Table.Briefing: Security

Kein schneller EU-Beitritt der Ukraine + Russische Diamanten + Übersehene Hilfe für Ukraine

  • Kein schneller EU-Beitritt, dafür weitere Hilfen für die Ukraine
  • Russische Diamanten im Fokus des 10. Sanktionspakets
  • Die übersehene Hilfe für die Ukraine
  • Peking wettert weiter gegen die Nato
  • Mehr als 570 russische Diplomaten ausgewiesen
Liebe Leserin, lieber Leser,

ein 10. Sanktionspaket, Zusagen über weitere militärische und humanitäre Hilfe sowie ein Zentrum für die Verfolgung der Kriegsverbrechen Russlands – aber kein schneller Beitritt zur EU: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kam zwar nicht mit leeren Händen zum Besuch nach Kiew. Aber die wohl größte Hoffnung der Ukrainer erfüllt sich wohl nicht, schreibt Eric Bonse.

Dass der äußerst einträgliche Handel mit Diamanten aus Russland, allen voran mit dem Konzern Alrosa, bislang nicht mit Sanktionen belegt ist, ist der EU-Abgeordneten Kathleen Van Brempt ein Dorn im Auge. Warum die Sanktionierung der Diamanten der EU jedoch mehr schaden als nützen könnte, erklärt Stephan Israel in seiner Analyse.

Seit Monaten greift Russland immer wieder Häuser, Kraftwerke, Schulen, Krankenhäuser und andere zivile Objekte in der Ukraine an, das Leid der Bevölkerung vor Ort ist enorm. Die internationale Gemeinschaft liefert nicht nur Waffen, sondern auch umfangreiche finanzielle und humanitäre Hilfe. Deutschland zählt dabei zu den größten Geldgebern, wie Sie in meinem Text dazu lesen können.

Am Montag, 13. Februar, von 11.30 bis 12.30 Uhr spricht Security.Table-Redakteur Viktor Funk mit Dr. Iryna Solonenko (Zentrum Liberale Moderne) und Dr. Stefan Meister (DGAP) im Table.Briefing über die Frage, unter welchen Bedingungen der Krieg enden könnte, welche Verhandlungsmacht die Ukraine hat und welche Entwicklung Russland als Ganzes nimmt. Melden Sie sich jetzt schon dafür an. 

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Lisa-Martina Klein
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Analyse

Kein schneller EU-Beitritt, dafür weitere Hilfen für die Ukraine

Ursula von der Leyen und 15 ihrer Kommissare zu Gast in Kiew bei Selenskyj und seinem Kabinett.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte am Donnerstag in Kiew unter anderem das nunmehr zehnte Sanktionspaket sowie ein “internationales Zentrum für die Verfolgung des Verbrechens der Aggression in der Ukraine” an, das in Den Haag eingerichtet werden soll. Details nannte sie beim EU-Ukraine-Gipfel noch nicht, sie sollen später ausgearbeitet werden.

Der Besuch der Kommission in Kiew hatte vor allem symbolischen Wert. Kurz vor dem Jahrestag der russischen Invasion am 24. Februar wollte die EU-Behörde ihre Solidarität unterstreichen. Von der Leyen sprach von einem deutlichen Signal. “Die Ukraine ist zum Mittelpunkt unseres Kontinents geworden. Zum Ort, an dem unsere Werte hochgehalten werden, wo unsere Freiheit verteidigt wird und wo die Zukunft Europas geschrieben wird.”

Weitere finanzielle Hilfen für Kiew

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kündigte eine Ausweitung der militärischen Ausbildungsmission EUMAM (EU Military Assistance Mission Ukraine) an. Die EUMAM werde zusätzliche 15.000 ukrainische Soldaten trainieren und die Gesamtzahl damit auf 30.000 erhöhen, sagte der Spanier nach einem Gespräch mit dem ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Schmyhal. Experten aus den Streitkräften der EU-Mitgliedstaaten wollen künftig auch Kampfpanzer-Besatzungen schulen. Der Leopard 2, den unter anderem Deutschland und Polen liefern wollen, soll so schnell und effizient wie möglich genutzt werden.

Die EU-Kommission kündigte auch weitere finanzielle und humanitäre Hilfen an. So sollen rund 150 Millionen Euro für den Wiederaufbau der von Russland zerstörten Energie-Infrastruktur bereitgestellt werden. Zudem wird die EU weitere 2400 Stromgeneratoren zur Verfügung stellen – zusätzlich zu den 3000, die seit Beginn des Krieges geliefert wurden. Seit Kriegsbeginn habe die EU die Ukraine mit 50 Milliarden Euro unterstützt, betonte von der Leyen.

EU-Ukraine-Gipfel am Freitag

Auf das informelle Treffen der Kommission mit Präsident Wolodymyr Selenskyj und der ukrainischen Regierung folgt am heutigen Freitag der 24. EU-Ukraine-Gipfel, zu dem auch Ratspräsident Charles Michel nach Kiew reist. Die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten sind bei diesem Gipfeltreffen nicht vertreten. Sie waren aber über ihre ständigen Vertreter in Brüssel in die Vorbereitung eingebunden. Große Entscheidungen sind nicht geplant.

Im Entwurf für die Gipfel-Erklärung, der Security.Table vorliegt, wird der “unprovozierte und ungerechtfertigte Angriffskrieg” Russlands verurteilt. Die EU verspricht, die Ukraine in diesem Krieg “so lange wie nötig” zu unterstützen.

Die Passagen zum EU-Beitritt fallen für die Ukraine enttäuschend aus. Regierungschef Denys Schmyhal hatte angekündigt, dass sein Land binnen zwei Jahren beitreten wolle. Der Gipfelentwurf enthält jedoch keine Frist. Vielmehr verweist der Text auf den Fortschrittsbericht, den die EU-Kommission im Herbst vorlegen will. Zudem mahnt er die “vollständige und konsequente Umsetzung der Justizreformen” an, die Kiew 2022 zugesagt hatte.

Damit es zu Beitrittsverhandlungen kommt, müssen zudem noch alle 27 EU-Staaten grünes Licht geben. Angesichts des wieder eskalierenden Krieges und der zahlreichen, gerade erst aufgedeckten Korruptionsskandale zeichnet sich jedoch keine schnelle Entscheidung in Brüssel ab. Als “Trostpflaster” hat die EU-Kommission eine engere Zusammenarbeit bei europäischen Programmen angekündigt – allerdings unterhalb der Schwelle der Mitgliedschaft.

Streit über Sanktionen in Brüssel

Der Gipfelentwurf enthält auch ein Bekenntnis zu weiteren Sanktionen gegen Russland. Allerdings sind die Gespräche über Strafmaßnahmen im Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) am Donnerstag in Brüssel ausgesetzt worden – die Differenzen waren zu groß. Zur Debatte steht eine Überprüfung des im Dezember verhängten Ölpreisdeckels, ein Preislimit für Diesel und andere Raffinerieprodukte sowie eine Verschärfung der Sanktionen gegen Belarus. Bei letzterem geht es vor allem um die Frage, ob Sanktionen gegen Belarus mit jenen gegen Russland harmonisiert werden, um über Minsk auch Druck auf Moskau aufzubauen.

Zum Ölpreisdeckel hat die EU-Kommission vorgeschlagen, ab dem 5. Februar Preisobergrenzen für russische Ölprodukte wie etwa Diesel festzulegen. Sie sollen bei 100 Dollar pro Barrel (159 Liter) für russischen Diesel und bei 45 Dollar pro Barrel für Heizöl aus Russland liegen. Einigen Ländern geht dies zu weit, anderen nicht weit genug. Die Beratungen sollen am Wochenende fortgesetzt werden.

Ob die Deadline für eine Einigung im AStV am Sonntag gehalten werden kann, ist unklar. Streit gibt es auch über das zehnte Sanktionspaket, das vor dem Jahrestag des russischen Überfalls am 24. Februar verhängt werden soll. Die Ukraine fordert, auch den Handel mit russischen Diamanten sowie die russische Atomindustrie mit Strafen zu belegen (siehe Analyse in dieser Ausgabe). Bei den Diamanten steht jedoch Belgien auf der Bremse, bei Rosatom haben mehrere EU-Staaten Bedenken. Auch hier wird es eng. Eric Bonse

Russische Diamanten im Fokus des 10. Sanktionspakets

Das russische U-Boot trägt den Namen seines Sponsors, des halbstaatlichen Diamantenproduzenten Alrosa. Erst vor kurzem ist das Jagd-U-Boot der Kilo-Klasse nach einer aufwändigen Modernisierung auf den Hauptstützpunkt der Schwarzmeerflotte in Sewastopol zurückgekehrt.

Selten ist der Link zwischen einem Unternehmen und dem russischen Aggressionskrieg gegen die Ukraine so offensichtlich wie beim Diamantenproduzenten Alrosa. Und trotzdem sind weder russische Diamanten noch der kremlnahe Konzern bisher auf den Sanktionslisten der EU aufgetaucht. Das könnte sich jetzt ändern.

Konzern und CEO auf Sanktionsliste

Die EU-Abgeordnete Kathleen Van Brempt stammt aus Antwerpen, weltweit mit Abstand größter Handelsplatz für Rohdiamanten. Die Politikerin von den flämischen Sozialisten drängt, dass die belgische Regierung aktiv hilft, diese Lücke im Sanktionsregime zu schließen. Die Partei von Kathleen Van Brempt ist Teil der Regierungskoalition in Brüssel.

Alrosa finanziere mit seinen Gewinnen in dreistelliger Millionenhöhe Wladimir Putins Kriegsmaschinerie, sagt die EU-Abgeordnete. Der Diamantenkonzern müsste auf die Sanktionsliste und ebenso sein CEO Sergej Iwanow. Neben einem Importverbot für russische Diamanten brauche es auf der Ebene der G7-Staaten eine Initiative, um die Rückverfolgbarkeit und Herkunft von Diamanten sicherstellen zu können.

Bislang kein Importbann vorgeschlagen

Der Entscheidungsprozess für Sanktionen sei in der EU leider eine Blackbox, klagt Kathleen Van Brempt allerdings. Bei jedem der bisher neun Sanktionspakete gegen Russland hat die EU-Kommission vor der Diskussion auf Ebene der Botschafter zuerst die Chancen in den Hauptstädten sondiert. Brüssel habe bisher in keiner Runde formell einen Importbann für russische Diamanten vorgeschlagen, sagen EU-Diplomaten.

Hintergrund ist, dass die EU-Kommission keine Strafmaßnahmen präsentiert, die ausschließlich einen Mitgliedstaat treffen oder der EU mehr schaden als Russland. Im Fall der Diamanten würden möglicherweise beide Ausschlussgründe zutreffen. Vor allem bei gewissen Industriediamanten etwa für die Chirurgie soll es keine richtigen Alternativen geben.

USA verhängten bereits Sanktionen

Deshalb stimmt es möglicherweise auch, wenn Belgiens Premier Alexander De Croo sagt, dass sein Land bisher keine Strafmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Diamantensektor blockiert habe. Dagegen spricht allerdings, dass Alrosa im Oktober in einem geleakten Entwurf für ein Sanktionspaket auf der Liste stand, später aber wieder verschwand.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Belgiens Regierung schon persönlich aufgefordert, Russlands einträgliches Geschäft zu stoppen. Die USA sind im vergangenen Jahr vorangegangen und haben Sanktionen gegen Alrosa sowie dessen CEO Sergej Iwanow verhängt, Sohn von Putins früherem Kabinettschef und Verteidigungsminister.

Diamanten über Umwege in den USA

Das ist nicht ohne Konsequenzen für Antwerpen geblieben. Die Diamantenindustrie sorgte zuletzt für 37 Milliarden Euro Umsatz und steht für fünf Prozent der Exporte Belgiens. Noch vor dem Überfall auf die Ukraine kam knapp ein Drittel der Rohdiamanten aus Russland. Als Reaktion auf die US-Sanktionen brachen im Herbst die Einfuhren aus Alrosas Minen im Fernen Osten Russlands aber um 80 Prozent ein, wohl hauptsächlich wegen Berührungsängsten der Händler.

Tom Neys vom Antwerp World Diamond Centre (AWDC) sieht dabei die Warnungen des Dachverbandes bestätigt, dass Sanktionen nicht funktionierten. Alrosa liefere die Steine nun einfach nach Dubai oder vor allem nach Indien, wo schon bisher ein Großteil der Massenware verarbeitet wird. Dort gebe es überhaupt keine Transparenz. Einmal geschliffen oder zusammen mit anderen Diamanten weiterverkauft, seien Geldflüsse und Herkunft nicht mehr nachvollziehbar, sagt Tom Neys. Russische Diamanten landeten so trotz der Sanktionen etwa als Schmuck verarbeitet in den USA oder auch in China, Abnehmer von 90 Prozent der indischen Ausfuhren.

10. Sanktionspaket bis zum Jahrestag

In Antwerpen stört man sich grundsätzlich am Fokus auf die Diamanten. Tatsächlich ist auch russisches Uran für Europas Atomkraftwerke oder Aluminium bisher von den Strafmaßnahmen verschont geblieben. Antwerpen werde zudem zu Unrecht beschuldigt, ein intransparenter Handelsplatz zu sein, sagt Tom Neys. Man habe doch beim Kimberley-Prozess gegen Blutdiamanten aus Afrika bewiesen, dass man an ethisch sauberem Handel interessiert sei.

Ähnlich wie die EU-Abgeordnete Kathleen Van Brempt drängt der Sprecher der Diamantenhändler auf eine Vereinbarung im Rahmen der G7-Staaten, um Transparenz und Rückverfolgbarkeit der Steine sicherzustellen. Die EU will das zehnte Sanktionspaket bis zum ersten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar beschließen. Ob Alrosa und die Diamanten aus Russland im Paket sein werden, wird sich zeigen. Die EU-Kommission will die Sondierungen mit den Mitgliedstaaten nach dem Gipfel Ende nächster Woche intensivieren.

  • EU
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Die übersehene Hilfe für die Ukraine

Millionen Geflüchtete und Binnenvertriebene, zerstörte Infrastruktur, leere Staatskassen – die Ukraine braucht nicht nur militärische, sondern auch zivile Hilfe, denn die Schäden im Land sind enorm. Deutschland spielt dabei eine wesentliche Rolle: Mehr als 10,3 Milliarden Euro an bilateraler Unterstützung hat die Bundesregierung der Ukraine seit Kriegsbeginn bereitgestellt und ist damit größter Geber in Europa abseits militärischer Leistungen.

Die größten Posten waren bis Ende des vergangenen Jahres:

  • Finanzministerium (6,1 Milliarden Euro): der Großteil fließt in die Unterstützung der Bundesländer und Kommunen bei Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten
  • Wirtschaftsministerium (461 Millionen Euro): hauptsächlich Unterstützung für Unternehmen und zur Instandsetzung des ukrainischen Stromnetzes
  • Ministerium für Arbeit und Soziales (2 Milliarden Euro): für Mindestsicherungsleistungen ukrainischer Geflüchteter in Deutschland

Schnelle Hilfe durch Hilfsorganisationen

Das Auswärtige Amt stellte 3,2 Milliarden Euro für die weltweite Humanitäre Hilfe zur Verfügung. 600 Millionen Euro standen für die Ukraine bereit. Ein Großteil davon geht an Hilfsorganisationen wie Caritas und Rotes Kreuz. Während das DRK das Ukrainische Rote Kreuz bereits seit der Annexion der Krim 2014 stärker unterstützt, habe sich die quantitative und qualitative Zusammenarbeit im vergangenen Jahr noch einmal intensiviert, sagt Christof Johnen, Leiter des Bereichs für Internationale Zusammenarbeit beim DRK.

Zu den Hauptaufgaben gehört die Organisation und Koordinierung der Hilfsgüterlieferungen über Versorgungsrouten durch die Anrainerstaaten, sowie finanzielle Unterstützung. “Noch am Morgen des 24. Februar stellten wir dem Ukrainischen Roten Kreuz eine Soforthilfe von 500.000 Euro zur Verfügung, womit die Kolleginnen und Kollegen Einkaufsgutscheine an Binnenvertriebene verteilen konnten”, erklärt Johnen.

Außerdem unterstützten das DRK und seine israelische Schwestergesellschaft Roter Davidstern (MDA) mit Fahrzeugen und Notfallsanitätern mit Fronterfahrung das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) bei der Evakuierung von alten, kranken und verletzten Menschen.

THW kauft 800 Generatoren

Mit knapp 50 Millionen Euro finanzierte das Bundesinnenministerium Hilfsgüter und -leistungen über das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und das Technische Hilfswerk (THW). Das THW ist dabei nicht direkt in der Ukraine tätig, arbeitet aber eng mit der dort zuständigen Zivil- und Katastrophenschutzbehörde SESU (State Emergency Service of Ukraine, ukrainisch: Staatlicher Dienst der Ukraine für Notfallsituationen, DSNS) zusammen, erklärt Klaus Buchmüller, Leiter der Arbeitsgruppe Ausland beim THW. 

“Wir stellen Sachmittel passgenau nach den Bedarfslisten aus der Ukraine bereit, immer auch in Koordinierung mit der deutschen Botschaft in Kiew. Die Güter werden von ukrainischen Speditionen in die Ukraine gebracht. Vor allem Generatoren, Fahrzeuge, sowie Ausstattung für den Zivil- und Katastrophenschutz und Hilfsgüter für die Bevölkerung sind gefragt.” Mehr als 800 dringend benötigte Stromgeneratoren kaufte das THW ein, 350 davon sind bereits in der Ukraine, 120 weitere wurden nach Moldau gebracht. “Wöchentlich folgen nun weitere Lieferungen, unter anderem für die Regionen Charkiw, Cherson und Sumy im Nordosten der Ukraine”, sagt Buchmüller.

Der ukrainische Zivil- und Katastrophenschutz profitiert in Kriegszeiten auch von deutschem Engagement aus der Zeit vor dem Krieg. Das THW hat, zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und dem BBK, auf Wunsch der ukrainischen Regierung das Ehrenamt im Zivil- und Katastrophenschutz nach deutschem Vorbild und mit den Gegebenheiten vor Ort eingeführt. Anfangs hätten die Ukrainer dem Ehrenamt skeptisch gegenüber gestanden. “Jetzt sieht man dort allerdings, wie hoch das freiwillige Engagement der Zivilbevölkerung ist, was dem Ehrenamt eine neue Bedeutung gibt”, erklärt Buchmüller.

Zunehmendes Spannungsfeld befürchtet

Deutschlands Engagement in der Ukraine sei lobenswert. Trotzdem warnt Ralf Südhoff, Direktor des Berliner Think-Tanks Centre for Humanitarian Action (CHA), vor einem zunehmenden Spannungsfeld zwischen den steigenden Verteidigungsausgaben seit der Zeitenwende und der humanen Sicherheit. Dazu komme eine Debatte darüber, ob man nicht lieber erst im eigenen Land helfen soll, statt in Afrika. “Sollte man nicht den deutschen Mittelstand unterstützen mit einem weiteren milliardenschweren Sondervermögen und dafür die Millionen bei der Ernährungshilfe für Hungernde in Afrika sparen?” Mit solchen Diskussionen würden Interessen gegeneinander ausgespielt, was aus humanitärer Sicht schwer zu akzeptieren sei, sagt Südhoff.

Seit dem Zweiten Weltkrieg sei die Zahl derer, die humanitäre Hilfe brauchten, nicht mehr so sprunghaft angestiegen wie im vergangenen Jahr. Und noch nie sei die humanitäre Hilfe so unterfinanziert wie jetzt. “Die Situation droht sich dramatisch zu verschlechtern, weil man die Zeitenwende nicht ganzheitlich begreift”, sagt Südhoff.

Schwabe: “Müssen insgesamt mehr tun”

Auch Frank Schwabe, Sprecher für humanitäre Hilfe der SPD-Fraktion im Bundestag, verweist auf das zunehmende Engagement bei der Ausrüstung der Bundeswehr und den Waffenlieferungen. “Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass ein Zuwachs im Verteidigungsetat auch zu einem Zuwachs an Mittel für die Zivile Konfliktverhütung und Humanitäre Hilfe führt. Die Frage ist, in welchem Verhältnis.”

Dass aktuell ein prozentual größerer Anteil an humanitärer Hilfe in die Ukraine fließe, müsse auch dazu führen, dass die Mittel insgesamt steigen. “Wir müssen international mehr im Bereich der humanitären Hilfe und der zivilen Konfliktbewältigung und -verhütung tun”, sagt Schwabe.

Auch über die EU beteiligt sich Deutschland an der Hilfe für die Ukraine. Insgesamt sagten die Europäische Union, ihre Mitgliedstaaten und die europäischen Finanzinstitutionen finanzielle und humanitäre Hilfe in Höhe von 50 Milliarden Euro zu. Für 2023 kündigte die EU-Kommission weitere finanzielle und humanitäre Hilfe in Höhe von 150 Millionen Euro an. Damit hat die EU die USA knapp überholt. Um kurzfristige Hilfen und den langfristigen Wiederaufbau der Ukraine zu koordinieren, nahm vergangene Woche eine internationale Geberplattform ihre Arbeit auf. Zuvor hatten die G7-Staaten und die EU einen Marshallplan für die Ukraine auf den Weg gebracht.

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News

Peking wettert weiter gegen die Nato

Die Führung in Peking hält auch weiter an ihrer Kritik am atlantischen Verteidigungsbündnis fest. Die Nato “fabriziert eine chinesische Bedrohung“, sagte Außenamtssprecherin Mao Ning diese Woche in Peking, anlässlich des Besuchs von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Japan und Südkorea.

Die Sprecherin warf der Nato vor, ihre Beziehungen zu asiatisch-pazifischen Ländern stärken und ihre Einflusssphäre jenseits seiner traditionellen Verteidigungszone auszudehnen – obwohl sie vorgebe, eine regionale Allianz zu sein. Die asiatisch-pazifische Region sei “nicht das Schlachtfeld für geopolitischen Wettbewerb“, betonte Mao Ning. Eine “Mentalität des Kalten Krieges und der Block-Konfrontation” sei nicht wünschenswert.

Stoltenberg hatte sich bei seinem Besuch in Tokio am Dienstag mit Japans Ministerpräsidenten Fumio Kishida getroffen. “China baut seine Streitkräfte, einschließlich Atomwaffen, erheblich aus, schikaniert seine Nachbarn und bedroht Taiwan”, wird Stoltenberg von der Nachrichtenagentur dpa zitiert. Peking beobachte genau den Umgang des Westens mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine und lerne “Lehren, die seine zukünftigen Entscheidungen beeinflussen können”, warnte Stoltenberg. “Was heute in Europa passiert, könnte morgen in Ostasien passieren.” flee

  • China
  • Geopolitik
  • Nato

Mehr als 570 russische Diplomaten ausgewiesen

Innerhalb eines knappen Jahres sind aus der EU, den USA, Japan und anderen Staaten insgesamt 574 russische Diplomatinnen und Diplomaten ausgewiesen worden – vier von ihnen aus Österreich in dieser Woche. Sie müssen das Land bis 8. Februar verlassen, es handelt sich zum zwei Vertreter Russlands bei der UN und um zwei Vertreter in der russischen Botschaft in Österreich, teilte das österreichische Außenministerium mit. Offiziell begründet Wien die Entscheidung mit der Tätigkeit der Diplomaten, die nichts mit ihrem Status zu tun habe. Details werden nicht genannt.

Laut der russischen Nachrichtenagentur Tass haben 29 Staaten seit dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine im vergangenen Februar 574 Vertretern Moskaus den Diplomaten-Status entzogen. An erster Stelle steht Bulgarien mit 83 Personen, Polen folgt mit 45, Deutschland mit 40. Die USA haben 28 Vertreter Russlands ausgewiesen. Laut Moscow Times hat es eine massenhafte Ausweisung russischer staatlicher Vertreter zuletzt 2018 gegeben, als zwei Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes GRU den russischen Geheimdienstüberläufer Sergej Skripal und seine Tochter Julia in Großbritannien vergiftet hätten. Damals wiesen westliche Staaten 123 russische Vertreter aus. vf

  • Diplomatie
  • Russland

Medienschau

Presseschau

Spiegel – “Uns bleibt keine Zeit mehr, meinen Vater lebend nach Hause zu bringen”: Der Sohn des entführten Bürgermeisters von Cherson wirft Kiew vor, nicht genug für seine Befreiung zu tun. Er vermutet, dass man seinem Vater Kollaboration mit den Russen vorwirft, dabei habe er nur die Stadt am Laufen gehalten. Der Artikel zeigt eindrücklich, wie groß das Spannungsfeld für die Ukrainer in besetzten Gebieten ist: Wann wird aus Koexistenz Kollaboration?

BBC – “Our troops tortured Ukrainians”: Ein ehemaliger russischer Offizier legt Zeugnis ab über seine Zeit in besetzten Gebieten in der Ukraine. Konstantin Yefremov berichtet von Folter und Plünderungen, und seinen Versuchen auf legalen Wegen einem Krieg zu entkommen, den er nach eigenen Angaben ablehnt. Am Ende bittet er um Entschuldigung für schwer entschuldbare Taten.

The Moscow Times – “The Return of Russia’s Foreign Agent Paranoia as Biological Imperative”: Angst ist ein wirksames Herrschaftsinstrument. In Russland gehört das Verbreiten von Angst durch den Staat nun fest zum Alltag, besonders die Angst vor den “ausländischen Agenten”. Dieser Artikel schildert den sowjetischen Ursprung des Begriffs und zeigt, wie er heute gegen die Kritikerinnen und Kritiker des Regimes eingesetzt wird.

Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

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    ein 10. Sanktionspaket, Zusagen über weitere militärische und humanitäre Hilfe sowie ein Zentrum für die Verfolgung der Kriegsverbrechen Russlands – aber kein schneller Beitritt zur EU: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kam zwar nicht mit leeren Händen zum Besuch nach Kiew. Aber die wohl größte Hoffnung der Ukrainer erfüllt sich wohl nicht, schreibt Eric Bonse.

    Dass der äußerst einträgliche Handel mit Diamanten aus Russland, allen voran mit dem Konzern Alrosa, bislang nicht mit Sanktionen belegt ist, ist der EU-Abgeordneten Kathleen Van Brempt ein Dorn im Auge. Warum die Sanktionierung der Diamanten der EU jedoch mehr schaden als nützen könnte, erklärt Stephan Israel in seiner Analyse.

    Seit Monaten greift Russland immer wieder Häuser, Kraftwerke, Schulen, Krankenhäuser und andere zivile Objekte in der Ukraine an, das Leid der Bevölkerung vor Ort ist enorm. Die internationale Gemeinschaft liefert nicht nur Waffen, sondern auch umfangreiche finanzielle und humanitäre Hilfe. Deutschland zählt dabei zu den größten Geldgebern, wie Sie in meinem Text dazu lesen können.

    Am Montag, 13. Februar, von 11.30 bis 12.30 Uhr spricht Security.Table-Redakteur Viktor Funk mit Dr. Iryna Solonenko (Zentrum Liberale Moderne) und Dr. Stefan Meister (DGAP) im Table.Briefing über die Frage, unter welchen Bedingungen der Krieg enden könnte, welche Verhandlungsmacht die Ukraine hat und welche Entwicklung Russland als Ganzes nimmt. Melden Sie sich jetzt schon dafür an. 

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    Ursula von der Leyen und 15 ihrer Kommissare zu Gast in Kiew bei Selenskyj und seinem Kabinett.

    Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte am Donnerstag in Kiew unter anderem das nunmehr zehnte Sanktionspaket sowie ein “internationales Zentrum für die Verfolgung des Verbrechens der Aggression in der Ukraine” an, das in Den Haag eingerichtet werden soll. Details nannte sie beim EU-Ukraine-Gipfel noch nicht, sie sollen später ausgearbeitet werden.

    Der Besuch der Kommission in Kiew hatte vor allem symbolischen Wert. Kurz vor dem Jahrestag der russischen Invasion am 24. Februar wollte die EU-Behörde ihre Solidarität unterstreichen. Von der Leyen sprach von einem deutlichen Signal. “Die Ukraine ist zum Mittelpunkt unseres Kontinents geworden. Zum Ort, an dem unsere Werte hochgehalten werden, wo unsere Freiheit verteidigt wird und wo die Zukunft Europas geschrieben wird.”

    Weitere finanzielle Hilfen für Kiew

    Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kündigte eine Ausweitung der militärischen Ausbildungsmission EUMAM (EU Military Assistance Mission Ukraine) an. Die EUMAM werde zusätzliche 15.000 ukrainische Soldaten trainieren und die Gesamtzahl damit auf 30.000 erhöhen, sagte der Spanier nach einem Gespräch mit dem ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Schmyhal. Experten aus den Streitkräften der EU-Mitgliedstaaten wollen künftig auch Kampfpanzer-Besatzungen schulen. Der Leopard 2, den unter anderem Deutschland und Polen liefern wollen, soll so schnell und effizient wie möglich genutzt werden.

    Die EU-Kommission kündigte auch weitere finanzielle und humanitäre Hilfen an. So sollen rund 150 Millionen Euro für den Wiederaufbau der von Russland zerstörten Energie-Infrastruktur bereitgestellt werden. Zudem wird die EU weitere 2400 Stromgeneratoren zur Verfügung stellen – zusätzlich zu den 3000, die seit Beginn des Krieges geliefert wurden. Seit Kriegsbeginn habe die EU die Ukraine mit 50 Milliarden Euro unterstützt, betonte von der Leyen.

    EU-Ukraine-Gipfel am Freitag

    Auf das informelle Treffen der Kommission mit Präsident Wolodymyr Selenskyj und der ukrainischen Regierung folgt am heutigen Freitag der 24. EU-Ukraine-Gipfel, zu dem auch Ratspräsident Charles Michel nach Kiew reist. Die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten sind bei diesem Gipfeltreffen nicht vertreten. Sie waren aber über ihre ständigen Vertreter in Brüssel in die Vorbereitung eingebunden. Große Entscheidungen sind nicht geplant.

    Im Entwurf für die Gipfel-Erklärung, der Security.Table vorliegt, wird der “unprovozierte und ungerechtfertigte Angriffskrieg” Russlands verurteilt. Die EU verspricht, die Ukraine in diesem Krieg “so lange wie nötig” zu unterstützen.

    Die Passagen zum EU-Beitritt fallen für die Ukraine enttäuschend aus. Regierungschef Denys Schmyhal hatte angekündigt, dass sein Land binnen zwei Jahren beitreten wolle. Der Gipfelentwurf enthält jedoch keine Frist. Vielmehr verweist der Text auf den Fortschrittsbericht, den die EU-Kommission im Herbst vorlegen will. Zudem mahnt er die “vollständige und konsequente Umsetzung der Justizreformen” an, die Kiew 2022 zugesagt hatte.

    Damit es zu Beitrittsverhandlungen kommt, müssen zudem noch alle 27 EU-Staaten grünes Licht geben. Angesichts des wieder eskalierenden Krieges und der zahlreichen, gerade erst aufgedeckten Korruptionsskandale zeichnet sich jedoch keine schnelle Entscheidung in Brüssel ab. Als “Trostpflaster” hat die EU-Kommission eine engere Zusammenarbeit bei europäischen Programmen angekündigt – allerdings unterhalb der Schwelle der Mitgliedschaft.

    Streit über Sanktionen in Brüssel

    Der Gipfelentwurf enthält auch ein Bekenntnis zu weiteren Sanktionen gegen Russland. Allerdings sind die Gespräche über Strafmaßnahmen im Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) am Donnerstag in Brüssel ausgesetzt worden – die Differenzen waren zu groß. Zur Debatte steht eine Überprüfung des im Dezember verhängten Ölpreisdeckels, ein Preislimit für Diesel und andere Raffinerieprodukte sowie eine Verschärfung der Sanktionen gegen Belarus. Bei letzterem geht es vor allem um die Frage, ob Sanktionen gegen Belarus mit jenen gegen Russland harmonisiert werden, um über Minsk auch Druck auf Moskau aufzubauen.

    Zum Ölpreisdeckel hat die EU-Kommission vorgeschlagen, ab dem 5. Februar Preisobergrenzen für russische Ölprodukte wie etwa Diesel festzulegen. Sie sollen bei 100 Dollar pro Barrel (159 Liter) für russischen Diesel und bei 45 Dollar pro Barrel für Heizöl aus Russland liegen. Einigen Ländern geht dies zu weit, anderen nicht weit genug. Die Beratungen sollen am Wochenende fortgesetzt werden.

    Ob die Deadline für eine Einigung im AStV am Sonntag gehalten werden kann, ist unklar. Streit gibt es auch über das zehnte Sanktionspaket, das vor dem Jahrestag des russischen Überfalls am 24. Februar verhängt werden soll. Die Ukraine fordert, auch den Handel mit russischen Diamanten sowie die russische Atomindustrie mit Strafen zu belegen (siehe Analyse in dieser Ausgabe). Bei den Diamanten steht jedoch Belgien auf der Bremse, bei Rosatom haben mehrere EU-Staaten Bedenken. Auch hier wird es eng. Eric Bonse

    Russische Diamanten im Fokus des 10. Sanktionspakets

    Das russische U-Boot trägt den Namen seines Sponsors, des halbstaatlichen Diamantenproduzenten Alrosa. Erst vor kurzem ist das Jagd-U-Boot der Kilo-Klasse nach einer aufwändigen Modernisierung auf den Hauptstützpunkt der Schwarzmeerflotte in Sewastopol zurückgekehrt.

    Selten ist der Link zwischen einem Unternehmen und dem russischen Aggressionskrieg gegen die Ukraine so offensichtlich wie beim Diamantenproduzenten Alrosa. Und trotzdem sind weder russische Diamanten noch der kremlnahe Konzern bisher auf den Sanktionslisten der EU aufgetaucht. Das könnte sich jetzt ändern.

    Konzern und CEO auf Sanktionsliste

    Die EU-Abgeordnete Kathleen Van Brempt stammt aus Antwerpen, weltweit mit Abstand größter Handelsplatz für Rohdiamanten. Die Politikerin von den flämischen Sozialisten drängt, dass die belgische Regierung aktiv hilft, diese Lücke im Sanktionsregime zu schließen. Die Partei von Kathleen Van Brempt ist Teil der Regierungskoalition in Brüssel.

    Alrosa finanziere mit seinen Gewinnen in dreistelliger Millionenhöhe Wladimir Putins Kriegsmaschinerie, sagt die EU-Abgeordnete. Der Diamantenkonzern müsste auf die Sanktionsliste und ebenso sein CEO Sergej Iwanow. Neben einem Importverbot für russische Diamanten brauche es auf der Ebene der G7-Staaten eine Initiative, um die Rückverfolgbarkeit und Herkunft von Diamanten sicherstellen zu können.

    Bislang kein Importbann vorgeschlagen

    Der Entscheidungsprozess für Sanktionen sei in der EU leider eine Blackbox, klagt Kathleen Van Brempt allerdings. Bei jedem der bisher neun Sanktionspakete gegen Russland hat die EU-Kommission vor der Diskussion auf Ebene der Botschafter zuerst die Chancen in den Hauptstädten sondiert. Brüssel habe bisher in keiner Runde formell einen Importbann für russische Diamanten vorgeschlagen, sagen EU-Diplomaten.

    Hintergrund ist, dass die EU-Kommission keine Strafmaßnahmen präsentiert, die ausschließlich einen Mitgliedstaat treffen oder der EU mehr schaden als Russland. Im Fall der Diamanten würden möglicherweise beide Ausschlussgründe zutreffen. Vor allem bei gewissen Industriediamanten etwa für die Chirurgie soll es keine richtigen Alternativen geben.

    USA verhängten bereits Sanktionen

    Deshalb stimmt es möglicherweise auch, wenn Belgiens Premier Alexander De Croo sagt, dass sein Land bisher keine Strafmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Diamantensektor blockiert habe. Dagegen spricht allerdings, dass Alrosa im Oktober in einem geleakten Entwurf für ein Sanktionspaket auf der Liste stand, später aber wieder verschwand.

    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Belgiens Regierung schon persönlich aufgefordert, Russlands einträgliches Geschäft zu stoppen. Die USA sind im vergangenen Jahr vorangegangen und haben Sanktionen gegen Alrosa sowie dessen CEO Sergej Iwanow verhängt, Sohn von Putins früherem Kabinettschef und Verteidigungsminister.

    Diamanten über Umwege in den USA

    Das ist nicht ohne Konsequenzen für Antwerpen geblieben. Die Diamantenindustrie sorgte zuletzt für 37 Milliarden Euro Umsatz und steht für fünf Prozent der Exporte Belgiens. Noch vor dem Überfall auf die Ukraine kam knapp ein Drittel der Rohdiamanten aus Russland. Als Reaktion auf die US-Sanktionen brachen im Herbst die Einfuhren aus Alrosas Minen im Fernen Osten Russlands aber um 80 Prozent ein, wohl hauptsächlich wegen Berührungsängsten der Händler.

    Tom Neys vom Antwerp World Diamond Centre (AWDC) sieht dabei die Warnungen des Dachverbandes bestätigt, dass Sanktionen nicht funktionierten. Alrosa liefere die Steine nun einfach nach Dubai oder vor allem nach Indien, wo schon bisher ein Großteil der Massenware verarbeitet wird. Dort gebe es überhaupt keine Transparenz. Einmal geschliffen oder zusammen mit anderen Diamanten weiterverkauft, seien Geldflüsse und Herkunft nicht mehr nachvollziehbar, sagt Tom Neys. Russische Diamanten landeten so trotz der Sanktionen etwa als Schmuck verarbeitet in den USA oder auch in China, Abnehmer von 90 Prozent der indischen Ausfuhren.

    10. Sanktionspaket bis zum Jahrestag

    In Antwerpen stört man sich grundsätzlich am Fokus auf die Diamanten. Tatsächlich ist auch russisches Uran für Europas Atomkraftwerke oder Aluminium bisher von den Strafmaßnahmen verschont geblieben. Antwerpen werde zudem zu Unrecht beschuldigt, ein intransparenter Handelsplatz zu sein, sagt Tom Neys. Man habe doch beim Kimberley-Prozess gegen Blutdiamanten aus Afrika bewiesen, dass man an ethisch sauberem Handel interessiert sei.

    Ähnlich wie die EU-Abgeordnete Kathleen Van Brempt drängt der Sprecher der Diamantenhändler auf eine Vereinbarung im Rahmen der G7-Staaten, um Transparenz und Rückverfolgbarkeit der Steine sicherzustellen. Die EU will das zehnte Sanktionspaket bis zum ersten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar beschließen. Ob Alrosa und die Diamanten aus Russland im Paket sein werden, wird sich zeigen. Die EU-Kommission will die Sondierungen mit den Mitgliedstaaten nach dem Gipfel Ende nächster Woche intensivieren.

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    Die übersehene Hilfe für die Ukraine

    Millionen Geflüchtete und Binnenvertriebene, zerstörte Infrastruktur, leere Staatskassen – die Ukraine braucht nicht nur militärische, sondern auch zivile Hilfe, denn die Schäden im Land sind enorm. Deutschland spielt dabei eine wesentliche Rolle: Mehr als 10,3 Milliarden Euro an bilateraler Unterstützung hat die Bundesregierung der Ukraine seit Kriegsbeginn bereitgestellt und ist damit größter Geber in Europa abseits militärischer Leistungen.

    Die größten Posten waren bis Ende des vergangenen Jahres:

    • Finanzministerium (6,1 Milliarden Euro): der Großteil fließt in die Unterstützung der Bundesländer und Kommunen bei Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten
    • Wirtschaftsministerium (461 Millionen Euro): hauptsächlich Unterstützung für Unternehmen und zur Instandsetzung des ukrainischen Stromnetzes
    • Ministerium für Arbeit und Soziales (2 Milliarden Euro): für Mindestsicherungsleistungen ukrainischer Geflüchteter in Deutschland

    Schnelle Hilfe durch Hilfsorganisationen

    Das Auswärtige Amt stellte 3,2 Milliarden Euro für die weltweite Humanitäre Hilfe zur Verfügung. 600 Millionen Euro standen für die Ukraine bereit. Ein Großteil davon geht an Hilfsorganisationen wie Caritas und Rotes Kreuz. Während das DRK das Ukrainische Rote Kreuz bereits seit der Annexion der Krim 2014 stärker unterstützt, habe sich die quantitative und qualitative Zusammenarbeit im vergangenen Jahr noch einmal intensiviert, sagt Christof Johnen, Leiter des Bereichs für Internationale Zusammenarbeit beim DRK.

    Zu den Hauptaufgaben gehört die Organisation und Koordinierung der Hilfsgüterlieferungen über Versorgungsrouten durch die Anrainerstaaten, sowie finanzielle Unterstützung. “Noch am Morgen des 24. Februar stellten wir dem Ukrainischen Roten Kreuz eine Soforthilfe von 500.000 Euro zur Verfügung, womit die Kolleginnen und Kollegen Einkaufsgutscheine an Binnenvertriebene verteilen konnten”, erklärt Johnen.

    Außerdem unterstützten das DRK und seine israelische Schwestergesellschaft Roter Davidstern (MDA) mit Fahrzeugen und Notfallsanitätern mit Fronterfahrung das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) bei der Evakuierung von alten, kranken und verletzten Menschen.

    THW kauft 800 Generatoren

    Mit knapp 50 Millionen Euro finanzierte das Bundesinnenministerium Hilfsgüter und -leistungen über das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und das Technische Hilfswerk (THW). Das THW ist dabei nicht direkt in der Ukraine tätig, arbeitet aber eng mit der dort zuständigen Zivil- und Katastrophenschutzbehörde SESU (State Emergency Service of Ukraine, ukrainisch: Staatlicher Dienst der Ukraine für Notfallsituationen, DSNS) zusammen, erklärt Klaus Buchmüller, Leiter der Arbeitsgruppe Ausland beim THW. 

    “Wir stellen Sachmittel passgenau nach den Bedarfslisten aus der Ukraine bereit, immer auch in Koordinierung mit der deutschen Botschaft in Kiew. Die Güter werden von ukrainischen Speditionen in die Ukraine gebracht. Vor allem Generatoren, Fahrzeuge, sowie Ausstattung für den Zivil- und Katastrophenschutz und Hilfsgüter für die Bevölkerung sind gefragt.” Mehr als 800 dringend benötigte Stromgeneratoren kaufte das THW ein, 350 davon sind bereits in der Ukraine, 120 weitere wurden nach Moldau gebracht. “Wöchentlich folgen nun weitere Lieferungen, unter anderem für die Regionen Charkiw, Cherson und Sumy im Nordosten der Ukraine”, sagt Buchmüller.

    Der ukrainische Zivil- und Katastrophenschutz profitiert in Kriegszeiten auch von deutschem Engagement aus der Zeit vor dem Krieg. Das THW hat, zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und dem BBK, auf Wunsch der ukrainischen Regierung das Ehrenamt im Zivil- und Katastrophenschutz nach deutschem Vorbild und mit den Gegebenheiten vor Ort eingeführt. Anfangs hätten die Ukrainer dem Ehrenamt skeptisch gegenüber gestanden. “Jetzt sieht man dort allerdings, wie hoch das freiwillige Engagement der Zivilbevölkerung ist, was dem Ehrenamt eine neue Bedeutung gibt”, erklärt Buchmüller.

    Zunehmendes Spannungsfeld befürchtet

    Deutschlands Engagement in der Ukraine sei lobenswert. Trotzdem warnt Ralf Südhoff, Direktor des Berliner Think-Tanks Centre for Humanitarian Action (CHA), vor einem zunehmenden Spannungsfeld zwischen den steigenden Verteidigungsausgaben seit der Zeitenwende und der humanen Sicherheit. Dazu komme eine Debatte darüber, ob man nicht lieber erst im eigenen Land helfen soll, statt in Afrika. “Sollte man nicht den deutschen Mittelstand unterstützen mit einem weiteren milliardenschweren Sondervermögen und dafür die Millionen bei der Ernährungshilfe für Hungernde in Afrika sparen?” Mit solchen Diskussionen würden Interessen gegeneinander ausgespielt, was aus humanitärer Sicht schwer zu akzeptieren sei, sagt Südhoff.

    Seit dem Zweiten Weltkrieg sei die Zahl derer, die humanitäre Hilfe brauchten, nicht mehr so sprunghaft angestiegen wie im vergangenen Jahr. Und noch nie sei die humanitäre Hilfe so unterfinanziert wie jetzt. “Die Situation droht sich dramatisch zu verschlechtern, weil man die Zeitenwende nicht ganzheitlich begreift”, sagt Südhoff.

    Schwabe: “Müssen insgesamt mehr tun”

    Auch Frank Schwabe, Sprecher für humanitäre Hilfe der SPD-Fraktion im Bundestag, verweist auf das zunehmende Engagement bei der Ausrüstung der Bundeswehr und den Waffenlieferungen. “Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass ein Zuwachs im Verteidigungsetat auch zu einem Zuwachs an Mittel für die Zivile Konfliktverhütung und Humanitäre Hilfe führt. Die Frage ist, in welchem Verhältnis.”

    Dass aktuell ein prozentual größerer Anteil an humanitärer Hilfe in die Ukraine fließe, müsse auch dazu führen, dass die Mittel insgesamt steigen. “Wir müssen international mehr im Bereich der humanitären Hilfe und der zivilen Konfliktbewältigung und -verhütung tun”, sagt Schwabe.

    Auch über die EU beteiligt sich Deutschland an der Hilfe für die Ukraine. Insgesamt sagten die Europäische Union, ihre Mitgliedstaaten und die europäischen Finanzinstitutionen finanzielle und humanitäre Hilfe in Höhe von 50 Milliarden Euro zu. Für 2023 kündigte die EU-Kommission weitere finanzielle und humanitäre Hilfe in Höhe von 150 Millionen Euro an. Damit hat die EU die USA knapp überholt. Um kurzfristige Hilfen und den langfristigen Wiederaufbau der Ukraine zu koordinieren, nahm vergangene Woche eine internationale Geberplattform ihre Arbeit auf. Zuvor hatten die G7-Staaten und die EU einen Marshallplan für die Ukraine auf den Weg gebracht.

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    Peking wettert weiter gegen die Nato

    Die Führung in Peking hält auch weiter an ihrer Kritik am atlantischen Verteidigungsbündnis fest. Die Nato “fabriziert eine chinesische Bedrohung“, sagte Außenamtssprecherin Mao Ning diese Woche in Peking, anlässlich des Besuchs von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Japan und Südkorea.

    Die Sprecherin warf der Nato vor, ihre Beziehungen zu asiatisch-pazifischen Ländern stärken und ihre Einflusssphäre jenseits seiner traditionellen Verteidigungszone auszudehnen – obwohl sie vorgebe, eine regionale Allianz zu sein. Die asiatisch-pazifische Region sei “nicht das Schlachtfeld für geopolitischen Wettbewerb“, betonte Mao Ning. Eine “Mentalität des Kalten Krieges und der Block-Konfrontation” sei nicht wünschenswert.

    Stoltenberg hatte sich bei seinem Besuch in Tokio am Dienstag mit Japans Ministerpräsidenten Fumio Kishida getroffen. “China baut seine Streitkräfte, einschließlich Atomwaffen, erheblich aus, schikaniert seine Nachbarn und bedroht Taiwan”, wird Stoltenberg von der Nachrichtenagentur dpa zitiert. Peking beobachte genau den Umgang des Westens mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine und lerne “Lehren, die seine zukünftigen Entscheidungen beeinflussen können”, warnte Stoltenberg. “Was heute in Europa passiert, könnte morgen in Ostasien passieren.” flee

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    Mehr als 570 russische Diplomaten ausgewiesen

    Innerhalb eines knappen Jahres sind aus der EU, den USA, Japan und anderen Staaten insgesamt 574 russische Diplomatinnen und Diplomaten ausgewiesen worden – vier von ihnen aus Österreich in dieser Woche. Sie müssen das Land bis 8. Februar verlassen, es handelt sich zum zwei Vertreter Russlands bei der UN und um zwei Vertreter in der russischen Botschaft in Österreich, teilte das österreichische Außenministerium mit. Offiziell begründet Wien die Entscheidung mit der Tätigkeit der Diplomaten, die nichts mit ihrem Status zu tun habe. Details werden nicht genannt.

    Laut der russischen Nachrichtenagentur Tass haben 29 Staaten seit dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine im vergangenen Februar 574 Vertretern Moskaus den Diplomaten-Status entzogen. An erster Stelle steht Bulgarien mit 83 Personen, Polen folgt mit 45, Deutschland mit 40. Die USA haben 28 Vertreter Russlands ausgewiesen. Laut Moscow Times hat es eine massenhafte Ausweisung russischer staatlicher Vertreter zuletzt 2018 gegeben, als zwei Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes GRU den russischen Geheimdienstüberläufer Sergej Skripal und seine Tochter Julia in Großbritannien vergiftet hätten. Damals wiesen westliche Staaten 123 russische Vertreter aus. vf

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    Medienschau

    Presseschau

    Spiegel – “Uns bleibt keine Zeit mehr, meinen Vater lebend nach Hause zu bringen”: Der Sohn des entführten Bürgermeisters von Cherson wirft Kiew vor, nicht genug für seine Befreiung zu tun. Er vermutet, dass man seinem Vater Kollaboration mit den Russen vorwirft, dabei habe er nur die Stadt am Laufen gehalten. Der Artikel zeigt eindrücklich, wie groß das Spannungsfeld für die Ukrainer in besetzten Gebieten ist: Wann wird aus Koexistenz Kollaboration?

    BBC – “Our troops tortured Ukrainians”: Ein ehemaliger russischer Offizier legt Zeugnis ab über seine Zeit in besetzten Gebieten in der Ukraine. Konstantin Yefremov berichtet von Folter und Plünderungen, und seinen Versuchen auf legalen Wegen einem Krieg zu entkommen, den er nach eigenen Angaben ablehnt. Am Ende bittet er um Entschuldigung für schwer entschuldbare Taten.

    The Moscow Times – “The Return of Russia’s Foreign Agent Paranoia as Biological Imperative”: Angst ist ein wirksames Herrschaftsinstrument. In Russland gehört das Verbreiten von Angst durch den Staat nun fest zum Alltag, besonders die Angst vor den “ausländischen Agenten”. Dieser Artikel schildert den sowjetischen Ursprung des Begriffs und zeigt, wie er heute gegen die Kritikerinnen und Kritiker des Regimes eingesetzt wird.

    Security.Table Redaktion

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