Table.Briefing: Security

Indiens Nähe zu Russland + Neue Gefahr aus Afghanistan

Liebe Leserin, lieber Leser,

kann Indien alles haben – gute Beziehungen zu Russland, zur Ukraine und dem Westen, sowie einen ernstzunehmenden Platz in der Rangordnung der Welt? Premierminister Narendra Modi wird es versuchen und bei seinem Besuch heute in Kiew auf Ausgleich bedacht sein, wie Nimish Swant schreibt.

Florian Westphal, Geschäftsführer von Save the Children Deutschland, mahnt im Interview mit Markus Bickel einen Waffenstillstand im Gazastreifen an. 700.000 Menschen stehen kurz vor einer Hungersnot, Kinder sind besonders betroffen. Und er lenkt den Blick auf den vergessenen Konflikt im Sudan.

In den News fassen wir für Sie die aktuellen Entwicklungen um die Strategie der Bundesregierung für die Rüstungsindustrie zusammen, die sich höchstwahrscheinlich verzögert.

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Lisa-Martina Klein
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Analyse

Modi in Kiew: Erste Schritte zu einer neuen Beziehung

Primerminister Donald Tusk empfängt seinen Amtskollegen Narendra Modi in Warschau, bevor Modi weiter nach Kiew reist.

“Indien ist zu jeder Unterstützung bereit, die den Ukraine-Konflikt im Gespräch mit befreundeten Staaten zu beenden hilft” – Kiew dürfte diese Worte des indischen Premier Narendra Modi gerne gehört haben. Auch wenn Modi von einem Konflikt und nicht von einem Krieg sprach. Er sagte das am gestrigen Donnerstag bei seinem Besuch in Polen. Von Warschau aus brach er nach Kiew auf.

Es wird der erste Besuch eines indischen Staatsoberhaupts in der Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit sein. Angesichts der aktuellen geopolitischen Lage ist Modi einer der wenigen Staatschefs, die seit Beginn des Kriegs im Februar 2022 sowohl Russland als auch die Ukraine besuchen.  

Am 8. Juli traf Modi auf der ersten Auslandsreise in seiner dritten Amtszeit in Indien mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammen – sehr zum Ärger des Westens und besonders des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Modis Russland-Besuch fiel mit dem Sondergipfel in Washington anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Nato zusammen, an dem auch Selenskyj teilnahm.

Modi: “Versichere, dass Indien für den Frieden eintritt”

Fotos, auf denen Modi Putin umarmt, lösten im Westen heftige Kritik aus. Das Treffen fiel auch mit dem Tag zusammen, an dem bei einem russischen Angriff in der Ukraine 37 Menschen getötet wurden, was Selenskyj zu dem Tweet veranlasste: “Es ist eine große Enttäuschung und ein verheerender Schlag für die Friedensbemühungen, dass der Anführer der größten Demokratie der Welt den blutigsten Verbrecher der Welt an einem solchen Tag in Moskau umarmt.” 

Zwar hat Indien Russland nie offen kritisiert und sich bei Abstimmungen über UN-Resolutionen zum Russland-Ukraine-Krieg enthalten. Doch das bedeutet nicht, dass Neu-Delhi den Krieg unterstützt. Indien hatte bei seiner Stimmenthaltung in der UN am 25. Februar 2022 zur “Achtung der Souveränität und territorialen Integrität der Staaten” aufgerufen. Während seines Besuchs in Moskau rief Modi zum Frieden auf und sagte: “Eine Lösung ist auf dem Schlachtfeld nicht möglich. Indien ist bereit, bei der Wiederherstellung des Friedens Unterstützung zu leisten. Ich versichere Ihnen und der Weltgemeinschaft, dass Indien für den Frieden eintritt.”  

“Strategische Autonomie” 

Indien betont sein Bedürfnis nach “strategischer Autonomie” in seiner Außenpolitik. In diesem Fall liegen die Interessen Indiens auf der Hand: seine historischen Beziehungen zu Russland zu respektieren und gleichzeitig sicherzustellen, dass China die geopolitische Lage nicht ausnutzt. Die zunehmende Annäherung zwischen Russland und China ist für Indien, das 2020 Grenzscharmützel mit China hatte, ein Grund zur Sorge.  

Nach den Sanktionen gegen russische Ölverkäufe auf dem Weltmarkt stieg der Anteil der indischen Rohöleinfuhren aus Russland von weniger als fünf Prozent auf jetzt rund 40 Prozent. Doch der bilaterale Handel zwischen Indien und Russland in Höhe von 65 Milliarden US-Dollar verblasst im Vergleich zum bilateralen Handel zwischen Russland und China in Höhe von über 240 Milliarden US-Dollar.   

Laut Harsh Pant, Vizepräsident für Außenpolitik-Analysen bei der Observer Research Foundation (Thinktank in Neu-Delhi), hätten westliche Regierungen mehr Verständnis für Indiens Position als westliche Medien. “Einige westliche Gesprächspartner sagen Indien, es sollte die Dinge anders machen. Aber wenn der westliche Druck funktionieren würde, hätte Indien nicht die unabhängige Position eingenommen, die es bisher innehat. Unmittelbar nach Beginn des Kriegs war der Druck auf Indien viel größer. Heute ist der Westen in dieser Frage uneins”, sagte Pant. 

Kiews Kritik an Neu-Delhi ist leiser geworden  

Modi besucht Indien rund um den ukrainischen Unabhängigkeitstag am 24. August. Viel Einfluss auf die Beziehungen zwischen Indien und Russland habe das aber nicht, sagt Pant. Denn die Lösung des Konflikts werde nicht durch einen einzigen Besuch beeinflusst.  

“Indien gleicht beide Seiten in diesem Konflikt aus, und der Besuch von Premierminister Modi in der Ukraine ist eine Fortsetzung dieses Trends. Auch Russland ist an guten Beziehungen zu Indien interessiert, da es in seinen Beziehungen zu China nicht als Juniorpartner gesehen werden möchte”, sagte Pant.  

Die Ukraine kritisierte die neutrale Haltung Indiens im Krieg in der Vergangenheit. So hatte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba im Jahr 2022 – als Indien nach den westlichen Sanktionen begann, russisches Öl verbilligt zu kaufen – erklärt, dass in jedem Barrel russischen Rohöls, das Indien kauft, “eine gehörige Portion ukrainisches Blut steckt”. Doch Kuleba besuchte Indien im März dieses Jahres (der erste Besuch eines ukrainischen Außenministers seit sieben Jahren) und bezeichnete Indien als “wichtige Weltmacht mit einer starken internationalen Stimme”. 

Modi hat mit Selenskyj telefoniert und ihn seit Beginn des Kriegs zweimal außerhalb der Ukraine getroffen. Das letzte Mal trafen sich beide Politiker am Rande des G7-Gipfels im Juni in Italien. 

Indien will aus alter Verbundenheit Moskau nicht brüskieren 

Indiens Haltung ist nicht zuletzt mit den indisch-sowjetischen, indisch-russischen Beziehungen zu erklären. In Zeiten des Kalten Kriegs stand die Sowjetunion Indien zur Seite, als der Westen Indien etwa den Zugang zu Spitzentechnologie verwehren wollte. “1971, während des Kriegs zwischen Indiens und Pakistan, schickte die US-Marine ihre siebte Flotte zur Unterstützung Pakistans in den Golf von Bengalen. Es war die Sowjetunion, die ihr Vetorecht nutzte, um Indien in der UN zu unterstützen. Die Sowjetunion kam Indien auch in Bezug auf kritische Technologien zu Hilfe, als der Westen China aufbaute“, erläuterte Pant. Dies war möglich, weil Indien und die Sowjetunion 1971 einen Vertrag über Frieden, Freundschaft und Zusammenarbeit unterzeichnet hatten.

Nach dem Zusammenbruch der UdSSR wurde 1993 der Vertrag über indisch-russische Freundschaft und Zusammenarbeit unterzeichnet. In den 1970er-Jahren betrachteten die USA und ihre westlichen Verbündeten Indien als “non-player”. Moskau schätzte das anders ein und war unter anderem ein verlässlicher Lieferant sowjetischer und russischer Waffen (über 70 Prozent in den 1990er-Jahren). Selbst wenn Indien seine Beschaffung von Verteidigungsgütern jetzt diversifiziert, kommen immer noch fast 60 Prozent der Waffen aus Russland.

Es liegt nicht in Indiens Interesse, sich von Russland abzuwenden und es weiter isolieren. Denn das würde Russland näher an China heranführen.  “Heute ist Indien ein Partner des Westens, aber die Herausforderung durch China ist für Indien noch allgegenwärtig. Es ist eines der wenigen Länder, dessen Streitkräfte gegen die chinesischen Streitkräfte aufgebaut sind, und es ist ein Frontstaat im chinesischen Expansionismus. Indien kann sich zum Teil dank der Verteidigungsunterstützung durch Russland behaupten”, sagt Pant. 

Für den Westen ist Indien in einer Zeit, in der China auf dem Vormarsch ist und immer stärkere Bande zu Moskau knüpft, ein wichtiger Partner – trotz seiner Haltung zum russisch-ukrainischen Krieg. Modis Besuch in Kiew kann geopolitisch positiv und ausgleichend wirken. Von Nimish Swant

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Kinder in Kriegsgebieten: “Für sie bricht eine Welt zusammen”

Florian Westphal ist Geschäftsführer von Save the Children Deutschland.

Herr Westphal, mehr als 600.000 Kinder im Gazastreifen sind seit Oktober 2023 nicht mehr in die Schule gegangen. Was bedeutet das für die Kinder?

Zunächst einmal den Zusammenbruch der vertrauten Welt – das heißt keinen Kontakt mehr mit den Freunden, mit den Klassenkameradinnen, keine Freude am Lernen mehr. Damit verbunden ist eine noch viel unsichere Zukunft, als sie Kinder im Gazastreifen schon vor dem aktuellen Krieg vor sich hatten. Schule bedeutete hier ja auch ein Zeichen für Sicherheit, weil sie die Möglichkeit bot, zumindest einen kleinen Zugang zum Rest der Welt zu bekommen, wenn man schon physisch nicht ausreisen konnte aufgrund der Abschottung des Gebiets.

Was muss passieren, damit die Kinder wieder zur Schule gehen können?

Ein Waffenstillstand muss her. Einerseits, um den Kindern zu helfen, andererseits, um eine Hungersnot zu verhindern. Mehr als 700.000 Menschen befinden sich auf der Stufe unmittelbar darunter, viele Kinder sind bereits an den Folgen von Mangelernährung wie Atemwegs- und Verdauungskrankheiten, nicht an schweren Erkrankungen, gestorben, einfach, weil es ihnen an Kraft fehlte. Hinzu kommen die psychischen Auswirkungen aufgrund all des Horrors, den sie erleben. Um da helfen zu können, muss mehr Personal und Material nach Gaza kommen – das geht nur bei einem Waffenstillstand.

Was sind die schlimmsten Folgen von Mangelernährung bei Kindern?

Die Schäden, die dadurch entstehen, sind oft bleibend. Es geht ja nicht nur darum, ausreichend Kalorien zu sich zu nehmen, sondern auch Vitamine und Spurenelemente, was bei einseitigen Nahrungsmittelhilfen wie Reis oder Mehl oft nicht gegeben ist. Die Kinder können dann schwerer lernen, ihre physische und mentale Entwicklung wird nachhaltig geschädigt, insbesondere, wenn es zu Mangelernährung im frühkindlichen Stadium kommt.

Lässt sich die humanitäre Situation im Gazastreifen mit der im Sudan vergleichen?

Insbesondere, was den Hunger betrifft, muss man leider sagen, ja. Inzwischen ist die Hälfte der Bevölkerung davon betroffen. Was Sudan von Gaza unterscheidet, ist das Medieninteresse. Der Blick der Öffentlichkeit richtet sich auf den Konflikt mit Israel, und selbst wenn der Zugang für Journalisten schwer ist, dringen über Hilfsorganisationen und die sozialen Medien viele Informationen nach draußen. Im Sudan ist das anders, dieses riesige Land ist größtenteils von der Welt völlig abgeschottet. Hinzu kommt, dass Konflikte in Afrika meist weniger mediale Sichtbarkeit erhalten als der im Nahen Osten oder in der Ukraine. 

Seit der Machtübernahme der Taliban und dem Abzug der Bundeswehr im August 2021 gilt das auch für Afghanistan.

Deshalb ist es so wichtig, dass Save the Children und andere Hilfsorganisationen trotz dieser 180 Grad-Wende im Land geblieben sind. Die Menschen dort brauchen unsere Hilfe. Das Land ist zwar deutlich sicherer als es vor drei Jahren war, steckt aber in einer massiven Wirtschaftskrise. Und es ist eines der fünf Länder weltweit, das am schwersten von der Klimakrise und ihren Folgen betroffen ist. Unter diesen Umständen ist es umso wichtiger, dass wir mit afghanischen Kolleginnen und Kollegen gemeinsam helfen können, kleine Fortschritte zu erreichen, etwa bei der Gesundheitsversorgung und Grundschulbildung für Kinder – für Jungen wie für Mädchen. Eine dauerhafte Lösung ist das aber nicht – humanitäre Organisationen können fehlende politische Verbindungen nicht ersetzen, und humanitäre Hilfe ist kein Ersatz für die Sicherstellung der Grundversorgung der Bevölkerung an Gesundheit und Bildung.

Das heißt, Sie sprechen sich für eine Fortsetzung der Entwicklungszusammenarbeit mit den Taliban aus?

Entwicklungszusammenarbeit hat ja zum Ziel, Menschen zu helfen, nicht Regimes zu stabilisieren. Dass dazu Kontakte mit Offiziellen nötig sind, liegt auf der Hand – da ist Afghanistan kein Einzelfall. Immer im Vordergrund stehen muss aber das Interesse der Bevölkerung und deren Rechte. Deshalb muss es rote Linien geben bei der Zusammenarbeit, etwa, wenn es um die Einhaltung von Frauenrechten geht oder darum, dass Mädchen Zugang zu Bildung haben müssen. Wenn sich internationale Geber darüber verständigen, könnte man nicht nur den Kindern in Afghanistan, sondern der Bevölkerung insgesamt besser helfen als das momentan mit humanitärer Hilfe allein möglich ist.

Die Kürzungen der deutschen Entwicklungshilfe belaufen sich laut vorliegendem Haushaltsplan für 2025 auf mehr als acht Prozent gegenüber diesem Jahr. Wie kann dann überhaupt noch an so vielen Krisenherden geholfen werden?

Das bedeutet konkret, dass zwar immer noch viel, aber deutlich weniger Hilfe möglich sein wird. Dass ein so wichtiger Geber wie Deutschland sich zunehmend aus der Entwicklungshilfe zurückzieht, ist unserer Meinung nach die völlig falsche Antwort auf die Notlagen in der Welt, wo ja nicht nur Kinder aufgrund von Konflikten und der Klimakrise extreme Not erleiden, sondern die Zahl von Geflüchteten und intern Vertriebenen insgesamt drastisch zugenommen hat. Andere Länder werden sich das Verhalten Deutschlands bei Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe deshalb sehr genau anschauen.

Florian Westphal ist Geschäftsführer von Save the Children Deutschland.

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Schießbaumwolle: Warum Europa ausgerechnet China für mehr Munition braucht

Es gibt viele unterschiedliche Sichtweisen auf den Krieg in der Ukraine. In einem Punkt sind sich jedoch fast alle Experten einig: Die Ukraine braucht für ihre Verteidigung dringend mehr Munition. Während die Hilfe aus den USA wegen des Wahlkampfes aktuell unsicher ist, will Europa liefern – und baut dafür sogar neue Produktionsstätten.

Neben Munitionsfabriken fehlt es dazu allerdings auch am nötigen Rohstoff für Munition, der sogenannten Schießbaumwolle. Das Problem: Europa ist zu einem Großteil abhängig – ausgerechnet von dem mit Russland so eng verbündeten China.

Aus der Volksrepublik importieren die europäischen Hersteller einen unabdingbaren Bestandteil für Munition – Cellulosenitrat, umgangssprachlich auch Nitrocellulose oder Schießbaumwolle genannt – beziehungsweise dessen Vorprodukt Linter-Baumwolle.

Rund 70 Prozent der Schießbaumwolle stammt aus China

Linters sind Baumwollfasern, die zu kurz sind zum Verspinnen. Auf der Internetseite des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall heißt es: “Für militärische Anforderungen wird eine gleichmäßig nitrierte Nitrocellulose aus gebleichter Linters-Baumwolle benutzt oder alternativ Mischungen aus zwei bis drei verschiedenen nitrierten Nitrocellulose Typen.”

Nun verfügt Europa aber nur über eine sehr kleine Baumwollindustrie – im Gegensatz zu den USA. Die EU muss also im Ausland einkaufen. Europa importiere rund 70 Prozent dieser Fasern aus China, räumte Rheinmetall-Chef Armin Papperger unlängst in der britischen Zeitung “Financial Times” ein. Seine Befürchtung: China könnte die Lieferung von Lintern jederzeit aus politischen Gründen stoppen.

Das ist kein völlig abwegiger Gedanke. Immer wieder setzt China gezielt seine Handelsmacht ein, um politische Ziele durchzusetzen. Mal werden bestimmte Produkte nicht mehr exportiert, mal schlicht nicht mehr importiert. Länder wie Südkorea, Japan, aber auch Litauen oder Frankreich können von solchen Vorgängen berichten.

Drei Vorhaben könnten auf dem Prüfstand stehen

Auch die Bundesregierung hat die Gefahr möglicher Beschränkungen erkannt und klar in ihrer China-Strategie benannt. Die Lösung: De-Risking. Doch nun droht eine Art mehrfacher Treppenwitz der Geschichte. Denn um das Munitionsproblem schnell zu lösen, muss der Westen gleich drei seiner Vorhaben gegenüber China aufgeben – zumindest vorübergehend.

  • Politik: Eigentlich drängt der Westen darauf, dass China sich als Partner des russischen Aggressors aus dem Krieg heraushalten möge. Nun ist man aber darauf angewiesen, dass China sich mehr engagiert – und durch seine Lieferungen die europäische Waffenindustrie am Laufen hält. 
  • Wirtschaft: Eigentlich will der Westen – vor allem Deutschland mit seiner eigenen China-Strategie – nicht mehr so viel und so einseitig aus China kaufen. Nun aber braucht man dringend die Rohstoffe für Munition.
  • Menschenrechte: Eigentlich will der Westen chinesische Produkte aus der Provinz Xinjiang meiden, da man nur schwer überprüfen kann, ob sie nicht mithilfe von Zwangsarbeit entstanden sind. Doch just aus Xinjiang stammt ein Großteil der chinesischen Schießbaumwolle.

Keine Zeit für De-Risking

Aber De-Risking ist ein Prozess, der Zeit braucht. Etwas, das Europa im Fall der fehlenden Munition nicht hat. Als “dramatisch” bezeichnete denn auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell die Lage. Der Ukraine gehe an der Front die Munition aus, vor allem Artilleriegeschosse, warnte Borrell. Und die EU könne nicht im Entferntesten die Mengen an Munition liefern, die sie eigentlich versprochen hatte.

Nun ist der Plan, die Produktion der wichtigsten Nato-Artilleriekaliber bis Ende 2024 auf 1,5 Millionen Stück pro Jahr zu erhöhen. Dafür sollen zügig Munitionsfabriken gebaut werden. Bundeskanzler Olaf Scholz übernahm eigens den Spatenstich einer Rheinmetall-Fabrik in Niedersachsen, Wirtschaftsminister Robert Habeck prüft kürzere Genehmigungsverfahren. Aber das alles kostet nicht nur Zeit. Sondern es braucht eben auch die nötigen Rohstoffe aus China.

Gefahr unsicherer Lieferungen aus China

Und da drohen laut Papperger eben Probleme, falls Peking entscheiden sollte, nicht mehr liefern zu wollen. “Das ist der Grund, dass wir derzeit so viel kaufen wie möglich, um unsere Lager zu füllen”, sagte der Rheinmetall-Chef der FT. Bislang würden die Lieferungen aus China zwar eintreffen. “Der Punkt ist aber, dass Europa langfristig unabhängig sein sollte”, warnt der Rheinmetall-Chef.

Anderorts werden schon jetzt Lieferprobleme beklagt. So berichtete unter anderem EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton von ersten Importproblemen. Die Lieferung von Baumwoll-Lintern aus China sei “vor ein paar Monaten wie zufällig” eingestellt worden, sagte Breton. Mitte August setzte Peking zudem das häufig in Munition und anderen militärischen Anwendungen verwendete Metall Antimon unter Exportkontrollen, ähnlich jenen für die Metalle Gallium und Germanium, für deren Ausfuhr chinesische Exporteure seither Lizenzen beantragen müssen.

Chinesische Experten räumen in der Hongkonger Zeitung South China Morning Post ein, dass China durchaus Spielraum habe, aus geopolitischen Gründen den Export von Nitrozellulose zu reduzieren – fügen aber sofort hinzu, dass die Führung in Peking dies jedoch nicht als Druckmittel einsetzen werde.

Problemfall Xinjiang

EU-Binnenmarktkommissar Breton bringt die aktuelle Lage ernüchtert auf den Punkt: “Um das Pulver herzustellen, benötigen wir einen speziellen Typ von Baumwolle, und das meiste davon kommt aus China.” Doch von wo in China? Hier liegt schon das nächste Problem. Nahezu 90 Prozent der chinesischen Baumwolle stammt aus der Provinz Xinjiang, wo die muslimische Minderheit der Uiguren unterdrückt wird.

Adrian Zenz ist durch seine Xinjiang-Forschung berühmt geworden. Einst deckte er das umfassende chinesische Lagersystem in der Region auf. Nun warnt der Wissenschaftler der Victims of Communism Memorial Foundation in Washington, dass Hunderttausende Uiguren zwangsweise in Xinjiangs Baumwollindustrie tätig sind.

Im Kampf gegen Zwangsarbeit versucht der Westen mittels entsprechender Lieferkettengesetze sicherzustellen, dass solche Waren nicht mehr in Europa oder den USA verkauft werden. Und so steht Europa vor einem politischen und einem wirtschaftlichen, auch noch vor einem moralischen Dilemma: Um schnell Munition für die Ukraine herstellen zu können, braucht man chinesische Linter-Baumwolle. Aber es ist fast unvermeidlich, dass in China produzierte Nitrozellulose letztendlich aus Xinjiang geliefert wird.

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Die entscheidenden Köpfe der sicherheitspolitischen Community – Verbände und Organisationen

Von

André Wüstner – Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbands

Als Oberst André Wüstner 2013 zum Vorsitzenden des Bundeswehrverbands gewählt wurde, war er der erste in dieser Funktion mit aktiver Einsatzerfahrung: Der 50-Jährige war als Panzergrenadier im Kosovo und in Afghanistan und sammelte Erfahrung in verschiedenen Stabs- und Führungspositionen. Er kennt die marode Bundeswehr und zögert nicht, klare Worte zu finden. So forderte er im April dieses Jahres ein Machtwort des Kanzlers im Streit über die weitere Finanzierung der Truppe.

Bernhard Drescher – Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Einsatzveteranen

Oberstleutnant a.D. Bernhard Drescher ist seit 2018 Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Einsatzveteranen. Sein Ziel: einen besonderen Sozialstatus für unter Einsatzfolgen leidende Veteranen zu schaffen, der auf den Grundsätzen von Betreuung, Versorgung und Identität basiert. Zudem fördert Drescher den Dialog zwischen nationalen und internationalen Einsatzveteranen und der Gesellschaft, unter anderem durch die Unterstützung der Invictus Games Foundation. Der jüngste Erfolg für die Veteranen: Die politische Einigung auf die Einführung eines Veteranentages am 15. Juni.

Sven Weizenegger – Leiter des Cyber Innovation Hub der Bundeswehr

Seit 2020 leitet Sven Weizenegger den Cyber Innovation Hub und erarbeitet mit seinem Team aus Zivilisten und Soldaten Lösungen, die zur Digitalisierung der Streitkräfte beitragen sollen. Damit soll die Bundeswehr für aktuelle Herausforderungen gestärkt werden. Zuvor arbeitete Weizenegger als IT-Spezialist bei der Deutschen Telekom und in Start-ups. Er ist ein gefragter Redner auf Events.

Silvia Petig – Vorsitzende der deutschen Sektion von Women in International Security

Silvia Petig ist Vorsitzende von WIIS.de, der deutschen Sektion von “Women in International Security” (WIIS), einer Organisation, die sich für die Sichtbarkeit und Teilhabe von Frauen in sicherheitspolitischen Fragen einsetzt. Im Verein trägt Petig maßgeblich zur strategischen Ausrichtung von WIIS.de bei. Sie ist Referentin von Siemtje Möller, Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium. Zuvor arbeitete sie unter anderem für Airbus.

Wolfgang Köpke – Präsident Förderkreis Deutsches Heer

Seit 2021 ist Generalmajor a.D. Wolfgang Köpke Präsident des Förderkreises Deutsches Heer (FKH), einer Lobbyorganisation der deutschen Rüstungsindustrie. Der FKH fördert die Interessen seiner Mitglieder gegenüber politischen Entscheidungsträgern und setzt sich für den Zugang zu nationalen und internationalen Organisationen ein. Köpke ist maßgeblich an der strategischen Ausrichtung des Vereins beteiligt.

Julia Friedlander – Geschäftsführerin der Atlantik-Brücke

Mit Julia Friedlander ist seit 2022 zum ersten Mal eine US-Amerikanerin Geschäftsführerin der Atlantik-Brücke. Zuvor arbeitete sie unter anderem als Beraterin im US-Finanzministerium sowie im Weißen Haus. Friedlander ist Expertin für transatlantische Wirtschaftsbeziehungen, EU-Wirtschaftspolitik und Finanzregulierung. Die gebürtige New Yorkerin studierte in Princeton und an der Johns Hopkins Universität.

Sabine Lackner – Präsidentin des Technischen Hilfswerks

Sabine Lackner ist seit 2023 Präsidentin des Technischen Hilfswerks (THW) und die erste Frau in dieser Position. Zuvor war sie Vizepräsidentin und hatte verschiedene Führungsrollen innerhalb der Organisation inne, insbesondere in den Bereichen Auslandsprojekte und internationale Zusammenarbeit. Lackner studierte Sprachen und Internationales Recht und arbeitete vor ihrer THW-Karriere unter anderem in Japan. Sie setzt sich für die Modernisierung und Stärkung des THW ein.

Astrid Irrgang – Geschäftsführerin des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze

Astrid Irrgang ist seit Juni 2023 Geschäftsführerin des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) in Berlin, nachdem sie die Position bereits seit September 2022 interimistisch innehatte. Zuvor war sie seit 2012 in verschiedenen Funktionen beim ZIF tätig. Irrgang ist bekannt für ihre Rolle als Vermittlerin zwischen Militärs und Zivilisten und treibt die Themen Klimasicherheit und die Rolle von Frauen in Friedensprozessen voran. Sie setzt auf Nachhaltigkeit und innovative Lösungen im Krisenmanagement.

Jürgen Kerner – Zweiter Vorsitzender der IG Metall

Jürgen Kerner ist seit Oktober 2023 Zweiter Vorsitzender der IG Metall. Der gelernte Informationselektroniker ist für Industriepolitik, Branchenarbeit, Kommunikation, Kampagnen und Mitglieder zuständig. Vor seiner aktuellen Position war er Geschäftsführer und 2. Bevollmächtigter der IG Metall in Augsburg. Kerner ist bekannt für seine klare Haltung zu aktuellen politischen Themen, einschließlich der Akzeptanz von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete im Kontext der Zeitenwende.

Manuel Atug – Gründer und Sprecher AG Kritis

Manuel Atug, manchen besser bekannt unter seinem Social-Media-Namen HonkHase, ist Gründer und Sprecher der Arbeitsgruppe Kritische Infrastrukturen (AG Kritis). Seit über 23 Jahren ist er in der Informationssicherheit tätig und zählt zu Deutschlands führenden Experten im Bereich Schutz kritischer Infrastrukturen. Die AG Kritis, gegründet 2018, ist ein unabhängiger Zusammenschluss von Fachleuten, die Sicherheitslücken analysieren und die Versorgungssicherheit der Bevölkerung verbessern wollen.

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News

Rüstungsindustrie: Mehr Ministerien reden mit, Strategie verzögert sich

Die Ausarbeitung der Rüstungsindustrie-Strategie dürfte sich weiter verzögern. Am Dienstag waren Industrievertreter im Verteidigungsministerium zusammengekommen, um ihre Anforderungen an die Strategie vorzubringen. Nach Table.Briefings-Informationen ließ Staatssekretär Benedikt Zimmer bei dem dreistündigen Treffen durchblicken, dass die Strategie nicht, wie es zunächst geheißen hatte, im September ins Kabinett gehen solle, sondern im besten Falle erst Ende Oktober.

Grund dafür sei, dass sich der Abstimmungsprozess verlängere, weil sich mehrere Ministerien in die Formulierung der Strategie einbringen wollten. Dazu dürften das Finanzministerium, das Bundesministerium für Forschung und das Auswärtige Amt gehören. Der vergangene Woche von Table.Briefings veröffentlichte Entwurf für die “Nationale Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie” sei bereits weiterentwickelt worden.

Bei der Gesprächsrunde, die vor allem ein Forum für die Anliegen der Rüstungsindustrie war, hieß es unter anderem laut Teilnehmern, dass für außereuropäische Offset-Geschäfte erste Schritte in Richtung Öffnung geprüft würden. Das war auch schon im Strategiepapier angedeutet worden. Bei anderen Staaten sehe man sich deshalb nach Vorbild-Modellen um. Teil von Rüstungsverkäufen sind häufig Gegengeschäfte, die Teile der Produktion im Empfängerland vorsehen, um auch die Wirtschaft dort zu stärken. So beschloss etwa der Bundestag den Kauf von Patriot-Lenkflugkörpern des US-Herstellers Lockheed Martin – im Gegenzug findet die Endmontage im bayerischen Schrobenhausen statt.

In der Rüstungsindustrie klagt man dennoch darüber, dass Nicht-EU-Länder beim Kauf deutscher Waffen und Rüstungsgüter Offset-Forderungen stellten, während Deutschland das bei außereuropäischen Waffenkäufen nicht tue.

Die Strategie soll der Industrie insbesondere bessere Planbarkeit bei der Produktion ermöglichen. Dies ist ein zentraler Kritikpunkt der Branche an der deutschen Beschaffungspolitik. bub/wp

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FNF-Studie: Wie die Informationskontrolle der Taliban den Westen gefährdet

Vor drei Jahren übernahmen die Taliban wieder die Macht in Afghanistan. Ein Papier der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung beschreibt nun, wie der Zugang zu Informationen für die Bevölkerung seither radikal eingeschränkt wurde, und welche Auswirkungen dies auf die humanitäre Situation im Land hat und auf die westliche Sicherheit haben könnte.

Es fehlten unter anderem Informationen darüber, wie die Taliban ihre Beziehungen zu anderen Terrororganisationen wie Al-Qaida und ISIS ausgebaut haben, schreiben die Autoren Haroon Mutasem und Salim Amin. Insbesondere Akteure wie Russland, China und der Iran würden davon profitieren, wenn diese anti-westlichen Gruppen gestärkt werden. Die Autoren verweisen auf die mangelnde Transparenz bei wirtschaftlichen Abkommen – etwa mit chinesischen Unternehmen – oder russische Einladungen von Taliban-Mitgliedern zu Wirtschaftsforen.

Diesen wirtschaftlichen Einfluss könnten die anti-westlichen Kräfte nutzen, um eine Stellvertretergruppe zu schaffen, ähnlich der Hisbollah im Libanon. “Im Gegensatz zur Hisbollah könnte eine solche Gruppe eine umfassendere Bedrohung für westliche Werte und die internationale Ordnung darstellen”, so die Autoren.

Fehlende Informationen verstärken die humanitäre Krise

Liberale Demokratien wie die USA und Deutschland müssten diese Bedrohung erkennen und die Taliban isolieren. Auch der Schutz unabhängiger Journalisten im Exil und die Verbesserung der digitalen Infrastruktur und des Internetzugangs im Land könnten helfen, Taliban-Beschränkungen zu umgehen.

Das Recht auf Informationszugang wurde in Afghanistan durch die Rückkehr der Taliban 2021 schwer beeinträchtigt. Die Analyse verweist auf eine Bewertung der Organisation Freedom House, nach der das Land in Bezug auf eine offene und transparente Regierungsführung mit null von vier Punkten bewertet wurde. Es gibt keine unabhängigen Medien und Informationen werden nur sehr kontrolliert veröffentlicht.

Vor 2021 hatte Afghanistan sich mit Blick auf den Informationszugang positiv entwickelt. Trotz Herausforderungen bei der Umsetzung, unter anderem durch mangelnden politischen Willen oder Korruption, hatte sich dadurch langsam eine Kultur der Transparenz und Offenheit entwickelt. Der fehlende Zugang zu Informationen “verschärft […] nicht nur die humanitäre Krise, sondern wirkt sich auch negativ auf die Koordinierung der internationalen Hilfe aus und untergräbt die auf Regeln basierende internationale Ordnung”, heißt es in dem Papier. wp

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Verfolgung von Kriegsverbrechen: Kiews Pläne werfen juristische Fragen auf

Nach der Zustimmung des ukrainischen Parlaments, das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zu unterzeichnen, erntet die Ukraine viel Lob. Doch eine vorgesehene Ausnahmeregelung kann neue Probleme schaffen.

Die Grünen-Politikerin Katja Keul, Staatsministerin im Außenministerium sagte Table.Media: “Ich freue mich sehr, dass Regierung und Parlament sich trotz des laufenden Krieges zur Ratifikation des Rom Statuts durchringen konnten. Das ist ein starkes Signal im Kampf gegen die Straflosigkeit von Völkerrechtsverbrechen. Annalena Baerbock hat sich fortlaufend für den Beitritt eingesetzt und
wir werden unsere Bemühungen fortsetzen, dass künftig auch der Angriffskrieg selbst vor dem Völkerstrafgerichtshof angeklagt werden kann. Nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts ist der Weg zum Frieden.”

Die Völkerrechtsexpertin am European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), Isabelle Haßfurther, begrüßt die Entscheidung der Rada zwar. Doch sie verweist auch auf einen problematischen Aspekt: Bislang sei es dem Gericht möglich, wegen aller mutmaßlich auf dem Gebiet der Ukraine begangenen Völkerstraftaten zu ermitteln, weil die Ukraine bereits 2014 und 2015 in ad-hoc-Anerkennungen die Gerichtsbarkeit des IStGH akzeptiert habe.

Die Ukraine will nun aber, dass ihre eigenen Staatsbürger in Bezug auf mögliche Kriegsverbrechen für sieben Jahre von der Strafverfolgung des IStGH verschont bleiben und nutzt dafür Artikel 124 des Statuts. “Dieser sieht zwar diese Ausnahme vor, aber es ist nicht klar, ob sie sich nur auf Staatsbürger beziehen kann und nicht auch auf das Staatsgebiet. Je nachdem, wie das Gericht dies auslegt, könnten auch die ab dem Zeitpunkt des Beitritts begangenen Kriegsverbrechen russischer Soldaten in der Ukraine nicht verfolgt werden.” hbu, vf

  • Ukraine

Must-Reads

The Japan Times: Sea lane fears drive German military’s Asian engagement, navy chief says. Marinechef Jan Christian Kaack sieht das verstärkte militärische Engagement Deutschlands im Indopazifik als Signal gegen Chinas Expansionsbestrebungen. Er betont die globale Bedeutung der Region für Deutschlands Sicherheit.

Süddeutsche Zeitung: Weltall – Ausweitung der Kampfzone. Der Weltraum wird zunehmend als militärische Kampfzone betrachtet. Alleine wird sich Deutschland nicht behaupten können und muss für die Aufrüstung und Technologien auf die Zusammenarbeit mit Partnern vertrauen.

ICDS: Does Russia want to revise its water border with the Nordic and Baltic states? Was führt Russland in der Ostsee im Schilde? Dieser Aufsatz vom estnischen International Centre for Defence and Security vertritt die These, dass Putin womöglich den Grenzverlauf im Baltikum revidieren will. Dagegen helfen würde eine bessere Kooperation westlicher Staaten, so der Autor Nurlan Aliyev.

Bloomberg: Flexing its Muscle, Turkey Is Spreading Its Influence in Africa. Öl und andere Bodenschätze, Absatzmarkt für Drohnen, Konsummarkt – die Türkei weitet ihre Aktivitäten in Afrika aus, besonders im Fokus dabei ist Somalia. Eine gute Übersicht über den wachsenden türkischen Einfluss auf dem Kontinent.

Thread: Abfangrate russischer Raketen und Drohnen über der Ukraine. Am gestrigen Donnerstag legte das ukrainische Verteidigungsministerium Zahlen vor, die zeigen, wie erfolgreich die Abwehr russischer Raketen- und Drohnenangriffe ist. Die Abfangrate liegt zwischen 67 Prozent und 0,63 Prozent. Vor allem Iskander- und modifizierte S-300- und S-400-Raketen sind ein Problem.

Standpunkt

Leitlinien: Bundesregierung darf sich im Indopazifik nicht zurücklehnen

Von Adrian Haack
Adrian Haack leitet das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Neu-Delhi.

Indien war die letzte von fünf Stationen, die die Luftwaffe im Rahmen der Verlegeübung “Pacific Skies” im August angeflogen ist. Bei der gemeinsamen Übung sollten die Luftstreitkräfte voneinander lernen und eine Arbeitsbeziehung verfestigen.

Für die Marine sind quasi-diplomatische Missionen nichts Ungewöhnliches. Mit “Pacific Skies” war nun die Luftwaffe im Indopazifik in dieser Rolle unterwegs. Indische Jets und deutsche Eurofighter trainierten zusammen im Himmel über Tamil Nadu. Die Luftwaffe präsentierte ein modern ausgerüstetes und Indien zugetanes Deutschland. Der Inspekteur der Luftwaffe, General Ingo Gehartz, unterstrich durch seine persönliche Teilnahme die Wichtigkeit des gemeinsamen Manövers und repräsentierte Deutschland mit seiner authentischen Art in bester Weise.

Dass man zusammen mit Frankreich und Spanien ein europäisches Gesicht zeigte, ist durchdacht. Vielleicht hätte noch ein Parlamentarischer Staatssekretär oder ein Minister anreisen können, aber das wäre die Kür gewesen. Mission erfolgreich. So weit, so gut.

Bundeswehr kann Politik nicht ersetzen

Die Luftwaffe erfüllt ihren Auftrag, aber am Ende des Tages kann sie nicht die Politik ersetzen. Nun hat man in Indien die Botschaft platziert, dass man das Land als Partner wahrnimmtaber was folgt nun daraus? Für Indien muss Deutschland – wie für viele andere Staaten auch – die Frage beantworten, wie der in den Indopazifik-Leitlinien erwähnte “Ausbau sicherheits- und verteidigungspolitischer Kooperation” umgesetzt wird.

In dem Papier werden die Entsendung von Verbindungsoffizieren und “verschiedene Formen der maritimen Präsenz” erwähnt. Da ist die ebenfalls aufgeführte Teilnahme an Foren noch die gewichtigere Form der Softpower. Der rüstungspolitische Ansatz in den Indopazifik-Leitlinien äußert sich in der dreizehnfachen Nennung von Rüstungskontrolle. 

Indopazifik-Leitlinien nicht mehr zeitgemäß

Natürlich war der öffentliche Diskurs rund um Sicherheitspolitik im Jahr 2020, als die Indopazifik-Leitlinien herauskamen, noch völlig anders. Öffentlichkeit, Medien und Bundesregierung haben sich im Jahr 2022 mit Ausbruch des Krieges Russland gegen die Ukraine aus dem Elfenbeinturm herausgewagt und schließlich Kampfpanzer in ein Kriegsgebiet geliefert, nachdem die Bundesverteidigungsministerin bei ein paar Helmen gestartet war. Das war ein unnötig langer Prozess, für den die Ukrainer den Preis bezahlen mussten.

Deutschland muss sicherheitspolitisch endlich erwachsen werden. Kann man ernsthaft argumentieren, dass der Sicherheitsaspekt in den Indopazifik-Leitlinien noch zeitgemäß ist? Dafür ist einfach zu viel passiert. Bereits 2022 wäre es angebracht gewesen, eine Überarbeitung vorzunehmen.

Die Bundesregierung hinkt mal wieder hinterher. Unsere Verbündeten sind schon sehr viel weiter. Rüstungskooperationen sind beispielsweise für Frankreich oder die USA ein planvoll eingesetztes und effektives Instrument der Außenpolitik. Die beiden engsten Verbündeten Deutschlands haben mit ihrem starken rüstungspolitischen Engagement die Nato-Indien-Beziehungen bereits manifestiert.

Deutschland spielt Nebenrolle

Seit 2022 muss Indien seine Abhängigkeit von russischen Rüstungsimporten mit großen Schritten verringern. Frankreich und die USA sind dabei die Schlüsselakteure, während Deutschland eine Nebenrolle spielt. Gerade für eine Nation, die militärisches Engagement zu vermeiden sucht, wäre es eine gangbare realpolitische Handlungsoption.

Dass General Gerhartz in Indien einen guten Eindruck hinterlassen hat, sollte für die Bundesregierung kein Grund sein, sich zurückzulehnen. Man kann auf “Pacific Skies” als vertrauensbildende Maßnahme aufbauen und bei den deutsch-indischen Regierungskonsultationen im Herbst darüber beraten, wie unsere leistungsfähige Rüstungsindustrie einen Beitrag zu Indiens Sicherheit leisten kann. Es ist Zeit, konkret zu werden.

Dr. Adrian Haack ist Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Neu-Delhi, Indien. Seine Schwerpunkte sind die Außen- und Sicherheitspolitik Indiens. Er ist Marineoffizier der Reserve.

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Nachtisch

Die Fotojournalistin Julia Leeb schreibt in ihrem Buch “Menschlichkeit in Zeiten der Angst” über die besonders brenzligen Momente in ihrem Berufsleben. Als Krisen- und Kriegsfotografin reiste sie immer wieder nach Libyen als dort der Bürgerkrieg tobt, und überlebt nur mit Glück einen Angriff von Gaddafis Truppen. Sie reist nach Ägypten, als dort der Präsident gestürzt wird und ein Jahr später zum Jahrestag der Revolution. Sie dokumentiert das graue Leben in Transnistrien und Nordkorea und in den schwer zugänglichen Nuba-Bergen im Sudan besucht sie ein Krankenhaus, in dem ein Arzt tausende Opfer von Streumunition behandelt. Sie dokumentiert die Verbrechen gegen die Menschlichkeit – und findet doch immer wieder Menschlichkeit.

Das Buch ist kein Fotoband und keine chronologisch gehaltene Autobiografie, sondern es zeigt Ausschnitte aus Leebs Leben und Arbeit. Auch wenn sie ihre eigenen Erfahrungen in den Vordergrund stellt, werden die Verbrechen, die sie dokumentiert, greifbar. Weil sie dorthin hinreist, wo es kaum bis gar keine unabhängigen Medien gibt, ist das Buch so interessant. klm

Julia Leeb: Menschlichkeit in Zeiten der Angst – Reportagen über die Kriegsgebiete und Revolutionen unserer Welt. Suhrkamp Verlag, 18 Euro.

Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    kann Indien alles haben – gute Beziehungen zu Russland, zur Ukraine und dem Westen, sowie einen ernstzunehmenden Platz in der Rangordnung der Welt? Premierminister Narendra Modi wird es versuchen und bei seinem Besuch heute in Kiew auf Ausgleich bedacht sein, wie Nimish Swant schreibt.

    Florian Westphal, Geschäftsführer von Save the Children Deutschland, mahnt im Interview mit Markus Bickel einen Waffenstillstand im Gazastreifen an. 700.000 Menschen stehen kurz vor einer Hungersnot, Kinder sind besonders betroffen. Und er lenkt den Blick auf den vergessenen Konflikt im Sudan.

    In den News fassen wir für Sie die aktuellen Entwicklungen um die Strategie der Bundesregierung für die Rüstungsindustrie zusammen, die sich höchstwahrscheinlich verzögert.

    Eine aufschlussreiche Lektüre wünscht Ihnen

    Ihre
    Lisa-Martina Klein
    Bild von Lisa-Martina  Klein

    Analyse

    Modi in Kiew: Erste Schritte zu einer neuen Beziehung

    Primerminister Donald Tusk empfängt seinen Amtskollegen Narendra Modi in Warschau, bevor Modi weiter nach Kiew reist.

    “Indien ist zu jeder Unterstützung bereit, die den Ukraine-Konflikt im Gespräch mit befreundeten Staaten zu beenden hilft” – Kiew dürfte diese Worte des indischen Premier Narendra Modi gerne gehört haben. Auch wenn Modi von einem Konflikt und nicht von einem Krieg sprach. Er sagte das am gestrigen Donnerstag bei seinem Besuch in Polen. Von Warschau aus brach er nach Kiew auf.

    Es wird der erste Besuch eines indischen Staatsoberhaupts in der Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit sein. Angesichts der aktuellen geopolitischen Lage ist Modi einer der wenigen Staatschefs, die seit Beginn des Kriegs im Februar 2022 sowohl Russland als auch die Ukraine besuchen.  

    Am 8. Juli traf Modi auf der ersten Auslandsreise in seiner dritten Amtszeit in Indien mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammen – sehr zum Ärger des Westens und besonders des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Modis Russland-Besuch fiel mit dem Sondergipfel in Washington anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Nato zusammen, an dem auch Selenskyj teilnahm.

    Modi: “Versichere, dass Indien für den Frieden eintritt”

    Fotos, auf denen Modi Putin umarmt, lösten im Westen heftige Kritik aus. Das Treffen fiel auch mit dem Tag zusammen, an dem bei einem russischen Angriff in der Ukraine 37 Menschen getötet wurden, was Selenskyj zu dem Tweet veranlasste: “Es ist eine große Enttäuschung und ein verheerender Schlag für die Friedensbemühungen, dass der Anführer der größten Demokratie der Welt den blutigsten Verbrecher der Welt an einem solchen Tag in Moskau umarmt.” 

    Zwar hat Indien Russland nie offen kritisiert und sich bei Abstimmungen über UN-Resolutionen zum Russland-Ukraine-Krieg enthalten. Doch das bedeutet nicht, dass Neu-Delhi den Krieg unterstützt. Indien hatte bei seiner Stimmenthaltung in der UN am 25. Februar 2022 zur “Achtung der Souveränität und territorialen Integrität der Staaten” aufgerufen. Während seines Besuchs in Moskau rief Modi zum Frieden auf und sagte: “Eine Lösung ist auf dem Schlachtfeld nicht möglich. Indien ist bereit, bei der Wiederherstellung des Friedens Unterstützung zu leisten. Ich versichere Ihnen und der Weltgemeinschaft, dass Indien für den Frieden eintritt.”  

    “Strategische Autonomie” 

    Indien betont sein Bedürfnis nach “strategischer Autonomie” in seiner Außenpolitik. In diesem Fall liegen die Interessen Indiens auf der Hand: seine historischen Beziehungen zu Russland zu respektieren und gleichzeitig sicherzustellen, dass China die geopolitische Lage nicht ausnutzt. Die zunehmende Annäherung zwischen Russland und China ist für Indien, das 2020 Grenzscharmützel mit China hatte, ein Grund zur Sorge.  

    Nach den Sanktionen gegen russische Ölverkäufe auf dem Weltmarkt stieg der Anteil der indischen Rohöleinfuhren aus Russland von weniger als fünf Prozent auf jetzt rund 40 Prozent. Doch der bilaterale Handel zwischen Indien und Russland in Höhe von 65 Milliarden US-Dollar verblasst im Vergleich zum bilateralen Handel zwischen Russland und China in Höhe von über 240 Milliarden US-Dollar.   

    Laut Harsh Pant, Vizepräsident für Außenpolitik-Analysen bei der Observer Research Foundation (Thinktank in Neu-Delhi), hätten westliche Regierungen mehr Verständnis für Indiens Position als westliche Medien. “Einige westliche Gesprächspartner sagen Indien, es sollte die Dinge anders machen. Aber wenn der westliche Druck funktionieren würde, hätte Indien nicht die unabhängige Position eingenommen, die es bisher innehat. Unmittelbar nach Beginn des Kriegs war der Druck auf Indien viel größer. Heute ist der Westen in dieser Frage uneins”, sagte Pant. 

    Kiews Kritik an Neu-Delhi ist leiser geworden  

    Modi besucht Indien rund um den ukrainischen Unabhängigkeitstag am 24. August. Viel Einfluss auf die Beziehungen zwischen Indien und Russland habe das aber nicht, sagt Pant. Denn die Lösung des Konflikts werde nicht durch einen einzigen Besuch beeinflusst.  

    “Indien gleicht beide Seiten in diesem Konflikt aus, und der Besuch von Premierminister Modi in der Ukraine ist eine Fortsetzung dieses Trends. Auch Russland ist an guten Beziehungen zu Indien interessiert, da es in seinen Beziehungen zu China nicht als Juniorpartner gesehen werden möchte”, sagte Pant.  

    Die Ukraine kritisierte die neutrale Haltung Indiens im Krieg in der Vergangenheit. So hatte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba im Jahr 2022 – als Indien nach den westlichen Sanktionen begann, russisches Öl verbilligt zu kaufen – erklärt, dass in jedem Barrel russischen Rohöls, das Indien kauft, “eine gehörige Portion ukrainisches Blut steckt”. Doch Kuleba besuchte Indien im März dieses Jahres (der erste Besuch eines ukrainischen Außenministers seit sieben Jahren) und bezeichnete Indien als “wichtige Weltmacht mit einer starken internationalen Stimme”. 

    Modi hat mit Selenskyj telefoniert und ihn seit Beginn des Kriegs zweimal außerhalb der Ukraine getroffen. Das letzte Mal trafen sich beide Politiker am Rande des G7-Gipfels im Juni in Italien. 

    Indien will aus alter Verbundenheit Moskau nicht brüskieren 

    Indiens Haltung ist nicht zuletzt mit den indisch-sowjetischen, indisch-russischen Beziehungen zu erklären. In Zeiten des Kalten Kriegs stand die Sowjetunion Indien zur Seite, als der Westen Indien etwa den Zugang zu Spitzentechnologie verwehren wollte. “1971, während des Kriegs zwischen Indiens und Pakistan, schickte die US-Marine ihre siebte Flotte zur Unterstützung Pakistans in den Golf von Bengalen. Es war die Sowjetunion, die ihr Vetorecht nutzte, um Indien in der UN zu unterstützen. Die Sowjetunion kam Indien auch in Bezug auf kritische Technologien zu Hilfe, als der Westen China aufbaute“, erläuterte Pant. Dies war möglich, weil Indien und die Sowjetunion 1971 einen Vertrag über Frieden, Freundschaft und Zusammenarbeit unterzeichnet hatten.

    Nach dem Zusammenbruch der UdSSR wurde 1993 der Vertrag über indisch-russische Freundschaft und Zusammenarbeit unterzeichnet. In den 1970er-Jahren betrachteten die USA und ihre westlichen Verbündeten Indien als “non-player”. Moskau schätzte das anders ein und war unter anderem ein verlässlicher Lieferant sowjetischer und russischer Waffen (über 70 Prozent in den 1990er-Jahren). Selbst wenn Indien seine Beschaffung von Verteidigungsgütern jetzt diversifiziert, kommen immer noch fast 60 Prozent der Waffen aus Russland.

    Es liegt nicht in Indiens Interesse, sich von Russland abzuwenden und es weiter isolieren. Denn das würde Russland näher an China heranführen.  “Heute ist Indien ein Partner des Westens, aber die Herausforderung durch China ist für Indien noch allgegenwärtig. Es ist eines der wenigen Länder, dessen Streitkräfte gegen die chinesischen Streitkräfte aufgebaut sind, und es ist ein Frontstaat im chinesischen Expansionismus. Indien kann sich zum Teil dank der Verteidigungsunterstützung durch Russland behaupten”, sagt Pant. 

    Für den Westen ist Indien in einer Zeit, in der China auf dem Vormarsch ist und immer stärkere Bande zu Moskau knüpft, ein wichtiger Partner – trotz seiner Haltung zum russisch-ukrainischen Krieg. Modis Besuch in Kiew kann geopolitisch positiv und ausgleichend wirken. Von Nimish Swant

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    Kinder in Kriegsgebieten: “Für sie bricht eine Welt zusammen”

    Florian Westphal ist Geschäftsführer von Save the Children Deutschland.

    Herr Westphal, mehr als 600.000 Kinder im Gazastreifen sind seit Oktober 2023 nicht mehr in die Schule gegangen. Was bedeutet das für die Kinder?

    Zunächst einmal den Zusammenbruch der vertrauten Welt – das heißt keinen Kontakt mehr mit den Freunden, mit den Klassenkameradinnen, keine Freude am Lernen mehr. Damit verbunden ist eine noch viel unsichere Zukunft, als sie Kinder im Gazastreifen schon vor dem aktuellen Krieg vor sich hatten. Schule bedeutete hier ja auch ein Zeichen für Sicherheit, weil sie die Möglichkeit bot, zumindest einen kleinen Zugang zum Rest der Welt zu bekommen, wenn man schon physisch nicht ausreisen konnte aufgrund der Abschottung des Gebiets.

    Was muss passieren, damit die Kinder wieder zur Schule gehen können?

    Ein Waffenstillstand muss her. Einerseits, um den Kindern zu helfen, andererseits, um eine Hungersnot zu verhindern. Mehr als 700.000 Menschen befinden sich auf der Stufe unmittelbar darunter, viele Kinder sind bereits an den Folgen von Mangelernährung wie Atemwegs- und Verdauungskrankheiten, nicht an schweren Erkrankungen, gestorben, einfach, weil es ihnen an Kraft fehlte. Hinzu kommen die psychischen Auswirkungen aufgrund all des Horrors, den sie erleben. Um da helfen zu können, muss mehr Personal und Material nach Gaza kommen – das geht nur bei einem Waffenstillstand.

    Was sind die schlimmsten Folgen von Mangelernährung bei Kindern?

    Die Schäden, die dadurch entstehen, sind oft bleibend. Es geht ja nicht nur darum, ausreichend Kalorien zu sich zu nehmen, sondern auch Vitamine und Spurenelemente, was bei einseitigen Nahrungsmittelhilfen wie Reis oder Mehl oft nicht gegeben ist. Die Kinder können dann schwerer lernen, ihre physische und mentale Entwicklung wird nachhaltig geschädigt, insbesondere, wenn es zu Mangelernährung im frühkindlichen Stadium kommt.

    Lässt sich die humanitäre Situation im Gazastreifen mit der im Sudan vergleichen?

    Insbesondere, was den Hunger betrifft, muss man leider sagen, ja. Inzwischen ist die Hälfte der Bevölkerung davon betroffen. Was Sudan von Gaza unterscheidet, ist das Medieninteresse. Der Blick der Öffentlichkeit richtet sich auf den Konflikt mit Israel, und selbst wenn der Zugang für Journalisten schwer ist, dringen über Hilfsorganisationen und die sozialen Medien viele Informationen nach draußen. Im Sudan ist das anders, dieses riesige Land ist größtenteils von der Welt völlig abgeschottet. Hinzu kommt, dass Konflikte in Afrika meist weniger mediale Sichtbarkeit erhalten als der im Nahen Osten oder in der Ukraine. 

    Seit der Machtübernahme der Taliban und dem Abzug der Bundeswehr im August 2021 gilt das auch für Afghanistan.

    Deshalb ist es so wichtig, dass Save the Children und andere Hilfsorganisationen trotz dieser 180 Grad-Wende im Land geblieben sind. Die Menschen dort brauchen unsere Hilfe. Das Land ist zwar deutlich sicherer als es vor drei Jahren war, steckt aber in einer massiven Wirtschaftskrise. Und es ist eines der fünf Länder weltweit, das am schwersten von der Klimakrise und ihren Folgen betroffen ist. Unter diesen Umständen ist es umso wichtiger, dass wir mit afghanischen Kolleginnen und Kollegen gemeinsam helfen können, kleine Fortschritte zu erreichen, etwa bei der Gesundheitsversorgung und Grundschulbildung für Kinder – für Jungen wie für Mädchen. Eine dauerhafte Lösung ist das aber nicht – humanitäre Organisationen können fehlende politische Verbindungen nicht ersetzen, und humanitäre Hilfe ist kein Ersatz für die Sicherstellung der Grundversorgung der Bevölkerung an Gesundheit und Bildung.

    Das heißt, Sie sprechen sich für eine Fortsetzung der Entwicklungszusammenarbeit mit den Taliban aus?

    Entwicklungszusammenarbeit hat ja zum Ziel, Menschen zu helfen, nicht Regimes zu stabilisieren. Dass dazu Kontakte mit Offiziellen nötig sind, liegt auf der Hand – da ist Afghanistan kein Einzelfall. Immer im Vordergrund stehen muss aber das Interesse der Bevölkerung und deren Rechte. Deshalb muss es rote Linien geben bei der Zusammenarbeit, etwa, wenn es um die Einhaltung von Frauenrechten geht oder darum, dass Mädchen Zugang zu Bildung haben müssen. Wenn sich internationale Geber darüber verständigen, könnte man nicht nur den Kindern in Afghanistan, sondern der Bevölkerung insgesamt besser helfen als das momentan mit humanitärer Hilfe allein möglich ist.

    Die Kürzungen der deutschen Entwicklungshilfe belaufen sich laut vorliegendem Haushaltsplan für 2025 auf mehr als acht Prozent gegenüber diesem Jahr. Wie kann dann überhaupt noch an so vielen Krisenherden geholfen werden?

    Das bedeutet konkret, dass zwar immer noch viel, aber deutlich weniger Hilfe möglich sein wird. Dass ein so wichtiger Geber wie Deutschland sich zunehmend aus der Entwicklungshilfe zurückzieht, ist unserer Meinung nach die völlig falsche Antwort auf die Notlagen in der Welt, wo ja nicht nur Kinder aufgrund von Konflikten und der Klimakrise extreme Not erleiden, sondern die Zahl von Geflüchteten und intern Vertriebenen insgesamt drastisch zugenommen hat. Andere Länder werden sich das Verhalten Deutschlands bei Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe deshalb sehr genau anschauen.

    Florian Westphal ist Geschäftsführer von Save the Children Deutschland.

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    Schießbaumwolle: Warum Europa ausgerechnet China für mehr Munition braucht

    Es gibt viele unterschiedliche Sichtweisen auf den Krieg in der Ukraine. In einem Punkt sind sich jedoch fast alle Experten einig: Die Ukraine braucht für ihre Verteidigung dringend mehr Munition. Während die Hilfe aus den USA wegen des Wahlkampfes aktuell unsicher ist, will Europa liefern – und baut dafür sogar neue Produktionsstätten.

    Neben Munitionsfabriken fehlt es dazu allerdings auch am nötigen Rohstoff für Munition, der sogenannten Schießbaumwolle. Das Problem: Europa ist zu einem Großteil abhängig – ausgerechnet von dem mit Russland so eng verbündeten China.

    Aus der Volksrepublik importieren die europäischen Hersteller einen unabdingbaren Bestandteil für Munition – Cellulosenitrat, umgangssprachlich auch Nitrocellulose oder Schießbaumwolle genannt – beziehungsweise dessen Vorprodukt Linter-Baumwolle.

    Rund 70 Prozent der Schießbaumwolle stammt aus China

    Linters sind Baumwollfasern, die zu kurz sind zum Verspinnen. Auf der Internetseite des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall heißt es: “Für militärische Anforderungen wird eine gleichmäßig nitrierte Nitrocellulose aus gebleichter Linters-Baumwolle benutzt oder alternativ Mischungen aus zwei bis drei verschiedenen nitrierten Nitrocellulose Typen.”

    Nun verfügt Europa aber nur über eine sehr kleine Baumwollindustrie – im Gegensatz zu den USA. Die EU muss also im Ausland einkaufen. Europa importiere rund 70 Prozent dieser Fasern aus China, räumte Rheinmetall-Chef Armin Papperger unlängst in der britischen Zeitung “Financial Times” ein. Seine Befürchtung: China könnte die Lieferung von Lintern jederzeit aus politischen Gründen stoppen.

    Das ist kein völlig abwegiger Gedanke. Immer wieder setzt China gezielt seine Handelsmacht ein, um politische Ziele durchzusetzen. Mal werden bestimmte Produkte nicht mehr exportiert, mal schlicht nicht mehr importiert. Länder wie Südkorea, Japan, aber auch Litauen oder Frankreich können von solchen Vorgängen berichten.

    Drei Vorhaben könnten auf dem Prüfstand stehen

    Auch die Bundesregierung hat die Gefahr möglicher Beschränkungen erkannt und klar in ihrer China-Strategie benannt. Die Lösung: De-Risking. Doch nun droht eine Art mehrfacher Treppenwitz der Geschichte. Denn um das Munitionsproblem schnell zu lösen, muss der Westen gleich drei seiner Vorhaben gegenüber China aufgeben – zumindest vorübergehend.

    • Politik: Eigentlich drängt der Westen darauf, dass China sich als Partner des russischen Aggressors aus dem Krieg heraushalten möge. Nun ist man aber darauf angewiesen, dass China sich mehr engagiert – und durch seine Lieferungen die europäische Waffenindustrie am Laufen hält. 
    • Wirtschaft: Eigentlich will der Westen – vor allem Deutschland mit seiner eigenen China-Strategie – nicht mehr so viel und so einseitig aus China kaufen. Nun aber braucht man dringend die Rohstoffe für Munition.
    • Menschenrechte: Eigentlich will der Westen chinesische Produkte aus der Provinz Xinjiang meiden, da man nur schwer überprüfen kann, ob sie nicht mithilfe von Zwangsarbeit entstanden sind. Doch just aus Xinjiang stammt ein Großteil der chinesischen Schießbaumwolle.

    Keine Zeit für De-Risking

    Aber De-Risking ist ein Prozess, der Zeit braucht. Etwas, das Europa im Fall der fehlenden Munition nicht hat. Als “dramatisch” bezeichnete denn auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell die Lage. Der Ukraine gehe an der Front die Munition aus, vor allem Artilleriegeschosse, warnte Borrell. Und die EU könne nicht im Entferntesten die Mengen an Munition liefern, die sie eigentlich versprochen hatte.

    Nun ist der Plan, die Produktion der wichtigsten Nato-Artilleriekaliber bis Ende 2024 auf 1,5 Millionen Stück pro Jahr zu erhöhen. Dafür sollen zügig Munitionsfabriken gebaut werden. Bundeskanzler Olaf Scholz übernahm eigens den Spatenstich einer Rheinmetall-Fabrik in Niedersachsen, Wirtschaftsminister Robert Habeck prüft kürzere Genehmigungsverfahren. Aber das alles kostet nicht nur Zeit. Sondern es braucht eben auch die nötigen Rohstoffe aus China.

    Gefahr unsicherer Lieferungen aus China

    Und da drohen laut Papperger eben Probleme, falls Peking entscheiden sollte, nicht mehr liefern zu wollen. “Das ist der Grund, dass wir derzeit so viel kaufen wie möglich, um unsere Lager zu füllen”, sagte der Rheinmetall-Chef der FT. Bislang würden die Lieferungen aus China zwar eintreffen. “Der Punkt ist aber, dass Europa langfristig unabhängig sein sollte”, warnt der Rheinmetall-Chef.

    Anderorts werden schon jetzt Lieferprobleme beklagt. So berichtete unter anderem EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton von ersten Importproblemen. Die Lieferung von Baumwoll-Lintern aus China sei “vor ein paar Monaten wie zufällig” eingestellt worden, sagte Breton. Mitte August setzte Peking zudem das häufig in Munition und anderen militärischen Anwendungen verwendete Metall Antimon unter Exportkontrollen, ähnlich jenen für die Metalle Gallium und Germanium, für deren Ausfuhr chinesische Exporteure seither Lizenzen beantragen müssen.

    Chinesische Experten räumen in der Hongkonger Zeitung South China Morning Post ein, dass China durchaus Spielraum habe, aus geopolitischen Gründen den Export von Nitrozellulose zu reduzieren – fügen aber sofort hinzu, dass die Führung in Peking dies jedoch nicht als Druckmittel einsetzen werde.

    Problemfall Xinjiang

    EU-Binnenmarktkommissar Breton bringt die aktuelle Lage ernüchtert auf den Punkt: “Um das Pulver herzustellen, benötigen wir einen speziellen Typ von Baumwolle, und das meiste davon kommt aus China.” Doch von wo in China? Hier liegt schon das nächste Problem. Nahezu 90 Prozent der chinesischen Baumwolle stammt aus der Provinz Xinjiang, wo die muslimische Minderheit der Uiguren unterdrückt wird.

    Adrian Zenz ist durch seine Xinjiang-Forschung berühmt geworden. Einst deckte er das umfassende chinesische Lagersystem in der Region auf. Nun warnt der Wissenschaftler der Victims of Communism Memorial Foundation in Washington, dass Hunderttausende Uiguren zwangsweise in Xinjiangs Baumwollindustrie tätig sind.

    Im Kampf gegen Zwangsarbeit versucht der Westen mittels entsprechender Lieferkettengesetze sicherzustellen, dass solche Waren nicht mehr in Europa oder den USA verkauft werden. Und so steht Europa vor einem politischen und einem wirtschaftlichen, auch noch vor einem moralischen Dilemma: Um schnell Munition für die Ukraine herstellen zu können, braucht man chinesische Linter-Baumwolle. Aber es ist fast unvermeidlich, dass in China produzierte Nitrozellulose letztendlich aus Xinjiang geliefert wird.

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    Die entscheidenden Köpfe der sicherheitspolitischen Community – Verbände und Organisationen

    Von

    André Wüstner – Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbands

    Als Oberst André Wüstner 2013 zum Vorsitzenden des Bundeswehrverbands gewählt wurde, war er der erste in dieser Funktion mit aktiver Einsatzerfahrung: Der 50-Jährige war als Panzergrenadier im Kosovo und in Afghanistan und sammelte Erfahrung in verschiedenen Stabs- und Führungspositionen. Er kennt die marode Bundeswehr und zögert nicht, klare Worte zu finden. So forderte er im April dieses Jahres ein Machtwort des Kanzlers im Streit über die weitere Finanzierung der Truppe.

    Bernhard Drescher – Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Einsatzveteranen

    Oberstleutnant a.D. Bernhard Drescher ist seit 2018 Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Einsatzveteranen. Sein Ziel: einen besonderen Sozialstatus für unter Einsatzfolgen leidende Veteranen zu schaffen, der auf den Grundsätzen von Betreuung, Versorgung und Identität basiert. Zudem fördert Drescher den Dialog zwischen nationalen und internationalen Einsatzveteranen und der Gesellschaft, unter anderem durch die Unterstützung der Invictus Games Foundation. Der jüngste Erfolg für die Veteranen: Die politische Einigung auf die Einführung eines Veteranentages am 15. Juni.

    Sven Weizenegger – Leiter des Cyber Innovation Hub der Bundeswehr

    Seit 2020 leitet Sven Weizenegger den Cyber Innovation Hub und erarbeitet mit seinem Team aus Zivilisten und Soldaten Lösungen, die zur Digitalisierung der Streitkräfte beitragen sollen. Damit soll die Bundeswehr für aktuelle Herausforderungen gestärkt werden. Zuvor arbeitete Weizenegger als IT-Spezialist bei der Deutschen Telekom und in Start-ups. Er ist ein gefragter Redner auf Events.

    Silvia Petig – Vorsitzende der deutschen Sektion von Women in International Security

    Silvia Petig ist Vorsitzende von WIIS.de, der deutschen Sektion von “Women in International Security” (WIIS), einer Organisation, die sich für die Sichtbarkeit und Teilhabe von Frauen in sicherheitspolitischen Fragen einsetzt. Im Verein trägt Petig maßgeblich zur strategischen Ausrichtung von WIIS.de bei. Sie ist Referentin von Siemtje Möller, Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium. Zuvor arbeitete sie unter anderem für Airbus.

    Wolfgang Köpke – Präsident Förderkreis Deutsches Heer

    Seit 2021 ist Generalmajor a.D. Wolfgang Köpke Präsident des Förderkreises Deutsches Heer (FKH), einer Lobbyorganisation der deutschen Rüstungsindustrie. Der FKH fördert die Interessen seiner Mitglieder gegenüber politischen Entscheidungsträgern und setzt sich für den Zugang zu nationalen und internationalen Organisationen ein. Köpke ist maßgeblich an der strategischen Ausrichtung des Vereins beteiligt.

    Julia Friedlander – Geschäftsführerin der Atlantik-Brücke

    Mit Julia Friedlander ist seit 2022 zum ersten Mal eine US-Amerikanerin Geschäftsführerin der Atlantik-Brücke. Zuvor arbeitete sie unter anderem als Beraterin im US-Finanzministerium sowie im Weißen Haus. Friedlander ist Expertin für transatlantische Wirtschaftsbeziehungen, EU-Wirtschaftspolitik und Finanzregulierung. Die gebürtige New Yorkerin studierte in Princeton und an der Johns Hopkins Universität.

    Sabine Lackner – Präsidentin des Technischen Hilfswerks

    Sabine Lackner ist seit 2023 Präsidentin des Technischen Hilfswerks (THW) und die erste Frau in dieser Position. Zuvor war sie Vizepräsidentin und hatte verschiedene Führungsrollen innerhalb der Organisation inne, insbesondere in den Bereichen Auslandsprojekte und internationale Zusammenarbeit. Lackner studierte Sprachen und Internationales Recht und arbeitete vor ihrer THW-Karriere unter anderem in Japan. Sie setzt sich für die Modernisierung und Stärkung des THW ein.

    Astrid Irrgang – Geschäftsführerin des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze

    Astrid Irrgang ist seit Juni 2023 Geschäftsführerin des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) in Berlin, nachdem sie die Position bereits seit September 2022 interimistisch innehatte. Zuvor war sie seit 2012 in verschiedenen Funktionen beim ZIF tätig. Irrgang ist bekannt für ihre Rolle als Vermittlerin zwischen Militärs und Zivilisten und treibt die Themen Klimasicherheit und die Rolle von Frauen in Friedensprozessen voran. Sie setzt auf Nachhaltigkeit und innovative Lösungen im Krisenmanagement.

    Jürgen Kerner – Zweiter Vorsitzender der IG Metall

    Jürgen Kerner ist seit Oktober 2023 Zweiter Vorsitzender der IG Metall. Der gelernte Informationselektroniker ist für Industriepolitik, Branchenarbeit, Kommunikation, Kampagnen und Mitglieder zuständig. Vor seiner aktuellen Position war er Geschäftsführer und 2. Bevollmächtigter der IG Metall in Augsburg. Kerner ist bekannt für seine klare Haltung zu aktuellen politischen Themen, einschließlich der Akzeptanz von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete im Kontext der Zeitenwende.

    Manuel Atug – Gründer und Sprecher AG Kritis

    Manuel Atug, manchen besser bekannt unter seinem Social-Media-Namen HonkHase, ist Gründer und Sprecher der Arbeitsgruppe Kritische Infrastrukturen (AG Kritis). Seit über 23 Jahren ist er in der Informationssicherheit tätig und zählt zu Deutschlands führenden Experten im Bereich Schutz kritischer Infrastrukturen. Die AG Kritis, gegründet 2018, ist ein unabhängiger Zusammenschluss von Fachleuten, die Sicherheitslücken analysieren und die Versorgungssicherheit der Bevölkerung verbessern wollen.

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    News

    Rüstungsindustrie: Mehr Ministerien reden mit, Strategie verzögert sich

    Die Ausarbeitung der Rüstungsindustrie-Strategie dürfte sich weiter verzögern. Am Dienstag waren Industrievertreter im Verteidigungsministerium zusammengekommen, um ihre Anforderungen an die Strategie vorzubringen. Nach Table.Briefings-Informationen ließ Staatssekretär Benedikt Zimmer bei dem dreistündigen Treffen durchblicken, dass die Strategie nicht, wie es zunächst geheißen hatte, im September ins Kabinett gehen solle, sondern im besten Falle erst Ende Oktober.

    Grund dafür sei, dass sich der Abstimmungsprozess verlängere, weil sich mehrere Ministerien in die Formulierung der Strategie einbringen wollten. Dazu dürften das Finanzministerium, das Bundesministerium für Forschung und das Auswärtige Amt gehören. Der vergangene Woche von Table.Briefings veröffentlichte Entwurf für die “Nationale Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie” sei bereits weiterentwickelt worden.

    Bei der Gesprächsrunde, die vor allem ein Forum für die Anliegen der Rüstungsindustrie war, hieß es unter anderem laut Teilnehmern, dass für außereuropäische Offset-Geschäfte erste Schritte in Richtung Öffnung geprüft würden. Das war auch schon im Strategiepapier angedeutet worden. Bei anderen Staaten sehe man sich deshalb nach Vorbild-Modellen um. Teil von Rüstungsverkäufen sind häufig Gegengeschäfte, die Teile der Produktion im Empfängerland vorsehen, um auch die Wirtschaft dort zu stärken. So beschloss etwa der Bundestag den Kauf von Patriot-Lenkflugkörpern des US-Herstellers Lockheed Martin – im Gegenzug findet die Endmontage im bayerischen Schrobenhausen statt.

    In der Rüstungsindustrie klagt man dennoch darüber, dass Nicht-EU-Länder beim Kauf deutscher Waffen und Rüstungsgüter Offset-Forderungen stellten, während Deutschland das bei außereuropäischen Waffenkäufen nicht tue.

    Die Strategie soll der Industrie insbesondere bessere Planbarkeit bei der Produktion ermöglichen. Dies ist ein zentraler Kritikpunkt der Branche an der deutschen Beschaffungspolitik. bub/wp

    • Rheinmetall
    • Rüstungsindustrie

    FNF-Studie: Wie die Informationskontrolle der Taliban den Westen gefährdet

    Vor drei Jahren übernahmen die Taliban wieder die Macht in Afghanistan. Ein Papier der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung beschreibt nun, wie der Zugang zu Informationen für die Bevölkerung seither radikal eingeschränkt wurde, und welche Auswirkungen dies auf die humanitäre Situation im Land hat und auf die westliche Sicherheit haben könnte.

    Es fehlten unter anderem Informationen darüber, wie die Taliban ihre Beziehungen zu anderen Terrororganisationen wie Al-Qaida und ISIS ausgebaut haben, schreiben die Autoren Haroon Mutasem und Salim Amin. Insbesondere Akteure wie Russland, China und der Iran würden davon profitieren, wenn diese anti-westlichen Gruppen gestärkt werden. Die Autoren verweisen auf die mangelnde Transparenz bei wirtschaftlichen Abkommen – etwa mit chinesischen Unternehmen – oder russische Einladungen von Taliban-Mitgliedern zu Wirtschaftsforen.

    Diesen wirtschaftlichen Einfluss könnten die anti-westlichen Kräfte nutzen, um eine Stellvertretergruppe zu schaffen, ähnlich der Hisbollah im Libanon. “Im Gegensatz zur Hisbollah könnte eine solche Gruppe eine umfassendere Bedrohung für westliche Werte und die internationale Ordnung darstellen”, so die Autoren.

    Fehlende Informationen verstärken die humanitäre Krise

    Liberale Demokratien wie die USA und Deutschland müssten diese Bedrohung erkennen und die Taliban isolieren. Auch der Schutz unabhängiger Journalisten im Exil und die Verbesserung der digitalen Infrastruktur und des Internetzugangs im Land könnten helfen, Taliban-Beschränkungen zu umgehen.

    Das Recht auf Informationszugang wurde in Afghanistan durch die Rückkehr der Taliban 2021 schwer beeinträchtigt. Die Analyse verweist auf eine Bewertung der Organisation Freedom House, nach der das Land in Bezug auf eine offene und transparente Regierungsführung mit null von vier Punkten bewertet wurde. Es gibt keine unabhängigen Medien und Informationen werden nur sehr kontrolliert veröffentlicht.

    Vor 2021 hatte Afghanistan sich mit Blick auf den Informationszugang positiv entwickelt. Trotz Herausforderungen bei der Umsetzung, unter anderem durch mangelnden politischen Willen oder Korruption, hatte sich dadurch langsam eine Kultur der Transparenz und Offenheit entwickelt. Der fehlende Zugang zu Informationen “verschärft […] nicht nur die humanitäre Krise, sondern wirkt sich auch negativ auf die Koordinierung der internationalen Hilfe aus und untergräbt die auf Regeln basierende internationale Ordnung”, heißt es in dem Papier. wp

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    • Taliban

    Verfolgung von Kriegsverbrechen: Kiews Pläne werfen juristische Fragen auf

    Nach der Zustimmung des ukrainischen Parlaments, das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs zu unterzeichnen, erntet die Ukraine viel Lob. Doch eine vorgesehene Ausnahmeregelung kann neue Probleme schaffen.

    Die Grünen-Politikerin Katja Keul, Staatsministerin im Außenministerium sagte Table.Media: “Ich freue mich sehr, dass Regierung und Parlament sich trotz des laufenden Krieges zur Ratifikation des Rom Statuts durchringen konnten. Das ist ein starkes Signal im Kampf gegen die Straflosigkeit von Völkerrechtsverbrechen. Annalena Baerbock hat sich fortlaufend für den Beitritt eingesetzt und
    wir werden unsere Bemühungen fortsetzen, dass künftig auch der Angriffskrieg selbst vor dem Völkerstrafgerichtshof angeklagt werden kann. Nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts ist der Weg zum Frieden.”

    Die Völkerrechtsexpertin am European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), Isabelle Haßfurther, begrüßt die Entscheidung der Rada zwar. Doch sie verweist auch auf einen problematischen Aspekt: Bislang sei es dem Gericht möglich, wegen aller mutmaßlich auf dem Gebiet der Ukraine begangenen Völkerstraftaten zu ermitteln, weil die Ukraine bereits 2014 und 2015 in ad-hoc-Anerkennungen die Gerichtsbarkeit des IStGH akzeptiert habe.

    Die Ukraine will nun aber, dass ihre eigenen Staatsbürger in Bezug auf mögliche Kriegsverbrechen für sieben Jahre von der Strafverfolgung des IStGH verschont bleiben und nutzt dafür Artikel 124 des Statuts. “Dieser sieht zwar diese Ausnahme vor, aber es ist nicht klar, ob sie sich nur auf Staatsbürger beziehen kann und nicht auch auf das Staatsgebiet. Je nachdem, wie das Gericht dies auslegt, könnten auch die ab dem Zeitpunkt des Beitritts begangenen Kriegsverbrechen russischer Soldaten in der Ukraine nicht verfolgt werden.” hbu, vf

    • Ukraine

    Must-Reads

    The Japan Times: Sea lane fears drive German military’s Asian engagement, navy chief says. Marinechef Jan Christian Kaack sieht das verstärkte militärische Engagement Deutschlands im Indopazifik als Signal gegen Chinas Expansionsbestrebungen. Er betont die globale Bedeutung der Region für Deutschlands Sicherheit.

    Süddeutsche Zeitung: Weltall – Ausweitung der Kampfzone. Der Weltraum wird zunehmend als militärische Kampfzone betrachtet. Alleine wird sich Deutschland nicht behaupten können und muss für die Aufrüstung und Technologien auf die Zusammenarbeit mit Partnern vertrauen.

    ICDS: Does Russia want to revise its water border with the Nordic and Baltic states? Was führt Russland in der Ostsee im Schilde? Dieser Aufsatz vom estnischen International Centre for Defence and Security vertritt die These, dass Putin womöglich den Grenzverlauf im Baltikum revidieren will. Dagegen helfen würde eine bessere Kooperation westlicher Staaten, so der Autor Nurlan Aliyev.

    Bloomberg: Flexing its Muscle, Turkey Is Spreading Its Influence in Africa. Öl und andere Bodenschätze, Absatzmarkt für Drohnen, Konsummarkt – die Türkei weitet ihre Aktivitäten in Afrika aus, besonders im Fokus dabei ist Somalia. Eine gute Übersicht über den wachsenden türkischen Einfluss auf dem Kontinent.

    Thread: Abfangrate russischer Raketen und Drohnen über der Ukraine. Am gestrigen Donnerstag legte das ukrainische Verteidigungsministerium Zahlen vor, die zeigen, wie erfolgreich die Abwehr russischer Raketen- und Drohnenangriffe ist. Die Abfangrate liegt zwischen 67 Prozent und 0,63 Prozent. Vor allem Iskander- und modifizierte S-300- und S-400-Raketen sind ein Problem.

    Standpunkt

    Leitlinien: Bundesregierung darf sich im Indopazifik nicht zurücklehnen

    Von Adrian Haack
    Adrian Haack leitet das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Neu-Delhi.

    Indien war die letzte von fünf Stationen, die die Luftwaffe im Rahmen der Verlegeübung “Pacific Skies” im August angeflogen ist. Bei der gemeinsamen Übung sollten die Luftstreitkräfte voneinander lernen und eine Arbeitsbeziehung verfestigen.

    Für die Marine sind quasi-diplomatische Missionen nichts Ungewöhnliches. Mit “Pacific Skies” war nun die Luftwaffe im Indopazifik in dieser Rolle unterwegs. Indische Jets und deutsche Eurofighter trainierten zusammen im Himmel über Tamil Nadu. Die Luftwaffe präsentierte ein modern ausgerüstetes und Indien zugetanes Deutschland. Der Inspekteur der Luftwaffe, General Ingo Gehartz, unterstrich durch seine persönliche Teilnahme die Wichtigkeit des gemeinsamen Manövers und repräsentierte Deutschland mit seiner authentischen Art in bester Weise.

    Dass man zusammen mit Frankreich und Spanien ein europäisches Gesicht zeigte, ist durchdacht. Vielleicht hätte noch ein Parlamentarischer Staatssekretär oder ein Minister anreisen können, aber das wäre die Kür gewesen. Mission erfolgreich. So weit, so gut.

    Bundeswehr kann Politik nicht ersetzen

    Die Luftwaffe erfüllt ihren Auftrag, aber am Ende des Tages kann sie nicht die Politik ersetzen. Nun hat man in Indien die Botschaft platziert, dass man das Land als Partner wahrnimmtaber was folgt nun daraus? Für Indien muss Deutschland – wie für viele andere Staaten auch – die Frage beantworten, wie der in den Indopazifik-Leitlinien erwähnte “Ausbau sicherheits- und verteidigungspolitischer Kooperation” umgesetzt wird.

    In dem Papier werden die Entsendung von Verbindungsoffizieren und “verschiedene Formen der maritimen Präsenz” erwähnt. Da ist die ebenfalls aufgeführte Teilnahme an Foren noch die gewichtigere Form der Softpower. Der rüstungspolitische Ansatz in den Indopazifik-Leitlinien äußert sich in der dreizehnfachen Nennung von Rüstungskontrolle. 

    Indopazifik-Leitlinien nicht mehr zeitgemäß

    Natürlich war der öffentliche Diskurs rund um Sicherheitspolitik im Jahr 2020, als die Indopazifik-Leitlinien herauskamen, noch völlig anders. Öffentlichkeit, Medien und Bundesregierung haben sich im Jahr 2022 mit Ausbruch des Krieges Russland gegen die Ukraine aus dem Elfenbeinturm herausgewagt und schließlich Kampfpanzer in ein Kriegsgebiet geliefert, nachdem die Bundesverteidigungsministerin bei ein paar Helmen gestartet war. Das war ein unnötig langer Prozess, für den die Ukrainer den Preis bezahlen mussten.

    Deutschland muss sicherheitspolitisch endlich erwachsen werden. Kann man ernsthaft argumentieren, dass der Sicherheitsaspekt in den Indopazifik-Leitlinien noch zeitgemäß ist? Dafür ist einfach zu viel passiert. Bereits 2022 wäre es angebracht gewesen, eine Überarbeitung vorzunehmen.

    Die Bundesregierung hinkt mal wieder hinterher. Unsere Verbündeten sind schon sehr viel weiter. Rüstungskooperationen sind beispielsweise für Frankreich oder die USA ein planvoll eingesetztes und effektives Instrument der Außenpolitik. Die beiden engsten Verbündeten Deutschlands haben mit ihrem starken rüstungspolitischen Engagement die Nato-Indien-Beziehungen bereits manifestiert.

    Deutschland spielt Nebenrolle

    Seit 2022 muss Indien seine Abhängigkeit von russischen Rüstungsimporten mit großen Schritten verringern. Frankreich und die USA sind dabei die Schlüsselakteure, während Deutschland eine Nebenrolle spielt. Gerade für eine Nation, die militärisches Engagement zu vermeiden sucht, wäre es eine gangbare realpolitische Handlungsoption.

    Dass General Gerhartz in Indien einen guten Eindruck hinterlassen hat, sollte für die Bundesregierung kein Grund sein, sich zurückzulehnen. Man kann auf “Pacific Skies” als vertrauensbildende Maßnahme aufbauen und bei den deutsch-indischen Regierungskonsultationen im Herbst darüber beraten, wie unsere leistungsfähige Rüstungsindustrie einen Beitrag zu Indiens Sicherheit leisten kann. Es ist Zeit, konkret zu werden.

    Dr. Adrian Haack ist Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Neu-Delhi, Indien. Seine Schwerpunkte sind die Außen- und Sicherheitspolitik Indiens. Er ist Marineoffizier der Reserve.

    • Bundesregierung
    • Bundeswehr
    • Indopazifik

    Nachtisch

    Die Fotojournalistin Julia Leeb schreibt in ihrem Buch “Menschlichkeit in Zeiten der Angst” über die besonders brenzligen Momente in ihrem Berufsleben. Als Krisen- und Kriegsfotografin reiste sie immer wieder nach Libyen als dort der Bürgerkrieg tobt, und überlebt nur mit Glück einen Angriff von Gaddafis Truppen. Sie reist nach Ägypten, als dort der Präsident gestürzt wird und ein Jahr später zum Jahrestag der Revolution. Sie dokumentiert das graue Leben in Transnistrien und Nordkorea und in den schwer zugänglichen Nuba-Bergen im Sudan besucht sie ein Krankenhaus, in dem ein Arzt tausende Opfer von Streumunition behandelt. Sie dokumentiert die Verbrechen gegen die Menschlichkeit – und findet doch immer wieder Menschlichkeit.

    Das Buch ist kein Fotoband und keine chronologisch gehaltene Autobiografie, sondern es zeigt Ausschnitte aus Leebs Leben und Arbeit. Auch wenn sie ihre eigenen Erfahrungen in den Vordergrund stellt, werden die Verbrechen, die sie dokumentiert, greifbar. Weil sie dorthin hinreist, wo es kaum bis gar keine unabhängigen Medien gibt, ist das Buch so interessant. klm

    Julia Leeb: Menschlichkeit in Zeiten der Angst – Reportagen über die Kriegsgebiete und Revolutionen unserer Welt. Suhrkamp Verlag, 18 Euro.

    Security.Table Redaktion

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