wie kann es sein, dass geheime Angelegenheiten der Luftwaffe über eine unsichere Leitung wie WebEx besprochen und so zum Instrument des russischen Informationskriegs gegen Deutschland werden können? Diese Ausgabe widmet sich in zwei ausführlichen Stücken den (außen-)politischen und den technischen Konsequenzen dieses Akts der Spionage.
Eine der unfreiwilligen Hauptfiguren des Telefonats, den Inspekteur der Luftwaffe Generalleutnant Ingo Gerhartz, stellt Thomas Wiegold im Portrait vor.
Außerdem schauen wir auf die Rüstungsindustrie. In Brüssel wird heute der Entwurf der Strategie der Europäischen Verteidigungsindustrie vorgestellt. Ob es der große Wurf wird, der “Paradigmenwechsel hin zur Kriegswirtschaft”, wie es Binnenmarktkommissar Thierry Breton kürzlich ausdrückte, da ist sich die Industrie noch nicht so sicher, schreibt Wilhelmine Preußen.
Eine interessante Lektüre wünscht
Vor einer Woche hatte Bundeskanzler Olaf Scholz erstmals öffentlich erklärt, dass und warum Deutschland keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern werde. Kernaussage damals: Deutsche Soldaten dürften an keiner Stelle beim Einsatz dieses Waffensystems beteiligt sein, “auch nicht in Deutschland”.
Jetzt ging der Kanzler einen Schritt weiter. “Es kann nicht sein, dass man ein Waffensystem liefert, das sehr weit reicht, und dann nicht darüber nachdenkt, wie die Kontrolle über das Waffensystem stattfinden kann”, argumentierte er am Montag in Sindelfingen. “Und wenn man die Kontrolle haben will und es nur geht, wenn deutsche Soldaten beteiligt sind, ist das völlig ausgeschlossen.” An dieser Aussage gebe es nichts zu rütteln: “Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das.”
Die Argumentationslinie ist – zumindest öffentlich – neu für Scholz. Ein Taurus-Einsatz, der eine Beteiligung der Bundeswehr nicht etwa deshalb erfordere, weil die Ukraine es sonst nicht hinbekäme, sondern weil Deutschland die Kontrolle über die Ziele behalten müsse: So deutlich hatte das der Kanzler bislang nicht gesagt. In Verbindung mit dem Machtwort setzt sich Scholz eine Hürde, die er kaum überspringen kann. Und Erklärungsversuche seiner Partei, wie die von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, das Nein zur Lieferung gelte zu dieser Zeit, wirken damit ebenfalls überholt.
Die neue Aussage will der Kanzler sicherlich nicht als Reaktion auf das von Russland abgehörte und veröffentlichte Gespräch hoher Luftwaffenoffiziere über die Möglichkeiten eines ukrainischen Taurus-Engagements verstanden wissen. Dennoch wird er es sowohl den Koalitionspartnern als auch der Opposition erklären müssen. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock wies noch mal darauf hin, dass Deutschland zugesagt habe, alles für die Verteidigung der Ukraine zu tun, und dafür alles auf den Prüfstand stellen müsse: “Und aus meiner Sicht ist die Faktenlage da sehr, sehr klar.”
Mit den Antworten auf die Opposition können sich Scholz und die Bundesregierung vielleicht ein bisschen mehr Zeit lassen. Die Sondersitzung des Verteidigungsausschusses, die die Unionsfraktion beantragt hatte, soll erst am Montag kommender Woche stattfinden.
Bis dahin, so hatte es Verteidigungsminister Boris Pistorius versprochen, soll auch mehr Klarheit herrschen, wie sich Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz und seine Offiziere bei ihrer vertraulichen Besprechung via Telekonferenz russische Mithörer eingefangen haben. Vorerst lenkt SPD-Chef Lars Klingbeil die Aufmerksamkeit zurück nach Moskau: “So wie sich die Lage aktuell darstellt, reden wir über einen hybriden Angriff aus Russland, mit dem Ziel, Unruhe in die deutsche Innenpolitik zu bringen. Putin versucht, unsere Politik und unsere Gesellschaft zu spalten”, sagte Klingbeil zu Table.Media.
“Gerade deswegen sollte eine notwendige schnelle Aufklärung nicht mit Forderungen vermischt werden, die sofort als parteipolitisch motiviert durchschaubar sind. Es geht jetzt um eine ernsthafte Aufarbeitung, die sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz als auch Verteidigungsminister Boris Pistorius sofort angekündigt haben. Sobald die Ergebnisse vorliegen, müssen die richtigen Schlüsse gezogen werden”, so Klingbeil. Vorsorglich zog die Bundeswehr schon mal die Notbremse: An den WebEx-Konferenzen der Streitkräfte darf vorerst nur teilnehmen, wer aus dem Bundeswehr-internen Netz oder mit einer bundeswehreigenen Verschlüsselung auf dem Laptop zugeschaltet wird.
“Spalte und herrsche!” – das dürfte das Hauptmotiv hinter der russischen Veröffentlichung des Gesprächs über Taurus gewesen sein, aber es war nicht das einzige. “Die russische Regierung beschloss offenbar die Aufnahme in erster Linie zu Propagandazwecken zu verwenden, wichtige, der russischen Aufklärung sonst unbekannte operativen Informationen enthält sie ja nicht”, erläutert Alexey Yusupov, Leiter des Russland-Programms der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES).
So könne Moskau “den innenpolitisch lähmenden, immer noch schwelenden deutschen Streit über die Lieferung von Taurus weiter am Leben halten und den Ruf von Olaf Scholz zusätzlich schädigen”. Mitte Februar hat das russische Justizministerium die FES als “unerwünschte” Organisation in Russland erklärt, ebenso die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, sowie zwei weitere kleinere Nichtregierungsorganisationen.
Als wichtigster EU-Helfer der Ukraine steht Deutschland seit Beginn der Vollinvasion vor mehr als zwei Jahren im besonderen Fokus der russischen Propaganda. Die Drohungen werden nicht weniger, am Montag warnte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa gar, dass “die Denazifizierung in Deutschland nicht abgeschlossen” sei. “Wenn die Deutschen die Situation nicht ändern, werden die Folgen für Deutschland schrecklich sein.”
Am Montag hatte der deutsche Botschafter Alexander Graf Lambsdorff im russischen Außenministerium einen Termin wahrgenommen, der nach seiner Aussage schon lange angesetzt war. In russischen Medien und durch den Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wurde dieser Termin jedoch als Einberufung dargestellt.
Neben dem Propaganda-Aspekt lenkt der Taurus in Russland von zwei anderen Themen ab, die für den Kreml problematisch sind: die Trauerfeiern für den Oppositionellen Alexey Nawalny, zu denen im vierten Tag infolge viele Menschen kamen und von den hohen Verlusten in der Ukraine. In den vergangenen Tagen waren es fast 1000 russische Soldaten am Tag, die in der Ukraine getötet wurden. Diese Zahlen nennen das ukrainische Verteidigungsministerium und der britische Militärgeheimdienst.
Als im vergangenen Frühling so viele russische Soldaten pro Tag fielen, wirbelte Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin mit seinen derben Videobotschaften die Führungsriege im Kreml auf. Heute ist Prigoschin tot und die immensen Verluste an der Front kein Thema in den russischen Medien – dafür aber die angeblichen Angriffspläne der Deutschen mit dem Taurus.
Welchen diplomatischen Schaden unter westlichen Freunden das Leak auslösen wird, ist noch nicht absehbar. In Brüssel wird der Vorwurf des Dilettantismus gegen Berlin laut. Die Sorgen über die Spannungen zwischen den Verbündeten wachsen, nachdem Olaf Scholz Frankreich und Großbritannien indirekt als Kriegspartei in der Ukraine dargestellt hat. Auch die gegenseitigen Vorwürfe zwischen Berlin und Paris zur Unterstützung der Ukraine stören das Bild der Geschlossenheit, das Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg seit Beginn des russischen Angriffskrieges vor zwei Jahren stets betont hat.
Der deutsche Nato-Botschafter Geza von Geyr hätte am Dienstag oder im Laufe der Woche eine erste Möglichkeit, bei einem der regulären Treffen des Nordatlantikrates das Taurus-Leak zur Sprache zu bringen und die Verstimmung aus der Welt zu schaffen.
Zumindest Litauen, ein mit Russland sehr erfahrener Nato-Partner, sieht in der abgehörten Luftwaffen-Besprechungsrunde keine größere Gefahr für das Bündnis. “Es wurde ein gewisser Schaden angerichtet, aber inhaltlich war ein solches Gespräch nicht überraschend. Es ist von entscheidender Bedeutung zu bewerten, welche anderen Daten vom Feind hätten gesammelt werden können und wie sichergestellt werden kann, dass so etwas nicht wieder vorkommt. Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Nato-Ländern”, sagt Linas Kojala, Direktor des Zentrums für Osteuropastudien in Vilnius. Litauen wie auch die beiden anderen baltischen Staaten Estland und Lettland sind schon seit Jahren mit dem russischen Informationskrieg konfrontiert.
Kojala glaubt nicht, dass “das Vertrauen wesentlich beeinträchtigt wird, wenn Maßnahmen ergriffen werden, um zu verhindern, dass sich so etwas wiederholt”. Litauen werde dies sicherlich aufmerksam verfolgen, da die bilaterale Verteidigungszusammenarbeit sehr intensiv und strategisch sei.
Anmerkung: In einer früheren Version war von einer Sondersitzung des Bundestages und nicht des Verteidigungsausschusses die Rede. Wir haben den Fehler korrigiert.
Nur wenige Tage nach der Kritik an Bundeskanzler Olaf Scholz, als geheim klassifizierte Informationen zum Einsatz französischer ScalpEG und britischer StormShadow-Marschflugkörper ausgeplaudert zu haben, veröffentlichte Russlands Staatspropaganda-Sender RT den Mitschnitt eines WebEx-Calls zwischen hochrangigen Bundeswehrangehörigen.
Der Inhalt widerspricht Scholz Aussagen zu Taurus an einigen Stellen – und scheint andere zu bestätigen, etwa die zu UK-Soldaten in der Ukraine. Seitdem wird diskutiert: Wie konnte so ein Gespräch mitgehört werden? Hat sich etwa ein russischer Geheimdienst in die WebEx-Konferenz eingeklinkt, geheim oder einfach nur unbemerkt per Telefon – und damit die deutsche Spionageabwehr und die Bundeswehr blamiert?
Einfallstor war aber wohl kein technisches, sondern menschliches Versagen. Denn: “WebEx und vergleichbare Systeme sind keine Geheimschutz-IT, sondern für nicht geheime Gespräche gedacht. Dafür gibt es eigene Lösungen”, sagt Manuel Atug, Experte für Informationssicherheit. “Wenn sich hochrangige Bundeswehrangehörige darum nicht scheren, keine sicheren Kommunikationskanäle in abhörgeschützten Umgebungen verwenden, ist das kein Problem der Technik.” Spätestens dann, wenn Teilnehmer per Telefonleitung zugeschaltet werden, ist eine nach Stand der Technik sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung unmöglich.
Das hätte auch das Spitzenpersonal der Bundeswehr wissen müssen. Denn dort gibt es mit gutem Grund spezielle, sichere und teure Kommunikationssysteme für Vorgänge mit hohem Geheimschutzgrad – die allerdings nicht jederzeit und überall zur Verfügung stehen. Sie ergeben auch nur Sinn bei Nutzung in sicheren Umgebungen, etwa abhörgeschützten Räumen. Diese gibt es etwa an vielen Botschaften weltweit. Die meisten anderen Systeme dürfen, wenn überhaupt, höchstens bis zur niedrigsten Geheimhaltungsstufe eingesetzt werden.
Dass geheime Inhalte dennoch über ungeeignete Systeme kommuniziert werden, überrascht IT-Sicherheitsexperten nicht. Diese seien sehr viel einfacher zu benutzen. Und WebEx hatte sogar extra 2020 das “WebEx for Defense”, eine Lösung für das US-Verteidigungsministerium vorgestellt. Allerdings unterliegt auch diese strengen Restriktionen, was Umgebung und Einstufung der darüber erlaubt zu kommunizierenden Inhalte betrifft.
In Deutschland findet sich Ciscos WebEx ebenso wenig auf der Liste der vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik für Verschlusssachen zugelassenen Hard- und Software wie Microsoft Teams, Zoom oder andere Hersteller. “Dass Hersteller gerne behaupten, ihre Systeme seien selbstverständlich sicher, darf nicht als Entschuldigung gelten“, sagt Atug. Er fordert: “Es braucht auch bei der Bundeswehr eine Informationssicherheitswende – technisch und in den Köpfen.”
Dass sichere und praktisch nutzbare Kommunikation Hand in Hand gehen müssen, darüber wird in Fachkreisen seit Jahren debattiert. Insbesondere Strafverfolger und Sicherheitsbehördenvertreter warnten aber immer wieder vor zu sicherer Kommunikation in Alltagsanwendungen – damit würden Straftäter und Spione geschützt. Immer wieder versuchten EU-Innenkommissarin Ylva Johansson und einige Mitgliedstaaten, per Gesetz Hintertüren in als sicher geltende Verschlüsselungsmechanismen vorzuschreiben – und damit die technische Integrität der Kommunikationsvertraulichkeit strukturell zu schwächen. Derartige Vorhaben scheiterten bislang vor allem am Widerstand aus dem Europaparlament.
“Bislang sind es fromme Absichtsbekundungen. Es wird darauf ankommen, was am Ende dabei herumkommt”, sagt ein deutscher Rüstungsvertreter in Brüssel mit Blick auf den Entwurf der Strategie der Europäischen Verteidigungsindustrie und des damit verbundenen Programms für Verteidigungsinvestitionen (Edip).
Beide Entwürfe liegen Table.Media vor und die finale Version soll am Dienstag von EU Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton, gemeinsam mit Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager und EU-Außenbeauftragtem Josep Borrell vorgestellt werden, nachdem der Termin bereits mehrmals verschoben wurde. Es wird von großen Differenzen zwischen den Mitgliedstaaten, aber auch innerhalb der EU-Kommission gesprochen, wo die Generaldirektion für die Verteidigungsindustrie (Defis) federführend für die Ausarbeitung zuständig ist.
Es geht um nicht weniger als einen “Paradigmenwechsel hin zur Kriegswirtschaft”. Ein Grundsatz, der in der Rüstungsindustrie sicherlich begrüßt wird.
Besonders relevante und weitreichende Vorschläge sind unter anderem:
Als Minimum vorgesehen sind 1,5 Milliarden Euro aus dem mehrjährigen Finanzrahmen, weit entfernt von den 100 Milliarden Euro, die Binnenmarktkommissar Thierry Breton gefordert hatte. Zweifel gibt es bei der Industrie aber auch hinsichtlich der Umsetzung.
Die Bilanz der bisherigen europäischen Rüstungsinitiativen, wie der Verordnung zur Förderung der Munitionsproduktion (Act in Support of Ammunition Production, Asap) ist bislang schwach. Ende Januar räumte die EU öffentlich ein, dass sie ihr Ziel, bis März dieses Jahres eine Million Artilleriegeschosse an die Ukraine zu liefern, bei weitem nicht erreichen würde. Lediglich die Hälfte dieser Menge würde bis zu diesem Termin geliefert werden.
Die Mitgliedstaaten haben außerdem im Verlauf des Verhandlungsprozesses die Finanzierung für das ad-hoc Programm zur gemeinsamen Beschaffung von Waffen gekürzt. Und das, obwohl nur 500 Millionen Euro für das Programm vorgesehen waren, während Deutschland alleine mit Rheinmetall den ersten Vertrag über 1,2 Milliarden Euro geschlossen hatte.
“Das zeigt allein am Beispiel Deutschlands, wie wenig größere Mitgliedsländer bereit sind, sich diesen Kommissionsregularien, zu unterwerfen”, sagt Ronja Kempin, Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Rheinmetall-CEO Armin Papperger selbst dämpfte unlängst die Erwartungen an die Initiativen aus Brüssel und verwies dabei auch auf die langsamen Entscheidungsfindungen auf EU-Ebene.
Im März 2022 hatten sich EU Staats- und Regierungschefs mit der Deklaration von Versailles darauf geeinigt, gemeinsam die Investitionen in die Verteidigungskapazitäten “entschlossen zu verstärken” und die Verteidigungsausgaben in der gesamten EU “erheblich zu erhöhen”.
Zwei Jahre später ist einmal mehr klar, dass die Mitgliedstaaten weiterhin ungern nationale Souveränität an die europäische Ebene abtreten. Grundsätzlich sei es also ein “tolles Papier” so der Rüstungsvertreter und ergänzt: “Allein mir fehlt der Glaube.”
Wenige Tage vor Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan wird die Wortwahl in Teheran aggressiver. “Die Wunde von Gaza wird nicht aus dem Gedächtnis der freien Völker der Welt getilgt werden.” Ebenso wenig wie das “Schweigen über Massenmord und Genozid an den Palästinensern durch das verbrecherische zionistische Regime”, sagte der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Nasser Kanaani, vergangene Woche nach Berichten über mehr als hundert Tote beim Beschuss einer Menschenmenge, die auf Hilfslieferungen in Gaza-Stadt warteten.
Schon seit Monaten versucht die Islamische Republik Iran mit markigen Warnungen, eine Offensive auf Rafah im Süden des Gaza-Streifens zu verhindern. “Die Ausweitung der Kriegsverbrechen und des Völkermords durch das israelische Besatzungsregime auf die palästinensischen Flüchtlinge in Rafah wird schwerwiegende Folgen für Tel Aviv haben”, erklärte Irans Außenminister Hossein Amir-Abdollahian Mitte Februar. Und Außenamtssprecher Kanaani warnte: “Wenn die USA und der Westen um die regionale Stabilität besorgt sind, sollten sie dem rücksichtslosen Verhalten Tel Avivs Einhalt gebieten.”
Seit Beginn des Gaza-Krieges hat Teheran mehrere rote Linien gezogen, die Israel allesamt überschritten hat. Zunächst versuchte der Iran, Israel von einer Bodeninvasion in Gaza abzuhalten, indem er davor warnte, dass dies zu einem regionalen Krieg führen würde. Fast wortgleich warnt Teheran nun vor einem israelischen Angriff auf Rafah.
Denn für die Islamische Republik stellt Rafah die letzte Bastion für das militärische Überleben ihres wichtigsten palästinensischen Verbündeten Hamas dar, zumal es für sie ein herber Verlust wäre, einen ihrer wichtigsten regionalen Stellvertreter zu verlieren. Teheran betrachtet sein Stellvertreter-Netzwerk “Achse des Widerstands” als “strategische Tiefe”, die ihm als Hauptinstrument zur Machtprojektion und auch zum Schutz vor Angriffen Israels oder der USA dienen soll.
Das Verhaltensmuster Teherans seit dem Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober deutet darauf hin, dass es die Verletzung seiner roten Linien durch Israel tolerieren wird: Iranischen Geheimdiensten nahestehende Medien nennen als Ziel eine “strategische Erosion” der Gegenseite. Das beinhaltet, dass von der Hisbollah an der Nordgrenze Israels über pro-iranische Kräfte im Irak und Syrien bis hin zu den jemenitischen Huthi Teherans Stellvertretermilizen ins Gefecht ziehen, eine direkte Konfrontation mit Israel aber vermieden wird.
Im Wesentlichen nutzt Iran seine Stellvertreter als Mittel der Abschreckung. Daher würde der Verlust der Hamas für Teheran macht- und sicherheitspolitische Konsequenzen haben. Auch würde eine Zerstörung der Hamas im Gaza-Streifen tiefgreifende Auswirkungen auf die gesamte “Achse des Widerstands” haben.
Trotzdem schreckt Teheran davor zurück, die Wucht seiner “Achse” vollends einzusetzen – und das vor allem mit Blick auf die wichtigste Kraft, die libanesische Hisbollah. Sie ist nicht nur die militärisch stärkste Organisation innerhalb der “Achse” – mit über 150.000 Präzisionsraketen, die den Raketenabwehrschirm Iron Dome überfordern könnten. Die Hisbollah stellt nichts weniger dar als die Lebensgarantie der Islamischen Republik Iran, die nur dann aktiviert wird, wenn das iranische Regime selbst direkt bedroht ist.
Dieser Zurückhaltung Irans, die dessen Oberster Führer Ali Khamenei gerne als “strategische Geduld” zu verkaufen vermag, hat sich auch die Hisbollah faktisch untergeordnet. Die Folge ist, dass die Hisbollah zum Leidwesen der Hamas die Konfrontation nie so eskaliert hat, dass die Israel Defence Forces durch eine zweite Front im Norden in ihrem Gaza-Feldzug im Süden beeinträchtigt worden wäre.
Diese Gemengelage bringt die Islamische Republik in eine schwierige Situation. Einerseits muss sie ihren Stellvertretern und regionalen Verbündeten zeigen, dass ihre Unterstützung solide ist und ihre Warnungen gegenüber Israel glaubwürdig sind. Andererseits ist sich Iran der möglichen Folgen eines umfassenden regionalen Krieges bewusst, der nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich und politisch verheerend sein könnte. Die iranische Führung navigiert zwischen regionalen Großmachtambitionen und sorgfältigem Vermeiden eskalierender außenpolitischer Schritte, die letztlich die Stabilität des eigenen Regimes untergraben könnten. Ali Fathollah-Nejad
Das französische Verteidigungsministerium hat zum ersten Mal seit Kriegsbeginn eine detaillierte Liste mit der an die Ukraine gelieferten Rüstungsgüter veröffentlicht. Frankreich habe seit Kriegsbeginn Material im Wert von 2,6 Milliarden Euro geliefert. Hinzu kämen 1,2 Milliarden Euro, die Paris an die Europäische Friedensfazilität überwiesen habe.
Insgesamt seien das “also 3,8 Milliarden Euro zwischen dem 24. Februar 2022 und dem 31. Dezember 2023″ teilte das Ministerium am Montag in einer Erklärung mit, die auch auf Englisch veröffentlicht wurde.
Französische Regierungsmitglieder hatten sich zuletzt teils emotional gegen Vorwürfe gewehrt, dass sie die Ukraine nicht genug unterstützen würden. Der Verteidigungsminister Sébastien Lecornu hatte die Erhebung des Kiel Institut für Weltwirtschaft, das die Unterstützung an die Ukraine erfasst, und Frankreich auf dem 14. Platz führt, als “weder zuverlässig noch gültig” bezeichnet.
Aus der am Montag veröffentlichten Liste geht hervor, dass Frankreich 30.000 Schuss 155-Millimeter-Artilleriemunition geliefert hat, lediglich zu der Zahl der ausgehändigten Scalp-Marschflugkörper, die in der Debatte um deutsche Taurus-Lieferungen an die Ukraine als französisches Äquivalent aufgeführt werden, machte das Ministerium keine Angaben. bub
Robert Habeck hat sich für eine Stärkung der militärischen Forschung in Deutschland ausgesprochen. Man müsse “bei Sicherheit und Wehrfähigkeit besser werden”. Das bedeute auch, dass man Innovationen in diesem Bereich stärken sollte, sagte der Wirtschaftsminister dem Handelsblatt. Er wolle damit eine “ressortübergreifende Debatte anregen”, sagte eine Sprecherin des BMWK auf Anfrage von Table.Media.
Vergangene Woche hatten sich bereits die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) und auch die Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger für eine stärkere Verknüpfung von ziviler und militärischer Forschung ausgesprochen.
Man habe auf dem Gebiet der Sicherheit in den vergangenen Jahren zu wenig getan und auch “bei Innovation und Forschung” abgerüstet, sagte Habeck. Andere Länder, wie Israel, seien hier weiter. Dort entstünden aus dem militärischen Komplex viele Start-ups, beispielsweise zu Cybersecurity oder Drohnen.
Auch die EFI hatte in ihrem Jahresgutachten auf Israel – und auch die USA – als Positivbeispiele hingewiesen. “Die strikte Trennung zwischen militärischer und ziviler Forschung gehört auf den Prüfstand. Deutschland vergibt hierdurch ökonomische Chancen“, sagte der EFI-Vorsitzende Uwe Cantner bei der Vorstellung des Gutachtens. Er forderte zudem, ein Teil des Sondervermögens der Bundeswehr auch für Forschungs- und Entwicklungs-Vorhaben (FuE) auszugeben. Damit könnten sogenannte Spill over-Effekte ausgelöst und ein Dual Use gefördert werden, heißt es im Papier. Studien zeigten, dass Investitionen in militärische FuE auch solche in zivile FuE hervorrufen.
Die neuerlichen Forderungen zur Stärkung der Dual-Use-Forschung hatten auch eine Debatte unter Forschungspolitikern und Wissenschaftlern über die militärische Forschung an Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen ausgelöst. mw
Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) will die Ausfuhr von Rüstungsgütern erleichtern. Das teilte das Ministerium am Freitag mit. Im Rahmen Allgemeiner Genehmigungen (AGGs) sei geplant, die Ausfuhr von Marineausrüstung zu vereinfachen.
Über AGGs erhalten Güter eine pauschale Genehmigung, ohne dass Exporteure, wie bei Rüstungsexporten üblich, beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) einen Ausfuhrantrag stellen müssen. Waffen, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen, bedürfen weiterhin einer Genehmigung des Bafa.
Außerdem soll der Kreis der Länder, in die über AGGs Schutzausrüstung geliefert werden darf, “deutlich” ausgeweitet werden sowie die AGGs für “Landfahrzeuge für militärische Zwecke”, “vorübergehende Ausfuhren” und “besondere Fallgruppen” erweitert werden. Um welche Länder es sich konkret handelt, werde erst “in Kürze” veröffentlicht, teilte das BMWK mit.
Noch im März wolle das Ministerium die neuen Maßnahmen umsetzen, die zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren beitragen sollen. Zum 1. April 2024 wären die AGGs ausgelaufen, mit dem neuen Maßnahmenpaket werden sie bis zum 31. März 2025 verlängert. bub
Stiftung Wissenschaft Politik: Geostrategie von rechts außen. Wie positionieren sich Gegner der EU und Rechtsaußenparteien außen- und sicherheitspolitisch? Das Spektrum ist fragmentiert, reicht von transatlantischer Orientierung bis hin zu fundamentaler Opposition mit antiwestlicher Ausrichtung. Es im Auge zu behalten ist wichtig – nationale Wahlen und Koalitionsentscheidungen werden bedeutend für die Handlungsfähigkeit und Kohärenz der EU sein.
ARD: Korruption – Für Öl und Gas aus Aserbaidschan. Im Zuge der Reihe #UnsereErde – Kampf um Rohstoffe betrachtet die ARD den Einfluss Aserbaidschans in Europa, bis tief hinein ins deutsche Parlament. Der SPD-Abgeordnete Frank Schwabe berichtet, wie er ab 2013 gegen die Aserbaidschan-Connection, in die einige CDU-Politiker verwickelt waren, vorging. Der ARD-Film “Am Abgrund” bereitet die Thematik als Spielfilm auf.
Frankfurter Allgemeine Zeitung – Westliche Chips in blauen Säcken. In Kiew finden Forensiker in Wrackteilen ständig westliche Bauteile. Seit Kriegsbeginn sei ihre Anzahl nicht gesunken. Raketen, die Ende 2023 gebaut wurden, und bereits im Januar 2024 in Kiew einschlugen, zeigen, wie kurz der Weg von der Produktion zum Einsatz ist. Auch Produkte deutscher Hersteller seien vertreten. Zum Beispiel Halbleiter von Infineon.
Le monde: “La crise humanitaire à Gaza crée des situations indéfendables et injustifiables dont les Israéliens sont comptables.” Zwei Monate nach Amtsantritt spricht Frankreichs Außenminister Stéphane Séjourné über die Lage Gazas und die Machtlosigkeit des Westens, wenn es darum geht, Einfluss auf Israel zu nehmen. Séjourné plädiert für einen sofortigen Waffenstillstand und kritisiert Israels Blockade humanitärer Hilfe als “nicht zu rechtfertigen”.
LRT: “There will be no war in Lithuania today”, reassures Armed Forces. Bereits ein Jahr vor Russlands Angriff auf die Ukraine registrierten Nachrichtendienste eine Konzentration militärischer Ausrüstung in Grenznähe. Das aktuelle “nachrichtendienstliche Bild dessen, was an den Grenzen Litauens und darüber hinaus geschieht”, zeige, dass “sich die Situation seit 2022 nicht verändert hat”, versichern litauische Streitkräfte. Einen Krieg werde es heute und auch morgen nicht geben.
Mit jeder Vorwahl, die Donald Trump gewinnt, wird die dunkle Wolke über der Nato bedrohlicher. Werden sich die Europäer auch in Zukunft auf ihren stärksten Verbündeten verlassen können? Mit welcher politischen Taktik könnten sie sich am besten auf eine mögliche Rückkehr Trumps in das Weiße Haus vorbereiten?
Die Meinungen darüber gehen auseinander: Während die einen – darunter auch die Regierung in Berlin – hoffen, den unberechenbaren Trump mit steigenden Verteidigungsausgaben beeindrucken zu können, würden Erdoğan, Orbán und Fico dem Rechtspopulisten in Washington wohl freudig entgegeneilen. In Polen, im Baltikum sowie in Ost- und Nordeuropa ist man hingegen tief besorgt: Würde der ohnehin fragile Konsens zur Unterstützung der Ukraine mit Trump weiter halten?
Seine erste Begegnung mit Donald Trump hat das westliche Verteidigungsbündnis nur knapp überlebt. Mehrfach war dieser kurz davor, der in seinen Augen “obsoleten Nato” den Rücken zu kehren. Ex-Präsident Trump beschimpfte seine europäischen Partner regelmäßig als Trittbrettfahrer und behauptete, sie würden ihm Geld schulden. Seine groß angekündigten “Deals” mit Nordkorea und Russland sowie seine “Friedensinitiative” im Nahen Osten zog Trump im Alleingang durch.
Auch an dem mit den Taliban ausgehandelten Abzug westlicher Truppen aus Afghanistan ließ er die europäischen Nato-Verbündeten unbeteiligt. Das Ergebnis war ein strategisches Desaster für den Westen. Nein, das Trumpsche Credo “Make America Great Again” ist der Nato nicht gut bekommen.
Mit dem ehemaligen niederländischen Regierungschef Mark Rutte, der wohl zum neuen Nato-Generalsekretär erkoren wird, hoffen nun einige Europäer, Trump irgendwie einfangen zu können. Man müsse ihm nur geduldig erklären, dass die europäischen Verbündeten in den letzten Jahren viel mehr Geld für ihre Verteidigung in die Hand genommen haben und bereit seien, künftig mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit zu übernehmen, so Rutte.
Ob der Holländer, der auch als “Trump-Flüsterer” bezeichnet wird, diesen Punkt überzeugend rüberbringen kann, darf bezweifelt werden. Nachdem Rutte 2010 die Regierungsgeschäfte in Den Haag übernommen hatte, fuhren die niederländischen Verteidigungsausgaben jahrelang beständig in den Keller (2015 lagen sie bei 1,13 Prozent). Auch in den letzten beiden Jahren blieben sie deutlich unter zwei Prozent.
Mit einer Charmeoffensive werden die Europäer Trump wohl kaum davon abhalten können, die Nato unter Druck zu setzten und eventuell sogar nachhaltig zu beschädigen. Warum? Erstens ist und bleibt Trump ein Überzeugungstäter – ein außenpolitischer Isolationist, der multilateralen Organisationen grundsätzlich feindlich gegenübersteht. Er glaubt an “Dealmaking unter den Großen” und nicht an komplizierte “Konsensfindung zu 32”.
Zweitens haben sich Trump und seine Anhänger intensiv auf eine Rückkehr in das Weiße Haus vorbereitet, auch verteidigungspolitisch. Sein MAGA-Dunstkreis propagiert seit Längerem, dass Trump die Nato am liebsten “einschläfern” wolle. In Zukunft sollten die Europäer ihren Kontinent konventionell selbst verteidigen. Einzig den nuklearen Schutzschirm würden die USA in Europa erhalten.
Drittens hätte Trump etliche Möglichkeiten, der Nato konkret zu schaden. Sie reichen von der Reduzierung der amerikanischen Truppenstärke in Europa, dem “No show” der USA bei wichtigen Nato-Treffen, der Kürzung von Finanzmitteln für den militärischen und zivilen Haushalt der Nato, bis zu dem bewussten Säen öffentlicher Zweifel an der Bündnistreue der USA. Sind die Verbündeten auf solche Szenarien vorbereitet? Wohl kaum, denn im Nato-Hauptquartier wird darüber offiziell nicht geredet.
Die Nato wird sicher nicht über die künftige finanzielle Lastenteilung ins Trudeln geraten. Der Graben, der zwischen den Verbündeten immer tiefer wird, betrifft fundamentale strategische Themen: das Schicksal der Ukraine und den Umgang mit Russland. Trumps Ankündigung, nach einem Wahlsieg rasch einen “Deal” mit dem Mafiaregime in Moskau machen zu wollen, lässt nicht nur den Ukrainern das Blut in den Adern gefrieren, sondern auch den Briten, Balten, Polen, Skandinaviern und Ostmitteleuropäern: also all denjenigen, die der Konfrontation mit Russland nicht ausweichen wollen.
Das Bündnis “Trump proof” zu machen, heißt für diese Ländergruppe (zu denen ich Deutschland nicht zähle), die Reihen gegenüber Moskau eng geschlossen zu halten und sich auf alle Eventualitäten konkret vorzubereiten – notfalls auch ohne amerikanische Hilfe. Sie haben ihre wetterfeste Sturmjacke bereits griffbereit.
Dr. Stefanie Babst ist Beigeordnete Stellvertretende Nato-Generalsekretärin a.D.; Strategische Beraterin und Publizistin.
Die Bundeswehr hat nicht viele Generale, die noch einen Pilotenschein haben. Und nur einen einzigen Drei-Sterne-General, der auch im Alter von 58 Jahren noch im Cockpit eines Kampfjets sitzen darf: Generalleutnant Ingo Gerhartz, seit fast sechs Jahren an der Spitze der deutschen Luftwaffe, drahtig und durchtrainiert, bedient fast alle Klischees eines Top Gun-Piloten.
Dazu gehört auch, dass Gerhartz, 1985 als Wehrpflichtiger in die Luftwaffe eingetreten, im Laufe seiner Offizier- und Pilotenlaufbahn auf gleich vier Kampfjets der Bundeswehr geschult wurde. In seinem fliegerischen Lebenslauf spiegelt sich auch die Entwicklung der Luftwaffe in den vergangenen Jahrzehnten wieder: Zunächst flog er die – 2013 ausgemusterte – F-4F Phantom, einen Abfangjäger. Nach der deutschen Einheit wechselte er auf das sowjetische Kampfflugzeug MiG29, das die Bundeswehr von der Nationalen Volksarmee der DDR übernommen und zeitweise in Gebrauch hatte. Als er 2008 Kommodore des Jagdbombergeschwaders 31 “Boelcke” wurde, schulte er um auf den Tornado – und mit Umrüstung des Geschwaders auf den Eurofighter flog er auch diesen Kampfjet.
Bis heute nutzt der Generalleutnant jede Gelegenheit, selbst einen Eurofighter zu steuern, und sei es nur, um die – letztlich erfolglosen – Bemühungen eines Verkaufs dieses Flugzeugs an Finnland zu unterstützen. Neben seiner fliegerischen Laufbahn machte der Offizier aber auch in Truppe und Ministerium Karriere. Den Umgang mit der Öffentlichkeit lernte er als Sprecher Luftwaffe im Pressestab und später als stellvertretender Ministeriumssprecher, Fachabteilungen des Ressorts waren ebenso seine Station wie die Büroleitung des Generalinspekteurs Volker Wieker. Und zugute kamen ihm zahlreiche internationale Kontakte, die er auf der Ebene der Piloten ebenso wie aus dem Ministerium weltweit knüpfte.
Als Gerhartz 2018 mit nur 52 Jahren Drei-Sterne-General und der jüngste Luftwaffeninspekteur in der Geschichte der Bundeswehr wurde, übernahm er die Teilstreitkraft in einer schwierigen Situation. Bei der Amtsübernahme von Vorgänger Karl Müllner auf dem Gelände des Luftwaffenmuseums in Berlin-Gatow gab er die Richtung vor. “Wenn unsere Flugzeuge und Hubschrauber nicht in die Luft kommen, unsere Flugabwehr nicht ,ready to fight’ ist, können wir unseren Auftrag nicht erfüllen!” Probleme sah er in “Eurofighterpiloten, die aus Frust über zu wenige Flugstunden kündigen; Hubschrauberpiloten, die ihre Lizenzen verlieren; und nur eine Handvoll einsatzbereite Eurofighter – das kann und darf es nicht sein!“
Um das zu ändern, forderte der neue Inspekteur nicht nur seine Leute. Auch die Industrie setzte er unter Druck und erreichte, dass mit mehr Personal die Wartung von Jets und Hubschraubern deutlich beschleunigt wurde. Für neues Gerät nutzte der Generalleutnant das politische Geschick, das er in seinen Ministeriumsjahren erworben hatte.
Anstatt wie sein Vorgänger auf eine Beschaffung des US-Jets F-35 zu pochen, was den vorherigen Inspekteur sein Amt gekostet hatte, setzte sich Gerhartz zunächst für den Kauf von F-18-Jets als Ablösung der betagten Tornado-Kampfjets ein, was zunächst politisch opportun schien. Nach dem Wahlsieg des neuen Bundeskanzlers Olaf Scholz fand der Inspekteur dann aber in dem Regierungschef einen Verbündeten für den Plan, nun doch die F-35 zu kaufen. Und nutzte die Chance.
Wie eng Gerhartz internationale Kontakte sind, zeigte der erste Flug eines Kampfjets der Luftwaffe über dem israelischen Parlament: Im Oktober 2021 donnerten ein F-15-Jet, an Bord der israelische Luftwaffenchef Generalmajor Amikam Norkin, und ein Eurofighter mit dem Eisernen Kreuz über die Knesset – am Steuerknüppel der deutschen Maschine der deutsche Generalleutnant.
Diese Verbindung war offensichtlich auch ein Vorteil, als Deutschland sich bei den Israelis um den Kauf des Flugabwehrsystems Arrow bemühte, der inzwischen bewilligt ist. Und dass im vergangenen Jahr mit dem Manöver Air Defender 2023 die größte Verlegung von US-Kampfjets nach Deutschland seit dem Kalten Krieg möglich wurde, hatte sicherlich auch mit Gerhartz persönlichen Kontakten zu tun.
Die Karriere des fliegenden Generals scheint bislang unaufhaltsam. Im kommenden Jahr, so die Planung, soll er als Chef zum Joint Force Command der Nato in Brunssum wechseln. Verbunden mit der Beförderung zum Vier-Sterne-General, einer von dann nur vier in der Bundeswehr. Ob allerdings die Affäre um die abgehörte und von Russland veröffentlichte Telekonferenz deutscher Spitzenmilitärs ihm einen Strich durch die Rechnung machen kann, ist noch offen. Thomas Wiegold
wie kann es sein, dass geheime Angelegenheiten der Luftwaffe über eine unsichere Leitung wie WebEx besprochen und so zum Instrument des russischen Informationskriegs gegen Deutschland werden können? Diese Ausgabe widmet sich in zwei ausführlichen Stücken den (außen-)politischen und den technischen Konsequenzen dieses Akts der Spionage.
Eine der unfreiwilligen Hauptfiguren des Telefonats, den Inspekteur der Luftwaffe Generalleutnant Ingo Gerhartz, stellt Thomas Wiegold im Portrait vor.
Außerdem schauen wir auf die Rüstungsindustrie. In Brüssel wird heute der Entwurf der Strategie der Europäischen Verteidigungsindustrie vorgestellt. Ob es der große Wurf wird, der “Paradigmenwechsel hin zur Kriegswirtschaft”, wie es Binnenmarktkommissar Thierry Breton kürzlich ausdrückte, da ist sich die Industrie noch nicht so sicher, schreibt Wilhelmine Preußen.
Eine interessante Lektüre wünscht
Vor einer Woche hatte Bundeskanzler Olaf Scholz erstmals öffentlich erklärt, dass und warum Deutschland keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern werde. Kernaussage damals: Deutsche Soldaten dürften an keiner Stelle beim Einsatz dieses Waffensystems beteiligt sein, “auch nicht in Deutschland”.
Jetzt ging der Kanzler einen Schritt weiter. “Es kann nicht sein, dass man ein Waffensystem liefert, das sehr weit reicht, und dann nicht darüber nachdenkt, wie die Kontrolle über das Waffensystem stattfinden kann”, argumentierte er am Montag in Sindelfingen. “Und wenn man die Kontrolle haben will und es nur geht, wenn deutsche Soldaten beteiligt sind, ist das völlig ausgeschlossen.” An dieser Aussage gebe es nichts zu rütteln: “Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das.”
Die Argumentationslinie ist – zumindest öffentlich – neu für Scholz. Ein Taurus-Einsatz, der eine Beteiligung der Bundeswehr nicht etwa deshalb erfordere, weil die Ukraine es sonst nicht hinbekäme, sondern weil Deutschland die Kontrolle über die Ziele behalten müsse: So deutlich hatte das der Kanzler bislang nicht gesagt. In Verbindung mit dem Machtwort setzt sich Scholz eine Hürde, die er kaum überspringen kann. Und Erklärungsversuche seiner Partei, wie die von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, das Nein zur Lieferung gelte zu dieser Zeit, wirken damit ebenfalls überholt.
Die neue Aussage will der Kanzler sicherlich nicht als Reaktion auf das von Russland abgehörte und veröffentlichte Gespräch hoher Luftwaffenoffiziere über die Möglichkeiten eines ukrainischen Taurus-Engagements verstanden wissen. Dennoch wird er es sowohl den Koalitionspartnern als auch der Opposition erklären müssen. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock wies noch mal darauf hin, dass Deutschland zugesagt habe, alles für die Verteidigung der Ukraine zu tun, und dafür alles auf den Prüfstand stellen müsse: “Und aus meiner Sicht ist die Faktenlage da sehr, sehr klar.”
Mit den Antworten auf die Opposition können sich Scholz und die Bundesregierung vielleicht ein bisschen mehr Zeit lassen. Die Sondersitzung des Verteidigungsausschusses, die die Unionsfraktion beantragt hatte, soll erst am Montag kommender Woche stattfinden.
Bis dahin, so hatte es Verteidigungsminister Boris Pistorius versprochen, soll auch mehr Klarheit herrschen, wie sich Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz und seine Offiziere bei ihrer vertraulichen Besprechung via Telekonferenz russische Mithörer eingefangen haben. Vorerst lenkt SPD-Chef Lars Klingbeil die Aufmerksamkeit zurück nach Moskau: “So wie sich die Lage aktuell darstellt, reden wir über einen hybriden Angriff aus Russland, mit dem Ziel, Unruhe in die deutsche Innenpolitik zu bringen. Putin versucht, unsere Politik und unsere Gesellschaft zu spalten”, sagte Klingbeil zu Table.Media.
“Gerade deswegen sollte eine notwendige schnelle Aufklärung nicht mit Forderungen vermischt werden, die sofort als parteipolitisch motiviert durchschaubar sind. Es geht jetzt um eine ernsthafte Aufarbeitung, die sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz als auch Verteidigungsminister Boris Pistorius sofort angekündigt haben. Sobald die Ergebnisse vorliegen, müssen die richtigen Schlüsse gezogen werden”, so Klingbeil. Vorsorglich zog die Bundeswehr schon mal die Notbremse: An den WebEx-Konferenzen der Streitkräfte darf vorerst nur teilnehmen, wer aus dem Bundeswehr-internen Netz oder mit einer bundeswehreigenen Verschlüsselung auf dem Laptop zugeschaltet wird.
“Spalte und herrsche!” – das dürfte das Hauptmotiv hinter der russischen Veröffentlichung des Gesprächs über Taurus gewesen sein, aber es war nicht das einzige. “Die russische Regierung beschloss offenbar die Aufnahme in erster Linie zu Propagandazwecken zu verwenden, wichtige, der russischen Aufklärung sonst unbekannte operativen Informationen enthält sie ja nicht”, erläutert Alexey Yusupov, Leiter des Russland-Programms der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES).
So könne Moskau “den innenpolitisch lähmenden, immer noch schwelenden deutschen Streit über die Lieferung von Taurus weiter am Leben halten und den Ruf von Olaf Scholz zusätzlich schädigen”. Mitte Februar hat das russische Justizministerium die FES als “unerwünschte” Organisation in Russland erklärt, ebenso die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, sowie zwei weitere kleinere Nichtregierungsorganisationen.
Als wichtigster EU-Helfer der Ukraine steht Deutschland seit Beginn der Vollinvasion vor mehr als zwei Jahren im besonderen Fokus der russischen Propaganda. Die Drohungen werden nicht weniger, am Montag warnte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa gar, dass “die Denazifizierung in Deutschland nicht abgeschlossen” sei. “Wenn die Deutschen die Situation nicht ändern, werden die Folgen für Deutschland schrecklich sein.”
Am Montag hatte der deutsche Botschafter Alexander Graf Lambsdorff im russischen Außenministerium einen Termin wahrgenommen, der nach seiner Aussage schon lange angesetzt war. In russischen Medien und durch den Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wurde dieser Termin jedoch als Einberufung dargestellt.
Neben dem Propaganda-Aspekt lenkt der Taurus in Russland von zwei anderen Themen ab, die für den Kreml problematisch sind: die Trauerfeiern für den Oppositionellen Alexey Nawalny, zu denen im vierten Tag infolge viele Menschen kamen und von den hohen Verlusten in der Ukraine. In den vergangenen Tagen waren es fast 1000 russische Soldaten am Tag, die in der Ukraine getötet wurden. Diese Zahlen nennen das ukrainische Verteidigungsministerium und der britische Militärgeheimdienst.
Als im vergangenen Frühling so viele russische Soldaten pro Tag fielen, wirbelte Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin mit seinen derben Videobotschaften die Führungsriege im Kreml auf. Heute ist Prigoschin tot und die immensen Verluste an der Front kein Thema in den russischen Medien – dafür aber die angeblichen Angriffspläne der Deutschen mit dem Taurus.
Welchen diplomatischen Schaden unter westlichen Freunden das Leak auslösen wird, ist noch nicht absehbar. In Brüssel wird der Vorwurf des Dilettantismus gegen Berlin laut. Die Sorgen über die Spannungen zwischen den Verbündeten wachsen, nachdem Olaf Scholz Frankreich und Großbritannien indirekt als Kriegspartei in der Ukraine dargestellt hat. Auch die gegenseitigen Vorwürfe zwischen Berlin und Paris zur Unterstützung der Ukraine stören das Bild der Geschlossenheit, das Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg seit Beginn des russischen Angriffskrieges vor zwei Jahren stets betont hat.
Der deutsche Nato-Botschafter Geza von Geyr hätte am Dienstag oder im Laufe der Woche eine erste Möglichkeit, bei einem der regulären Treffen des Nordatlantikrates das Taurus-Leak zur Sprache zu bringen und die Verstimmung aus der Welt zu schaffen.
Zumindest Litauen, ein mit Russland sehr erfahrener Nato-Partner, sieht in der abgehörten Luftwaffen-Besprechungsrunde keine größere Gefahr für das Bündnis. “Es wurde ein gewisser Schaden angerichtet, aber inhaltlich war ein solches Gespräch nicht überraschend. Es ist von entscheidender Bedeutung zu bewerten, welche anderen Daten vom Feind hätten gesammelt werden können und wie sichergestellt werden kann, dass so etwas nicht wieder vorkommt. Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Nato-Ländern”, sagt Linas Kojala, Direktor des Zentrums für Osteuropastudien in Vilnius. Litauen wie auch die beiden anderen baltischen Staaten Estland und Lettland sind schon seit Jahren mit dem russischen Informationskrieg konfrontiert.
Kojala glaubt nicht, dass “das Vertrauen wesentlich beeinträchtigt wird, wenn Maßnahmen ergriffen werden, um zu verhindern, dass sich so etwas wiederholt”. Litauen werde dies sicherlich aufmerksam verfolgen, da die bilaterale Verteidigungszusammenarbeit sehr intensiv und strategisch sei.
Anmerkung: In einer früheren Version war von einer Sondersitzung des Bundestages und nicht des Verteidigungsausschusses die Rede. Wir haben den Fehler korrigiert.
Nur wenige Tage nach der Kritik an Bundeskanzler Olaf Scholz, als geheim klassifizierte Informationen zum Einsatz französischer ScalpEG und britischer StormShadow-Marschflugkörper ausgeplaudert zu haben, veröffentlichte Russlands Staatspropaganda-Sender RT den Mitschnitt eines WebEx-Calls zwischen hochrangigen Bundeswehrangehörigen.
Der Inhalt widerspricht Scholz Aussagen zu Taurus an einigen Stellen – und scheint andere zu bestätigen, etwa die zu UK-Soldaten in der Ukraine. Seitdem wird diskutiert: Wie konnte so ein Gespräch mitgehört werden? Hat sich etwa ein russischer Geheimdienst in die WebEx-Konferenz eingeklinkt, geheim oder einfach nur unbemerkt per Telefon – und damit die deutsche Spionageabwehr und die Bundeswehr blamiert?
Einfallstor war aber wohl kein technisches, sondern menschliches Versagen. Denn: “WebEx und vergleichbare Systeme sind keine Geheimschutz-IT, sondern für nicht geheime Gespräche gedacht. Dafür gibt es eigene Lösungen”, sagt Manuel Atug, Experte für Informationssicherheit. “Wenn sich hochrangige Bundeswehrangehörige darum nicht scheren, keine sicheren Kommunikationskanäle in abhörgeschützten Umgebungen verwenden, ist das kein Problem der Technik.” Spätestens dann, wenn Teilnehmer per Telefonleitung zugeschaltet werden, ist eine nach Stand der Technik sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung unmöglich.
Das hätte auch das Spitzenpersonal der Bundeswehr wissen müssen. Denn dort gibt es mit gutem Grund spezielle, sichere und teure Kommunikationssysteme für Vorgänge mit hohem Geheimschutzgrad – die allerdings nicht jederzeit und überall zur Verfügung stehen. Sie ergeben auch nur Sinn bei Nutzung in sicheren Umgebungen, etwa abhörgeschützten Räumen. Diese gibt es etwa an vielen Botschaften weltweit. Die meisten anderen Systeme dürfen, wenn überhaupt, höchstens bis zur niedrigsten Geheimhaltungsstufe eingesetzt werden.
Dass geheime Inhalte dennoch über ungeeignete Systeme kommuniziert werden, überrascht IT-Sicherheitsexperten nicht. Diese seien sehr viel einfacher zu benutzen. Und WebEx hatte sogar extra 2020 das “WebEx for Defense”, eine Lösung für das US-Verteidigungsministerium vorgestellt. Allerdings unterliegt auch diese strengen Restriktionen, was Umgebung und Einstufung der darüber erlaubt zu kommunizierenden Inhalte betrifft.
In Deutschland findet sich Ciscos WebEx ebenso wenig auf der Liste der vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik für Verschlusssachen zugelassenen Hard- und Software wie Microsoft Teams, Zoom oder andere Hersteller. “Dass Hersteller gerne behaupten, ihre Systeme seien selbstverständlich sicher, darf nicht als Entschuldigung gelten“, sagt Atug. Er fordert: “Es braucht auch bei der Bundeswehr eine Informationssicherheitswende – technisch und in den Köpfen.”
Dass sichere und praktisch nutzbare Kommunikation Hand in Hand gehen müssen, darüber wird in Fachkreisen seit Jahren debattiert. Insbesondere Strafverfolger und Sicherheitsbehördenvertreter warnten aber immer wieder vor zu sicherer Kommunikation in Alltagsanwendungen – damit würden Straftäter und Spione geschützt. Immer wieder versuchten EU-Innenkommissarin Ylva Johansson und einige Mitgliedstaaten, per Gesetz Hintertüren in als sicher geltende Verschlüsselungsmechanismen vorzuschreiben – und damit die technische Integrität der Kommunikationsvertraulichkeit strukturell zu schwächen. Derartige Vorhaben scheiterten bislang vor allem am Widerstand aus dem Europaparlament.
“Bislang sind es fromme Absichtsbekundungen. Es wird darauf ankommen, was am Ende dabei herumkommt”, sagt ein deutscher Rüstungsvertreter in Brüssel mit Blick auf den Entwurf der Strategie der Europäischen Verteidigungsindustrie und des damit verbundenen Programms für Verteidigungsinvestitionen (Edip).
Beide Entwürfe liegen Table.Media vor und die finale Version soll am Dienstag von EU Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton, gemeinsam mit Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager und EU-Außenbeauftragtem Josep Borrell vorgestellt werden, nachdem der Termin bereits mehrmals verschoben wurde. Es wird von großen Differenzen zwischen den Mitgliedstaaten, aber auch innerhalb der EU-Kommission gesprochen, wo die Generaldirektion für die Verteidigungsindustrie (Defis) federführend für die Ausarbeitung zuständig ist.
Es geht um nicht weniger als einen “Paradigmenwechsel hin zur Kriegswirtschaft”. Ein Grundsatz, der in der Rüstungsindustrie sicherlich begrüßt wird.
Besonders relevante und weitreichende Vorschläge sind unter anderem:
Als Minimum vorgesehen sind 1,5 Milliarden Euro aus dem mehrjährigen Finanzrahmen, weit entfernt von den 100 Milliarden Euro, die Binnenmarktkommissar Thierry Breton gefordert hatte. Zweifel gibt es bei der Industrie aber auch hinsichtlich der Umsetzung.
Die Bilanz der bisherigen europäischen Rüstungsinitiativen, wie der Verordnung zur Förderung der Munitionsproduktion (Act in Support of Ammunition Production, Asap) ist bislang schwach. Ende Januar räumte die EU öffentlich ein, dass sie ihr Ziel, bis März dieses Jahres eine Million Artilleriegeschosse an die Ukraine zu liefern, bei weitem nicht erreichen würde. Lediglich die Hälfte dieser Menge würde bis zu diesem Termin geliefert werden.
Die Mitgliedstaaten haben außerdem im Verlauf des Verhandlungsprozesses die Finanzierung für das ad-hoc Programm zur gemeinsamen Beschaffung von Waffen gekürzt. Und das, obwohl nur 500 Millionen Euro für das Programm vorgesehen waren, während Deutschland alleine mit Rheinmetall den ersten Vertrag über 1,2 Milliarden Euro geschlossen hatte.
“Das zeigt allein am Beispiel Deutschlands, wie wenig größere Mitgliedsländer bereit sind, sich diesen Kommissionsregularien, zu unterwerfen”, sagt Ronja Kempin, Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Rheinmetall-CEO Armin Papperger selbst dämpfte unlängst die Erwartungen an die Initiativen aus Brüssel und verwies dabei auch auf die langsamen Entscheidungsfindungen auf EU-Ebene.
Im März 2022 hatten sich EU Staats- und Regierungschefs mit der Deklaration von Versailles darauf geeinigt, gemeinsam die Investitionen in die Verteidigungskapazitäten “entschlossen zu verstärken” und die Verteidigungsausgaben in der gesamten EU “erheblich zu erhöhen”.
Zwei Jahre später ist einmal mehr klar, dass die Mitgliedstaaten weiterhin ungern nationale Souveränität an die europäische Ebene abtreten. Grundsätzlich sei es also ein “tolles Papier” so der Rüstungsvertreter und ergänzt: “Allein mir fehlt der Glaube.”
Wenige Tage vor Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan wird die Wortwahl in Teheran aggressiver. “Die Wunde von Gaza wird nicht aus dem Gedächtnis der freien Völker der Welt getilgt werden.” Ebenso wenig wie das “Schweigen über Massenmord und Genozid an den Palästinensern durch das verbrecherische zionistische Regime”, sagte der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Nasser Kanaani, vergangene Woche nach Berichten über mehr als hundert Tote beim Beschuss einer Menschenmenge, die auf Hilfslieferungen in Gaza-Stadt warteten.
Schon seit Monaten versucht die Islamische Republik Iran mit markigen Warnungen, eine Offensive auf Rafah im Süden des Gaza-Streifens zu verhindern. “Die Ausweitung der Kriegsverbrechen und des Völkermords durch das israelische Besatzungsregime auf die palästinensischen Flüchtlinge in Rafah wird schwerwiegende Folgen für Tel Aviv haben”, erklärte Irans Außenminister Hossein Amir-Abdollahian Mitte Februar. Und Außenamtssprecher Kanaani warnte: “Wenn die USA und der Westen um die regionale Stabilität besorgt sind, sollten sie dem rücksichtslosen Verhalten Tel Avivs Einhalt gebieten.”
Seit Beginn des Gaza-Krieges hat Teheran mehrere rote Linien gezogen, die Israel allesamt überschritten hat. Zunächst versuchte der Iran, Israel von einer Bodeninvasion in Gaza abzuhalten, indem er davor warnte, dass dies zu einem regionalen Krieg führen würde. Fast wortgleich warnt Teheran nun vor einem israelischen Angriff auf Rafah.
Denn für die Islamische Republik stellt Rafah die letzte Bastion für das militärische Überleben ihres wichtigsten palästinensischen Verbündeten Hamas dar, zumal es für sie ein herber Verlust wäre, einen ihrer wichtigsten regionalen Stellvertreter zu verlieren. Teheran betrachtet sein Stellvertreter-Netzwerk “Achse des Widerstands” als “strategische Tiefe”, die ihm als Hauptinstrument zur Machtprojektion und auch zum Schutz vor Angriffen Israels oder der USA dienen soll.
Das Verhaltensmuster Teherans seit dem Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober deutet darauf hin, dass es die Verletzung seiner roten Linien durch Israel tolerieren wird: Iranischen Geheimdiensten nahestehende Medien nennen als Ziel eine “strategische Erosion” der Gegenseite. Das beinhaltet, dass von der Hisbollah an der Nordgrenze Israels über pro-iranische Kräfte im Irak und Syrien bis hin zu den jemenitischen Huthi Teherans Stellvertretermilizen ins Gefecht ziehen, eine direkte Konfrontation mit Israel aber vermieden wird.
Im Wesentlichen nutzt Iran seine Stellvertreter als Mittel der Abschreckung. Daher würde der Verlust der Hamas für Teheran macht- und sicherheitspolitische Konsequenzen haben. Auch würde eine Zerstörung der Hamas im Gaza-Streifen tiefgreifende Auswirkungen auf die gesamte “Achse des Widerstands” haben.
Trotzdem schreckt Teheran davor zurück, die Wucht seiner “Achse” vollends einzusetzen – und das vor allem mit Blick auf die wichtigste Kraft, die libanesische Hisbollah. Sie ist nicht nur die militärisch stärkste Organisation innerhalb der “Achse” – mit über 150.000 Präzisionsraketen, die den Raketenabwehrschirm Iron Dome überfordern könnten. Die Hisbollah stellt nichts weniger dar als die Lebensgarantie der Islamischen Republik Iran, die nur dann aktiviert wird, wenn das iranische Regime selbst direkt bedroht ist.
Dieser Zurückhaltung Irans, die dessen Oberster Führer Ali Khamenei gerne als “strategische Geduld” zu verkaufen vermag, hat sich auch die Hisbollah faktisch untergeordnet. Die Folge ist, dass die Hisbollah zum Leidwesen der Hamas die Konfrontation nie so eskaliert hat, dass die Israel Defence Forces durch eine zweite Front im Norden in ihrem Gaza-Feldzug im Süden beeinträchtigt worden wäre.
Diese Gemengelage bringt die Islamische Republik in eine schwierige Situation. Einerseits muss sie ihren Stellvertretern und regionalen Verbündeten zeigen, dass ihre Unterstützung solide ist und ihre Warnungen gegenüber Israel glaubwürdig sind. Andererseits ist sich Iran der möglichen Folgen eines umfassenden regionalen Krieges bewusst, der nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich und politisch verheerend sein könnte. Die iranische Führung navigiert zwischen regionalen Großmachtambitionen und sorgfältigem Vermeiden eskalierender außenpolitischer Schritte, die letztlich die Stabilität des eigenen Regimes untergraben könnten. Ali Fathollah-Nejad
Das französische Verteidigungsministerium hat zum ersten Mal seit Kriegsbeginn eine detaillierte Liste mit der an die Ukraine gelieferten Rüstungsgüter veröffentlicht. Frankreich habe seit Kriegsbeginn Material im Wert von 2,6 Milliarden Euro geliefert. Hinzu kämen 1,2 Milliarden Euro, die Paris an die Europäische Friedensfazilität überwiesen habe.
Insgesamt seien das “also 3,8 Milliarden Euro zwischen dem 24. Februar 2022 und dem 31. Dezember 2023″ teilte das Ministerium am Montag in einer Erklärung mit, die auch auf Englisch veröffentlicht wurde.
Französische Regierungsmitglieder hatten sich zuletzt teils emotional gegen Vorwürfe gewehrt, dass sie die Ukraine nicht genug unterstützen würden. Der Verteidigungsminister Sébastien Lecornu hatte die Erhebung des Kiel Institut für Weltwirtschaft, das die Unterstützung an die Ukraine erfasst, und Frankreich auf dem 14. Platz führt, als “weder zuverlässig noch gültig” bezeichnet.
Aus der am Montag veröffentlichten Liste geht hervor, dass Frankreich 30.000 Schuss 155-Millimeter-Artilleriemunition geliefert hat, lediglich zu der Zahl der ausgehändigten Scalp-Marschflugkörper, die in der Debatte um deutsche Taurus-Lieferungen an die Ukraine als französisches Äquivalent aufgeführt werden, machte das Ministerium keine Angaben. bub
Robert Habeck hat sich für eine Stärkung der militärischen Forschung in Deutschland ausgesprochen. Man müsse “bei Sicherheit und Wehrfähigkeit besser werden”. Das bedeute auch, dass man Innovationen in diesem Bereich stärken sollte, sagte der Wirtschaftsminister dem Handelsblatt. Er wolle damit eine “ressortübergreifende Debatte anregen”, sagte eine Sprecherin des BMWK auf Anfrage von Table.Media.
Vergangene Woche hatten sich bereits die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) und auch die Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger für eine stärkere Verknüpfung von ziviler und militärischer Forschung ausgesprochen.
Man habe auf dem Gebiet der Sicherheit in den vergangenen Jahren zu wenig getan und auch “bei Innovation und Forschung” abgerüstet, sagte Habeck. Andere Länder, wie Israel, seien hier weiter. Dort entstünden aus dem militärischen Komplex viele Start-ups, beispielsweise zu Cybersecurity oder Drohnen.
Auch die EFI hatte in ihrem Jahresgutachten auf Israel – und auch die USA – als Positivbeispiele hingewiesen. “Die strikte Trennung zwischen militärischer und ziviler Forschung gehört auf den Prüfstand. Deutschland vergibt hierdurch ökonomische Chancen“, sagte der EFI-Vorsitzende Uwe Cantner bei der Vorstellung des Gutachtens. Er forderte zudem, ein Teil des Sondervermögens der Bundeswehr auch für Forschungs- und Entwicklungs-Vorhaben (FuE) auszugeben. Damit könnten sogenannte Spill over-Effekte ausgelöst und ein Dual Use gefördert werden, heißt es im Papier. Studien zeigten, dass Investitionen in militärische FuE auch solche in zivile FuE hervorrufen.
Die neuerlichen Forderungen zur Stärkung der Dual-Use-Forschung hatten auch eine Debatte unter Forschungspolitikern und Wissenschaftlern über die militärische Forschung an Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen ausgelöst. mw
Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) will die Ausfuhr von Rüstungsgütern erleichtern. Das teilte das Ministerium am Freitag mit. Im Rahmen Allgemeiner Genehmigungen (AGGs) sei geplant, die Ausfuhr von Marineausrüstung zu vereinfachen.
Über AGGs erhalten Güter eine pauschale Genehmigung, ohne dass Exporteure, wie bei Rüstungsexporten üblich, beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) einen Ausfuhrantrag stellen müssen. Waffen, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen, bedürfen weiterhin einer Genehmigung des Bafa.
Außerdem soll der Kreis der Länder, in die über AGGs Schutzausrüstung geliefert werden darf, “deutlich” ausgeweitet werden sowie die AGGs für “Landfahrzeuge für militärische Zwecke”, “vorübergehende Ausfuhren” und “besondere Fallgruppen” erweitert werden. Um welche Länder es sich konkret handelt, werde erst “in Kürze” veröffentlicht, teilte das BMWK mit.
Noch im März wolle das Ministerium die neuen Maßnahmen umsetzen, die zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren beitragen sollen. Zum 1. April 2024 wären die AGGs ausgelaufen, mit dem neuen Maßnahmenpaket werden sie bis zum 31. März 2025 verlängert. bub
Stiftung Wissenschaft Politik: Geostrategie von rechts außen. Wie positionieren sich Gegner der EU und Rechtsaußenparteien außen- und sicherheitspolitisch? Das Spektrum ist fragmentiert, reicht von transatlantischer Orientierung bis hin zu fundamentaler Opposition mit antiwestlicher Ausrichtung. Es im Auge zu behalten ist wichtig – nationale Wahlen und Koalitionsentscheidungen werden bedeutend für die Handlungsfähigkeit und Kohärenz der EU sein.
ARD: Korruption – Für Öl und Gas aus Aserbaidschan. Im Zuge der Reihe #UnsereErde – Kampf um Rohstoffe betrachtet die ARD den Einfluss Aserbaidschans in Europa, bis tief hinein ins deutsche Parlament. Der SPD-Abgeordnete Frank Schwabe berichtet, wie er ab 2013 gegen die Aserbaidschan-Connection, in die einige CDU-Politiker verwickelt waren, vorging. Der ARD-Film “Am Abgrund” bereitet die Thematik als Spielfilm auf.
Frankfurter Allgemeine Zeitung – Westliche Chips in blauen Säcken. In Kiew finden Forensiker in Wrackteilen ständig westliche Bauteile. Seit Kriegsbeginn sei ihre Anzahl nicht gesunken. Raketen, die Ende 2023 gebaut wurden, und bereits im Januar 2024 in Kiew einschlugen, zeigen, wie kurz der Weg von der Produktion zum Einsatz ist. Auch Produkte deutscher Hersteller seien vertreten. Zum Beispiel Halbleiter von Infineon.
Le monde: “La crise humanitaire à Gaza crée des situations indéfendables et injustifiables dont les Israéliens sont comptables.” Zwei Monate nach Amtsantritt spricht Frankreichs Außenminister Stéphane Séjourné über die Lage Gazas und die Machtlosigkeit des Westens, wenn es darum geht, Einfluss auf Israel zu nehmen. Séjourné plädiert für einen sofortigen Waffenstillstand und kritisiert Israels Blockade humanitärer Hilfe als “nicht zu rechtfertigen”.
LRT: “There will be no war in Lithuania today”, reassures Armed Forces. Bereits ein Jahr vor Russlands Angriff auf die Ukraine registrierten Nachrichtendienste eine Konzentration militärischer Ausrüstung in Grenznähe. Das aktuelle “nachrichtendienstliche Bild dessen, was an den Grenzen Litauens und darüber hinaus geschieht”, zeige, dass “sich die Situation seit 2022 nicht verändert hat”, versichern litauische Streitkräfte. Einen Krieg werde es heute und auch morgen nicht geben.
Mit jeder Vorwahl, die Donald Trump gewinnt, wird die dunkle Wolke über der Nato bedrohlicher. Werden sich die Europäer auch in Zukunft auf ihren stärksten Verbündeten verlassen können? Mit welcher politischen Taktik könnten sie sich am besten auf eine mögliche Rückkehr Trumps in das Weiße Haus vorbereiten?
Die Meinungen darüber gehen auseinander: Während die einen – darunter auch die Regierung in Berlin – hoffen, den unberechenbaren Trump mit steigenden Verteidigungsausgaben beeindrucken zu können, würden Erdoğan, Orbán und Fico dem Rechtspopulisten in Washington wohl freudig entgegeneilen. In Polen, im Baltikum sowie in Ost- und Nordeuropa ist man hingegen tief besorgt: Würde der ohnehin fragile Konsens zur Unterstützung der Ukraine mit Trump weiter halten?
Seine erste Begegnung mit Donald Trump hat das westliche Verteidigungsbündnis nur knapp überlebt. Mehrfach war dieser kurz davor, der in seinen Augen “obsoleten Nato” den Rücken zu kehren. Ex-Präsident Trump beschimpfte seine europäischen Partner regelmäßig als Trittbrettfahrer und behauptete, sie würden ihm Geld schulden. Seine groß angekündigten “Deals” mit Nordkorea und Russland sowie seine “Friedensinitiative” im Nahen Osten zog Trump im Alleingang durch.
Auch an dem mit den Taliban ausgehandelten Abzug westlicher Truppen aus Afghanistan ließ er die europäischen Nato-Verbündeten unbeteiligt. Das Ergebnis war ein strategisches Desaster für den Westen. Nein, das Trumpsche Credo “Make America Great Again” ist der Nato nicht gut bekommen.
Mit dem ehemaligen niederländischen Regierungschef Mark Rutte, der wohl zum neuen Nato-Generalsekretär erkoren wird, hoffen nun einige Europäer, Trump irgendwie einfangen zu können. Man müsse ihm nur geduldig erklären, dass die europäischen Verbündeten in den letzten Jahren viel mehr Geld für ihre Verteidigung in die Hand genommen haben und bereit seien, künftig mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit zu übernehmen, so Rutte.
Ob der Holländer, der auch als “Trump-Flüsterer” bezeichnet wird, diesen Punkt überzeugend rüberbringen kann, darf bezweifelt werden. Nachdem Rutte 2010 die Regierungsgeschäfte in Den Haag übernommen hatte, fuhren die niederländischen Verteidigungsausgaben jahrelang beständig in den Keller (2015 lagen sie bei 1,13 Prozent). Auch in den letzten beiden Jahren blieben sie deutlich unter zwei Prozent.
Mit einer Charmeoffensive werden die Europäer Trump wohl kaum davon abhalten können, die Nato unter Druck zu setzten und eventuell sogar nachhaltig zu beschädigen. Warum? Erstens ist und bleibt Trump ein Überzeugungstäter – ein außenpolitischer Isolationist, der multilateralen Organisationen grundsätzlich feindlich gegenübersteht. Er glaubt an “Dealmaking unter den Großen” und nicht an komplizierte “Konsensfindung zu 32”.
Zweitens haben sich Trump und seine Anhänger intensiv auf eine Rückkehr in das Weiße Haus vorbereitet, auch verteidigungspolitisch. Sein MAGA-Dunstkreis propagiert seit Längerem, dass Trump die Nato am liebsten “einschläfern” wolle. In Zukunft sollten die Europäer ihren Kontinent konventionell selbst verteidigen. Einzig den nuklearen Schutzschirm würden die USA in Europa erhalten.
Drittens hätte Trump etliche Möglichkeiten, der Nato konkret zu schaden. Sie reichen von der Reduzierung der amerikanischen Truppenstärke in Europa, dem “No show” der USA bei wichtigen Nato-Treffen, der Kürzung von Finanzmitteln für den militärischen und zivilen Haushalt der Nato, bis zu dem bewussten Säen öffentlicher Zweifel an der Bündnistreue der USA. Sind die Verbündeten auf solche Szenarien vorbereitet? Wohl kaum, denn im Nato-Hauptquartier wird darüber offiziell nicht geredet.
Die Nato wird sicher nicht über die künftige finanzielle Lastenteilung ins Trudeln geraten. Der Graben, der zwischen den Verbündeten immer tiefer wird, betrifft fundamentale strategische Themen: das Schicksal der Ukraine und den Umgang mit Russland. Trumps Ankündigung, nach einem Wahlsieg rasch einen “Deal” mit dem Mafiaregime in Moskau machen zu wollen, lässt nicht nur den Ukrainern das Blut in den Adern gefrieren, sondern auch den Briten, Balten, Polen, Skandinaviern und Ostmitteleuropäern: also all denjenigen, die der Konfrontation mit Russland nicht ausweichen wollen.
Das Bündnis “Trump proof” zu machen, heißt für diese Ländergruppe (zu denen ich Deutschland nicht zähle), die Reihen gegenüber Moskau eng geschlossen zu halten und sich auf alle Eventualitäten konkret vorzubereiten – notfalls auch ohne amerikanische Hilfe. Sie haben ihre wetterfeste Sturmjacke bereits griffbereit.
Dr. Stefanie Babst ist Beigeordnete Stellvertretende Nato-Generalsekretärin a.D.; Strategische Beraterin und Publizistin.
Die Bundeswehr hat nicht viele Generale, die noch einen Pilotenschein haben. Und nur einen einzigen Drei-Sterne-General, der auch im Alter von 58 Jahren noch im Cockpit eines Kampfjets sitzen darf: Generalleutnant Ingo Gerhartz, seit fast sechs Jahren an der Spitze der deutschen Luftwaffe, drahtig und durchtrainiert, bedient fast alle Klischees eines Top Gun-Piloten.
Dazu gehört auch, dass Gerhartz, 1985 als Wehrpflichtiger in die Luftwaffe eingetreten, im Laufe seiner Offizier- und Pilotenlaufbahn auf gleich vier Kampfjets der Bundeswehr geschult wurde. In seinem fliegerischen Lebenslauf spiegelt sich auch die Entwicklung der Luftwaffe in den vergangenen Jahrzehnten wieder: Zunächst flog er die – 2013 ausgemusterte – F-4F Phantom, einen Abfangjäger. Nach der deutschen Einheit wechselte er auf das sowjetische Kampfflugzeug MiG29, das die Bundeswehr von der Nationalen Volksarmee der DDR übernommen und zeitweise in Gebrauch hatte. Als er 2008 Kommodore des Jagdbombergeschwaders 31 “Boelcke” wurde, schulte er um auf den Tornado – und mit Umrüstung des Geschwaders auf den Eurofighter flog er auch diesen Kampfjet.
Bis heute nutzt der Generalleutnant jede Gelegenheit, selbst einen Eurofighter zu steuern, und sei es nur, um die – letztlich erfolglosen – Bemühungen eines Verkaufs dieses Flugzeugs an Finnland zu unterstützen. Neben seiner fliegerischen Laufbahn machte der Offizier aber auch in Truppe und Ministerium Karriere. Den Umgang mit der Öffentlichkeit lernte er als Sprecher Luftwaffe im Pressestab und später als stellvertretender Ministeriumssprecher, Fachabteilungen des Ressorts waren ebenso seine Station wie die Büroleitung des Generalinspekteurs Volker Wieker. Und zugute kamen ihm zahlreiche internationale Kontakte, die er auf der Ebene der Piloten ebenso wie aus dem Ministerium weltweit knüpfte.
Als Gerhartz 2018 mit nur 52 Jahren Drei-Sterne-General und der jüngste Luftwaffeninspekteur in der Geschichte der Bundeswehr wurde, übernahm er die Teilstreitkraft in einer schwierigen Situation. Bei der Amtsübernahme von Vorgänger Karl Müllner auf dem Gelände des Luftwaffenmuseums in Berlin-Gatow gab er die Richtung vor. “Wenn unsere Flugzeuge und Hubschrauber nicht in die Luft kommen, unsere Flugabwehr nicht ,ready to fight’ ist, können wir unseren Auftrag nicht erfüllen!” Probleme sah er in “Eurofighterpiloten, die aus Frust über zu wenige Flugstunden kündigen; Hubschrauberpiloten, die ihre Lizenzen verlieren; und nur eine Handvoll einsatzbereite Eurofighter – das kann und darf es nicht sein!“
Um das zu ändern, forderte der neue Inspekteur nicht nur seine Leute. Auch die Industrie setzte er unter Druck und erreichte, dass mit mehr Personal die Wartung von Jets und Hubschraubern deutlich beschleunigt wurde. Für neues Gerät nutzte der Generalleutnant das politische Geschick, das er in seinen Ministeriumsjahren erworben hatte.
Anstatt wie sein Vorgänger auf eine Beschaffung des US-Jets F-35 zu pochen, was den vorherigen Inspekteur sein Amt gekostet hatte, setzte sich Gerhartz zunächst für den Kauf von F-18-Jets als Ablösung der betagten Tornado-Kampfjets ein, was zunächst politisch opportun schien. Nach dem Wahlsieg des neuen Bundeskanzlers Olaf Scholz fand der Inspekteur dann aber in dem Regierungschef einen Verbündeten für den Plan, nun doch die F-35 zu kaufen. Und nutzte die Chance.
Wie eng Gerhartz internationale Kontakte sind, zeigte der erste Flug eines Kampfjets der Luftwaffe über dem israelischen Parlament: Im Oktober 2021 donnerten ein F-15-Jet, an Bord der israelische Luftwaffenchef Generalmajor Amikam Norkin, und ein Eurofighter mit dem Eisernen Kreuz über die Knesset – am Steuerknüppel der deutschen Maschine der deutsche Generalleutnant.
Diese Verbindung war offensichtlich auch ein Vorteil, als Deutschland sich bei den Israelis um den Kauf des Flugabwehrsystems Arrow bemühte, der inzwischen bewilligt ist. Und dass im vergangenen Jahr mit dem Manöver Air Defender 2023 die größte Verlegung von US-Kampfjets nach Deutschland seit dem Kalten Krieg möglich wurde, hatte sicherlich auch mit Gerhartz persönlichen Kontakten zu tun.
Die Karriere des fliegenden Generals scheint bislang unaufhaltsam. Im kommenden Jahr, so die Planung, soll er als Chef zum Joint Force Command der Nato in Brunssum wechseln. Verbunden mit der Beförderung zum Vier-Sterne-General, einer von dann nur vier in der Bundeswehr. Ob allerdings die Affäre um die abgehörte und von Russland veröffentlichte Telekonferenz deutscher Spitzenmilitärs ihm einen Strich durch die Rechnung machen kann, ist noch offen. Thomas Wiegold