Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat prüfen lassen, wie es um die deutsche Sicherheits-, und Verteidigungsindustrie steht. Das Ergebnis: Deutschland baut nach wie vor gute Panzer und ist bei der Munitionsproduktion Weltspitze. Wenn es aber um Zukunftstechnologien, um Künstliche Intelligenz, Cyber-Abwehr oder elektronische Kampfführung geht, stehen andere vorne. Staatliche Förderung und strategische Steuerung von Schlüsseltechnologien, fordern deswegen die Autoren der Studie zur Lage der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI), die Björn Müller analysiert hat. Mit anderen Worten: Deutschland brauche einen Rüstungskoordinator.
Generalleutnant Martin Schelleis, Inspekteur der Streitkräftebasis der Bundeswehr, hat diese Woche noch einmal das Ausmaß des Personalmangels der Bundeswehr ungeschönt dargelegt. Er bezifferte bei einer Veranstaltung der CDU/CSU den Bedarf an Soldatinnen und Soldaten, um die Nato-Zusagen zu erfüllen, auf knapp eine Viertelmillion. Und dieser Bedarf dürfte künftig weiter steigen. Thomas Wiegold und ich haben die genauen Zahlen.
Bis zur Kriegstüchtigkeit scheint es noch ein langer Weg zu sein.
Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag sieht sich Deutschland dem Vorwurf ausgesetzt, durch Waffenlieferungen an Israel Beihilfe zum Völkermord zu leisten.
Der Vorwurf Nicaraguas ist absurd und ich finde, dieser Umgang mit der Bundesrepublik Deutschland müsste auch außenpolitische Konsequenzen haben. Von Genozid zu reden, ist völlig unangemessen und banalisiert wirkliche Genozide, die wir in der Welt erleben. Das sandinistische Regime selbst missachtet alle Menschenrechte im Lande, hat sich zurück an die Macht geputscht und ist der schlechteste Ratgeber für Menschenrechtsfragen in der Welt. Wir sollten unsere Zusammenarbeit mit Nicaragua, insbesondere im entwicklungspolitischen Bereich, deshalb auf den Prüfstand stellen.
Die humanitäre Lage in Gaza ist katastrophal, muss der Druck auf Israel erhöht werden?
Ich hätte mir gewünscht, dass Israel selbst proaktiv zeigt, dass es einerseits die Hamas bekämpfen will, andererseits aber die humanitäre Hilfe als eine Priorität betrachtet. Die kritische Weltöffentlichkeit hätte dies vielleicht beeindruckt und überrascht. Die Öffnung des Hafens von Ashdod und der nördlichen Grenzübergänge hätte viel früher erfolgen können. Aber es ist gut, dass inzwischen mehr internationale Hilfe im Gazastreifen ankommt.
Kanada und die Niederlande haben ihre Waffenlieferungen an Israel ausgesetzt, die frühere Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, fordert das ebenfalls. Müsste Deutschland sich einem solchen Schritt nicht anschließen?
Frau Pelosi spricht nicht für die US-Regierung, sondern als Abgeordnete, die zuweilen sehr eigene Thesen formuliert. Auch sechs Monate nach dem größten Terroranschlag in seiner Geschichte hat Israel weiterhin das völkerrechtlich verbriefte Recht auf Selbstverteidigung. Denn dass die Hamas ausgeschaltet werden muss, geht leider nur militärisch. Dass die Hamas ihre Stellungen weitgehend unter Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern hat, ist bedauerlich, und macht den Einsatz besonders kompliziert. Israel muss dabei klar das humanitäre Völkerrecht achten.
Was kann Deutschland, was kann Europa dafür tun, dass dies geschieht?
Leider ist Europa ein Totalausfall. Bei allen Friedensprozessen im Nahen und Mittleren Osten in den 1990er Jahren war die EU prägend mit am Tisch, unter anderem im Quartett mit den USA, Russland und den Vereinten Nationen. Das hat sich völlig verändert: Russland scheidet aus naheliegenden Gründen im Moment aus, auch die Vereinten Nationen sind relativ wenig diplomatisch präsent. Die einzigen, die im Moment den Prozess gestalten, sind die Vereinigten Staaten.
Woran liegt das?
Europa ist nicht in der Lage, mit einer Stimme zu sprechen. Wir haben das erlebt nach dem 7. Oktober, als Frau von der Leyen und EU-Parlamentspräsidentin Metsola nach Israel fuhren, um ihre Solidarität zu bekunden und zur gleichen Zeit der Hohe Beauftragte für Außenpolitik Borrell und Ratspräsident Michel das glatte Gegenteil in Brüssel verkündeten. Schon die vier Spitzen der Europäischen Union sprechen nicht mit einer Stimme, geschweige denn die 27 Mitgliedstaaten. Ein Trauerspiel für Europa.
Spricht wenigstens die Bundesregierung mit einer Stimme?
Ja, auch wenn manche Twitteräußerung von Frau Baerbock manchmal etwas verunglückt ist.
Noch scheint ein Ende des Kriegs im Gazastreifen in weiter Ferne, doch die Frage, wie Wiederaufbau und humanitäre Versorgung danach organisiert werden sollen, stellt sich dennoch.
Ich glaube, dass Israel auf Dauer nicht die Sicherheit und die Administration in Gaza selbst übernehmen kann. Bei einem Rückzug Israels besteht aber die Gefahr, dass erneut ein Vakuum entsteht und die Hamas dieses füllt. Um das zu verhindern, müssten die USA eine wichtige Rolle spielen in Zusammenarbeit mit den arabischen Staaten, denen Israel vertraut. Das ist insbesondere Jordanien, das ist Ägypten, aber das sind auch die Abraham Accord-Staaten, jene Länder also, die in den vergangenen Jahren diplomatische Beziehungen mit Israel aufgenommen haben, besonders die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Marokko. Die könnten internationale Garantien für die Sicherheit Israels übernehmen und eine reformierte palästinensische Autonomiebehörde darin unterstützen, die Verwaltung des Gazastreifens zu übernehmen – ohne die Hamas.
Und für Sicherheit würden UN-Blauhelme sorgen?
Das muss man noch genau definieren. Ein Mandat der Vereinten Nationen für eine Truppe, die im Wesentlichen von den USA und den arabischen Ländern gestellt würde, ist eine denkbare Option. Dazu müssen die Vereinten Nationen aber noch einiges tun, damit sie bei beiden Konfliktparteien Vertrauen genießen. Die Äußerungen des UN-Generalsekretärs in den vergangenen Monaten haben dieses Vertrauen in Israel nicht geschaffen, auch wenn seine jüngsten Äußerungen in der Benennung der Schuldigen für das Massaker vom 7. Oktober schon klarer waren als in der Vergangenheit.
Wie wichtig ist Saudi-Arabien beim Aufbau einer neuen Sicherheitsarchitektur im Nahen Osten?
Saudi-Arabien ist ein Schlüsselland. Es verändert sich im Inneren in rasanter Geschwindigkeit, modernisiert das eigene Staatssystem und war auch auf dem Weg, sich Israel anzunähern vor dem 7. Oktober. Ich weiß aus Gesprächen, dass dieser Wille nach wie vor besteht. Saudi-Arabien erwartet allerdings, dass Israel substanzielle Schritte auf die Palästinenser zumacht. Das ist für Israel jetzt die große Chance. Denn wenn Saudi-Arabien mit an Bord ist, wäre das ein Riesengewinn für die nächsten Jahrzehnte. Dazu muss aber substanziell vielleicht nicht gleich der Palästinenserstaat morgen errichtet werden, aber Signale Richtung Palästinensische Autonomiebehörde, die den Weg dahin weisen, die muss es geben.
Das heißt, Israel könnte bei der Fußballweltmeisterschaft 2034 in Saudi-Arabien dabei sein, wenn es sich qualifiziert?
Ich gehe davon aus, dass spätestens zum Jahr 2034, aber vielleicht schon in sehr kurzfristiger Zeit eine diplomatische Anerkennung Israels durch Saudi-Arabien erfolgen kann. Bedingung sind substanzielle Schritte Richtung Palästina.
Deutschland und die EU standen den Abraham-Abkommen anfangs skeptisch gegenüber, war das ein Fehler?
Ja, das war eine klare politische Fehleinschätzung. Außer Ungarn haben alle EU-Staaten dieses Abkommen unterschätzt, weil es von US-Präsident Trump verhandelt wurden. Inzwischen merkt man, dass auch die Biden-Administration diesen Weg fortsetzt und die Abkommen die eigentlichen Game Changer in der Region sind. Das zeigt, wie wichtig es ist, von Schwarz-Weiß-Kategorien in der Außenpolitik Abstand zu nehmen und zu überlegen, wie der Nahostfriedensprozess wirklich wieder in Gang gebracht werden kann. Ich hoffe, dass wir da auf dem richtigen Weg sind.
Gehören Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien dazu, in ein Land mit Hunderten Hinrichtungen jedes Jahr, in ein Land, das 2018 den Journalisten Jamal Khashoggi ermorden ließ?
Der Fall Khashoggi ist natürlich einer, der so nicht akzeptabel war. Aber ich finde, man sollte nicht in der Vergangenheit leben, sondern anerkennen, dass sich Saudi-Arabien fundamental verändert, dass es den starken Einfluss der fundamentalistischen Religionswächter zurückgedrängt hat und in sehr vielen Bereichen auf dem Weg der Modernisierung ist. Dem hat ja auch die Bundesregierung Rechnung getragen: Im Koalitionsvertrag der Ampel heißt es noch, dass keine Rüstungsexporte in Länder, die am Jemenkrieg beteiligt sind, erfolgen dürfen. Nun ist Deutschland mit der Fregatte Hessen selbst daran beteiligt, Angriffe auf westliche Schiffe zu verhindern und Briten und Amerikaner bombardieren mit lobender Unterstützung der deutschen Außenministerin Huthi-Stellungen in Jemen.
Das heißt, die Bundesregierung ist aus Ihrer Sicht lernfähig?
Ja, das ist sie, auch wenn sie eine Wendung um 180 Grad im Vergleich zum Koalitionsvertrag vollzogen hat. Das zeigt, dass wir den Konflikt etwas differenzierter betrachten müssen, als dies zu Zeiten des Koalitionsvertrags 2021 gemacht wurde. Die Waffenlieferung der Bundesregierung nach Saudi-Arabien sind richtig, denn das Land ist unter anderem durch die vom Iran bezahlten Huthi im Jemen bedroht und garantiert Stabilität in der Region.
Staatliche Förderung und strategische Steuerung von Schlüsseltechnologien der deutschen Wehrwirtschaft sind weitgehend unterentwickelt und allenfalls suboptimal aufgestellt. Zu diesem Schluss kommt die zweite Studie zur Lage der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI). Deren Zusammenfassung liegt Table.Briefings exklusiv vor.
Demnach fließen die meisten Forschungsgelder in “Bereiche, in welchen die deutsche SVI bereits über starke Kompetenzen verfügt, wie Sensorik, den Fahrzeugbau, oder den Marineschiffbau”, heißt es in dem von Wirtschaftsminister Robert Habeck in Auftrag gegebenen Papier, das die Beratungsagenturen Oliver Wyman und IW Consult erstellt haben. Vergleichsweise wenig Mittel fließen dagegen in Potenzialbereiche wie Elektronische Kampfführung und Künstliche Intelligenz.
Die erste SVI-Studie erschien 2015 und erfasste nur die klassische Verteidigungsindustrie – Panzerhersteller wie Rheinmetall und Marineschiffsbaufirmen wie Lürssen nebst ihrer Zulieferer-Netzwerke. Die neue Untersuchung bezieht das weite Feld der zivilen Sicherheitsindustrie mit ein. Dazu zählen Firmen, die Geräte zur Erfassung von Biometrie-Daten herstellen oder Lösungen zur Waldbrandbekämpfung anbieten.
70 Prozent der Wertschöpfung dieses Zweigs erbringen laut SVI-Studie jedoch kleine Wach- und Sicherheitsdienste. Die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie Deutschlands liege nicht im Bereich der Spitzentechnologie, sondern sei ein Niveau darunter, auf dem “hochwertiger Technik”, angesiedelt. Bayern erwirtschafte ein Drittel der Wertschöpfung. Im Westteil der Bundesrepublik werde nahezu die gesamte Patentleistung der deutschen Rüstungswirtschaft erbracht; Ostdeutschland spiele fast keine Rolle.
Während Deutschlands Wehrindustrie in den etablierten Rüstungssektoren international gut positioniert sei, liege sie in anderen Feldern “gegenüber der Weltspitze zurück”, so etwa bei:
Folgt man der Studie, ist eine zentrale Schwäche der deutschen Wehrindustrie, dass ihr Ökosysteme für die neuen Wehrtechnologien fehlen. Die Forschungsleistung läuft in Deutschland bis jetzt in etablierten Strukturen von Systemintegratoren wie KMW und Rheinmetall mit ihren Zulieferern. Praktisch keine Rolle spielen Start-ups. Solche, die auf die Streitkräfte spezialisiert sind wie in den USA, sind hierzulande kaum vorhanden.
Deshalb sollten Start-ups in Deutschland mit Aufträgen versorgt werden, um sie in das Ökosystem der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie einzubinden, empfehlen Oliver Wyman und IW Consult. Um die Innovation für die SVI anzutreiben, haben die Studienautoren zwei Vorschläge: Da die zivile Industrie heute Innovationstreiber sei, sollten zivile Forschungsprogramme für die militärische Forschung geöffnet werden. Zudem solle ein “Büro” eingerichtet werden, das zügig Forschungs- und Entwicklungsgelder bereitstellt sowie Aufträge zur Kleinserien-Produktion finanziert.
Die Wettbewerbsfähigkeit von Wehrtechnik “Made in Germany” sieht die Studie bei komplexen Produkten wie U-Booten, Fluggerät, Hochwertmunition und Sensorik. Im wichtigen Feld der Entwicklung von Hyperschall-Waffen und deren Abwehrsystemen ist die deutsche Industrie in beiden Konsortien vertreten, die im EU-Rüstungsprogramm “Twister” um die Entwicklung eines Interceptors gegen Hyperschallwaffen wetteifern.
Bei Robotik und Autonomie sowie aktiver Cyber-Abwehr habe sich die deutsche Industrie “anfänglich gut positioniert”. Doch inzwischen bedürfe es staatlicher Nachfrage, um diesen Sektor weiterzuentwickeln, damit internationale Wettbewerbsfähigkeit erreicht werde. Im wichtigen Bereich kleiner Drohnen für militärische Zwecke sieht die Studie “eine wachsende Kompetenz der deutschen Industrie als Effekt der Bundeswehr-Beschaffungsstrategie”. Beispiele für Drohnen deutscher Hersteller sind die Aufklärungsdrohne Mikado von AirRobot und die Vector-Drohne von Quantum Systems für das Kommando Spezialkräfte (KSK). Allerdings ist die UAV-Bewaffnung der Bundeswehr in Modellen und Stückzahlen bis jetzt überschaubar.
In der elektronischen Kampfführung – kurz EloKa – sieht die Studie ebenfalls noch Wachstumspotenzial für die deutsche Industrie. Hier müsse eine nationale Kompetenz aufgebaut werden. Kontext dürfte hierzu sein, dass die Nato-Staaten in der EloKa-Bewaffnung massiven Nachholbedarf haben. Die Bundeswehr ist hier mit ihrer angelaufenen Rüstung einer Eloka-Version des Eurofighters Vorreiter. Exportfelder mit erwarteter höherer Nachfrage, in denen die deutsche Wehrindustrie nicht stark aufgestellt sei, sind Cyber-Sicherheit und der Schutz von kritischer Infrastruktur.
Bei der Gestaltung der Rüstung Deutschlands reiche die ressortübergreifende Koordination in der Bundesregierung nur für ein einheitliches Lagebild, aber nicht für ein stringentes Handeln, so die Studie. Es fehle eine institutionelle Wissensbasis für schnelle Reaktionen. “Meist muss jede Fragestellung von Grund auf neu evaluiert werden”. Laut den Studienautoren würde eine “permanente Koordinierungseinheit” Sinn ergeben, um sicherheitspolitische Prozesse zu steuern. In der Fachwelt wird dieser Ansatz bereits seit längerem vorgeschlagen – oft unter dem Schlagwort “Rüstungskoordinator”. Andere Staaten wie Australien, Großbritannien und die USA koordinierten ihre Wehrindustrien zum Erreichen außenpolitischer Ziele über nationale Sicherheitsräte, so die SVI-Studie – “bislang eine verpasste Chance für die Bundesrepublik Deutschland”. Björn Müller
Die Lage im vom Krieg gebeutelten Sudan wird immer kritischer. Nun dauern die Kämpfe, die in weiten Teilen des nordostafrikanischen Landes geführt werden, schon ein Jahr. Seit dem 15. April 2023 wurde ein Großteil der Hauptstadt Karthum zerstört. Von mehr als 15.000 Toten ist die Rede. “Die Lage im Land ist derzeit eine der schwersten humanitären Notlagen weltweit”, sagt Marius Schneider, Sudan-Büroleiter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) zu Table.Briefings.
Die EU, Frankreich und Deutschland haben für kommenden Montag in Paris die Geberkonferenz International Humanitarian Conference for Sudan and its Neighbours initiiert. Die Internationale Gemeinschaft wird über finanzielle und humanitäre Hilfe beraten und die Wiederaufnahme der Friedensgespräche in Dschidda in Saudi-Arabien zementieren, die laut den USA für den 18. April angestrebt werden.
Anfang dieser Woche hatten Sondergesandte aus Frankreich, Norwegen, Großbritannien, den USA und der EU nach einem Treffen in der norwegischen Hauptstadt Oslo die Kriegsparteien aufgefordert, die Kämpfe einzustellen und “einen vollständigen und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe zu gewährleisten, um das zunehmende Risiko einer Hungersnot zu mindern”. Die Gesandten begrüßten die mögliche Wiederaufnahme der Friedensgespräche. Diese müssten, so US-Sondergesandter Tom Perriello, “inklusiv” sein und die Afrikanische Union (AU), den ostafrikanischen Block Intergovernmental Authority on Development (IGAD), Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate miteinbeziehen. “Wir brauchen die Partner im Raum, die notwendig sind, um diesen Krieg zu beenden.”
Vor einem Jahr hatten kämpferische Auseinandersetzungen zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) unter dem Kommando von General Abdel Fattah al-Burhan und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) unter Mohammed Hamdan Dagalo begonnen. Die RSF versuchen seitdem, ihre Kontrolle im Sudan auszuweiten. Den Rebellen, die über rund 100.000 Kämpfer verfügen sollen, werden enge Beziehungen zu Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten nachgesagt. Es geht ihnen um Zugang zu den lukrativen Gold-, Uran- und Diamantenminen.
Die humanitäre Lage im Land hat sich inzwischen dramatisch zugespitzt. Das Office of the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) der Vereinten Nationen berichtet von 8,2 Millionen Menschen, die vertrieben wurden, und die Zahl steigt stetig. Mehr als 600.000 Menschen haben im benachbarten Tschad Zuflucht gesucht. Es sei eine “katastrophale Ernährungsunsicherheit” zu erwarten. Laut der Nichtregierungsorganisation “Save the Children” könnten bis zu 230.000 Kinder, schwangere Frauen und junge Mütter sterben. “Die Situation hat den Siedepunkt erreicht”, so Arif Noor, Sudan-Länderdirektor. Lediglich 2,3 Millionen Menschen habe seit Beginn des Jahres lebensrettende Hilfe erreicht. “Die Kämpfe im Sudan verursachen massive Nahrungsmittelengpässe und Hunger”, betont DRK Vertreter Schneider. Aus Sicherheitsgründen muss das DRK die humanitären Maßnahmen meist aus Kenias Hauptstadt Nairobi koordinieren.
“Viele der betroffenen Menschen sind kaum zu erreichen”, sagt Schneider. Das volle Ausmaß der humanitären Situation sei aufgrund der äußerst schlechten Informationslage kaum ersichtlich. “Eine Entspannung des bewaffneten Konflikts und sicherer Zugang für Helferinnen und Helfer sind nötig, damit auch internationale Hilfe die Menschen erreichen kann, die sie am dringendsten benötigen.”
Ein Großteil der kritischen Infrastruktur ist inzwischen geplündert oder komplett zerstört worden. Landwirte wurden gezwungen, ihr Ackerland aufzugeben. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind um mehr als 80 Prozent gestiegen. Ein Bericht der Vereinten Nationen von Februar wirft beiden Kriegsparteien Kriegsverbrechen vor. Darunter sind Angriffe gegen Zivilobjekte wie Krankenhäuser, Märkte und Flüchtlingscamps. Die Mitarbeiter von mehr als 3.000 humanitären Organisationen, darunter über 100 aus dem Ausland, mussten wegen der Kämpfe das Land verlassen.
Ende Januar hatte Außenministerin Annalena Baerbock Ostafrika besucht und für einen Fünf-Punkte-Plan geworben, der unter anderem mit gezielten Sanktionen, internationaler Vermittlung und Unterbindung militärischer Hilfe den Druck auf die Konfliktparteien erhöhen sollte. Sie erreichte nichts. Anfang März setzte sich UN-Generalsekretär António Guterres für ein Ruhen der Waffen während des Ramadan ein, was die sudanesischen Streifkräfte nicht akzeptierten, da die RSF noch zivile Objekte besetzt halte. Von Seiten der RSF wurde eine Waffenruhe begrüßt. China, neben Russland ein wichtiger Partner des Sudan, rief im März zum Frieden auf.
Im vergangenen Jahr hatten die USA zusammen mit Saudi-Arabien mehrere Waffenstillstände in Dschidda zwischen den Kriegsparteien ausgehandelt, die aber alle aufgrund konkurrierender internationaler Friedensbemühungen scheiterten. Der AU wird derweil Unfähigkeit vorgeworfen, auf die Kriegsparteien mäßigend einzuwirken, obwohl sie im Januar ein hochrangiges Gremium ernannt hatte, in dem regionale und globale Akteure an einer Lösung arbeiten. Vor zwei Monaten hatten die Vereinten Nationen um insgesamt 4,1 Milliarden US-Dollar gebeten, um die humanitäre Krise im Sudan und den Nachbarländern einzudämmen. Bisher sind lediglich rund fünf Prozent dieser Summe zusammengekommen.
Der frühere Botschafter der USA in Deutschland, Richard Grenell, hat die Blockade der Militärhilfen an die Ukraine durch die Republikaner im Kongress verteidigt und einen Friedensplan für die Ukraine gefordert. “Ich glaube, dass es immer eine Alternative zum Krieg gab. Wir haben noch andere Werkzeuge im Werkzeugkasten”, sagte Grenell im Podcast von Table.Briefings. “Das Problem ist, dass wir keinen Friedensplan von den Nato-Ländern gesehen haben. Wir haben keinen Friedensplan von Amerika gesehen. Wir haben keinen Friedensplan von den Deutschen gesehen.”
Im laufenden Präsidentschaftswahlkampf in den USA ist Ex-Botschafter Grenell einer der wichtigsten außenpolitischen Berater von Donald Trump. Laut dessen Sohn Donald Trump Jr. ist Grenell ein “Top-Kandidat” für das Amt des Außenministers.
Der Krieg in der Ukraine sei auch ein Versagen der Diplomatie gewesen. “Ich glaube, Anthony Blinken hätte in sein Flugzeug steigen sollen, die Außenminister aus Europa holen, und versuchen, dieses Problem zu lösen, bevor wir in den Krieg ziehen. Wir wurden mehrfach gewarnt, dass dieser Krieg kommen würde, und die Diplomaten haben nicht genug getan.”
Grenell hält eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine für sinnvoll und ein Friedensplan müsse die Ukraine als souveränen Staat absichern. “Wir müssen über die Nato-Mitgliedschaft sprechen. Wir müssen über territoriale Integrität sprechen.” Sorgen der Deutschen, dass ein möglicher Präsident Donald Trump die Nato abwickeln würde, stellt er sich entgegen. “Trump hat die Nato stärker gemacht. Man kann nicht Amerika oder den Amerikanern die Schuld geben, die es leid sind, den größten Teil der Last zu tragen. Wir sollten keine neuen Mitglieder in die Nato aufnehmen, die nicht in der Lage sind, ihre 2-prozentige Verpflichtung zu erfüllen.” Nichts untergrabe die Nato mehr als Länder, die sich im Krisenfall nicht beteiligen können. brö
Die Bundeswehr hat bereits jetzt zu wenig Soldaten, um die von Deutschland zugesagten Verpflichtungen der Nato zu erfüllen – und wird langfristig ihre Aufgaben mit weniger als einer Viertelmillion aktiver Soldatinnen und Soldaten nicht erfüllen können. Vor allem für die sogenannten Enabler zur Unterstützung der Kampftruppen, aber auch für die Organisation des Aufmarsches alliierter Truppen an die Ostflanke der Allianz werde eine zusätzliche fünfstellige Zahl von Soldaten mit entsprechender Ausstattung nötig sein, sagt der Inspekteur der Streitkräftebasis, Generalleutnant Martin Schelleis.
Schelleis verwies bei einem Kongress der Unionsfraktion im Bundestag am Mittwoch auf die Planungen der Nato für die Bereitstellung einer größeren Zahl einsatzbereiter Truppen. Bereits jetzt ergebe sich damit rechnerisch aus dem Fähigkeitsprofil der Bundeswehr ein Bedarf von 240.000 Soldaten. Selbst die eigene Planung der deutschen Streitkräfte sehe dagegen nur ein Ziel von 203.000 Soldatinnen und Soldaten bis zum Jahr 2031 vor. Tatsächlich bleibt die faktische Personalstärke der Bundeswehr mit derzeit rund 181.000 auch dahinter weit zurück.
“Wir haben von den Personalzahlen noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht”, sagte Schelleis. “Die 203.000 […] ist nicht etwa die auskömmliche Grenze von Personal, sondern eine willkürlich vor fünf Jahren eingeschriebene Zwischengröße.” Der Generalleutnant, dessen militärischer Organisationsbereich Streitkräftebasis nach der Strukturreform von Verteidigungsminister Boris Pistorius in einem Unterstützungsbereich aufgehen soll, beklagte vor allem einen Mangel an Personal und Gerät für die Aufgaben, die der Kampftruppe ihren Einsatz erst ermöglichen sollen.
Die Situation werde sich noch verschärfen, wenn die Nato über die bisherige Planung hinaus detaillierte Anforderungen für Regionalpläne zur Verteidigung der osteuropäischen Bündnismitglieder in Kraft setze, warnte Schelleis. Das könne noch einmal um 30 Prozent steigende Anforderungen an Deutschland bedeuten. Zudem sei die nötige Unterstützung für den Durchmarsch hunderttausender Soldaten aus anderen Nato-Staaten durch Deutschland nicht in die Berechnungen einbezogen.
Schelleis hatte in der Vergangenheit mehrfach darauf hingewiesen, dass die deutschen Pläne für die Anforderungen der Nato, unter anderem eine einsatzbereite Division bereits im kommenden Jahr zu stellen, ohne einen Ausbau der Unterstützungskräfte nicht möglich seien. “Die Schere zwischen Wirkung und Unterstützung weitet sich”, warnte der SKB-Inspekteur im September vergangenen Jahres bei einer Veranstaltung des Rüstungskonzerns Rheinmetall. “So ist die nationale Ambition nicht realisierbar.” Dabei gehe es nicht um Gefechtsfahrzeuge wie Panzer, sondern um Lastwagen oder Straßentankwagen. tw/wp
Bundeskanzler Olaf Scholz hat der Bundeswehr am Donnerstagabend bei einem Abschlussappell auf dem Paradeplatz des Bundesverteidigungsministeriums für Ihre Einsätze in Mali gedankt. Vor den rund 500 geladenen Gästen gedachte der Bundeskanzler zudem mit einer Kranzniederlegung am Ehrenmal der Bundeswehr den im Einsatz gefallenen Soldatinnen und Soldaten.
Seit rund zehn Jahren war die Bundeswehr mit der UN-Friedensmission Minusma sowie der Ausbildungsmission EUTM Mali in dem westafrikanischen Land engagiert. Im vergangenen Jahr hatte die Militärjunta in Mali den Abzug der Minusma-Friedenstruppen bis Ende 2023 gefordert. Als Grund nannte die Militärregierung seinerzeit ausbleibende Erfolge der UN-Mission im Kampf gegen den in der Region zunehmenden islamistischen Terrorismus. Stattdessen setzt die Junta auf eine engere Militärkooperation mit Russland und geht immer radikaler gegen militärische Gegner vor. Per Dekret hat die Militärjunta jetzt auch sämtliche Aktivitäten politischer Parteien und Vereinigungen bis auf Weiteres verboten. Mitte Dezember waren die letzten deutschen Blauhelmsoldaten in Deutschland gelandet. In dem Einsatz verloren zwei deutsche Soldaten bei einem Hubschrauberabsturz ihr Leben.
Indes ringt die Bundesregierung weiterhin um eine neue Strategie in der politisch instabilen Sahel-Region. Im März sprach sich Verteidigungsminister Boris Pistorius auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung für eine Fortführung des deutschen Engagements im Niger, dem Nachbarland Malis, aus – auch in Form von deutschen Militärberatern und des Lufttransportstützpunkts in Niamey. Über diesen von der Bundeswehr betriebenen Luftwaffenstützpunkt wurde zunächst auch der Abzug der Bundeswehr aus Mali organisiert. Im Niger kam es im Juli 2023 ebenfalls zu einem Militärputsch.
Die Kooperation mit der Putschregierung im Niger, der bis zum Machtwechsel eigentlich als letzter Verbündeter des Westens in der Region galt, gestaltet sich schwierig. Im März kündigte die Junta die Militärkooperation mit den USA auf. Zuvor hatten bereits die Franzosen ihr militärisches Personal abziehen müssen. Anders hingegen Italien, das signalisiert hat, die Kooperation mit den Machthabern im Niger aufrechterhalten zu wollen. Auch Italien ist noch mit Soldaten vor Ort vertreten.
Immer unmöglicher scheint eine weitere Kooperation mit der Regierung in Mali. Die Junta verbot dort in dieser Woche jegliche politische Aktivitäten von Parteien und Vereinigungen. Auch die Presse darf in Mali nicht mehr über politische Aktivitäten berichten. dre
Stiftung Wissenschaft und Politik: Trump II und die nukleare Rückversicherung der Nato. Dass Donald Trump die nukleare Rückversicherung für Europa bei einem Wahlsieg aufkündigt, wäre das letzte Opfer, nicht das erste, heißt es in dem achtseitigen Briefing. Aus Trumps Beraterstab spreche sich niemand dafür aus und nukleare Proliferation in Europa würde den Einfluss der USA deutlich schwächen. Europa solle dennoch die konventionelle Verteidigung stärken.
ECFR: Forget about Trump: Why Europeans should start worrying about trade tensions with emerging economies. Entwicklungsländer konzentrieren sich zunehmend auf ihre eigenen Interessen und stellen sich vermehrt gegen die Handelspolitik der EU, nicht zuletzt aufgrund des europäischen CO₂-Grenzausgleichssystems. Ein Beispiel sei Indien, das sich bei der 13. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation in Abu Dhabi gegen eine Reihe von Einwänden und Reformen stellte, unter anderem gegen ein globales Investitionsabkommen. Die EU solle Handelsstrategien länderspezifisch anpassen.
IWF: Changing Global Linkages: A New Cold War? Der IWF liefert neue Erkenntnisse über Handels- und Investitionsfragmentierung entlang geopolitischer Linien seit Russlands Invasion der Ukraine und vergleicht diese mit den historischen Erfahrungen aus den frühen Jahren des Kalten Krieges. Wahrend das Ausmaß der Fragmentierung derzeit noch relativ klein sei, könnte sie sich erheblich vertiefen, sollten die geopolitischen Spannungen anhalten und Handels-restriktive Maßnahmen ausgeweitet werden. Das lege die Entkopplung zwischen den rivalisierenden geopolitischen Blöcken während des Kalten Krieges nahe.
Die Zeit: Das Gesicht des Krieges. Der Sprecher der israelischen Armee, Daniel Hagari, wird “von den meisten Israelis geliebt”, schreibt der Zeit-Autor, der mit Hagari studiert hat. Nahaufnahme des Soldaten, der Israels Sicht auf den Krieg in Gaza der Welt präsentiert.
Deutschland muss sich auf das Handling möglicher zukünftiger Konflikte vorbereiten. Es bedarf eines “sicherheitspolitischen Gesellschaftsvertrages” unter Einbeziehung der Bundesregierung und der Landesregierungen mit einer Laufzeit von einer Dekade, schrieben dazu Christian Mölling und Torben Schütz (beide Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Anm. d. Red.) in einem Papier anlässlich des “Rüstungsgipfels” im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz Ende März.
Diese “langen zehn Jahre” erscheinen als ein mehr als realistisch berechneter Zeitraum, wenn wir den derzeitigen Zustand der Gesamtverteidigung als Ausgangspunkt wählen. Vor einigen Wochen war ich mit dem Bundesminister der Verteidigung, Boris Pistorius, in Schweden, Norwegen und Finnland unterwegs; insbesondere Schweden und Finnland können konzeptionell als Mutterländer der Gesamtverteidigung betrachtet werden. Welche Gedanken scheinen geeignet, um – unter Berücksichtigung eines anderen Staatsaufbaus – auch in einer deutschen Neuaufstellung der Gesamtverteidigung Berücksichtigung zu finden?
An dieser Stelle möchte ich drei aus meiner Sicht tragende Gedanken benennen.
Johannes Arlt vertritt die SPD-Bundestagsfraktion im Verteidigungs- und Wirtschaftsausschuss.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat prüfen lassen, wie es um die deutsche Sicherheits-, und Verteidigungsindustrie steht. Das Ergebnis: Deutschland baut nach wie vor gute Panzer und ist bei der Munitionsproduktion Weltspitze. Wenn es aber um Zukunftstechnologien, um Künstliche Intelligenz, Cyber-Abwehr oder elektronische Kampfführung geht, stehen andere vorne. Staatliche Förderung und strategische Steuerung von Schlüsseltechnologien, fordern deswegen die Autoren der Studie zur Lage der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI), die Björn Müller analysiert hat. Mit anderen Worten: Deutschland brauche einen Rüstungskoordinator.
Generalleutnant Martin Schelleis, Inspekteur der Streitkräftebasis der Bundeswehr, hat diese Woche noch einmal das Ausmaß des Personalmangels der Bundeswehr ungeschönt dargelegt. Er bezifferte bei einer Veranstaltung der CDU/CSU den Bedarf an Soldatinnen und Soldaten, um die Nato-Zusagen zu erfüllen, auf knapp eine Viertelmillion. Und dieser Bedarf dürfte künftig weiter steigen. Thomas Wiegold und ich haben die genauen Zahlen.
Bis zur Kriegstüchtigkeit scheint es noch ein langer Weg zu sein.
Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag sieht sich Deutschland dem Vorwurf ausgesetzt, durch Waffenlieferungen an Israel Beihilfe zum Völkermord zu leisten.
Der Vorwurf Nicaraguas ist absurd und ich finde, dieser Umgang mit der Bundesrepublik Deutschland müsste auch außenpolitische Konsequenzen haben. Von Genozid zu reden, ist völlig unangemessen und banalisiert wirkliche Genozide, die wir in der Welt erleben. Das sandinistische Regime selbst missachtet alle Menschenrechte im Lande, hat sich zurück an die Macht geputscht und ist der schlechteste Ratgeber für Menschenrechtsfragen in der Welt. Wir sollten unsere Zusammenarbeit mit Nicaragua, insbesondere im entwicklungspolitischen Bereich, deshalb auf den Prüfstand stellen.
Die humanitäre Lage in Gaza ist katastrophal, muss der Druck auf Israel erhöht werden?
Ich hätte mir gewünscht, dass Israel selbst proaktiv zeigt, dass es einerseits die Hamas bekämpfen will, andererseits aber die humanitäre Hilfe als eine Priorität betrachtet. Die kritische Weltöffentlichkeit hätte dies vielleicht beeindruckt und überrascht. Die Öffnung des Hafens von Ashdod und der nördlichen Grenzübergänge hätte viel früher erfolgen können. Aber es ist gut, dass inzwischen mehr internationale Hilfe im Gazastreifen ankommt.
Kanada und die Niederlande haben ihre Waffenlieferungen an Israel ausgesetzt, die frühere Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, fordert das ebenfalls. Müsste Deutschland sich einem solchen Schritt nicht anschließen?
Frau Pelosi spricht nicht für die US-Regierung, sondern als Abgeordnete, die zuweilen sehr eigene Thesen formuliert. Auch sechs Monate nach dem größten Terroranschlag in seiner Geschichte hat Israel weiterhin das völkerrechtlich verbriefte Recht auf Selbstverteidigung. Denn dass die Hamas ausgeschaltet werden muss, geht leider nur militärisch. Dass die Hamas ihre Stellungen weitgehend unter Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern hat, ist bedauerlich, und macht den Einsatz besonders kompliziert. Israel muss dabei klar das humanitäre Völkerrecht achten.
Was kann Deutschland, was kann Europa dafür tun, dass dies geschieht?
Leider ist Europa ein Totalausfall. Bei allen Friedensprozessen im Nahen und Mittleren Osten in den 1990er Jahren war die EU prägend mit am Tisch, unter anderem im Quartett mit den USA, Russland und den Vereinten Nationen. Das hat sich völlig verändert: Russland scheidet aus naheliegenden Gründen im Moment aus, auch die Vereinten Nationen sind relativ wenig diplomatisch präsent. Die einzigen, die im Moment den Prozess gestalten, sind die Vereinigten Staaten.
Woran liegt das?
Europa ist nicht in der Lage, mit einer Stimme zu sprechen. Wir haben das erlebt nach dem 7. Oktober, als Frau von der Leyen und EU-Parlamentspräsidentin Metsola nach Israel fuhren, um ihre Solidarität zu bekunden und zur gleichen Zeit der Hohe Beauftragte für Außenpolitik Borrell und Ratspräsident Michel das glatte Gegenteil in Brüssel verkündeten. Schon die vier Spitzen der Europäischen Union sprechen nicht mit einer Stimme, geschweige denn die 27 Mitgliedstaaten. Ein Trauerspiel für Europa.
Spricht wenigstens die Bundesregierung mit einer Stimme?
Ja, auch wenn manche Twitteräußerung von Frau Baerbock manchmal etwas verunglückt ist.
Noch scheint ein Ende des Kriegs im Gazastreifen in weiter Ferne, doch die Frage, wie Wiederaufbau und humanitäre Versorgung danach organisiert werden sollen, stellt sich dennoch.
Ich glaube, dass Israel auf Dauer nicht die Sicherheit und die Administration in Gaza selbst übernehmen kann. Bei einem Rückzug Israels besteht aber die Gefahr, dass erneut ein Vakuum entsteht und die Hamas dieses füllt. Um das zu verhindern, müssten die USA eine wichtige Rolle spielen in Zusammenarbeit mit den arabischen Staaten, denen Israel vertraut. Das ist insbesondere Jordanien, das ist Ägypten, aber das sind auch die Abraham Accord-Staaten, jene Länder also, die in den vergangenen Jahren diplomatische Beziehungen mit Israel aufgenommen haben, besonders die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Marokko. Die könnten internationale Garantien für die Sicherheit Israels übernehmen und eine reformierte palästinensische Autonomiebehörde darin unterstützen, die Verwaltung des Gazastreifens zu übernehmen – ohne die Hamas.
Und für Sicherheit würden UN-Blauhelme sorgen?
Das muss man noch genau definieren. Ein Mandat der Vereinten Nationen für eine Truppe, die im Wesentlichen von den USA und den arabischen Ländern gestellt würde, ist eine denkbare Option. Dazu müssen die Vereinten Nationen aber noch einiges tun, damit sie bei beiden Konfliktparteien Vertrauen genießen. Die Äußerungen des UN-Generalsekretärs in den vergangenen Monaten haben dieses Vertrauen in Israel nicht geschaffen, auch wenn seine jüngsten Äußerungen in der Benennung der Schuldigen für das Massaker vom 7. Oktober schon klarer waren als in der Vergangenheit.
Wie wichtig ist Saudi-Arabien beim Aufbau einer neuen Sicherheitsarchitektur im Nahen Osten?
Saudi-Arabien ist ein Schlüsselland. Es verändert sich im Inneren in rasanter Geschwindigkeit, modernisiert das eigene Staatssystem und war auch auf dem Weg, sich Israel anzunähern vor dem 7. Oktober. Ich weiß aus Gesprächen, dass dieser Wille nach wie vor besteht. Saudi-Arabien erwartet allerdings, dass Israel substanzielle Schritte auf die Palästinenser zumacht. Das ist für Israel jetzt die große Chance. Denn wenn Saudi-Arabien mit an Bord ist, wäre das ein Riesengewinn für die nächsten Jahrzehnte. Dazu muss aber substanziell vielleicht nicht gleich der Palästinenserstaat morgen errichtet werden, aber Signale Richtung Palästinensische Autonomiebehörde, die den Weg dahin weisen, die muss es geben.
Das heißt, Israel könnte bei der Fußballweltmeisterschaft 2034 in Saudi-Arabien dabei sein, wenn es sich qualifiziert?
Ich gehe davon aus, dass spätestens zum Jahr 2034, aber vielleicht schon in sehr kurzfristiger Zeit eine diplomatische Anerkennung Israels durch Saudi-Arabien erfolgen kann. Bedingung sind substanzielle Schritte Richtung Palästina.
Deutschland und die EU standen den Abraham-Abkommen anfangs skeptisch gegenüber, war das ein Fehler?
Ja, das war eine klare politische Fehleinschätzung. Außer Ungarn haben alle EU-Staaten dieses Abkommen unterschätzt, weil es von US-Präsident Trump verhandelt wurden. Inzwischen merkt man, dass auch die Biden-Administration diesen Weg fortsetzt und die Abkommen die eigentlichen Game Changer in der Region sind. Das zeigt, wie wichtig es ist, von Schwarz-Weiß-Kategorien in der Außenpolitik Abstand zu nehmen und zu überlegen, wie der Nahostfriedensprozess wirklich wieder in Gang gebracht werden kann. Ich hoffe, dass wir da auf dem richtigen Weg sind.
Gehören Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien dazu, in ein Land mit Hunderten Hinrichtungen jedes Jahr, in ein Land, das 2018 den Journalisten Jamal Khashoggi ermorden ließ?
Der Fall Khashoggi ist natürlich einer, der so nicht akzeptabel war. Aber ich finde, man sollte nicht in der Vergangenheit leben, sondern anerkennen, dass sich Saudi-Arabien fundamental verändert, dass es den starken Einfluss der fundamentalistischen Religionswächter zurückgedrängt hat und in sehr vielen Bereichen auf dem Weg der Modernisierung ist. Dem hat ja auch die Bundesregierung Rechnung getragen: Im Koalitionsvertrag der Ampel heißt es noch, dass keine Rüstungsexporte in Länder, die am Jemenkrieg beteiligt sind, erfolgen dürfen. Nun ist Deutschland mit der Fregatte Hessen selbst daran beteiligt, Angriffe auf westliche Schiffe zu verhindern und Briten und Amerikaner bombardieren mit lobender Unterstützung der deutschen Außenministerin Huthi-Stellungen in Jemen.
Das heißt, die Bundesregierung ist aus Ihrer Sicht lernfähig?
Ja, das ist sie, auch wenn sie eine Wendung um 180 Grad im Vergleich zum Koalitionsvertrag vollzogen hat. Das zeigt, dass wir den Konflikt etwas differenzierter betrachten müssen, als dies zu Zeiten des Koalitionsvertrags 2021 gemacht wurde. Die Waffenlieferung der Bundesregierung nach Saudi-Arabien sind richtig, denn das Land ist unter anderem durch die vom Iran bezahlten Huthi im Jemen bedroht und garantiert Stabilität in der Region.
Staatliche Förderung und strategische Steuerung von Schlüsseltechnologien der deutschen Wehrwirtschaft sind weitgehend unterentwickelt und allenfalls suboptimal aufgestellt. Zu diesem Schluss kommt die zweite Studie zur Lage der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI). Deren Zusammenfassung liegt Table.Briefings exklusiv vor.
Demnach fließen die meisten Forschungsgelder in “Bereiche, in welchen die deutsche SVI bereits über starke Kompetenzen verfügt, wie Sensorik, den Fahrzeugbau, oder den Marineschiffbau”, heißt es in dem von Wirtschaftsminister Robert Habeck in Auftrag gegebenen Papier, das die Beratungsagenturen Oliver Wyman und IW Consult erstellt haben. Vergleichsweise wenig Mittel fließen dagegen in Potenzialbereiche wie Elektronische Kampfführung und Künstliche Intelligenz.
Die erste SVI-Studie erschien 2015 und erfasste nur die klassische Verteidigungsindustrie – Panzerhersteller wie Rheinmetall und Marineschiffsbaufirmen wie Lürssen nebst ihrer Zulieferer-Netzwerke. Die neue Untersuchung bezieht das weite Feld der zivilen Sicherheitsindustrie mit ein. Dazu zählen Firmen, die Geräte zur Erfassung von Biometrie-Daten herstellen oder Lösungen zur Waldbrandbekämpfung anbieten.
70 Prozent der Wertschöpfung dieses Zweigs erbringen laut SVI-Studie jedoch kleine Wach- und Sicherheitsdienste. Die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie Deutschlands liege nicht im Bereich der Spitzentechnologie, sondern sei ein Niveau darunter, auf dem “hochwertiger Technik”, angesiedelt. Bayern erwirtschafte ein Drittel der Wertschöpfung. Im Westteil der Bundesrepublik werde nahezu die gesamte Patentleistung der deutschen Rüstungswirtschaft erbracht; Ostdeutschland spiele fast keine Rolle.
Während Deutschlands Wehrindustrie in den etablierten Rüstungssektoren international gut positioniert sei, liege sie in anderen Feldern “gegenüber der Weltspitze zurück”, so etwa bei:
Folgt man der Studie, ist eine zentrale Schwäche der deutschen Wehrindustrie, dass ihr Ökosysteme für die neuen Wehrtechnologien fehlen. Die Forschungsleistung läuft in Deutschland bis jetzt in etablierten Strukturen von Systemintegratoren wie KMW und Rheinmetall mit ihren Zulieferern. Praktisch keine Rolle spielen Start-ups. Solche, die auf die Streitkräfte spezialisiert sind wie in den USA, sind hierzulande kaum vorhanden.
Deshalb sollten Start-ups in Deutschland mit Aufträgen versorgt werden, um sie in das Ökosystem der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie einzubinden, empfehlen Oliver Wyman und IW Consult. Um die Innovation für die SVI anzutreiben, haben die Studienautoren zwei Vorschläge: Da die zivile Industrie heute Innovationstreiber sei, sollten zivile Forschungsprogramme für die militärische Forschung geöffnet werden. Zudem solle ein “Büro” eingerichtet werden, das zügig Forschungs- und Entwicklungsgelder bereitstellt sowie Aufträge zur Kleinserien-Produktion finanziert.
Die Wettbewerbsfähigkeit von Wehrtechnik “Made in Germany” sieht die Studie bei komplexen Produkten wie U-Booten, Fluggerät, Hochwertmunition und Sensorik. Im wichtigen Feld der Entwicklung von Hyperschall-Waffen und deren Abwehrsystemen ist die deutsche Industrie in beiden Konsortien vertreten, die im EU-Rüstungsprogramm “Twister” um die Entwicklung eines Interceptors gegen Hyperschallwaffen wetteifern.
Bei Robotik und Autonomie sowie aktiver Cyber-Abwehr habe sich die deutsche Industrie “anfänglich gut positioniert”. Doch inzwischen bedürfe es staatlicher Nachfrage, um diesen Sektor weiterzuentwickeln, damit internationale Wettbewerbsfähigkeit erreicht werde. Im wichtigen Bereich kleiner Drohnen für militärische Zwecke sieht die Studie “eine wachsende Kompetenz der deutschen Industrie als Effekt der Bundeswehr-Beschaffungsstrategie”. Beispiele für Drohnen deutscher Hersteller sind die Aufklärungsdrohne Mikado von AirRobot und die Vector-Drohne von Quantum Systems für das Kommando Spezialkräfte (KSK). Allerdings ist die UAV-Bewaffnung der Bundeswehr in Modellen und Stückzahlen bis jetzt überschaubar.
In der elektronischen Kampfführung – kurz EloKa – sieht die Studie ebenfalls noch Wachstumspotenzial für die deutsche Industrie. Hier müsse eine nationale Kompetenz aufgebaut werden. Kontext dürfte hierzu sein, dass die Nato-Staaten in der EloKa-Bewaffnung massiven Nachholbedarf haben. Die Bundeswehr ist hier mit ihrer angelaufenen Rüstung einer Eloka-Version des Eurofighters Vorreiter. Exportfelder mit erwarteter höherer Nachfrage, in denen die deutsche Wehrindustrie nicht stark aufgestellt sei, sind Cyber-Sicherheit und der Schutz von kritischer Infrastruktur.
Bei der Gestaltung der Rüstung Deutschlands reiche die ressortübergreifende Koordination in der Bundesregierung nur für ein einheitliches Lagebild, aber nicht für ein stringentes Handeln, so die Studie. Es fehle eine institutionelle Wissensbasis für schnelle Reaktionen. “Meist muss jede Fragestellung von Grund auf neu evaluiert werden”. Laut den Studienautoren würde eine “permanente Koordinierungseinheit” Sinn ergeben, um sicherheitspolitische Prozesse zu steuern. In der Fachwelt wird dieser Ansatz bereits seit längerem vorgeschlagen – oft unter dem Schlagwort “Rüstungskoordinator”. Andere Staaten wie Australien, Großbritannien und die USA koordinierten ihre Wehrindustrien zum Erreichen außenpolitischer Ziele über nationale Sicherheitsräte, so die SVI-Studie – “bislang eine verpasste Chance für die Bundesrepublik Deutschland”. Björn Müller
Die Lage im vom Krieg gebeutelten Sudan wird immer kritischer. Nun dauern die Kämpfe, die in weiten Teilen des nordostafrikanischen Landes geführt werden, schon ein Jahr. Seit dem 15. April 2023 wurde ein Großteil der Hauptstadt Karthum zerstört. Von mehr als 15.000 Toten ist die Rede. “Die Lage im Land ist derzeit eine der schwersten humanitären Notlagen weltweit”, sagt Marius Schneider, Sudan-Büroleiter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) zu Table.Briefings.
Die EU, Frankreich und Deutschland haben für kommenden Montag in Paris die Geberkonferenz International Humanitarian Conference for Sudan and its Neighbours initiiert. Die Internationale Gemeinschaft wird über finanzielle und humanitäre Hilfe beraten und die Wiederaufnahme der Friedensgespräche in Dschidda in Saudi-Arabien zementieren, die laut den USA für den 18. April angestrebt werden.
Anfang dieser Woche hatten Sondergesandte aus Frankreich, Norwegen, Großbritannien, den USA und der EU nach einem Treffen in der norwegischen Hauptstadt Oslo die Kriegsparteien aufgefordert, die Kämpfe einzustellen und “einen vollständigen und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe zu gewährleisten, um das zunehmende Risiko einer Hungersnot zu mindern”. Die Gesandten begrüßten die mögliche Wiederaufnahme der Friedensgespräche. Diese müssten, so US-Sondergesandter Tom Perriello, “inklusiv” sein und die Afrikanische Union (AU), den ostafrikanischen Block Intergovernmental Authority on Development (IGAD), Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate miteinbeziehen. “Wir brauchen die Partner im Raum, die notwendig sind, um diesen Krieg zu beenden.”
Vor einem Jahr hatten kämpferische Auseinandersetzungen zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) unter dem Kommando von General Abdel Fattah al-Burhan und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) unter Mohammed Hamdan Dagalo begonnen. Die RSF versuchen seitdem, ihre Kontrolle im Sudan auszuweiten. Den Rebellen, die über rund 100.000 Kämpfer verfügen sollen, werden enge Beziehungen zu Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten nachgesagt. Es geht ihnen um Zugang zu den lukrativen Gold-, Uran- und Diamantenminen.
Die humanitäre Lage im Land hat sich inzwischen dramatisch zugespitzt. Das Office of the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) der Vereinten Nationen berichtet von 8,2 Millionen Menschen, die vertrieben wurden, und die Zahl steigt stetig. Mehr als 600.000 Menschen haben im benachbarten Tschad Zuflucht gesucht. Es sei eine “katastrophale Ernährungsunsicherheit” zu erwarten. Laut der Nichtregierungsorganisation “Save the Children” könnten bis zu 230.000 Kinder, schwangere Frauen und junge Mütter sterben. “Die Situation hat den Siedepunkt erreicht”, so Arif Noor, Sudan-Länderdirektor. Lediglich 2,3 Millionen Menschen habe seit Beginn des Jahres lebensrettende Hilfe erreicht. “Die Kämpfe im Sudan verursachen massive Nahrungsmittelengpässe und Hunger”, betont DRK Vertreter Schneider. Aus Sicherheitsgründen muss das DRK die humanitären Maßnahmen meist aus Kenias Hauptstadt Nairobi koordinieren.
“Viele der betroffenen Menschen sind kaum zu erreichen”, sagt Schneider. Das volle Ausmaß der humanitären Situation sei aufgrund der äußerst schlechten Informationslage kaum ersichtlich. “Eine Entspannung des bewaffneten Konflikts und sicherer Zugang für Helferinnen und Helfer sind nötig, damit auch internationale Hilfe die Menschen erreichen kann, die sie am dringendsten benötigen.”
Ein Großteil der kritischen Infrastruktur ist inzwischen geplündert oder komplett zerstört worden. Landwirte wurden gezwungen, ihr Ackerland aufzugeben. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind um mehr als 80 Prozent gestiegen. Ein Bericht der Vereinten Nationen von Februar wirft beiden Kriegsparteien Kriegsverbrechen vor. Darunter sind Angriffe gegen Zivilobjekte wie Krankenhäuser, Märkte und Flüchtlingscamps. Die Mitarbeiter von mehr als 3.000 humanitären Organisationen, darunter über 100 aus dem Ausland, mussten wegen der Kämpfe das Land verlassen.
Ende Januar hatte Außenministerin Annalena Baerbock Ostafrika besucht und für einen Fünf-Punkte-Plan geworben, der unter anderem mit gezielten Sanktionen, internationaler Vermittlung und Unterbindung militärischer Hilfe den Druck auf die Konfliktparteien erhöhen sollte. Sie erreichte nichts. Anfang März setzte sich UN-Generalsekretär António Guterres für ein Ruhen der Waffen während des Ramadan ein, was die sudanesischen Streifkräfte nicht akzeptierten, da die RSF noch zivile Objekte besetzt halte. Von Seiten der RSF wurde eine Waffenruhe begrüßt. China, neben Russland ein wichtiger Partner des Sudan, rief im März zum Frieden auf.
Im vergangenen Jahr hatten die USA zusammen mit Saudi-Arabien mehrere Waffenstillstände in Dschidda zwischen den Kriegsparteien ausgehandelt, die aber alle aufgrund konkurrierender internationaler Friedensbemühungen scheiterten. Der AU wird derweil Unfähigkeit vorgeworfen, auf die Kriegsparteien mäßigend einzuwirken, obwohl sie im Januar ein hochrangiges Gremium ernannt hatte, in dem regionale und globale Akteure an einer Lösung arbeiten. Vor zwei Monaten hatten die Vereinten Nationen um insgesamt 4,1 Milliarden US-Dollar gebeten, um die humanitäre Krise im Sudan und den Nachbarländern einzudämmen. Bisher sind lediglich rund fünf Prozent dieser Summe zusammengekommen.
Der frühere Botschafter der USA in Deutschland, Richard Grenell, hat die Blockade der Militärhilfen an die Ukraine durch die Republikaner im Kongress verteidigt und einen Friedensplan für die Ukraine gefordert. “Ich glaube, dass es immer eine Alternative zum Krieg gab. Wir haben noch andere Werkzeuge im Werkzeugkasten”, sagte Grenell im Podcast von Table.Briefings. “Das Problem ist, dass wir keinen Friedensplan von den Nato-Ländern gesehen haben. Wir haben keinen Friedensplan von Amerika gesehen. Wir haben keinen Friedensplan von den Deutschen gesehen.”
Im laufenden Präsidentschaftswahlkampf in den USA ist Ex-Botschafter Grenell einer der wichtigsten außenpolitischen Berater von Donald Trump. Laut dessen Sohn Donald Trump Jr. ist Grenell ein “Top-Kandidat” für das Amt des Außenministers.
Der Krieg in der Ukraine sei auch ein Versagen der Diplomatie gewesen. “Ich glaube, Anthony Blinken hätte in sein Flugzeug steigen sollen, die Außenminister aus Europa holen, und versuchen, dieses Problem zu lösen, bevor wir in den Krieg ziehen. Wir wurden mehrfach gewarnt, dass dieser Krieg kommen würde, und die Diplomaten haben nicht genug getan.”
Grenell hält eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine für sinnvoll und ein Friedensplan müsse die Ukraine als souveränen Staat absichern. “Wir müssen über die Nato-Mitgliedschaft sprechen. Wir müssen über territoriale Integrität sprechen.” Sorgen der Deutschen, dass ein möglicher Präsident Donald Trump die Nato abwickeln würde, stellt er sich entgegen. “Trump hat die Nato stärker gemacht. Man kann nicht Amerika oder den Amerikanern die Schuld geben, die es leid sind, den größten Teil der Last zu tragen. Wir sollten keine neuen Mitglieder in die Nato aufnehmen, die nicht in der Lage sind, ihre 2-prozentige Verpflichtung zu erfüllen.” Nichts untergrabe die Nato mehr als Länder, die sich im Krisenfall nicht beteiligen können. brö
Die Bundeswehr hat bereits jetzt zu wenig Soldaten, um die von Deutschland zugesagten Verpflichtungen der Nato zu erfüllen – und wird langfristig ihre Aufgaben mit weniger als einer Viertelmillion aktiver Soldatinnen und Soldaten nicht erfüllen können. Vor allem für die sogenannten Enabler zur Unterstützung der Kampftruppen, aber auch für die Organisation des Aufmarsches alliierter Truppen an die Ostflanke der Allianz werde eine zusätzliche fünfstellige Zahl von Soldaten mit entsprechender Ausstattung nötig sein, sagt der Inspekteur der Streitkräftebasis, Generalleutnant Martin Schelleis.
Schelleis verwies bei einem Kongress der Unionsfraktion im Bundestag am Mittwoch auf die Planungen der Nato für die Bereitstellung einer größeren Zahl einsatzbereiter Truppen. Bereits jetzt ergebe sich damit rechnerisch aus dem Fähigkeitsprofil der Bundeswehr ein Bedarf von 240.000 Soldaten. Selbst die eigene Planung der deutschen Streitkräfte sehe dagegen nur ein Ziel von 203.000 Soldatinnen und Soldaten bis zum Jahr 2031 vor. Tatsächlich bleibt die faktische Personalstärke der Bundeswehr mit derzeit rund 181.000 auch dahinter weit zurück.
“Wir haben von den Personalzahlen noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht”, sagte Schelleis. “Die 203.000 […] ist nicht etwa die auskömmliche Grenze von Personal, sondern eine willkürlich vor fünf Jahren eingeschriebene Zwischengröße.” Der Generalleutnant, dessen militärischer Organisationsbereich Streitkräftebasis nach der Strukturreform von Verteidigungsminister Boris Pistorius in einem Unterstützungsbereich aufgehen soll, beklagte vor allem einen Mangel an Personal und Gerät für die Aufgaben, die der Kampftruppe ihren Einsatz erst ermöglichen sollen.
Die Situation werde sich noch verschärfen, wenn die Nato über die bisherige Planung hinaus detaillierte Anforderungen für Regionalpläne zur Verteidigung der osteuropäischen Bündnismitglieder in Kraft setze, warnte Schelleis. Das könne noch einmal um 30 Prozent steigende Anforderungen an Deutschland bedeuten. Zudem sei die nötige Unterstützung für den Durchmarsch hunderttausender Soldaten aus anderen Nato-Staaten durch Deutschland nicht in die Berechnungen einbezogen.
Schelleis hatte in der Vergangenheit mehrfach darauf hingewiesen, dass die deutschen Pläne für die Anforderungen der Nato, unter anderem eine einsatzbereite Division bereits im kommenden Jahr zu stellen, ohne einen Ausbau der Unterstützungskräfte nicht möglich seien. “Die Schere zwischen Wirkung und Unterstützung weitet sich”, warnte der SKB-Inspekteur im September vergangenen Jahres bei einer Veranstaltung des Rüstungskonzerns Rheinmetall. “So ist die nationale Ambition nicht realisierbar.” Dabei gehe es nicht um Gefechtsfahrzeuge wie Panzer, sondern um Lastwagen oder Straßentankwagen. tw/wp
Bundeskanzler Olaf Scholz hat der Bundeswehr am Donnerstagabend bei einem Abschlussappell auf dem Paradeplatz des Bundesverteidigungsministeriums für Ihre Einsätze in Mali gedankt. Vor den rund 500 geladenen Gästen gedachte der Bundeskanzler zudem mit einer Kranzniederlegung am Ehrenmal der Bundeswehr den im Einsatz gefallenen Soldatinnen und Soldaten.
Seit rund zehn Jahren war die Bundeswehr mit der UN-Friedensmission Minusma sowie der Ausbildungsmission EUTM Mali in dem westafrikanischen Land engagiert. Im vergangenen Jahr hatte die Militärjunta in Mali den Abzug der Minusma-Friedenstruppen bis Ende 2023 gefordert. Als Grund nannte die Militärregierung seinerzeit ausbleibende Erfolge der UN-Mission im Kampf gegen den in der Region zunehmenden islamistischen Terrorismus. Stattdessen setzt die Junta auf eine engere Militärkooperation mit Russland und geht immer radikaler gegen militärische Gegner vor. Per Dekret hat die Militärjunta jetzt auch sämtliche Aktivitäten politischer Parteien und Vereinigungen bis auf Weiteres verboten. Mitte Dezember waren die letzten deutschen Blauhelmsoldaten in Deutschland gelandet. In dem Einsatz verloren zwei deutsche Soldaten bei einem Hubschrauberabsturz ihr Leben.
Indes ringt die Bundesregierung weiterhin um eine neue Strategie in der politisch instabilen Sahel-Region. Im März sprach sich Verteidigungsminister Boris Pistorius auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung für eine Fortführung des deutschen Engagements im Niger, dem Nachbarland Malis, aus – auch in Form von deutschen Militärberatern und des Lufttransportstützpunkts in Niamey. Über diesen von der Bundeswehr betriebenen Luftwaffenstützpunkt wurde zunächst auch der Abzug der Bundeswehr aus Mali organisiert. Im Niger kam es im Juli 2023 ebenfalls zu einem Militärputsch.
Die Kooperation mit der Putschregierung im Niger, der bis zum Machtwechsel eigentlich als letzter Verbündeter des Westens in der Region galt, gestaltet sich schwierig. Im März kündigte die Junta die Militärkooperation mit den USA auf. Zuvor hatten bereits die Franzosen ihr militärisches Personal abziehen müssen. Anders hingegen Italien, das signalisiert hat, die Kooperation mit den Machthabern im Niger aufrechterhalten zu wollen. Auch Italien ist noch mit Soldaten vor Ort vertreten.
Immer unmöglicher scheint eine weitere Kooperation mit der Regierung in Mali. Die Junta verbot dort in dieser Woche jegliche politische Aktivitäten von Parteien und Vereinigungen. Auch die Presse darf in Mali nicht mehr über politische Aktivitäten berichten. dre
Stiftung Wissenschaft und Politik: Trump II und die nukleare Rückversicherung der Nato. Dass Donald Trump die nukleare Rückversicherung für Europa bei einem Wahlsieg aufkündigt, wäre das letzte Opfer, nicht das erste, heißt es in dem achtseitigen Briefing. Aus Trumps Beraterstab spreche sich niemand dafür aus und nukleare Proliferation in Europa würde den Einfluss der USA deutlich schwächen. Europa solle dennoch die konventionelle Verteidigung stärken.
ECFR: Forget about Trump: Why Europeans should start worrying about trade tensions with emerging economies. Entwicklungsländer konzentrieren sich zunehmend auf ihre eigenen Interessen und stellen sich vermehrt gegen die Handelspolitik der EU, nicht zuletzt aufgrund des europäischen CO₂-Grenzausgleichssystems. Ein Beispiel sei Indien, das sich bei der 13. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation in Abu Dhabi gegen eine Reihe von Einwänden und Reformen stellte, unter anderem gegen ein globales Investitionsabkommen. Die EU solle Handelsstrategien länderspezifisch anpassen.
IWF: Changing Global Linkages: A New Cold War? Der IWF liefert neue Erkenntnisse über Handels- und Investitionsfragmentierung entlang geopolitischer Linien seit Russlands Invasion der Ukraine und vergleicht diese mit den historischen Erfahrungen aus den frühen Jahren des Kalten Krieges. Wahrend das Ausmaß der Fragmentierung derzeit noch relativ klein sei, könnte sie sich erheblich vertiefen, sollten die geopolitischen Spannungen anhalten und Handels-restriktive Maßnahmen ausgeweitet werden. Das lege die Entkopplung zwischen den rivalisierenden geopolitischen Blöcken während des Kalten Krieges nahe.
Die Zeit: Das Gesicht des Krieges. Der Sprecher der israelischen Armee, Daniel Hagari, wird “von den meisten Israelis geliebt”, schreibt der Zeit-Autor, der mit Hagari studiert hat. Nahaufnahme des Soldaten, der Israels Sicht auf den Krieg in Gaza der Welt präsentiert.
Deutschland muss sich auf das Handling möglicher zukünftiger Konflikte vorbereiten. Es bedarf eines “sicherheitspolitischen Gesellschaftsvertrages” unter Einbeziehung der Bundesregierung und der Landesregierungen mit einer Laufzeit von einer Dekade, schrieben dazu Christian Mölling und Torben Schütz (beide Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Anm. d. Red.) in einem Papier anlässlich des “Rüstungsgipfels” im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz Ende März.
Diese “langen zehn Jahre” erscheinen als ein mehr als realistisch berechneter Zeitraum, wenn wir den derzeitigen Zustand der Gesamtverteidigung als Ausgangspunkt wählen. Vor einigen Wochen war ich mit dem Bundesminister der Verteidigung, Boris Pistorius, in Schweden, Norwegen und Finnland unterwegs; insbesondere Schweden und Finnland können konzeptionell als Mutterländer der Gesamtverteidigung betrachtet werden. Welche Gedanken scheinen geeignet, um – unter Berücksichtigung eines anderen Staatsaufbaus – auch in einer deutschen Neuaufstellung der Gesamtverteidigung Berücksichtigung zu finden?
An dieser Stelle möchte ich drei aus meiner Sicht tragende Gedanken benennen.
Johannes Arlt vertritt die SPD-Bundestagsfraktion im Verteidigungs- und Wirtschaftsausschuss.