nicht nur die Ampel-Koalition ist tief gespalten in der Frage, wie die Ukraine am besten militärisch unterstützt werden könne. Auch zwischen Deutschland und Frankreich herrschte zuletzt heftiger Streit über die richtige Strategie gegenüber Russland. Um diesen auszuräumen, kommt Emmanuel Macron heute im Kanzleramt mit Olaf Scholz zusammen. Der Élysée-Palast strebt an, die im Februar in Paris beschlossene Ukraine-Unterstützer-Koalition für weitreichende Waffensysteme und Munition auf Ziele im rückwärtigen Bereich voranzutreiben. Polens Ministerpräsident Donald Tusk soll im Anschluss an das Zweiertreffen im Kanzleramt dazustoßen – und so das Weimarer Dreieck wiederbeleben. Gabriel Bub hat die Einzelheiten.
Ob der polnisch-deutsch-französische Schulterschluss Russlands Präsidenten Wladimir Putin beeindrucken kann, ist angesichts der anhaltenden Differenzen zwischen den drei EU-Granden allerdings fraglich. Mit hybriden Mitteln ist es ihm zuletzt gelungen, einen Keil zwischen die westlichen Unterstützer Kiews zu treiben – und auch im Inneren festigt er seine Macht. Vor der Präsidentenwahl in Russland, die heute beginnt, beschreibt Viktor Funk, wie Putin, anders als zu Beginn des Krieges 2022, auf eine neue Mobilisierungswelle ausschließlich auf elektronischem Wege setzt, um den Nachschub an Soldaten für den Krieg gegen die Ukraine möglichst geräuschlos zu sichern.
In unserer Wehrpflicht-Debattenreihe “Deutschland zu Diensten” plädiert der Grünen-Bundestagsabgeordnete Niklas Wagener für die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht: “Für mich steht fest, dass die heutigen Krisen nicht nur einer militärischen Zeitenwende, sondern auch einer gesellschaftlichen bedürfen.” Alle Beiträge der Serie lesen Sie hier.
Als der russische Präsident Wladimir Putin im September 2022 eine “begrenzte Mobilmachung” ausrief, fiel sofort sein Zustimmungswert. Nur kurz darauf verkündete Putin mündlich – nicht per Gesetz – das Ende der Mobilmachung und kann sich seitdem wieder einer steigenden Beliebtheit erfreuen. Sie liegt nach Umfragen von staatsnahen und unabhängigen Umfrageinstituten in Russland bei 83 bis 86 Prozent. Putins Sieg bei den “Präsidentschaftswahlen” an diesem Wochenende gilt als sicher. Auch wenn von freien Wahlen keine Rede sein kann – die Mehrheit der Menschen im Land scheint Putins Kurs grundsätzlich zu stützen.
Zu den vielen Gründen, warum die Verbrechen des eigenen Landes und die hohen eigenen Verluste keine Proteste auslösen, gehören die Informationskontrolle im Land, massive Repressionen jeglicher Kritik und die relativ stabile ökonomische Situation. Putins Bürokratie hat es nicht nur geschafft, die Wirtschaft des Landes auf einen Kriegskurs zu bringen und Sanktionen zu umgehen. Es gelingt dem Regime auch weitgehend, den Krieg aus dem Alltag zu verdrängen.
Während Putins Rede zur Lage der Nation Ende Februar zierten russische Soldaten zwar das Publikum, doch der größte Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg rückte hinter all den Versprechungen des Kreml-Herrn in den Hintergrund. Es regnete Wahlgeschenke, während russische Truppen trotz fast 1.000 Toten täglich in der Ukraine nur kleine Geländegewinne erzielen oder ihre Stellungen gerade einmal halten können. Es war schon seit längerem klar, dass Putin nach der Flucht von mehreren Hunderttausend Menschen im Herbst 2022 wegen der Mobilmachung keine neue ausrufen würde. Schon gar nicht vor den Wahlen.
Im Stillen aber rekrutiert das System weiter Männer – junge Erwachsene – und versucht inzwischen sogar, Frauen in Strafkolonien für den Krieg anzuwerben. Fachleute, die russische Männer und deren Familien darin beraten, wie sie der Einberufung und Rekrutierung entgehen können, halten eine neue Mobilmachung nach der Wahl für möglich. Sie würde allerdings anders als beim ersten Mal ablaufen, erläutert eine Expertin, die ihren Namen nicht öffentlich nennen will. Sie und vier ihrer Mitstreiterinnen arbeiten noch in Russland. Nach ihren Beobachtungen händigten die zuständigen Militärämter allen wehrdienstpflichtigen Männern schon seit langem eine Art “Anweisung zur Mobilmachung” aus. Das Papier regelt, bei welcher Einheit und innerhalb welcher Frist sich die Person einzufinden hat, wenn sie dazu aufgefordert wird.
Die russische Regierung hat inzwischen die Möglichkeit geschaffen, Wehrpflichtige ausschließlich auf elektronischem Wege über eine Einberufung und Mobilmachung zu benachrichtigen. “Künftig muss man also gar nicht mehr laut eine Mobilmachung verkünden. Die Männer werden das schon auf eine andere Art mitbekommen”, so die Expertin.
Jelena Popowa berät ebenfalls schon lange Kriegsdienstverweigerer in Russland. Sie sagt, dass sie mit einer weiteren Mobilmachung rechne. Leider wüssten viele Männer aber nicht, wie sie sich dem entziehen könnten. “Bei uns gibt es mehr und mehr Anfragen, wie man es vermeiden kann, in den Krieg eingezogen zu werden. Bei uns melden sich sogar Soldaten aus dem Donbass. Aber von dort kommen sie nicht mehr raus, es gibt Kontrollposten, die sie abfangen”, sagt Popowa. Sie berichtet auch von Familien, die sich für ihre Angehörigen einsetzen und dann unter Druck gesetzt wurden.
Auch Alexey Tobalow hat als Berater viel zu tun. Der Jurist lebt inzwischen im westeuropäischen Exil. Der 47-Jährige war bereits im November aus Russland geflohen, weil er verfolgt wurde. Er gehörte zum engeren Kreis der Organisation des kürzlich ermordeten Oppositionellen Alexej Nawalny. Tobalow leitete ein Regionalbüro für Nawalny und musste wegen drohender Repressionen das Land verlassen. Heute arbeitet er für die “Schule der Einberufenen”, eine Nichtregierungsorganisation, die junge, wehrpflichtige Männer in ihren Rechten aufklärt. Vor den Präsidentschaftswahlen sei eine neue Mobilmachung unwahrscheinlich gewesen, sagt Tobalow. Und danach? “Wir müssen davon ausgehen, dass Putin seine Ziele nicht verändert hat und in der Ukraine das erreichen will, was er angekündigt hat.” Die Nachfrage nach Beratung sei sehr hoch. Zwischen 700 und 900 Anfragen kämen monatlich, vor Februar 2022 waren es 150.
Putin selbst scheint bei dem Thema die Menschen bewusst im Ungewissen zu lassen. “Zu diesem Zeitpunkt” sei keine Mobilmachung notwendig, sagte er Mitte Dezember öffentlich. Laut dem britischen Militärforschungsinstitut Rusi hat Russland aktuell 470.000 Mann in den besetzten ukrainischen Gebieten. Den Behörden würde es trotz hoher Verluste gelingen, die Zahl hochzuhalten und sogar zu erhöhen, heißt es in einer Rusi-Analyse von Mitte Februar. Das Wichtigste aber: “Der Kreml glaubt, dass er die bisherige Verlustrate bis Ende 2025 durchstehen könnte”, schreiben die Forscher.
Eine neue Mobilmachung hängt demnach weniger von der Wahl ab, als von der Entwicklung in der Ukraine. Kiew selbst plant eine starke Aufstockung der eigenen Streitkräfte. Dafür soll schon in Kürze ein Gesetz verabschiedet werden. Bis zu 500.000 Mann sollen dann eingezogen werden können – ein Vorwand, mit dem Putin seinerseits mehr Männer für den Krieg mobilisieren könnte.
Der einzige Politiker, der mit einer kritischen Meinung zum Krieg viele Menschen als Unterstützter für sich aktiviert hatte – Boris Nadeschdin – ist von den Wahlen ausgeschlossen worden. Zu einem Boykott ruft kein Oppositioneller auf, obwohl klar ist, dass die Abstimmung keine freie Wahl ist. Ganz im Gegenteil. Die Witwe Alexej Nawalnys, Julia Nawalnaja, ruft zu einer Aktion am Wahlsonntag auf. Dann, um 12 Uhr Mittags, sollen alle jene, die Putin ablehnen, zu den Wahllokalen gehen und dort für einen anderen Kandidaten stimmen, den Namen von Alexey Nawalny auf die Wahlzettel schreiben, das Papier ungültig machen oder einfach nur kurz vor Ort erscheinen.
Proteste zu diesem Zeitpunkt sind auch vor den russischen diplomatischen Vertretungen in der EU geplant, darunter in Berlin. Nawalnaja ist klar, dass diese Aktion keine Auswirkungen auf das Wahlergebnis haben dürfte. Das ist aber auch nicht der Zweck. Die Aktion – eine Idee ihres ermordeten Mannes – soll sichtbar machen, dass es viele Kritiker gebe: “Millionen andere sollen sehen, dass sie nicht allein sind.”
Das Strategiespiel “Go” der Google-Tochter DeepMind überraschte vor ein paar Jahren Experten, weil es mittels KI menschliche Gegenspieler besiegen konnte. Das japanische Brettspiel Go hat auch die Gründer des Start-up 21strategies fasziniert. Sie wollen nun die Überlegenheit von KI-Systemen nutzen, um ein Gefechtsfeld zu simulieren, das “neuartige und überlegenere Handlungsabläufe” entwickeln kann.
Das Unternehmen aus dem bayrischen Hallbergmoos beschäftigt sich seit 2020 mit der Anwendung von KI für den militärischen Bereich und hat mit der Software “Ghostplay” bereits eine Vorstufe eines Gefechtsfeldes entwickelt. Dort sind Flugabwehrkanonenpanzer vom Typ Gepard einem Angriff von Drohnenschwärmen ausgesetzt, wie es für das von der Bundeswehr ausgemusterte Waffensystem beim Einsatz in der Ukraine Realität ist. Entscheidend dabei ist der Einsatz von KI der sogenannten dritten Welle. Dabei lernen Maschinen, in einem Kontext zu handeln und Entscheidungen vorauszudenken. “Diese KI der nächsten Generation lernt und verhält sich mehr wie ein Mensch. Künftig wird sie unverzichtbar sein bei komplexen militärischen Engagements”, so Yvonne Hofstetter, die Mitbegründerin von 21strategies.
Die Weiterentwicklung der Software, die unter dem Namen “Wild Hornets” firmiert, wurde am Mittwoch beim Cyber Innovation Hub der Bundeswehr vorgestellt. Bei “Wild Hornets” will man verstehen, welche Maßnahmen ein Waffensystem gegenüber einem Feind in einem simulierten Umfeld ergreifen müsste. Entscheidend dabei ist, “dass wir es hier nicht mit einem sogenannten kooperativen Gegner zu tun haben, sondern wir haben eine gegnerische KI trainiert, die beliebig lästig sein kann”, so Hofstetter. Nach Abschluss der neuen Phase soll “der Bundeswehr eine Fähigkeit zur Verfügung stehen, die ihr einen taktischen Vorteil verschafft”.
Simulierte Gefechtsfelder sind an sich nichts Neues. Wie schon zuvor “GhostPlay” geht die Simulationssoftware “Wild Hornets” mittels KI der dritten Welle allerdings einen entscheidenden Schritt weiter: Ein bestehendes System trifft auf einen nicht berechenbaren Gegner. Um nicht im luftleeren Raum zu agieren, sondern möglichst realitätsnah zu operieren, hat sich das Amt für Heeresentwicklung bei der Entwicklung der neuen Software beteiligt.
Vor allem bei der Abwehr von Drohnen hat die Bundeswehr große Fähigkeitslücken. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine zeigt, wie entscheidend es ist, sich gegen Drohnenangriffe verteidigen zu können. Im Vordergrund stand die Überlegung, dass der pannenanfällige Tiger-Kampfhubschrauber wahrscheinlich nicht mehr modernisiert wird.
Bei “Wild Hornets” wird nun ein bestehendes Hubschraubermodell mit einem bestimmten Flugabwehrsystem einem Drohnenschwarm ausgesetzt. Nach dem Prinzip des “Counter Play” wird sowohl das Verhalten der Flugabwehr als auch das des angreifenden Schwarms trainiert. In einer Simulation werden bis zu einer Million Szenarien durchgespielt.
Gefüttert wird die KI mit Daten, die aus offenen Quellen zugänglich sind. Natürlich sind auch Daten von Waffensystemen entscheidend, die unter anderem die Hersteller oder auch die Bundeswehr bereitstellen. “Wir haben beispielsweise auch Daten über taktische Manöver, die Hubschrauber der NVA real geflogen sind, ausgewertet”, erläutert der Technologiechef von 21strategies, Christian Brandlhuber. “Solche Angriffe haben wir noch von russischen Piloten in der Ukraine gesehen”.
In einem Bericht des konservativen amerikanischen Senders Fox News erklärten KI-Waffen-Experten, “Wild Hornets” könnte bahnbrechend sein. Vor allem die Simulation des Gefechtsfeldes “bis auf das letzte Blatt” sei neu. “Wir versuchen, so viele Details wie möglich in unsere Simulation zu integrieren“, so Brandlhuber. Gemeint sind damit Wetterdaten oder Information über das Gelände und dessen Befahrbarkeit. “In komplexen Gefechtssituationen kann es entscheidend sein zu wissen, ob die Bäume noch Blätter haben oder nicht”.
Mit Hensoldt ist seit Januar 2023 auch ein Unternehmen der Rüstungsindustrie bei der Entwicklung der Gefechtssimulation mit dabei. Für die Bundeswehr baut Hensoldt seit Jahrzehnten Hochleistungsradars für die Luftverteidigung. Der Sensorspezialist arbeitet bereits nach eigenen Angaben mit KI der zweiten Welle, um Aufklärungsdaten auszuwerten. Finanziert wird das gesamte Projekt unter anderem aus einem 500 Millionen Euro-Fond, mit dem die beiden Universitäten der Bundeswehr KI-Forschung unterstützen können.
Interessant wäre bei den “wilden Hornissen” nun ein Realitätscheck, also eine Simulation nicht nur mit fiktiven Hubschraubern oder Panzern und Drohnen, sondern mit echten, die mittels KI taktische Manöver trainieren. Dabei könnte ein Hinweis auf das japanische KI-Brettspiel “Go” hilfreich sein. Vor einem Jahr hat der US-Amerikaner Kellin Pelrine zwei Go-Programme geschlagen.
Vor seinem Berlin-Besuch am heutigen Freitag hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Donnerstagabend seine Aussagen zu Bodentruppen in der Ukraine verteidigt. Dabei stichelte er auch gegen Bundeskanzler Olaf Scholz.
“Ich will daran erinnern, dass wir systematisch das gemacht haben, von dem wir gesagt haben, dass wir es nicht tun werden”, sagte Macron. “Was auch die sehr definitiven Aussagen relativiert, die manche manchmal in Europa getroffen haben.” Mit dem Ausschluss von Panzer-Lieferungen, die man dann doch tätigte, habe man sich “zu viele Limits gesetzt”. Scholz hatte zunächst die Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine ausgeschlossen, sie der Ukraine dann dennoch ausgehändigt.
Außerdem verhielten sich einige Partner widersprüchlich, weil sie bereit seien, auf ukrainischem Boden zu produzieren, aber nicht bereit seien, “bestimmte Verpflichtungen für die Zukunft einzugehen”. Macron dürfte damit auf Scholz’ Weigerung, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, angespielt haben sowie den deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall, der plant, in der Ukraine Artilleriemunition zu produzieren.
Seine Aufgabe sehe Macron darin, “die Europäer und unsere Verbündeten davon zu überzeugen, weiterzugehen” und “allen klarzumachen, dass sich die Dinge ändern, und zwar schnell und nicht in die richtige Richtung”. Das wolle er auch mit nach Berlin nehmen, sagte Macron.
Am Freitag reist Macron nach Berlin, um mit Scholz die Unterstützung für die Ukraine zu besprechen. Später soll noch Polens Ministerpräsident Donald Tusk hinzukommen. Tusk könnte die Position des Schlichters zwischen Scholz und Macron einnehmen. Große Hoffnungen liegen in der Revitalisierung des Weimarer Dreiecks.
Scholz hatte Macrons Zweideutigkeit zum Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine nach dem Unterstützer-Gipfel am 26. Februar in Paris öffentlich ein klares Nein folgen lassen. Dafür bekam Macron am vergangenen Freitag Rückendeckung vom polnischen Außenminister Radosław Sikorski, der Macrons Bodentruppen-Vorstoß begrüßte.
Zwischen Scholz und Macron schwelt ein Streit, wer die Ukraine besser unterstützt. Während Scholz sich gegen Vorwürfe wegen seiner Zögerlichkeit bei der Taurus-Lieferung wehren muss, geht Macron rhetorisch voran. Das Ranking der europäischen Ukraine-Unterstützer mit Material führt hingegen Deutschland an – Frankreich machte seine Waffenlieferungen erst am 4. März öffentlich, um die Kritik zu kontern. bub
Das Verteidigungsministerium hat am Donnerstag seine Strategie zur Anpassung der Bundeswehr an den Klimawandel vorgestellt. Verteidigungsminister Boris Pistorius will sich auf einen “drastischen Wandel unserer geopolitischen Grundlagen” einstellen. Einen besonderen Fokus bekommt die Arktis. “Immer größere Teile der Arktis werden zu befahrbaren Gewässern. Wir müssen davon ausgehen, dass dies auch zu zunehmender militärischer Präsenz führen wird, vor allem durch Russland”, sagte Pistorius.
Den in der Strategie formulierten Handlungsfeldern und Zielen sollen konkrete Aktionspläne folgen, die bis Ende des Jahres 2024 erarbeitet werden sollen. Dazu zählen etwa Technologie, mit der sich die Bundeswehr an den Klimawandel anpassen will – etwa zur Wasserversorgung, Anpassung von Infrastruktur im Einsatz oder Verfahren zum Katastrophenschutz im Inland.
Die Strategie ordnet sich als politisch-strategisches Dokument den Verteidigungspolitischen Richtlinien unter und ergänzt die Nachhaltigkeits- und Klimaschutzstrategie des Verteidigungsministeriums, die im November letzten Jahres erschienen ist. asc/bub
Zwar stimmten am Donnerstag aus den Fraktionen der Ampel-Koalition nur die beiden FDP-Abgeordneten Wolfgang Kubicki und Marie-Agnes Strack-Zimmermann für den Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. Doch die hart geführte Debatte im Bundestag machte abermals die erheblichen Differenzen zwischen FDP und Grünen auf der einen sowie der SPD von Bundeskanzler Olaf Scholz auf der anderen Seite deutlich.
So befürwortete die stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Agnieszka Brugger, die Forderung der Union im Grundsatz – und wies Vorwürfe zurück, die Risiken einer solchen Lieferung nicht zu bedenken. “Wir sind uns alle der Tragweite dieser Entscheidung bewusst. Und das lassen wir uns als Grüne von niemandem absprechen, auch nicht vom Bundeskanzler.” Auch “Zögern und Zaudern” könne “am Ende zur Eskalation beitragen”, so Brugger.
Auch wenn bei der namentlichen Abstimmung im Bundestag kein Grünen-Abgeordneter für den Unionsantrag stimmte, machten mehr als 30 Parlamentarier ihren Unmut über die anhaltende Weigerung von Scholz, Kiew den Taurus zu liefern, in einer schriftlichen Erklärung deutlich. Sie verlangten, einen Vorschlag des britischen Außenministers David Cameron anzunehmen, die Marschflugkörper an London weiterzugeben, damit britische Streitkräfte diese an die Ukraine lieferten. “Wir unterstützen ausdrücklich Überlegungen hinsichtlich eines Ringtausches und ermutigen die Bundesregierung, diesen Weg zu gehen, um Frieden und Sicherheit für Europa und Deutschland langfristig zu sichern”, heißt es in dem Papier.
Über den Unionsantrag war bereits im Februar im Bundestag abgestimmt worden. Er war zuvor nach Ansicht der Opposition über Monate in mehreren Ausschüssen festgehalten worden, um eine Abstimmung im Plenum zu verhindern, da führende Ampel-Politiker eine Taurus-Lieferung befürworten, darunter die Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), des Europa-Ausschusses, Anton Hofreiter (Grüne), und des Verteidigungsausschusses, Strack-Zimmermann. mrb
Die Bundeswehr will an diesem Wochenende mit dem Lastenabwurf von Hilfslieferungen über dem Gazastreifen beginnen – in enger Zusammenarbeit mit Frankreich. Zwei Transportflugzeuge der Luftwaffe vom Typ Hercules C130-J, die zu einer binationalen französisch-deutschen Staffel in Evreux in der Normandie gehören, wurden dafür am Mittwoch und Donnerstag nach Jordanien verlegt. Auch beim Material setzt die Luftwaffe auf die französisch-deutsche Kooperation: die Lastenfallschirme, die für die Hilfstransporte eingesetzt werden sollen, stammen aus einem Depot in Toulouse.
Die Initiative zu dieser Hilfsmission geht auf Jordanien zurück. Der Nachbar Israels hatte bereits vor Wochen mit dem Lastenabwurf von Hilfsmaterial für ein jordanisches Feldlazarett im Gazastreifen selbst begonnen. Seit Anfang März werden auf diesem Weg Lebensmittel für die Bevölkerung in das Kriegsgebiet gebracht. Die jordanische Luftwaffe wird dabei vor allem von den USA unterstützt, aber seit gut einer Woche auch von Frankreich und von Belgien.
Die Lastenabwürfe sind der Versuch, die stockenden Hilfslieferungen am Boden zumindest zu ergänzen. Angesichts der Sicherheitskontrollen durch das israelische Militär gelangen weit weniger Lebensmittel mit Lastwagen in den Gazastreifen als erforderlich wären. Die zusätzlichen Lieferungen aus der Luft und, wie geplant, auf dem Seeweg können allerdings die nötigen Lieferungen auf dem Landweg nur zum Teil aufstocken: Die maximale Ladung einer Hercules-Transportmaschine bleibt mit 18 Tonnen hinter der eines Lastwagens deutlich zurück.
“Der Abwurf ist nicht ungefährlich”, warnte Verteidigungsminister Boris Pistorius, der die deutschen Hilfsflüge auf Bitten des Auswärtigen Amtes befohlen hatte. Die Maschinen müssen in relativ niedriger Höhe anfliegen – und die Last selbst kann auch eine Gefahr für die Menschen am Boden bedeuten. In den vergangenen Tagen waren mehrere Personen im Gazastreifen ums Leben gekommen, weil sich Lastenfallschirme nicht geöffnet hatten und die Paletten mit den Hilfsgütern die Menschen erschlugen.
Bundeskanzler Olaf Scholz will an diesem Wochenende nach Angaben aus Regierungskreisen Jordanien und Israel besuchen. In Israel wird der Kanzler am Sonntag erwartet. Bei seinen Gesprächen dürfte es erneut darum gehen, eine Feuerpause zum Schutz der Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu erreichen. tw
Der Rüstungskonzern Rheinmetall rechnet wegen der Folgen der russischen Invasion der Ukraine und der Aufrüstung der Nato-Staaten mit dauerhaft steigenden Umsätzen und Gewinnen. “Eine neue sicherheitspolitische Dekade hat begonnen”, sagte Rheinmetall-Chef Armin Papperger am Donnerstag. Rheinmetall erwarte “anhaltend starkes Umsatz- und Ergebniswachstum”. Erstmals in der Konzerngeschichte soll das prognostizierte Umsatzvolumen in diesem Jahr die Größenordnung von zehn Milliarden Euro erreichen.
Rheinmetall fuhr 2023 einen Umsatzanstieg von zwölf Prozent auf rund 7,2 Milliarden Euro ein. Der Konzern hat seit Kriegsbeginn seine Produktion von Artilleriemunition kontinuierlich ausgebaut. Erst im Februar hatte Rheinmetall mit dem Bau eines neuen Werks im niedersächsischen Unterlüß begonnen. Bis 2025 will Rheinmetall in Niedersachsen jährlich 200.000 Artilleriegranaten des westlichen Standardkalibers 155 mm produzieren können.
Dies soll auch mittelfristig für Wachstum sorgen. Für das Jahr 2026 erwartet der Konzern einen Umsatz zwischen 13 und 14 Milliarden Euro.
Papperger hofft außerdem auf einen Zuschlag aus den USA zur Entwicklung eines Nachfolgers des US-Schützenpanzers Bradley. “Ich bin optimistisch, dass wir eine gute Chance haben”, sagte er. Ende 2026 erwarte er eine Entscheidung der US-Regierung über das Projekt.
Rheinmetall habe im Zuge der Ausschreibung bereits knapp 800 Millionen Dollar der US-Regierung zur Entwicklung eines Prototyps für den Bradley-Nachfolger erhalten. Neben Rheinmetall ist auch der US-Konzern General Dynamics im Rennen um den Auftrag, der früheren Angaben zufolge ein Volumen von mehr als 45 Milliarden Dollar haben könnte.
Auch der Raketenhersteller MBDA, der am Mittwoch seine Bilanz für 2023 vorstellte, verkündete, im vergangenen Jahr Verträge über 9,9 Milliarden Euro unterschrieben zu haben. Damit habe MBDA die Gewinne um zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesteigert. MBDA, das zu großen Teilen in Frankreich produziert, war vom französischen Verteidigungsminister Sébastien Lecornu mehrfach angemahnt worden, seine Produktion von Boden-Luft-Lenkflugkörpern zu beschleunigen.
In Deutschland will MBDA, das im Joint Venture Comlog mit dem amerikanischen Hersteller Raytheon Patriot-Raketen herstellt, eine zweite Produktionslinie im bayerischen Schrobenhausen aufbauen. Dort wird unter anderem auch der Taurus-Marschflugkörper produziert. rtr/bub
Dänemark will die allgemeine Wehrpflicht auch auf Frauen ausweiten. Die dänische Regierung erarbeitet aktuell einen entsprechenden Gesetzesentwurf. Damit wäre Dänemark nach Norwegen und Schweden der dritte Nato-Mitgliedsstaat, in dem eine geschlechterübergreifende Wehrpflicht gilt.
Das dänische Verteidigungsministerium, das am Mittwoch eine umfassende Erweiterung des Systems ankündigte, will die Wehrpflicht außerdem auf elf Monate verlängern. Bisher durchliefen die Wehrpflichtigen lediglich eine fünfmonatige Grundausbildung. Im sich nun anschließenden halben Jahr sollen die jungen Erwachsenen verstärkt operativ, unter anderem im Einsatzdienst des Verteidigungsministeriums, als Feldwebel oder Leutnant, eingesetzt werden.
Der dänische Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen kündigte an, das Gesetz solle spätestens 2025 verabschiedet werden und ab 2026 in Kraft treten. Infolge der Erweiterung wären jährlich 5.000 Wehrpflichtige im Einsatz. Im vergangenen Jahr waren es etwa 4.700, ein Viertel davon Frauen.
Bereits im Juni 2023 sprach sich eine breite Mehrheit des dänischen Parlaments dafür aus, das System auszuweiten. Die Entscheidung fügt sich in den Kurs der aktuellen dänischen Verteidigungspolitik: Die Regierung plant, in den nächsten fünf Jahren zusätzliche 40 Milliarden Dänische Kronen, umgerechnet fünf Milliarden Euro, in die dänische Verteidigung zu investieren. Von dem Geld sollen Luftverteidigungssysteme gekauft, eine bis 2028 einsatzbereite, 6.000 Personen umfassende Brigade aufgebaut und Fregatten fürs Bekämpfen von U-Booten ausgerüstet werden.
Bereits im kommenden Jahr will Dänemark so das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erreichen. 2,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes werden dann in die Verteidigung investiert, teilte die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen am Mittwoch mit. asc
Financial Times: Shipbuilding – the new battleground in the US-China trade war. Mehr als 90 Prozent der militärischen Ausrüstung und des Treibstoffs werden auf dem Seeweg transportiert. Eine Zahl, die verdeutlicht, wie Kontrolle über die globalen Logistik- und Lieferketten wirtschaftliche und sicherheitspolitische Vorteile bewirkt – und wie dieser Zusammenhang (Handels-) Kriege beeinflusst.
The Guardian: Europe is unprepared for risks from Russia and Trump, says Airbus boss. Eine Zusammenlegung der europäischen Kampfflugzeugprogramme FCAS und GCAP wäre eine Chance, Europas Abhängigkeit von der US-Rüstungsindustrie zu verringern, findet Airbus-CEO Guillaume Faury. Unabhängigkeit sei wichtiger denn je, denn aktuell “ist Europa nicht weit genug vorbereitet für einen Konflikt zwischen Europa und Russland.”
The New York Times: Malaysia Rises as Crucial Link in Chip Supply Chain. Malaysias Wirtschaftsboom zeigt, wie geopolitische Spannungen die globale Industrielandschaft verändern. Taiwans Rolle im Konflikt zwischen China und den USA heizt derweil die Investitionen in Malaysia weiter an.
The Wall Street Journal: A New Terror Threat Is Emerging in Europe Linked to Iran, Gaza War. In Europa wächst die Bedrohung durch Extremismus und Terrorismus – und kommt zudem aus neuen Quellen, bedingt unter anderem durch den Nahost-Konflikt. Hamas, Hisbollah und ihnen nahestehende Organisationen nutzen den Krieg für Propaganda, Rekrutierung und Geldbeschaffung und Europa als Unterschlupf für Agenten.
Zeit: Putin zündelt auch im Nahen Osten. Russland ringe mit dem Westen nicht nur um die Zukunft der Ukraine, sondern letztlich um die der internationalen Ordnung, schreibt Hanna Notte vom Center for Strategic and International Studies (CSIS). Ein militärischer Erfolg in der Ukraine könnte ein noch aggressiveres Auftreten Russlands in Nahost nach sich ziehen.
Alle Jahre wieder diskutieren Politiker:innen und Gesellschaft in Deutschland über die Reaktivierung der Wehrpflicht. Seit ihrem Aussetzen 2011 wird sie immer wieder als Lösung für verschiedene Probleme, allen voran dem des Personaldefizits der Bundeswehr, ins Spiel gebracht. Dabei löst sie das Problem des aktuellen Personalmangels der Bundeswehr nicht. Deshalb spreche ich mich klar gegen eine Reaktivierung der Wehrpflicht aus. Worüber wir als Gesellschaft hingegen diskutieren sollten, sind die Vorteile einer allgemeinen Dienstpflicht.
Als Mitglied des Verteidigungsausschusses für meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen weiß ich aus zahlreichen Gesprächen und Truppenbesuchen: Das Personalproblem der Bundeswehr würde durch eine Wehrpflicht nicht gelöst werden. Im Gegenteil, sie würde zu bürokratischem und personaltechnischem Aufwand führen, der nicht im Verhältnis zu dessen Nutzen steht.
Obgleich es stimmt, dass die Bundeswehr in Teilen ein Personalproblem bei der Rekrutierung von geeignetem Nachwuchs und bei der langfristigen Bindung von diesem hat, braucht die Bundeswehr nicht nur mehr “boots on the ground”. Sie benötigt auch dringend speziell ausgebildetes Personal in den Bereichen Cyber und Technik. Komplexe Waffensysteme verstehen und auch in Stresssituationen bedienen zu können, lernt man nicht in zwölf Monaten. Noch dazu ist der personaltechnische Aufwand, genug Ausbilder:innen permanent zur Verfügung zu stellen, zu groß.
Nicht zuletzt verfügt die Bundeswehr aktuell nicht über eine geeignete Infrastruktur, um jedes Jahr tausende Wehrpflichtige unterbringen und versorgen zu können. Stattdessen sollte die Bundeswehr in ihre Attraktivität als zeitgemäßen Arbeitgeber investieren. Ohne Frage bringt Militär immer besondere An- und Herausforderungen für Arbeitnehmer:innen mit sich. Hier einen guten Weg zu finden, ist eine der großen Zukunftsaufgaben der Bundeswehr.
Die multiplen Krisen der heutigen Zeit zeigen, dass Sicherheit breit und integriert gedacht werden muss. Als Partei Bündnis 90/Die Grünen haben wir deshalb seit unserer Gründung für einen umfassenden Sicherheitsbegriff geworben. Für mich steht fest, dass die heutigen Krisen nicht nur einer militärischen, sondern auch einer gesellschaftlichen Zeitenwende bedürfen.
Wir müssen uns unbequeme Fragen mit vielleicht unbequemen Antworten stellen: Was bedeutet uns als Gesellschaft Frieden und Sicherheit in unserem eigenen Land und in unserer Nachbarschaft? Was folgt daraus auch für unseren individuellen Beitrag dazu?
Hier könnte eine allgemeine Dienstpflicht für Frauen und Männer ab 18 Jahren greifen. Wenn Menschen zunehmend in ihren eigenen Echokammern leben und Desinformationskampagnen bereits heute den Zusammenhalt einer Gesellschaft erodieren können, brauchen wir mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt und mehr Verständnis verschiedener gesellschaftlicher Gruppen füreinander. Noch dazu: Im Fall der Fälle würde die Bundeswehr zum Beispiel an der Nato-Ostflanke gebraucht. Dann müssten in Deutschland zivile Akteure den Schutz kritischer Infrastruktur oder eine großflächige medizinische Versorgung übernehmen.
Hier können junge Leute ihren Beitrag zu einer sicheren und freien Gesellschaft leisten, sei es bei der Feuerwehr, den Rettungsdiensten, dem Zivil- und Katastrophenschutz, der Polizei, in sozialen Einrichtungen oder eben der Bundeswehr. Auch in einem Klima- oder Naturschutzprojekt würden junge Menschen einen wichtigen Beitrag für die Zukunft unserer Gesellschaft auf diesem Planeten leisten. Dabei ist klar, dass eine kontinuierliche Qualitätssicherung der angebotenen Einsatzorte sichergestellt werden muss, um eine sinnstiftende Tätigkeit anbieten zu können.
Diese Diskussion zu führen, ist zugegebenermaßen nicht nur schön. Sich mit den Auswirkungen eines Spannungs- oder Krisenfalls auf uns als Gesellschaft und als Land zu beschäftigen, macht keinen Spaß. Als junger Mensch, der schon lange lokalpolitisch engagiert ist, weiß ich: Die junge Generation ist schon heute durch zum Beispiel die Auswirkungen der Pandemie oder die Sorgen vor dem Klimawandel belastet. Sie möchte nicht als Lückenfüller für Personalprobleme in der Bundeswehr oder im Pflegebereich herhalten. Das verstehe ich. Deshalb finde ich es wichtig, dass Dienstpflichtleistende ihren Einsatzort selbst auswählen können. Es ist meine feste Überzeugung, dass unser gesellschaftlicher Zusammenhalt, unsere Freiheit und unsere Demokratie Errungenschaften sind, die es zu schützen gilt. Besonders jetzt und von uns allen.
Niklas Wagener sitzt für die Grünen seit 2021 im Deutschen Bundestag und gehört dem Verteidigungsausschuss an.
nicht nur die Ampel-Koalition ist tief gespalten in der Frage, wie die Ukraine am besten militärisch unterstützt werden könne. Auch zwischen Deutschland und Frankreich herrschte zuletzt heftiger Streit über die richtige Strategie gegenüber Russland. Um diesen auszuräumen, kommt Emmanuel Macron heute im Kanzleramt mit Olaf Scholz zusammen. Der Élysée-Palast strebt an, die im Februar in Paris beschlossene Ukraine-Unterstützer-Koalition für weitreichende Waffensysteme und Munition auf Ziele im rückwärtigen Bereich voranzutreiben. Polens Ministerpräsident Donald Tusk soll im Anschluss an das Zweiertreffen im Kanzleramt dazustoßen – und so das Weimarer Dreieck wiederbeleben. Gabriel Bub hat die Einzelheiten.
Ob der polnisch-deutsch-französische Schulterschluss Russlands Präsidenten Wladimir Putin beeindrucken kann, ist angesichts der anhaltenden Differenzen zwischen den drei EU-Granden allerdings fraglich. Mit hybriden Mitteln ist es ihm zuletzt gelungen, einen Keil zwischen die westlichen Unterstützer Kiews zu treiben – und auch im Inneren festigt er seine Macht. Vor der Präsidentenwahl in Russland, die heute beginnt, beschreibt Viktor Funk, wie Putin, anders als zu Beginn des Krieges 2022, auf eine neue Mobilisierungswelle ausschließlich auf elektronischem Wege setzt, um den Nachschub an Soldaten für den Krieg gegen die Ukraine möglichst geräuschlos zu sichern.
In unserer Wehrpflicht-Debattenreihe “Deutschland zu Diensten” plädiert der Grünen-Bundestagsabgeordnete Niklas Wagener für die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht: “Für mich steht fest, dass die heutigen Krisen nicht nur einer militärischen Zeitenwende, sondern auch einer gesellschaftlichen bedürfen.” Alle Beiträge der Serie lesen Sie hier.
Als der russische Präsident Wladimir Putin im September 2022 eine “begrenzte Mobilmachung” ausrief, fiel sofort sein Zustimmungswert. Nur kurz darauf verkündete Putin mündlich – nicht per Gesetz – das Ende der Mobilmachung und kann sich seitdem wieder einer steigenden Beliebtheit erfreuen. Sie liegt nach Umfragen von staatsnahen und unabhängigen Umfrageinstituten in Russland bei 83 bis 86 Prozent. Putins Sieg bei den “Präsidentschaftswahlen” an diesem Wochenende gilt als sicher. Auch wenn von freien Wahlen keine Rede sein kann – die Mehrheit der Menschen im Land scheint Putins Kurs grundsätzlich zu stützen.
Zu den vielen Gründen, warum die Verbrechen des eigenen Landes und die hohen eigenen Verluste keine Proteste auslösen, gehören die Informationskontrolle im Land, massive Repressionen jeglicher Kritik und die relativ stabile ökonomische Situation. Putins Bürokratie hat es nicht nur geschafft, die Wirtschaft des Landes auf einen Kriegskurs zu bringen und Sanktionen zu umgehen. Es gelingt dem Regime auch weitgehend, den Krieg aus dem Alltag zu verdrängen.
Während Putins Rede zur Lage der Nation Ende Februar zierten russische Soldaten zwar das Publikum, doch der größte Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg rückte hinter all den Versprechungen des Kreml-Herrn in den Hintergrund. Es regnete Wahlgeschenke, während russische Truppen trotz fast 1.000 Toten täglich in der Ukraine nur kleine Geländegewinne erzielen oder ihre Stellungen gerade einmal halten können. Es war schon seit längerem klar, dass Putin nach der Flucht von mehreren Hunderttausend Menschen im Herbst 2022 wegen der Mobilmachung keine neue ausrufen würde. Schon gar nicht vor den Wahlen.
Im Stillen aber rekrutiert das System weiter Männer – junge Erwachsene – und versucht inzwischen sogar, Frauen in Strafkolonien für den Krieg anzuwerben. Fachleute, die russische Männer und deren Familien darin beraten, wie sie der Einberufung und Rekrutierung entgehen können, halten eine neue Mobilmachung nach der Wahl für möglich. Sie würde allerdings anders als beim ersten Mal ablaufen, erläutert eine Expertin, die ihren Namen nicht öffentlich nennen will. Sie und vier ihrer Mitstreiterinnen arbeiten noch in Russland. Nach ihren Beobachtungen händigten die zuständigen Militärämter allen wehrdienstpflichtigen Männern schon seit langem eine Art “Anweisung zur Mobilmachung” aus. Das Papier regelt, bei welcher Einheit und innerhalb welcher Frist sich die Person einzufinden hat, wenn sie dazu aufgefordert wird.
Die russische Regierung hat inzwischen die Möglichkeit geschaffen, Wehrpflichtige ausschließlich auf elektronischem Wege über eine Einberufung und Mobilmachung zu benachrichtigen. “Künftig muss man also gar nicht mehr laut eine Mobilmachung verkünden. Die Männer werden das schon auf eine andere Art mitbekommen”, so die Expertin.
Jelena Popowa berät ebenfalls schon lange Kriegsdienstverweigerer in Russland. Sie sagt, dass sie mit einer weiteren Mobilmachung rechne. Leider wüssten viele Männer aber nicht, wie sie sich dem entziehen könnten. “Bei uns gibt es mehr und mehr Anfragen, wie man es vermeiden kann, in den Krieg eingezogen zu werden. Bei uns melden sich sogar Soldaten aus dem Donbass. Aber von dort kommen sie nicht mehr raus, es gibt Kontrollposten, die sie abfangen”, sagt Popowa. Sie berichtet auch von Familien, die sich für ihre Angehörigen einsetzen und dann unter Druck gesetzt wurden.
Auch Alexey Tobalow hat als Berater viel zu tun. Der Jurist lebt inzwischen im westeuropäischen Exil. Der 47-Jährige war bereits im November aus Russland geflohen, weil er verfolgt wurde. Er gehörte zum engeren Kreis der Organisation des kürzlich ermordeten Oppositionellen Alexej Nawalny. Tobalow leitete ein Regionalbüro für Nawalny und musste wegen drohender Repressionen das Land verlassen. Heute arbeitet er für die “Schule der Einberufenen”, eine Nichtregierungsorganisation, die junge, wehrpflichtige Männer in ihren Rechten aufklärt. Vor den Präsidentschaftswahlen sei eine neue Mobilmachung unwahrscheinlich gewesen, sagt Tobalow. Und danach? “Wir müssen davon ausgehen, dass Putin seine Ziele nicht verändert hat und in der Ukraine das erreichen will, was er angekündigt hat.” Die Nachfrage nach Beratung sei sehr hoch. Zwischen 700 und 900 Anfragen kämen monatlich, vor Februar 2022 waren es 150.
Putin selbst scheint bei dem Thema die Menschen bewusst im Ungewissen zu lassen. “Zu diesem Zeitpunkt” sei keine Mobilmachung notwendig, sagte er Mitte Dezember öffentlich. Laut dem britischen Militärforschungsinstitut Rusi hat Russland aktuell 470.000 Mann in den besetzten ukrainischen Gebieten. Den Behörden würde es trotz hoher Verluste gelingen, die Zahl hochzuhalten und sogar zu erhöhen, heißt es in einer Rusi-Analyse von Mitte Februar. Das Wichtigste aber: “Der Kreml glaubt, dass er die bisherige Verlustrate bis Ende 2025 durchstehen könnte”, schreiben die Forscher.
Eine neue Mobilmachung hängt demnach weniger von der Wahl ab, als von der Entwicklung in der Ukraine. Kiew selbst plant eine starke Aufstockung der eigenen Streitkräfte. Dafür soll schon in Kürze ein Gesetz verabschiedet werden. Bis zu 500.000 Mann sollen dann eingezogen werden können – ein Vorwand, mit dem Putin seinerseits mehr Männer für den Krieg mobilisieren könnte.
Der einzige Politiker, der mit einer kritischen Meinung zum Krieg viele Menschen als Unterstützter für sich aktiviert hatte – Boris Nadeschdin – ist von den Wahlen ausgeschlossen worden. Zu einem Boykott ruft kein Oppositioneller auf, obwohl klar ist, dass die Abstimmung keine freie Wahl ist. Ganz im Gegenteil. Die Witwe Alexej Nawalnys, Julia Nawalnaja, ruft zu einer Aktion am Wahlsonntag auf. Dann, um 12 Uhr Mittags, sollen alle jene, die Putin ablehnen, zu den Wahllokalen gehen und dort für einen anderen Kandidaten stimmen, den Namen von Alexey Nawalny auf die Wahlzettel schreiben, das Papier ungültig machen oder einfach nur kurz vor Ort erscheinen.
Proteste zu diesem Zeitpunkt sind auch vor den russischen diplomatischen Vertretungen in der EU geplant, darunter in Berlin. Nawalnaja ist klar, dass diese Aktion keine Auswirkungen auf das Wahlergebnis haben dürfte. Das ist aber auch nicht der Zweck. Die Aktion – eine Idee ihres ermordeten Mannes – soll sichtbar machen, dass es viele Kritiker gebe: “Millionen andere sollen sehen, dass sie nicht allein sind.”
Das Strategiespiel “Go” der Google-Tochter DeepMind überraschte vor ein paar Jahren Experten, weil es mittels KI menschliche Gegenspieler besiegen konnte. Das japanische Brettspiel Go hat auch die Gründer des Start-up 21strategies fasziniert. Sie wollen nun die Überlegenheit von KI-Systemen nutzen, um ein Gefechtsfeld zu simulieren, das “neuartige und überlegenere Handlungsabläufe” entwickeln kann.
Das Unternehmen aus dem bayrischen Hallbergmoos beschäftigt sich seit 2020 mit der Anwendung von KI für den militärischen Bereich und hat mit der Software “Ghostplay” bereits eine Vorstufe eines Gefechtsfeldes entwickelt. Dort sind Flugabwehrkanonenpanzer vom Typ Gepard einem Angriff von Drohnenschwärmen ausgesetzt, wie es für das von der Bundeswehr ausgemusterte Waffensystem beim Einsatz in der Ukraine Realität ist. Entscheidend dabei ist der Einsatz von KI der sogenannten dritten Welle. Dabei lernen Maschinen, in einem Kontext zu handeln und Entscheidungen vorauszudenken. “Diese KI der nächsten Generation lernt und verhält sich mehr wie ein Mensch. Künftig wird sie unverzichtbar sein bei komplexen militärischen Engagements”, so Yvonne Hofstetter, die Mitbegründerin von 21strategies.
Die Weiterentwicklung der Software, die unter dem Namen “Wild Hornets” firmiert, wurde am Mittwoch beim Cyber Innovation Hub der Bundeswehr vorgestellt. Bei “Wild Hornets” will man verstehen, welche Maßnahmen ein Waffensystem gegenüber einem Feind in einem simulierten Umfeld ergreifen müsste. Entscheidend dabei ist, “dass wir es hier nicht mit einem sogenannten kooperativen Gegner zu tun haben, sondern wir haben eine gegnerische KI trainiert, die beliebig lästig sein kann”, so Hofstetter. Nach Abschluss der neuen Phase soll “der Bundeswehr eine Fähigkeit zur Verfügung stehen, die ihr einen taktischen Vorteil verschafft”.
Simulierte Gefechtsfelder sind an sich nichts Neues. Wie schon zuvor “GhostPlay” geht die Simulationssoftware “Wild Hornets” mittels KI der dritten Welle allerdings einen entscheidenden Schritt weiter: Ein bestehendes System trifft auf einen nicht berechenbaren Gegner. Um nicht im luftleeren Raum zu agieren, sondern möglichst realitätsnah zu operieren, hat sich das Amt für Heeresentwicklung bei der Entwicklung der neuen Software beteiligt.
Vor allem bei der Abwehr von Drohnen hat die Bundeswehr große Fähigkeitslücken. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine zeigt, wie entscheidend es ist, sich gegen Drohnenangriffe verteidigen zu können. Im Vordergrund stand die Überlegung, dass der pannenanfällige Tiger-Kampfhubschrauber wahrscheinlich nicht mehr modernisiert wird.
Bei “Wild Hornets” wird nun ein bestehendes Hubschraubermodell mit einem bestimmten Flugabwehrsystem einem Drohnenschwarm ausgesetzt. Nach dem Prinzip des “Counter Play” wird sowohl das Verhalten der Flugabwehr als auch das des angreifenden Schwarms trainiert. In einer Simulation werden bis zu einer Million Szenarien durchgespielt.
Gefüttert wird die KI mit Daten, die aus offenen Quellen zugänglich sind. Natürlich sind auch Daten von Waffensystemen entscheidend, die unter anderem die Hersteller oder auch die Bundeswehr bereitstellen. “Wir haben beispielsweise auch Daten über taktische Manöver, die Hubschrauber der NVA real geflogen sind, ausgewertet”, erläutert der Technologiechef von 21strategies, Christian Brandlhuber. “Solche Angriffe haben wir noch von russischen Piloten in der Ukraine gesehen”.
In einem Bericht des konservativen amerikanischen Senders Fox News erklärten KI-Waffen-Experten, “Wild Hornets” könnte bahnbrechend sein. Vor allem die Simulation des Gefechtsfeldes “bis auf das letzte Blatt” sei neu. “Wir versuchen, so viele Details wie möglich in unsere Simulation zu integrieren“, so Brandlhuber. Gemeint sind damit Wetterdaten oder Information über das Gelände und dessen Befahrbarkeit. “In komplexen Gefechtssituationen kann es entscheidend sein zu wissen, ob die Bäume noch Blätter haben oder nicht”.
Mit Hensoldt ist seit Januar 2023 auch ein Unternehmen der Rüstungsindustrie bei der Entwicklung der Gefechtssimulation mit dabei. Für die Bundeswehr baut Hensoldt seit Jahrzehnten Hochleistungsradars für die Luftverteidigung. Der Sensorspezialist arbeitet bereits nach eigenen Angaben mit KI der zweiten Welle, um Aufklärungsdaten auszuwerten. Finanziert wird das gesamte Projekt unter anderem aus einem 500 Millionen Euro-Fond, mit dem die beiden Universitäten der Bundeswehr KI-Forschung unterstützen können.
Interessant wäre bei den “wilden Hornissen” nun ein Realitätscheck, also eine Simulation nicht nur mit fiktiven Hubschraubern oder Panzern und Drohnen, sondern mit echten, die mittels KI taktische Manöver trainieren. Dabei könnte ein Hinweis auf das japanische KI-Brettspiel “Go” hilfreich sein. Vor einem Jahr hat der US-Amerikaner Kellin Pelrine zwei Go-Programme geschlagen.
Vor seinem Berlin-Besuch am heutigen Freitag hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Donnerstagabend seine Aussagen zu Bodentruppen in der Ukraine verteidigt. Dabei stichelte er auch gegen Bundeskanzler Olaf Scholz.
“Ich will daran erinnern, dass wir systematisch das gemacht haben, von dem wir gesagt haben, dass wir es nicht tun werden”, sagte Macron. “Was auch die sehr definitiven Aussagen relativiert, die manche manchmal in Europa getroffen haben.” Mit dem Ausschluss von Panzer-Lieferungen, die man dann doch tätigte, habe man sich “zu viele Limits gesetzt”. Scholz hatte zunächst die Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine ausgeschlossen, sie der Ukraine dann dennoch ausgehändigt.
Außerdem verhielten sich einige Partner widersprüchlich, weil sie bereit seien, auf ukrainischem Boden zu produzieren, aber nicht bereit seien, “bestimmte Verpflichtungen für die Zukunft einzugehen”. Macron dürfte damit auf Scholz’ Weigerung, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, angespielt haben sowie den deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall, der plant, in der Ukraine Artilleriemunition zu produzieren.
Seine Aufgabe sehe Macron darin, “die Europäer und unsere Verbündeten davon zu überzeugen, weiterzugehen” und “allen klarzumachen, dass sich die Dinge ändern, und zwar schnell und nicht in die richtige Richtung”. Das wolle er auch mit nach Berlin nehmen, sagte Macron.
Am Freitag reist Macron nach Berlin, um mit Scholz die Unterstützung für die Ukraine zu besprechen. Später soll noch Polens Ministerpräsident Donald Tusk hinzukommen. Tusk könnte die Position des Schlichters zwischen Scholz und Macron einnehmen. Große Hoffnungen liegen in der Revitalisierung des Weimarer Dreiecks.
Scholz hatte Macrons Zweideutigkeit zum Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine nach dem Unterstützer-Gipfel am 26. Februar in Paris öffentlich ein klares Nein folgen lassen. Dafür bekam Macron am vergangenen Freitag Rückendeckung vom polnischen Außenminister Radosław Sikorski, der Macrons Bodentruppen-Vorstoß begrüßte.
Zwischen Scholz und Macron schwelt ein Streit, wer die Ukraine besser unterstützt. Während Scholz sich gegen Vorwürfe wegen seiner Zögerlichkeit bei der Taurus-Lieferung wehren muss, geht Macron rhetorisch voran. Das Ranking der europäischen Ukraine-Unterstützer mit Material führt hingegen Deutschland an – Frankreich machte seine Waffenlieferungen erst am 4. März öffentlich, um die Kritik zu kontern. bub
Das Verteidigungsministerium hat am Donnerstag seine Strategie zur Anpassung der Bundeswehr an den Klimawandel vorgestellt. Verteidigungsminister Boris Pistorius will sich auf einen “drastischen Wandel unserer geopolitischen Grundlagen” einstellen. Einen besonderen Fokus bekommt die Arktis. “Immer größere Teile der Arktis werden zu befahrbaren Gewässern. Wir müssen davon ausgehen, dass dies auch zu zunehmender militärischer Präsenz führen wird, vor allem durch Russland”, sagte Pistorius.
Den in der Strategie formulierten Handlungsfeldern und Zielen sollen konkrete Aktionspläne folgen, die bis Ende des Jahres 2024 erarbeitet werden sollen. Dazu zählen etwa Technologie, mit der sich die Bundeswehr an den Klimawandel anpassen will – etwa zur Wasserversorgung, Anpassung von Infrastruktur im Einsatz oder Verfahren zum Katastrophenschutz im Inland.
Die Strategie ordnet sich als politisch-strategisches Dokument den Verteidigungspolitischen Richtlinien unter und ergänzt die Nachhaltigkeits- und Klimaschutzstrategie des Verteidigungsministeriums, die im November letzten Jahres erschienen ist. asc/bub
Zwar stimmten am Donnerstag aus den Fraktionen der Ampel-Koalition nur die beiden FDP-Abgeordneten Wolfgang Kubicki und Marie-Agnes Strack-Zimmermann für den Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. Doch die hart geführte Debatte im Bundestag machte abermals die erheblichen Differenzen zwischen FDP und Grünen auf der einen sowie der SPD von Bundeskanzler Olaf Scholz auf der anderen Seite deutlich.
So befürwortete die stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Agnieszka Brugger, die Forderung der Union im Grundsatz – und wies Vorwürfe zurück, die Risiken einer solchen Lieferung nicht zu bedenken. “Wir sind uns alle der Tragweite dieser Entscheidung bewusst. Und das lassen wir uns als Grüne von niemandem absprechen, auch nicht vom Bundeskanzler.” Auch “Zögern und Zaudern” könne “am Ende zur Eskalation beitragen”, so Brugger.
Auch wenn bei der namentlichen Abstimmung im Bundestag kein Grünen-Abgeordneter für den Unionsantrag stimmte, machten mehr als 30 Parlamentarier ihren Unmut über die anhaltende Weigerung von Scholz, Kiew den Taurus zu liefern, in einer schriftlichen Erklärung deutlich. Sie verlangten, einen Vorschlag des britischen Außenministers David Cameron anzunehmen, die Marschflugkörper an London weiterzugeben, damit britische Streitkräfte diese an die Ukraine lieferten. “Wir unterstützen ausdrücklich Überlegungen hinsichtlich eines Ringtausches und ermutigen die Bundesregierung, diesen Weg zu gehen, um Frieden und Sicherheit für Europa und Deutschland langfristig zu sichern”, heißt es in dem Papier.
Über den Unionsantrag war bereits im Februar im Bundestag abgestimmt worden. Er war zuvor nach Ansicht der Opposition über Monate in mehreren Ausschüssen festgehalten worden, um eine Abstimmung im Plenum zu verhindern, da führende Ampel-Politiker eine Taurus-Lieferung befürworten, darunter die Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), des Europa-Ausschusses, Anton Hofreiter (Grüne), und des Verteidigungsausschusses, Strack-Zimmermann. mrb
Die Bundeswehr will an diesem Wochenende mit dem Lastenabwurf von Hilfslieferungen über dem Gazastreifen beginnen – in enger Zusammenarbeit mit Frankreich. Zwei Transportflugzeuge der Luftwaffe vom Typ Hercules C130-J, die zu einer binationalen französisch-deutschen Staffel in Evreux in der Normandie gehören, wurden dafür am Mittwoch und Donnerstag nach Jordanien verlegt. Auch beim Material setzt die Luftwaffe auf die französisch-deutsche Kooperation: die Lastenfallschirme, die für die Hilfstransporte eingesetzt werden sollen, stammen aus einem Depot in Toulouse.
Die Initiative zu dieser Hilfsmission geht auf Jordanien zurück. Der Nachbar Israels hatte bereits vor Wochen mit dem Lastenabwurf von Hilfsmaterial für ein jordanisches Feldlazarett im Gazastreifen selbst begonnen. Seit Anfang März werden auf diesem Weg Lebensmittel für die Bevölkerung in das Kriegsgebiet gebracht. Die jordanische Luftwaffe wird dabei vor allem von den USA unterstützt, aber seit gut einer Woche auch von Frankreich und von Belgien.
Die Lastenabwürfe sind der Versuch, die stockenden Hilfslieferungen am Boden zumindest zu ergänzen. Angesichts der Sicherheitskontrollen durch das israelische Militär gelangen weit weniger Lebensmittel mit Lastwagen in den Gazastreifen als erforderlich wären. Die zusätzlichen Lieferungen aus der Luft und, wie geplant, auf dem Seeweg können allerdings die nötigen Lieferungen auf dem Landweg nur zum Teil aufstocken: Die maximale Ladung einer Hercules-Transportmaschine bleibt mit 18 Tonnen hinter der eines Lastwagens deutlich zurück.
“Der Abwurf ist nicht ungefährlich”, warnte Verteidigungsminister Boris Pistorius, der die deutschen Hilfsflüge auf Bitten des Auswärtigen Amtes befohlen hatte. Die Maschinen müssen in relativ niedriger Höhe anfliegen – und die Last selbst kann auch eine Gefahr für die Menschen am Boden bedeuten. In den vergangenen Tagen waren mehrere Personen im Gazastreifen ums Leben gekommen, weil sich Lastenfallschirme nicht geöffnet hatten und die Paletten mit den Hilfsgütern die Menschen erschlugen.
Bundeskanzler Olaf Scholz will an diesem Wochenende nach Angaben aus Regierungskreisen Jordanien und Israel besuchen. In Israel wird der Kanzler am Sonntag erwartet. Bei seinen Gesprächen dürfte es erneut darum gehen, eine Feuerpause zum Schutz der Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu erreichen. tw
Der Rüstungskonzern Rheinmetall rechnet wegen der Folgen der russischen Invasion der Ukraine und der Aufrüstung der Nato-Staaten mit dauerhaft steigenden Umsätzen und Gewinnen. “Eine neue sicherheitspolitische Dekade hat begonnen”, sagte Rheinmetall-Chef Armin Papperger am Donnerstag. Rheinmetall erwarte “anhaltend starkes Umsatz- und Ergebniswachstum”. Erstmals in der Konzerngeschichte soll das prognostizierte Umsatzvolumen in diesem Jahr die Größenordnung von zehn Milliarden Euro erreichen.
Rheinmetall fuhr 2023 einen Umsatzanstieg von zwölf Prozent auf rund 7,2 Milliarden Euro ein. Der Konzern hat seit Kriegsbeginn seine Produktion von Artilleriemunition kontinuierlich ausgebaut. Erst im Februar hatte Rheinmetall mit dem Bau eines neuen Werks im niedersächsischen Unterlüß begonnen. Bis 2025 will Rheinmetall in Niedersachsen jährlich 200.000 Artilleriegranaten des westlichen Standardkalibers 155 mm produzieren können.
Dies soll auch mittelfristig für Wachstum sorgen. Für das Jahr 2026 erwartet der Konzern einen Umsatz zwischen 13 und 14 Milliarden Euro.
Papperger hofft außerdem auf einen Zuschlag aus den USA zur Entwicklung eines Nachfolgers des US-Schützenpanzers Bradley. “Ich bin optimistisch, dass wir eine gute Chance haben”, sagte er. Ende 2026 erwarte er eine Entscheidung der US-Regierung über das Projekt.
Rheinmetall habe im Zuge der Ausschreibung bereits knapp 800 Millionen Dollar der US-Regierung zur Entwicklung eines Prototyps für den Bradley-Nachfolger erhalten. Neben Rheinmetall ist auch der US-Konzern General Dynamics im Rennen um den Auftrag, der früheren Angaben zufolge ein Volumen von mehr als 45 Milliarden Dollar haben könnte.
Auch der Raketenhersteller MBDA, der am Mittwoch seine Bilanz für 2023 vorstellte, verkündete, im vergangenen Jahr Verträge über 9,9 Milliarden Euro unterschrieben zu haben. Damit habe MBDA die Gewinne um zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesteigert. MBDA, das zu großen Teilen in Frankreich produziert, war vom französischen Verteidigungsminister Sébastien Lecornu mehrfach angemahnt worden, seine Produktion von Boden-Luft-Lenkflugkörpern zu beschleunigen.
In Deutschland will MBDA, das im Joint Venture Comlog mit dem amerikanischen Hersteller Raytheon Patriot-Raketen herstellt, eine zweite Produktionslinie im bayerischen Schrobenhausen aufbauen. Dort wird unter anderem auch der Taurus-Marschflugkörper produziert. rtr/bub
Dänemark will die allgemeine Wehrpflicht auch auf Frauen ausweiten. Die dänische Regierung erarbeitet aktuell einen entsprechenden Gesetzesentwurf. Damit wäre Dänemark nach Norwegen und Schweden der dritte Nato-Mitgliedsstaat, in dem eine geschlechterübergreifende Wehrpflicht gilt.
Das dänische Verteidigungsministerium, das am Mittwoch eine umfassende Erweiterung des Systems ankündigte, will die Wehrpflicht außerdem auf elf Monate verlängern. Bisher durchliefen die Wehrpflichtigen lediglich eine fünfmonatige Grundausbildung. Im sich nun anschließenden halben Jahr sollen die jungen Erwachsenen verstärkt operativ, unter anderem im Einsatzdienst des Verteidigungsministeriums, als Feldwebel oder Leutnant, eingesetzt werden.
Der dänische Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen kündigte an, das Gesetz solle spätestens 2025 verabschiedet werden und ab 2026 in Kraft treten. Infolge der Erweiterung wären jährlich 5.000 Wehrpflichtige im Einsatz. Im vergangenen Jahr waren es etwa 4.700, ein Viertel davon Frauen.
Bereits im Juni 2023 sprach sich eine breite Mehrheit des dänischen Parlaments dafür aus, das System auszuweiten. Die Entscheidung fügt sich in den Kurs der aktuellen dänischen Verteidigungspolitik: Die Regierung plant, in den nächsten fünf Jahren zusätzliche 40 Milliarden Dänische Kronen, umgerechnet fünf Milliarden Euro, in die dänische Verteidigung zu investieren. Von dem Geld sollen Luftverteidigungssysteme gekauft, eine bis 2028 einsatzbereite, 6.000 Personen umfassende Brigade aufgebaut und Fregatten fürs Bekämpfen von U-Booten ausgerüstet werden.
Bereits im kommenden Jahr will Dänemark so das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erreichen. 2,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes werden dann in die Verteidigung investiert, teilte die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen am Mittwoch mit. asc
Financial Times: Shipbuilding – the new battleground in the US-China trade war. Mehr als 90 Prozent der militärischen Ausrüstung und des Treibstoffs werden auf dem Seeweg transportiert. Eine Zahl, die verdeutlicht, wie Kontrolle über die globalen Logistik- und Lieferketten wirtschaftliche und sicherheitspolitische Vorteile bewirkt – und wie dieser Zusammenhang (Handels-) Kriege beeinflusst.
The Guardian: Europe is unprepared for risks from Russia and Trump, says Airbus boss. Eine Zusammenlegung der europäischen Kampfflugzeugprogramme FCAS und GCAP wäre eine Chance, Europas Abhängigkeit von der US-Rüstungsindustrie zu verringern, findet Airbus-CEO Guillaume Faury. Unabhängigkeit sei wichtiger denn je, denn aktuell “ist Europa nicht weit genug vorbereitet für einen Konflikt zwischen Europa und Russland.”
The New York Times: Malaysia Rises as Crucial Link in Chip Supply Chain. Malaysias Wirtschaftsboom zeigt, wie geopolitische Spannungen die globale Industrielandschaft verändern. Taiwans Rolle im Konflikt zwischen China und den USA heizt derweil die Investitionen in Malaysia weiter an.
The Wall Street Journal: A New Terror Threat Is Emerging in Europe Linked to Iran, Gaza War. In Europa wächst die Bedrohung durch Extremismus und Terrorismus – und kommt zudem aus neuen Quellen, bedingt unter anderem durch den Nahost-Konflikt. Hamas, Hisbollah und ihnen nahestehende Organisationen nutzen den Krieg für Propaganda, Rekrutierung und Geldbeschaffung und Europa als Unterschlupf für Agenten.
Zeit: Putin zündelt auch im Nahen Osten. Russland ringe mit dem Westen nicht nur um die Zukunft der Ukraine, sondern letztlich um die der internationalen Ordnung, schreibt Hanna Notte vom Center for Strategic and International Studies (CSIS). Ein militärischer Erfolg in der Ukraine könnte ein noch aggressiveres Auftreten Russlands in Nahost nach sich ziehen.
Alle Jahre wieder diskutieren Politiker:innen und Gesellschaft in Deutschland über die Reaktivierung der Wehrpflicht. Seit ihrem Aussetzen 2011 wird sie immer wieder als Lösung für verschiedene Probleme, allen voran dem des Personaldefizits der Bundeswehr, ins Spiel gebracht. Dabei löst sie das Problem des aktuellen Personalmangels der Bundeswehr nicht. Deshalb spreche ich mich klar gegen eine Reaktivierung der Wehrpflicht aus. Worüber wir als Gesellschaft hingegen diskutieren sollten, sind die Vorteile einer allgemeinen Dienstpflicht.
Als Mitglied des Verteidigungsausschusses für meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen weiß ich aus zahlreichen Gesprächen und Truppenbesuchen: Das Personalproblem der Bundeswehr würde durch eine Wehrpflicht nicht gelöst werden. Im Gegenteil, sie würde zu bürokratischem und personaltechnischem Aufwand führen, der nicht im Verhältnis zu dessen Nutzen steht.
Obgleich es stimmt, dass die Bundeswehr in Teilen ein Personalproblem bei der Rekrutierung von geeignetem Nachwuchs und bei der langfristigen Bindung von diesem hat, braucht die Bundeswehr nicht nur mehr “boots on the ground”. Sie benötigt auch dringend speziell ausgebildetes Personal in den Bereichen Cyber und Technik. Komplexe Waffensysteme verstehen und auch in Stresssituationen bedienen zu können, lernt man nicht in zwölf Monaten. Noch dazu ist der personaltechnische Aufwand, genug Ausbilder:innen permanent zur Verfügung zu stellen, zu groß.
Nicht zuletzt verfügt die Bundeswehr aktuell nicht über eine geeignete Infrastruktur, um jedes Jahr tausende Wehrpflichtige unterbringen und versorgen zu können. Stattdessen sollte die Bundeswehr in ihre Attraktivität als zeitgemäßen Arbeitgeber investieren. Ohne Frage bringt Militär immer besondere An- und Herausforderungen für Arbeitnehmer:innen mit sich. Hier einen guten Weg zu finden, ist eine der großen Zukunftsaufgaben der Bundeswehr.
Die multiplen Krisen der heutigen Zeit zeigen, dass Sicherheit breit und integriert gedacht werden muss. Als Partei Bündnis 90/Die Grünen haben wir deshalb seit unserer Gründung für einen umfassenden Sicherheitsbegriff geworben. Für mich steht fest, dass die heutigen Krisen nicht nur einer militärischen, sondern auch einer gesellschaftlichen Zeitenwende bedürfen.
Wir müssen uns unbequeme Fragen mit vielleicht unbequemen Antworten stellen: Was bedeutet uns als Gesellschaft Frieden und Sicherheit in unserem eigenen Land und in unserer Nachbarschaft? Was folgt daraus auch für unseren individuellen Beitrag dazu?
Hier könnte eine allgemeine Dienstpflicht für Frauen und Männer ab 18 Jahren greifen. Wenn Menschen zunehmend in ihren eigenen Echokammern leben und Desinformationskampagnen bereits heute den Zusammenhalt einer Gesellschaft erodieren können, brauchen wir mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt und mehr Verständnis verschiedener gesellschaftlicher Gruppen füreinander. Noch dazu: Im Fall der Fälle würde die Bundeswehr zum Beispiel an der Nato-Ostflanke gebraucht. Dann müssten in Deutschland zivile Akteure den Schutz kritischer Infrastruktur oder eine großflächige medizinische Versorgung übernehmen.
Hier können junge Leute ihren Beitrag zu einer sicheren und freien Gesellschaft leisten, sei es bei der Feuerwehr, den Rettungsdiensten, dem Zivil- und Katastrophenschutz, der Polizei, in sozialen Einrichtungen oder eben der Bundeswehr. Auch in einem Klima- oder Naturschutzprojekt würden junge Menschen einen wichtigen Beitrag für die Zukunft unserer Gesellschaft auf diesem Planeten leisten. Dabei ist klar, dass eine kontinuierliche Qualitätssicherung der angebotenen Einsatzorte sichergestellt werden muss, um eine sinnstiftende Tätigkeit anbieten zu können.
Diese Diskussion zu führen, ist zugegebenermaßen nicht nur schön. Sich mit den Auswirkungen eines Spannungs- oder Krisenfalls auf uns als Gesellschaft und als Land zu beschäftigen, macht keinen Spaß. Als junger Mensch, der schon lange lokalpolitisch engagiert ist, weiß ich: Die junge Generation ist schon heute durch zum Beispiel die Auswirkungen der Pandemie oder die Sorgen vor dem Klimawandel belastet. Sie möchte nicht als Lückenfüller für Personalprobleme in der Bundeswehr oder im Pflegebereich herhalten. Das verstehe ich. Deshalb finde ich es wichtig, dass Dienstpflichtleistende ihren Einsatzort selbst auswählen können. Es ist meine feste Überzeugung, dass unser gesellschaftlicher Zusammenhalt, unsere Freiheit und unsere Demokratie Errungenschaften sind, die es zu schützen gilt. Besonders jetzt und von uns allen.
Niklas Wagener sitzt für die Grünen seit 2021 im Deutschen Bundestag und gehört dem Verteidigungsausschuss an.