Table.Briefing: Security

Israels Antwort auf Iran steht noch aus + Berlin verschleppt KI-Strategie für Waffen

Liebe Leserin, lieber Leser,

noch immer ist nicht klar, ob Israel auf Irans Angriff mit Drohnen und Raketen militärisch antworten wird. Umso stärker rücken jetzt die Verbündeten in den Fokus, die Israel halfen, den Massenbeschuss abzuwehren. Welche Rolle Deutschland dabei spielte? Die Bundesregierung sagt dazu wenig bis nichts und schürt damit zugleich Spekulationen. Lesen Sie dazu die Analyse von Wilhelmine Preußen und Thomas Wiegold.

Über das, was die Bundesregierung beim Thema Künstliche Intelligenz in Waffensystemen bisher getan hat, ist mehr bekannt: nichts. Warum das nichts Gutes bedeutet, erläutert Nana Brink.

 Lisa-Martina Klein schreibt, wie die Ukraine und ihre Helfer den Wiederaufbau des Landes bewerkstelligen wollen. Privates Kapital und Kredite direkt für die ukrainische Wirtschaft könnten wichtiger sein als Geld an den Staat.

Wir wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre

Ihr
Viktor Funk
Bild von Viktor  Funk

Analyse

Deutschlands schwierige Rolle bei “entscheidender” internationaler Koalition für Israel

Iranische Demonstranten zeigen bei einer anti-israelischen Kundgebung in Teheran das Modell einer Rakete.

Der Generalstabschef der israelischen Armee, Herzi Halevi kündigte am Montag an, dass Israel den Abschuss zahlreicher Raketen und Drohnen auf das Territorium des Staates Israel erwidern werde. Wie genau diese Reaktion aussehen kann, blieb auch nach einer Sitzung des israelischen Kriegskabinetts am späten Montagnachmittag offen.

Dass eine gemäßigte Reaktion auf den iranischen Großangriff gegen Israel zumindest möglich schien, ist auch das Resultat der sehr erfolgreichen Luftverteidigung Israels mit starker internationaler Unterstützung – bei der Deutschland allerdings nur eine mittelbare Rolle spielte.

Israels Verhalten ließ zunächst nicht auf Eskalation schließen

“Ich habe den Eindruck, dass die Entscheidung getroffen wurde, kurzfristig nichts zu unternehmen und stattdessen den Fokus weiter auf eine Operation in Rafah zu setzen”, sagte Eran Lerman, ehemaliger außenpolitischer Berater im Büro des israelischen Ministerpräsidenten und gegenwärtig Vize-Präsident des Jerusalem Institute for Strategy and Security am frühen Montagnachmittag Table.Briefings.

Ein Blick auf zivile Schutzmaßnahmen, die derzeit im Land getroffen werden, ließe darauf schließen, dass die israelische Regierung selbst nicht von einer weiteren Eskalation der Lage ausgeht. Dass die Schulen genauso wieder in Betrieb seien, wie der israelische Flughafen Ben-Gurion sei ein “wichtiges Zeichen” in diese Richtung. Zudem würden offizielle Stellen der IDF den militärischen Erfolg der israelischen Luftverteidigung und die starke internationale Kooperation auch mit arabischen Partnern in den Mittelpunkt stellen.

“Effiziente” internationale Koalition zur Luftverteidigung

In einem Briefing am Montagnachmittag sagte ein Offizier der israelischen Luftwaffe (IAF), dass die Absprache mit internationalen Partnern “entscheidend” und “effizient” gewesen sei. Es sei das Resultat monatelanger Abstimmungen und Vorbereitungen.

In der Tat hätten die israelischen Streitkräfte die Abwehr des iranischen Großangriffs auf Israel mit Drohnen, ballistischen Raketen und Marschflugkörpern am vergangenen Wochenende allein kaum mit dieser Erfolgsquote abwehren können. Mehrere Verbündete, allen voran die USA, aber auch Großbritannien und Frankreich sowie arabische Staaten wie Jordanien schossen einen erheblichen Teil der iranischen Waffensysteme schon auf dem Weg nach Israel ab.

Vor allem auch die Nutzung des Luftraums der benachbarten arabischen Staaten bezeichnete der IAF Vertreter, der ansonsten nicht auf den genauen Beitrag der jeweiligen Unterstützer eingehen wollte, als wichtig und “nicht selbstverständlich”.

Deutschland eiert um die “Staatsräson”

Das Land, das immer wieder die Sicherheit Israels als Teil seiner Staatsräson hervorhebt, hielt sich dagegen zurück: Deutschland beteiligte sich an der Abwehr des Angriffs gar nicht – oder kann es hervorragend verbergen.

In Berlin wand sich die stellvertretende Regierungssprecherin Christine Hoffmann sichtlich, auf Fragen von Journalisten nach der konkreten Bedeutung dieser Staatsräson zu antworten. Die Aussage bedeute, “dass wir diesen Angriff zunächst sehr scharf verurteilten”, sagte sie im Montag vor der Bundespressekonferenz. Was die immer wieder zugesicherte Solidarität mit Israel bedeute, “wie das ausgestaltet wird, darüber wird jeweils im Einzelfall entschieden”.

Ob es eine solche Einzelfallentscheidung am vergangenen Wochenende überhaupt gab und wie sie möglicherweise ausfiel, ließ die Bundesregierung gezielt offen. Auf die Frage nach einer möglichen Beteiligung der Bundeswehr erklärte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Arne Collatz: “Da gab es keine aktive Beteiligung, von der ich hier sprechen kann.”

Ohne Bundestagsmandat darf Deutschland nicht aktiv werden

Der Rückzug auf Floskeln hat einen Grund. Bei aller Wiederholung des Begriffs von der Sicherheit Israels als Staatsräson gilt der Rechtsrahmen für einen möglichen Einsatz der Bundeswehr weiter: Ohne ein Mandat des Bundestages dürften die deutschen Streitkräfte nicht aktiv werden. Ob die Möglichkeit, im dringenden Notfall einen solchen Einsatz zu befehlen und nachträglich vom Parlament billigen zu lassen, genutzt werden könnte: Darüber wird im politischen Raum noch nicht einmal diskutiert.

Deshalb dürfte auch vorerst unbekannt bleiben, wie es tatsächlich mit der Luftbetankung von zwei französischen Kampfjets ablief, die in der Nacht zum Sonntag von einem deutschen Tankflugzeug Sprit erhielten. Der deutsche A400M ist in Jordanien stationiert, im Rahmen der vom Bundestag mandatierten Beteiligung an der internationalen Koalition für den Kampf gegen den “Islamischen Staat.” Nach den Worten von Ministeriumssprecher Collatz erhielt die deutsche Maschine ihre “Air Tasking Order”, den Einsatzbefehl, nach der Prüfung, ob das auch mit dem deutschen Mandat vereinbar war, und versorgte daraufhin bei drei Tankvorgängen zwei französische Rafale. Allerdings dankte der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour ausdrücklich den Bundeswehrangehörigen, die “bei der defensiven Operation” zur Abwehr des Angriffes auf Israel mitgewirkt hätten.

In der Unterrichtung für die Obleute der Fraktionen aus Auswärtigem und Verteidigungsausschuss stellte das Verteidigungsministerium das als Unterstützung der Verteidigung Israels dar – wenn auch sehr mittelbar. Die formale Argumentation lautete, der deutsche Tanker mit seinem mandatskonformen Einsatz habe kurzfristig eine Mission für ein Tankflugzeug einer anderen Mission übernommen, das dann die Kampfjets für das Abfangen der iranischen Raketen unterstützte.

Kleine Hoffnung auf diplomatisches Signal aus China

Währenddessen verbinden einige den Besuch des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz in China mit der Hoffnung auf einen diplomatischen Vorstoß der Großmacht im Nahen Osten. Als Handelsmacht hat China hier erheblichen Einfluss. Außerdem hat es zur Verblüffung vieler westlicher Staaten zwischenzeitlich eine Annäherung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien durchgesetzt. Andere wie Alexander Gabuev, Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin sehen diese Hoffnung allerdings als gering “Westliche Politiker sollten die Idee aufgeben, dass sie einen Keil zwischen China und Russland treiben können”, sagte er gegenüber Table.Briefings.

Russland hat sich deutlich an die Seite Irans gestellt und Teherans Angriff auf Israel vor den Vereinten Nationen gerechtfertigt. Der russischer UN-Botschafter Wassili Nebensja warf dem UN-Generalsekretär António Guterres vor, Israel nicht zu kritisieren, wenn es regelmäßig Angriff aus Ziele in Syrien fliege und an den Westen gewandt beklagte Nebensja “Doppelmoral”.

Viktor Funk und Finn Mayer-Kuckuk haben bei der Berichterstattung unterstützt.

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KI in Waffensystemen: Wie sich die Bundesregierung um eine nationale Strategie drückt

Manchmal hat die EU auch die Nase vorn: Mitte März hat das Europäische Parlament einem Gesetz zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz (KI) zugestimmt. Der AI Act ist damit das weltweit erste umfassende Gesetz dieser Art. Mit einer Ausnahme: Es gilt nicht für den Einsatz von KI in Waffensystemen. Dabei schreitet die Forschung gerade in diesem Bereich massiv voran. Zwar ist man sich in der Fachwelt weitgehend einig, dass es die sogenannten Lethal Autonomous Weapons (LAWS) – also vollständig autonom agierende Systeme – noch nicht gibt. Aber KI kommt längst beim Flugabwehrraketensystem Patriot oder in Zukunft beim Einsatz von Drohnen-Schwärmen zum Tragen.

Da eine europäische Regelung bislang nicht in Sicht ist, fordern Wissenschaft und Rüstungsindustrie schon seit längerem eine nationale Vorgabe. “Deutschland braucht dringend eine militärische KI-Strategie, um sowohl die positiven als auch die negativen Konsequenzen des Einsatzes neuer Technologien bestimmen zu können”, sagt Vanessa Vohs, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt AI For Defense an der Universität der Bundeswehr in München.

Großer Erkenntnisbedarf im Bundestag

Doch die Politik ist seltsam still. “Es gibt da einen großen Erkenntnisbedarf, sowohl was die technologische Entwicklung betrifft als auch ethische Fragen”, so Wolfgang Hellmich, Obmann der SPD-Fraktion im Verteidigungsausschuss. Auch CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter bekennt, man habe bislang andere Schwerpunkte gehabt und sehe die Gefahr, “dass wir der technischen Entwicklung politisch hinterherlaufen”.

Frank Sauer, der an der Universität der Bundeswehr in München seit über zehn Jahren zum Thema KI im Militär forscht, äußert wenig Verständnis für die zögerliche Haltung: “Das Thema Autonomie in Waffensystemen ist ausgeforscht. Chancen und Risiken sind bekannt. Wir wissen, was zu tun ist.” Nämlich die Entwicklung von Leitlinien, die vor allem zwei Fragen beantworten: Wann ist die Maschine leistungsfähiger als der Mensch? Und wo muss die menschliche Kontrolle einsetzen? “Es gibt keinen one-size-fits-all-Standard für menschliche Kontrolle. Autonomie in Waffensystemen bedeutet beim Flugabwehrsystem einer Fregatte auf hoher See etwas anderes als im Falle eines Infanteriezugs, der in urbanem Gelände kämpft”, meint Sauer.

Druck auf die Politik wächst

Die Enquetekommission Künstliche Intelligenz des Bundestages hat die Erwartungen an die Politik bereits in der letzten Legislaturperiode formuliert: “Die Bundesregierung muss ein sicherheitspolitisches Leitliniendokument zum militärischen Einsatz von KI erarbeiten. Hier sollten die Grundsätze und die Grenzen für die Mensch-Maschine-Interaktion festgeschrieben werden.”

Der Druck auf die Politik wächst also: Ein Bündnis aus Rüstungsindustrie und Forschung hat sich Mitte vergangenen Jahres mit einem Appell an die Politik gewandt. Der 2020 gegründete Arbeitskreis KI & Verteidigung, dem Vertreter des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) sowie Wissenschaftler eines Instituts der Fraunhofer-Gesellschaft und der Universität der Bundeswehr in München angehören, forderte in einem Impulspapier: “Die Politik muss eine nationale militärische KI-Strategie liefern, die angesichts der aktuellen Technologieentwicklung einerseits und der Bedrohungslage für Landes- und Bündnisverteidigung andererseits unerlässlich erscheint.” Allerdings, so Hans-Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des BDSV und einer der Autoren des Papiers, sei die Forderung “weitgehend ungehört verhallt”.

Auch bei den Ampel-Fraktionen im Bundestag scheint das Thema nicht oben auf der Agenda zu stehen. Bei der SPD beschäftigt sich seit Ende 2023 die AG Sicherheit und Verteidigung mit dieser Frage. Bei der FDP gibt man sich skeptisch, ob eine rein nationale KI-Strategie für den Militärbereich überhaupt sinnvoll ist. “Wir brauchen eine europaweit abgestimmte Regelung”, erklärt Alexander Müller, verteidigungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. So sieht es auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Agnieszka Brugger: “Das Parlament kann hier Impulse setzen. Was wir brauchen, sind internationale Regeln.”

Wissenschaftler fordern nationale Richtlinie

Die aber sind in weiter Ferne. Seit 2014 versucht eine Initiative der Vereinten Nationen auf der Ebene von Regierungsexperten diese Frage nach der menschlichen Kontrolle zu regeln. Der Regulierungsprozess bei der “Convention on Certain Conventional Weapons” (CCW) in Genf “ist mit viel Hoffnung gestartet und hängt seit Jahren politisch fest”, analysiert die KI-Spezialistin Anja Dahlmann vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Umso entscheidender wäre eine nationale Richtlinie für Deutschland, sind sich Wissenschaftler wie Dahlmann oder Sauer einig. Diese scheitere aber bislang an der “besonderen Berliner Verantwortungsdiffusion”, wie KI-Forscher Sauer es nennt. Formell ist das Auswärtige Amt nämlich federführend für die Verhandlungen in Genf zuständig. Das spiele dem “risikoaversen, von der Drohnendebatte traumatisierten Verteidigungsministerium” in die Hände, die Verantwortung für eine KI-Strategie ins Außenministerium zu schieben.

Entscheidend also wäre eine parlamentarische Initiative für eine militärische KI-Strategie, wie KI-Expertin Vanessa Vohs erklärt: “Diese könnte den Druck auf das Verteidigungsministerium erhöhen. Bislang wurde das Ministerium nicht tätig und beabsichtigt nicht, dies zeitnah zu tun, obwohl andere Partner wie die USA, Frankreich oder die Niederlande längst eine solche Strategie besitzen.”

  • Künstliche Intelligenz

Wiederaufbau: Ukraine will vor allem Privatinvestoren locken

Der Wiederaufbau der Ukraine sei eine “Aufgabe für Generationen”, hatte Kanzler Olaf Scholz bei der ersten Konferenz zum Wiederaufbau des Landes im Jahr 2022 gesagt. Und er wird teuer. Ein Bericht der Weltbank, der Vereinten Nationen und der ukrainischen Regierung schätzt den finanziellen Bedarf für die Erholung des Landes Ende 2023 auf mindestens 453 Milliarden Euro für die kommenden zehn Jahre. Tendenz steigend. Denn Russland setzt seine Aggression gegen die Zivilbevölkerung und Angriffe auf die Infrastruktur fort.

Diese enormen Summen kann die Ukraine allein nicht aufbringen. “Das kann auch die Europäische Union nicht allein. Das kann nur die ganze Weltgemeinschaft, die jetzt die Ukraine unterstützt”, hatte Scholz damals betont. Auf der Ukraine Recovery Conference am 11. und 12. Juni in Berlin berät die Weltgemeinschaft zum dritten Mal darüber, wie das Land strategisch und nachhaltig aufgebaut und auf dem Weg in die EU unterstützt werden kann. So etwa müssen die Energieinfrastruktur diversifiziert und starke Forschungsstandorte mitbedacht werden – bereits während des Krieges.  

Wirtschaft als “Waffe”

Berlin verfolgt zwar auf der Konferenz einen “gesamtgesellschaftlichen Ansatz” und will bei den diesjährigen Beratungen vor allem die Stärkung der Menschen, Gemeinden und Kommunen in den Blick nehmen. Ein Schwerpunkt werden aber auch Beratungen darüber sein, wie der Westen möglichst einheitliche und effektive Bedingungen für private ausländische Kapitalgeber schaffen kann. Denn deren direkte Investitionen, so die Hoffnungen auch im kriegsgebeutelten Land, sollen – mehr noch als bereitgestellte Finanztöpfe für die ukrainische Regierung – zum Erhalt der Wirtschaft und einem steigenden Bruttoinlandsprodukt beitragen. 

“Die Wirtschaft ist die größte Waffe, die wir haben. Wir haben Leute, die an der Front stehen. Aber wir brauchen die Wirtschaft, um diesen Krieg zu gewinnen”, sagt Viacheslav Chuk, geschäftsführender Direktor der Astarta Holding, einer der größten agrarindustriellen Unternehmensholdings in der Ukraine. Nicht zuletzt auch, weil inzwischen fast jedes Unternehmen etwas zum Abwehrkampf gegen die russische Invasion beitrage.

Anschubfinanzierungen für KMU

220.000 Hektar landwirtschaftliche Fläche pachtet Astarta in der Ukraine von seinen Besitzern, stellt Saatgut, Lager- und Weiterverarbeitungskapazitäten für Landwirte bereit, die auf den Feldern Ölsaat, Soja, Getreide und Zuckerrüben für den Weltmarkt anbauen. 6.000 Menschen arbeiten für Astarta. Mit Beginn des Krieges verloren viele nicht nur ihre Lebensgrundlage. Nahrungsmittel wurden vor allem in kleinen Gemeinden knapp, weil Lieferungen aus größeren Städten unterbrochen waren. Um Gemeinden zu stützen, setzte Astarta zusammen mit der Deutsche Entwicklungs- und Investitionsgesellschaft (DEG), einer direkten Tochter der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), ein Programm zur Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) aus der Lebensmittelverarbeitung auf.

Menschen seien in Kriegszeiten weniger bereit, Neugründungen oder Betriebserweiterungen mit eigenem Geld zu finanzieren, so Chuk. Gleichzeitig sei es wesentlich, ihnen und ihren Gemeinden eine Perspektive zu geben. Die Auflagen für die Förderung: Unternehmen müssen mindestens drei Arbeitsplätze schaffen und zehn Prozent ihrer Erträge an Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser oder bedürftigen Menschen abgeben. Jeder investierte Euro, so hätte eine Social-Impact-Studie ergeben, hätte bereits fünf Euro an sozialem Effekt generiert, sagt Chuk.

Öffentliche Investitionen als Signal an private Unternehmen

Noch einen Vorteil sieht Chuk in Investitionen: “Wenn die EU Mittel an die ukrainische Regierung überweist, hat das einen 1:1-Effekt. Wenn wir Firmen mit Garantien absichern, zahlen diese Steuern im Land, was wiederum die Regierung unterstützt. Der Effekt ist also viel höher. Vielleicht verlieren wir manche dieser Garantien. Aber einen Großteil verlieren wir eben nicht.” 

Investitionen der öffentlichen Hand wie der DEG hätten außerdem eine große Signalwirkung an private Kapitalgeber, sagt Dmytro Boroday, Geschäftsführer von Horizon Capital, einem privaten Beteiligungsunternehmen, das sich unter anderem auf die Techbranche in der Ukraine spezialisiert hat. Kurz vor Kriegsausbruch investierte die DEG 20 Millionen Euro in Horizon Capital. Sie seien deswegen, so Boroday, als einer der wenigen Kapitalgeber in der Ukraine in der Lage, auch während des Krieges zu investieren. Er hofft, dass dem Beispiel der DEG vor allem private Unternehmen folgen. Nicht nur sei die Investition in ein Kriegsland eine “Sache der Moral”. Ein Unternehmen, das auch unter Kriegsumständen resilient sei, hätte seine Due-Diligence-Prüfung bestanden, sagt Boroday.

Bundesregierung unterstützt deutsche Investoren

“Aus Sicht einer Bank kann sie bei einem Langzeitkredit das Risiko eines Krieges nicht eingehen. Dafür haben wir im öffentlichen Sektor Instrumente zur Deckung und Absicherung von Investitionen. Im privaten Sektor bräuchten wir davon aber noch mehr”, sagt Roland Siller, Geschäftsführer von DEG. Nicht nur die potenzielle Zerstörung eines Investments lasse Investoren zurückschrecken, auch das Thema Korruption sei nicht von der Hand zu weisen. “Die gesamte Gestaltung des Wiederaufbaus schließt diese Fragen nicht aus”, betont Siller.

Um dem privaten Sektor, aber auch institutionellen Investoren oder Stiftungen mehr Instrumente zur Absicherung von Investitionen an die Hand zu geben, hat die Bundesregierung, unter Federführung des BMZ, vergangene Woche ein Maßnahmenpaket verabschiedet. Enthalten sind darin etwa Investitions- und Exportkreditgarantien, um Unternehmen einen erheblichen Teil der Risiken zu nehmen. Auch Zinsvergünstigungen und die langfristige Einrichtung einer nationalen Förderinstitution nach Vorbild der KfW sind vorgesehen. Die Bundesregierung will künftig Private-Public-Partnerships – wie die der DEG mit privaten ukrainischen Unternehmen – unterstützen.

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News

EIB präsentiert Aktionsplan für Dual-Use-Investitionen

Während eines Arbeitsfrühstücks, das die EU-Finanzminister am Freitag im Rahmen des ECOFIN-Rates hielten, stellte die neue Präsidentin der Europäischen Investitionsbank (EIB) Nadia Calviño einen neuen Aktionsplan vor. Dieser soll es der EIB erlauben, mehr Investitionen in die europäische Rüstungsindustrie zu leiten, ohne ihre eigene Kreditfähigkeit zu riskieren.

Der Aktionsplan soll laut Calviño die Definition von Dual-Use-Technologien und Infrastrukturen aktualisieren und KMUs im Verteidigungsbereich den Zugang zu EIB-Finanzierung vereinfachen. Zudem will die EIB einen “One-Stop-Shop” einrichten, der die Prozesse bei der Auszahlung jener sechs Milliarden Euro beschleunigen soll, die für Verteidigung reserviert sind.

Calviño hatte schon beim Finanzministertreffen im Februar angekündigt, die Strategie der EIB stärker auf Verteidigung auszurichten. Auch die EU-Regierungschefs drängten beim Gipfel im März in diese Richtung.

ESG-Kriterien als Herausforderung

Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis begrüßte den Aktionsplan. “Vermehrte EIB-Investitionen in diesem Bereich werden auch ein positives Signal an die Märkte senden”, sagte Dombrovskis. Da sich einige Investoren aufgrund von ESG-Kriterien bisher vor dem Verteidigungssektor zieren, erhofft man sich in Brüssel, dass die EIB als Wegbereiterin für andere Investoren agieren kann.

Umgekehrt besteht auch die Befürchtung, dass die EIB bei einer zu starken Involvierung in den Verteidigungsbereich aufgrund derselben ESG-Kriterien ihre Kreditwürdigkeit einbüßt. Deshalb haben die EU-Finanzminister sich auch noch nicht final für den Aktionsplan der EIB entschieden. “Unter den Ministern gab es eine breite Unterstützung, mit diesem Plan weiterzugehen”, sagte der belgische Finanzminister Vincent Van Peteghem, aber bei den Details brauche es noch weitere Diskussionen. Konkreter dürfte es am 21. Juni werden, wenn sich die EU-Finanzminister in ihrer Funktion als Rat der Gouverneure der EIB treffen. jaa

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Krieg im Sudan: Europa und USA sagen mindestens 840 Millionen Euro Hilfe zu

Im Rahmen einer Hilfskonferenz für den Sudan haben Deutschland und die internationale Gemeinschaft am Montag in Paris mindestens 840 Millionen Euro an Hilfen zugesagt. Außenministerin Annalena Baerbock sagte 244 Millionen Euro an deutschen Hilfen zu und erinnerte an die Gräueltaten im Sudan, die von der Weltgemeinschaft weitgehend unbeachtet bleiben. “Der Krieg im Sudan geht nun ins zweite Jahr und findet in unseren täglichen Nachrichten praktisch keinen Platz“, sagte Baerbock in Paris. Neben Deutschland kündigte auch die EU 350 Millionen Euro an Hilfen zu. Weitere 138 Millionen Euro wollen die USA und 110 Millionen Euro Frankreich bereitstellen.

Zu der internationalen Konferenz hatten Deutschland und Frankreich gemeinsam mit der EU eingeladen. Ziel der Konferenz ist es, den Fokus der internationalen Gemeinschaft auf eine der weltweit größten humanitären Krisen aktuell zu richten. Nach UN-Angaben sind mittlerweile 8,6 Millionen Menschen durch den Krieg im Sudan vertrieben worden. Knapp 1,8 Millionen davon sind in Nachbarstaaten geflohen. Laut Experten sind 60 Prozent der Fläche des Sudans von den Kämpfen zwischen der Rapid Support Forces (RSF) und der sudanesischen Armee (SAF) betroffen.

Zivilgesellschaft berät über Friedensprozess

Angesichts der verheerenden Lage in dem ostafrikanischen Land sollte auf der Konferenz in Paris auch die sudanesische Zivilgesellschaft zusammenkommen und über einen möglichen Friedensprozess beraten. Vertreter der RSF und SAF waren nicht eingeladen. Die Regierung in Khartum kritisierte die Konferenz scharf, da sie sich als legitime Vertreter des Sudans verstehen. Die Nicht-Einladung sei eine Gleichsetzung mit der “Terrormiliz RSF”. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es, die Teilnahme beider Kriegsparteien sei nicht vorgesehen, da es Ziel der Konferenz sei, den Druck auf die Kriegsparteien zu erhöhen.

Seit Anfang des Jahres setzt sich Außenministerin Baerbock verstärkt dafür ein, dass der Krieg im Sudan trotz der zahlreichen Konflikte weltweit nicht in Vergessenheit gerät. Anfang des Jahres hatte die Ministerin das Nachbarland Südsudan besucht und eine Fünf-Punkte-Initiative zur Konfliktlösung vorgestellt. dre

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Grenell fordert Friedensinitiative von Joe Biden

Der frühere US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, erwartet keine negativen Auswirkungen für die Nato, sollte Donald Trump Präsident werden. “Sie wissen doch ganz genau, was er tun wird. Er will Friedensabkommen und mehr wirtschaftliche Prosperität”, sagte der ehemalige Diplomat im Podcast-Gespräch mit Table.Briefings. Allerdings könnten die Nato-Mitglieder keine kostenlose Versicherung in der Nato erwarten.

In Amerika sei man beleidigt, wenn Länder Teil der Nato sein wollen, aber sagen, dass sie nicht das Zwei-Prozent-Ziel einzahlen wollen. “Und in der Zwischenzeit bauen sie Opernhäuser und große Brücken und Flughäfen in ihrem Land.” Vor zehn Jahren hatten die Nato-Mitglieder vereinbart, dass sie perspektivisch jeweils zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in ihre Verteidigungsfähigkeit stecken. 18 Mitglieder der Allianz erfüllen dieses Ziel.

Merkel sei zu schwach gewesen

Im Krieg gegen die Ukraine brauche es einen Friedensplan, so der frühere Nationale Geheimdienstkoordinator. “Ich glaube nicht, wie der neue finnische Präsident, dass das Problem auf dem Schlachtfeld gelöst werden wird. Ich glaube das nicht. Ich glaube, dass es andere Wege gibt, das Problem zu lösen.” US-Präsident Joe Biden müsse direkt mit Wladimir Putin verhandeln. “Merkel hat immer den Kontakt gesucht, sie war nur zu schwach.” Derzeit schaue Biden nur auf die militärischen Optionen. 

Eine Vermittlerrolle könne auch China einnehmen. Die Chinesen hatten vor eineinhalb Jahren ein Friedensangebot vorgelegt, das auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj als gut bewertet habe. “Die Chinesen glauben an die territoriale Integrität der Ukraine. Das ist etwas, mit dem ich arbeiten kann.” brö

Das vollständige Podcast-Gespräch mit dem früheren Botschafter (in englischer Sprache) finden Sie hier.

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Presseschau

Israel Times: Indonesia ready to normalize ties with Israel as part of bid to join OECD. Um die Mitgliedschaft in der Organisation für Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) zu erlangen, ist Indonesien offenbar bereit, diplomatische Beziehungen zu Israel aufzunehmen. Ein solcher Schritt des bevölkerungsreichsten muslimischen Landes der Welt könnte Signalwirkung haben.

Le Monde: Der Flugzeugträger “Charles de Gaulle” unter Nato-Mandat. Dass Frankreich seinen Flugzeugträger vom 26. April bis 10. Mai für eine kurze Mittelmeer-Mission erstmals unter Nato-Mandat stellt, löst Negativreaktionen aus der französischen Rechten und Linken aus. Unstrittig ist, dass es ein weiterer Schritt Richtung stärkeres Nato-Engagement Frankreichs ist.

Research.Table: Zeitenwende – Rüstungsindustrie begrüßt BMBF-Positionspapier. Das Bundesforschungsministerium will per Positionspapier Wissenschaftsfreiheit und nationale Sicherheit vereinen. Zivile und militärische Forschung sollen verzahnt und die Zivilklausel überdacht werden.

Stiftung Wissenschaft und Politik Podcast – War without limits. Kriege zwischen Staaten sind schon schwierig genug zu befrieden. Was den Forschenden im Sicherheitsbereich darüber hinaus Sorgen macht, ist die wachsende Zahl von gewaltsamen Konflikten zwischen nicht staatlichen Gruppen. Ein 26-minütiges Gespräch über einen gefährlichen Trend.

Freedom House: A Region Reordered by Autocracy and Democracy. Osteuropa und Zentralasien – ehemalige Mitglieder des Warschauer Paktes und Republiken der Sowjetunion – durchlaufen seit vielen Jahren einen politischen Wandel, in dem demokratische Kräfte immer wieder an neuem Schwung gewinnen. Oder aber unterdrückt werden, so wie der aktuelle Bericht das für die jüngste Entwicklung beschreibt.

Standpunkt

Jan Kallmorgen: Deutsche Unternehmen müssen sich für einen Kalten Krieg mit China wappnen

Jan Kallmorgen
Jan Kallmorgen: Washington würde von Verbündeten verlangen, sich an seine Seite zu stellen.

Geopolitik gehört spätestens seit Russlands Angriffskrieg zu den Top-Prioritäten von CEOs und Vorständen. Laut einer Umfrage von Heydrick & Struggles stehen geopolitische und makroökonomische Unsicherheiten ganz oben auf den Agenden in den Unternehmenszentralen. Die großen Themen sind China, der Krieg in der Ukraine, eine weitere Eskalation im Nahen Osten und das Risiko einer zweiten Trump-Präsidentschaft.

Bei Risikobetrachtungen zu China fällt eine wachsende Kluft zwischen Teilen der Politik und der Wirtschaft auf: Während EU-Kommission, Auswärtiges Amt und Sicherheitsbehörden die Unternehmen zum “De-Risking” auffordern, machten mitreisende DAX-CEOs bei der jüngsten China-Reise des Bundeskanzlers deutlich: Ohne China geht es für sie nicht, das Land bleibt ein zentraler Absatzmarkt und Technologiepartner.

In den USA spricht man von “neuem kalten Krieg” gegenüber China

Noch größer wird diese Kluft beim Blick über den Atlantik: In den USA wird der Ton gegenüber China parteiübergreifend immer kritischer bis alarmistisch – was sich im Wahlkampf noch verschärfen dürfte. Jüngste Gespräche im Weißen Haus und dem Kongress haben dies gezeigt und eine Reihe von Publikationen bestätigen dies. So hat das US-Repräsentantenhaus einen Report mit dem vielsagenden Titel “Wie amerikanisches Risikokapital das Militär der Volksrepublik China und Menschenrechtsverletzungen nährt” veröffentlicht. Auf dem Feld der Technologie ist eine “Entkoppelung” zwischen den USA und China bereits im vollen Gange, wie die US-Exportrestriktionen bei Halbleitern oder schärfere “Outbound”-Investitionskontrollen bei Biotechnologie oder Artificial Intelligence zeigen.

Noch können diese Maßnahmen als “Tech-Containment” eingeordnet werden, jedoch sprechen immer mehr einflussreiche Stimmen von einem “neuen Kalten Krieg” (Niall Ferguson) gegenüber China, gerade vor dem Hintergrund der Unterstützung Russlands mit kriegsrelevanten Gütern wie Panzerteilen, Satellitenbildern oder Raketentreibstoff, die die US-Regierung benennt.

Auch deshalb fordert die Marathon Initiative, in deren Reihen einige republikanische Sicherheitspolitiker “überwintern”, eine Fokussierung des US-Militärs auf eine direkte Abschreckung Chinas. Dazu passende Kriegsszenarien spielt das renommierte Center for Strategic & International Studies durch. Im Trump-Lager haben Thinktanks Programme für eine republikanische Machtübernahme entwickelt – alle mit überaus kritischen Positionen zu China. Das gilt sowohl für sicherheitspolitische als auch in Handelsfragen, so die Heritage Foundation in ihrem 920-seitigen Strategiepapier “Project 2025”, das Center for Renewing America oder das America First Policy Institute.

Die Abhängigkeit von den USA bleibt mittelfristig hoch

Warum sollten sich hiesige Unternehmen mit diesen Debatten beschäftigen? Weil das Verhältnis zwischen den USA – als dem anderen strategischen Markt für die europäische Industrie – und China die zentrale Achse der internationalen Politik im 21. Jahrhundert ist und erhebliche Auswirkungen auf Welthandel, Energie- und Rohstoffsicherheit, Lieferketten und Kapitalmärkte hat. Damit betrifft es langfristig Unternehmensstrategien, Geschäftsmodelle und Investitionsplanung von global tätigen Unternehmen.

Diese wären also gut beraten, durchzuspielen, was ein “Kalter Krieg 2.0” für sie bedeuten würde. Ausgangspunkt sollte dabei die realistische Annahme sein, dass die Abhängigkeit Deutschlands von den USA mittelfristig hoch bleibt (Nato, nuklearer Schutzschirm) und die Annahme, dass die Vereinigten Staaten als Markt auch unter Trump ihren Wettbewerbsvorteil bei Energiepreisen, Finanzkraft und Technologie behalten oder ausbauen dürften.

China könnte europäische Unternehmen sanktionieren

Sollte es zu einer Verschärfung des Konfliktes zwischen den USA und China kommen, wird Washington von seinen Verbündeten verlangen – und Hebel dafür einsetzen -, sich auf seine Seite zu stellen. Dem könnten sich auch europäische Unternehmen nicht entziehen – und würden dann im Gegenzug stärker ins Visier der chinesischen Seite geraten. Möglich wären etwa höhere bürokratische Hürden, politisch motivierte Beschränkung von Geschäftstätigkeiten, verstärkte Exportkontrollen etwa bei kritischen Rohstoffen, schärfere Kapitalmarktkontrollen oder eine Erschwerung des Zugangs zum Südchinesischen Meer. Auch vor Handelsblockaden gegenüber Taiwan, stärkeren Cyberangriffen oder steuerlichen (Straf-)Maßnahmen warnen Fachleute.

Zu hoffen ist, dass es dazu nicht kommen wird und der Handel mit China so offen wie möglich bleibt. Aber schon im Sinne der Business Judgement Rule sind Vorstände angehalten, solche Szenarien durchzuspielen. Das ist auch eine Verantwortung gegenüber Anteilseignern, Mitarbeitern und der Öffentlichkeit. Keiner möchte einen neuen Kalten Krieg. Aber auf ihn vorbereitet zu sein, ist ein Gebot guter Unternehmensführung.

Jan F. Kallmorgen ist Partner der Strategie- und Transaktionsberatung bei Ernst & Young und berät mit seinem Team Unternehmen und Investoren zu geostrategischen Fragen.

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Heads

Pia Fuhrhop – Sicherheitsexpertin mit Drehtür-Erfahrung

Pia Fuhrhop ist stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Die “Revolving Doors” – der Drehtür-Effekt – sind in Politik und Wirtschaft negativ konnotiert. Pia Fuhrhop sieht es als Privileg, von einem Thinktank in die politische Beratung und wieder zurückgewechselt zu sein. Sie nennt es Panzerzählen aus verschiedenen Perspektiven. Ihr früherer Job als politische Beraterin im Bundestag für Omid Nouripour – damals außenpolitischen Sprecher der Fraktion der Grünen und heute Bundesvorsitzender der Grünen – halte sie nicht davon ab, auch andere Parteien unabhängig zu beraten und die Politik der Ampel zu kritisieren.

Die Rüstungspolitik in Deutschland läuft ihrer Ansicht nach wenig zielführend. In der Nationalen Sicherheitsstrategie findet sie den Abschnitt zur Rüstung zu unkonkret. “Es zementiert alte Widersprüche”, sagt sie. Die Stärkung der heimischen und der europäischen Rüstungsindustrie stehe in vielen Fällen im Widerspruch zueinander. Wenn sich zu viele in unterschiedliche Richtungen zielende Beschlüsse auf dieses Dokument beriefen, verliere es an Aussagekraft.

Mehr Klarheit bei Rüstungsexporten in Drittländer

Gleichzeitig fehle das überfällige Rüstungsexportkontrollgesetz, an dessen Vorbereitung Fuhrhop 2022 als Expertin mitwirkte, sowie das Strategiepapier für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Über beides verhandelt die Bundesregierung noch. “Das wären zwei Dokumente, die eine klare Richtung für die Rüstungspolitik geben könnten”, sagt Fuhrhop. Die Möglichkeit habe man bisher verpasst.

Klarheit wünscht sie sich besonders bei Rüstungsexporten in Drittländer. “Wir brauchen eine Rüstungsexportpolitik, die wir besser erklären können”, sagt sie. Wie bei den jüngsten Exporten nach Saudi-Arabien sei häufig nicht klar, welche außen- und sicherheitspolitischen Interessen für einen Export sprechen.

Ab 2007 evaluierte Fuhrhop bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) das damalige zivile Engagement in Afghanistan. Mit ihrem Wechsel zur Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) 2008 kam sie zur Rüstungspolitik. Vier Jahre später bekam sie 2014 das Angebot für den Posten bei Omid Nouripour. “Omid Nouripour wollte jemanden holen, die ihm auch Widerworte geben konnte”, sagt sie. Dort habe sie gelernt, “wie Mehrheiten zustande kommen, wann mein Wissen gefragt ist, und dass auch manchmal der Zufall regiert.”

Dachte, dass Russland “ein sicherheitsorientierter Staat ist”

Nach der Zeit im Bundestag baute sie ab 2019 für das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik ein Büro in Berlin auf. Dass sie damit die Chance verpasste, die Grünen in einer Regierungsrolle zu beraten, bereut sie nicht. Nach sechs Jahren habe sie wieder nach einem Perspektivwechsel gesucht.

Acht Jahre später beschäftigt sie sich wieder bei der SWP mit Rüstungspolitik, diesmal als stellvertretende Forschungsgruppenleiterin für Sicherheitspolitik. Obwohl sie wieder dasselbe Thema bearbeitet, änderte sich die Herangehensweise nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine grundlegend. “Bis zum Angriff war ich überzeugt, dass Russland in erster Linie ein sicherheitsorientierter Staat ist und kein Regime mit imperialen Ambitionen”, sagt die 42-Jährige. In einer Publikation untersuchte sie, wie die nukleare Teilhabe Deutschlands langsam abgebaut werden könnte. Die Zeit, in der ein solcher Pfad denkbar war, kommt ihr jetzt sehr entfernt vor. Lukas Homrich

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    noch immer ist nicht klar, ob Israel auf Irans Angriff mit Drohnen und Raketen militärisch antworten wird. Umso stärker rücken jetzt die Verbündeten in den Fokus, die Israel halfen, den Massenbeschuss abzuwehren. Welche Rolle Deutschland dabei spielte? Die Bundesregierung sagt dazu wenig bis nichts und schürt damit zugleich Spekulationen. Lesen Sie dazu die Analyse von Wilhelmine Preußen und Thomas Wiegold.

    Über das, was die Bundesregierung beim Thema Künstliche Intelligenz in Waffensystemen bisher getan hat, ist mehr bekannt: nichts. Warum das nichts Gutes bedeutet, erläutert Nana Brink.

     Lisa-Martina Klein schreibt, wie die Ukraine und ihre Helfer den Wiederaufbau des Landes bewerkstelligen wollen. Privates Kapital und Kredite direkt für die ukrainische Wirtschaft könnten wichtiger sein als Geld an den Staat.

    Wir wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre

    Ihr
    Viktor Funk
    Bild von Viktor  Funk

    Analyse

    Deutschlands schwierige Rolle bei “entscheidender” internationaler Koalition für Israel

    Iranische Demonstranten zeigen bei einer anti-israelischen Kundgebung in Teheran das Modell einer Rakete.

    Der Generalstabschef der israelischen Armee, Herzi Halevi kündigte am Montag an, dass Israel den Abschuss zahlreicher Raketen und Drohnen auf das Territorium des Staates Israel erwidern werde. Wie genau diese Reaktion aussehen kann, blieb auch nach einer Sitzung des israelischen Kriegskabinetts am späten Montagnachmittag offen.

    Dass eine gemäßigte Reaktion auf den iranischen Großangriff gegen Israel zumindest möglich schien, ist auch das Resultat der sehr erfolgreichen Luftverteidigung Israels mit starker internationaler Unterstützung – bei der Deutschland allerdings nur eine mittelbare Rolle spielte.

    Israels Verhalten ließ zunächst nicht auf Eskalation schließen

    “Ich habe den Eindruck, dass die Entscheidung getroffen wurde, kurzfristig nichts zu unternehmen und stattdessen den Fokus weiter auf eine Operation in Rafah zu setzen”, sagte Eran Lerman, ehemaliger außenpolitischer Berater im Büro des israelischen Ministerpräsidenten und gegenwärtig Vize-Präsident des Jerusalem Institute for Strategy and Security am frühen Montagnachmittag Table.Briefings.

    Ein Blick auf zivile Schutzmaßnahmen, die derzeit im Land getroffen werden, ließe darauf schließen, dass die israelische Regierung selbst nicht von einer weiteren Eskalation der Lage ausgeht. Dass die Schulen genauso wieder in Betrieb seien, wie der israelische Flughafen Ben-Gurion sei ein “wichtiges Zeichen” in diese Richtung. Zudem würden offizielle Stellen der IDF den militärischen Erfolg der israelischen Luftverteidigung und die starke internationale Kooperation auch mit arabischen Partnern in den Mittelpunkt stellen.

    “Effiziente” internationale Koalition zur Luftverteidigung

    In einem Briefing am Montagnachmittag sagte ein Offizier der israelischen Luftwaffe (IAF), dass die Absprache mit internationalen Partnern “entscheidend” und “effizient” gewesen sei. Es sei das Resultat monatelanger Abstimmungen und Vorbereitungen.

    In der Tat hätten die israelischen Streitkräfte die Abwehr des iranischen Großangriffs auf Israel mit Drohnen, ballistischen Raketen und Marschflugkörpern am vergangenen Wochenende allein kaum mit dieser Erfolgsquote abwehren können. Mehrere Verbündete, allen voran die USA, aber auch Großbritannien und Frankreich sowie arabische Staaten wie Jordanien schossen einen erheblichen Teil der iranischen Waffensysteme schon auf dem Weg nach Israel ab.

    Vor allem auch die Nutzung des Luftraums der benachbarten arabischen Staaten bezeichnete der IAF Vertreter, der ansonsten nicht auf den genauen Beitrag der jeweiligen Unterstützer eingehen wollte, als wichtig und “nicht selbstverständlich”.

    Deutschland eiert um die “Staatsräson”

    Das Land, das immer wieder die Sicherheit Israels als Teil seiner Staatsräson hervorhebt, hielt sich dagegen zurück: Deutschland beteiligte sich an der Abwehr des Angriffs gar nicht – oder kann es hervorragend verbergen.

    In Berlin wand sich die stellvertretende Regierungssprecherin Christine Hoffmann sichtlich, auf Fragen von Journalisten nach der konkreten Bedeutung dieser Staatsräson zu antworten. Die Aussage bedeute, “dass wir diesen Angriff zunächst sehr scharf verurteilten”, sagte sie im Montag vor der Bundespressekonferenz. Was die immer wieder zugesicherte Solidarität mit Israel bedeute, “wie das ausgestaltet wird, darüber wird jeweils im Einzelfall entschieden”.

    Ob es eine solche Einzelfallentscheidung am vergangenen Wochenende überhaupt gab und wie sie möglicherweise ausfiel, ließ die Bundesregierung gezielt offen. Auf die Frage nach einer möglichen Beteiligung der Bundeswehr erklärte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Arne Collatz: “Da gab es keine aktive Beteiligung, von der ich hier sprechen kann.”

    Ohne Bundestagsmandat darf Deutschland nicht aktiv werden

    Der Rückzug auf Floskeln hat einen Grund. Bei aller Wiederholung des Begriffs von der Sicherheit Israels als Staatsräson gilt der Rechtsrahmen für einen möglichen Einsatz der Bundeswehr weiter: Ohne ein Mandat des Bundestages dürften die deutschen Streitkräfte nicht aktiv werden. Ob die Möglichkeit, im dringenden Notfall einen solchen Einsatz zu befehlen und nachträglich vom Parlament billigen zu lassen, genutzt werden könnte: Darüber wird im politischen Raum noch nicht einmal diskutiert.

    Deshalb dürfte auch vorerst unbekannt bleiben, wie es tatsächlich mit der Luftbetankung von zwei französischen Kampfjets ablief, die in der Nacht zum Sonntag von einem deutschen Tankflugzeug Sprit erhielten. Der deutsche A400M ist in Jordanien stationiert, im Rahmen der vom Bundestag mandatierten Beteiligung an der internationalen Koalition für den Kampf gegen den “Islamischen Staat.” Nach den Worten von Ministeriumssprecher Collatz erhielt die deutsche Maschine ihre “Air Tasking Order”, den Einsatzbefehl, nach der Prüfung, ob das auch mit dem deutschen Mandat vereinbar war, und versorgte daraufhin bei drei Tankvorgängen zwei französische Rafale. Allerdings dankte der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour ausdrücklich den Bundeswehrangehörigen, die “bei der defensiven Operation” zur Abwehr des Angriffes auf Israel mitgewirkt hätten.

    In der Unterrichtung für die Obleute der Fraktionen aus Auswärtigem und Verteidigungsausschuss stellte das Verteidigungsministerium das als Unterstützung der Verteidigung Israels dar – wenn auch sehr mittelbar. Die formale Argumentation lautete, der deutsche Tanker mit seinem mandatskonformen Einsatz habe kurzfristig eine Mission für ein Tankflugzeug einer anderen Mission übernommen, das dann die Kampfjets für das Abfangen der iranischen Raketen unterstützte.

    Kleine Hoffnung auf diplomatisches Signal aus China

    Währenddessen verbinden einige den Besuch des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz in China mit der Hoffnung auf einen diplomatischen Vorstoß der Großmacht im Nahen Osten. Als Handelsmacht hat China hier erheblichen Einfluss. Außerdem hat es zur Verblüffung vieler westlicher Staaten zwischenzeitlich eine Annäherung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien durchgesetzt. Andere wie Alexander Gabuev, Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin sehen diese Hoffnung allerdings als gering “Westliche Politiker sollten die Idee aufgeben, dass sie einen Keil zwischen China und Russland treiben können”, sagte er gegenüber Table.Briefings.

    Russland hat sich deutlich an die Seite Irans gestellt und Teherans Angriff auf Israel vor den Vereinten Nationen gerechtfertigt. Der russischer UN-Botschafter Wassili Nebensja warf dem UN-Generalsekretär António Guterres vor, Israel nicht zu kritisieren, wenn es regelmäßig Angriff aus Ziele in Syrien fliege und an den Westen gewandt beklagte Nebensja “Doppelmoral”.

    Viktor Funk und Finn Mayer-Kuckuk haben bei der Berichterstattung unterstützt.

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    KI in Waffensystemen: Wie sich die Bundesregierung um eine nationale Strategie drückt

    Manchmal hat die EU auch die Nase vorn: Mitte März hat das Europäische Parlament einem Gesetz zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz (KI) zugestimmt. Der AI Act ist damit das weltweit erste umfassende Gesetz dieser Art. Mit einer Ausnahme: Es gilt nicht für den Einsatz von KI in Waffensystemen. Dabei schreitet die Forschung gerade in diesem Bereich massiv voran. Zwar ist man sich in der Fachwelt weitgehend einig, dass es die sogenannten Lethal Autonomous Weapons (LAWS) – also vollständig autonom agierende Systeme – noch nicht gibt. Aber KI kommt längst beim Flugabwehrraketensystem Patriot oder in Zukunft beim Einsatz von Drohnen-Schwärmen zum Tragen.

    Da eine europäische Regelung bislang nicht in Sicht ist, fordern Wissenschaft und Rüstungsindustrie schon seit längerem eine nationale Vorgabe. “Deutschland braucht dringend eine militärische KI-Strategie, um sowohl die positiven als auch die negativen Konsequenzen des Einsatzes neuer Technologien bestimmen zu können”, sagt Vanessa Vohs, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt AI For Defense an der Universität der Bundeswehr in München.

    Großer Erkenntnisbedarf im Bundestag

    Doch die Politik ist seltsam still. “Es gibt da einen großen Erkenntnisbedarf, sowohl was die technologische Entwicklung betrifft als auch ethische Fragen”, so Wolfgang Hellmich, Obmann der SPD-Fraktion im Verteidigungsausschuss. Auch CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter bekennt, man habe bislang andere Schwerpunkte gehabt und sehe die Gefahr, “dass wir der technischen Entwicklung politisch hinterherlaufen”.

    Frank Sauer, der an der Universität der Bundeswehr in München seit über zehn Jahren zum Thema KI im Militär forscht, äußert wenig Verständnis für die zögerliche Haltung: “Das Thema Autonomie in Waffensystemen ist ausgeforscht. Chancen und Risiken sind bekannt. Wir wissen, was zu tun ist.” Nämlich die Entwicklung von Leitlinien, die vor allem zwei Fragen beantworten: Wann ist die Maschine leistungsfähiger als der Mensch? Und wo muss die menschliche Kontrolle einsetzen? “Es gibt keinen one-size-fits-all-Standard für menschliche Kontrolle. Autonomie in Waffensystemen bedeutet beim Flugabwehrsystem einer Fregatte auf hoher See etwas anderes als im Falle eines Infanteriezugs, der in urbanem Gelände kämpft”, meint Sauer.

    Druck auf die Politik wächst

    Die Enquetekommission Künstliche Intelligenz des Bundestages hat die Erwartungen an die Politik bereits in der letzten Legislaturperiode formuliert: “Die Bundesregierung muss ein sicherheitspolitisches Leitliniendokument zum militärischen Einsatz von KI erarbeiten. Hier sollten die Grundsätze und die Grenzen für die Mensch-Maschine-Interaktion festgeschrieben werden.”

    Der Druck auf die Politik wächst also: Ein Bündnis aus Rüstungsindustrie und Forschung hat sich Mitte vergangenen Jahres mit einem Appell an die Politik gewandt. Der 2020 gegründete Arbeitskreis KI & Verteidigung, dem Vertreter des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) sowie Wissenschaftler eines Instituts der Fraunhofer-Gesellschaft und der Universität der Bundeswehr in München angehören, forderte in einem Impulspapier: “Die Politik muss eine nationale militärische KI-Strategie liefern, die angesichts der aktuellen Technologieentwicklung einerseits und der Bedrohungslage für Landes- und Bündnisverteidigung andererseits unerlässlich erscheint.” Allerdings, so Hans-Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des BDSV und einer der Autoren des Papiers, sei die Forderung “weitgehend ungehört verhallt”.

    Auch bei den Ampel-Fraktionen im Bundestag scheint das Thema nicht oben auf der Agenda zu stehen. Bei der SPD beschäftigt sich seit Ende 2023 die AG Sicherheit und Verteidigung mit dieser Frage. Bei der FDP gibt man sich skeptisch, ob eine rein nationale KI-Strategie für den Militärbereich überhaupt sinnvoll ist. “Wir brauchen eine europaweit abgestimmte Regelung”, erklärt Alexander Müller, verteidigungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. So sieht es auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Agnieszka Brugger: “Das Parlament kann hier Impulse setzen. Was wir brauchen, sind internationale Regeln.”

    Wissenschaftler fordern nationale Richtlinie

    Die aber sind in weiter Ferne. Seit 2014 versucht eine Initiative der Vereinten Nationen auf der Ebene von Regierungsexperten diese Frage nach der menschlichen Kontrolle zu regeln. Der Regulierungsprozess bei der “Convention on Certain Conventional Weapons” (CCW) in Genf “ist mit viel Hoffnung gestartet und hängt seit Jahren politisch fest”, analysiert die KI-Spezialistin Anja Dahlmann vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

    Umso entscheidender wäre eine nationale Richtlinie für Deutschland, sind sich Wissenschaftler wie Dahlmann oder Sauer einig. Diese scheitere aber bislang an der “besonderen Berliner Verantwortungsdiffusion”, wie KI-Forscher Sauer es nennt. Formell ist das Auswärtige Amt nämlich federführend für die Verhandlungen in Genf zuständig. Das spiele dem “risikoaversen, von der Drohnendebatte traumatisierten Verteidigungsministerium” in die Hände, die Verantwortung für eine KI-Strategie ins Außenministerium zu schieben.

    Entscheidend also wäre eine parlamentarische Initiative für eine militärische KI-Strategie, wie KI-Expertin Vanessa Vohs erklärt: “Diese könnte den Druck auf das Verteidigungsministerium erhöhen. Bislang wurde das Ministerium nicht tätig und beabsichtigt nicht, dies zeitnah zu tun, obwohl andere Partner wie die USA, Frankreich oder die Niederlande längst eine solche Strategie besitzen.”

    • Künstliche Intelligenz

    Wiederaufbau: Ukraine will vor allem Privatinvestoren locken

    Der Wiederaufbau der Ukraine sei eine “Aufgabe für Generationen”, hatte Kanzler Olaf Scholz bei der ersten Konferenz zum Wiederaufbau des Landes im Jahr 2022 gesagt. Und er wird teuer. Ein Bericht der Weltbank, der Vereinten Nationen und der ukrainischen Regierung schätzt den finanziellen Bedarf für die Erholung des Landes Ende 2023 auf mindestens 453 Milliarden Euro für die kommenden zehn Jahre. Tendenz steigend. Denn Russland setzt seine Aggression gegen die Zivilbevölkerung und Angriffe auf die Infrastruktur fort.

    Diese enormen Summen kann die Ukraine allein nicht aufbringen. “Das kann auch die Europäische Union nicht allein. Das kann nur die ganze Weltgemeinschaft, die jetzt die Ukraine unterstützt”, hatte Scholz damals betont. Auf der Ukraine Recovery Conference am 11. und 12. Juni in Berlin berät die Weltgemeinschaft zum dritten Mal darüber, wie das Land strategisch und nachhaltig aufgebaut und auf dem Weg in die EU unterstützt werden kann. So etwa müssen die Energieinfrastruktur diversifiziert und starke Forschungsstandorte mitbedacht werden – bereits während des Krieges.  

    Wirtschaft als “Waffe”

    Berlin verfolgt zwar auf der Konferenz einen “gesamtgesellschaftlichen Ansatz” und will bei den diesjährigen Beratungen vor allem die Stärkung der Menschen, Gemeinden und Kommunen in den Blick nehmen. Ein Schwerpunkt werden aber auch Beratungen darüber sein, wie der Westen möglichst einheitliche und effektive Bedingungen für private ausländische Kapitalgeber schaffen kann. Denn deren direkte Investitionen, so die Hoffnungen auch im kriegsgebeutelten Land, sollen – mehr noch als bereitgestellte Finanztöpfe für die ukrainische Regierung – zum Erhalt der Wirtschaft und einem steigenden Bruttoinlandsprodukt beitragen. 

    “Die Wirtschaft ist die größte Waffe, die wir haben. Wir haben Leute, die an der Front stehen. Aber wir brauchen die Wirtschaft, um diesen Krieg zu gewinnen”, sagt Viacheslav Chuk, geschäftsführender Direktor der Astarta Holding, einer der größten agrarindustriellen Unternehmensholdings in der Ukraine. Nicht zuletzt auch, weil inzwischen fast jedes Unternehmen etwas zum Abwehrkampf gegen die russische Invasion beitrage.

    Anschubfinanzierungen für KMU

    220.000 Hektar landwirtschaftliche Fläche pachtet Astarta in der Ukraine von seinen Besitzern, stellt Saatgut, Lager- und Weiterverarbeitungskapazitäten für Landwirte bereit, die auf den Feldern Ölsaat, Soja, Getreide und Zuckerrüben für den Weltmarkt anbauen. 6.000 Menschen arbeiten für Astarta. Mit Beginn des Krieges verloren viele nicht nur ihre Lebensgrundlage. Nahrungsmittel wurden vor allem in kleinen Gemeinden knapp, weil Lieferungen aus größeren Städten unterbrochen waren. Um Gemeinden zu stützen, setzte Astarta zusammen mit der Deutsche Entwicklungs- und Investitionsgesellschaft (DEG), einer direkten Tochter der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), ein Programm zur Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) aus der Lebensmittelverarbeitung auf.

    Menschen seien in Kriegszeiten weniger bereit, Neugründungen oder Betriebserweiterungen mit eigenem Geld zu finanzieren, so Chuk. Gleichzeitig sei es wesentlich, ihnen und ihren Gemeinden eine Perspektive zu geben. Die Auflagen für die Förderung: Unternehmen müssen mindestens drei Arbeitsplätze schaffen und zehn Prozent ihrer Erträge an Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser oder bedürftigen Menschen abgeben. Jeder investierte Euro, so hätte eine Social-Impact-Studie ergeben, hätte bereits fünf Euro an sozialem Effekt generiert, sagt Chuk.

    Öffentliche Investitionen als Signal an private Unternehmen

    Noch einen Vorteil sieht Chuk in Investitionen: “Wenn die EU Mittel an die ukrainische Regierung überweist, hat das einen 1:1-Effekt. Wenn wir Firmen mit Garantien absichern, zahlen diese Steuern im Land, was wiederum die Regierung unterstützt. Der Effekt ist also viel höher. Vielleicht verlieren wir manche dieser Garantien. Aber einen Großteil verlieren wir eben nicht.” 

    Investitionen der öffentlichen Hand wie der DEG hätten außerdem eine große Signalwirkung an private Kapitalgeber, sagt Dmytro Boroday, Geschäftsführer von Horizon Capital, einem privaten Beteiligungsunternehmen, das sich unter anderem auf die Techbranche in der Ukraine spezialisiert hat. Kurz vor Kriegsausbruch investierte die DEG 20 Millionen Euro in Horizon Capital. Sie seien deswegen, so Boroday, als einer der wenigen Kapitalgeber in der Ukraine in der Lage, auch während des Krieges zu investieren. Er hofft, dass dem Beispiel der DEG vor allem private Unternehmen folgen. Nicht nur sei die Investition in ein Kriegsland eine “Sache der Moral”. Ein Unternehmen, das auch unter Kriegsumständen resilient sei, hätte seine Due-Diligence-Prüfung bestanden, sagt Boroday.

    Bundesregierung unterstützt deutsche Investoren

    “Aus Sicht einer Bank kann sie bei einem Langzeitkredit das Risiko eines Krieges nicht eingehen. Dafür haben wir im öffentlichen Sektor Instrumente zur Deckung und Absicherung von Investitionen. Im privaten Sektor bräuchten wir davon aber noch mehr”, sagt Roland Siller, Geschäftsführer von DEG. Nicht nur die potenzielle Zerstörung eines Investments lasse Investoren zurückschrecken, auch das Thema Korruption sei nicht von der Hand zu weisen. “Die gesamte Gestaltung des Wiederaufbaus schließt diese Fragen nicht aus”, betont Siller.

    Um dem privaten Sektor, aber auch institutionellen Investoren oder Stiftungen mehr Instrumente zur Absicherung von Investitionen an die Hand zu geben, hat die Bundesregierung, unter Federführung des BMZ, vergangene Woche ein Maßnahmenpaket verabschiedet. Enthalten sind darin etwa Investitions- und Exportkreditgarantien, um Unternehmen einen erheblichen Teil der Risiken zu nehmen. Auch Zinsvergünstigungen und die langfristige Einrichtung einer nationalen Förderinstitution nach Vorbild der KfW sind vorgesehen. Die Bundesregierung will künftig Private-Public-Partnerships – wie die der DEG mit privaten ukrainischen Unternehmen – unterstützen.

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    EIB präsentiert Aktionsplan für Dual-Use-Investitionen

    Während eines Arbeitsfrühstücks, das die EU-Finanzminister am Freitag im Rahmen des ECOFIN-Rates hielten, stellte die neue Präsidentin der Europäischen Investitionsbank (EIB) Nadia Calviño einen neuen Aktionsplan vor. Dieser soll es der EIB erlauben, mehr Investitionen in die europäische Rüstungsindustrie zu leiten, ohne ihre eigene Kreditfähigkeit zu riskieren.

    Der Aktionsplan soll laut Calviño die Definition von Dual-Use-Technologien und Infrastrukturen aktualisieren und KMUs im Verteidigungsbereich den Zugang zu EIB-Finanzierung vereinfachen. Zudem will die EIB einen “One-Stop-Shop” einrichten, der die Prozesse bei der Auszahlung jener sechs Milliarden Euro beschleunigen soll, die für Verteidigung reserviert sind.

    Calviño hatte schon beim Finanzministertreffen im Februar angekündigt, die Strategie der EIB stärker auf Verteidigung auszurichten. Auch die EU-Regierungschefs drängten beim Gipfel im März in diese Richtung.

    ESG-Kriterien als Herausforderung

    Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis begrüßte den Aktionsplan. “Vermehrte EIB-Investitionen in diesem Bereich werden auch ein positives Signal an die Märkte senden”, sagte Dombrovskis. Da sich einige Investoren aufgrund von ESG-Kriterien bisher vor dem Verteidigungssektor zieren, erhofft man sich in Brüssel, dass die EIB als Wegbereiterin für andere Investoren agieren kann.

    Umgekehrt besteht auch die Befürchtung, dass die EIB bei einer zu starken Involvierung in den Verteidigungsbereich aufgrund derselben ESG-Kriterien ihre Kreditwürdigkeit einbüßt. Deshalb haben die EU-Finanzminister sich auch noch nicht final für den Aktionsplan der EIB entschieden. “Unter den Ministern gab es eine breite Unterstützung, mit diesem Plan weiterzugehen”, sagte der belgische Finanzminister Vincent Van Peteghem, aber bei den Details brauche es noch weitere Diskussionen. Konkreter dürfte es am 21. Juni werden, wenn sich die EU-Finanzminister in ihrer Funktion als Rat der Gouverneure der EIB treffen. jaa

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    Krieg im Sudan: Europa und USA sagen mindestens 840 Millionen Euro Hilfe zu

    Im Rahmen einer Hilfskonferenz für den Sudan haben Deutschland und die internationale Gemeinschaft am Montag in Paris mindestens 840 Millionen Euro an Hilfen zugesagt. Außenministerin Annalena Baerbock sagte 244 Millionen Euro an deutschen Hilfen zu und erinnerte an die Gräueltaten im Sudan, die von der Weltgemeinschaft weitgehend unbeachtet bleiben. “Der Krieg im Sudan geht nun ins zweite Jahr und findet in unseren täglichen Nachrichten praktisch keinen Platz“, sagte Baerbock in Paris. Neben Deutschland kündigte auch die EU 350 Millionen Euro an Hilfen zu. Weitere 138 Millionen Euro wollen die USA und 110 Millionen Euro Frankreich bereitstellen.

    Zu der internationalen Konferenz hatten Deutschland und Frankreich gemeinsam mit der EU eingeladen. Ziel der Konferenz ist es, den Fokus der internationalen Gemeinschaft auf eine der weltweit größten humanitären Krisen aktuell zu richten. Nach UN-Angaben sind mittlerweile 8,6 Millionen Menschen durch den Krieg im Sudan vertrieben worden. Knapp 1,8 Millionen davon sind in Nachbarstaaten geflohen. Laut Experten sind 60 Prozent der Fläche des Sudans von den Kämpfen zwischen der Rapid Support Forces (RSF) und der sudanesischen Armee (SAF) betroffen.

    Zivilgesellschaft berät über Friedensprozess

    Angesichts der verheerenden Lage in dem ostafrikanischen Land sollte auf der Konferenz in Paris auch die sudanesische Zivilgesellschaft zusammenkommen und über einen möglichen Friedensprozess beraten. Vertreter der RSF und SAF waren nicht eingeladen. Die Regierung in Khartum kritisierte die Konferenz scharf, da sie sich als legitime Vertreter des Sudans verstehen. Die Nicht-Einladung sei eine Gleichsetzung mit der “Terrormiliz RSF”. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es, die Teilnahme beider Kriegsparteien sei nicht vorgesehen, da es Ziel der Konferenz sei, den Druck auf die Kriegsparteien zu erhöhen.

    Seit Anfang des Jahres setzt sich Außenministerin Baerbock verstärkt dafür ein, dass der Krieg im Sudan trotz der zahlreichen Konflikte weltweit nicht in Vergessenheit gerät. Anfang des Jahres hatte die Ministerin das Nachbarland Südsudan besucht und eine Fünf-Punkte-Initiative zur Konfliktlösung vorgestellt. dre

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    Grenell fordert Friedensinitiative von Joe Biden

    Der frühere US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, erwartet keine negativen Auswirkungen für die Nato, sollte Donald Trump Präsident werden. “Sie wissen doch ganz genau, was er tun wird. Er will Friedensabkommen und mehr wirtschaftliche Prosperität”, sagte der ehemalige Diplomat im Podcast-Gespräch mit Table.Briefings. Allerdings könnten die Nato-Mitglieder keine kostenlose Versicherung in der Nato erwarten.

    In Amerika sei man beleidigt, wenn Länder Teil der Nato sein wollen, aber sagen, dass sie nicht das Zwei-Prozent-Ziel einzahlen wollen. “Und in der Zwischenzeit bauen sie Opernhäuser und große Brücken und Flughäfen in ihrem Land.” Vor zehn Jahren hatten die Nato-Mitglieder vereinbart, dass sie perspektivisch jeweils zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in ihre Verteidigungsfähigkeit stecken. 18 Mitglieder der Allianz erfüllen dieses Ziel.

    Merkel sei zu schwach gewesen

    Im Krieg gegen die Ukraine brauche es einen Friedensplan, so der frühere Nationale Geheimdienstkoordinator. “Ich glaube nicht, wie der neue finnische Präsident, dass das Problem auf dem Schlachtfeld gelöst werden wird. Ich glaube das nicht. Ich glaube, dass es andere Wege gibt, das Problem zu lösen.” US-Präsident Joe Biden müsse direkt mit Wladimir Putin verhandeln. “Merkel hat immer den Kontakt gesucht, sie war nur zu schwach.” Derzeit schaue Biden nur auf die militärischen Optionen. 

    Eine Vermittlerrolle könne auch China einnehmen. Die Chinesen hatten vor eineinhalb Jahren ein Friedensangebot vorgelegt, das auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj als gut bewertet habe. “Die Chinesen glauben an die territoriale Integrität der Ukraine. Das ist etwas, mit dem ich arbeiten kann.” brö

    Das vollständige Podcast-Gespräch mit dem früheren Botschafter (in englischer Sprache) finden Sie hier.

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    Presseschau

    Israel Times: Indonesia ready to normalize ties with Israel as part of bid to join OECD. Um die Mitgliedschaft in der Organisation für Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) zu erlangen, ist Indonesien offenbar bereit, diplomatische Beziehungen zu Israel aufzunehmen. Ein solcher Schritt des bevölkerungsreichsten muslimischen Landes der Welt könnte Signalwirkung haben.

    Le Monde: Der Flugzeugträger “Charles de Gaulle” unter Nato-Mandat. Dass Frankreich seinen Flugzeugträger vom 26. April bis 10. Mai für eine kurze Mittelmeer-Mission erstmals unter Nato-Mandat stellt, löst Negativreaktionen aus der französischen Rechten und Linken aus. Unstrittig ist, dass es ein weiterer Schritt Richtung stärkeres Nato-Engagement Frankreichs ist.

    Research.Table: Zeitenwende – Rüstungsindustrie begrüßt BMBF-Positionspapier. Das Bundesforschungsministerium will per Positionspapier Wissenschaftsfreiheit und nationale Sicherheit vereinen. Zivile und militärische Forschung sollen verzahnt und die Zivilklausel überdacht werden.

    Stiftung Wissenschaft und Politik Podcast – War without limits. Kriege zwischen Staaten sind schon schwierig genug zu befrieden. Was den Forschenden im Sicherheitsbereich darüber hinaus Sorgen macht, ist die wachsende Zahl von gewaltsamen Konflikten zwischen nicht staatlichen Gruppen. Ein 26-minütiges Gespräch über einen gefährlichen Trend.

    Freedom House: A Region Reordered by Autocracy and Democracy. Osteuropa und Zentralasien – ehemalige Mitglieder des Warschauer Paktes und Republiken der Sowjetunion – durchlaufen seit vielen Jahren einen politischen Wandel, in dem demokratische Kräfte immer wieder an neuem Schwung gewinnen. Oder aber unterdrückt werden, so wie der aktuelle Bericht das für die jüngste Entwicklung beschreibt.

    Standpunkt

    Jan Kallmorgen: Deutsche Unternehmen müssen sich für einen Kalten Krieg mit China wappnen

    Jan Kallmorgen
    Jan Kallmorgen: Washington würde von Verbündeten verlangen, sich an seine Seite zu stellen.

    Geopolitik gehört spätestens seit Russlands Angriffskrieg zu den Top-Prioritäten von CEOs und Vorständen. Laut einer Umfrage von Heydrick & Struggles stehen geopolitische und makroökonomische Unsicherheiten ganz oben auf den Agenden in den Unternehmenszentralen. Die großen Themen sind China, der Krieg in der Ukraine, eine weitere Eskalation im Nahen Osten und das Risiko einer zweiten Trump-Präsidentschaft.

    Bei Risikobetrachtungen zu China fällt eine wachsende Kluft zwischen Teilen der Politik und der Wirtschaft auf: Während EU-Kommission, Auswärtiges Amt und Sicherheitsbehörden die Unternehmen zum “De-Risking” auffordern, machten mitreisende DAX-CEOs bei der jüngsten China-Reise des Bundeskanzlers deutlich: Ohne China geht es für sie nicht, das Land bleibt ein zentraler Absatzmarkt und Technologiepartner.

    In den USA spricht man von “neuem kalten Krieg” gegenüber China

    Noch größer wird diese Kluft beim Blick über den Atlantik: In den USA wird der Ton gegenüber China parteiübergreifend immer kritischer bis alarmistisch – was sich im Wahlkampf noch verschärfen dürfte. Jüngste Gespräche im Weißen Haus und dem Kongress haben dies gezeigt und eine Reihe von Publikationen bestätigen dies. So hat das US-Repräsentantenhaus einen Report mit dem vielsagenden Titel “Wie amerikanisches Risikokapital das Militär der Volksrepublik China und Menschenrechtsverletzungen nährt” veröffentlicht. Auf dem Feld der Technologie ist eine “Entkoppelung” zwischen den USA und China bereits im vollen Gange, wie die US-Exportrestriktionen bei Halbleitern oder schärfere “Outbound”-Investitionskontrollen bei Biotechnologie oder Artificial Intelligence zeigen.

    Noch können diese Maßnahmen als “Tech-Containment” eingeordnet werden, jedoch sprechen immer mehr einflussreiche Stimmen von einem “neuen Kalten Krieg” (Niall Ferguson) gegenüber China, gerade vor dem Hintergrund der Unterstützung Russlands mit kriegsrelevanten Gütern wie Panzerteilen, Satellitenbildern oder Raketentreibstoff, die die US-Regierung benennt.

    Auch deshalb fordert die Marathon Initiative, in deren Reihen einige republikanische Sicherheitspolitiker “überwintern”, eine Fokussierung des US-Militärs auf eine direkte Abschreckung Chinas. Dazu passende Kriegsszenarien spielt das renommierte Center for Strategic & International Studies durch. Im Trump-Lager haben Thinktanks Programme für eine republikanische Machtübernahme entwickelt – alle mit überaus kritischen Positionen zu China. Das gilt sowohl für sicherheitspolitische als auch in Handelsfragen, so die Heritage Foundation in ihrem 920-seitigen Strategiepapier “Project 2025”, das Center for Renewing America oder das America First Policy Institute.

    Die Abhängigkeit von den USA bleibt mittelfristig hoch

    Warum sollten sich hiesige Unternehmen mit diesen Debatten beschäftigen? Weil das Verhältnis zwischen den USA – als dem anderen strategischen Markt für die europäische Industrie – und China die zentrale Achse der internationalen Politik im 21. Jahrhundert ist und erhebliche Auswirkungen auf Welthandel, Energie- und Rohstoffsicherheit, Lieferketten und Kapitalmärkte hat. Damit betrifft es langfristig Unternehmensstrategien, Geschäftsmodelle und Investitionsplanung von global tätigen Unternehmen.

    Diese wären also gut beraten, durchzuspielen, was ein “Kalter Krieg 2.0” für sie bedeuten würde. Ausgangspunkt sollte dabei die realistische Annahme sein, dass die Abhängigkeit Deutschlands von den USA mittelfristig hoch bleibt (Nato, nuklearer Schutzschirm) und die Annahme, dass die Vereinigten Staaten als Markt auch unter Trump ihren Wettbewerbsvorteil bei Energiepreisen, Finanzkraft und Technologie behalten oder ausbauen dürften.

    China könnte europäische Unternehmen sanktionieren

    Sollte es zu einer Verschärfung des Konfliktes zwischen den USA und China kommen, wird Washington von seinen Verbündeten verlangen – und Hebel dafür einsetzen -, sich auf seine Seite zu stellen. Dem könnten sich auch europäische Unternehmen nicht entziehen – und würden dann im Gegenzug stärker ins Visier der chinesischen Seite geraten. Möglich wären etwa höhere bürokratische Hürden, politisch motivierte Beschränkung von Geschäftstätigkeiten, verstärkte Exportkontrollen etwa bei kritischen Rohstoffen, schärfere Kapitalmarktkontrollen oder eine Erschwerung des Zugangs zum Südchinesischen Meer. Auch vor Handelsblockaden gegenüber Taiwan, stärkeren Cyberangriffen oder steuerlichen (Straf-)Maßnahmen warnen Fachleute.

    Zu hoffen ist, dass es dazu nicht kommen wird und der Handel mit China so offen wie möglich bleibt. Aber schon im Sinne der Business Judgement Rule sind Vorstände angehalten, solche Szenarien durchzuspielen. Das ist auch eine Verantwortung gegenüber Anteilseignern, Mitarbeitern und der Öffentlichkeit. Keiner möchte einen neuen Kalten Krieg. Aber auf ihn vorbereitet zu sein, ist ein Gebot guter Unternehmensführung.

    Jan F. Kallmorgen ist Partner der Strategie- und Transaktionsberatung bei Ernst & Young und berät mit seinem Team Unternehmen und Investoren zu geostrategischen Fragen.

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    • kritische Rohstoffe
    • Project 2025

    Heads

    Pia Fuhrhop – Sicherheitsexpertin mit Drehtür-Erfahrung

    Pia Fuhrhop ist stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.

    Die “Revolving Doors” – der Drehtür-Effekt – sind in Politik und Wirtschaft negativ konnotiert. Pia Fuhrhop sieht es als Privileg, von einem Thinktank in die politische Beratung und wieder zurückgewechselt zu sein. Sie nennt es Panzerzählen aus verschiedenen Perspektiven. Ihr früherer Job als politische Beraterin im Bundestag für Omid Nouripour – damals außenpolitischen Sprecher der Fraktion der Grünen und heute Bundesvorsitzender der Grünen – halte sie nicht davon ab, auch andere Parteien unabhängig zu beraten und die Politik der Ampel zu kritisieren.

    Die Rüstungspolitik in Deutschland läuft ihrer Ansicht nach wenig zielführend. In der Nationalen Sicherheitsstrategie findet sie den Abschnitt zur Rüstung zu unkonkret. “Es zementiert alte Widersprüche”, sagt sie. Die Stärkung der heimischen und der europäischen Rüstungsindustrie stehe in vielen Fällen im Widerspruch zueinander. Wenn sich zu viele in unterschiedliche Richtungen zielende Beschlüsse auf dieses Dokument beriefen, verliere es an Aussagekraft.

    Mehr Klarheit bei Rüstungsexporten in Drittländer

    Gleichzeitig fehle das überfällige Rüstungsexportkontrollgesetz, an dessen Vorbereitung Fuhrhop 2022 als Expertin mitwirkte, sowie das Strategiepapier für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Über beides verhandelt die Bundesregierung noch. “Das wären zwei Dokumente, die eine klare Richtung für die Rüstungspolitik geben könnten”, sagt Fuhrhop. Die Möglichkeit habe man bisher verpasst.

    Klarheit wünscht sie sich besonders bei Rüstungsexporten in Drittländer. “Wir brauchen eine Rüstungsexportpolitik, die wir besser erklären können”, sagt sie. Wie bei den jüngsten Exporten nach Saudi-Arabien sei häufig nicht klar, welche außen- und sicherheitspolitischen Interessen für einen Export sprechen.

    Ab 2007 evaluierte Fuhrhop bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) das damalige zivile Engagement in Afghanistan. Mit ihrem Wechsel zur Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) 2008 kam sie zur Rüstungspolitik. Vier Jahre später bekam sie 2014 das Angebot für den Posten bei Omid Nouripour. “Omid Nouripour wollte jemanden holen, die ihm auch Widerworte geben konnte”, sagt sie. Dort habe sie gelernt, “wie Mehrheiten zustande kommen, wann mein Wissen gefragt ist, und dass auch manchmal der Zufall regiert.”

    Dachte, dass Russland “ein sicherheitsorientierter Staat ist”

    Nach der Zeit im Bundestag baute sie ab 2019 für das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik ein Büro in Berlin auf. Dass sie damit die Chance verpasste, die Grünen in einer Regierungsrolle zu beraten, bereut sie nicht. Nach sechs Jahren habe sie wieder nach einem Perspektivwechsel gesucht.

    Acht Jahre später beschäftigt sie sich wieder bei der SWP mit Rüstungspolitik, diesmal als stellvertretende Forschungsgruppenleiterin für Sicherheitspolitik. Obwohl sie wieder dasselbe Thema bearbeitet, änderte sich die Herangehensweise nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine grundlegend. “Bis zum Angriff war ich überzeugt, dass Russland in erster Linie ein sicherheitsorientierter Staat ist und kein Regime mit imperialen Ambitionen”, sagt die 42-Jährige. In einer Publikation untersuchte sie, wie die nukleare Teilhabe Deutschlands langsam abgebaut werden könnte. Die Zeit, in der ein solcher Pfad denkbar war, kommt ihr jetzt sehr entfernt vor. Lukas Homrich

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