Achtung, Triggerwarnung!” rief Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius gestern Abend im Berliner Adlon den Gästen des Bundesverbands der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zu – und nahm dann wieder einmal das neue K-Wort in den Mund: “kriegsfähige Streitkräfte” zu unterhalten sei sein Ziel, dafür brauche er jedoch die volle Unterstützung der wehrtechnischen Industrie. Die sicherte ihm BDSV-Präsident Armin Papperger aufmunternd zu mit den Worten: “Kämpfen Sie weiter!”
Sechs Wochen nach dem Terrorüberfall der Hamas auf den Süden Israels wächst die internationale Kritik am Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen. Diese speist sich auch an der anhaltenden Lieferung von Artilleriemunition durch die USA, wie ich in meiner Analyse schreibe. Gabriel Bub hat notiert, dass kommerzielle Anbietern von Satellitenbildern des Gazastreifens der Verkauf von hochauflösenden Aufnahmen aus dem Kriegsgebiet nicht mehr möglich ist.
Besonders ans Herz legen möchte ich Ihnen unseren Nachruf auf Helga Haftendorn, die langjährige Leiterin der Arbeitsstelle für transatlantische Außen- und Sicherheitspolitik an der Freien Universität (FU) Berlin. Stefan Braun hat bei der am 6. November im Alter von 90 Jahren verstorbenen Koryphäe für internationale Beziehungen promoviert und wie viele andere junge Forscherinnen und Forscher von Haftendorns strenger, aber stets zugewandten Art profitiert.
Der Druck auf die israelische Regierung, einer längeren Feuerpause im Gazastreifen zuzustimmen, wächst. “Zwei, drei Wochen” noch werde die internationale Legitimierung für das militärische Vorgehen anhalten, sagte Außenminister Elli Cohen Anfang der Woche. “Wir spüren, dass es internationalen Druck auf Israel gibt”, sagte er vor Journalisten. “Er ist nicht stark, aber er wird stärker.”
Sechs Wochen nach den Massakern der Terrororganisation Hamas in Gemeinden und Kibbuzim im Süden Israels wird die Ungeduld mit der israelischen Kriegsstrategie vor allem beim wichtigsten Verbündeten Israels in Washington größer. Zwar kommt die US-Regierung von Joe Bidens weiter allen Wünschen der Regierung Benjamin Netanjahus nach Waffenlieferungen nach, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg am Dienstag berichtete.
Bis Ende Oktober wurden demnach alle 36.000 Schuss 30-mm-Kanonenmunition, 1.800 Stück der von Israel angeforderten M141-Bunkerbrechermunition und mindestens 3.500 Nachtsichtgeräte ausgeliefert, so ein im Pentagon zirkulierendes Papier mit dem Titel “Israel Senior Leader”. Ein Sprecher des Verteidigungsministers Lloyd Austin sagte: “Wir nutzen verschiedene Möglichkeiten – von internen Beständen bis hin zu Kanälen der US-Industrie -, um sicherzustellen, dass Israel über die Mittel zur Selbstverteidigung verfügt.”
Doch hinter den Kulissen erhöht die Administration den Druck auf Netanjahu, die Zahl ziviler Opfer in Gaza zu begrenzen – und Feuerpausen für eine Aufstockung humanitärer Hilfen zu gewähren. Verstärkt wird dies durch Äußerungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der Israel am Wochenende dazu aufgefordert hatte, davon abzusehen, Frauen und Kinder zu verletzten. Am Dienstag schloss sich Kanadas Ministerpräsident Justin Trudeau dieser Forderung an.
Noch vor dem Einsatz im Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt diese Woche hatte Biden öffentlich gewarnt, dass dieses “geschützt werden” müsse; er habe “nicht gezögert, meine Besorgnis zu äußern”. Außenminister Antony Blinken sagte schon vergangene Woche, dass “viel zu viele Palästinenser getötet worden” seien. Und Bidens Nationale Sicherheitsberater, Jake Sullivan, betonte, dass die Tatsache, dass die Hamas Zivilisten als menschliche Schutzschilde nutze, Israel nicht aus der “Verantwortung” entbinde, “so zu handeln, dass Terroristen von Zivilisten getrennt werden”.
Hinter den öffentlichen Warnungen seitens Washingtons steckt die Sorge, dass vor allem die arabischen Partner der USA im Nahen Osten ihre Unterstützung beenden könnten. So hätte Netanjahu die öffentlichen Solidaritätsbekundungen Bidens zu Kriegsbeginn als grünes Licht verstanden für den schrankenlosen Militäreinsatz, dem nach 41 Tagen bereits mehr als 11.000 Menschen zum Opfer fielen, ist die Wahrnehmung unter arabischen Diplomaten auch in Berlin, mit denen Table.Media sprach. Zum Vergleich: Bei der Operation Protective Edge 2014, die 52 Tage dauerte, waren es 1500.
Neben einer fehlenden politischen Perspektive für die Zeit nach dem Krieg gerät nun auch die anhaltende Lieferung von Waffen aus Washington in die Kritik. So forderte eine Gruppe von mehr als dreißig Nichtregierungsorganisationen die Biden-Administration am Montag auf, den Export von 155 Millimeter-Artillerie-Granaten an Israel zu beenden. “Im Gazastreifen, einem der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt, sind 155-mm-Artilleriegranaten von Natur aus wahllos”, heißt es in dem Brief an Verteidigungsminister Austin. Das hätte nicht zuletzt der Einsatz dieser Munition im Gazastreifen 2014 und bei der Operation Cast Lead 2008/9 gezeigt, als die Israel Defense Forces (IDF) 34.000 dieser Geschosse einsetzte – gegen Schulen, Schutzunterkünfte, Krankenhäuser und Flüchtlingslager.
Inwieweit die US-Administration überhaupt noch in der Lage ist, die Regierung in Jerusalem nach dem weltweit größten Massenmord an Juden seit dem Holocaust am 7. Oktober zu beeinflussen, ist allerdings fraglich. Neben dem erklärten Kriegsziel Netanjahus, die Hamas im Gazastreifen zu zerschlagen, ist er bislang eine Antwort auf die Frage schuldig geblieben, wer an der Stelle der Terrororganisation treten solle, um die Verwaltung des seit 2007 von der Hamas kontrollierten Gazastreifens zu übernehmen.
Selbst unter arabischen und islamischen Staaten herrschen große Zweifel, dass die im Westjordanland regierende Palästinensische Autonomiebehörde (PA) von Präsident Mahmud Abbas dazu in der Lage wäre. Auf ihrem Gipfel im saudi-arabischen Riad forderten sie am Wochenende einen sofortigen Waffenstillstand und unkonditionierte humanitäre Hilfe. Damit soll die Not der 2,4 Millionen Bewohner gelindert werden. Mehr als die Hälfte von ihnen musste ihre Häuser und Wohnungen wegen der israelischen Bombardements verlassen.
Dass die Kritik nicht schärfer ausfiel, hat Israel nicht zuletzt seinen neuen arabischen Verbündeten zu verdanken. So hatte Iran eine Resolution eingebracht, die das sofortige Einfrieren aller diplomatischen und wirtschaftlichen Verbindungen mit Israel forderte, ein Ölembargo ähnlich dem von 1972 und das Verbot von Flügen aus Israel über den Luftraum arabischer Staaten. Neben Ägypten und Jordanien, die bereits vor Jahrzehnten Frieden mit Israel schlossen, stimmten auch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Bahrein, Sudan und Marokko gegen den iranischen Entwurf.
Die vier Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga hatten 2020 und 2021 die sogenannten Abraham-Abkommen mit Israel unterzeichnet. Saudi-Arabien, das bis zum 7. Oktober ebenfalls über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel verhandelte, stimmte Medienberichten zufolge ebenfalls gegen schärfere Maßnahmen.
Der Preis, den Washington seinen arabischen Partnern dafür zahlt, ist indes klar: Um einen Flächenbrand zu verhindern, der nicht nur die Golfstaaten, sondern auch Israels Nachbarn Jordanien, Ägypten, Syrien und den Libanon in den Krieg hineinziehen würde, haben die USA ihre Militärpräsenz in der Region massiv ausgeweitet. Den vorläufigen Abschluss der bereits im Oktober begonnenen Verlegung von Flugzeugträgern, U-Booten und Marine-Einheiten bildete diese Woche die Entsendung der Flugzeugträgergruppe Gerald R. Ford in das Arabische Meer – nur 300 Kilometer von der iranischen Küste entfernt.
Fast zehn Jahre lang stand Kidal unter Kontrolle von Separatisten – nun hat die malische Armee die strategisch wichtige Stadt im Norden des Landes eingenommen. Das teilten Malis Juntachef, Oberst Assimi Goita, am Dienstag mit. Anfang der Woche waren die staatlichen Streitkräfte, unterstützt von Wagner-Truppen, bis auf wenige Kilometer an Kidal herangerückt; bei Drohnenangriffen sollen nach Informationen von Le Monde auch Zivilisten getötet worden sein. Die Separatisten zogen sich bereits vor der Ankunft der malischen Armee aus Kidal zurück, sodass es zu keinen direkten Konfrontationen kam, wie unter anderem France 24 berichtet.
Die Lage ist weiterhin unübersichtlich, Informationen zu bekommen und zu prüfen, schwierig, da das Mobilfunknetz zumindest zeitweise gekappt war.
Im Wesentlichen stehen sich zwei Fraktionen gegenüber:
2015 unterzeichneten die Separatisten mit der malischen Regierung ein Friedensabkommen, das Abkommen von Algier, dessen Gültigkeit von den wiederaufgenommenen Kämpfen immer mehr infrage gestellt wird.
Die Junta in Bamako bezeichnet Separatisten sowie Dschihadisten stets ohne Unterschied als “Terroristen”.
Auf Seiten der Unterzeichner haben sich Allianzen seitdem immer wieder verändert und verschoben. In allen Gruppen sind Tuareg vertreten – aber bei weitem nicht alle Tuareg stehen hinter einer Sache oder sind in einer Bewegung zusammengeschlossen.
Die CSP-PSD vereinte von 2021 an bisher drei Akteure, die zuvor zum Teil gegeneinander gekämpft hatten.
Inzwischen hat die CSP aber wegen der Wiederaufnahme der Kampfhandlungen gegen die malische Armee zwei bedeutende Austritte verzeichnen müssen – die der Plateforme sowie des MSA. Beide verurteilten die Angriffe. Damit kämpft nun im Wesentlichen die CMA gegen die Armee der malischen Regierung und die Wagner-Söldner.
Azawad bezeichnet eine Region im Norden Malis, die zum größten Teil in der Sahara liegt und zu einem kleineren Teil im Sahel. Auf einer Fläche von mehr als 800.000 Quadratkilometern bevölkern diese wüstenartige Region nur rund 1,3 Millionen Menschen, zum Teil in den Städten Timbuktu, Gao und Kidal, in denen zusammen weniger als 150.000 Einwohner leben. Die Tuareg fordern die Unabhängigkeit des Azawad, während die Regierung in Bamako schon die Verwendung dieses Begriffs als aufrührerisch zurückweist.
Diejenigen, die jetzt noch gegen die malische Armee kämpfen, werfen Bamako vor, das Friedensabkommen von Algier nicht respektiert zu haben – insbesondere mit dem Votum für eine neue Verfassung im Frühjahr. Sie machen außerdem die Junta von Assimi Goïta für die seit September wieder zunehmenden Angriffe der Dschihadisten im Norden Malis verantwortlich.
Mit dem Tod von Muammar Gaddafi im Oktober 2011 und dem Sturz seines Regimes kamen zahlreiche Tuareg aus dem Nachbarland Libyen nach Mali zurück. Seit den 1970er Jahren holte Gaddafi Tuareg aus Algerien, Mali und Niger zu sich ins Land, bildete sie an der Waffe aus und setzte sie als Milizen für seine Zwecke ein. Seit den 1990er Jahren unterstützte er auch aufständische Tuareg in ihren jeweiligen Herkunftsländern, wie der Journalist Rémi Carayol in seinem Buch Le mirage sahélien zusammenfasst.
Dass Tuareg im Norden Malis rebellierten, so wie 2012, war nicht neu. Seit den frühen 1960er Jahren gab es immer wieder Aufstände: “insbesondere dann, wenn der malische Staat eine Krise oder einen Transformationsprozess durchmachte” (1990, 1994-2000, 2006 und 2012), schreibt der Leiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Bamako, Christian Klatt, in einer Analyse.
Kidal gilt Experten zufolge als wichtiges Symbol für beide Seiten: Für die Junta in Bamako bedeutet die Eroberung einen Schlag gegen diejenigen, die den Norden Malis schon lange unabhängig sehen wollen. Für die Separatisten wiederum war Kidal bisher so etwas wie ihre Hochburg. Nach dem vorzeitigen Rückzug der Minusma aus ihrer Basis in Kidal hatte Bamako von einem “Verrat” der internationalen Truppen gesprochen und in Aussicht gestellt, sie nicht den Separatisten überlassen zu wollen. Noch bis Jahresende befinden sich auch Bundeswehrsoldaten im Land, derzeit sind es 600. Sie sind in Gao stationiert.
Dem französischen Journalisten und Sahel-Experten Wassim Nasr zufolge könnte der Verlust Kidals den Al-Qaida-nahen Dschihadisten in die Hände spielen: Al-Qaida habe etwa in Zentralmali ebenfalls versucht, die Regierungstruppen aufzuhalten – dies aber bei Kidal aus strategischen Gründen nicht getan, so Nasr im TV-Sender France 24. Die zum großen Teil in Richtung algerische Grenze vertriebene und von Gewalt und Hunger ermüdete Bevölkerung könnte sich mit Blick auf die Niederlage der Separatisten eher auf die Seite von Al-Qaida schlagen, so Nasr. Ob die malische Armee Kidal halten könne, sei unklar, sagen Experten.
Trotz Kritik seitens der Unionsfraktionen hat der Haushaltsausschuss des Bundestags in der Nacht auf Freitag vorerst letzte Änderungen am Verteidigungshaushalt für 2024 vorgenommen. “Ich gehe davon aus, dass sich trotz des Karlsruher Urteils am Einzelplan 14 nichts mehr ändert”, sagte der zuständige SPD-Berichterstatter für den Wehretat, Andreas Schwarz, mit Blick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtsurteil zu Klimafonds und Schuldenbremse von Dienstag, das ein Milliardenloch in die ursprünglichen Planungen von Finanzminister Christian Lindner reißt.
Der CDU-Obmann im Haushaltsausschuss, Ingo Gädechens, hatte am Donnerstag eine Verschiebung der Beratungen gefordert, “um nicht sehenden Auges erneut einen verfassungswidrigen Haushalt zu beschließen”. Die Union habe außerdem Anträge für die Haushaltsberatungen vorbereitet, die einen Aufwuchs im Verteidigungsetat um mehr als zehn Milliarden Euro vorsehen.
Der Verteidigungsetat 2024 soll nach jetzigem Stand auf 51,8 Milliarden Euro steigen - und damit lediglich um jene 1,7 Milliarden Euro, die durch Besoldungserhöhungen im öffentlichen Dienst für die Mitarbeitenden im Verteidigungsministerium anfallen. Zusätzlich sieht der Bundeshaushalt 19,17 Milliarden Euro für Beschaffungen aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr vor, die nicht im Einzelplan 14 aufgeführte sind. Die sogenannten Ertüchtigungsausgaben, aus denen vor allem die Unterstützung der Ukraine mit Militärgerät finanziert wird, soll von vier auf acht Milliarden Euro verdoppelt werden.
Für die so genannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses, in der die letzte Fassung des Haushalts vor der Beschlussfassung im Parlament festgelegt wird, hatte das Verteidigungsministerium zahlreiche interne Verschiebungen im ursprünglichen Haushaltsplan vorgelegt. “Das bedeutet konkret, dass die Bundesregierung ohne Kenntnis des Parlamentes und der Öffentlichkeit frei die Haushaltsmittel zwischen den veranschlagten Projekten im Sondervermögen hin- und herschieben kann”, kritisierte Oppositionshaushälter Gädechens.
Rechnet man den geringfügig gestiegenen Wehretat, die Mittel aus dem Sondervermögen Bundeswehr sowie zur Unterstützung der Ukraine zusammen, wird das Nato-Ziel von Verteidigungsausgaben in Höhe von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung mit 2,1 Prozent knapp erreicht. Auch wenn diese Addition nicht wortgetreu der Nato-Forderung entspricht, rechtfertigt das Ministerium seine Kalkulation damit, dass die Unterstützung für die Ukraine “unzweifelhaft” auch “eigene Verteidigungszwecke” erfülle.
Für das Wehrressort selbst sieht der Einzelplan 14 lediglich interne Verschiebungen vor. Durch Kürzungen beim Fuhrparkservice der Bundeswehr in Höhe von 56 Millionen Euro sollen so unter anderem Mehrausgaben für IT-Dienstleistungen (32 Millionen), höhere Kosten für die freie Bahnfahrt in Uniform (15 Millionen) und den Reservistenverband (2,2 Millionen Euro) finanziert werden. tw
Die wichtigsten Anbieter von Satellitenbildern stellen keine hochauflösenden Fotos aus dem Gazastreifen mehr zur Verfügung. “Seit Mittwoch sind keine Bilder mehr von Airbus erhältlich”, sagt Marcus Pfeil, Gründer der Analyse-Firma Vertical 52, die für Medienunternehmen, darunter Table.Media, und Nichtregierungsorganisationen Satellitenbilder zur Verfügung stellt. Stattdessen teilt Airbus mit, dass die Zugriffsberechtigungen für die Bilder aus Gaza, die auch Details zeigen, “aufgrund des aktuellen Konflikts” geändert wurden und die Foto nicht mehr bestellbar sind. Die US-amerikanischen Anbieter Maxar und Planet hätten kurz nach Kriegsbeginn den Verkauf von Satellitenbildern aus dem Gazastreifen eingestellt, die Preise für Bilder des europäischen Anbieters Airbus hätten sich deshalb verfünffacht, sagt Pfeil. Nun entfällt auch diese Option.
Die norwegische Aftenposten hatte Ende Oktober berichtet, dass Israel den Zugriff auf Satellitenbilder aus dem Gazastreifen einschränke. Ein Eingriff in die Pressefreiheit. “Wenn nicht mal Journalisten in den Gazastreifen gelassen werden, wird uns jetzt noch die Möglichkeit geraubt, wenigstens von oben draufzuschauen”, sagt Pfeil. Derzeit lässt das israelische Militär bis auf wenige Ausnahmen auch keine internationalen Journalisten in den Gazastreifen. bub
Der Bundestag hat am späten Donnerstagabend einige kritische Punkte im Bundesverfassungsschutzgesetz- und im BND-Gesetz geändert. Kern der Reform ist eine Überarbeitung der Regeln, unter welchen Umständen Daten erhoben oder an andere öffentliche oder gar private Stellen im Inland weitergegeben werden dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hatte dem Gesetzgeber in einem Urteil von September 2022 bis Jahresende eine entsprechende Frist gesetzt.
Bereits im Koalitionsvertrag hatten sich Innenpolitiker von FDP und Grünen mit dem Vorhaben restriktiverer und praxisnäherer Vorschriften durchgesetzt. Die neuen Übermittlungsvorschriften ersetzen die bisherigen, schwammigen und von den Richtern in Karlsruhe für unzureichend befundenen Regelungen. Gegenüber dem Regierungsvorschlag werden diese durch die Änderungsanträge des Parlaments noch einmal nachgeschärft:
Für die praktische Arbeit der BND-Mitarbeiter könnte hingegen ein neuer Passus besondere Relevanz entfalten, der nicht auf das Verfassungsgericht zurückging: Um Spionage zu verhindern, soll der Dienst künftig nach allem suchen dürfen, was ein unbefugtes Herausbringen aus den Dienststellen ermöglicht – etwa Smartphones. Mit seitenweise detaillierten Vorschriften im Gesetz reagieren Regierung und Parlament damit auf den Fall eines Referatsleiters, der für Russland spioniert haben soll und kurz vor Weihnachten 2022 verhaftet wurde.
Mit der jetzigen Reform des Nachrichtendienstrechts ist allerdings nur der erste von zwei Reformteilen abgeschlossen: In den kommenden Monaten will die Ampel zudem die Nachrichtendienstkontrolle nachschärfen und über die V-Personen-Praxis erneut beraten. fst
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat gestern Abend vor führenden Vertretern der deutschen Verteidigungsindustrie angekündigt, die deutsche Rüstungsexportpolitik lockern zu wollen. Rüstungsgeschäfte mit Staaten wie Indien und Indonesien sollten seitens der Bundesregierung ebenso unterstützt werden wie militärisch-zivile Partnerschaften in Regionen, in denen autokratische Regime die regelbasierte Weltordnung bedrohten. Pistorius räumte ein, dass es sich dabei nicht immer um “lupenreine Demokratien” handele.
Auf dem Parlamentarischen Abend des Bundesverbandes der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) am Donnerstagabend in Berlin sprach sich der SPD-Politiker abermals für “kriegsfähige Streitkräfte aus” und kündigte eine rasche Umsetzung des im Koalitionsvertrag vereinbarten Rüstungsexportgesetzes an. Deutschland müsse seine restriktive Rüstungsexportpolitik lockern, um den Herausforderungen der verschlechterten weltweiten Sicherheitslage gerecht zu werden, so Pistorius in Beisein von Generälen, Bundestagsabgeordneten, BDSV-Präsident Armin Papperger und dem Hauptgeschäftsführer des 2009 gegründeten Verbandes, Hans Christoph Atzpodien. “Unsere Rüstungsexportpolitik wird in ihrer jetzigen Form weder der Zeitenwende noch der nationalen Sicherheitsstrategie noch den verschärften geopolitischen Spannungen gerecht”, so Pistorius. mb
Die Novellierung der Gleichstellungsregelungen für die Bundeswehr sei ein überfälliger Schritt. Es habe viel zu lange gedauert, das militärische Gleichstellungsrecht ans zivile Recht anzupassen – dessen ist sich Boris Pistorius sicher. Der Verteidigungsminister begrüßt, dass der Gesetzesentwurf am Donnerstagabend vom Bundestag verabschiedet wurde.
“Ohne Frauen kann es keinen Frieden geben, keine Stabilität und keine Sicherheit. Und trotzdem zieht sich die gläserne Decke noch immer durch alle Karriereebenen. Das ist fatal, denn Diversität macht die Truppe besser”, betonte er am Donnerstag auf der Konferenz zum 20-jährigen Jubiläum der deutschen Sektion des sicherheitspolitischen Netzwerks Women in International Security.
Sein Ministerium habe sich klare Ziele für die Erhöhung des Frauenanteils im Ministerium und in der Bundeswehr gesetzt: Frauen sollen gezielt stärker angesprochen, Werdegangs- und Verwendungsaufbaukonzepte ausgebaut und systemische Karrierehemmnisse ermittelt werden. Es bedürfte Gleichstellungsprogrammen, sowie Arbeitsbedingungen, die Chancengleichheit zulassen.
Tobias Lindner, Staatsminister im Auswärtigen Amt, sagt: “Gleichberechtigung macht Staaten und Gesellschaften friedlicher, stabiler, resilienter und wirtschaftlich erfolgreicher.” Er will die feministische Außenpolitik “mainstreamen” und sie nicht als isoliertes Handlungsfeld betrachten – alle Einheiten des Auswärtigen Amts sollen den Prinzipien gerecht werden.
Gleichberechtigung, Chancengleichheit, feministische Sicherheits- und Außenpolitik – all diese Themen sind zentrale Interessen von Women in International Security. WIIS.de, der deutsche Ableger, wurde 2003 gegründet und ist heute mit über 775 Mitgliedern bundesweit aktiv. Der überparteiliche, gemeinnützige Verein bringt Frauen zusammen, die sich in der Außen, Sicherheits- und Verteidigungspolitik engagieren. Der US-amerikanische Vorreiter besteht seit 1987 – weltweit ist WIIS mit etwa 7.000 Mitgliedern in 42 Staaten aktiv. asc
Um die Beschaffung und den Einsatz von Klein- und Kleinstdrohnen in der Bundeswehr voranzutreiben, richtet das Verteidigungsministerium eine Task Force ein. Am Mittwoch sei der Startschuss gefallen, sagte Generalinspekteur Carsten Breuer auf der Konferenz zum 20-jährigen Jubiläum des Netzwerkes Women in International Security (WIIS) am Donnerstag.
In der domänen- und dimensionsübergreifenden Arbeitsgruppe soll künftig beurteilt werden, wie Drohnen genutzt, aber auch abgewehrt werden können. “Bereits bestehende Handlungsstränge werden harmonisiert, um schnell innovative Lösungen in der Bundeswehr zum Einsatz zu bringen”, heißt es aus dem Verteidigungsministerium.
Zeit sei der kritische Faktor, so Breuer: “Wir haben die Entwicklung verschlafen, wir sind noch nicht so weit.” Die ukrainische Armee sei der Bundeswehr hier meilenweit voraus, da sie kleine Drohnen zur Aufklärung ihren Panzern vorausschickten.
Neben der technologischen Weiterentwicklung beschäftigt sich die Task Force auch mit Strategien zum Einsatz von Drohnen in den Streitkräften. “Außerdem müssen wir das Thema auch möglichst schnell in der Ausbildung unserer Soldatinnen und Soldaten etablieren”, so Breuer weiter. Geleitet wird die neue Arbeitsgruppe von Brigadegeneral Wolfgang Jordan. Er ist Abteilungsleiter im Kommando Heer. klm
Der Einsatz von F-16 Kampfflugzeugen über der Ukraine rückt näher: Nachdem erste ukrainische Piloten ihre Ausbildung an den US-Jets bereits im August in Dänemark und im Oktober in den USA begonnen haben, eröffnete Anfang dieser Woche ein Trainingszentrum für F-16-Piloten im rumänischen Borcea. Es befindet sich auf dem Flugplatz Baza Aeriană 86 Borcea, nahe Fetești.
Hier sollen Piloten der Nato-Staaten und auch ukrainische Piloten ausgebildet werden. Nach Angaben des dänischen Obersts Olivier Bok, der bei der Eröffnung des Trainingszentrums in Rumänien dabei war, soll die Ausbildung der Ukrainer so früh wie möglich im kommenden Jahr beginnen.
Laut der niederländischen Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren hängt die Lieferung von F-16-Flugzeugen an die Ukraine von der Vorbereitung im Land selbst ab. Im August war die Rede von ersten sechs Flugzeugen “um den Jahreswechsel”, insgesamt will Dänemark 19 F-16 der Ukraine abgeben. Weitere Maschinen hat die Niederlande zugesagt. Neben der Ausbildung der Piloten muss die Ukraine Flugplatzinfrastruktur vorbereiten. Technisch anspruchsvolle Wartung von F-16-Jets, die in der Ukraine eingesetzt werden könnten, wird in Polen ablaufen.
Am vergangenen Dienstag kam die erste F-16-Maschine der US-Streitkräfte am polnischen Flugplatz und Militärdepot WZL-2 in Bydgoscz an, wo sie technisch überprüft wird. WZL-2 (Wojskowe Zakłady Lotnicze Nr. 2) hat im Juli einen Vertrag mit dem US-amerikanischen Technikdienstleister sowie dem F-16-Hersteller Lockheed Martin unterzeichnet, um Wartungen an den F-16 vorzunehmen. Nach eigenen Angaben wartet diese Technikbase auch die in der Sowjetunion entwickelten SU-22 und Mig-29 sowie das amerikanische Transportflugzeug C-130. vf
Es gibt Menschen, denen begegnet man, sie streifen eine Weile das eigene Leben, und dann rücken sie wieder in die Ferne. Und es gibt Menschen, die trifft man einmal – und dann haben sie einen fixen Platz im eigenen Denken. Helga Haftendorn gehörte zur zweiten Gruppe. Mein erstes Gespräch mit ihr dauerte nicht besonders lange, ich bewarb mich damals um eine Promotionsstelle. Und nach zwei Minuten war klar: Die ganze Sache würde, wenn sie überhaupt klappen sollte, verdammt anstrengend werden. “Sie haben einen Schnitt von 1,3? Das ist zu schlecht.”
Natürlich hatte ich den Reflex, die Idee sofort zu beerdigen. Aber ich bin froh, ihm nicht nachgegeben zu haben. Helga Haftendorn, die Uni-Lehrerin, Forscherin, Koryphäe der transatlantischen Beziehungen und Doktor-Mutter in spe, sie hatte meinen Ehrgeiz gepackt. So wie sie es, was ich später lernte, auf einzigartige Weise bei vielen gemacht hat. Mal eben ein bisschen dahinstudieren – das hat es bei ihr nicht gegeben. Topp oder flopp, für sie gab es nur diese Entscheidung. Hatte man sich aber entschieden und warf sich in die Arbeit, dann war sie für einen da, uneingeschränkt. Als Ideengeberin, als Ansporn, als Herausforderung und als strenge Förderin. Denn die ebenso erfahrene wie vernetzte Professorin vermittelte Kontakte, half bei Stipendien und versorgte jede und jeden, der sich in die Forschung stürzte, mit allem, was man wissenschaftlich brauchte.
Und noch mehr. Denn die Uni, ihr Lehrstuhl, ihre Studentinnen und Studenten – das waren für sie auch Familie. Seit sie als junge Frau bei der Ernte einen Arm verloren hatte, wurde die Uni stärker als bei vielen anderen zu ihrem Zuhause. Mit der Folge, dass sie mit vielen Absolventen nicht nur um einen exzellenten Abschluss kämpfte, sondern ihre Schützlinge auch im Wissenschaftsbetrieb oder in Forschungseinrichtungen unterzubringen versuchte. Für manche erhöhte das den Druck, sie wollte sich natürlich nicht blamieren. Für andere war es eine große Hilfe. Wieder andere, darunter ich, hatten es an der Stelle leichter, weil sie schon vorher wussten, was sie anschließend machen wollten.
Doch so streng und herausfordernd sie stets sein konnte – auch die Rolle, die sich mehr mit der Mutter als mit der Doktor-Mutter verbindet, gehörte dazu. Als ich gegen Ende meiner Doktorarbeit aus Kummer mehrere Monate gefühlt kein Wort aufs Papier gebracht hatte, fürchtete ich das nächste Treffen, aber entschied mich, nicht drumherum zu reden. Ein Glück. Sie lächelte, sie beruhigte mich, sie spornte mich an, weiterzumachen. Das werde ich ihr nie vergessen.
Helga Haftendorn studierte in Heidelberg, Münster, Frankfurt und Arkansas; sie promovierte bei Carlo Schmid in Frankfurt und habilitierte in Hamburg. In ihrer größten Zeit leitete sie als C4-Professorin die Arbeitsstelle für transatlantische Außen- und Sicherheitspolitik an der FU Berlin und hat eine große Zahl an Doktoranden streng und sehr gut ausgebildet. Mit 90 Jahren ist Helga Haftendorn am 6. November in ihrer Berliner Wohnung gestorben. Stefan Braun
ARTE Dokumentation: Flash Wars. Künstliche Intelligenz ist weit verbreitet im Militär. In vielen Bereichen wie Logistik, Aufklärung und in Waffensystemen wird konstant daran gearbeitet, den “Grad der Robotisierung” beziehungsweise der Autonomie dieser Systeme, zu erhöhen. Fachleute wie Ulrike Franke, Oberst Markus Reisner und Jane Pinelis beleuchtet die Fortschritte in dieser Entwicklung – und deren Risiken.
Europe.Table: Pistorius – EU wird Munitionsziel für Ukraine verpassen. Bis Ende März 2024 sollte die Ukraine eine Million Artilleriegeschosse erhalten. An Willen und Geld fehle es nicht, wohl aber an den Produktionskapazitäten, so Boris Pistorius. EU-Außenbeauftragter Josep Borrell kritisiert, dass 40 Prozent der Produktion an Nicht-EU-Abnehmer exportiert werden; Firmen sollten Lieferungen an die Ukraine priorisieren.
DLF Nova: Europäische Union – Die polnische Sicherheits- und Außenpolitik. Die Rolle Polens ist vielseitig, die EU-Mitgliedschaft ein Zusammenspiel aus Solidarität, Prosperität und Identität. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine liegt der Blick Europas verstärkt auf der Sicherheit Polens im transatlantischen Geflecht. Dies beleuchtet der Politikwissenschaftler Kai-Olaf Lang in seinem Vortrag mit dem Titel “Polens Sicherheits- und Außenpolitik zwischen Brüssel und Kiew – neue Macht in Europa?”
Friedrich Lürßen scheidet aus dem Vorstand des Bundesverbands der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) aus. Das gab Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius auf dem Parlamentarischen Abend des BDSV am Donnerstag in Berlin bekannt und dankte dem ersten Präsidenten des 2009 gegründeten Interessensverbandes für seine Arbeit. Lürßen ist Geschäftsführender Gesellschafter der Lürssen Maritime Beteiligungen GmbH & Co. KG und bekleidete im BDSV zuletzt das Amt des Schatzmeisters. Vor seiner Zeit beim BDSV war er unter anderem Vorsitzender des Ausschusses Verteidigungswirtschaft im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).
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Die Militärregierung von Abdourahmane Tiani hat ihre Macht seit dem Putsch am 26. Juli stetig ausgebaut, indem sie Vertraute an allen Schaltstellen des Staates installiert hat. Die Generäle halten den gestürzten Präsidenten Mohamed Bazoum als Geisel, um eine Militärintervention des westafrikanischen Blocks Ecowas zu verhindern.
Viele Menschen unterstützen die Putschisten, weil diese die unbeliebten Truppen der früheren Kolonialmacht Frankreich aus dem Land geworfen haben. Die lange Weigerung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die Soldatinnen und Soldaten abzuziehen, hat die Popularität der Junta dann nochmals gesteigert.
Doch die scheinbare Stabilität in Niger trügt. Die Wirtschaft liegt am Boden und die Inflation steigt rasant, weil Ecowas die Grenzen geschlossen hat. Das Binnenland ist vollständig auf Lebensmittelimporte aus dem Ausland angewiesen. Schlimmer noch: Die Sicherheitslage verschlechtert sich von Tag zu Tag, weil die Militärregierung Truppen in der Hauptstadt Niamey und an der Grenze zu Niamey zum Eigenschutz zusammengezogen hat.
Sie fehlen jetzt im Grenzgebiet zu Mali und Burkina Faso. Frankreich und Europa haben zudem die Unterstützung wie Training und Ausrüstung der Armee suspendiert. Die Folge: Dschihadisten expandieren und verstärken ihre Angriffe. Das ist bitter, weil Niger in den vergangenen Jahren im Gegensatz zu Burkina Faso und Mali Fortschritte bei der Bekämpfung von Dschihadisten gemacht hatte.
Die Europäische Union ist sich uneins, wie sie mit der neuen Regierung umgehen will. Länder wie Italien wollen die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Armutsmigration und Hilfsprojekten wiederaufnehmen. Sie fürchten – vermutlich zurecht – mehr Armutsmigranten nach Europa, sollte die Junta einen 2015 von der Vorgängerregierung geschlossenen Pakt aufkündigen.
Damals hatte Niger die Haupttransitroute von Subsahara-Afrika nach Libyen gestoppt und damit Migration auf der Mittelmeerroute reduziert. Als Gegenleistung bekam das bitterarme Land Milliardenhilfen von EU-Ländern, die jetzt gestoppt sind. Im früheren Schmugglerhub Agadez im Norden Nigers haben Tausende Menschen damals ihre Jobs verloren, weil es außer dem Menschenschmuggel kaum Alternativen gibt. Sie werden jetzt Druck auf die Junta ausüben, die Route wieder zu öffnen.
Bisher folgt die EU noch der Hardline-Linie Frankreichs, das den Verlust seines wichtigsten Sahelverbündeten Bazoum nur schwer verkraftet. Paris lehnt jede Gespräche mit den Putschisten ab und war auch federführend bei einem Sanktionspaket gegen die Junta, dass die EU jetzt auf den Weg bringt. Bisher gibt es nur informelle Gespräche einzelner EU-Länder. Deutschland hat – ähnlich wie bei vielen Konflikten von Afghanistan bis Mali – wieder einmal keine eigene Strategie und folgt im Falle Niger Frankreichs Linie.
Das ist riskant, weil andere Akteure wie Russland und Iran sich als neue Partner anbieten. Moskau bietet Stipendien für ein Russland-Studium sowie eine militärische Zusammenarbeit wie mit dem Nachbarn Mali an – dort sind seit Anfang 2022 russische Söldner im Einsatz. Russlands Verbündete Mali und Burkina Faso umwerben Niger bereits im Auftrag Moskaus. Iran wird seine Drohnen anbieten, die Russland im Ukrainekrieg einsetzt.
Für Europa schlägt jetzt die Stunde der Realpolitik. Selbst Bazoums Anhänger rechnen nicht mehr mit seiner Rückkehr. Sollte er per Militärintervention wiedereingesetzt werden, würde ihm endgültig der Ruf anhängen, vom Ausland abzuhängen. Der nächste Putsch wäre vorprogrammiert. Deutschland und Europa sollten auf Ecowas einwirken, Gespräche mit der Junta über eine Transition aufzunehmen.
Die Generäle haben EU-Diplomaten signalisiert, dass sie mit Europa (mit Ausnahme Frankreichs) weiter kooperieren wollten. Deutschland sollte auch mit Frankreich reden, sich den neuen Realitäten in Niger nicht zu verschließen. Wenn wir Niger vollständig boykottieren, wird ein weiteres Land im Sahelraum an Russland fallen – mit fatalen Folgen: Moskau würde mehr Migration via Niger Richtung Nordafrika begrüßen, um Druck auf Europa auszuüben.
Ulf Laessing ist Leiter des Regionalprogramms Sahel der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Bamako (Mali).
Achtung, Triggerwarnung!” rief Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius gestern Abend im Berliner Adlon den Gästen des Bundesverbands der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zu – und nahm dann wieder einmal das neue K-Wort in den Mund: “kriegsfähige Streitkräfte” zu unterhalten sei sein Ziel, dafür brauche er jedoch die volle Unterstützung der wehrtechnischen Industrie. Die sicherte ihm BDSV-Präsident Armin Papperger aufmunternd zu mit den Worten: “Kämpfen Sie weiter!”
Sechs Wochen nach dem Terrorüberfall der Hamas auf den Süden Israels wächst die internationale Kritik am Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen. Diese speist sich auch an der anhaltenden Lieferung von Artilleriemunition durch die USA, wie ich in meiner Analyse schreibe. Gabriel Bub hat notiert, dass kommerzielle Anbietern von Satellitenbildern des Gazastreifens der Verkauf von hochauflösenden Aufnahmen aus dem Kriegsgebiet nicht mehr möglich ist.
Besonders ans Herz legen möchte ich Ihnen unseren Nachruf auf Helga Haftendorn, die langjährige Leiterin der Arbeitsstelle für transatlantische Außen- und Sicherheitspolitik an der Freien Universität (FU) Berlin. Stefan Braun hat bei der am 6. November im Alter von 90 Jahren verstorbenen Koryphäe für internationale Beziehungen promoviert und wie viele andere junge Forscherinnen und Forscher von Haftendorns strenger, aber stets zugewandten Art profitiert.
Der Druck auf die israelische Regierung, einer längeren Feuerpause im Gazastreifen zuzustimmen, wächst. “Zwei, drei Wochen” noch werde die internationale Legitimierung für das militärische Vorgehen anhalten, sagte Außenminister Elli Cohen Anfang der Woche. “Wir spüren, dass es internationalen Druck auf Israel gibt”, sagte er vor Journalisten. “Er ist nicht stark, aber er wird stärker.”
Sechs Wochen nach den Massakern der Terrororganisation Hamas in Gemeinden und Kibbuzim im Süden Israels wird die Ungeduld mit der israelischen Kriegsstrategie vor allem beim wichtigsten Verbündeten Israels in Washington größer. Zwar kommt die US-Regierung von Joe Bidens weiter allen Wünschen der Regierung Benjamin Netanjahus nach Waffenlieferungen nach, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg am Dienstag berichtete.
Bis Ende Oktober wurden demnach alle 36.000 Schuss 30-mm-Kanonenmunition, 1.800 Stück der von Israel angeforderten M141-Bunkerbrechermunition und mindestens 3.500 Nachtsichtgeräte ausgeliefert, so ein im Pentagon zirkulierendes Papier mit dem Titel “Israel Senior Leader”. Ein Sprecher des Verteidigungsministers Lloyd Austin sagte: “Wir nutzen verschiedene Möglichkeiten – von internen Beständen bis hin zu Kanälen der US-Industrie -, um sicherzustellen, dass Israel über die Mittel zur Selbstverteidigung verfügt.”
Doch hinter den Kulissen erhöht die Administration den Druck auf Netanjahu, die Zahl ziviler Opfer in Gaza zu begrenzen – und Feuerpausen für eine Aufstockung humanitärer Hilfen zu gewähren. Verstärkt wird dies durch Äußerungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der Israel am Wochenende dazu aufgefordert hatte, davon abzusehen, Frauen und Kinder zu verletzten. Am Dienstag schloss sich Kanadas Ministerpräsident Justin Trudeau dieser Forderung an.
Noch vor dem Einsatz im Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt diese Woche hatte Biden öffentlich gewarnt, dass dieses “geschützt werden” müsse; er habe “nicht gezögert, meine Besorgnis zu äußern”. Außenminister Antony Blinken sagte schon vergangene Woche, dass “viel zu viele Palästinenser getötet worden” seien. Und Bidens Nationale Sicherheitsberater, Jake Sullivan, betonte, dass die Tatsache, dass die Hamas Zivilisten als menschliche Schutzschilde nutze, Israel nicht aus der “Verantwortung” entbinde, “so zu handeln, dass Terroristen von Zivilisten getrennt werden”.
Hinter den öffentlichen Warnungen seitens Washingtons steckt die Sorge, dass vor allem die arabischen Partner der USA im Nahen Osten ihre Unterstützung beenden könnten. So hätte Netanjahu die öffentlichen Solidaritätsbekundungen Bidens zu Kriegsbeginn als grünes Licht verstanden für den schrankenlosen Militäreinsatz, dem nach 41 Tagen bereits mehr als 11.000 Menschen zum Opfer fielen, ist die Wahrnehmung unter arabischen Diplomaten auch in Berlin, mit denen Table.Media sprach. Zum Vergleich: Bei der Operation Protective Edge 2014, die 52 Tage dauerte, waren es 1500.
Neben einer fehlenden politischen Perspektive für die Zeit nach dem Krieg gerät nun auch die anhaltende Lieferung von Waffen aus Washington in die Kritik. So forderte eine Gruppe von mehr als dreißig Nichtregierungsorganisationen die Biden-Administration am Montag auf, den Export von 155 Millimeter-Artillerie-Granaten an Israel zu beenden. “Im Gazastreifen, einem der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt, sind 155-mm-Artilleriegranaten von Natur aus wahllos”, heißt es in dem Brief an Verteidigungsminister Austin. Das hätte nicht zuletzt der Einsatz dieser Munition im Gazastreifen 2014 und bei der Operation Cast Lead 2008/9 gezeigt, als die Israel Defense Forces (IDF) 34.000 dieser Geschosse einsetzte – gegen Schulen, Schutzunterkünfte, Krankenhäuser und Flüchtlingslager.
Inwieweit die US-Administration überhaupt noch in der Lage ist, die Regierung in Jerusalem nach dem weltweit größten Massenmord an Juden seit dem Holocaust am 7. Oktober zu beeinflussen, ist allerdings fraglich. Neben dem erklärten Kriegsziel Netanjahus, die Hamas im Gazastreifen zu zerschlagen, ist er bislang eine Antwort auf die Frage schuldig geblieben, wer an der Stelle der Terrororganisation treten solle, um die Verwaltung des seit 2007 von der Hamas kontrollierten Gazastreifens zu übernehmen.
Selbst unter arabischen und islamischen Staaten herrschen große Zweifel, dass die im Westjordanland regierende Palästinensische Autonomiebehörde (PA) von Präsident Mahmud Abbas dazu in der Lage wäre. Auf ihrem Gipfel im saudi-arabischen Riad forderten sie am Wochenende einen sofortigen Waffenstillstand und unkonditionierte humanitäre Hilfe. Damit soll die Not der 2,4 Millionen Bewohner gelindert werden. Mehr als die Hälfte von ihnen musste ihre Häuser und Wohnungen wegen der israelischen Bombardements verlassen.
Dass die Kritik nicht schärfer ausfiel, hat Israel nicht zuletzt seinen neuen arabischen Verbündeten zu verdanken. So hatte Iran eine Resolution eingebracht, die das sofortige Einfrieren aller diplomatischen und wirtschaftlichen Verbindungen mit Israel forderte, ein Ölembargo ähnlich dem von 1972 und das Verbot von Flügen aus Israel über den Luftraum arabischer Staaten. Neben Ägypten und Jordanien, die bereits vor Jahrzehnten Frieden mit Israel schlossen, stimmten auch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Bahrein, Sudan und Marokko gegen den iranischen Entwurf.
Die vier Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga hatten 2020 und 2021 die sogenannten Abraham-Abkommen mit Israel unterzeichnet. Saudi-Arabien, das bis zum 7. Oktober ebenfalls über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel verhandelte, stimmte Medienberichten zufolge ebenfalls gegen schärfere Maßnahmen.
Der Preis, den Washington seinen arabischen Partnern dafür zahlt, ist indes klar: Um einen Flächenbrand zu verhindern, der nicht nur die Golfstaaten, sondern auch Israels Nachbarn Jordanien, Ägypten, Syrien und den Libanon in den Krieg hineinziehen würde, haben die USA ihre Militärpräsenz in der Region massiv ausgeweitet. Den vorläufigen Abschluss der bereits im Oktober begonnenen Verlegung von Flugzeugträgern, U-Booten und Marine-Einheiten bildete diese Woche die Entsendung der Flugzeugträgergruppe Gerald R. Ford in das Arabische Meer – nur 300 Kilometer von der iranischen Küste entfernt.
Fast zehn Jahre lang stand Kidal unter Kontrolle von Separatisten – nun hat die malische Armee die strategisch wichtige Stadt im Norden des Landes eingenommen. Das teilten Malis Juntachef, Oberst Assimi Goita, am Dienstag mit. Anfang der Woche waren die staatlichen Streitkräfte, unterstützt von Wagner-Truppen, bis auf wenige Kilometer an Kidal herangerückt; bei Drohnenangriffen sollen nach Informationen von Le Monde auch Zivilisten getötet worden sein. Die Separatisten zogen sich bereits vor der Ankunft der malischen Armee aus Kidal zurück, sodass es zu keinen direkten Konfrontationen kam, wie unter anderem France 24 berichtet.
Die Lage ist weiterhin unübersichtlich, Informationen zu bekommen und zu prüfen, schwierig, da das Mobilfunknetz zumindest zeitweise gekappt war.
Im Wesentlichen stehen sich zwei Fraktionen gegenüber:
2015 unterzeichneten die Separatisten mit der malischen Regierung ein Friedensabkommen, das Abkommen von Algier, dessen Gültigkeit von den wiederaufgenommenen Kämpfen immer mehr infrage gestellt wird.
Die Junta in Bamako bezeichnet Separatisten sowie Dschihadisten stets ohne Unterschied als “Terroristen”.
Auf Seiten der Unterzeichner haben sich Allianzen seitdem immer wieder verändert und verschoben. In allen Gruppen sind Tuareg vertreten – aber bei weitem nicht alle Tuareg stehen hinter einer Sache oder sind in einer Bewegung zusammengeschlossen.
Die CSP-PSD vereinte von 2021 an bisher drei Akteure, die zuvor zum Teil gegeneinander gekämpft hatten.
Inzwischen hat die CSP aber wegen der Wiederaufnahme der Kampfhandlungen gegen die malische Armee zwei bedeutende Austritte verzeichnen müssen – die der Plateforme sowie des MSA. Beide verurteilten die Angriffe. Damit kämpft nun im Wesentlichen die CMA gegen die Armee der malischen Regierung und die Wagner-Söldner.
Azawad bezeichnet eine Region im Norden Malis, die zum größten Teil in der Sahara liegt und zu einem kleineren Teil im Sahel. Auf einer Fläche von mehr als 800.000 Quadratkilometern bevölkern diese wüstenartige Region nur rund 1,3 Millionen Menschen, zum Teil in den Städten Timbuktu, Gao und Kidal, in denen zusammen weniger als 150.000 Einwohner leben. Die Tuareg fordern die Unabhängigkeit des Azawad, während die Regierung in Bamako schon die Verwendung dieses Begriffs als aufrührerisch zurückweist.
Diejenigen, die jetzt noch gegen die malische Armee kämpfen, werfen Bamako vor, das Friedensabkommen von Algier nicht respektiert zu haben – insbesondere mit dem Votum für eine neue Verfassung im Frühjahr. Sie machen außerdem die Junta von Assimi Goïta für die seit September wieder zunehmenden Angriffe der Dschihadisten im Norden Malis verantwortlich.
Mit dem Tod von Muammar Gaddafi im Oktober 2011 und dem Sturz seines Regimes kamen zahlreiche Tuareg aus dem Nachbarland Libyen nach Mali zurück. Seit den 1970er Jahren holte Gaddafi Tuareg aus Algerien, Mali und Niger zu sich ins Land, bildete sie an der Waffe aus und setzte sie als Milizen für seine Zwecke ein. Seit den 1990er Jahren unterstützte er auch aufständische Tuareg in ihren jeweiligen Herkunftsländern, wie der Journalist Rémi Carayol in seinem Buch Le mirage sahélien zusammenfasst.
Dass Tuareg im Norden Malis rebellierten, so wie 2012, war nicht neu. Seit den frühen 1960er Jahren gab es immer wieder Aufstände: “insbesondere dann, wenn der malische Staat eine Krise oder einen Transformationsprozess durchmachte” (1990, 1994-2000, 2006 und 2012), schreibt der Leiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Bamako, Christian Klatt, in einer Analyse.
Kidal gilt Experten zufolge als wichtiges Symbol für beide Seiten: Für die Junta in Bamako bedeutet die Eroberung einen Schlag gegen diejenigen, die den Norden Malis schon lange unabhängig sehen wollen. Für die Separatisten wiederum war Kidal bisher so etwas wie ihre Hochburg. Nach dem vorzeitigen Rückzug der Minusma aus ihrer Basis in Kidal hatte Bamako von einem “Verrat” der internationalen Truppen gesprochen und in Aussicht gestellt, sie nicht den Separatisten überlassen zu wollen. Noch bis Jahresende befinden sich auch Bundeswehrsoldaten im Land, derzeit sind es 600. Sie sind in Gao stationiert.
Dem französischen Journalisten und Sahel-Experten Wassim Nasr zufolge könnte der Verlust Kidals den Al-Qaida-nahen Dschihadisten in die Hände spielen: Al-Qaida habe etwa in Zentralmali ebenfalls versucht, die Regierungstruppen aufzuhalten – dies aber bei Kidal aus strategischen Gründen nicht getan, so Nasr im TV-Sender France 24. Die zum großen Teil in Richtung algerische Grenze vertriebene und von Gewalt und Hunger ermüdete Bevölkerung könnte sich mit Blick auf die Niederlage der Separatisten eher auf die Seite von Al-Qaida schlagen, so Nasr. Ob die malische Armee Kidal halten könne, sei unklar, sagen Experten.
Trotz Kritik seitens der Unionsfraktionen hat der Haushaltsausschuss des Bundestags in der Nacht auf Freitag vorerst letzte Änderungen am Verteidigungshaushalt für 2024 vorgenommen. “Ich gehe davon aus, dass sich trotz des Karlsruher Urteils am Einzelplan 14 nichts mehr ändert”, sagte der zuständige SPD-Berichterstatter für den Wehretat, Andreas Schwarz, mit Blick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtsurteil zu Klimafonds und Schuldenbremse von Dienstag, das ein Milliardenloch in die ursprünglichen Planungen von Finanzminister Christian Lindner reißt.
Der CDU-Obmann im Haushaltsausschuss, Ingo Gädechens, hatte am Donnerstag eine Verschiebung der Beratungen gefordert, “um nicht sehenden Auges erneut einen verfassungswidrigen Haushalt zu beschließen”. Die Union habe außerdem Anträge für die Haushaltsberatungen vorbereitet, die einen Aufwuchs im Verteidigungsetat um mehr als zehn Milliarden Euro vorsehen.
Der Verteidigungsetat 2024 soll nach jetzigem Stand auf 51,8 Milliarden Euro steigen - und damit lediglich um jene 1,7 Milliarden Euro, die durch Besoldungserhöhungen im öffentlichen Dienst für die Mitarbeitenden im Verteidigungsministerium anfallen. Zusätzlich sieht der Bundeshaushalt 19,17 Milliarden Euro für Beschaffungen aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr vor, die nicht im Einzelplan 14 aufgeführte sind. Die sogenannten Ertüchtigungsausgaben, aus denen vor allem die Unterstützung der Ukraine mit Militärgerät finanziert wird, soll von vier auf acht Milliarden Euro verdoppelt werden.
Für die so genannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses, in der die letzte Fassung des Haushalts vor der Beschlussfassung im Parlament festgelegt wird, hatte das Verteidigungsministerium zahlreiche interne Verschiebungen im ursprünglichen Haushaltsplan vorgelegt. “Das bedeutet konkret, dass die Bundesregierung ohne Kenntnis des Parlamentes und der Öffentlichkeit frei die Haushaltsmittel zwischen den veranschlagten Projekten im Sondervermögen hin- und herschieben kann”, kritisierte Oppositionshaushälter Gädechens.
Rechnet man den geringfügig gestiegenen Wehretat, die Mittel aus dem Sondervermögen Bundeswehr sowie zur Unterstützung der Ukraine zusammen, wird das Nato-Ziel von Verteidigungsausgaben in Höhe von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung mit 2,1 Prozent knapp erreicht. Auch wenn diese Addition nicht wortgetreu der Nato-Forderung entspricht, rechtfertigt das Ministerium seine Kalkulation damit, dass die Unterstützung für die Ukraine “unzweifelhaft” auch “eigene Verteidigungszwecke” erfülle.
Für das Wehrressort selbst sieht der Einzelplan 14 lediglich interne Verschiebungen vor. Durch Kürzungen beim Fuhrparkservice der Bundeswehr in Höhe von 56 Millionen Euro sollen so unter anderem Mehrausgaben für IT-Dienstleistungen (32 Millionen), höhere Kosten für die freie Bahnfahrt in Uniform (15 Millionen) und den Reservistenverband (2,2 Millionen Euro) finanziert werden. tw
Die wichtigsten Anbieter von Satellitenbildern stellen keine hochauflösenden Fotos aus dem Gazastreifen mehr zur Verfügung. “Seit Mittwoch sind keine Bilder mehr von Airbus erhältlich”, sagt Marcus Pfeil, Gründer der Analyse-Firma Vertical 52, die für Medienunternehmen, darunter Table.Media, und Nichtregierungsorganisationen Satellitenbilder zur Verfügung stellt. Stattdessen teilt Airbus mit, dass die Zugriffsberechtigungen für die Bilder aus Gaza, die auch Details zeigen, “aufgrund des aktuellen Konflikts” geändert wurden und die Foto nicht mehr bestellbar sind. Die US-amerikanischen Anbieter Maxar und Planet hätten kurz nach Kriegsbeginn den Verkauf von Satellitenbildern aus dem Gazastreifen eingestellt, die Preise für Bilder des europäischen Anbieters Airbus hätten sich deshalb verfünffacht, sagt Pfeil. Nun entfällt auch diese Option.
Die norwegische Aftenposten hatte Ende Oktober berichtet, dass Israel den Zugriff auf Satellitenbilder aus dem Gazastreifen einschränke. Ein Eingriff in die Pressefreiheit. “Wenn nicht mal Journalisten in den Gazastreifen gelassen werden, wird uns jetzt noch die Möglichkeit geraubt, wenigstens von oben draufzuschauen”, sagt Pfeil. Derzeit lässt das israelische Militär bis auf wenige Ausnahmen auch keine internationalen Journalisten in den Gazastreifen. bub
Der Bundestag hat am späten Donnerstagabend einige kritische Punkte im Bundesverfassungsschutzgesetz- und im BND-Gesetz geändert. Kern der Reform ist eine Überarbeitung der Regeln, unter welchen Umständen Daten erhoben oder an andere öffentliche oder gar private Stellen im Inland weitergegeben werden dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hatte dem Gesetzgeber in einem Urteil von September 2022 bis Jahresende eine entsprechende Frist gesetzt.
Bereits im Koalitionsvertrag hatten sich Innenpolitiker von FDP und Grünen mit dem Vorhaben restriktiverer und praxisnäherer Vorschriften durchgesetzt. Die neuen Übermittlungsvorschriften ersetzen die bisherigen, schwammigen und von den Richtern in Karlsruhe für unzureichend befundenen Regelungen. Gegenüber dem Regierungsvorschlag werden diese durch die Änderungsanträge des Parlaments noch einmal nachgeschärft:
Für die praktische Arbeit der BND-Mitarbeiter könnte hingegen ein neuer Passus besondere Relevanz entfalten, der nicht auf das Verfassungsgericht zurückging: Um Spionage zu verhindern, soll der Dienst künftig nach allem suchen dürfen, was ein unbefugtes Herausbringen aus den Dienststellen ermöglicht – etwa Smartphones. Mit seitenweise detaillierten Vorschriften im Gesetz reagieren Regierung und Parlament damit auf den Fall eines Referatsleiters, der für Russland spioniert haben soll und kurz vor Weihnachten 2022 verhaftet wurde.
Mit der jetzigen Reform des Nachrichtendienstrechts ist allerdings nur der erste von zwei Reformteilen abgeschlossen: In den kommenden Monaten will die Ampel zudem die Nachrichtendienstkontrolle nachschärfen und über die V-Personen-Praxis erneut beraten. fst
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat gestern Abend vor führenden Vertretern der deutschen Verteidigungsindustrie angekündigt, die deutsche Rüstungsexportpolitik lockern zu wollen. Rüstungsgeschäfte mit Staaten wie Indien und Indonesien sollten seitens der Bundesregierung ebenso unterstützt werden wie militärisch-zivile Partnerschaften in Regionen, in denen autokratische Regime die regelbasierte Weltordnung bedrohten. Pistorius räumte ein, dass es sich dabei nicht immer um “lupenreine Demokratien” handele.
Auf dem Parlamentarischen Abend des Bundesverbandes der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) am Donnerstagabend in Berlin sprach sich der SPD-Politiker abermals für “kriegsfähige Streitkräfte aus” und kündigte eine rasche Umsetzung des im Koalitionsvertrag vereinbarten Rüstungsexportgesetzes an. Deutschland müsse seine restriktive Rüstungsexportpolitik lockern, um den Herausforderungen der verschlechterten weltweiten Sicherheitslage gerecht zu werden, so Pistorius in Beisein von Generälen, Bundestagsabgeordneten, BDSV-Präsident Armin Papperger und dem Hauptgeschäftsführer des 2009 gegründeten Verbandes, Hans Christoph Atzpodien. “Unsere Rüstungsexportpolitik wird in ihrer jetzigen Form weder der Zeitenwende noch der nationalen Sicherheitsstrategie noch den verschärften geopolitischen Spannungen gerecht”, so Pistorius. mb
Die Novellierung der Gleichstellungsregelungen für die Bundeswehr sei ein überfälliger Schritt. Es habe viel zu lange gedauert, das militärische Gleichstellungsrecht ans zivile Recht anzupassen – dessen ist sich Boris Pistorius sicher. Der Verteidigungsminister begrüßt, dass der Gesetzesentwurf am Donnerstagabend vom Bundestag verabschiedet wurde.
“Ohne Frauen kann es keinen Frieden geben, keine Stabilität und keine Sicherheit. Und trotzdem zieht sich die gläserne Decke noch immer durch alle Karriereebenen. Das ist fatal, denn Diversität macht die Truppe besser”, betonte er am Donnerstag auf der Konferenz zum 20-jährigen Jubiläum der deutschen Sektion des sicherheitspolitischen Netzwerks Women in International Security.
Sein Ministerium habe sich klare Ziele für die Erhöhung des Frauenanteils im Ministerium und in der Bundeswehr gesetzt: Frauen sollen gezielt stärker angesprochen, Werdegangs- und Verwendungsaufbaukonzepte ausgebaut und systemische Karrierehemmnisse ermittelt werden. Es bedürfte Gleichstellungsprogrammen, sowie Arbeitsbedingungen, die Chancengleichheit zulassen.
Tobias Lindner, Staatsminister im Auswärtigen Amt, sagt: “Gleichberechtigung macht Staaten und Gesellschaften friedlicher, stabiler, resilienter und wirtschaftlich erfolgreicher.” Er will die feministische Außenpolitik “mainstreamen” und sie nicht als isoliertes Handlungsfeld betrachten – alle Einheiten des Auswärtigen Amts sollen den Prinzipien gerecht werden.
Gleichberechtigung, Chancengleichheit, feministische Sicherheits- und Außenpolitik – all diese Themen sind zentrale Interessen von Women in International Security. WIIS.de, der deutsche Ableger, wurde 2003 gegründet und ist heute mit über 775 Mitgliedern bundesweit aktiv. Der überparteiliche, gemeinnützige Verein bringt Frauen zusammen, die sich in der Außen, Sicherheits- und Verteidigungspolitik engagieren. Der US-amerikanische Vorreiter besteht seit 1987 – weltweit ist WIIS mit etwa 7.000 Mitgliedern in 42 Staaten aktiv. asc
Um die Beschaffung und den Einsatz von Klein- und Kleinstdrohnen in der Bundeswehr voranzutreiben, richtet das Verteidigungsministerium eine Task Force ein. Am Mittwoch sei der Startschuss gefallen, sagte Generalinspekteur Carsten Breuer auf der Konferenz zum 20-jährigen Jubiläum des Netzwerkes Women in International Security (WIIS) am Donnerstag.
In der domänen- und dimensionsübergreifenden Arbeitsgruppe soll künftig beurteilt werden, wie Drohnen genutzt, aber auch abgewehrt werden können. “Bereits bestehende Handlungsstränge werden harmonisiert, um schnell innovative Lösungen in der Bundeswehr zum Einsatz zu bringen”, heißt es aus dem Verteidigungsministerium.
Zeit sei der kritische Faktor, so Breuer: “Wir haben die Entwicklung verschlafen, wir sind noch nicht so weit.” Die ukrainische Armee sei der Bundeswehr hier meilenweit voraus, da sie kleine Drohnen zur Aufklärung ihren Panzern vorausschickten.
Neben der technologischen Weiterentwicklung beschäftigt sich die Task Force auch mit Strategien zum Einsatz von Drohnen in den Streitkräften. “Außerdem müssen wir das Thema auch möglichst schnell in der Ausbildung unserer Soldatinnen und Soldaten etablieren”, so Breuer weiter. Geleitet wird die neue Arbeitsgruppe von Brigadegeneral Wolfgang Jordan. Er ist Abteilungsleiter im Kommando Heer. klm
Der Einsatz von F-16 Kampfflugzeugen über der Ukraine rückt näher: Nachdem erste ukrainische Piloten ihre Ausbildung an den US-Jets bereits im August in Dänemark und im Oktober in den USA begonnen haben, eröffnete Anfang dieser Woche ein Trainingszentrum für F-16-Piloten im rumänischen Borcea. Es befindet sich auf dem Flugplatz Baza Aeriană 86 Borcea, nahe Fetești.
Hier sollen Piloten der Nato-Staaten und auch ukrainische Piloten ausgebildet werden. Nach Angaben des dänischen Obersts Olivier Bok, der bei der Eröffnung des Trainingszentrums in Rumänien dabei war, soll die Ausbildung der Ukrainer so früh wie möglich im kommenden Jahr beginnen.
Laut der niederländischen Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren hängt die Lieferung von F-16-Flugzeugen an die Ukraine von der Vorbereitung im Land selbst ab. Im August war die Rede von ersten sechs Flugzeugen “um den Jahreswechsel”, insgesamt will Dänemark 19 F-16 der Ukraine abgeben. Weitere Maschinen hat die Niederlande zugesagt. Neben der Ausbildung der Piloten muss die Ukraine Flugplatzinfrastruktur vorbereiten. Technisch anspruchsvolle Wartung von F-16-Jets, die in der Ukraine eingesetzt werden könnten, wird in Polen ablaufen.
Am vergangenen Dienstag kam die erste F-16-Maschine der US-Streitkräfte am polnischen Flugplatz und Militärdepot WZL-2 in Bydgoscz an, wo sie technisch überprüft wird. WZL-2 (Wojskowe Zakłady Lotnicze Nr. 2) hat im Juli einen Vertrag mit dem US-amerikanischen Technikdienstleister sowie dem F-16-Hersteller Lockheed Martin unterzeichnet, um Wartungen an den F-16 vorzunehmen. Nach eigenen Angaben wartet diese Technikbase auch die in der Sowjetunion entwickelten SU-22 und Mig-29 sowie das amerikanische Transportflugzeug C-130. vf
Es gibt Menschen, denen begegnet man, sie streifen eine Weile das eigene Leben, und dann rücken sie wieder in die Ferne. Und es gibt Menschen, die trifft man einmal – und dann haben sie einen fixen Platz im eigenen Denken. Helga Haftendorn gehörte zur zweiten Gruppe. Mein erstes Gespräch mit ihr dauerte nicht besonders lange, ich bewarb mich damals um eine Promotionsstelle. Und nach zwei Minuten war klar: Die ganze Sache würde, wenn sie überhaupt klappen sollte, verdammt anstrengend werden. “Sie haben einen Schnitt von 1,3? Das ist zu schlecht.”
Natürlich hatte ich den Reflex, die Idee sofort zu beerdigen. Aber ich bin froh, ihm nicht nachgegeben zu haben. Helga Haftendorn, die Uni-Lehrerin, Forscherin, Koryphäe der transatlantischen Beziehungen und Doktor-Mutter in spe, sie hatte meinen Ehrgeiz gepackt. So wie sie es, was ich später lernte, auf einzigartige Weise bei vielen gemacht hat. Mal eben ein bisschen dahinstudieren – das hat es bei ihr nicht gegeben. Topp oder flopp, für sie gab es nur diese Entscheidung. Hatte man sich aber entschieden und warf sich in die Arbeit, dann war sie für einen da, uneingeschränkt. Als Ideengeberin, als Ansporn, als Herausforderung und als strenge Förderin. Denn die ebenso erfahrene wie vernetzte Professorin vermittelte Kontakte, half bei Stipendien und versorgte jede und jeden, der sich in die Forschung stürzte, mit allem, was man wissenschaftlich brauchte.
Und noch mehr. Denn die Uni, ihr Lehrstuhl, ihre Studentinnen und Studenten – das waren für sie auch Familie. Seit sie als junge Frau bei der Ernte einen Arm verloren hatte, wurde die Uni stärker als bei vielen anderen zu ihrem Zuhause. Mit der Folge, dass sie mit vielen Absolventen nicht nur um einen exzellenten Abschluss kämpfte, sondern ihre Schützlinge auch im Wissenschaftsbetrieb oder in Forschungseinrichtungen unterzubringen versuchte. Für manche erhöhte das den Druck, sie wollte sich natürlich nicht blamieren. Für andere war es eine große Hilfe. Wieder andere, darunter ich, hatten es an der Stelle leichter, weil sie schon vorher wussten, was sie anschließend machen wollten.
Doch so streng und herausfordernd sie stets sein konnte – auch die Rolle, die sich mehr mit der Mutter als mit der Doktor-Mutter verbindet, gehörte dazu. Als ich gegen Ende meiner Doktorarbeit aus Kummer mehrere Monate gefühlt kein Wort aufs Papier gebracht hatte, fürchtete ich das nächste Treffen, aber entschied mich, nicht drumherum zu reden. Ein Glück. Sie lächelte, sie beruhigte mich, sie spornte mich an, weiterzumachen. Das werde ich ihr nie vergessen.
Helga Haftendorn studierte in Heidelberg, Münster, Frankfurt und Arkansas; sie promovierte bei Carlo Schmid in Frankfurt und habilitierte in Hamburg. In ihrer größten Zeit leitete sie als C4-Professorin die Arbeitsstelle für transatlantische Außen- und Sicherheitspolitik an der FU Berlin und hat eine große Zahl an Doktoranden streng und sehr gut ausgebildet. Mit 90 Jahren ist Helga Haftendorn am 6. November in ihrer Berliner Wohnung gestorben. Stefan Braun
ARTE Dokumentation: Flash Wars. Künstliche Intelligenz ist weit verbreitet im Militär. In vielen Bereichen wie Logistik, Aufklärung und in Waffensystemen wird konstant daran gearbeitet, den “Grad der Robotisierung” beziehungsweise der Autonomie dieser Systeme, zu erhöhen. Fachleute wie Ulrike Franke, Oberst Markus Reisner und Jane Pinelis beleuchtet die Fortschritte in dieser Entwicklung – und deren Risiken.
Europe.Table: Pistorius – EU wird Munitionsziel für Ukraine verpassen. Bis Ende März 2024 sollte die Ukraine eine Million Artilleriegeschosse erhalten. An Willen und Geld fehle es nicht, wohl aber an den Produktionskapazitäten, so Boris Pistorius. EU-Außenbeauftragter Josep Borrell kritisiert, dass 40 Prozent der Produktion an Nicht-EU-Abnehmer exportiert werden; Firmen sollten Lieferungen an die Ukraine priorisieren.
DLF Nova: Europäische Union – Die polnische Sicherheits- und Außenpolitik. Die Rolle Polens ist vielseitig, die EU-Mitgliedschaft ein Zusammenspiel aus Solidarität, Prosperität und Identität. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine liegt der Blick Europas verstärkt auf der Sicherheit Polens im transatlantischen Geflecht. Dies beleuchtet der Politikwissenschaftler Kai-Olaf Lang in seinem Vortrag mit dem Titel “Polens Sicherheits- und Außenpolitik zwischen Brüssel und Kiew – neue Macht in Europa?”
Friedrich Lürßen scheidet aus dem Vorstand des Bundesverbands der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) aus. Das gab Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius auf dem Parlamentarischen Abend des BDSV am Donnerstag in Berlin bekannt und dankte dem ersten Präsidenten des 2009 gegründeten Interessensverbandes für seine Arbeit. Lürßen ist Geschäftsführender Gesellschafter der Lürssen Maritime Beteiligungen GmbH & Co. KG und bekleidete im BDSV zuletzt das Amt des Schatzmeisters. Vor seiner Zeit beim BDSV war er unter anderem Vorsitzender des Ausschusses Verteidigungswirtschaft im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).
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Die Militärregierung von Abdourahmane Tiani hat ihre Macht seit dem Putsch am 26. Juli stetig ausgebaut, indem sie Vertraute an allen Schaltstellen des Staates installiert hat. Die Generäle halten den gestürzten Präsidenten Mohamed Bazoum als Geisel, um eine Militärintervention des westafrikanischen Blocks Ecowas zu verhindern.
Viele Menschen unterstützen die Putschisten, weil diese die unbeliebten Truppen der früheren Kolonialmacht Frankreich aus dem Land geworfen haben. Die lange Weigerung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die Soldatinnen und Soldaten abzuziehen, hat die Popularität der Junta dann nochmals gesteigert.
Doch die scheinbare Stabilität in Niger trügt. Die Wirtschaft liegt am Boden und die Inflation steigt rasant, weil Ecowas die Grenzen geschlossen hat. Das Binnenland ist vollständig auf Lebensmittelimporte aus dem Ausland angewiesen. Schlimmer noch: Die Sicherheitslage verschlechtert sich von Tag zu Tag, weil die Militärregierung Truppen in der Hauptstadt Niamey und an der Grenze zu Niamey zum Eigenschutz zusammengezogen hat.
Sie fehlen jetzt im Grenzgebiet zu Mali und Burkina Faso. Frankreich und Europa haben zudem die Unterstützung wie Training und Ausrüstung der Armee suspendiert. Die Folge: Dschihadisten expandieren und verstärken ihre Angriffe. Das ist bitter, weil Niger in den vergangenen Jahren im Gegensatz zu Burkina Faso und Mali Fortschritte bei der Bekämpfung von Dschihadisten gemacht hatte.
Die Europäische Union ist sich uneins, wie sie mit der neuen Regierung umgehen will. Länder wie Italien wollen die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Armutsmigration und Hilfsprojekten wiederaufnehmen. Sie fürchten – vermutlich zurecht – mehr Armutsmigranten nach Europa, sollte die Junta einen 2015 von der Vorgängerregierung geschlossenen Pakt aufkündigen.
Damals hatte Niger die Haupttransitroute von Subsahara-Afrika nach Libyen gestoppt und damit Migration auf der Mittelmeerroute reduziert. Als Gegenleistung bekam das bitterarme Land Milliardenhilfen von EU-Ländern, die jetzt gestoppt sind. Im früheren Schmugglerhub Agadez im Norden Nigers haben Tausende Menschen damals ihre Jobs verloren, weil es außer dem Menschenschmuggel kaum Alternativen gibt. Sie werden jetzt Druck auf die Junta ausüben, die Route wieder zu öffnen.
Bisher folgt die EU noch der Hardline-Linie Frankreichs, das den Verlust seines wichtigsten Sahelverbündeten Bazoum nur schwer verkraftet. Paris lehnt jede Gespräche mit den Putschisten ab und war auch federführend bei einem Sanktionspaket gegen die Junta, dass die EU jetzt auf den Weg bringt. Bisher gibt es nur informelle Gespräche einzelner EU-Länder. Deutschland hat – ähnlich wie bei vielen Konflikten von Afghanistan bis Mali – wieder einmal keine eigene Strategie und folgt im Falle Niger Frankreichs Linie.
Das ist riskant, weil andere Akteure wie Russland und Iran sich als neue Partner anbieten. Moskau bietet Stipendien für ein Russland-Studium sowie eine militärische Zusammenarbeit wie mit dem Nachbarn Mali an – dort sind seit Anfang 2022 russische Söldner im Einsatz. Russlands Verbündete Mali und Burkina Faso umwerben Niger bereits im Auftrag Moskaus. Iran wird seine Drohnen anbieten, die Russland im Ukrainekrieg einsetzt.
Für Europa schlägt jetzt die Stunde der Realpolitik. Selbst Bazoums Anhänger rechnen nicht mehr mit seiner Rückkehr. Sollte er per Militärintervention wiedereingesetzt werden, würde ihm endgültig der Ruf anhängen, vom Ausland abzuhängen. Der nächste Putsch wäre vorprogrammiert. Deutschland und Europa sollten auf Ecowas einwirken, Gespräche mit der Junta über eine Transition aufzunehmen.
Die Generäle haben EU-Diplomaten signalisiert, dass sie mit Europa (mit Ausnahme Frankreichs) weiter kooperieren wollten. Deutschland sollte auch mit Frankreich reden, sich den neuen Realitäten in Niger nicht zu verschließen. Wenn wir Niger vollständig boykottieren, wird ein weiteres Land im Sahelraum an Russland fallen – mit fatalen Folgen: Moskau würde mehr Migration via Niger Richtung Nordafrika begrüßen, um Druck auf Europa auszuüben.
Ulf Laessing ist Leiter des Regionalprogramms Sahel der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Bamako (Mali).