil: “Es ist ja nicht so, dass Deutschland keine Position hat. Es ist aber viel schwieriger, seine Position an eine geänderte Realität anzupassen, als eine Position da neu zu erfinden, wo vorher keine war”. Nana Brink

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