betrachtet man den Zustand von Schutzbunkern in Deutschland, spricht man mit Fachleuten zum Thema Cybersicherheit, so wird schnell klar, dass die Zeitenwende noch lange nicht eingetroffen ist. Nana Brink analysiert, wie es um das Schutzraumkonzept hierzulande steht. Und Wilhelmine Preußen schreibt, wie autoritäre Regime und private Cyber-Kriminelle zusetzen.
Warum es zuweilen schwierig ist, das Thema Sicherheit politisch zu priorisieren, verdeutlicht die Analyse von Anouk Schlung. Sie schreibt über das Dilemma, dass kritische Rohstoffe für die grüne Transformation der europäischen Wirtschaft gebraucht werden – aber auch in der Verteidigungsindustrie.
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Rund 2.000 Bunker und Schutzräume gab es in Deutschland im Kalten Krieg; davon sind noch 579 mit insgesamt 477.593 Schutzplätzen vorhanden. “Theoretisch”, müsste man hinzufügen. Denn diese Zahlen täuschen, wie der Sprecher der Bundesanstalt für Immobilienaufgabe (BImA), Thorsten Grützner, im Gespräch mit Table.Briefings einräumt: “Derzeit stehen uns keine einsatzbereiten öffentlichen Schutzräume zur Verfügung.” Die BImA war bislang für Schutzräume zuständig. Seit kurzem hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) die Verwaltung übernommen und arbeitet an einem neuen Konzept.
Eines jedoch steht fest, wie BBK-Präsident Ralph Tiesler kürzlich sagte: “Der flächendeckende Bau von Bunkeranlagen ist teuer, zeitaufwändig und nicht zielführend.“ Das Fehlen eines schlüssigen Konzepts allerdings müsse offen kommuniziert werden, fordert Henning Goersch, Professor für Gefahrenabwehr und Bevölkerungsschutz an der FOM Hochschule für Ökonomie & Management in Münster: “Katastrophenschutz darf keine Geheimwissenschaft sein.”
Die meisten der in den 1960er- und 1970er-Jahren gebauten Schutzräume sind Hoch- oder Tiefbunker. Zu den öffentlichen Schutzräumen zählen auch Tiefgaragen und U- oder S-Bahnhöfe, die nicht im Besitz des Bundes sind. Sie gehören Kommunen oder Unternehmen und stehen aber über die sogenannte Zivilschutzklausel im Krisenfall der Öffentlichkeit zur Verfügung. Aufgelistet werden allerdings nur die Bunker im Westen Deutschlands. Laut BImA wurden “die im Ostteil Deutschlands bestehenden Schutzräume nach der Wiedervereinigung nicht in das Schutzraumkonzept des Bundes übernommen”.
Nach Ende des Kalten Krieges sind die Bunkeranlagen in Vergessenheit geraten. Auch offiziell: Im Jahr 2007 wird die Erhaltung öffentlicher Schutzräume eingestellt. Ein konventioneller Krieg in Europa scheint nicht mehr denkbar. Erst nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat das Bundesinnenministerium sowohl das BBK als auch die BImA mit einer Bestandsaufnahme der vorhandenen Bunker beauftragt. Eine der wesentlichen Erkenntnisse: Eine Reaktivierung der 579 noch vorhandenen Bunker ist “grundsätzlich möglich”.
Entscheidend dafür ist, laut BBK, die Erarbeitung eines neuen Schutzkonzepts. Man müsse wissen, wogegen die öffentlichen Anlagen Schutz bieten sollten. Es sei ein Unterschied, ob man von einem atomaren Angriff ausgehe oder – wie in der Ukraine zu sehen – die Bevölkerung vor den Auswirkungen von Raketenangriffen schützen müsse. BBK-Präsident Tiesler hält letzteres für machbar: “Die Schutzräume könnten so hergerichtet werden, dass sie den Menschen Splitter- und Trümmerschutz bieten. Auch in Privathäusern – in Kellern oder anderen geeigneten Räumen – ist eine Minimalschutzvorkehr möglich.”
Dies hält auch André Berghegger, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, für zwingend notwendig. Zu Table.Briefings sagt er: “Es ist dringend notwendig, stillgelegte Bunker wieder in Betrieb zu nehmen.” Außerdem müssten neue, moderne Schutzräume gebaut werden. In Ballungszentren könne man auch Tiefgaragen und U-Bahn-Schächte nutzen. Klar sei aber auch, dass die Mittel dafür nicht allein den Städten und Kommunen aufgebürdet werden könnten. “Sie müssen aus dem regulären Bundeshaushalt kommen.” Berghegger rechnet mit mindestens einer Milliarde pro Jahr und das über zehn Jahre hinweg. Dies sei aber auch nur eine Anschubfinanzierung.
Es müsse eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit über ein neues Schutzkonzept geführt werden, meint Martin Voss, Leiter der Krisen- und Katastrophenforschungsstelle an der Freien Universität Berlin. Man kann ein “potenzielles Kriegsgeschehen in Deutschland” nicht mehr ausschließen und deshalb “müssen wir uns auch für diesen Verteidigungsfall präparieren”. Auf alte Bunkeranlagen oder Neubauten zu setzen, hält Voss für unrealistisch, denn “man würde da über zig Milliardenbeträge reden und einen Bauzeitraum von 15 bis 20 Jahren”. Entscheidend seien schnell aktivierbare Schutzräume wie U-Bahnhöfe oder Tiefgaragen.
Ein neues Schutzkonzept muss auch die Frage einschließen: Wer darf überhaupt in einen Bunker? Die vorhandenen Bunker können theoretisch – wenn sie denn saniert wären – rund 500.000 Menschen aufnehmen. Viel wichtiger ist deshalb, so Katastrophenforscher Voss, “die Information und Kommunikation mit der Bevölkerung”. Dazu bräuchte es professionelle Kommunikatoren seitens der Behörden, fordert Krisen-Experte Goersch. Viele Verantwortliche scheuen das Thema, weil sie befürchten, Panik in der Bevölkerung auszulösen: “Das ist grundfalsch. Es ist empirisch nachgewiesen, dass die Menschen sehr wohl verantwortungsbewusst reagieren” (siehe Grafik).
Die Bundesregierung macht immer öfter öffentlich Akteure wie Russland oder China für Cyberangriffe verantwortlich. Im Falle der Cyberspionageoperation auf das Bundesamt für Kartografie und Geodäsie im Jahr 2021 hat die Bundesregierung jüngst sogar den chinesischen Botschafter einbestellt. Aber diese härteren diplomatischen Maßnahmen allein werden die Cyberangriffe in Zukunft nicht verhindern, warnen Experten.
Das liegt auch an der zunehmenden Professionalisierung von Cyberspionage durch private Unternehmen. Ein Leak mit Daten der chinesischen Hackerfirma i-Soon hat im Februar einen seltenen Einblick in die Vorgehensweise von Advanced Persistent Threats (APT)-Gruppierungen in China und das Zusammenspiel privater und staatlicher Akteure gegeben und damit große Aufmerksamkeit erzeugt.
Jetzt hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in vier Teilen zu den sogenannten i-Soon-Leaks seine eigene Analyse der zur Verfügung gestellten Chats, Werbematerialien und Präsentationen des Unternehmens veröffentlicht. Im ersten Teil geht es um die Organisation und Methoden der i-Soon Advanced Persistent Threat Einheiten, im zweiten und dritten Teil um die Verbindungen zum chinesischen Sicherheitsapparat und die konkreten Angriffsziele. Der letzte Teil erscheint am Donnerstag, 22. August.
Die Reihe des BfV ist teilweise sicherlich als Werbemaßnahme für den Verfassungsschutz selbst zu verstehen, sie dient aber auch als Sensibilisierungsmaßnahme. In deutschen Vorständen von Unternehmen, Universitäten oder Forschungseinrichtungen, aber auch in Ministerien und Behörden soll endlich bewusst werden, was in Expertenkreisen lange bekannt ist: Chinesische Sicherheitsbehörden spionieren im Cyberraum mit der Hilfe von hoch professionalisierten privaten IT-Dienstleistern. Operationen werden von langer Hand und gezielt geplant. Eine Zuordnung der einzelnen Cyberoperationen wird immer herausfordernder. Was aus den Daten auch deutlich wird: i-Soon ist kein Einzelakteur, sondern agiert in einem florierenden chinesischen Cyberökosystem.
Die Bundesregierung sollte die Lehre daraus ziehen, dass politische Verurteilungen allein “nichts bringen”, warnt Dennis-Kenji Kipker, Forschungsdirektor und Mitgründer des Cyberintelligence Institute in Frankfurt. Klar ist, dass Unternehmen wie i-Soon nicht nur für die chinesische Zentralregierung arbeiten, sondern für den, der sie bezahlt. Es entsteht ein “Marktwert von Cyberangriffen”, sagt Kipker.
Die öffentliche Verwaltung in Deutschland müsse sich deswegen auf technischer Ebene um ihre Cybersicherheit kümmern, betont er. Das habe man mit dem Kabinettsentwurf zur Umsetzung der NIS2-Richtlinie für Cybersicherheit der EU versäumt, indem man “umfassende Bereichsausnahmen” in den Gesetzentwurf eingearbeitet habe. Die öffentliche Verwaltung jenseits der Bundesebene bleibt in der deutschen Umsetzung jenseits von NIS2 explizit ausgenommen.
Die Leistungen der Hackerfirmen decken sich laut dem BfV in der Regel mit dem Informationsbedürfnis der chinesischen Staatsagenda: Sie attackieren Netzwerke von Regierungsstellen, internationalen Organisationen und Firmen, die relevant sind. Die Dokumente zeigen, wo die Interessen der chinesischen Behörden liegen und was sie bereit sind, dafür zu zahlen. Angaben umfassen sowohl Zielentitäten als auch Vertragsdetails zu konkreten Produkten und Dienstleistungen. Zugangsdaten für das FBI-Netz werden beispielsweise für 13.000 und 20.000 Euro angeboten.
Zu den Spionagezielen gehörten auch die Kommunikation von Nato-Chef Jens Stoltenberg, britische Regierungs- und Aktivistenorganisationen oder Mitarbeiter von französischen Elite-Universitäten. Deutsche Ziele nennt die Analyse in dem speziellen Fall nicht, aber der Datensatz hat große Relevanz für die hiesigen Sicherheitsbehörden und die deutsche Spionageabwehr.
“Diese Art von Cyberspionage durch staatlich affiliierte Unternehmen ist ein typisch chinesisches Muster, gerade auch im Vergleich zu Russland, das noch stärker auf den historisch gewachsenen Cyberkriminalitätssektor setzt”, sagt Kerstin Zettl-Schabath, Cyber-Konfliktforscherin bei der European Repository of Cyber Incidents (EuRepoC) von der Universität Heidelberg.
China geht es nicht unbedingt darum, mit einer Ransomware-Attacke Infrastruktur lahmzulegen oder Lösegeld zu erpressen. Es geht vielmehr um hochrangige Ziele und dann in Rücksprache mit dem Kunden auch um Angriffe. Systematisch analysiert das Land auch die Schwachstellen seiner potenziellen Spionageziele, um im Bedarfsfall größtmöglichen Schaden anrichten zu können.
Die öffentliche Zuschreibung von Cyberangriffen sei ein “erster richtiger Schritt”, sagt Zettl-Schabath. “Wenn öffentlich nicht adressiert wird, dass China regelmäßig Normen verletzt, können diese letztlich auch nicht internalisiert werden.” Aber auch die Expertin drängt darauf, dass Unternehmen und Behörden ihr technisches Schutzniveau stärken müssen, um sich gegen diese Art von Akteuren bestmöglich abzusichern.
Die politischen Leitlinien Ursula von der Leyens für die nächste Europäische Kommission lassen keine Zweifel: Die im Juli vom Europäischen Parlament wiedergewählte Kommissionspräsidentin will die Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie zu einem der Schwerpunkte ihrer zweiten Amtszeit machen. Anders als noch 2019, als sie mit dem European Green Deal (EGB) auf eine Stärkung umweltfreundlicher Industrien setzte, steht die grüne Transformation bis 2029 nicht mehr ganz oben auf ihrer Agenda.
Diese Prioritätenverschiebung macht sich auch beim Umgang mit kritischen Rohstoffen bemerkbar. Zielte der Green Deal von 2019 noch darauf ab, diese in Hinblick auf ihren Nutzen für eine grüne Transformation zu identifizieren, so ist dieses Ziel durch neue Initiativen verwässert worden; unter anderem durch den Green Industrial Plan 2023 und den im März vom Europäischen Rat angenommenen Critical Raw Materials Act (CRMA).
Zu diesem Schluss kommt ein Policy Paper, welches das Transnational Institute (TNI), das von der University of Sussex unterstützte Forschungsprojekt Mapping (De)Globalisation und Greenpeace Deutschland im Juli vorlegten. Das Papier setzt sich kritisch mit dem Umgang mit Niob auseinander. Niob ist ein seltenes Metall, das vor allem in der Stahlproduktion zum Einsatz kommt. Auch in der Luft- und Raumfahrtindustrie wird es verwendet – unter anderem bei der Herstellung von Triebwerks- und Turbinenschaufeln, Flugzeugrümpfen, Drohnen und Hyperschallwaffen.
Die Bemühungen, den Zugang von in der EU ansässigen Unternehmen zu dem als “kritisch” eingestuften Rohstoff sicherzustellen, liefen “Gefahr, Industrien zu unterstützen, die geopolitische Spannungen verschärfen, anstatt die grüne Industrialisierung voranzutreiben”, schreiben die Autoren. Hinzu komme ein “Mangel an Transparenz in Bezug auf die Zuteilung und Nutzung dieser Materialien”, was Bemühungen erschwere, “sie in Einklang mit der Klima-Agenda zu bringen”. Das nähre den Verdacht, dass “die grüne Agenda der EU auch als Deckmantel” für die Beschaffung kritischer Rohstoffe herhalte, “die für kohlenstoffintensive und militärische Zwecke verwendet werden – einschließlich Autos, Luft- und Raumfahrt sowie Waffen”.
Bereits seit 2011 wird Niob in der Liste der kritischen Rohstoffe der Europäischen Rohstoffinitiative aufgeführt – in erster Linie, um auf den enormen Bedarf an dem seltenen Metall bei der Produktion von Stahl aufmerksam zu machen. Mehr als 90 Prozent der weltweiten Niob-Vorräte flössen in die Stahlherstellung, heißt es in dem Papier, eine Nutzung also “überwiegend für Zwecke, die wenig mit der Green Transition zu tun haben“. Die “zentrale Rolle”, die Niob “bei militärischen Technologien, einschließlich Hyperschallraketen und Abfangsystemen” einnehme, unterstreiche dessen “strategische Bedeutung über grüne Initiativen hinaus”.
Rund 80 Prozent des weltweit abgebauten Niobs werden vom brasilianischen Unternehmen CBMM gefördert und weiterverarbeitet, sodass EU-Unternehmen bislang vollständig von Einfuhren abhängig sind. Zwar gibt es kleine Vorkommen auch in Finnland, Frankreich und Portugal, doch ob diese eines Tages erfolgreich abgebaut werden können, ist unklar. Weitere Länder mit nennenswerten Niob-Reserven sind – neben der Demokratischen Republik Kongo und Russland – Kanada, wo Schätzungen zufolge 1.600.000 Tonnen im Erdboden lagern, sowie die USA mit 170.000 Tonnen an Reserven; die Reserven Brasiliens sollen sich auf 16.000.000 Tonnen belaufen.
“Diese Abhängigkeiten zu reduzieren, ist derzeit nicht möglich“, sagte die Europaabgeordnete Hildegard Bentele (CDU), Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie, zu Table.Briefings. Da die Vorkommen in Russland und der Demokratischen Republik Kongo nicht geeignet seien, “sinnvolle Importalternativen zu bieten”, gehe es darum, die Lieferbeziehungen mit Brasilien und Kanada “weiter abzusichern und gegebenenfalls in Handelsabkommen einzubeziehen”. Bis 2030 sollen laut Critical Raw Materials Act der EU maximal 65 Prozent aus einem einzigen Drittland importiert werden dürfen. Im Fall von Niob wird das kaum möglich sein.
Auch Bentele spricht sich dafür aus, dass Automobil- und Luftfahrtindustrie “eine entscheidende Rolle im Bereich der grünen Industrie spielen müssen”. Die Verfasser des Niob-Papiers gehen aber einen Schritt weiter und fordern “mehr Transparenz, um sagen zu können, welche Rohstoffe strategisch wichtig für die Green Transition sind“, so Philip Steeg, einer der Autoren, zu Table.Briefings. Ein erster Schritt bestünde darin, den Nutzen der im Green Deal Industrial Plan der EU aufgeführten kritischen Rohstoffe für eine grüne Transformation “genau zu spezifizieren”. Dazu müssten unter anderem Trackingsysteme eingerichtet werden, um sicherzustellen, dass ihre Endverwendung “mit den grünen Transformationszielen in Einklang” stehe.
Armin Papperger – Geschäftsführer von Rheinmetall
Der lauteste deutsche Rüstungs-CEO hat seinem Unternehmen seit Beginn des Kriegs in der Ukraine eine Versechsfachung des Aktienkurses beschert. Zu einem hohen Preis: Ohne Leibwächter kann sich Papperger nicht bewegen, Russland soll Anschlagspläne auf ihn vorbereitet haben. Mit dem Kauf des amerikanischen Rüstungszulieferers Loc drängt sein Unternehmen tiefer in den US-Markt, und mit dem Sponsoring des Bundesligisten Borussia Dortmund weiter in die gesellschaftliche Mitte.
Elisabeth Hauschild – Generalbevollmächtigte für Außenbeziehungen und Politik bei Diehl
Sie ist eine der ersten Frauen in der sicherheitspolitischen Bubble und 2003 Mitgründerin des bedeutenden sicherheitspolitischen Frauen-Netzwerks Women in International Security Deutschland (WIIS.de). Hauschild setzt sich für Diversität in der Branche ein und ist in Berlin bestens vernetzt. Seit 2004 ist sie für Diehl tätig und zuständig für die immer wichtiger werdenden Beziehungen nach außen.
Michael Schöllhorn – Geschäftsführer von Airbus Defence and Space
Er hat selbst Bundeskanzler Olaf Scholz dazu gebracht, sich im Airbus-Werk mit Fliegerjacke vor Eurofightern fotografieren zu lassen. Airbus ist derzeit am teuersten europäischen Rüstungsprojekt Future Combat Air System (FCAS) beteiligt. Schöllhorn kennt die Anforderungen an Fluggeräte durch seine zehnjährige Erfahrung als Bundeswehr-Offizier und Hubschrauberpilot. Den Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie vertritt er zusätzlich als Präsident.
Frank Haun – Geschäftsführer von KNDS
Haun hat KNDS zu einem zunehmend europäisch integrierten Rüstungskonzern gemacht. Nach der Zusammenführung der französischen und deutschen Panzerbauer Nexter und Krauss-Maffei Wegmann steht Haun der Holding mit Sitz in Amsterdam seit 2020 vor. Der Krieg in der Ukraine ist auch – so hart es klingt – Werbung für den Leopard-Panzer, den manche als den besten Panzer der Welt bezeichnen und den sein Unternehmen herstellt.
Hans Christoph Atzpodien – Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie
Der Cheflobbyist der deutschen Rüstungsindustrie wirkt im sicherheitspolitischen Berlin beinahe omnipräsent. Den 200 Unternehmen, die sein Verband vertritt, dient er als Sprachrohr in die Politik. In dem kürzlich publik gewordenen Entwurf der Rüstungsindustrie-Strategie der Bundesregierung scheint auch seine Handschrift durch.
Gundbert Scherf – Mitgründer und Co-Geschäftsführer von Helsing
Scherf half mit, Helsing zum ersten europäischen Rüstungs-Start-Up mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar zu machen. Mittlerweile wird der Unternehmenswert auf 4,5 Milliarden US-Dollar geschätzt. Das Unternehmen für KI in Waffensystemen hat es in lukrative Programme wie FCAS geschafft. Zuvor war Scherf McKinsey-Partner und Sonderbeauftragter im Verteidigungsministerium.
Cornelia von Ammon – Leiterin Politische Lobbyarbeit beim Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie
Lange als Pressesprecherin beim BDLI leitet sie seit Ende 2023 die Politische Lobbyplanung bei dem Verband. Damit vertritt sie die Interessen einer Branche mit mehr als 100.000 Beschäftigten. Gerade die militärische Sparte des Verbands gewinnt – wie bei der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung zur Schau gestellt – zunehmend an Bedeutung.
Thomas Gottschild – Geschäftsführer MBDA Deutschland
Im Vergleich zu anderen Rüstungs-CEOs eher zurückhaltend – laut muss er auch nicht auftreten. Die Raketen von MBDA werden in den kommenden Jahren genügend Abnehmer finden. Dass die europäischen Länder die Lücken in ihrer Luftverteidigung benennen, dürfte die Zukunft des Taurus-Herstellers aus Schrobenhausen gesichert haben. Gottschild setzt sich nüchtern für mehr Planungssicherheit auf Industrieseite ein.
Susanne Wiegand – Vorstandsvorsitzende Renk Group
Im Februar 2024 hat Susanne Wiegand den Getriebehersteller nach einem gescheiterten Versuch erfolgreich an die Börse gebracht. Die einzige Frau an der Spitze der größeren deutschen Rüstungshersteller nennt sich selbst “Alien in der Branche”. Trotzdem kennt sie den Sektor bestens, mit Stationen bei Rheinmetall und Thyssenkrupp Marine Systems.
Florian Seibel – Geschäftsführer und Gründer von Quantum Systems
Der frühere Luftwaffen-Offizier hat mit Quantum Systems in kurzer Zeit eines der bekanntesten deutschen Rüstungsunternehmen geschaffen. Der medial präsente CEO eröffnete mit Wirtschaftsminister Robert Habeck im April ein Werk in der Ukraine. Die ukrainischen Streitkräfte nutzen mehrere hundert Vector-Drohnen des 2015 gegründeten Unternehmens aus der Nähe von München.
Die Bundeswehr schickt vorerst kein Kriegsschiff zum Schutz der Handelsschifffahrt ins Rote Meer. Die Fregatte “Hamburg”, die für den Einsatz in der EU-Mission “Aspides” zum Schutz von Frachtern und Tankern vor Angriffen der Huthi-Milizen aus dem Jemen vorgesehen war, bleibt nach Angaben des Verteidigungsministeriums im Mittelmeer. Grund ist die angespannte Lage im Nahen Osten und ein möglicher Krieg an der Nordgrenze Israels.
Die EU hatte ihre Schutzmission vor genau einem halben Jahr begonnen. Wie in der von den USA bereits zuvor begonnenen “Operation Prosperity Guardian” sollen Kriegsschiffe die Raketen, Marschflugkörper und Drohnen abwehren, die von den Huthi auf Handelsschiffe im Roten Meer abgefeuert werden. Im Frühjahr hatte bereits die Bundeswehrfregatte “Hessen” in dieser Mission mehrere anfliegende Raketen und Drohnen zerstört. Die “Hamburg” war zunächst zum Schießtraining mit Lenkflugkörpern ins Mittelmeer vor Kreta ausgelaufen und hätte in Kürze “Aspides” verstärken sollen. Die Angriffe der von Iran unterstützen Huthi halten unvermindert an und sollen aus Sicht der Milizen den Kampf der Hamas im Gaza-Streifen gegen Israel ergänzen.
In der jüngsten Lage-Unterrichtung des Verteidigungsministeriums für den Bundestag heißt es, die deutsche Fregatte solle “aufgrund der aktuellen Lageentwicklung im Nahen und Mittleren Osten” vorerst im östlichen Mittelmeer bleiben. Dabei spielen vor allem Überlegungen für eine mögliche Evakuierung deutscher Staatsbürger aus dem Libanon eine Rolle. Ob die auf Luftverteidigung spezialisierte Fregatte auch zur Abwehr eines möglichen iranischen Angriffs auf Israel eingesetzt werden könnte, ist offen. Dafür wäre ein Mandat des Bundestages erforderlich. tw
Die Bundesregierung beendet zum 31. August auch die Torima-Mission zur Unterstützung militärischer Ausbildung in Niger. Das geht aus der Antwort auf eine kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen, die auch außenpolitische Sprecherin des Bündnis Sahra Wagenknecht ist, hervor. Diese lag Table.Briefings vorab vor.
Die Bundeswehr hatte sich seit dem 27. Januar 2023 an der Mission Torima (Taktisch-operativ regional integrierte Military Assistance) beteiligt. Seit dem Putsch in Niger Ende Juli 2023 war die Zusammenarbeit ausgesetzt. In der Vergangenheit unterstützte die Bundeswehr die Ausbildung von Spezialkräften in Tillia, nordöstlich von der Hauptstadt Niamey – bis Ende 2022 mit der Mission Gazelle.
Insgesamt bildete die Bundeswehr nach Angaben der Bundesregierung zwischen 2018 und 2023, ab 2021 im Rahmen der Trainingsmission der EU (EUTM Mali), etwa 800 Angehörige der Spezialkräfte der nigrischen Armee aus. Darunter waren rund 30 nigrische Ausbilder.
Die Bundeswehr gibt Ende August ihren Lufttransportstützpunkt in Niamey auf. Dieser hat rund 130 Millionen Euro gekostet, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort schreibt. Die Infrastruktur habe unmittelbar der Unterstützung des deutschen Einsatzkontingents der UN-Mission Minusma im benachbarten Mali gedient. lcw
Am 13. Tag des ukrainischen Vorstoßes auf russisches Territorium widmen russische Medien dem Thema weniger Aufmerksamkeit als dem innerdeutschen Streit über die Finanzhilfe für die Ukraine. Dabei ist es bis heute der russischen Armee nicht gelungen, das Vorrücken der Ukraine zu stoppen.
Für die kremltreuen Medien ist der Streit in der Ampel aber ein größeres Thema, ebenso die Berichte über Ermittlungen im Fall des Nord-Stream-Anschlags. “Es ist bemerkenswert, dass die Nachrichten über die Kehrtwende Berlins in Bezug mit der Militärhilfe für Kiew mit einem lauten Skandal (Anm. Nord-Stream-Ermittlungen) zusammenfielen”, schreibt die ehemals liberale Tageszeitung Kommersant und geht dabei von einem möglichen Zusammenhang beider Ereignisse aus. Deutschland würde der UN-Antiterrorismuskonvention nicht nachkommen und Russland Informationen zum Prozess vorenthalten, beklagt zudem das russische Außenministerium.
Diese medialen Nebelkerzen sollen offenbar von den Problemen in der Region Kursk ablenken. Ukrainische Truppen rücken dort weiter vor. Die russische Armeeführung setzt zur Abwehr stark auf Wehrdienstleistende, deren Aussagen inzwischen in zahlreichen Video aus der ukrainischen Gefangenschaft dokumentiert sind. Der Einsatz der Wehrdienstleistenden führt teilweise zu Protesten bei den Angehörigen der jungen Männer, von denen viele um die 20 Jahre alt sind. Kremlkritische Aktivisten in Russland, die Männer beraten, wie sie dem Wehrdienst legal entkommen können, berichteten Table.Media von “sehr vielen Hilfsanrufen” verzweifelter Eltern und Familienangehöriger, deren Söhne und Ehemänner in die Region Kursk entsandt werden.
Sollte die ukrainische Armeeführung gehofft haben, dass Russland einige Truppen aus der besetzten Region Donezk abzieht, um sie in der Region Kursk einzusetzen, so geht dieser Plan bisher nicht auf. Im Gegenteil: Im besetzten Donbass üben russische Truppen erheblichen Druck aus. Sie stehen bereits unweit der 65.000-Einwohner-Stadt Pokrowsk, die nun evakuiert wird. vf/at
Zum neunten Mal ist US-Außenminister Antony Blinken seit Beginn des Gaza-Krieges vor mehr als zehn Monaten in Israel. Er sprach in Tel Aviv von einem “entscheidenden Moment”, um die rund 115 verbleibenden Geiseln in Gaza im Gegenzug für die Freilassung palästinensischer Häftlinge zu befreien und eine Waffenruhe zu erzielen. Danach will er nach Ägypten weiterreisen, wo diese Woche weitere Gespräche von Unterhändlern zu speziellen Fragen stattfinden.
Premierminister Benjamin Netanjahu gab nach seinem dreistündigen Gespräch mit Blinken eine öffentliche Erklärung ab, in der er den jüngsten US-Vorschlag zur Überbrückung der noch offenen Fragen unterstützte. Die Hamas hatten den US-Vorschlag am Sonntagabend zurückgewiesen und Netanjahu vorgeworfen, “neue Bedingungen und Forderungen” zu stellen, um die Gespräche zu vereiteln und den Krieg in Gaza zu verlängern.
Die Gefahr eines regionalen Krieges scheint so groß wie lange nicht: Israel erwartet seit über zwei Wochen die Reaktion des Irans und der Hisbollah auf die Tötung des Hamas-Führer Ismail Hanija und des obersten Hisbollah-Militärkommandeur Fuad Schukr. Ein versuchter palästinensischer Terroranschlag in Tel Aviv über das Wochenende und Drohungen der Hamas und des Islamischen Dschihad, neue Selbstmordanschläge in Israel zu verüben, sorgen für zusätzliche Nervosität im Land.
Ein Hauptstreitpunkt ist der sogenannte Philadelphi-Korridor an der Grenze zu Ägypten. Israel will die Kontrolle über den Korridor auch nach einem Waffenstillstand behalten, um Waffenschmuggel zu verhindern, während die Hamas auf den Abzug der israelischen Truppen von dem Grenzstreifen besteht.
Im Gazastreifen ist die humanitäre Situation nach wie vor verheerend. Israelische Luftangriffe haben nach Angaben der palästinensischen Gesundheitsbehörden am Sonntag mindestens 21 Menschen im Gazastreifen getötet, darunter Berichten zufolge sechs Kinder. Insgesamt spricht die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde von über 40.000 Toten seit Beginn der israelischen Luftoffensive als Reaktion auf das Massaker der Hamas am 7. Oktober, bei dem mehr 1.200 Menschen getötet wurden und mehr als 200 Menschen verschleppt wurden. wp
Foreign Policy: The Afghans, America Left Behind. Dieser Text erzählt die Geschichte von Ahmad Haidari, Pilot der afghanischen Luftstreitkräfte und einer der Verbündeten, die die USA nach ihrem Abzug aus Afghanistan 2021 zu schützen versprachen. Dieser Schutz trat in vielen Fällen bis heute nicht ein: Die Verbündeten und ihre Familien sahen sich der Rache der Taliban ausgesetzt. Haidaris Fall ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie westliche Staaten Afghanistan seit drei Jahren allein lassen.
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik: Building Energy Institutions in a Conflict Zone. Wie können internationale Entwicklungsorganisationen einen institutionellen Energie-Sektor in Konfliktgebieten aufbauen? Dieser Frage widmet sich dieser Artikel am Beispiel von Afghanistan und der Hilfe, die die humanitäre Gesellschaft dort zwanzig Jahre leistete.
Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien: Displaced Ukrainian Youth – Displaced Futures? Dieser Report betrachtet die Lebenswege junger Ukrainer und Ukrainer, wie Russlands Krieg diese beeinflusst und welche Rolle sie im Wiederaufbau spielen. “Ihre Erfahrungen, ihre Identität und ihre Absicht, entweder nach Hause zurückzukehren oder sich vom Ausland aus zu engagieren, sind mitentscheidend dafür, wie sie die Zukunft der Ukraine mitgestalten werden.”
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik: Solving the Double Climate Migration Paradox. Die Folgen des menschengemachten Klimawandels tragen grundlegend zu einem Anstieg von Migrationsbewegungen bei. Dieser Artikel untersucht, welche Faktoren die Nicht-Anerkennung von Klima-Migration beeinflussen und welche Rolle Wirtschaft und politische Rhetorik dabei spielen.
Der Verteidigungshaushalt steigt und der Verteidigungsminister protestiert. Vorgesehen sind um die 53 Milliarden Euro – Rekordniveau und doch weniger als sieben Prozent des US-Budgets. Eine bessere Vergleichsgröße ist Kalifornien. Mit halb so vielen Einwohnern und geopolitisch frei von Bedrohungen steht dem Golden State allein für Gehälter, laufende Verträge und Militäreinrichtungen unterm Strich genauso viel Geld für die Verteidigung zur Verfügung wie der Bundesrepublik. Das Ausmaß des Problems zeigt sich aber erst, wenn man den ganz großen Vergleich bemüht.
2023 erreichte das kumulierte Budget der Nato mit 1,35 Billionen Dollar ebenfalls ein Allzeithoch. Bereinigt um die globale Kaufkraftparität lag es aber lediglich auf dem Stand von 2002 als das Bündnis erstmals das 2-Prozent-Ziel in Prag vereinbarte. Im abgeschlossenen Haushaltsjahr erreichten dies elf der 32 Bündnisstaaten – ein Defizit von rund 80 Milliarden Dollar. Bei relativ steigenden Militärausgaben von Russland und China ist der Druck auf die Nato immens: Upgrades für Ausrüstungen, Schutz kritischer Infrastruktur, Ukraine-Hilfen, multilaterale Operationen und grüne Technologien sind nicht gratis. Optimistisch liegt der Investitionsbedarf bei mindestens 570 Milliarden Dollar. Bundesfinanzminister Christian Lindner hofft, dass ein zukünftiges Bruttoinlandsprodukt-Plus automatisch die Verteidigungsfähigkeit fördert – Ökonomen nennen das Vanity Metrics – Eitelkeitskennzahlen.
Denn Geld ist nicht alles. In den USA ist es common sense, Sicherheit als Teil der nationalen strategischen Kultur nicht zum Politikum zu machen. In Deutschland verhält es sich anders. Der US-Diplomat James D. Bindenagel beschreibt unsere strategische Kultur als passiv, zaghaft, moralisch kompromisslos und von Schuldgefühlen dominiert. Bis heute sind unsere sicherheitspolitischen Prioritäten ungeklärt.
Zumindest im Verteidigungsbündnis wurden sie teilweise bearbeitet. Mit dem Nato Innovation Fund (NIF) fördern 24 Mitgliedsstaaten, darunter auch Deutschland, eine Reihe vielversprechender Deep-Tech-Unternehmen. Dabei handelt es sich um potenzielle Innovationsführer, deren Technologien zeit- und kostenintensive Forschungs- und Entwicklungsphasen voraussetzen und oft sowohl für zivile als auch militärische Anwendungen in Frage kommen. Die neuen Förderungen sind auch eine Konsequenz aus dem Krieg in der Ukraine, wo handelsübliche Drohnen und kommerzielle Kommunikationssysteme früh taktische Vorteile erzielten.
Deep-Tech-Investitionen sind in den NIF-Portfoliostaaten zwischen 2018 und 2022 um 23 Prozent gestiegen, doch um dieses BIP-Potential auszuschöpfen, müssen hierzulande nötige Voraussetzungen geschaffen werden. Eine nationale Deep-Tech-Strategie, die Steuergutschriften für geduldiges Risikokapital ermöglicht und Besserstellungsverbote in der Wissenschaft annulliert, wäre das eine. Das andere wäre eine Forschungspolitik, die sich auf die geopolitischen Umbrüche einstellt. Abgeschafft gehören Zivilklauseln und equity-feindliche Patentregelungen, die Transferaktivitäten gerade für Post Docs hemmen. Ähnlich dem US-amerikanischen Department of Defense (DoD) müsste auch das Verteidigungsministerium eine größere Rolle bei der Dual-Use Förderung spielen und ernsthaft über Innovationsquoten für Start-ups bei der Beschaffung sowie unternehmerischen Laufbahnen in der Offiziersausbildung nachdenken.
Dies sind wichtige Details einer oberflächlich geführten Debatte um die strategische Kultur hierzulande. Wer auch immer 2025 im Oval Office sitzt, wird sich dafür nicht interessieren. Auf dem geopolitischen Parkett zählt das Narrativ. Und Geld.
Bei beidem sind uns die USA voraus. Am Kapitalmarkt allerdings kämpft ihr Haushalt mit harten Bandagen und Zinskosten von unter vier Prozent für zehnjährige Staatsanleihen. Hierzulande waren es zuletzt 2,3 Prozent. Eine auf den Verteidigungshaushalt priorisierte Verschuldung wäre damit deutlich günstiger als für die USA. Prioritätensetzung in unsicheren Szenarien gehört zu den komplexen Fragen des strategischen Managements. Strategisch ist, was fünf Jahre – anders als das Sondervermögen – überdauert.
Was ihnen die Verteidigungsfähigkeit hierzulande und an der ukrainischen Front wert ist, beantworten Bundeskanzler und Finanzminister im neuen Haushaltsentwurf. Indem allein Boris Pistorius daran erinnert, die äußere Sicherheit könne auch Wahlkampfthema werden, enthüllt er ein alternatives Narrativ der deutschen strategischen Kultur. Im Heimatstaat von Kamala Harris nennt man das Eureka Moment.
Said D. Werner ist Innovationsforscher an der Sloan School of Management des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Projektleiter des MIT Murray Lab for Deep Tech & Geopolitics. In Deutschland arbeitet er als unabhängiger Strategieberater für Angehörige von Bundes- und Landesregierungen, Stiftungen, Unternehmen und politische Parteien.
betrachtet man den Zustand von Schutzbunkern in Deutschland, spricht man mit Fachleuten zum Thema Cybersicherheit, so wird schnell klar, dass die Zeitenwende noch lange nicht eingetroffen ist. Nana Brink analysiert, wie es um das Schutzraumkonzept hierzulande steht. Und Wilhelmine Preußen schreibt, wie autoritäre Regime und private Cyber-Kriminelle zusetzen.
Warum es zuweilen schwierig ist, das Thema Sicherheit politisch zu priorisieren, verdeutlicht die Analyse von Anouk Schlung. Sie schreibt über das Dilemma, dass kritische Rohstoffe für die grüne Transformation der europäischen Wirtschaft gebraucht werden – aber auch in der Verteidigungsindustrie.
Wir wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre
Rund 2.000 Bunker und Schutzräume gab es in Deutschland im Kalten Krieg; davon sind noch 579 mit insgesamt 477.593 Schutzplätzen vorhanden. “Theoretisch”, müsste man hinzufügen. Denn diese Zahlen täuschen, wie der Sprecher der Bundesanstalt für Immobilienaufgabe (BImA), Thorsten Grützner, im Gespräch mit Table.Briefings einräumt: “Derzeit stehen uns keine einsatzbereiten öffentlichen Schutzräume zur Verfügung.” Die BImA war bislang für Schutzräume zuständig. Seit kurzem hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) die Verwaltung übernommen und arbeitet an einem neuen Konzept.
Eines jedoch steht fest, wie BBK-Präsident Ralph Tiesler kürzlich sagte: “Der flächendeckende Bau von Bunkeranlagen ist teuer, zeitaufwändig und nicht zielführend.“ Das Fehlen eines schlüssigen Konzepts allerdings müsse offen kommuniziert werden, fordert Henning Goersch, Professor für Gefahrenabwehr und Bevölkerungsschutz an der FOM Hochschule für Ökonomie & Management in Münster: “Katastrophenschutz darf keine Geheimwissenschaft sein.”
Die meisten der in den 1960er- und 1970er-Jahren gebauten Schutzräume sind Hoch- oder Tiefbunker. Zu den öffentlichen Schutzräumen zählen auch Tiefgaragen und U- oder S-Bahnhöfe, die nicht im Besitz des Bundes sind. Sie gehören Kommunen oder Unternehmen und stehen aber über die sogenannte Zivilschutzklausel im Krisenfall der Öffentlichkeit zur Verfügung. Aufgelistet werden allerdings nur die Bunker im Westen Deutschlands. Laut BImA wurden “die im Ostteil Deutschlands bestehenden Schutzräume nach der Wiedervereinigung nicht in das Schutzraumkonzept des Bundes übernommen”.
Nach Ende des Kalten Krieges sind die Bunkeranlagen in Vergessenheit geraten. Auch offiziell: Im Jahr 2007 wird die Erhaltung öffentlicher Schutzräume eingestellt. Ein konventioneller Krieg in Europa scheint nicht mehr denkbar. Erst nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hat das Bundesinnenministerium sowohl das BBK als auch die BImA mit einer Bestandsaufnahme der vorhandenen Bunker beauftragt. Eine der wesentlichen Erkenntnisse: Eine Reaktivierung der 579 noch vorhandenen Bunker ist “grundsätzlich möglich”.
Entscheidend dafür ist, laut BBK, die Erarbeitung eines neuen Schutzkonzepts. Man müsse wissen, wogegen die öffentlichen Anlagen Schutz bieten sollten. Es sei ein Unterschied, ob man von einem atomaren Angriff ausgehe oder – wie in der Ukraine zu sehen – die Bevölkerung vor den Auswirkungen von Raketenangriffen schützen müsse. BBK-Präsident Tiesler hält letzteres für machbar: “Die Schutzräume könnten so hergerichtet werden, dass sie den Menschen Splitter- und Trümmerschutz bieten. Auch in Privathäusern – in Kellern oder anderen geeigneten Räumen – ist eine Minimalschutzvorkehr möglich.”
Dies hält auch André Berghegger, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, für zwingend notwendig. Zu Table.Briefings sagt er: “Es ist dringend notwendig, stillgelegte Bunker wieder in Betrieb zu nehmen.” Außerdem müssten neue, moderne Schutzräume gebaut werden. In Ballungszentren könne man auch Tiefgaragen und U-Bahn-Schächte nutzen. Klar sei aber auch, dass die Mittel dafür nicht allein den Städten und Kommunen aufgebürdet werden könnten. “Sie müssen aus dem regulären Bundeshaushalt kommen.” Berghegger rechnet mit mindestens einer Milliarde pro Jahr und das über zehn Jahre hinweg. Dies sei aber auch nur eine Anschubfinanzierung.
Es müsse eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit über ein neues Schutzkonzept geführt werden, meint Martin Voss, Leiter der Krisen- und Katastrophenforschungsstelle an der Freien Universität Berlin. Man kann ein “potenzielles Kriegsgeschehen in Deutschland” nicht mehr ausschließen und deshalb “müssen wir uns auch für diesen Verteidigungsfall präparieren”. Auf alte Bunkeranlagen oder Neubauten zu setzen, hält Voss für unrealistisch, denn “man würde da über zig Milliardenbeträge reden und einen Bauzeitraum von 15 bis 20 Jahren”. Entscheidend seien schnell aktivierbare Schutzräume wie U-Bahnhöfe oder Tiefgaragen.
Ein neues Schutzkonzept muss auch die Frage einschließen: Wer darf überhaupt in einen Bunker? Die vorhandenen Bunker können theoretisch – wenn sie denn saniert wären – rund 500.000 Menschen aufnehmen. Viel wichtiger ist deshalb, so Katastrophenforscher Voss, “die Information und Kommunikation mit der Bevölkerung”. Dazu bräuchte es professionelle Kommunikatoren seitens der Behörden, fordert Krisen-Experte Goersch. Viele Verantwortliche scheuen das Thema, weil sie befürchten, Panik in der Bevölkerung auszulösen: “Das ist grundfalsch. Es ist empirisch nachgewiesen, dass die Menschen sehr wohl verantwortungsbewusst reagieren” (siehe Grafik).
Die Bundesregierung macht immer öfter öffentlich Akteure wie Russland oder China für Cyberangriffe verantwortlich. Im Falle der Cyberspionageoperation auf das Bundesamt für Kartografie und Geodäsie im Jahr 2021 hat die Bundesregierung jüngst sogar den chinesischen Botschafter einbestellt. Aber diese härteren diplomatischen Maßnahmen allein werden die Cyberangriffe in Zukunft nicht verhindern, warnen Experten.
Das liegt auch an der zunehmenden Professionalisierung von Cyberspionage durch private Unternehmen. Ein Leak mit Daten der chinesischen Hackerfirma i-Soon hat im Februar einen seltenen Einblick in die Vorgehensweise von Advanced Persistent Threats (APT)-Gruppierungen in China und das Zusammenspiel privater und staatlicher Akteure gegeben und damit große Aufmerksamkeit erzeugt.
Jetzt hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in vier Teilen zu den sogenannten i-Soon-Leaks seine eigene Analyse der zur Verfügung gestellten Chats, Werbematerialien und Präsentationen des Unternehmens veröffentlicht. Im ersten Teil geht es um die Organisation und Methoden der i-Soon Advanced Persistent Threat Einheiten, im zweiten und dritten Teil um die Verbindungen zum chinesischen Sicherheitsapparat und die konkreten Angriffsziele. Der letzte Teil erscheint am Donnerstag, 22. August.
Die Reihe des BfV ist teilweise sicherlich als Werbemaßnahme für den Verfassungsschutz selbst zu verstehen, sie dient aber auch als Sensibilisierungsmaßnahme. In deutschen Vorständen von Unternehmen, Universitäten oder Forschungseinrichtungen, aber auch in Ministerien und Behörden soll endlich bewusst werden, was in Expertenkreisen lange bekannt ist: Chinesische Sicherheitsbehörden spionieren im Cyberraum mit der Hilfe von hoch professionalisierten privaten IT-Dienstleistern. Operationen werden von langer Hand und gezielt geplant. Eine Zuordnung der einzelnen Cyberoperationen wird immer herausfordernder. Was aus den Daten auch deutlich wird: i-Soon ist kein Einzelakteur, sondern agiert in einem florierenden chinesischen Cyberökosystem.
Die Bundesregierung sollte die Lehre daraus ziehen, dass politische Verurteilungen allein “nichts bringen”, warnt Dennis-Kenji Kipker, Forschungsdirektor und Mitgründer des Cyberintelligence Institute in Frankfurt. Klar ist, dass Unternehmen wie i-Soon nicht nur für die chinesische Zentralregierung arbeiten, sondern für den, der sie bezahlt. Es entsteht ein “Marktwert von Cyberangriffen”, sagt Kipker.
Die öffentliche Verwaltung in Deutschland müsse sich deswegen auf technischer Ebene um ihre Cybersicherheit kümmern, betont er. Das habe man mit dem Kabinettsentwurf zur Umsetzung der NIS2-Richtlinie für Cybersicherheit der EU versäumt, indem man “umfassende Bereichsausnahmen” in den Gesetzentwurf eingearbeitet habe. Die öffentliche Verwaltung jenseits der Bundesebene bleibt in der deutschen Umsetzung jenseits von NIS2 explizit ausgenommen.
Die Leistungen der Hackerfirmen decken sich laut dem BfV in der Regel mit dem Informationsbedürfnis der chinesischen Staatsagenda: Sie attackieren Netzwerke von Regierungsstellen, internationalen Organisationen und Firmen, die relevant sind. Die Dokumente zeigen, wo die Interessen der chinesischen Behörden liegen und was sie bereit sind, dafür zu zahlen. Angaben umfassen sowohl Zielentitäten als auch Vertragsdetails zu konkreten Produkten und Dienstleistungen. Zugangsdaten für das FBI-Netz werden beispielsweise für 13.000 und 20.000 Euro angeboten.
Zu den Spionagezielen gehörten auch die Kommunikation von Nato-Chef Jens Stoltenberg, britische Regierungs- und Aktivistenorganisationen oder Mitarbeiter von französischen Elite-Universitäten. Deutsche Ziele nennt die Analyse in dem speziellen Fall nicht, aber der Datensatz hat große Relevanz für die hiesigen Sicherheitsbehörden und die deutsche Spionageabwehr.
“Diese Art von Cyberspionage durch staatlich affiliierte Unternehmen ist ein typisch chinesisches Muster, gerade auch im Vergleich zu Russland, das noch stärker auf den historisch gewachsenen Cyberkriminalitätssektor setzt”, sagt Kerstin Zettl-Schabath, Cyber-Konfliktforscherin bei der European Repository of Cyber Incidents (EuRepoC) von der Universität Heidelberg.
China geht es nicht unbedingt darum, mit einer Ransomware-Attacke Infrastruktur lahmzulegen oder Lösegeld zu erpressen. Es geht vielmehr um hochrangige Ziele und dann in Rücksprache mit dem Kunden auch um Angriffe. Systematisch analysiert das Land auch die Schwachstellen seiner potenziellen Spionageziele, um im Bedarfsfall größtmöglichen Schaden anrichten zu können.
Die öffentliche Zuschreibung von Cyberangriffen sei ein “erster richtiger Schritt”, sagt Zettl-Schabath. “Wenn öffentlich nicht adressiert wird, dass China regelmäßig Normen verletzt, können diese letztlich auch nicht internalisiert werden.” Aber auch die Expertin drängt darauf, dass Unternehmen und Behörden ihr technisches Schutzniveau stärken müssen, um sich gegen diese Art von Akteuren bestmöglich abzusichern.
Die politischen Leitlinien Ursula von der Leyens für die nächste Europäische Kommission lassen keine Zweifel: Die im Juli vom Europäischen Parlament wiedergewählte Kommissionspräsidentin will die Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie zu einem der Schwerpunkte ihrer zweiten Amtszeit machen. Anders als noch 2019, als sie mit dem European Green Deal (EGB) auf eine Stärkung umweltfreundlicher Industrien setzte, steht die grüne Transformation bis 2029 nicht mehr ganz oben auf ihrer Agenda.
Diese Prioritätenverschiebung macht sich auch beim Umgang mit kritischen Rohstoffen bemerkbar. Zielte der Green Deal von 2019 noch darauf ab, diese in Hinblick auf ihren Nutzen für eine grüne Transformation zu identifizieren, so ist dieses Ziel durch neue Initiativen verwässert worden; unter anderem durch den Green Industrial Plan 2023 und den im März vom Europäischen Rat angenommenen Critical Raw Materials Act (CRMA).
Zu diesem Schluss kommt ein Policy Paper, welches das Transnational Institute (TNI), das von der University of Sussex unterstützte Forschungsprojekt Mapping (De)Globalisation und Greenpeace Deutschland im Juli vorlegten. Das Papier setzt sich kritisch mit dem Umgang mit Niob auseinander. Niob ist ein seltenes Metall, das vor allem in der Stahlproduktion zum Einsatz kommt. Auch in der Luft- und Raumfahrtindustrie wird es verwendet – unter anderem bei der Herstellung von Triebwerks- und Turbinenschaufeln, Flugzeugrümpfen, Drohnen und Hyperschallwaffen.
Die Bemühungen, den Zugang von in der EU ansässigen Unternehmen zu dem als “kritisch” eingestuften Rohstoff sicherzustellen, liefen “Gefahr, Industrien zu unterstützen, die geopolitische Spannungen verschärfen, anstatt die grüne Industrialisierung voranzutreiben”, schreiben die Autoren. Hinzu komme ein “Mangel an Transparenz in Bezug auf die Zuteilung und Nutzung dieser Materialien”, was Bemühungen erschwere, “sie in Einklang mit der Klima-Agenda zu bringen”. Das nähre den Verdacht, dass “die grüne Agenda der EU auch als Deckmantel” für die Beschaffung kritischer Rohstoffe herhalte, “die für kohlenstoffintensive und militärische Zwecke verwendet werden – einschließlich Autos, Luft- und Raumfahrt sowie Waffen”.
Bereits seit 2011 wird Niob in der Liste der kritischen Rohstoffe der Europäischen Rohstoffinitiative aufgeführt – in erster Linie, um auf den enormen Bedarf an dem seltenen Metall bei der Produktion von Stahl aufmerksam zu machen. Mehr als 90 Prozent der weltweiten Niob-Vorräte flössen in die Stahlherstellung, heißt es in dem Papier, eine Nutzung also “überwiegend für Zwecke, die wenig mit der Green Transition zu tun haben“. Die “zentrale Rolle”, die Niob “bei militärischen Technologien, einschließlich Hyperschallraketen und Abfangsystemen” einnehme, unterstreiche dessen “strategische Bedeutung über grüne Initiativen hinaus”.
Rund 80 Prozent des weltweit abgebauten Niobs werden vom brasilianischen Unternehmen CBMM gefördert und weiterverarbeitet, sodass EU-Unternehmen bislang vollständig von Einfuhren abhängig sind. Zwar gibt es kleine Vorkommen auch in Finnland, Frankreich und Portugal, doch ob diese eines Tages erfolgreich abgebaut werden können, ist unklar. Weitere Länder mit nennenswerten Niob-Reserven sind – neben der Demokratischen Republik Kongo und Russland – Kanada, wo Schätzungen zufolge 1.600.000 Tonnen im Erdboden lagern, sowie die USA mit 170.000 Tonnen an Reserven; die Reserven Brasiliens sollen sich auf 16.000.000 Tonnen belaufen.
“Diese Abhängigkeiten zu reduzieren, ist derzeit nicht möglich“, sagte die Europaabgeordnete Hildegard Bentele (CDU), Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie, zu Table.Briefings. Da die Vorkommen in Russland und der Demokratischen Republik Kongo nicht geeignet seien, “sinnvolle Importalternativen zu bieten”, gehe es darum, die Lieferbeziehungen mit Brasilien und Kanada “weiter abzusichern und gegebenenfalls in Handelsabkommen einzubeziehen”. Bis 2030 sollen laut Critical Raw Materials Act der EU maximal 65 Prozent aus einem einzigen Drittland importiert werden dürfen. Im Fall von Niob wird das kaum möglich sein.
Auch Bentele spricht sich dafür aus, dass Automobil- und Luftfahrtindustrie “eine entscheidende Rolle im Bereich der grünen Industrie spielen müssen”. Die Verfasser des Niob-Papiers gehen aber einen Schritt weiter und fordern “mehr Transparenz, um sagen zu können, welche Rohstoffe strategisch wichtig für die Green Transition sind“, so Philip Steeg, einer der Autoren, zu Table.Briefings. Ein erster Schritt bestünde darin, den Nutzen der im Green Deal Industrial Plan der EU aufgeführten kritischen Rohstoffe für eine grüne Transformation “genau zu spezifizieren”. Dazu müssten unter anderem Trackingsysteme eingerichtet werden, um sicherzustellen, dass ihre Endverwendung “mit den grünen Transformationszielen in Einklang” stehe.
Armin Papperger – Geschäftsführer von Rheinmetall
Der lauteste deutsche Rüstungs-CEO hat seinem Unternehmen seit Beginn des Kriegs in der Ukraine eine Versechsfachung des Aktienkurses beschert. Zu einem hohen Preis: Ohne Leibwächter kann sich Papperger nicht bewegen, Russland soll Anschlagspläne auf ihn vorbereitet haben. Mit dem Kauf des amerikanischen Rüstungszulieferers Loc drängt sein Unternehmen tiefer in den US-Markt, und mit dem Sponsoring des Bundesligisten Borussia Dortmund weiter in die gesellschaftliche Mitte.
Elisabeth Hauschild – Generalbevollmächtigte für Außenbeziehungen und Politik bei Diehl
Sie ist eine der ersten Frauen in der sicherheitspolitischen Bubble und 2003 Mitgründerin des bedeutenden sicherheitspolitischen Frauen-Netzwerks Women in International Security Deutschland (WIIS.de). Hauschild setzt sich für Diversität in der Branche ein und ist in Berlin bestens vernetzt. Seit 2004 ist sie für Diehl tätig und zuständig für die immer wichtiger werdenden Beziehungen nach außen.
Michael Schöllhorn – Geschäftsführer von Airbus Defence and Space
Er hat selbst Bundeskanzler Olaf Scholz dazu gebracht, sich im Airbus-Werk mit Fliegerjacke vor Eurofightern fotografieren zu lassen. Airbus ist derzeit am teuersten europäischen Rüstungsprojekt Future Combat Air System (FCAS) beteiligt. Schöllhorn kennt die Anforderungen an Fluggeräte durch seine zehnjährige Erfahrung als Bundeswehr-Offizier und Hubschrauberpilot. Den Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie vertritt er zusätzlich als Präsident.
Frank Haun – Geschäftsführer von KNDS
Haun hat KNDS zu einem zunehmend europäisch integrierten Rüstungskonzern gemacht. Nach der Zusammenführung der französischen und deutschen Panzerbauer Nexter und Krauss-Maffei Wegmann steht Haun der Holding mit Sitz in Amsterdam seit 2020 vor. Der Krieg in der Ukraine ist auch – so hart es klingt – Werbung für den Leopard-Panzer, den manche als den besten Panzer der Welt bezeichnen und den sein Unternehmen herstellt.
Hans Christoph Atzpodien – Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie
Der Cheflobbyist der deutschen Rüstungsindustrie wirkt im sicherheitspolitischen Berlin beinahe omnipräsent. Den 200 Unternehmen, die sein Verband vertritt, dient er als Sprachrohr in die Politik. In dem kürzlich publik gewordenen Entwurf der Rüstungsindustrie-Strategie der Bundesregierung scheint auch seine Handschrift durch.
Gundbert Scherf – Mitgründer und Co-Geschäftsführer von Helsing
Scherf half mit, Helsing zum ersten europäischen Rüstungs-Start-Up mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar zu machen. Mittlerweile wird der Unternehmenswert auf 4,5 Milliarden US-Dollar geschätzt. Das Unternehmen für KI in Waffensystemen hat es in lukrative Programme wie FCAS geschafft. Zuvor war Scherf McKinsey-Partner und Sonderbeauftragter im Verteidigungsministerium.
Cornelia von Ammon – Leiterin Politische Lobbyarbeit beim Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie
Lange als Pressesprecherin beim BDLI leitet sie seit Ende 2023 die Politische Lobbyplanung bei dem Verband. Damit vertritt sie die Interessen einer Branche mit mehr als 100.000 Beschäftigten. Gerade die militärische Sparte des Verbands gewinnt – wie bei der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung zur Schau gestellt – zunehmend an Bedeutung.
Thomas Gottschild – Geschäftsführer MBDA Deutschland
Im Vergleich zu anderen Rüstungs-CEOs eher zurückhaltend – laut muss er auch nicht auftreten. Die Raketen von MBDA werden in den kommenden Jahren genügend Abnehmer finden. Dass die europäischen Länder die Lücken in ihrer Luftverteidigung benennen, dürfte die Zukunft des Taurus-Herstellers aus Schrobenhausen gesichert haben. Gottschild setzt sich nüchtern für mehr Planungssicherheit auf Industrieseite ein.
Susanne Wiegand – Vorstandsvorsitzende Renk Group
Im Februar 2024 hat Susanne Wiegand den Getriebehersteller nach einem gescheiterten Versuch erfolgreich an die Börse gebracht. Die einzige Frau an der Spitze der größeren deutschen Rüstungshersteller nennt sich selbst “Alien in der Branche”. Trotzdem kennt sie den Sektor bestens, mit Stationen bei Rheinmetall und Thyssenkrupp Marine Systems.
Florian Seibel – Geschäftsführer und Gründer von Quantum Systems
Der frühere Luftwaffen-Offizier hat mit Quantum Systems in kurzer Zeit eines der bekanntesten deutschen Rüstungsunternehmen geschaffen. Der medial präsente CEO eröffnete mit Wirtschaftsminister Robert Habeck im April ein Werk in der Ukraine. Die ukrainischen Streitkräfte nutzen mehrere hundert Vector-Drohnen des 2015 gegründeten Unternehmens aus der Nähe von München.
Die Bundeswehr schickt vorerst kein Kriegsschiff zum Schutz der Handelsschifffahrt ins Rote Meer. Die Fregatte “Hamburg”, die für den Einsatz in der EU-Mission “Aspides” zum Schutz von Frachtern und Tankern vor Angriffen der Huthi-Milizen aus dem Jemen vorgesehen war, bleibt nach Angaben des Verteidigungsministeriums im Mittelmeer. Grund ist die angespannte Lage im Nahen Osten und ein möglicher Krieg an der Nordgrenze Israels.
Die EU hatte ihre Schutzmission vor genau einem halben Jahr begonnen. Wie in der von den USA bereits zuvor begonnenen “Operation Prosperity Guardian” sollen Kriegsschiffe die Raketen, Marschflugkörper und Drohnen abwehren, die von den Huthi auf Handelsschiffe im Roten Meer abgefeuert werden. Im Frühjahr hatte bereits die Bundeswehrfregatte “Hessen” in dieser Mission mehrere anfliegende Raketen und Drohnen zerstört. Die “Hamburg” war zunächst zum Schießtraining mit Lenkflugkörpern ins Mittelmeer vor Kreta ausgelaufen und hätte in Kürze “Aspides” verstärken sollen. Die Angriffe der von Iran unterstützen Huthi halten unvermindert an und sollen aus Sicht der Milizen den Kampf der Hamas im Gaza-Streifen gegen Israel ergänzen.
In der jüngsten Lage-Unterrichtung des Verteidigungsministeriums für den Bundestag heißt es, die deutsche Fregatte solle “aufgrund der aktuellen Lageentwicklung im Nahen und Mittleren Osten” vorerst im östlichen Mittelmeer bleiben. Dabei spielen vor allem Überlegungen für eine mögliche Evakuierung deutscher Staatsbürger aus dem Libanon eine Rolle. Ob die auf Luftverteidigung spezialisierte Fregatte auch zur Abwehr eines möglichen iranischen Angriffs auf Israel eingesetzt werden könnte, ist offen. Dafür wäre ein Mandat des Bundestages erforderlich. tw
Die Bundesregierung beendet zum 31. August auch die Torima-Mission zur Unterstützung militärischer Ausbildung in Niger. Das geht aus der Antwort auf eine kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen, die auch außenpolitische Sprecherin des Bündnis Sahra Wagenknecht ist, hervor. Diese lag Table.Briefings vorab vor.
Die Bundeswehr hatte sich seit dem 27. Januar 2023 an der Mission Torima (Taktisch-operativ regional integrierte Military Assistance) beteiligt. Seit dem Putsch in Niger Ende Juli 2023 war die Zusammenarbeit ausgesetzt. In der Vergangenheit unterstützte die Bundeswehr die Ausbildung von Spezialkräften in Tillia, nordöstlich von der Hauptstadt Niamey – bis Ende 2022 mit der Mission Gazelle.
Insgesamt bildete die Bundeswehr nach Angaben der Bundesregierung zwischen 2018 und 2023, ab 2021 im Rahmen der Trainingsmission der EU (EUTM Mali), etwa 800 Angehörige der Spezialkräfte der nigrischen Armee aus. Darunter waren rund 30 nigrische Ausbilder.
Die Bundeswehr gibt Ende August ihren Lufttransportstützpunkt in Niamey auf. Dieser hat rund 130 Millionen Euro gekostet, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort schreibt. Die Infrastruktur habe unmittelbar der Unterstützung des deutschen Einsatzkontingents der UN-Mission Minusma im benachbarten Mali gedient. lcw
Am 13. Tag des ukrainischen Vorstoßes auf russisches Territorium widmen russische Medien dem Thema weniger Aufmerksamkeit als dem innerdeutschen Streit über die Finanzhilfe für die Ukraine. Dabei ist es bis heute der russischen Armee nicht gelungen, das Vorrücken der Ukraine zu stoppen.
Für die kremltreuen Medien ist der Streit in der Ampel aber ein größeres Thema, ebenso die Berichte über Ermittlungen im Fall des Nord-Stream-Anschlags. “Es ist bemerkenswert, dass die Nachrichten über die Kehrtwende Berlins in Bezug mit der Militärhilfe für Kiew mit einem lauten Skandal (Anm. Nord-Stream-Ermittlungen) zusammenfielen”, schreibt die ehemals liberale Tageszeitung Kommersant und geht dabei von einem möglichen Zusammenhang beider Ereignisse aus. Deutschland würde der UN-Antiterrorismuskonvention nicht nachkommen und Russland Informationen zum Prozess vorenthalten, beklagt zudem das russische Außenministerium.
Diese medialen Nebelkerzen sollen offenbar von den Problemen in der Region Kursk ablenken. Ukrainische Truppen rücken dort weiter vor. Die russische Armeeführung setzt zur Abwehr stark auf Wehrdienstleistende, deren Aussagen inzwischen in zahlreichen Video aus der ukrainischen Gefangenschaft dokumentiert sind. Der Einsatz der Wehrdienstleistenden führt teilweise zu Protesten bei den Angehörigen der jungen Männer, von denen viele um die 20 Jahre alt sind. Kremlkritische Aktivisten in Russland, die Männer beraten, wie sie dem Wehrdienst legal entkommen können, berichteten Table.Media von “sehr vielen Hilfsanrufen” verzweifelter Eltern und Familienangehöriger, deren Söhne und Ehemänner in die Region Kursk entsandt werden.
Sollte die ukrainische Armeeführung gehofft haben, dass Russland einige Truppen aus der besetzten Region Donezk abzieht, um sie in der Region Kursk einzusetzen, so geht dieser Plan bisher nicht auf. Im Gegenteil: Im besetzten Donbass üben russische Truppen erheblichen Druck aus. Sie stehen bereits unweit der 65.000-Einwohner-Stadt Pokrowsk, die nun evakuiert wird. vf/at
Zum neunten Mal ist US-Außenminister Antony Blinken seit Beginn des Gaza-Krieges vor mehr als zehn Monaten in Israel. Er sprach in Tel Aviv von einem “entscheidenden Moment”, um die rund 115 verbleibenden Geiseln in Gaza im Gegenzug für die Freilassung palästinensischer Häftlinge zu befreien und eine Waffenruhe zu erzielen. Danach will er nach Ägypten weiterreisen, wo diese Woche weitere Gespräche von Unterhändlern zu speziellen Fragen stattfinden.
Premierminister Benjamin Netanjahu gab nach seinem dreistündigen Gespräch mit Blinken eine öffentliche Erklärung ab, in der er den jüngsten US-Vorschlag zur Überbrückung der noch offenen Fragen unterstützte. Die Hamas hatten den US-Vorschlag am Sonntagabend zurückgewiesen und Netanjahu vorgeworfen, “neue Bedingungen und Forderungen” zu stellen, um die Gespräche zu vereiteln und den Krieg in Gaza zu verlängern.
Die Gefahr eines regionalen Krieges scheint so groß wie lange nicht: Israel erwartet seit über zwei Wochen die Reaktion des Irans und der Hisbollah auf die Tötung des Hamas-Führer Ismail Hanija und des obersten Hisbollah-Militärkommandeur Fuad Schukr. Ein versuchter palästinensischer Terroranschlag in Tel Aviv über das Wochenende und Drohungen der Hamas und des Islamischen Dschihad, neue Selbstmordanschläge in Israel zu verüben, sorgen für zusätzliche Nervosität im Land.
Ein Hauptstreitpunkt ist der sogenannte Philadelphi-Korridor an der Grenze zu Ägypten. Israel will die Kontrolle über den Korridor auch nach einem Waffenstillstand behalten, um Waffenschmuggel zu verhindern, während die Hamas auf den Abzug der israelischen Truppen von dem Grenzstreifen besteht.
Im Gazastreifen ist die humanitäre Situation nach wie vor verheerend. Israelische Luftangriffe haben nach Angaben der palästinensischen Gesundheitsbehörden am Sonntag mindestens 21 Menschen im Gazastreifen getötet, darunter Berichten zufolge sechs Kinder. Insgesamt spricht die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde von über 40.000 Toten seit Beginn der israelischen Luftoffensive als Reaktion auf das Massaker der Hamas am 7. Oktober, bei dem mehr 1.200 Menschen getötet wurden und mehr als 200 Menschen verschleppt wurden. wp
Foreign Policy: The Afghans, America Left Behind. Dieser Text erzählt die Geschichte von Ahmad Haidari, Pilot der afghanischen Luftstreitkräfte und einer der Verbündeten, die die USA nach ihrem Abzug aus Afghanistan 2021 zu schützen versprachen. Dieser Schutz trat in vielen Fällen bis heute nicht ein: Die Verbündeten und ihre Familien sahen sich der Rache der Taliban ausgesetzt. Haidaris Fall ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie westliche Staaten Afghanistan seit drei Jahren allein lassen.
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik: Building Energy Institutions in a Conflict Zone. Wie können internationale Entwicklungsorganisationen einen institutionellen Energie-Sektor in Konfliktgebieten aufbauen? Dieser Frage widmet sich dieser Artikel am Beispiel von Afghanistan und der Hilfe, die die humanitäre Gesellschaft dort zwanzig Jahre leistete.
Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien: Displaced Ukrainian Youth – Displaced Futures? Dieser Report betrachtet die Lebenswege junger Ukrainer und Ukrainer, wie Russlands Krieg diese beeinflusst und welche Rolle sie im Wiederaufbau spielen. “Ihre Erfahrungen, ihre Identität und ihre Absicht, entweder nach Hause zurückzukehren oder sich vom Ausland aus zu engagieren, sind mitentscheidend dafür, wie sie die Zukunft der Ukraine mitgestalten werden.”
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik: Solving the Double Climate Migration Paradox. Die Folgen des menschengemachten Klimawandels tragen grundlegend zu einem Anstieg von Migrationsbewegungen bei. Dieser Artikel untersucht, welche Faktoren die Nicht-Anerkennung von Klima-Migration beeinflussen und welche Rolle Wirtschaft und politische Rhetorik dabei spielen.
Der Verteidigungshaushalt steigt und der Verteidigungsminister protestiert. Vorgesehen sind um die 53 Milliarden Euro – Rekordniveau und doch weniger als sieben Prozent des US-Budgets. Eine bessere Vergleichsgröße ist Kalifornien. Mit halb so vielen Einwohnern und geopolitisch frei von Bedrohungen steht dem Golden State allein für Gehälter, laufende Verträge und Militäreinrichtungen unterm Strich genauso viel Geld für die Verteidigung zur Verfügung wie der Bundesrepublik. Das Ausmaß des Problems zeigt sich aber erst, wenn man den ganz großen Vergleich bemüht.
2023 erreichte das kumulierte Budget der Nato mit 1,35 Billionen Dollar ebenfalls ein Allzeithoch. Bereinigt um die globale Kaufkraftparität lag es aber lediglich auf dem Stand von 2002 als das Bündnis erstmals das 2-Prozent-Ziel in Prag vereinbarte. Im abgeschlossenen Haushaltsjahr erreichten dies elf der 32 Bündnisstaaten – ein Defizit von rund 80 Milliarden Dollar. Bei relativ steigenden Militärausgaben von Russland und China ist der Druck auf die Nato immens: Upgrades für Ausrüstungen, Schutz kritischer Infrastruktur, Ukraine-Hilfen, multilaterale Operationen und grüne Technologien sind nicht gratis. Optimistisch liegt der Investitionsbedarf bei mindestens 570 Milliarden Dollar. Bundesfinanzminister Christian Lindner hofft, dass ein zukünftiges Bruttoinlandsprodukt-Plus automatisch die Verteidigungsfähigkeit fördert – Ökonomen nennen das Vanity Metrics – Eitelkeitskennzahlen.
Denn Geld ist nicht alles. In den USA ist es common sense, Sicherheit als Teil der nationalen strategischen Kultur nicht zum Politikum zu machen. In Deutschland verhält es sich anders. Der US-Diplomat James D. Bindenagel beschreibt unsere strategische Kultur als passiv, zaghaft, moralisch kompromisslos und von Schuldgefühlen dominiert. Bis heute sind unsere sicherheitspolitischen Prioritäten ungeklärt.
Zumindest im Verteidigungsbündnis wurden sie teilweise bearbeitet. Mit dem Nato Innovation Fund (NIF) fördern 24 Mitgliedsstaaten, darunter auch Deutschland, eine Reihe vielversprechender Deep-Tech-Unternehmen. Dabei handelt es sich um potenzielle Innovationsführer, deren Technologien zeit- und kostenintensive Forschungs- und Entwicklungsphasen voraussetzen und oft sowohl für zivile als auch militärische Anwendungen in Frage kommen. Die neuen Förderungen sind auch eine Konsequenz aus dem Krieg in der Ukraine, wo handelsübliche Drohnen und kommerzielle Kommunikationssysteme früh taktische Vorteile erzielten.
Deep-Tech-Investitionen sind in den NIF-Portfoliostaaten zwischen 2018 und 2022 um 23 Prozent gestiegen, doch um dieses BIP-Potential auszuschöpfen, müssen hierzulande nötige Voraussetzungen geschaffen werden. Eine nationale Deep-Tech-Strategie, die Steuergutschriften für geduldiges Risikokapital ermöglicht und Besserstellungsverbote in der Wissenschaft annulliert, wäre das eine. Das andere wäre eine Forschungspolitik, die sich auf die geopolitischen Umbrüche einstellt. Abgeschafft gehören Zivilklauseln und equity-feindliche Patentregelungen, die Transferaktivitäten gerade für Post Docs hemmen. Ähnlich dem US-amerikanischen Department of Defense (DoD) müsste auch das Verteidigungsministerium eine größere Rolle bei der Dual-Use Förderung spielen und ernsthaft über Innovationsquoten für Start-ups bei der Beschaffung sowie unternehmerischen Laufbahnen in der Offiziersausbildung nachdenken.
Dies sind wichtige Details einer oberflächlich geführten Debatte um die strategische Kultur hierzulande. Wer auch immer 2025 im Oval Office sitzt, wird sich dafür nicht interessieren. Auf dem geopolitischen Parkett zählt das Narrativ. Und Geld.
Bei beidem sind uns die USA voraus. Am Kapitalmarkt allerdings kämpft ihr Haushalt mit harten Bandagen und Zinskosten von unter vier Prozent für zehnjährige Staatsanleihen. Hierzulande waren es zuletzt 2,3 Prozent. Eine auf den Verteidigungshaushalt priorisierte Verschuldung wäre damit deutlich günstiger als für die USA. Prioritätensetzung in unsicheren Szenarien gehört zu den komplexen Fragen des strategischen Managements. Strategisch ist, was fünf Jahre – anders als das Sondervermögen – überdauert.
Was ihnen die Verteidigungsfähigkeit hierzulande und an der ukrainischen Front wert ist, beantworten Bundeskanzler und Finanzminister im neuen Haushaltsentwurf. Indem allein Boris Pistorius daran erinnert, die äußere Sicherheit könne auch Wahlkampfthema werden, enthüllt er ein alternatives Narrativ der deutschen strategischen Kultur. Im Heimatstaat von Kamala Harris nennt man das Eureka Moment.
Said D. Werner ist Innovationsforscher an der Sloan School of Management des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Projektleiter des MIT Murray Lab for Deep Tech & Geopolitics. In Deutschland arbeitet er als unabhängiger Strategieberater für Angehörige von Bundes- und Landesregierungen, Stiftungen, Unternehmen und politische Parteien.