trotz wachsender Kritik aus Washington hat die israelische Regierung angekündigt, ihren Krieg gegen die Terrororganisation Hamas auszuweiten. Markus Bickel analysiert die prekäre Lage vor allem für die Zivilbevölkerung, für die es kaum mehr sichere Rückzugsorte im Gazastreifen gibt.
Mein Kollege Gabriel Bub hat sich mit der neuen Rolle Frankreichs in der Nato befasst. Vor allem in Afrika ist die französische Präsenz nicht mehr erwünscht. Gleichzeitig rückt auch für Paris die Landes- und Bündnisverteidigung weiter in den Vordergrund – was heißt das für die Struktur der Streitkräfte und das Engagement Frankreichs in der Allianz?
Wie zwei “destruktive Kinder” verhielten sich die Präsidenten Putin und Lukaschenko, drückte es mein Kollege Viktor Funk aus. Gemeint ist die Szene aus der vergangenen Woche, bei der sich der belarussische Präsident in Putins Auto zwängen musste, um wenigstens kurz mit ihm zu sprechen. Auf Staatsebene harmoniert es trotzdem, schreibt er im nächsten Teil unserer Serie “Russlands Freunde”.
Und noch ein Hinweis auf eine besondere Veranstaltung: Heute ab 10.30 Uhr können Sie Thomas Bagger, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, bei uns im digitalen Gespräch erleben. Den Anmeldelink finden Sie in den News.
Die israelische Regierung hat unbeirrt von Mahnungen aus den USA ihren Krieg im Gazastreifen ausgeweitet. Trotz öffentlicher Forderungen durch Vizepräsidentin Kamala Harris und US-Außenminister Antony Blinken, dem Schutz von Zivilisten höhere Priorität einzuräumen als in den ersten beiden Kriegsmonaten, sind nach Ende der Feuerpause zwischen den Israel Defence Forces (IDF) und der Terrororganisation Hamas am vergangenen Freitag bereits mehr als 700 Menschen getötet worden. Zehntausende sind nach ihrer Evakuierung aus dem Norden des Gazastreifens nun ein zweites Mal auf der Flucht.
Generalstabschef Herzl Halevy sagte am Sonntag vor Soldaten der Gaza-Division, dass man im Süden des Palästinensergebiets “nicht mit weniger Kraft” vorgehen werde als im Norden. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu meinte, der Kampf gegen die Hamas werde bis zum “absoluten Sieg” fortgesetzt, es sei “unser Krieg und wir treffen die Entscheidungen”. Zuvor hatte die Armeeführung Bewohner Gazas in Flugblättern, aufgezeichneten Telefonnachrichten und WhatsApp-Mitteilungen dazu aufgefordert, Anweisungen zu befolgen und bestimmte Gebiete zu verlassen. Die IDF hatten den Süden des Gazastreifens in 2.400 sogenannte Blocks eingeteilt, die je nach Kampfsituation rechtzeitig zu verlassen seien.
Das Vorgehen ähnelt dem zu Beginn der israelischen Bodeninvasion im Norden des Gazastreifens Ende Oktober. Dadurch wächst die Gefahr, dass Hunderttausende Menschen bald versuchen könnten, Richtung Ägypten zu fliehen, da es mit Ausweitung der Kampfhandlungen auf den Süden des Gazastreifens keine sicheren Rückzugsorte mehr gibt. Vizepräsidentin Harris warnte am Rande des COP28-Gipfels in den Vereinigten Arabischen Emiraten vor einem solchen Schritt. Nach einem Treffen mit Ägyptens Präsident Abdelfattah al-Sisi sagte sie, dass die USA “unter keinen Umständen” die “erzwungene Umsiedlung von Palästinensern aus Gaza oder der West Bank” erlauben werden.
Als rote Linie bezeichnete Harris zudem eine Belagerung oder die “Neuziehung der Grenzen von Gaza”. Zuvor hatten enge Berater von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu eine “Pufferzone” entlang der Grenzen der Enklave, die in der Länge nur 40 Kilometer und an ihrer breitesten Stelle zwölf Kilometer misst, ins Spiel gebracht. Diese auch als “Sicherheitshülle” bezeichnete Zone solle innerhalb des Gazastreifens liegen.
Der Nationale Sicherheitsberater von Präsident Joe Biden, John Kirby, schloss das am Wochenende aus: “Wir haben viele Male gesagt, dass wir eine Reduzierung der geografischen Grenzen Gazas ausschließen, Punkt.” Doch sei es zu früh, “um über den Aufbau künftiger Sicherheitsbarrieren oder -strukturen zu spekulieren”. Vor einer “strategischen Niederlage” warnte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, der am Samstag von seinen Erfahrungen im Häuserkampf gegen den Islamischen Staat im Irak berichtete: “Die Lehre daraus ist, dass man im Krieg in den Städten nur gewinnen kann, wenn man die Zivilbevölkerung schützt.” Andernfalls treibe man sie “dem Feind in die Arme”.
Trotz ihrer Mahnungen, die Zahl der zivilen Opfer in Grenzen zu halten, hat die Regierung in Washington den Nachschub an Bomben und Artilleriemunition für die israelischen Streitkräfte nicht gestoppt. So seien seit Kriegsbeginn im Oktober mehr als 5.000 Bomben vom Typ Mk82, mehr als 5.400 vom Typ Mk84 sowie 100 der bunkerbrechenden BLU-109-Bomben geliefert worden, berichtete das Wall Street Journal am Wochenende unter Berufung auf interne Unterlagen des Pentagons. Zudem seien 57.000 155mm-Artielleriegeschosse in C-17-Cargofliegern nach Tel Aviv geliefert worden – sowie etwa 3.000 so genannte JDAMs (Joint Direct Attack Ammunition), die ungelenkte Bomben in gelenkte, “intelligente” Bomben verwandeln.
Angesichts der anhaltenden Bekundungen des israelischen Kriegskabinetts, die Hamas militärisch vernichten zu wollen, ist der Einfluss Washingtons auf die Regierung in Jerusalem offenbar gering. Nach einer Woche Kampfpause, in der 110 von der Hamas aus dem Süden Israels entführte Zivilisten und 210 palästinensische Gefangene frei kamen, sind die Kämpfe um das seit 2007 von der Hamas beherrschte Gebiet am Wochenende wieder in voller Härte entflammt. “Wir haben im nördlichen Gazastreifen stark und gründlich gekämpft, und wir tun es jetzt auch im südlichen Gazastreifen”, so Generalstabschef Halevi am Sonntag. Seit Kriegsbeginn seien 800 Tunnel der Hamas entdeckt und 500 zerstört worden.
Der Direktor des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Ronen Bar, kündigte zudem an, Hamas-Führer gegebenenfalls auch in ihren Niederlassungen in der Türkei, im Libanon oder in Katar zu eliminieren. “Es wird ein paar Jahre dauern, aber wir werden da sein, um es zu tun”, sagte er am Sonntag im israelischen Fernsehen. “Das ist unser München”, so Bar unter Verweis auf das Attentat palästinensischer Terroristen auf israelische Sportler bei den Olympischen Spielen 1972. In den Jahren danach töteten Mossad-Angehörige einen der drei Attentäter des Schwarzen September, die den Polizeieinsatz in München überlebt hatten, und mindestens zwölf Palästinenser, die Israel verdächtigte, an den Planungen beteiligt gewesen zu sein.
Mit Überseegebieten im Indopazifik und langer Präsenz in ehemaligen Kolonien in Westafrika hat Frankreich sicherheitspolitisch eine globalere Ausrichtung als Deutschland, doch künftig will es sich verstärkt in Europa und der Nato zeigen. Bis Jahresende verlassen die französischen Streitkräfte Niger, im September waren es noch 1.500 und bereits 2022 war die Operation Barkhane in Mali beendet worden, bei der zeitweise 4.500 französische Soldaten im Einsatz gewesen waren. In ihren westafrikanischen Ex-Kolonien sind die Franzosen zunehmend weniger erwünscht.
Auch deshalb verlagert Frankreich den Fokus nach Europa. Im Oktober hat das Verteidigungsministerium eine neue Struktur geschaffen: Das Landkommando für Luft-Land-Operationen in Europa (CTE) soll zunächst 6.000 Soldatinnen und Soldaten zur Verlegung in Bereitschaft halten, bis 2027 sollen bis zu 24.000 Streitkräfte in Europa schnell verlegbar sein. Zusätzlich stellt Frankreich derzeit in Rumänien im Rahmen der Nato Response Force zwischen 800 und 1.000 Streitkräfte sowie rund 300 in Estland. Seit vergangener Woche stationiert Frankreich vier Mirage 2000-Kampfjets in Litauen zur Luftraumüberwachung.
Die Landes- und Bündnisverteidigung ist in der Prioritätenliste nach oben gerutscht. Dabei fährt Frankreich eine andere Strategie als Deutschland. Eine dauerhafte Stationierung einer Brigade, wie Deutschland das in Litauen plant, passt nicht ins französische Modell. Abschreckung ist in Paris vor allem nuklear gemeint, wovon nach französischer Lesart auch die europäischen Nachbarn profitieren.
Kurz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 sprach Präsident Macron öffentlich zu den französischen Streitkräften. Nachdem Russland die Krise in einer “ungerechtfertigten Dimension” eskaliert habe, könne Frankreich “erneut auf seine Streitkräfte zählen”; er habe Vertrauen in die “operative Effizienz” der Soldaten. Die Ansprache sei auch ein deutliches Signal an Moskau gewesen und habe eine größere Eskalation verhindert, sagen manche in Frankreich. Zu einem hohen Preis: Die “Force de frappe” kostet Frankreich rund ein Fünftel seines Verteidigungshaushalts, in den vergangenen Jahren im Schnitt fünf Milliarden Euro, Tendenz steigend.
Frankreichs Spagat zwischen europäischer Autonomie und Engagement in der Nato ist oft schwer nachzuvollziehen. Während Macron wie bei seinem China-Besuch im April dieses Jahres warnt, die Probleme der USA nicht zu europäischen zu machen und ein militärisch stärkeres Europa einfordert, wenden sich andere europäische Nato-Länder stärker den USA zu. Seine Vorstellung von Strategischer Autonomie verfängt in Deutschland und bei osteuropäischen Nato-Ländern nur zaghaft. Macron war bis zum Krieg gegen die Ukraine der lauteste Fürsprecher einer europäischen Armee; 2019 bezeichnete er die Nato als hirntot.
Im Zentrum des europäischen Nato-Pfeilers stand lange das “deutsch-französische Tandem”. Doch die Beziehungen zwischen Berlin und Paris verschlechtern sich, vor allem sicherheitspolitisch. Es gibt Stimmen in Frankreich, die sich wegen Deutschlands “Zeitenwende” sorgen. “Wenn alle deutschen Projekte – oder auch nur ein Großteil davon – vollendet werden, wird das deutsch-französische Duo noch unausgewogener werden als es ohnehin schon ist”, schreiben Élie Tenenbaum und Léo Péria-Peigné vom französischen Thinktank Institut français des relations internationales (Ifri) in einer Studie zur deutschen Zeitenwende.
Berlin kooperiere lieber mit den USA, den Niederlanden, Norwegen, Litauen und Rumänien, heißt es in der Studie. Deutschland sei schon 2014 mit der Implementierung des Framework Nation Concepts (FNC) auf die internationale Bühne zurückgekehrt, schreiben Tenenbaum und Péria-Peigné, und drohe deshalb Frankreich in Europa den Rang abzulaufen. Beim FNC integriert ein Rahmenland Fähigkeiten anderer Nationen in einen Verbund. So wie Deutschland solle sich Frankreich stärker im Nato-Rahmen einbringen, empfehlen sie. Gemeinsame Übungen mit Deutschland und den baltischen Staaten im Baltikum könnte auch die französischen Beziehungen zu Estland, Lettland und Litauen stärken.
Hinzu kommt, dass Paris derzeit nur 75 Prozent der militärischen Nato-Posten übernimmt, die dem Land zustehen. Das geht aus einem im Juli vorgestellten Bericht des französischen Rechnungshofs hervor. Ein Engagement in der Nato werde bei französischen Militärs im Lebenslauf nicht ausreichend wertgeschätzt, heißt es in dem Bericht. Das dürfte historisch begründet sein: Frankreich kehrte erst 2009 unter dem damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy in die militärische Nato-Kommandostruktur zurück, nachdem Charles de Gaulle 1966 den Austritt veranlasst hatte.
Aktuell ist Frankreich der viertgrößte Nato-Zahler hinter den USA, Deutschland und Großbritannien. Es hat außerdem den viertgrößten Verteidigungshaushalt der Nato-Mitgliedstaaten. Mit den Plänen vom Nato-Gipfel in Madrid im Juli 2022 wurden Budgeterhöhungen festgelegt, die Frankreichs Beiträge zum Nato-Haushalt bis 2030 nach den Berechnungen des Rechnungshofs auf 833 Millionen Euro vervierfachen dürften.
Um in Europa nicht isoliert zu werden, sollte Frankreich jetzt die Partnerschaft zu Deutschland wieder verstärken, empfehlen Tenenbaum und Péria-Peigné – und sich stärker als Framework-Nation anbieten. Sonst könne Frankreich in Europa alleine dastehen.
Wenn der Gast den Gastgeber meidet und der Gastgeber dem Gast bei der Abreise hinterherläuft, um doch noch ein Gespräch zu erzwingen, dann ist offensichtlich, wer der Wortführer ist. Die besagte Szene spielte sich vor wenigen Tagen beim Treffen der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) im belarussischen Minsk ab.
Gastgeber und vom Westen nicht anerkannter Präsident des Landes, Alexander Lukaschenko, konnte ein direktes Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nur erreichen, indem er sich in den Wagen setzte, der Putin zum Flughafen brachte.
Russlands Freund, Lukaschenko, hat Putins Gunst verloren. Dabei hat er doch im Juni den russischen Putschisten Jewgenij Prigoschin bei dessen Marsch auf Moskau gestoppt. Danach machte Lukaschenko aus Sicht des Kremlherrn jedoch einen Fehler: Seinen Erfolg zelebrierte er mehrfach öffentlich – und ließ Putin dadurch schlecht aussehen.
“Das hat ihm Putin nicht verziehen”, sagt im Gespräch mit Table.Media Pawel Latuschka. Der ehemalige belarussische Kulturminister und Botschafter in Frankreich hat sich im Sommer 2020 auf die Seite der demokratischen Bewegung gestellt und kämpft seitdem als Vorsitzender der Gruppe “National Anti-Crisis Management” aus dem europäischen Ausland gegen den Diktator in seiner Heimat.
Mag es auf der persönlichen Eben gerade mal wieder knirschen zwischen Lukaschenko und Putin, im Geschäftlichen und Militärischen läuft es bestens: Belarus sei für Russland aus mehreren Gründen ein wichtiger Kriegshelfer, sagt der Oppositionspolitiker.
Die folgenden Kooperationen zwischen Belarus und Russland lassen sich nachweisen:
Die Liste ließe sich fortsetzen.
Neben Kriegshilfe und Sanktionsumgehung spielt Belarus noch eine dritte wichtige Rolle für Moskau: In Putins imperialem Denken gehört das Land fest ins russische Reich. Zu Zeiten des Kalten Kriegs spielte die Weißrussische Sozialistische Sowjetrepublik eine wichtige Funktion beim atomaren Drohszenario der Sowjetunion, mehr als 1.100 Atomsprengköpfe lagerten im Land. Nun sollen wieder russische Atomwaffen in dem “Bruderstaat” stationiert werden, nach neusten Berichten von belarussischen, regime-kritischen Aktivisten würden die technischen Voraussetzungen weiter vorbereitet.
Rund 2.000 russische Armeeangehörige sollen sich derzeit noch in Belarus befinden sowie etwa 500 Kämpfer der Wagner-Truppe. Die Zahl der letzteren sinkt kontinuierlich, jüngste, dokumentierte Bewegungen zeigen, dass ein Flugzeug mit Wagner-Kämpfern in Richtung Zentralafrikanische Republik aufgebrochen sein soll.
Auch wenn 2.500 fremde Militärs im Land sich nicht nach viel anhören – die belarussische Armee selbst ist relativ klein. Laut “The Military Balance 2023” zählt die belarussische Armee rund 48.000 Soldaten und etwa 289.500 Kräfte in der Reserve. Doch der Krieg in der Nachbarschaft verändere das Land, erläutert Pavel Latuschka. “Seit Kriegsbeginn wird die Gesellschaft militarisiert, es gibt neue Volkswehren und die Regierung stockt das Personal im Militär auf.”
Ähnlich wie Russland hat Belarus in den vergangenen Monaten die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Wehrdienstleistenden gesenkt. Wer früher etwa wegen Sehschwäche oder Übergewicht ausgemustert wurde, kann nun eingezogen werden. Zwar kämpfen Lukaschenkos Truppen nicht aktiv im Krieg in der Ukraine mit, doch die logistische Bedeutung des Landes für den Krieg ist groß. Und die permanenten Militärübungen erhöhen die Kampffähigkeiten einer Armee, die seit dem Ende der Sowjetunion keine Gefechtserfahrungen hat.
Latuschka und andere belarussische Oppositionelle in der EU kämpfen nicht nur gegen den Diktator zu Hause, sondern auch um Aufmerksamkeit für ihr Land. Als vor einer Woche die Wohnungen von 100 kritischen Aktivistinnen und Aktivisten in Belarus durchsucht und deren Familienangehörige eingeschüchtert wurden, verurteilte der EU-Außenbeauftragte Josep Borell zwar die Repressionen. Doch einen Effekt haben diese diplomatischen Noten nicht. “Belarus muss genauso mit Sanktionen belegt werden wie Russland”, fordert Latuschka deshalb nicht zum ersten Mal. Aktuell wird das 12. Sanktionspaket der EU gegen Russland vorbereitet.
Der ehemalige Diplomat reist nach eigenen Angaben in dieser Woche nach Washington und ist in der kommenden Woche in Brüssel, um wieder für die Interessen der belarussischen Opposition zu werben. “Unsere Partner reagieren immer, sie sind aber leider nicht proaktiv”, bedauert er. Angesichts der russischen Umtriebe in seiner Heimat sieht er eine grundsätzliche Gefahr auch über den Krieg in der Ukraine hinaus. Moskau und Minsk kooperierten in immer mehr Feldern, etwa bei Steuern, Militär und Handel: “Russland verschluckt Belarus einfach, unser Land ist dabei zu verschwinden”, warnt der Regimegegner.
Nigers regierende Junta hat die militärische Partnerschaft des Landes mit der Europäischen Union aufgekündigt, wie das Außenministerium am Montag mitteilte. Damit wurde die Genehmigung für ein EU-Programm zur Unterstützung der Sicherheitskräfte zurückgezogen.
Der Termin scheint bewusst gewählt, denn seit Montag ist der stellvertretende russische Verteidigungsminister Junus-bek Jewkurow mit einer Delegation in Niger. Er traf den nigrischen Verteidigungsminister Salifou Modi zu Gesprächen über eine Vertiefung der militärischen Kooperation zwischen den beiden Ländern.
Die zivile Mission EUCAP Sahel Niger wurde 2012 ins Leben gerufen, um die Sicherheitskräfte im Kampf gegen Militante und andere Bedrohungen zu unterstützen. Laut der Website der Mission sind rund 120 Europäer ständig dort im Einsatz.
Die Sahelstaaten Niger und Burkina Faso haben bereits am Samstag angekündigt, das Staatenbündnis G5-Sahel zu verlassen. Für die Gruppe bedeutet das wohl das vorläufige Ende. Denn von den einst fünf Mitgliedsländern sind lediglich Mauretanien und Tschad übriggeblieben – die Militärregierung in Mali hatte ihren Austritt bereits im Mai 2022 verkündet.
Die G5 “scheitert an der Umsetzung ihrer Ziele”, schrieben die Staaten in einer gemeinsamen Erklärung. In seiner derzeitigen Verfasstheit diene das Bündnis “ausländischen Interessen” und negiere die “Souveränität unserer Völker”. Bereits am Freitag hatten Mali, Niger und Burkina Faso die Schaffung einer Konföderation verkündet, die zu einem Staatenbund ausgebaut werden solle. In Niger hatte sich im Juli das Militär an die Macht geputscht, in Burkina Faso regiert seit 2022 eine Junta. In Mali putschte das Militär bereits 2020.
Die G5-Sahel hatte unter anderem die Stabilisierung der Region gegen den islamistischen Terror zum Ziel und hatte sich 2014 aus Mali, Mauretanien, Burkina Faso, Niger und Tschad gegründet. Sie war ein wichtiger entwicklungs- und sicherheitspolitischer Partner der EU in der Sahelzone. Die EU hatte dabei unter anderem eine 2017 gegründete Anti-Terrorismus-Truppe der G5-Sahel mitfinanziert. Nach Jahren der geopolitischen Dominanz Frankreichs und Europas im Sahel zeichnet sich nun ein Wechsel der Einflusssphären ab. In Burkina Faso und Mali kooperieren die Streitkräfte bereits mit Wagner-Söldnern. Eine vollständige Analyse lesen Sie hier. dre/bub
Zwei Monate nach dem Terrorüberfall der Hamas auf den Süden Israels weitet sich der Konflikt auch regional weiter aus. So wurden am Sonntag im Roten Meer drei Handelsschiffe im Abstand von mehreren Stunden vor der jemenitischen Küste mit Drohnen angegriffen. Man habe “allen Grund zu der Annahme, dass diese Angriffe zwar von den Huthis im Jemen ausgehen, aber vollständig vom Iran unterstützt werden”, teilte das US-Zentralkommando mit. “Die Vereinigten Staaten werden in voller Abstimmung mit ihren internationalen Verbündeten und Partnern alle geeigneten Maßnahmen in Betracht ziehen.”
Die jemenitische Parteimiliz Ansar al-Allah, besser bekannt als Huthi-Rebellen, bekannte sich zum Angriff auf zwei Handelsschiffe im Roten Meer, nicht jedoch auf die USS Carney. Die beiden Schiffe Unity Explorer und Number Nine seien angegriffen worden, nachdem sie Warnungen der Miliz ignoriert hätten. Die mit Teheran verbündeten Huthis hatten aus Solidarität mit der palästinensischen Hamas zuletzt Langstreckenraketen und Drohnen auf Israel abgefeuert. Die USS Carney hat nach Angaben von US-Militärs im Oktober drei vom Jemen Richtung Israel abgefeuerte Marschflugkörper sowie mehrere Drohnen abgefangen.
Unmittelbar nach Beginn des Krieges zwischen Israel und der Hamas hatten die USA zwei Flugzeugträgergruppen ins östliche Mittelmeer entsandt, um Iran und andere Gegner Israels vor einem Eingreifen in den Konflikt zu warnen. Seit Mitte Oktober sind US-Stellungen im Irak, wo 2.500 US-Soldaten stationiert sind, und in Syrien mit 900 GIs Ziel von Dutzenden Drohnenangriffen durch mit dem Iran verbündete Milizen. mrb
Während die Ukraine um Militärhilfe aus den USA fürchten muss und ihre Verbündeten mit der Analyse der gescheiterten Offensive beschäftigt sind, setzt Russland auf das, was sich in diesem Krieg bisher bewährt hat: die schiere Überzahl an Soldaten. Zum zweiten Mal in diesem Krieg hat Präsident Wladimir Putin die Zahl der Streitkräfte erhöht – um 170.000 auf dann 1.320.000 aktive Militärs. Insgesamt soll die Zahl aller Angehörigen der russischen Armee dann auf 2.209.130 steigen, das neue Soll gilt seit dem 1. Dezember.
Zum Jahreswechsel 2022/2023 war bereits die erste Erhöhung um 137.000 Soldaten erfolgt. In der Summe gleicht die Zahl in etwa die Verluste in der Ukraine aus. Nach neuen Schätzungen des britischen Verteidigungsministeriums sind bisher im Krieg bis zu 240.000 reguläre russische Soldaten verwundet und 50.000 getötet worden, hinzu kommen 40.000 verwundete und 20.000 getötete Wagner-Kämpfer.
Die Streitkräfte werden auch durch zwei Einberufungen von Wehrdienstleistenden pro Jahr verstärkt, im Frühling und im Herbst. Da wurden im laufenden Jahr 147.000 und 130.000 Männer einberufen – 23.500 Mann mehr als 2022. Offiziell werden Wehrdienstleistende zwar nicht in den Krieg geschickt, doch laut Berichten von Nichtregierungsorganisationen werden die jungen Soldaten unter Druck gesetzt, einen mehrjährigen Vertrag zu unterzeichnen.
Mit so einem Vertrag werden sie dann in die Ukraine entsandt. Darüber hinaus hat Russland im Laufe des Krieges die Regelungen für Reservisten und für Wehrdienstleistende so verändert, dass die Gesamtzahl aller Männer, die in den Militärdienst eingezogen werden können, sich erhöht.
Der Aufbau größerer Streitkräfte in Russland steht in Konkurrenz zu einem größer werdenden Personalmangel in der Wirtschaft. Die Arbeitslosigkeit liegt derzeit bei drei Prozent. Die Produktivität im Land ist laut der russischen Zentralbank im vergangenen Jahr um 3,6 Prozent gefallen. Nach einem Bericht des russischen Mediums Meduza waren allein im August dieses Jahres 1,2 Millionen offene Stellen gemeldet. vf
Wie viel Krise geht noch? Diese Frage möchten wir mit Ihnen und einem der wichtigsten Steuerleute der deutschen Außenpolitik, Außenamts-Staatssekretär Thomas Bagger, heute, Dienstag, den 5. Dezember, von 10.30 bis 11.30 Uhr diskutieren. An dem digitalen Gespräch nehmen neben dem Redaktionsleiter des Security.Table auch die für Berlin, China, Europe, Africa, Agrifood, Research und Climate teil. Hier können Sie sich kostenlos anmelden.
Die erste von vier Fregatten der Klasse F 126 geht am heutigen Dienstag in die Produktion. Federführend verantwortlich ist der niederländische Schiffsbauer Damen Naval, gebaut wird sie aber in Deutschland. Der sogenannte Brennstart findet in der Lürssen-Werft in Wolgast (Mecklenburg-Vorpommern) statt, weitere Bauorte sind daneben Kiel und Hamburg. Beim Brennstart wird unter anderem auch Siemtje Möller, Parlamentarische Staatssekretärin aus dem Verteidigungsministerium, sprechen.
Insgesamt 5,27 Milliarden Euro sind für die vier Mehrzweckkampfschiffe veranschlagt. Es zählt damit zu den größten Rüstungsprojekten der Bundeswehr für die Deutsche Marine. Die erste Fregatte soll 2028 an die Deutsche Marine geliefert werden. Der Vertrag sieht außerdem die Option auf zwei weitere Einheiten vor.
Im Juni 2020 hatte das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) den Bauauftrag für vier Fregatten, damals unter dem Namen Mehrzweckkampfschiff (MKS) 180, europaweit ausgeschrieben. Dass ein niederländischer Anbieter dabei vor einem deutschen Konsortium den Zuschlag erhielt, führte zu juristischen Schritten von German Naval Yards Kiel (GNYK), die die Werft aber wieder zurückzog. Mit dem Subunternehmen Blohm und Voss Shipyards ist eine deutsche Beteiligung sichergestellt, ebenso ist Thales Niederlande als Teilauftragnehmer eingebunden.
Was die Fähigkeiten angeht, soll die F 126 zur “Allzweckwaffe” der Marine werden, schreibt die Bundeswehr. Im langfristigen Planungskonzept der Marine (Kurs 2035+) ist die F 126 zwar vor allem zur U-Boot-Jagd vorgesehen. Durch austauschbare Module soll das Spektrum der militärischen Missionen allerdings erweitert werden können.
Zwei der Fregatten sollen mit dem Modul “U-Boot-Jagd” ausgestattet werden, die zwei anderen mit dem Modul “Gewahrsam”, etwa für Anti-Piraterie-Einsätze. So sollen Anforderungen an Krisenbewältigungseinsätze sowie Einsätze zur Landes- und Bündnisverteidigung gleichermaßen abgedeckt werden können. Außerdem soll der Schiffstyp in der Lage sein, bis zu zwei Jahre in einem Einsatzgebiet zu bleiben und große Seeräume überwachen zu können. Für die 110-köpfige Besatzung ist ein Rotationsmodus von vier Monaten vorgesehen. klm
Handelsblatt: Europa diskutiert über einen milliardenschweren Militärfonds. Eine Wiederwahl US-Präsident Donald Trumps könnte für die EU den Verlust von US-Sicherheitsgarantien bedeuten. Brüssel muss seine Verteidigungsfähigkeit stärken – ist ein Militärfonds die Lösung? Deutschland ist bisher zurückhaltend.
Augen geradeaus: Rüstungskonzerne machten 2022 weniger Umsatz – aber die Steigerung kommt erst noch. 597 Milliarden Dollar, und damit 3,5 Prozent weniger als im Vorjahr, verdienten die 100 größten Rüstungskonzerne 2022. Der Rückgang sei laut dem Friedensforschungsinstituts Sipri vor allem auf Probleme mit Lieferketten zurückzuführen. Langfristig dürfte die Branche angesichts zunehmender Konflikte zulegen.
International Consortium of Investigative Journalists: Cyprus faces scrutiny over probe into Russians dodging sanctions. Eine in Zypern ansässige Firma half dem Oligarchen Alexey Mordashov, kriegsbedingte EU-Sanktionen zu umgehen. Die Behörden blieben tatenlos. Mordashov ist kein Einzelfall: Die Untersuchung Cyprus Confidential zeigt das Ausmaß, in dem Putins innerer Kreis die Insel als Milliarden-Versteck nutzt.
Economist: Tom Standage’s ten trends to watch in 2024. Ein neuer kalter Krieg wird uns im nächsten Jahr beschäftigen, prognostiziert das Magazin. Durch die Kriege in der Ukraine und Nahost wurde der Plan der USA, sich stärker auf China zu konzentrieren, behindert, doch auch künftig werden Peking und Washington um die “Mittelmächte” des globalen Südens werben – nicht zuletzt aufgrund deren grüner Ressourcen.
Fabian Hinz könnte man als Raketenwissenschaftler bezeichnen. Aber so ganz trifft das den Kern seiner Expertise nicht. Denn Hinz baut keine Raketen, sondern beschäftigt sich mit der Herkunft und der militärischen Bedeutung von Raketen in Krisengebieten. Seit Mai 2023 ist er Research Fellow am International Institute for Strategic Studies (IISS) in deren Niederlassung in Berlin.
2018 erregte Hinz Aufsehen, als er als Praktikant bei einem Thinktank in Kalifornien ein iranisches Waffenprogramm aufdeckte. Die Hinweise entnahm er aus Fernsehdokumentationen. “Die Führung des Iran hat sich irgendwann entschieden, über ihre Raketen zu sprechen”, sagt Hinz, der als Spezialist für Osint (Open Source Intelligence Erkenntnisse aus öffentlichen Quellen wie Satellitenaufnahmen, Social-Media Posts und Archiven gewinnt. Außerdem spricht er Persisch.
2011 studierte er in der iranischen Stadt Isfahan. Durch seine Erfahrungen im Iran kann Hinz einschätzen, welche Aussagen hochrangiger iranischer Militärs ernstzunehmend sind. Außerdem halfen ihm Stationen in Armenien, Libanon und im Bundestag.
Informationen aus öffentlichen Quellen zu ziehen, ist in den vergangenen Jahren immer einfacher geworden. “Wenn man ein bisschen Geld für Satellitenfotos ausgibt, hat man deutlich mehr Möglichkeiten auf diesem Gebiet als die besten Geheimdienste der Welt vor dreißig Jahren“, sagt der 34-Jährige. Mittlerweile werden Osint-Kurse an Universitäten angeboten, doch Fabian Hinz lernte seine Techniken noch im Selbststudium, bevor er in Freiburg Politik- und Islamwissenschaft studierte. Die akademische Ausbildung habe ihm später dabei geholfen, strategisch und systematisch zu denken und größere politische Zusammenhänge zu erfassen. Für ihn die perfekte Mischung: “Die Anzahl der Nieten einer Rakete kann manchmal die ganz großen politischen und strategischen Fragen berühren.”
Auch im Krieg zwischen der Hamas und Israel kann Hinz seine Expertise nutzen. Schon vor ein paar Jahren erkannte er Ähnlichkeiten zwischen Raketen der Houthi-Rebellen im Jemen, denen der Hamas und des Islamischen Dschihad im Gazastreifen mit iranischen Fabrikaten. Oft zieht er Informationen aus Aufnahmen von Militärparaden und kann so auf das Waffenarsenal der Streitkräfte schließen. In Gaza sei das schwieriger, auch wenn hochaufgelöste Videos von Raketen existieren.
Die Hamas und der Islamische Dschihad halten geheim, welche Raketenklassen noch in ihrem Arsenal lagern. “Wir wissen nicht, ob es in Gaza gesteuerte Raketen gibt”, sagt Hinz. Sie könnten über weitere Entfernungen Ziele genauer treffen. “Das wäre eine neue Qualität und würde deutlich größeren Schaden anrichten”, so Hinz. Dabei orientiere sich die Hamas an der Strategie der Hisbollah, nach jeder Konfrontation mit Israel die eigene Schlagkraft auszubauen.
Wie die Raketen in den Gazastreifen gelangen, habe sich geändert. Früher wurden sie komplett zusammengesetzt durch Tunnel aus Ägypten geschmuggelt. Mithilfe des Irans lief es anders, zumindest bis zum Terrorüberfall der Hamas: “Der Iran sendet Waffen, die nach Baukastensystem vor Ort zusammengebaut werden“, sagt Hinz. Lukas Homrich
Wer etwas über die innere Verfasstheit der USA lesen möchte, würde nicht sofort bei ihm suchen. Was für ein Fehler! Der große Osteuropa-Versteher Karl Schlögel hat quasi die Seiten gewechselt und wird zum großen Erzähler der amerikanischen Epoche. Seine “American Matrix” ist eine fulminante Fahrt durch die letzten drei Jahrhunderte, in denen die Vereinigten Staaten zur Weltmacht aufgestiegen sind. Ausgang ungewiss.
Der Clou: Schlögel hält sich oft selbst zurück und berichtet über den “amerikanischen Traum” durch die Augen anderer Amerika-Reisender: Alex de Tocqueville, Max Weber oder John Kerouac. Als begnadeter Mythen-Deuter, kenntnisreich und ungemein sprachbegabt, ist er fasziniert von “der Produktion des amerikanischen Raumes, die aus dem nordamerikanischen Kontinent in so kurzer Zeit das Zentrum einer Zivilisation hat werden lassen, die im 20. Jahrhundert weltweit ausstrahlte und große Teile der Welt bis heute prägt”.
So kann man schon mal über 1000 Seiten füllen mit Geschichten über “Amerikas Highways – die Römerstraßen des 20. Jahrhunderts”, das Rockefeller Center als Hort des Kapitalismus oder die “color line” – der alltägliche Rassismus – der die USA bis heute spaltet.
Anders als viele USA-Kenner stimmt Schlögel nicht in den Abgesang auf eine Supermacht ein. Im Gegenteil: “Es ist aber auch der Augenblick, in dem sich das große Land fit macht für Amerikas Zeit nach dem amerikanischen Jahrhundert.” nana
Karl Schlögel: American Matrix – Besichtigung einer Epoche / Hanser München
trotz wachsender Kritik aus Washington hat die israelische Regierung angekündigt, ihren Krieg gegen die Terrororganisation Hamas auszuweiten. Markus Bickel analysiert die prekäre Lage vor allem für die Zivilbevölkerung, für die es kaum mehr sichere Rückzugsorte im Gazastreifen gibt.
Mein Kollege Gabriel Bub hat sich mit der neuen Rolle Frankreichs in der Nato befasst. Vor allem in Afrika ist die französische Präsenz nicht mehr erwünscht. Gleichzeitig rückt auch für Paris die Landes- und Bündnisverteidigung weiter in den Vordergrund – was heißt das für die Struktur der Streitkräfte und das Engagement Frankreichs in der Allianz?
Wie zwei “destruktive Kinder” verhielten sich die Präsidenten Putin und Lukaschenko, drückte es mein Kollege Viktor Funk aus. Gemeint ist die Szene aus der vergangenen Woche, bei der sich der belarussische Präsident in Putins Auto zwängen musste, um wenigstens kurz mit ihm zu sprechen. Auf Staatsebene harmoniert es trotzdem, schreibt er im nächsten Teil unserer Serie “Russlands Freunde”.
Und noch ein Hinweis auf eine besondere Veranstaltung: Heute ab 10.30 Uhr können Sie Thomas Bagger, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, bei uns im digitalen Gespräch erleben. Den Anmeldelink finden Sie in den News.
Die israelische Regierung hat unbeirrt von Mahnungen aus den USA ihren Krieg im Gazastreifen ausgeweitet. Trotz öffentlicher Forderungen durch Vizepräsidentin Kamala Harris und US-Außenminister Antony Blinken, dem Schutz von Zivilisten höhere Priorität einzuräumen als in den ersten beiden Kriegsmonaten, sind nach Ende der Feuerpause zwischen den Israel Defence Forces (IDF) und der Terrororganisation Hamas am vergangenen Freitag bereits mehr als 700 Menschen getötet worden. Zehntausende sind nach ihrer Evakuierung aus dem Norden des Gazastreifens nun ein zweites Mal auf der Flucht.
Generalstabschef Herzl Halevy sagte am Sonntag vor Soldaten der Gaza-Division, dass man im Süden des Palästinensergebiets “nicht mit weniger Kraft” vorgehen werde als im Norden. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu meinte, der Kampf gegen die Hamas werde bis zum “absoluten Sieg” fortgesetzt, es sei “unser Krieg und wir treffen die Entscheidungen”. Zuvor hatte die Armeeführung Bewohner Gazas in Flugblättern, aufgezeichneten Telefonnachrichten und WhatsApp-Mitteilungen dazu aufgefordert, Anweisungen zu befolgen und bestimmte Gebiete zu verlassen. Die IDF hatten den Süden des Gazastreifens in 2.400 sogenannte Blocks eingeteilt, die je nach Kampfsituation rechtzeitig zu verlassen seien.
Das Vorgehen ähnelt dem zu Beginn der israelischen Bodeninvasion im Norden des Gazastreifens Ende Oktober. Dadurch wächst die Gefahr, dass Hunderttausende Menschen bald versuchen könnten, Richtung Ägypten zu fliehen, da es mit Ausweitung der Kampfhandlungen auf den Süden des Gazastreifens keine sicheren Rückzugsorte mehr gibt. Vizepräsidentin Harris warnte am Rande des COP28-Gipfels in den Vereinigten Arabischen Emiraten vor einem solchen Schritt. Nach einem Treffen mit Ägyptens Präsident Abdelfattah al-Sisi sagte sie, dass die USA “unter keinen Umständen” die “erzwungene Umsiedlung von Palästinensern aus Gaza oder der West Bank” erlauben werden.
Als rote Linie bezeichnete Harris zudem eine Belagerung oder die “Neuziehung der Grenzen von Gaza”. Zuvor hatten enge Berater von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu eine “Pufferzone” entlang der Grenzen der Enklave, die in der Länge nur 40 Kilometer und an ihrer breitesten Stelle zwölf Kilometer misst, ins Spiel gebracht. Diese auch als “Sicherheitshülle” bezeichnete Zone solle innerhalb des Gazastreifens liegen.
Der Nationale Sicherheitsberater von Präsident Joe Biden, John Kirby, schloss das am Wochenende aus: “Wir haben viele Male gesagt, dass wir eine Reduzierung der geografischen Grenzen Gazas ausschließen, Punkt.” Doch sei es zu früh, “um über den Aufbau künftiger Sicherheitsbarrieren oder -strukturen zu spekulieren”. Vor einer “strategischen Niederlage” warnte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, der am Samstag von seinen Erfahrungen im Häuserkampf gegen den Islamischen Staat im Irak berichtete: “Die Lehre daraus ist, dass man im Krieg in den Städten nur gewinnen kann, wenn man die Zivilbevölkerung schützt.” Andernfalls treibe man sie “dem Feind in die Arme”.
Trotz ihrer Mahnungen, die Zahl der zivilen Opfer in Grenzen zu halten, hat die Regierung in Washington den Nachschub an Bomben und Artilleriemunition für die israelischen Streitkräfte nicht gestoppt. So seien seit Kriegsbeginn im Oktober mehr als 5.000 Bomben vom Typ Mk82, mehr als 5.400 vom Typ Mk84 sowie 100 der bunkerbrechenden BLU-109-Bomben geliefert worden, berichtete das Wall Street Journal am Wochenende unter Berufung auf interne Unterlagen des Pentagons. Zudem seien 57.000 155mm-Artielleriegeschosse in C-17-Cargofliegern nach Tel Aviv geliefert worden – sowie etwa 3.000 so genannte JDAMs (Joint Direct Attack Ammunition), die ungelenkte Bomben in gelenkte, “intelligente” Bomben verwandeln.
Angesichts der anhaltenden Bekundungen des israelischen Kriegskabinetts, die Hamas militärisch vernichten zu wollen, ist der Einfluss Washingtons auf die Regierung in Jerusalem offenbar gering. Nach einer Woche Kampfpause, in der 110 von der Hamas aus dem Süden Israels entführte Zivilisten und 210 palästinensische Gefangene frei kamen, sind die Kämpfe um das seit 2007 von der Hamas beherrschte Gebiet am Wochenende wieder in voller Härte entflammt. “Wir haben im nördlichen Gazastreifen stark und gründlich gekämpft, und wir tun es jetzt auch im südlichen Gazastreifen”, so Generalstabschef Halevi am Sonntag. Seit Kriegsbeginn seien 800 Tunnel der Hamas entdeckt und 500 zerstört worden.
Der Direktor des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Ronen Bar, kündigte zudem an, Hamas-Führer gegebenenfalls auch in ihren Niederlassungen in der Türkei, im Libanon oder in Katar zu eliminieren. “Es wird ein paar Jahre dauern, aber wir werden da sein, um es zu tun”, sagte er am Sonntag im israelischen Fernsehen. “Das ist unser München”, so Bar unter Verweis auf das Attentat palästinensischer Terroristen auf israelische Sportler bei den Olympischen Spielen 1972. In den Jahren danach töteten Mossad-Angehörige einen der drei Attentäter des Schwarzen September, die den Polizeieinsatz in München überlebt hatten, und mindestens zwölf Palästinenser, die Israel verdächtigte, an den Planungen beteiligt gewesen zu sein.
Mit Überseegebieten im Indopazifik und langer Präsenz in ehemaligen Kolonien in Westafrika hat Frankreich sicherheitspolitisch eine globalere Ausrichtung als Deutschland, doch künftig will es sich verstärkt in Europa und der Nato zeigen. Bis Jahresende verlassen die französischen Streitkräfte Niger, im September waren es noch 1.500 und bereits 2022 war die Operation Barkhane in Mali beendet worden, bei der zeitweise 4.500 französische Soldaten im Einsatz gewesen waren. In ihren westafrikanischen Ex-Kolonien sind die Franzosen zunehmend weniger erwünscht.
Auch deshalb verlagert Frankreich den Fokus nach Europa. Im Oktober hat das Verteidigungsministerium eine neue Struktur geschaffen: Das Landkommando für Luft-Land-Operationen in Europa (CTE) soll zunächst 6.000 Soldatinnen und Soldaten zur Verlegung in Bereitschaft halten, bis 2027 sollen bis zu 24.000 Streitkräfte in Europa schnell verlegbar sein. Zusätzlich stellt Frankreich derzeit in Rumänien im Rahmen der Nato Response Force zwischen 800 und 1.000 Streitkräfte sowie rund 300 in Estland. Seit vergangener Woche stationiert Frankreich vier Mirage 2000-Kampfjets in Litauen zur Luftraumüberwachung.
Die Landes- und Bündnisverteidigung ist in der Prioritätenliste nach oben gerutscht. Dabei fährt Frankreich eine andere Strategie als Deutschland. Eine dauerhafte Stationierung einer Brigade, wie Deutschland das in Litauen plant, passt nicht ins französische Modell. Abschreckung ist in Paris vor allem nuklear gemeint, wovon nach französischer Lesart auch die europäischen Nachbarn profitieren.
Kurz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 sprach Präsident Macron öffentlich zu den französischen Streitkräften. Nachdem Russland die Krise in einer “ungerechtfertigten Dimension” eskaliert habe, könne Frankreich “erneut auf seine Streitkräfte zählen”; er habe Vertrauen in die “operative Effizienz” der Soldaten. Die Ansprache sei auch ein deutliches Signal an Moskau gewesen und habe eine größere Eskalation verhindert, sagen manche in Frankreich. Zu einem hohen Preis: Die “Force de frappe” kostet Frankreich rund ein Fünftel seines Verteidigungshaushalts, in den vergangenen Jahren im Schnitt fünf Milliarden Euro, Tendenz steigend.
Frankreichs Spagat zwischen europäischer Autonomie und Engagement in der Nato ist oft schwer nachzuvollziehen. Während Macron wie bei seinem China-Besuch im April dieses Jahres warnt, die Probleme der USA nicht zu europäischen zu machen und ein militärisch stärkeres Europa einfordert, wenden sich andere europäische Nato-Länder stärker den USA zu. Seine Vorstellung von Strategischer Autonomie verfängt in Deutschland und bei osteuropäischen Nato-Ländern nur zaghaft. Macron war bis zum Krieg gegen die Ukraine der lauteste Fürsprecher einer europäischen Armee; 2019 bezeichnete er die Nato als hirntot.
Im Zentrum des europäischen Nato-Pfeilers stand lange das “deutsch-französische Tandem”. Doch die Beziehungen zwischen Berlin und Paris verschlechtern sich, vor allem sicherheitspolitisch. Es gibt Stimmen in Frankreich, die sich wegen Deutschlands “Zeitenwende” sorgen. “Wenn alle deutschen Projekte – oder auch nur ein Großteil davon – vollendet werden, wird das deutsch-französische Duo noch unausgewogener werden als es ohnehin schon ist”, schreiben Élie Tenenbaum und Léo Péria-Peigné vom französischen Thinktank Institut français des relations internationales (Ifri) in einer Studie zur deutschen Zeitenwende.
Berlin kooperiere lieber mit den USA, den Niederlanden, Norwegen, Litauen und Rumänien, heißt es in der Studie. Deutschland sei schon 2014 mit der Implementierung des Framework Nation Concepts (FNC) auf die internationale Bühne zurückgekehrt, schreiben Tenenbaum und Péria-Peigné, und drohe deshalb Frankreich in Europa den Rang abzulaufen. Beim FNC integriert ein Rahmenland Fähigkeiten anderer Nationen in einen Verbund. So wie Deutschland solle sich Frankreich stärker im Nato-Rahmen einbringen, empfehlen sie. Gemeinsame Übungen mit Deutschland und den baltischen Staaten im Baltikum könnte auch die französischen Beziehungen zu Estland, Lettland und Litauen stärken.
Hinzu kommt, dass Paris derzeit nur 75 Prozent der militärischen Nato-Posten übernimmt, die dem Land zustehen. Das geht aus einem im Juli vorgestellten Bericht des französischen Rechnungshofs hervor. Ein Engagement in der Nato werde bei französischen Militärs im Lebenslauf nicht ausreichend wertgeschätzt, heißt es in dem Bericht. Das dürfte historisch begründet sein: Frankreich kehrte erst 2009 unter dem damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy in die militärische Nato-Kommandostruktur zurück, nachdem Charles de Gaulle 1966 den Austritt veranlasst hatte.
Aktuell ist Frankreich der viertgrößte Nato-Zahler hinter den USA, Deutschland und Großbritannien. Es hat außerdem den viertgrößten Verteidigungshaushalt der Nato-Mitgliedstaaten. Mit den Plänen vom Nato-Gipfel in Madrid im Juli 2022 wurden Budgeterhöhungen festgelegt, die Frankreichs Beiträge zum Nato-Haushalt bis 2030 nach den Berechnungen des Rechnungshofs auf 833 Millionen Euro vervierfachen dürften.
Um in Europa nicht isoliert zu werden, sollte Frankreich jetzt die Partnerschaft zu Deutschland wieder verstärken, empfehlen Tenenbaum und Péria-Peigné – und sich stärker als Framework-Nation anbieten. Sonst könne Frankreich in Europa alleine dastehen.
Wenn der Gast den Gastgeber meidet und der Gastgeber dem Gast bei der Abreise hinterherläuft, um doch noch ein Gespräch zu erzwingen, dann ist offensichtlich, wer der Wortführer ist. Die besagte Szene spielte sich vor wenigen Tagen beim Treffen der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) im belarussischen Minsk ab.
Gastgeber und vom Westen nicht anerkannter Präsident des Landes, Alexander Lukaschenko, konnte ein direktes Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nur erreichen, indem er sich in den Wagen setzte, der Putin zum Flughafen brachte.
Russlands Freund, Lukaschenko, hat Putins Gunst verloren. Dabei hat er doch im Juni den russischen Putschisten Jewgenij Prigoschin bei dessen Marsch auf Moskau gestoppt. Danach machte Lukaschenko aus Sicht des Kremlherrn jedoch einen Fehler: Seinen Erfolg zelebrierte er mehrfach öffentlich – und ließ Putin dadurch schlecht aussehen.
“Das hat ihm Putin nicht verziehen”, sagt im Gespräch mit Table.Media Pawel Latuschka. Der ehemalige belarussische Kulturminister und Botschafter in Frankreich hat sich im Sommer 2020 auf die Seite der demokratischen Bewegung gestellt und kämpft seitdem als Vorsitzender der Gruppe “National Anti-Crisis Management” aus dem europäischen Ausland gegen den Diktator in seiner Heimat.
Mag es auf der persönlichen Eben gerade mal wieder knirschen zwischen Lukaschenko und Putin, im Geschäftlichen und Militärischen läuft es bestens: Belarus sei für Russland aus mehreren Gründen ein wichtiger Kriegshelfer, sagt der Oppositionspolitiker.
Die folgenden Kooperationen zwischen Belarus und Russland lassen sich nachweisen:
Die Liste ließe sich fortsetzen.
Neben Kriegshilfe und Sanktionsumgehung spielt Belarus noch eine dritte wichtige Rolle für Moskau: In Putins imperialem Denken gehört das Land fest ins russische Reich. Zu Zeiten des Kalten Kriegs spielte die Weißrussische Sozialistische Sowjetrepublik eine wichtige Funktion beim atomaren Drohszenario der Sowjetunion, mehr als 1.100 Atomsprengköpfe lagerten im Land. Nun sollen wieder russische Atomwaffen in dem “Bruderstaat” stationiert werden, nach neusten Berichten von belarussischen, regime-kritischen Aktivisten würden die technischen Voraussetzungen weiter vorbereitet.
Rund 2.000 russische Armeeangehörige sollen sich derzeit noch in Belarus befinden sowie etwa 500 Kämpfer der Wagner-Truppe. Die Zahl der letzteren sinkt kontinuierlich, jüngste, dokumentierte Bewegungen zeigen, dass ein Flugzeug mit Wagner-Kämpfern in Richtung Zentralafrikanische Republik aufgebrochen sein soll.
Auch wenn 2.500 fremde Militärs im Land sich nicht nach viel anhören – die belarussische Armee selbst ist relativ klein. Laut “The Military Balance 2023” zählt die belarussische Armee rund 48.000 Soldaten und etwa 289.500 Kräfte in der Reserve. Doch der Krieg in der Nachbarschaft verändere das Land, erläutert Pavel Latuschka. “Seit Kriegsbeginn wird die Gesellschaft militarisiert, es gibt neue Volkswehren und die Regierung stockt das Personal im Militär auf.”
Ähnlich wie Russland hat Belarus in den vergangenen Monaten die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Wehrdienstleistenden gesenkt. Wer früher etwa wegen Sehschwäche oder Übergewicht ausgemustert wurde, kann nun eingezogen werden. Zwar kämpfen Lukaschenkos Truppen nicht aktiv im Krieg in der Ukraine mit, doch die logistische Bedeutung des Landes für den Krieg ist groß. Und die permanenten Militärübungen erhöhen die Kampffähigkeiten einer Armee, die seit dem Ende der Sowjetunion keine Gefechtserfahrungen hat.
Latuschka und andere belarussische Oppositionelle in der EU kämpfen nicht nur gegen den Diktator zu Hause, sondern auch um Aufmerksamkeit für ihr Land. Als vor einer Woche die Wohnungen von 100 kritischen Aktivistinnen und Aktivisten in Belarus durchsucht und deren Familienangehörige eingeschüchtert wurden, verurteilte der EU-Außenbeauftragte Josep Borell zwar die Repressionen. Doch einen Effekt haben diese diplomatischen Noten nicht. “Belarus muss genauso mit Sanktionen belegt werden wie Russland”, fordert Latuschka deshalb nicht zum ersten Mal. Aktuell wird das 12. Sanktionspaket der EU gegen Russland vorbereitet.
Der ehemalige Diplomat reist nach eigenen Angaben in dieser Woche nach Washington und ist in der kommenden Woche in Brüssel, um wieder für die Interessen der belarussischen Opposition zu werben. “Unsere Partner reagieren immer, sie sind aber leider nicht proaktiv”, bedauert er. Angesichts der russischen Umtriebe in seiner Heimat sieht er eine grundsätzliche Gefahr auch über den Krieg in der Ukraine hinaus. Moskau und Minsk kooperierten in immer mehr Feldern, etwa bei Steuern, Militär und Handel: “Russland verschluckt Belarus einfach, unser Land ist dabei zu verschwinden”, warnt der Regimegegner.
Nigers regierende Junta hat die militärische Partnerschaft des Landes mit der Europäischen Union aufgekündigt, wie das Außenministerium am Montag mitteilte. Damit wurde die Genehmigung für ein EU-Programm zur Unterstützung der Sicherheitskräfte zurückgezogen.
Der Termin scheint bewusst gewählt, denn seit Montag ist der stellvertretende russische Verteidigungsminister Junus-bek Jewkurow mit einer Delegation in Niger. Er traf den nigrischen Verteidigungsminister Salifou Modi zu Gesprächen über eine Vertiefung der militärischen Kooperation zwischen den beiden Ländern.
Die zivile Mission EUCAP Sahel Niger wurde 2012 ins Leben gerufen, um die Sicherheitskräfte im Kampf gegen Militante und andere Bedrohungen zu unterstützen. Laut der Website der Mission sind rund 120 Europäer ständig dort im Einsatz.
Die Sahelstaaten Niger und Burkina Faso haben bereits am Samstag angekündigt, das Staatenbündnis G5-Sahel zu verlassen. Für die Gruppe bedeutet das wohl das vorläufige Ende. Denn von den einst fünf Mitgliedsländern sind lediglich Mauretanien und Tschad übriggeblieben – die Militärregierung in Mali hatte ihren Austritt bereits im Mai 2022 verkündet.
Die G5 “scheitert an der Umsetzung ihrer Ziele”, schrieben die Staaten in einer gemeinsamen Erklärung. In seiner derzeitigen Verfasstheit diene das Bündnis “ausländischen Interessen” und negiere die “Souveränität unserer Völker”. Bereits am Freitag hatten Mali, Niger und Burkina Faso die Schaffung einer Konföderation verkündet, die zu einem Staatenbund ausgebaut werden solle. In Niger hatte sich im Juli das Militär an die Macht geputscht, in Burkina Faso regiert seit 2022 eine Junta. In Mali putschte das Militär bereits 2020.
Die G5-Sahel hatte unter anderem die Stabilisierung der Region gegen den islamistischen Terror zum Ziel und hatte sich 2014 aus Mali, Mauretanien, Burkina Faso, Niger und Tschad gegründet. Sie war ein wichtiger entwicklungs- und sicherheitspolitischer Partner der EU in der Sahelzone. Die EU hatte dabei unter anderem eine 2017 gegründete Anti-Terrorismus-Truppe der G5-Sahel mitfinanziert. Nach Jahren der geopolitischen Dominanz Frankreichs und Europas im Sahel zeichnet sich nun ein Wechsel der Einflusssphären ab. In Burkina Faso und Mali kooperieren die Streitkräfte bereits mit Wagner-Söldnern. Eine vollständige Analyse lesen Sie hier. dre/bub
Zwei Monate nach dem Terrorüberfall der Hamas auf den Süden Israels weitet sich der Konflikt auch regional weiter aus. So wurden am Sonntag im Roten Meer drei Handelsschiffe im Abstand von mehreren Stunden vor der jemenitischen Küste mit Drohnen angegriffen. Man habe “allen Grund zu der Annahme, dass diese Angriffe zwar von den Huthis im Jemen ausgehen, aber vollständig vom Iran unterstützt werden”, teilte das US-Zentralkommando mit. “Die Vereinigten Staaten werden in voller Abstimmung mit ihren internationalen Verbündeten und Partnern alle geeigneten Maßnahmen in Betracht ziehen.”
Die jemenitische Parteimiliz Ansar al-Allah, besser bekannt als Huthi-Rebellen, bekannte sich zum Angriff auf zwei Handelsschiffe im Roten Meer, nicht jedoch auf die USS Carney. Die beiden Schiffe Unity Explorer und Number Nine seien angegriffen worden, nachdem sie Warnungen der Miliz ignoriert hätten. Die mit Teheran verbündeten Huthis hatten aus Solidarität mit der palästinensischen Hamas zuletzt Langstreckenraketen und Drohnen auf Israel abgefeuert. Die USS Carney hat nach Angaben von US-Militärs im Oktober drei vom Jemen Richtung Israel abgefeuerte Marschflugkörper sowie mehrere Drohnen abgefangen.
Unmittelbar nach Beginn des Krieges zwischen Israel und der Hamas hatten die USA zwei Flugzeugträgergruppen ins östliche Mittelmeer entsandt, um Iran und andere Gegner Israels vor einem Eingreifen in den Konflikt zu warnen. Seit Mitte Oktober sind US-Stellungen im Irak, wo 2.500 US-Soldaten stationiert sind, und in Syrien mit 900 GIs Ziel von Dutzenden Drohnenangriffen durch mit dem Iran verbündete Milizen. mrb
Während die Ukraine um Militärhilfe aus den USA fürchten muss und ihre Verbündeten mit der Analyse der gescheiterten Offensive beschäftigt sind, setzt Russland auf das, was sich in diesem Krieg bisher bewährt hat: die schiere Überzahl an Soldaten. Zum zweiten Mal in diesem Krieg hat Präsident Wladimir Putin die Zahl der Streitkräfte erhöht – um 170.000 auf dann 1.320.000 aktive Militärs. Insgesamt soll die Zahl aller Angehörigen der russischen Armee dann auf 2.209.130 steigen, das neue Soll gilt seit dem 1. Dezember.
Zum Jahreswechsel 2022/2023 war bereits die erste Erhöhung um 137.000 Soldaten erfolgt. In der Summe gleicht die Zahl in etwa die Verluste in der Ukraine aus. Nach neuen Schätzungen des britischen Verteidigungsministeriums sind bisher im Krieg bis zu 240.000 reguläre russische Soldaten verwundet und 50.000 getötet worden, hinzu kommen 40.000 verwundete und 20.000 getötete Wagner-Kämpfer.
Die Streitkräfte werden auch durch zwei Einberufungen von Wehrdienstleistenden pro Jahr verstärkt, im Frühling und im Herbst. Da wurden im laufenden Jahr 147.000 und 130.000 Männer einberufen – 23.500 Mann mehr als 2022. Offiziell werden Wehrdienstleistende zwar nicht in den Krieg geschickt, doch laut Berichten von Nichtregierungsorganisationen werden die jungen Soldaten unter Druck gesetzt, einen mehrjährigen Vertrag zu unterzeichnen.
Mit so einem Vertrag werden sie dann in die Ukraine entsandt. Darüber hinaus hat Russland im Laufe des Krieges die Regelungen für Reservisten und für Wehrdienstleistende so verändert, dass die Gesamtzahl aller Männer, die in den Militärdienst eingezogen werden können, sich erhöht.
Der Aufbau größerer Streitkräfte in Russland steht in Konkurrenz zu einem größer werdenden Personalmangel in der Wirtschaft. Die Arbeitslosigkeit liegt derzeit bei drei Prozent. Die Produktivität im Land ist laut der russischen Zentralbank im vergangenen Jahr um 3,6 Prozent gefallen. Nach einem Bericht des russischen Mediums Meduza waren allein im August dieses Jahres 1,2 Millionen offene Stellen gemeldet. vf
Wie viel Krise geht noch? Diese Frage möchten wir mit Ihnen und einem der wichtigsten Steuerleute der deutschen Außenpolitik, Außenamts-Staatssekretär Thomas Bagger, heute, Dienstag, den 5. Dezember, von 10.30 bis 11.30 Uhr diskutieren. An dem digitalen Gespräch nehmen neben dem Redaktionsleiter des Security.Table auch die für Berlin, China, Europe, Africa, Agrifood, Research und Climate teil. Hier können Sie sich kostenlos anmelden.
Die erste von vier Fregatten der Klasse F 126 geht am heutigen Dienstag in die Produktion. Federführend verantwortlich ist der niederländische Schiffsbauer Damen Naval, gebaut wird sie aber in Deutschland. Der sogenannte Brennstart findet in der Lürssen-Werft in Wolgast (Mecklenburg-Vorpommern) statt, weitere Bauorte sind daneben Kiel und Hamburg. Beim Brennstart wird unter anderem auch Siemtje Möller, Parlamentarische Staatssekretärin aus dem Verteidigungsministerium, sprechen.
Insgesamt 5,27 Milliarden Euro sind für die vier Mehrzweckkampfschiffe veranschlagt. Es zählt damit zu den größten Rüstungsprojekten der Bundeswehr für die Deutsche Marine. Die erste Fregatte soll 2028 an die Deutsche Marine geliefert werden. Der Vertrag sieht außerdem die Option auf zwei weitere Einheiten vor.
Im Juni 2020 hatte das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) den Bauauftrag für vier Fregatten, damals unter dem Namen Mehrzweckkampfschiff (MKS) 180, europaweit ausgeschrieben. Dass ein niederländischer Anbieter dabei vor einem deutschen Konsortium den Zuschlag erhielt, führte zu juristischen Schritten von German Naval Yards Kiel (GNYK), die die Werft aber wieder zurückzog. Mit dem Subunternehmen Blohm und Voss Shipyards ist eine deutsche Beteiligung sichergestellt, ebenso ist Thales Niederlande als Teilauftragnehmer eingebunden.
Was die Fähigkeiten angeht, soll die F 126 zur “Allzweckwaffe” der Marine werden, schreibt die Bundeswehr. Im langfristigen Planungskonzept der Marine (Kurs 2035+) ist die F 126 zwar vor allem zur U-Boot-Jagd vorgesehen. Durch austauschbare Module soll das Spektrum der militärischen Missionen allerdings erweitert werden können.
Zwei der Fregatten sollen mit dem Modul “U-Boot-Jagd” ausgestattet werden, die zwei anderen mit dem Modul “Gewahrsam”, etwa für Anti-Piraterie-Einsätze. So sollen Anforderungen an Krisenbewältigungseinsätze sowie Einsätze zur Landes- und Bündnisverteidigung gleichermaßen abgedeckt werden können. Außerdem soll der Schiffstyp in der Lage sein, bis zu zwei Jahre in einem Einsatzgebiet zu bleiben und große Seeräume überwachen zu können. Für die 110-köpfige Besatzung ist ein Rotationsmodus von vier Monaten vorgesehen. klm
Handelsblatt: Europa diskutiert über einen milliardenschweren Militärfonds. Eine Wiederwahl US-Präsident Donald Trumps könnte für die EU den Verlust von US-Sicherheitsgarantien bedeuten. Brüssel muss seine Verteidigungsfähigkeit stärken – ist ein Militärfonds die Lösung? Deutschland ist bisher zurückhaltend.
Augen geradeaus: Rüstungskonzerne machten 2022 weniger Umsatz – aber die Steigerung kommt erst noch. 597 Milliarden Dollar, und damit 3,5 Prozent weniger als im Vorjahr, verdienten die 100 größten Rüstungskonzerne 2022. Der Rückgang sei laut dem Friedensforschungsinstituts Sipri vor allem auf Probleme mit Lieferketten zurückzuführen. Langfristig dürfte die Branche angesichts zunehmender Konflikte zulegen.
International Consortium of Investigative Journalists: Cyprus faces scrutiny over probe into Russians dodging sanctions. Eine in Zypern ansässige Firma half dem Oligarchen Alexey Mordashov, kriegsbedingte EU-Sanktionen zu umgehen. Die Behörden blieben tatenlos. Mordashov ist kein Einzelfall: Die Untersuchung Cyprus Confidential zeigt das Ausmaß, in dem Putins innerer Kreis die Insel als Milliarden-Versteck nutzt.
Economist: Tom Standage’s ten trends to watch in 2024. Ein neuer kalter Krieg wird uns im nächsten Jahr beschäftigen, prognostiziert das Magazin. Durch die Kriege in der Ukraine und Nahost wurde der Plan der USA, sich stärker auf China zu konzentrieren, behindert, doch auch künftig werden Peking und Washington um die “Mittelmächte” des globalen Südens werben – nicht zuletzt aufgrund deren grüner Ressourcen.
Fabian Hinz könnte man als Raketenwissenschaftler bezeichnen. Aber so ganz trifft das den Kern seiner Expertise nicht. Denn Hinz baut keine Raketen, sondern beschäftigt sich mit der Herkunft und der militärischen Bedeutung von Raketen in Krisengebieten. Seit Mai 2023 ist er Research Fellow am International Institute for Strategic Studies (IISS) in deren Niederlassung in Berlin.
2018 erregte Hinz Aufsehen, als er als Praktikant bei einem Thinktank in Kalifornien ein iranisches Waffenprogramm aufdeckte. Die Hinweise entnahm er aus Fernsehdokumentationen. “Die Führung des Iran hat sich irgendwann entschieden, über ihre Raketen zu sprechen”, sagt Hinz, der als Spezialist für Osint (Open Source Intelligence Erkenntnisse aus öffentlichen Quellen wie Satellitenaufnahmen, Social-Media Posts und Archiven gewinnt. Außerdem spricht er Persisch.
2011 studierte er in der iranischen Stadt Isfahan. Durch seine Erfahrungen im Iran kann Hinz einschätzen, welche Aussagen hochrangiger iranischer Militärs ernstzunehmend sind. Außerdem halfen ihm Stationen in Armenien, Libanon und im Bundestag.
Informationen aus öffentlichen Quellen zu ziehen, ist in den vergangenen Jahren immer einfacher geworden. “Wenn man ein bisschen Geld für Satellitenfotos ausgibt, hat man deutlich mehr Möglichkeiten auf diesem Gebiet als die besten Geheimdienste der Welt vor dreißig Jahren“, sagt der 34-Jährige. Mittlerweile werden Osint-Kurse an Universitäten angeboten, doch Fabian Hinz lernte seine Techniken noch im Selbststudium, bevor er in Freiburg Politik- und Islamwissenschaft studierte. Die akademische Ausbildung habe ihm später dabei geholfen, strategisch und systematisch zu denken und größere politische Zusammenhänge zu erfassen. Für ihn die perfekte Mischung: “Die Anzahl der Nieten einer Rakete kann manchmal die ganz großen politischen und strategischen Fragen berühren.”
Auch im Krieg zwischen der Hamas und Israel kann Hinz seine Expertise nutzen. Schon vor ein paar Jahren erkannte er Ähnlichkeiten zwischen Raketen der Houthi-Rebellen im Jemen, denen der Hamas und des Islamischen Dschihad im Gazastreifen mit iranischen Fabrikaten. Oft zieht er Informationen aus Aufnahmen von Militärparaden und kann so auf das Waffenarsenal der Streitkräfte schließen. In Gaza sei das schwieriger, auch wenn hochaufgelöste Videos von Raketen existieren.
Die Hamas und der Islamische Dschihad halten geheim, welche Raketenklassen noch in ihrem Arsenal lagern. “Wir wissen nicht, ob es in Gaza gesteuerte Raketen gibt”, sagt Hinz. Sie könnten über weitere Entfernungen Ziele genauer treffen. “Das wäre eine neue Qualität und würde deutlich größeren Schaden anrichten”, so Hinz. Dabei orientiere sich die Hamas an der Strategie der Hisbollah, nach jeder Konfrontation mit Israel die eigene Schlagkraft auszubauen.
Wie die Raketen in den Gazastreifen gelangen, habe sich geändert. Früher wurden sie komplett zusammengesetzt durch Tunnel aus Ägypten geschmuggelt. Mithilfe des Irans lief es anders, zumindest bis zum Terrorüberfall der Hamas: “Der Iran sendet Waffen, die nach Baukastensystem vor Ort zusammengebaut werden“, sagt Hinz. Lukas Homrich
Wer etwas über die innere Verfasstheit der USA lesen möchte, würde nicht sofort bei ihm suchen. Was für ein Fehler! Der große Osteuropa-Versteher Karl Schlögel hat quasi die Seiten gewechselt und wird zum großen Erzähler der amerikanischen Epoche. Seine “American Matrix” ist eine fulminante Fahrt durch die letzten drei Jahrhunderte, in denen die Vereinigten Staaten zur Weltmacht aufgestiegen sind. Ausgang ungewiss.
Der Clou: Schlögel hält sich oft selbst zurück und berichtet über den “amerikanischen Traum” durch die Augen anderer Amerika-Reisender: Alex de Tocqueville, Max Weber oder John Kerouac. Als begnadeter Mythen-Deuter, kenntnisreich und ungemein sprachbegabt, ist er fasziniert von “der Produktion des amerikanischen Raumes, die aus dem nordamerikanischen Kontinent in so kurzer Zeit das Zentrum einer Zivilisation hat werden lassen, die im 20. Jahrhundert weltweit ausstrahlte und große Teile der Welt bis heute prägt”.
So kann man schon mal über 1000 Seiten füllen mit Geschichten über “Amerikas Highways – die Römerstraßen des 20. Jahrhunderts”, das Rockefeller Center als Hort des Kapitalismus oder die “color line” – der alltägliche Rassismus – der die USA bis heute spaltet.
Anders als viele USA-Kenner stimmt Schlögel nicht in den Abgesang auf eine Supermacht ein. Im Gegenteil: “Es ist aber auch der Augenblick, in dem sich das große Land fit macht für Amerikas Zeit nach dem amerikanischen Jahrhundert.” nana
Karl Schlögel: American Matrix – Besichtigung einer Epoche / Hanser München