rund 200 Botschafterinnen und Botschafter, mehr als fünfzig Veranstaltungen an vier Tagen – am Montag hat Annalena Baerbock im Weltsaal des Auswärtigen Amtes die 22. Konferenz der Leiterinnen und Leiter der deutschen Auslandsvertretungen eröffnet. Und dabei die Marschroute für eine “aus den Fugen geratene Welt” ausgegeben: Selbstbewusst, strategisch und partnerschaftlich müsse Deutschland diplomatisch agieren, sagte die Außenministerin, nur so ließe sich “bewahren, was uns selbst am meisten schützt”.
Das gelte übrigens nicht nur mit Blick auf die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, sondern auch gegenüber China. “Strategisch, auch mit kleinen Partnern” müsse man vorgehen – die Eröffnung der deutschen Botschaft auf den Fidschi-Inseln vergangenes Jahr sei dafür ein Beispiel, so Baerbock. Dass nicht nur die deutsche Diplomatie im Indopazifik strategisch in den Kinderschuhen steckt, sondern auch die Deutsche Marine, beschreibt Martina-Lisa Klein in ihrer Analyse. Wilhelmine Preußen hat aufgeschrieben, wie die Bundeswehr künftig das Kommando der Vereinten Nationen in Südkorea (UNC) verstärken wird. Im August hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius bei seinem Besuch in Seoul ein stärkeres deutsches Engagement angekündigt.
Ihnen eine gute Lektüre
Laut Informationen des Spiegels sollen die Fregatte “Baden-Württemberg” und das Versorgungsschiff “Frankfurt am Main” diese Woche durch die Straße von Taiwan fahren. Die Bundesregierung hatte die Passage auf Druck der Regierung in Peking bei bisherigen Deployments im Indopazifik gemieden. Dieses Jahr will das Bundeskanzleramt das Risiko einer Provokation wohl eingehen.
Marcus Faber, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, schrieb bereits am Sonntag auf X: “Die Deutsche Marine unterstreicht mit der Durchfahrt durch die Taiwanstraße unser Bekenntnis zur Freiheit der Meere und zum Status Quo mit Taiwan.” Generalinspekteur Carsten Breuer zufolge ist eine Entscheidung über die weitere Route der Fregatte allerdings noch nicht gefallen. “Das ist eine Entscheidung, die zum richtigen Zeitpunkt getroffen wird und die dann zu diesem Zeitpunkt auch kommuniziert wird”, sagte er am Montag der Deutschen Presse Agentur.
Peking hatte sich am Montag kritisch geäußert. China lehne “Provokationen und Drohungen betreffender Staaten gegen die Souveränität und Sicherheit Chinas unter dem Deckmantel der Schifffahrtsfreiheit ab”, sagte Außenamtssprecherin Mao Ning am Montag auf einer Pressekonferenz. Wen sie mit “betreffende Staaten” meinte, erklärte sie nicht.
Zuletzt lagen die beiden Kriegsschiffe, die im Rahmen des Indo-Pacific Deployments unterwegs sind, im südkoreanischen Hafen in Incheon. Der nächste Halt ist in Manila auf den Philippinen. Dazwischen liegt die 180 Kilometer breite Meerenge zwischen der chinesischen Provinz Fujian im Westen und der Insel Taiwan im Osten. China betrachtet das Seegebiet als nationales Gewässer und Taiwan als chinesisches Staatsgebiet, Durchfahrten internationaler Schiffe werden genau beobachtet und teils gestört: Immer wieder kommt es im südchinesischen Meer zu absichtlichen Zusammenstößen chinesischer Schiffe mit denen anderer Nationen.
Die Marine spiele verschiedene Szenarien durch und sei bereit für die Passage, heißt es von Experten. Sollten chinesische Fischerboote tatsächlich mit den deutschen Schiffen zusammenstoßen, dürften dies von der chinesischen Regierung zu Propagandazwecken gegen Deutschland verwendet werden und die deutsch-chinesischen Beziehungen belasten. Auch für den Kommandanten des Verbandes, Flottillenadmiral Axel Schulz, ist das Risiko hoch: Unfälle müssten zur Klärung der Schuldfrage sehr genau untersucht werden. Die Frage wird dann sein, wie verlässlich die Informationslage vor Ort ist.
Die Bundesregierung steht bei der Entscheidung, ob die Passage stattfindet oder nicht, aus einem weiteren Grund unter Druck: Die Straße von Taiwan ist politisch heikel – die geplante Durchfahrt der beiden Schiffe durch das Rote Meer im November – wenn die Lage so bleibt – brandgefährlich für die Besatzungen. Würden beide kritischen Passagen abgesagt werden, dürfte die Glaubwürdigkeit Deutschlands im Indopazifik, aber auch bei den Verbündeten im Nahen Osten, erheblichen Schaden nehmen.
Ob die “Baden-Württemberg” und die “Frankfurt am Main” durch das Rote Meer fahren, dürfte auch davon abhängen, ob die Fregatte “Hamburg” wie geplant im Rahmen der EU-Mission “Aspides” vor Ort sein und den Verband auf der Route und zum Hafenbesuch im saudi-arabischen Dschidda begleiten wird. Denn weder die Fregatte “Baden-Württemberg” noch der Versorger sind so bewaffnet, dass sie ausreichend Schutz gegen die präzisen Lenkflugkörper und Überwasser-Drohnen der Huthis bieten. Die “Baden-Württemberg” wurde für langzeitige Stabilisierungsoperationen mit mittlerer Intensität wie etwa der Abwehr von Piraterie konzipiert, nicht für ein mögliches hochintensives Gefecht wie im Roten Meer.
Zwar ist die “Hamburg” wie geplant Anfang Juli Richtung Rotes Meer ausgelaufen, ihre Teilnahme an der Mission “Aspides” wurde aber vorerst abgesagt, um sich für “verschiedene Optionen bereitzuhalten”, heißt es offiziell von Seiten der Marine. In einer Lage-Unterrichtung des Verteidigungsministeriums für den Bundestag heißt es, die deutsche Fregatte solle “aufgrund der aktuellen Lageentwicklung im Nahen und Mittleren Osten” vorerst im östlichen Mittelmeer bleiben. Dabei spielen vor allem Überlegungen für eine mögliche Evakuierung deutscher Staatsbürger aus dem Libanon eine Rolle. Ob und wann die “Hamburg” tatsächlich ins Rote Meer fahren wird, sei eine ministerielle Entscheidung, die zu entsprechender Zeit getroffen würde, heißt es von Seiten des Marinekommandos.
Die Gefahr für die Besatzung wäre im Roten Meer wie beim Einsatz der “Hessen” hoch: Zwar ist die “Hamburg” auf Luftverteidigung ausgelegt und kann aus den Erfahrungen der Besatzung der Fregatte “Hessen” lernen. Aber die Anti-Schiff-Lenkflugkörper und ballistische Raketen der Huthi-Rebellen, hauptsächlich geliefert vom Iran, haben sich rasant weiterentwickelt. Vor allem die Flugkörper, die von Flugzeugen abgeschossen werden, können die Fregatte aus Winkeln anfliegen, die eine rechtzeitige Entdeckung durch die Radare an Bord sehr schwierig machen. Dazu kommen Überwasser-Drohnen, die schwer aufzuklären sind und nur durch Bordhubschrauber abgewehrt werden können.
Eine Entspannung der Lage vor Ort ist nicht in Sicht. Nur das US-amerikanische Militär bekämpft zusammen mit den britischen Streitkräften seit Januar dieses Jahres in der Operation “Poseidon Archer” aktiv militärische Ziele der Huthi-Rebellen an Land. Die Schmuggel-Routen, über die Waffen der Iraner in den Jemen zu den Huthi-Rebellen kommen, werden damit aber nicht unterbrochen.
Bislang sind deutsche Kriegsschiffe noch nicht durch die Taiwanstraße gefahren – anders als etwa die Marine der USA oder Frankreichs. Für die Bundesmarine ist ein Engagement im Indopazifik noch neu. Einem Bericht des Spiegels vom Wochenende zufolge werden zwei Schiffe der Marine in wenigen Tagen tatsächlich von Südkorea aus durch die Taiwanstraße navigieren. Table.Briefings sprach kurz zuvor mit dem US-Experten Isaac Kardon, der vehement für solche Durchfahrten eintritt.
Die deutsche Fregatte “Baden-Württemberg” und ihr Versorgungsschiff “Frankfurt am Main” werden diese Woche Südkorea in Richtung Philippinen verlassen – und die große Frage ist: Werden sie durch die Taiwanstraße fahren?
Das zeigt, dass da etwas ganz und gar nicht stimmt.
Inwiefern?
Insofern, dass Deutschland zögert, durch die Taiwanstraße zu fahren. Es ist ein internationales Gewässer – und meines Wissens ist Deutschland als Exportweltmeister und wichtige Handelsnation auf freien und offenen Handel angewiesen.
Überschätzen Sie damit nicht etwas die Rolle Deutschlands in der Taiwan-Frage? Zwei kleine deutsche Schiffe, die vielleicht einmal durch die Straße fahren. Würde das wirklich einen Unterschied machen?
Es würde in der Tat einen Unterschied machen, insbesondere wenn die deutsche Regierung die Gründe für die Durchfahrt angibt und ihre Absicht erklärt, weiterhin durch die Taiwanstraße zu fahren. Hier handelt es sich nicht um eine unbedeutende Angelegenheit zwischen den USA und China, sondern um eine globale Norm, dass – abgesehen von einigen definierten Einschränkungen des Seerechts, die festlegen, wo man nicht durchfahren darf – die Weltmeere für Handel, Schifffahrt und Kriegs- wie Handelsschiffe gleichermaßen offen sind. Das ist im Seerecht völlig klar. Wir dürfen nicht zulassen, dass China einseitig einen bedeutenden Teil einer internationalen Wasserstraße annektiert, die von vielen anderen Nationen genutzt wird.
China hat die deutsche Regierung öffentlich davor gewarnt, durch die Taiwanstraße zu fahren.
In dieser Hinsicht ist zunächst einmal zu sagen: Es besteht kein militärisches Risiko. Höchstwahrscheinlich werden die Chinesen sie beharrlich und unaufhörlich per Funk belästigen, wohl von einem Schiff der Marine der Volksbefreiungsarmee, das sie auf ihrem Weg durch die Straße mit Sicherheit beschatten wird. Sie werden etwas über chinesische Seerechte und -interessen sagen, vielleicht etwas über die chinesische Souveränität. Aber das ist alles. Sie setzen sich keinem militärischen Risiko aus. Null.
Aber China wird es wohl kaum bei ein paar Funksprüchen belassen …
Richtig. Deutschland müsste mit einem gewissen Missfallen seitens China rechnen. Nochmals, es besteht aus militärischer oder operativer Sicht kein Risiko. Aber es wird wahrscheinlich irgendeine Art von nicht zugeschriebener Vergeltung geben, höchstwahrscheinlich wirtschaftlicher Natur. China könnte sich einen Teil der deutschen Wirtschaft vornehmen. Das ist eine ziemlich hinterhältige Strategie. Aber ich denke, das ist der Preis, den man zahlen muss. Im Grunde muss sich Deutschland entscheiden zwischen seinem langfristigen Interesse an einem offenen, freien Handelssystem und den kurzfristigen Bedenken, dass eventuell der ein oder anderen Wirtschaftsbranche Schaden zugefügt werden könnte.
Wie ist denn die rechtliche Situation in der Taiwanstraße? China beansprucht Souveränitätsrechte.
Es handelt sich um Gewässer, in denen die Freiheit der Hohen See gilt. Das ist der Schlüsselbegriff, um technisch auf die Taiwanstraße einzugehen. Aufgrund ihrer Nähe zu Taiwan und dem Festland handelt es sich um eine ausschließliche Wirtschaftszone. Das ist ein Gebiet, in dem der Küstenstaat ausschließliche wirtschaftliche Rechte auf Fischfang, Öl und Gas hat. Er hat jedoch keine Gerichtsbarkeit über die Schifffahrt. Die Weltmeere sind offen. Wenn die ausschließlichen Wirtschaftszonen der Welt auf diese Weise reguliert werden könnten, dann wären das 40 Prozent der Ozeane. Wir hätten ein viel, viel geschlosseneres System.
Peking sagt, die USA würden sie schikanieren, diese Art der Durchfahrt würde nur vor der chinesischen Küste stattfinden.
Das ist nur die halbe Wahrheit. Chinesische Kriegsschiffe haben ebenfalls begonnen, in ausschließlichen Wirtschaftszonen vor den USA zu operieren. Sie haben sogar in gemeinsamen Operationen mit der russischen Marine durch das Beringmeer in ausschließlichen Wirtschaftszonen der USA operiert. In der Vergangenheit sind sie innerhalb von 12 Seemeilen am US-Territorium vorbeigefahren.
Und die USA haben dann ebenfalls dagegen protestiert, oder?
Ganz im Gegenteil. Was die Vereinigten Staaten in jedem dieser Fälle getan haben, ist, die Norm zu bekräftigen, dass man das tun darf. Das ist der Deal eines offenen liberalen Systems, das die Vereinigten Staaten zu schützen versuchen. Im Moment nutzt China diese Freiheiten aus, auch wenn es sie anderen Staaten nicht zugesteht. Diesen Mangel an Reziprozität kennen wir im Zusammenhang mit dem Zugang zu wirtschaftlichen Märkten. Das Gleiche gilt für die Freiheit der Schifffahrt.
Und jetzt kommt es in der Taiwanstraße tatsächlich auf Deutschland an?
Natürlich geht es nicht nur um Deutschland. Die USA führen regelmäßig Operationen zur Wahrung der Freiheit der Schifffahrt in der Taiwanstraße durch. Im Grunde genommen sind viele Länder dafür erforderlich, denn die Frage ist: Was ist die Norm und was die Ausnahme? Wenn nur die USA durch die Taiwanstraße fahren würden, wäre das eine Ausnahme – und das ganze System würde zusammenbrechen. Deshalb müssen wir es als Norm beibehalten, dass internationale Wasserstraßen frei und offen für jeden sind. Wenn Deutschland, die Niederlande, Frankreich, Indien, Japan, Australien und andere routinemäßig durch die Taiwanstraße fahren, bleibt die Norm bestehen. Wir dürfen Chinas Versuche nicht dulden, diese Regel und diese Norm zu ändern.
Also sollte Deutschland …
Letztendlich ist es an der deutschen Regierung zu sagen, dass man für die internationale Rechtsstaatlichkeit eintritt. Zu sagen, dass man nicht will, dass das Recht auf Durchfahrt durch eine internationale Wasserstraße, in der es Freiheiten auf hoher See gibt, allmählich ausgehöhlt wird. Berlin sollte klarstellen, dass wir diese Durchfahrt im Einklang mit der üblichen Praxis durchführen und weiterhin durchführen werden. Ich denke, das liegt im deutschen Interesse und auch im Interesse der internationalen Gemeinschaft.
Isaac B. Kardon ist Senior Fellow für Chinastudien am Carnegie Endowment for International Peace in Washington, DC. Er ist gleichzeitig außerordentlicher Professor am Johns Hopkins SAIS und war zuvor Assistenzprofessor am U.S. Naval War College (NWC), wo er als Forschungsdozent am China Maritime Studies Institute tätig war. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Seemacht der Volksrepublik China, mit Spezialisierung auf Seestreitigkeiten und das internationale Seerecht.
China und Russland planen ein erneutes gemeinsames Militärmanöver. Das meldete die amtliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua am Montag. Demnach wird russisches Militär noch in diesem Monat Marine- und Luftstreitkräfte zu einer Übung entsenden, die China im Japanischen Meer und im Ochotskischen Meer durchführen wird. Die Manöver zielen darauf ab, “das Niveau der strategischen Koordination zwischen den chinesischen und russischen Streitkräften zu vertiefen und ihre Fähigkeit zu verbessern, gemeinsam auf Sicherheitsbedrohungen zu reagieren”, hieß es bei Xinhua.
Japan hatte China Ende August vorgeworfen, binnen einer Woche zwei Mal seine Hoheitsrechte verletzt zu haben. Die Zunahme der Aktivitäten des chinesischen Militärs in der Nähe Japans und um Taiwan in den vergangenen Jahren haben die japanische Regierung alarmiert. Seitdem verstärkt Japan seine Rüstungsanstrengungen. China rechtfertigt sein Handeln mit Gebietsansprüchen in der Region. rtr
Ex-EZB-Chef Mario Draghi plädiert in seinem Bericht zur EU-Wirtschaftsfähigkeit unter anderem für eine weitere Integration und Konsolidierung der Verteidigungsindustrie über Ländergrenzen hinweg. Zudem mahnt er die EU, sich auf kritische und strategische Bereiche zu konzentrieren.
Die Verteidigungsausgaben der EU-Staaten seien angesichts des geopolitischen Umfelds nach wie vor ungenügend, Europas Verteidigungsindustrie tue sich zusätzlich schwer mit dem Zugang zu privaten Investitionen und der Fragmentierung des Marktes. Mario Draghi ist bei der Analyse des Status quo von Europas Wirtschaftsfähigkeit schonungslos, aber letztlich wenig überraschend.
Doppelte Strukturen, die Fragmentierung oder die großen Defizite bei der Standardisierung von Rüstungsgütern sind bekannt. Interessanter deshalb, die Empfehlungen im Bericht unter dem Kapitel Verteidigung. Mario Draghi plädiert unter anderem für eine weitere Integration und Konsolidierung der Verteidigungsindustrie, mit einer Konzentration auf kritische und strategische Bereiche.
Dies, so der frühere italienische Regierungschef, würde die verteidigungsindustrielle Basis der EU stärken und ihre strategische Autonomie verbessern. Überschneidungen bei den Industriekapazitäten zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten müssten überwunden, eine grenzüberschreitende Integration das Ziel sein. Größenvorteile würden sich auch positiv auf die Verteidigungsausgaben auswirken.
Der Handlungsbedarf werde wachsen, weil die Zukunft der Verteidigungsgüter bei zunehmend komplexen Systemen liege, die in hohem Masse interoperabel sein müssten. Bisherige Initiativen seien oft an der mangelnden Bereitschaft von Mitgliedstaaten und deren Firmen gescheitert, nationale Fähigkeiten in bestimmten Bereichen zugunsten einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit aufzugeben.
Mario Draghi zählt verschiedene Bedingungen auf, um die strukturelle Integration von Europas Verteidigungssektor voranzutreiben. Es brauche volle politische Unterstützung der Mitgliedstaaten für die technologische und industrielle Konsolidierung. Die Mitgliedstaaten müssten bereit sein, gegenseitige Abhängigkeiten in ausgewählten Sektoren der Rüstungsindustrie zu akzeptieren und die Versorgungssicherheit zu garantieren.
Die EU-Staaten müssten bereit sein, auf doppelte Strukturen bei bestimmten Fähigkeiten zu verzichten und wo nötig Kapazitäten abzubauen. Es brauche eine Einigung zwischen den Hauptstädten auf Spezialisierungen an bestimmten Industriestandorten. Es müssten Kompetenzzentren für bestimmte Produktionsbereiche, Technologien oder Teilsysteme geschaffen werden, um Größenvorteile und Synergieeffekte zu schaffen.
Die Verteidigungsausgaben der EU-Staaten liegen laut Draghi-Bericht bei einem Drittel der Ausgaben der USA, während China zuletzt den Verteidigungshaushalt massiv ausgebaut habe. Die Tatsache, dass die EIB als Hausbank der EU Kredite für reine Rüstungsprojekte ausschließe, sende zudem ein negatives Signal an potenzielle Investoren an den Finanzmärkten.
Besonders hebt der Bericht die Defizite der EU hervor, wenn es um Investitionen in Forschung und Entwicklung geht. Während die USA im vergangenen Jahr für 140 Milliarden Dollar investiert hätten, hätten in der EU nur rund zehn Milliarden Euro an öffentlichen Geldern zur Verfügung gestanden. Die Verteidigungssysteme der nächsten Generation würden für alle strategischen Bereiche aber in Zukunft massive Forschungsinvestitionen nötig machen, außerhalb der Möglichkeiten jedes einzelnen Mitgliedstaats. Draghi plädiert dafür, die Ressourcen auf EU-Ebene stärker auf gemeinsame Forschungsanstrengungen zu konzentrieren. sti
Vor Vertretern der Industrie hat Verteidigungsminister Boris Pistorius für seine Pläne für den künftigen Wehrdienst geworben und mögliche Bedenken vor Auswirkungen auf die Wirtschaft zurückgewiesen. Ohne Streitkräfte mit ausreichend Personal sei ein Land nicht verteidigungsfähig, sagte der SPD-Politiker am Montag auf einer Veranstaltung des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall in Berlin. Werde das nicht sichergestellt, “dann spielen bestimmte Fragen für Unternehmen keine Rolle”. Dabei gehe es dann darum, Prioritäten zu setzen.
Pistorius hatte vor der Sommerpause seine Pläne für einen “neuen Wehrdienst” vorgestellt, die zunächst eine verpflichtende Auskunft für alle jungen Männer und eine ebenso verpflichtende Musterung vorsehen, aber noch keine Wehrpflicht. Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesjustizminister Marco Buschmann, beide FDP, hatten sich mit Hinweis auf die Folgen für die Wirtschaft dagegen gewandt. Die Planung des Verteidigungsministers bedarf noch eines entsprechenden Gesetzes der Ampelkoalition. Lindner, der beim “Tag der Metall- und Elektroindustrie” ebenfalls sprach, äußerte sich zu diesem Thema nicht.
Der Verteidigungsminister wies darauf hin, dass Wehrpflichtige nach ihrem Dienst bei Rückkehr in einen Betrieb auch zusätzliche Kenntnisse und Fähigkeiten mitbringen könnten, zum Beispiel einen Führerschein. Zugleich sprach sich Pistorius dafür aus, gegebenenfalls auch Arbeitgeber zur Freistellung von Reservisten für Übungen zu verpflichten. Das könnte nötig werden, um eine verteidigungsfähige Armee zu erreichen. Allerdings würden solche Übungen bei Weitem nicht die Größenordnung des Kalten Krieges erreichen.
Auf die Frage von Table-Chefredakteur Michael Bröcker, der die Veranstaltung moderierte, betonte Pistorius, er werde nicht als Ersatzkandidat für einen möglicherweise politisch angeschlagenen SPD-Kanzler Olaf Scholz in den Wahlkampf zur Bundestagswahl im kommenden Jahr gehen. “Das kann ich ausschließen”, sagte der SPD-Politiker. tw
Zum Beginn des Treffens der Vertragsstaaten der Konvention über Streumunition diesen Dienstag in Genf haben Menschenrechtsorganisation vor einer Verwässerung der Vereinbarung gewarnt. Nach der Entscheidung Litauens im Juli, den Streubomben-Verbotsvertrag zu verlassen, müssten die Mitgliedstaaten nun umso mehr “ihre Werte verteidigen und jeden Einsatz von Streumunition durch irgendeinen Akteur sowie die daraus resultierenden langfristigen humanitären Folgen verurteilen”, sagte Eva Maria Fischer, Leiterin der politischen Abteilung von Handicap International Deutschland.
Mary Wareham von Human Rights Watch kritisierte: “Litauens unüberlegter Schritt, aus dem Übereinkommen über Streumunition auszutreten, befleckt seinen ansonsten ausgezeichneten Ruf in Sachen humanitärer Abrüstung und ignoriert die Risiken für die Zivilbevölkerung.” Es sei “noch nicht zu spät für Litauen, den Appellen nachzukommen und seinen geplanten Rückzug zu stoppen.”
Die sogenannte Oslo-Konvention verbietet den Einsatz, die Lagerung, den Handel und die Produktion von Streubomben. Sie wurde 2008 geschlossen und von bislang 112 Vertragsstaaten angenommen, darunter Deutschland; zwölf haben sie unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Abgesehen von Litauen hat keines der an Russland oder die Ukraine angrenzenden europäischen Staaten die Konvention unterzeichnet. Auch keines der vier Länder, die Streubomben derzeit einsetzen – Syrien, Myanmar, Russland und die Ukraine – haben sie nicht unterzeichnet.
Vor Beginn des bis Freitag dauernden Treffens in Genf warnten Human Rights Watch und Handicap International die Vertragsstaaten davor, bei der Umsetzung der Konvention nachzulassen. So könnte die Entscheidung der USA, auf einem US-Militärstützpunkt in Deutschland gelagerte US-Streumunition an die Ukraine zu liefern und dafür durch Deutschland zu transportieren, als Unterstützung von durch die Konvention verbotenen Handlungen gewertet werden. Laut dem am Montag erschienenen Streubomben-Monitor verzeichnete die Ukraine das zweite Jahr in Folge die höchste Opferzahl weltweit. mrb
Es hat nur wenige Stunden gedauert, bis der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow dem deutschen Bundeskanzler eine Abfuhr erteilt hatte: “Zurzeit werden keinerlei konkrete Überlegungen verfolgt”, reagierte Peskow am Montag auf die Ankündigung von Scholz im ZDF-Sommerinterview am Sonntag, dass es eine weitere Friedenskonferenz “auf alle Fälle” geben werde, an der auch Russland Platz haben solle. Peskow ergänzte: In Moskau höre man alle möglichen Ankündigungen aus Europa, aber keine aus den USA, “also aus dem Land, das alle diese Prozesse dirigiert, das den gesamten Westen dirigiert”.
Es ist die übliche Rhetorik. Wichtig an der Aussage ist nur, dass Moskau weiterhin am Ziel festhält, eine Aufteilung von “Interessenssphären” zwischen den Großmächten zu erreichen. Und es zählt sich selbst dazu. Deswegen will Moskau über die Friedensordnung für die Ukraine – und damit auch für das westliche Europa – mit den USA verhandeln.
Russische Medien, die Scholz’ Aussage aufgreifen, verweisen auch auf die Aussage des Präsidenten Wladimir Putin, dass nach dem ukrainischen Vorstoß auf russisches Territorium Verhandlungen perspektivlos seien. Auch diese Begriffe verwendet der Kreml stets, wenn westliche Staaten nicht auf seine Forderungen eingehen.
Die Ukraine und ihre Unterstützer arbeiten an einem weiteren Friedensgipfel, der der Konferenz in der Schweiz folgen soll. Wo und wann genau, ist unklar. Kiew würde den Gipfel gerne auf einen Termin noch vor den US-Wahlen im November legen. Nach dem Besuch des indischen Premiers Narendra Modi im August in Kiew reist Ajit Doval, Modis Sicherheitsberater, in dieser Woche nach Moskau. Putin hat Anfang September auf dem Wirtschaftsforum in Wladiwostok neben China und Brasilien auch Indien als einen der drei Staaten genannt, mit denen Moskau zu Fragen der Regulierung dieses “Konfliktes” in Kontakt sei. vf
Im August hat Verteidigungsminister Boris Pistorius angekündigt, dass sich Deutschland künftig an dem von den USA geführten UN-Kommando (UNC) in Südkorea zur Überwachung des Waffenstillstands mit Nordkorea beteiligt. Unklar war noch, wie genau sich Deutschland personell und militärisch in der seit 1950 bestehenden UN-Mission engagiert.
In der Antwort auf eine schriftliche Anfrage des verteidigungspolitischen Sprechers der Linken, Dietmar Bartsch, die Table.Briefings exklusiv vorliegt, werden nun zumindest die kurzfristigen Pläne etwas konkreter. Deutschland werde “bis auf Weiteres” durch den Militärattaché der Deutschen Botschaft in Seoul vertreten. Von Soldaten, die fest nach Südkorea geschickt werden oder anderweitiger Unterstützung, ist erst einmal keine Rede. Aber wie den meisten Mitgliedstaaten der Kommission geht es hier wohl auch primär um eine Einbindung in die Austausch- und Dialogprozesse des Formats und darum, das Engagement in der Region zu bekräftigen.
Der Verteidigungsminister war im Sommer durch den Indopazifik gereist, vor allem auch, um Signale an autokratisch regierte Staaten wie Nordkorea und Russland, aber auch China zu senden, die politisch und militärisch immer stärker miteinander kooperieren. Die Botschaft des Ministers: Auch die demokratischen Staaten bauen ihre Beziehungen aus, und Länder wie Südkorea sind für Deutschland wichtige Wertepartner. Die Annahme ist, dass die Sicherheit in Europa eng mit der im Indopazifik verknüpft. Das wird auch in weiten Teilen der Opposition so gesehen.
Anders sehen das politische Vertreter des linken und rechten Randes. Linken-Politiker Bartsch bezeichnet den Beitritt Deutschlands als eine “verpasste Chance für eine kluge deutsche Diplomatie in Ostasien”. Aus seiner Sicht sollte Deutschland wie Schweden, Polen oder die Schweiz der Neutralen Überwachungskommission in Korea beitreten, um den Einfluss auf Nordkorea, der noch besteht, nicht zu gefährden und sich als neutraler Vermittler in dem Konflikt zu beteiligen. Den Beitritt zu der Mission bezeichnet er als “Nibelungentreue zu den USA in Ostasien und Ozeanien”.
Seit der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens 1953 besteht die Hauptaufgabe der von den USA geführten multinationalen Truppe darin, die Aufrechterhaltung des Waffenstillstands zu überwachen. Deutschland ist das 18. Mitgliedsland. wp
Euronews: Russian drones violate Romania and Latvia’s airspace in just 24 hours. Russlands Drohnen verletzten zunehmend häufiger die östlichen Grenzen der EU. Rumänien, Lettland und Polen melden mehrere Vorfälle. Bisher behelfen sich die Länder aber nur mit diplomatischen Protestnoten an Moskau.
Kiel Institut für Weltwirtschaft: Europas und Deutschlands langsame Aufrüstung gegenüber Russland. Der Bericht zeigt, dass Russlands Rüstungskapazitäten stark gestiegen sind, während Deutschlands Aufrüstung langsam voranschreitet. Bei aktueller Geschwindigkeit würde Deutschland erst in 100 Jahren das Rüstungsniveau von 2004 erreichen.
Foreign Affairs: Planning for a Post-American Nato. Europa muss sich auf eine zweite Amtszeit Trumps vorbereiten – und auf eine Nato ohne die USA. Laut diesem Text sind die drei wichtigsten Fragen: Wie soll die europäische Sicherheit zukünftig strukturiert werden? Wer sollte die Umstrukturierungen anführen? Und welche neuen Fähigkeiten muss Europa erwerben?
Eidgenössische Technische Hochschule Zürich: Mediation as a State Enterprise in Türkiye. Die geopolitische Stellung der Türkei eröffnet Ankara die Möglichkeit, in internationalen Konflikten eine Vermittlerrolle zu spielen. Dieser Text analysiert, wie sich das in der türkischen Außenpolitik kontextualisiert, was das für die Ukraine bedeutet und welche Unvorhersehbarkeiten mitschwingen.
Chatham House: More and more cases on war and genocide are being litigated at the ICJ. Nach der Klage gegen Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof im März plant Nicaragua, ähnliche Fälle gegen das Vereinigte Königreich, Kanada und die Niederlande vorzubringen. Zeichen eines Trends, der den Gerichtshof in einer noch nie dagewesenen Weise ins mediale Rampenlicht rückt. Und der Auswirkungen auf die globale Rolle von Staaten, die Israel militärisch unterstützen, hat.
Am 2. September hat Patrick Turner offiziell sein Amt als Sonderbeauftragter der Nato für die Ukraine in Kiew übernommen, ab dieser Woche ist der Brite auch vor Ort. Damit wird ein wichtiger Baustein der Ergebnisse des Nato-Gipfels in Washington in die Tat umgesetzt: Das westliche Verteidigungsbündnis baut seine zivile Präsenz in der Ukraine aus.
Die 32 Bündnisstaaten haben im Juli beschlossen, einen ranghohen Beamten nach Kiew zu entsenden, um vor Ort die politische und praktische Unterstützung des von Russland angegriffenen Landes durch das Bündnis zu steuern. Es brauche “jemanden mit Blick ins Gelände”, hatte es der höchste deutsche militärische Vertreter bei der Nato in Brüssel, Wolfgang Wien, im Gespräch mit Table.Briefings formuliert.
Unter der Leitung Turners, seit 2011 stellvertretender ständiger Vertreter in der britischen Delegation bei der Nato in Brüssel, wird sich die Vertretung um Kontakte mit ukrainischen Ministerien bemühen. Sie soll den politischen Dialog und die praktische Zusammenarbeit mit der Allianz fördern und Behörden bei Reformen im Sicherheits- und Verteidigungssektor.
Es ist der Kompromiss dafür, dass die Nato der Ukraine eben noch keine konkrete Bündniseinladung ausgestellt hat und dafür, dass die Verbündeten eben nicht bereit sind, selbst mit militärischem Personal vor Ort zu sein. Turner, der seine Karriere nach dem Bachelor-Abschluss in moderner Geschichte in Oxford 1984 im britischen Verteidigungsministerium begann, ist jetzt das Gesicht dieses Kompromisses.
An Nato-Erfahrung mangelt es dem britischen Top-Beamten nicht. Er arbeitete bereits 1992 bis 1996 im Büro der Nato-Generalsekretäre Manfred Wörner, Willy Claes und Javier Solana beim Bündnis. Später war er dann unter anderem stellvertretender britischer Botschafter bei der Nato und vier Jahre lang bis 2022 beigeordneter Generalsekretär für Verteidigungspolitik und Planung. Generalsekretär Jens Stoltenberg hob deswegen zu Recht seine “Erfahrung und Führungsqualitäten” hervor.
Weniger Erfahrung kann Turner, der zuletzt in der Unternehmensberatungsfirma The Cohen Group in den Vereinigten Staaten tätig war, allerdings mit Blick auf die Ukraine im Spezifischen vorweisen. Vor der Entscheidung, wurde im Umfeld des Brüsseler Nato-Hauptquartiers noch spekuliert, dass Kenntnisse über das Land ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl des Kandidaten für den Job sein könnte.
Dass Turner fest an der Seite der Ukraine steht, daran allerdings besteht kein Zweifel. Zuletzt kritisierte er in einem Interview mit Radio Free Europe die Ergebnisse des Nato-Gipfels in Washington als zu schwach. Es hätte einen “mutigeren Ansatz” geben können, um die Ukraine in das Bündnis einzuladen, sagte er und verwies darauf, dass “innenpolitische Gründe” in den USA das verhindert hätten.
Die Nato hat bereits seit knapp einem Jahrzehnt eine offizielle Vertretung in Kiew. Von dort werden auch ein seit Ende der 1990er Jahre existierendes Verbindungsbüro und ein Informations- und Dokumentationszentrum geleitet. Aus dem Verbindungsbüro, in dem auch Deutsche vertreten waren, wurde nach und nach jedoch das Personal abgezogen.
In seiner Funktion als Sonderbeauftragter wird Turner nun das Büro leiten und als zentrale Anlaufstelle für die ukrainischen Behörden in Kiew zur Nato fungieren. Er soll unmittelbar vor Ort hören, was gebraucht wird, auch bei den Streitkräften, und wird im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen der Nato und der Ukraine politische Beratung leisten und praktische Unterstützung leisten. Für beides ist Turner zumindest auf dem Papier bestens geeignet. Wilhelmine Preußen
Ellinor Zeino ist seit September Leiterin des Auslandsbüros Türkei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ankara. Sie folgt auf Walter Glos. Zuvor leitete sie das Regionalprogramm Südwestasien der Stiftung mit Sitz in Taschkent (Usbekistan). Von September 2018 bis August 2021 war sie Leiterin des Auslandsbüros Afghanistan in Kabul. Seit September 2022 ist sie Mitglied der Enquête-Kommission “Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands” des Deutschen Bundestags.
Von 2015 bis 2017 arbeitete Zeino für ein privates Beratungsunternehmen für Reisesicherheit und Krisenmanagement. Von 2012 bis 2015 war sie Projektkoordinatorin im KAS-Auslandsbüro Marokko. An der Universität Hamburg und dem German Institute of Global and Area Studies (Giga) promovierte sie zu Saudi-Arabiens und Irans Irak-Politik. Sie studierte Politik-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Passau sowie Politikwissenschaft an der Universität Kairo und absolvierte einen fachspezifischen Sprachabschluss in Arabisch für Juristen. Zeino ist Altstipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung. klm
rund 200 Botschafterinnen und Botschafter, mehr als fünfzig Veranstaltungen an vier Tagen – am Montag hat Annalena Baerbock im Weltsaal des Auswärtigen Amtes die 22. Konferenz der Leiterinnen und Leiter der deutschen Auslandsvertretungen eröffnet. Und dabei die Marschroute für eine “aus den Fugen geratene Welt” ausgegeben: Selbstbewusst, strategisch und partnerschaftlich müsse Deutschland diplomatisch agieren, sagte die Außenministerin, nur so ließe sich “bewahren, was uns selbst am meisten schützt”.
Das gelte übrigens nicht nur mit Blick auf die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, sondern auch gegenüber China. “Strategisch, auch mit kleinen Partnern” müsse man vorgehen – die Eröffnung der deutschen Botschaft auf den Fidschi-Inseln vergangenes Jahr sei dafür ein Beispiel, so Baerbock. Dass nicht nur die deutsche Diplomatie im Indopazifik strategisch in den Kinderschuhen steckt, sondern auch die Deutsche Marine, beschreibt Martina-Lisa Klein in ihrer Analyse. Wilhelmine Preußen hat aufgeschrieben, wie die Bundeswehr künftig das Kommando der Vereinten Nationen in Südkorea (UNC) verstärken wird. Im August hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius bei seinem Besuch in Seoul ein stärkeres deutsches Engagement angekündigt.
Ihnen eine gute Lektüre
Laut Informationen des Spiegels sollen die Fregatte “Baden-Württemberg” und das Versorgungsschiff “Frankfurt am Main” diese Woche durch die Straße von Taiwan fahren. Die Bundesregierung hatte die Passage auf Druck der Regierung in Peking bei bisherigen Deployments im Indopazifik gemieden. Dieses Jahr will das Bundeskanzleramt das Risiko einer Provokation wohl eingehen.
Marcus Faber, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, schrieb bereits am Sonntag auf X: “Die Deutsche Marine unterstreicht mit der Durchfahrt durch die Taiwanstraße unser Bekenntnis zur Freiheit der Meere und zum Status Quo mit Taiwan.” Generalinspekteur Carsten Breuer zufolge ist eine Entscheidung über die weitere Route der Fregatte allerdings noch nicht gefallen. “Das ist eine Entscheidung, die zum richtigen Zeitpunkt getroffen wird und die dann zu diesem Zeitpunkt auch kommuniziert wird”, sagte er am Montag der Deutschen Presse Agentur.
Peking hatte sich am Montag kritisch geäußert. China lehne “Provokationen und Drohungen betreffender Staaten gegen die Souveränität und Sicherheit Chinas unter dem Deckmantel der Schifffahrtsfreiheit ab”, sagte Außenamtssprecherin Mao Ning am Montag auf einer Pressekonferenz. Wen sie mit “betreffende Staaten” meinte, erklärte sie nicht.
Zuletzt lagen die beiden Kriegsschiffe, die im Rahmen des Indo-Pacific Deployments unterwegs sind, im südkoreanischen Hafen in Incheon. Der nächste Halt ist in Manila auf den Philippinen. Dazwischen liegt die 180 Kilometer breite Meerenge zwischen der chinesischen Provinz Fujian im Westen und der Insel Taiwan im Osten. China betrachtet das Seegebiet als nationales Gewässer und Taiwan als chinesisches Staatsgebiet, Durchfahrten internationaler Schiffe werden genau beobachtet und teils gestört: Immer wieder kommt es im südchinesischen Meer zu absichtlichen Zusammenstößen chinesischer Schiffe mit denen anderer Nationen.
Die Marine spiele verschiedene Szenarien durch und sei bereit für die Passage, heißt es von Experten. Sollten chinesische Fischerboote tatsächlich mit den deutschen Schiffen zusammenstoßen, dürften dies von der chinesischen Regierung zu Propagandazwecken gegen Deutschland verwendet werden und die deutsch-chinesischen Beziehungen belasten. Auch für den Kommandanten des Verbandes, Flottillenadmiral Axel Schulz, ist das Risiko hoch: Unfälle müssten zur Klärung der Schuldfrage sehr genau untersucht werden. Die Frage wird dann sein, wie verlässlich die Informationslage vor Ort ist.
Die Bundesregierung steht bei der Entscheidung, ob die Passage stattfindet oder nicht, aus einem weiteren Grund unter Druck: Die Straße von Taiwan ist politisch heikel – die geplante Durchfahrt der beiden Schiffe durch das Rote Meer im November – wenn die Lage so bleibt – brandgefährlich für die Besatzungen. Würden beide kritischen Passagen abgesagt werden, dürfte die Glaubwürdigkeit Deutschlands im Indopazifik, aber auch bei den Verbündeten im Nahen Osten, erheblichen Schaden nehmen.
Ob die “Baden-Württemberg” und die “Frankfurt am Main” durch das Rote Meer fahren, dürfte auch davon abhängen, ob die Fregatte “Hamburg” wie geplant im Rahmen der EU-Mission “Aspides” vor Ort sein und den Verband auf der Route und zum Hafenbesuch im saudi-arabischen Dschidda begleiten wird. Denn weder die Fregatte “Baden-Württemberg” noch der Versorger sind so bewaffnet, dass sie ausreichend Schutz gegen die präzisen Lenkflugkörper und Überwasser-Drohnen der Huthis bieten. Die “Baden-Württemberg” wurde für langzeitige Stabilisierungsoperationen mit mittlerer Intensität wie etwa der Abwehr von Piraterie konzipiert, nicht für ein mögliches hochintensives Gefecht wie im Roten Meer.
Zwar ist die “Hamburg” wie geplant Anfang Juli Richtung Rotes Meer ausgelaufen, ihre Teilnahme an der Mission “Aspides” wurde aber vorerst abgesagt, um sich für “verschiedene Optionen bereitzuhalten”, heißt es offiziell von Seiten der Marine. In einer Lage-Unterrichtung des Verteidigungsministeriums für den Bundestag heißt es, die deutsche Fregatte solle “aufgrund der aktuellen Lageentwicklung im Nahen und Mittleren Osten” vorerst im östlichen Mittelmeer bleiben. Dabei spielen vor allem Überlegungen für eine mögliche Evakuierung deutscher Staatsbürger aus dem Libanon eine Rolle. Ob und wann die “Hamburg” tatsächlich ins Rote Meer fahren wird, sei eine ministerielle Entscheidung, die zu entsprechender Zeit getroffen würde, heißt es von Seiten des Marinekommandos.
Die Gefahr für die Besatzung wäre im Roten Meer wie beim Einsatz der “Hessen” hoch: Zwar ist die “Hamburg” auf Luftverteidigung ausgelegt und kann aus den Erfahrungen der Besatzung der Fregatte “Hessen” lernen. Aber die Anti-Schiff-Lenkflugkörper und ballistische Raketen der Huthi-Rebellen, hauptsächlich geliefert vom Iran, haben sich rasant weiterentwickelt. Vor allem die Flugkörper, die von Flugzeugen abgeschossen werden, können die Fregatte aus Winkeln anfliegen, die eine rechtzeitige Entdeckung durch die Radare an Bord sehr schwierig machen. Dazu kommen Überwasser-Drohnen, die schwer aufzuklären sind und nur durch Bordhubschrauber abgewehrt werden können.
Eine Entspannung der Lage vor Ort ist nicht in Sicht. Nur das US-amerikanische Militär bekämpft zusammen mit den britischen Streitkräften seit Januar dieses Jahres in der Operation “Poseidon Archer” aktiv militärische Ziele der Huthi-Rebellen an Land. Die Schmuggel-Routen, über die Waffen der Iraner in den Jemen zu den Huthi-Rebellen kommen, werden damit aber nicht unterbrochen.
Bislang sind deutsche Kriegsschiffe noch nicht durch die Taiwanstraße gefahren – anders als etwa die Marine der USA oder Frankreichs. Für die Bundesmarine ist ein Engagement im Indopazifik noch neu. Einem Bericht des Spiegels vom Wochenende zufolge werden zwei Schiffe der Marine in wenigen Tagen tatsächlich von Südkorea aus durch die Taiwanstraße navigieren. Table.Briefings sprach kurz zuvor mit dem US-Experten Isaac Kardon, der vehement für solche Durchfahrten eintritt.
Die deutsche Fregatte “Baden-Württemberg” und ihr Versorgungsschiff “Frankfurt am Main” werden diese Woche Südkorea in Richtung Philippinen verlassen – und die große Frage ist: Werden sie durch die Taiwanstraße fahren?
Das zeigt, dass da etwas ganz und gar nicht stimmt.
Inwiefern?
Insofern, dass Deutschland zögert, durch die Taiwanstraße zu fahren. Es ist ein internationales Gewässer – und meines Wissens ist Deutschland als Exportweltmeister und wichtige Handelsnation auf freien und offenen Handel angewiesen.
Überschätzen Sie damit nicht etwas die Rolle Deutschlands in der Taiwan-Frage? Zwei kleine deutsche Schiffe, die vielleicht einmal durch die Straße fahren. Würde das wirklich einen Unterschied machen?
Es würde in der Tat einen Unterschied machen, insbesondere wenn die deutsche Regierung die Gründe für die Durchfahrt angibt und ihre Absicht erklärt, weiterhin durch die Taiwanstraße zu fahren. Hier handelt es sich nicht um eine unbedeutende Angelegenheit zwischen den USA und China, sondern um eine globale Norm, dass – abgesehen von einigen definierten Einschränkungen des Seerechts, die festlegen, wo man nicht durchfahren darf – die Weltmeere für Handel, Schifffahrt und Kriegs- wie Handelsschiffe gleichermaßen offen sind. Das ist im Seerecht völlig klar. Wir dürfen nicht zulassen, dass China einseitig einen bedeutenden Teil einer internationalen Wasserstraße annektiert, die von vielen anderen Nationen genutzt wird.
China hat die deutsche Regierung öffentlich davor gewarnt, durch die Taiwanstraße zu fahren.
In dieser Hinsicht ist zunächst einmal zu sagen: Es besteht kein militärisches Risiko. Höchstwahrscheinlich werden die Chinesen sie beharrlich und unaufhörlich per Funk belästigen, wohl von einem Schiff der Marine der Volksbefreiungsarmee, das sie auf ihrem Weg durch die Straße mit Sicherheit beschatten wird. Sie werden etwas über chinesische Seerechte und -interessen sagen, vielleicht etwas über die chinesische Souveränität. Aber das ist alles. Sie setzen sich keinem militärischen Risiko aus. Null.
Aber China wird es wohl kaum bei ein paar Funksprüchen belassen …
Richtig. Deutschland müsste mit einem gewissen Missfallen seitens China rechnen. Nochmals, es besteht aus militärischer oder operativer Sicht kein Risiko. Aber es wird wahrscheinlich irgendeine Art von nicht zugeschriebener Vergeltung geben, höchstwahrscheinlich wirtschaftlicher Natur. China könnte sich einen Teil der deutschen Wirtschaft vornehmen. Das ist eine ziemlich hinterhältige Strategie. Aber ich denke, das ist der Preis, den man zahlen muss. Im Grunde muss sich Deutschland entscheiden zwischen seinem langfristigen Interesse an einem offenen, freien Handelssystem und den kurzfristigen Bedenken, dass eventuell der ein oder anderen Wirtschaftsbranche Schaden zugefügt werden könnte.
Wie ist denn die rechtliche Situation in der Taiwanstraße? China beansprucht Souveränitätsrechte.
Es handelt sich um Gewässer, in denen die Freiheit der Hohen See gilt. Das ist der Schlüsselbegriff, um technisch auf die Taiwanstraße einzugehen. Aufgrund ihrer Nähe zu Taiwan und dem Festland handelt es sich um eine ausschließliche Wirtschaftszone. Das ist ein Gebiet, in dem der Küstenstaat ausschließliche wirtschaftliche Rechte auf Fischfang, Öl und Gas hat. Er hat jedoch keine Gerichtsbarkeit über die Schifffahrt. Die Weltmeere sind offen. Wenn die ausschließlichen Wirtschaftszonen der Welt auf diese Weise reguliert werden könnten, dann wären das 40 Prozent der Ozeane. Wir hätten ein viel, viel geschlosseneres System.
Peking sagt, die USA würden sie schikanieren, diese Art der Durchfahrt würde nur vor der chinesischen Küste stattfinden.
Das ist nur die halbe Wahrheit. Chinesische Kriegsschiffe haben ebenfalls begonnen, in ausschließlichen Wirtschaftszonen vor den USA zu operieren. Sie haben sogar in gemeinsamen Operationen mit der russischen Marine durch das Beringmeer in ausschließlichen Wirtschaftszonen der USA operiert. In der Vergangenheit sind sie innerhalb von 12 Seemeilen am US-Territorium vorbeigefahren.
Und die USA haben dann ebenfalls dagegen protestiert, oder?
Ganz im Gegenteil. Was die Vereinigten Staaten in jedem dieser Fälle getan haben, ist, die Norm zu bekräftigen, dass man das tun darf. Das ist der Deal eines offenen liberalen Systems, das die Vereinigten Staaten zu schützen versuchen. Im Moment nutzt China diese Freiheiten aus, auch wenn es sie anderen Staaten nicht zugesteht. Diesen Mangel an Reziprozität kennen wir im Zusammenhang mit dem Zugang zu wirtschaftlichen Märkten. Das Gleiche gilt für die Freiheit der Schifffahrt.
Und jetzt kommt es in der Taiwanstraße tatsächlich auf Deutschland an?
Natürlich geht es nicht nur um Deutschland. Die USA führen regelmäßig Operationen zur Wahrung der Freiheit der Schifffahrt in der Taiwanstraße durch. Im Grunde genommen sind viele Länder dafür erforderlich, denn die Frage ist: Was ist die Norm und was die Ausnahme? Wenn nur die USA durch die Taiwanstraße fahren würden, wäre das eine Ausnahme – und das ganze System würde zusammenbrechen. Deshalb müssen wir es als Norm beibehalten, dass internationale Wasserstraßen frei und offen für jeden sind. Wenn Deutschland, die Niederlande, Frankreich, Indien, Japan, Australien und andere routinemäßig durch die Taiwanstraße fahren, bleibt die Norm bestehen. Wir dürfen Chinas Versuche nicht dulden, diese Regel und diese Norm zu ändern.
Also sollte Deutschland …
Letztendlich ist es an der deutschen Regierung zu sagen, dass man für die internationale Rechtsstaatlichkeit eintritt. Zu sagen, dass man nicht will, dass das Recht auf Durchfahrt durch eine internationale Wasserstraße, in der es Freiheiten auf hoher See gibt, allmählich ausgehöhlt wird. Berlin sollte klarstellen, dass wir diese Durchfahrt im Einklang mit der üblichen Praxis durchführen und weiterhin durchführen werden. Ich denke, das liegt im deutschen Interesse und auch im Interesse der internationalen Gemeinschaft.
Isaac B. Kardon ist Senior Fellow für Chinastudien am Carnegie Endowment for International Peace in Washington, DC. Er ist gleichzeitig außerordentlicher Professor am Johns Hopkins SAIS und war zuvor Assistenzprofessor am U.S. Naval War College (NWC), wo er als Forschungsdozent am China Maritime Studies Institute tätig war. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Seemacht der Volksrepublik China, mit Spezialisierung auf Seestreitigkeiten und das internationale Seerecht.
China und Russland planen ein erneutes gemeinsames Militärmanöver. Das meldete die amtliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua am Montag. Demnach wird russisches Militär noch in diesem Monat Marine- und Luftstreitkräfte zu einer Übung entsenden, die China im Japanischen Meer und im Ochotskischen Meer durchführen wird. Die Manöver zielen darauf ab, “das Niveau der strategischen Koordination zwischen den chinesischen und russischen Streitkräften zu vertiefen und ihre Fähigkeit zu verbessern, gemeinsam auf Sicherheitsbedrohungen zu reagieren”, hieß es bei Xinhua.
Japan hatte China Ende August vorgeworfen, binnen einer Woche zwei Mal seine Hoheitsrechte verletzt zu haben. Die Zunahme der Aktivitäten des chinesischen Militärs in der Nähe Japans und um Taiwan in den vergangenen Jahren haben die japanische Regierung alarmiert. Seitdem verstärkt Japan seine Rüstungsanstrengungen. China rechtfertigt sein Handeln mit Gebietsansprüchen in der Region. rtr
Ex-EZB-Chef Mario Draghi plädiert in seinem Bericht zur EU-Wirtschaftsfähigkeit unter anderem für eine weitere Integration und Konsolidierung der Verteidigungsindustrie über Ländergrenzen hinweg. Zudem mahnt er die EU, sich auf kritische und strategische Bereiche zu konzentrieren.
Die Verteidigungsausgaben der EU-Staaten seien angesichts des geopolitischen Umfelds nach wie vor ungenügend, Europas Verteidigungsindustrie tue sich zusätzlich schwer mit dem Zugang zu privaten Investitionen und der Fragmentierung des Marktes. Mario Draghi ist bei der Analyse des Status quo von Europas Wirtschaftsfähigkeit schonungslos, aber letztlich wenig überraschend.
Doppelte Strukturen, die Fragmentierung oder die großen Defizite bei der Standardisierung von Rüstungsgütern sind bekannt. Interessanter deshalb, die Empfehlungen im Bericht unter dem Kapitel Verteidigung. Mario Draghi plädiert unter anderem für eine weitere Integration und Konsolidierung der Verteidigungsindustrie, mit einer Konzentration auf kritische und strategische Bereiche.
Dies, so der frühere italienische Regierungschef, würde die verteidigungsindustrielle Basis der EU stärken und ihre strategische Autonomie verbessern. Überschneidungen bei den Industriekapazitäten zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten müssten überwunden, eine grenzüberschreitende Integration das Ziel sein. Größenvorteile würden sich auch positiv auf die Verteidigungsausgaben auswirken.
Der Handlungsbedarf werde wachsen, weil die Zukunft der Verteidigungsgüter bei zunehmend komplexen Systemen liege, die in hohem Masse interoperabel sein müssten. Bisherige Initiativen seien oft an der mangelnden Bereitschaft von Mitgliedstaaten und deren Firmen gescheitert, nationale Fähigkeiten in bestimmten Bereichen zugunsten einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit aufzugeben.
Mario Draghi zählt verschiedene Bedingungen auf, um die strukturelle Integration von Europas Verteidigungssektor voranzutreiben. Es brauche volle politische Unterstützung der Mitgliedstaaten für die technologische und industrielle Konsolidierung. Die Mitgliedstaaten müssten bereit sein, gegenseitige Abhängigkeiten in ausgewählten Sektoren der Rüstungsindustrie zu akzeptieren und die Versorgungssicherheit zu garantieren.
Die EU-Staaten müssten bereit sein, auf doppelte Strukturen bei bestimmten Fähigkeiten zu verzichten und wo nötig Kapazitäten abzubauen. Es brauche eine Einigung zwischen den Hauptstädten auf Spezialisierungen an bestimmten Industriestandorten. Es müssten Kompetenzzentren für bestimmte Produktionsbereiche, Technologien oder Teilsysteme geschaffen werden, um Größenvorteile und Synergieeffekte zu schaffen.
Die Verteidigungsausgaben der EU-Staaten liegen laut Draghi-Bericht bei einem Drittel der Ausgaben der USA, während China zuletzt den Verteidigungshaushalt massiv ausgebaut habe. Die Tatsache, dass die EIB als Hausbank der EU Kredite für reine Rüstungsprojekte ausschließe, sende zudem ein negatives Signal an potenzielle Investoren an den Finanzmärkten.
Besonders hebt der Bericht die Defizite der EU hervor, wenn es um Investitionen in Forschung und Entwicklung geht. Während die USA im vergangenen Jahr für 140 Milliarden Dollar investiert hätten, hätten in der EU nur rund zehn Milliarden Euro an öffentlichen Geldern zur Verfügung gestanden. Die Verteidigungssysteme der nächsten Generation würden für alle strategischen Bereiche aber in Zukunft massive Forschungsinvestitionen nötig machen, außerhalb der Möglichkeiten jedes einzelnen Mitgliedstaats. Draghi plädiert dafür, die Ressourcen auf EU-Ebene stärker auf gemeinsame Forschungsanstrengungen zu konzentrieren. sti
Vor Vertretern der Industrie hat Verteidigungsminister Boris Pistorius für seine Pläne für den künftigen Wehrdienst geworben und mögliche Bedenken vor Auswirkungen auf die Wirtschaft zurückgewiesen. Ohne Streitkräfte mit ausreichend Personal sei ein Land nicht verteidigungsfähig, sagte der SPD-Politiker am Montag auf einer Veranstaltung des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall in Berlin. Werde das nicht sichergestellt, “dann spielen bestimmte Fragen für Unternehmen keine Rolle”. Dabei gehe es dann darum, Prioritäten zu setzen.
Pistorius hatte vor der Sommerpause seine Pläne für einen “neuen Wehrdienst” vorgestellt, die zunächst eine verpflichtende Auskunft für alle jungen Männer und eine ebenso verpflichtende Musterung vorsehen, aber noch keine Wehrpflicht. Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesjustizminister Marco Buschmann, beide FDP, hatten sich mit Hinweis auf die Folgen für die Wirtschaft dagegen gewandt. Die Planung des Verteidigungsministers bedarf noch eines entsprechenden Gesetzes der Ampelkoalition. Lindner, der beim “Tag der Metall- und Elektroindustrie” ebenfalls sprach, äußerte sich zu diesem Thema nicht.
Der Verteidigungsminister wies darauf hin, dass Wehrpflichtige nach ihrem Dienst bei Rückkehr in einen Betrieb auch zusätzliche Kenntnisse und Fähigkeiten mitbringen könnten, zum Beispiel einen Führerschein. Zugleich sprach sich Pistorius dafür aus, gegebenenfalls auch Arbeitgeber zur Freistellung von Reservisten für Übungen zu verpflichten. Das könnte nötig werden, um eine verteidigungsfähige Armee zu erreichen. Allerdings würden solche Übungen bei Weitem nicht die Größenordnung des Kalten Krieges erreichen.
Auf die Frage von Table-Chefredakteur Michael Bröcker, der die Veranstaltung moderierte, betonte Pistorius, er werde nicht als Ersatzkandidat für einen möglicherweise politisch angeschlagenen SPD-Kanzler Olaf Scholz in den Wahlkampf zur Bundestagswahl im kommenden Jahr gehen. “Das kann ich ausschließen”, sagte der SPD-Politiker. tw
Zum Beginn des Treffens der Vertragsstaaten der Konvention über Streumunition diesen Dienstag in Genf haben Menschenrechtsorganisation vor einer Verwässerung der Vereinbarung gewarnt. Nach der Entscheidung Litauens im Juli, den Streubomben-Verbotsvertrag zu verlassen, müssten die Mitgliedstaaten nun umso mehr “ihre Werte verteidigen und jeden Einsatz von Streumunition durch irgendeinen Akteur sowie die daraus resultierenden langfristigen humanitären Folgen verurteilen”, sagte Eva Maria Fischer, Leiterin der politischen Abteilung von Handicap International Deutschland.
Mary Wareham von Human Rights Watch kritisierte: “Litauens unüberlegter Schritt, aus dem Übereinkommen über Streumunition auszutreten, befleckt seinen ansonsten ausgezeichneten Ruf in Sachen humanitärer Abrüstung und ignoriert die Risiken für die Zivilbevölkerung.” Es sei “noch nicht zu spät für Litauen, den Appellen nachzukommen und seinen geplanten Rückzug zu stoppen.”
Die sogenannte Oslo-Konvention verbietet den Einsatz, die Lagerung, den Handel und die Produktion von Streubomben. Sie wurde 2008 geschlossen und von bislang 112 Vertragsstaaten angenommen, darunter Deutschland; zwölf haben sie unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Abgesehen von Litauen hat keines der an Russland oder die Ukraine angrenzenden europäischen Staaten die Konvention unterzeichnet. Auch keines der vier Länder, die Streubomben derzeit einsetzen – Syrien, Myanmar, Russland und die Ukraine – haben sie nicht unterzeichnet.
Vor Beginn des bis Freitag dauernden Treffens in Genf warnten Human Rights Watch und Handicap International die Vertragsstaaten davor, bei der Umsetzung der Konvention nachzulassen. So könnte die Entscheidung der USA, auf einem US-Militärstützpunkt in Deutschland gelagerte US-Streumunition an die Ukraine zu liefern und dafür durch Deutschland zu transportieren, als Unterstützung von durch die Konvention verbotenen Handlungen gewertet werden. Laut dem am Montag erschienenen Streubomben-Monitor verzeichnete die Ukraine das zweite Jahr in Folge die höchste Opferzahl weltweit. mrb
Es hat nur wenige Stunden gedauert, bis der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow dem deutschen Bundeskanzler eine Abfuhr erteilt hatte: “Zurzeit werden keinerlei konkrete Überlegungen verfolgt”, reagierte Peskow am Montag auf die Ankündigung von Scholz im ZDF-Sommerinterview am Sonntag, dass es eine weitere Friedenskonferenz “auf alle Fälle” geben werde, an der auch Russland Platz haben solle. Peskow ergänzte: In Moskau höre man alle möglichen Ankündigungen aus Europa, aber keine aus den USA, “also aus dem Land, das alle diese Prozesse dirigiert, das den gesamten Westen dirigiert”.
Es ist die übliche Rhetorik. Wichtig an der Aussage ist nur, dass Moskau weiterhin am Ziel festhält, eine Aufteilung von “Interessenssphären” zwischen den Großmächten zu erreichen. Und es zählt sich selbst dazu. Deswegen will Moskau über die Friedensordnung für die Ukraine – und damit auch für das westliche Europa – mit den USA verhandeln.
Russische Medien, die Scholz’ Aussage aufgreifen, verweisen auch auf die Aussage des Präsidenten Wladimir Putin, dass nach dem ukrainischen Vorstoß auf russisches Territorium Verhandlungen perspektivlos seien. Auch diese Begriffe verwendet der Kreml stets, wenn westliche Staaten nicht auf seine Forderungen eingehen.
Die Ukraine und ihre Unterstützer arbeiten an einem weiteren Friedensgipfel, der der Konferenz in der Schweiz folgen soll. Wo und wann genau, ist unklar. Kiew würde den Gipfel gerne auf einen Termin noch vor den US-Wahlen im November legen. Nach dem Besuch des indischen Premiers Narendra Modi im August in Kiew reist Ajit Doval, Modis Sicherheitsberater, in dieser Woche nach Moskau. Putin hat Anfang September auf dem Wirtschaftsforum in Wladiwostok neben China und Brasilien auch Indien als einen der drei Staaten genannt, mit denen Moskau zu Fragen der Regulierung dieses “Konfliktes” in Kontakt sei. vf
Im August hat Verteidigungsminister Boris Pistorius angekündigt, dass sich Deutschland künftig an dem von den USA geführten UN-Kommando (UNC) in Südkorea zur Überwachung des Waffenstillstands mit Nordkorea beteiligt. Unklar war noch, wie genau sich Deutschland personell und militärisch in der seit 1950 bestehenden UN-Mission engagiert.
In der Antwort auf eine schriftliche Anfrage des verteidigungspolitischen Sprechers der Linken, Dietmar Bartsch, die Table.Briefings exklusiv vorliegt, werden nun zumindest die kurzfristigen Pläne etwas konkreter. Deutschland werde “bis auf Weiteres” durch den Militärattaché der Deutschen Botschaft in Seoul vertreten. Von Soldaten, die fest nach Südkorea geschickt werden oder anderweitiger Unterstützung, ist erst einmal keine Rede. Aber wie den meisten Mitgliedstaaten der Kommission geht es hier wohl auch primär um eine Einbindung in die Austausch- und Dialogprozesse des Formats und darum, das Engagement in der Region zu bekräftigen.
Der Verteidigungsminister war im Sommer durch den Indopazifik gereist, vor allem auch, um Signale an autokratisch regierte Staaten wie Nordkorea und Russland, aber auch China zu senden, die politisch und militärisch immer stärker miteinander kooperieren. Die Botschaft des Ministers: Auch die demokratischen Staaten bauen ihre Beziehungen aus, und Länder wie Südkorea sind für Deutschland wichtige Wertepartner. Die Annahme ist, dass die Sicherheit in Europa eng mit der im Indopazifik verknüpft. Das wird auch in weiten Teilen der Opposition so gesehen.
Anders sehen das politische Vertreter des linken und rechten Randes. Linken-Politiker Bartsch bezeichnet den Beitritt Deutschlands als eine “verpasste Chance für eine kluge deutsche Diplomatie in Ostasien”. Aus seiner Sicht sollte Deutschland wie Schweden, Polen oder die Schweiz der Neutralen Überwachungskommission in Korea beitreten, um den Einfluss auf Nordkorea, der noch besteht, nicht zu gefährden und sich als neutraler Vermittler in dem Konflikt zu beteiligen. Den Beitritt zu der Mission bezeichnet er als “Nibelungentreue zu den USA in Ostasien und Ozeanien”.
Seit der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens 1953 besteht die Hauptaufgabe der von den USA geführten multinationalen Truppe darin, die Aufrechterhaltung des Waffenstillstands zu überwachen. Deutschland ist das 18. Mitgliedsland. wp
Euronews: Russian drones violate Romania and Latvia’s airspace in just 24 hours. Russlands Drohnen verletzten zunehmend häufiger die östlichen Grenzen der EU. Rumänien, Lettland und Polen melden mehrere Vorfälle. Bisher behelfen sich die Länder aber nur mit diplomatischen Protestnoten an Moskau.
Kiel Institut für Weltwirtschaft: Europas und Deutschlands langsame Aufrüstung gegenüber Russland. Der Bericht zeigt, dass Russlands Rüstungskapazitäten stark gestiegen sind, während Deutschlands Aufrüstung langsam voranschreitet. Bei aktueller Geschwindigkeit würde Deutschland erst in 100 Jahren das Rüstungsniveau von 2004 erreichen.
Foreign Affairs: Planning for a Post-American Nato. Europa muss sich auf eine zweite Amtszeit Trumps vorbereiten – und auf eine Nato ohne die USA. Laut diesem Text sind die drei wichtigsten Fragen: Wie soll die europäische Sicherheit zukünftig strukturiert werden? Wer sollte die Umstrukturierungen anführen? Und welche neuen Fähigkeiten muss Europa erwerben?
Eidgenössische Technische Hochschule Zürich: Mediation as a State Enterprise in Türkiye. Die geopolitische Stellung der Türkei eröffnet Ankara die Möglichkeit, in internationalen Konflikten eine Vermittlerrolle zu spielen. Dieser Text analysiert, wie sich das in der türkischen Außenpolitik kontextualisiert, was das für die Ukraine bedeutet und welche Unvorhersehbarkeiten mitschwingen.
Chatham House: More and more cases on war and genocide are being litigated at the ICJ. Nach der Klage gegen Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof im März plant Nicaragua, ähnliche Fälle gegen das Vereinigte Königreich, Kanada und die Niederlande vorzubringen. Zeichen eines Trends, der den Gerichtshof in einer noch nie dagewesenen Weise ins mediale Rampenlicht rückt. Und der Auswirkungen auf die globale Rolle von Staaten, die Israel militärisch unterstützen, hat.
Am 2. September hat Patrick Turner offiziell sein Amt als Sonderbeauftragter der Nato für die Ukraine in Kiew übernommen, ab dieser Woche ist der Brite auch vor Ort. Damit wird ein wichtiger Baustein der Ergebnisse des Nato-Gipfels in Washington in die Tat umgesetzt: Das westliche Verteidigungsbündnis baut seine zivile Präsenz in der Ukraine aus.
Die 32 Bündnisstaaten haben im Juli beschlossen, einen ranghohen Beamten nach Kiew zu entsenden, um vor Ort die politische und praktische Unterstützung des von Russland angegriffenen Landes durch das Bündnis zu steuern. Es brauche “jemanden mit Blick ins Gelände”, hatte es der höchste deutsche militärische Vertreter bei der Nato in Brüssel, Wolfgang Wien, im Gespräch mit Table.Briefings formuliert.
Unter der Leitung Turners, seit 2011 stellvertretender ständiger Vertreter in der britischen Delegation bei der Nato in Brüssel, wird sich die Vertretung um Kontakte mit ukrainischen Ministerien bemühen. Sie soll den politischen Dialog und die praktische Zusammenarbeit mit der Allianz fördern und Behörden bei Reformen im Sicherheits- und Verteidigungssektor.
Es ist der Kompromiss dafür, dass die Nato der Ukraine eben noch keine konkrete Bündniseinladung ausgestellt hat und dafür, dass die Verbündeten eben nicht bereit sind, selbst mit militärischem Personal vor Ort zu sein. Turner, der seine Karriere nach dem Bachelor-Abschluss in moderner Geschichte in Oxford 1984 im britischen Verteidigungsministerium begann, ist jetzt das Gesicht dieses Kompromisses.
An Nato-Erfahrung mangelt es dem britischen Top-Beamten nicht. Er arbeitete bereits 1992 bis 1996 im Büro der Nato-Generalsekretäre Manfred Wörner, Willy Claes und Javier Solana beim Bündnis. Später war er dann unter anderem stellvertretender britischer Botschafter bei der Nato und vier Jahre lang bis 2022 beigeordneter Generalsekretär für Verteidigungspolitik und Planung. Generalsekretär Jens Stoltenberg hob deswegen zu Recht seine “Erfahrung und Führungsqualitäten” hervor.
Weniger Erfahrung kann Turner, der zuletzt in der Unternehmensberatungsfirma The Cohen Group in den Vereinigten Staaten tätig war, allerdings mit Blick auf die Ukraine im Spezifischen vorweisen. Vor der Entscheidung, wurde im Umfeld des Brüsseler Nato-Hauptquartiers noch spekuliert, dass Kenntnisse über das Land ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl des Kandidaten für den Job sein könnte.
Dass Turner fest an der Seite der Ukraine steht, daran allerdings besteht kein Zweifel. Zuletzt kritisierte er in einem Interview mit Radio Free Europe die Ergebnisse des Nato-Gipfels in Washington als zu schwach. Es hätte einen “mutigeren Ansatz” geben können, um die Ukraine in das Bündnis einzuladen, sagte er und verwies darauf, dass “innenpolitische Gründe” in den USA das verhindert hätten.
Die Nato hat bereits seit knapp einem Jahrzehnt eine offizielle Vertretung in Kiew. Von dort werden auch ein seit Ende der 1990er Jahre existierendes Verbindungsbüro und ein Informations- und Dokumentationszentrum geleitet. Aus dem Verbindungsbüro, in dem auch Deutsche vertreten waren, wurde nach und nach jedoch das Personal abgezogen.
In seiner Funktion als Sonderbeauftragter wird Turner nun das Büro leiten und als zentrale Anlaufstelle für die ukrainischen Behörden in Kiew zur Nato fungieren. Er soll unmittelbar vor Ort hören, was gebraucht wird, auch bei den Streitkräften, und wird im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen der Nato und der Ukraine politische Beratung leisten und praktische Unterstützung leisten. Für beides ist Turner zumindest auf dem Papier bestens geeignet. Wilhelmine Preußen
Ellinor Zeino ist seit September Leiterin des Auslandsbüros Türkei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ankara. Sie folgt auf Walter Glos. Zuvor leitete sie das Regionalprogramm Südwestasien der Stiftung mit Sitz in Taschkent (Usbekistan). Von September 2018 bis August 2021 war sie Leiterin des Auslandsbüros Afghanistan in Kabul. Seit September 2022 ist sie Mitglied der Enquête-Kommission “Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands” des Deutschen Bundestags.
Von 2015 bis 2017 arbeitete Zeino für ein privates Beratungsunternehmen für Reisesicherheit und Krisenmanagement. Von 2012 bis 2015 war sie Projektkoordinatorin im KAS-Auslandsbüro Marokko. An der Universität Hamburg und dem German Institute of Global and Area Studies (Giga) promovierte sie zu Saudi-Arabiens und Irans Irak-Politik. Sie studierte Politik-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Passau sowie Politikwissenschaft an der Universität Kairo und absolvierte einen fachspezifischen Sprachabschluss in Arabisch für Juristen. Zeino ist Altstipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung. klm