Olaf Scholz konnte gestern zwar dem Berliner Trubel entfliehen, wo ihn sogar Parteikollegen dafür kritisieren, dass er weiter keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern will. Beim Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Granada musste der Kanzler das aber Wolodymyr Selenskyj erklären – zumindest ein weiteres Patriot-System versprach Scholz dem ukrainischen Präsidenten.
Viele Fragen hätten die Teilnehmenden des Gipfels wohl auch an Recep Tayyip Erdoğan gehabt. Der türkische Präsident fehlte aber wegen Krankheit; ebenso abwesend war sein aserbaidschanischer Amtskollege Ilham Alijew, wie Stephan Israel aus Granada berichtet. Ohne Erdoğans Unterstützung hätte Alijew im September wohl kaum seine Militäroffensive gestartet, um die armenische Enklave Bergkarabach Aserbaidschan einzuverleiben.
Unangenehmes anhören musste sich Serbiens Präsident Aleksandar Vučić auf dem Gipfel. Nach den Gefechten im Nordkosovo seien Strafmaßnahmen gegen Serbien geboten, bevor weitere Gespräche mit Vučić möglich seien, sagte die kosovarische Präsidentin Vjosa Osmani,. Heute versucht Annalena Baerbock beim Treffen der Außenminister des Berliner Prozesses ebenfalls zu vermitteln – in Tirana trifft sie erst Serbiens Außenminister Ivica Dačić, dann Kosovos Außenministerin Donika Gёrvalla-Schwarz. Nacheinander, nicht zusammen.
Wir haben aber auch bessere Nachrichten: Die Bundeswehr sieht sich im beschleunigten Abzug aus Mali gut in der Zeit – trotz der schwieriger werdenden Sicherheitslage -, wie unsere Korrespondentin Lucia Weiß aus Dakar berichtet.
Eine gute Lektüre wünscht
Eigentlich sollte es ein lockeres Format für den ungezwungenen Austausch auf höchster Ebene sein. Aber vielleicht ist das Großevent mit knapp 50 Staats- und Regierungschefs einfach nicht der richtige Rahmen, um über Krieg und Frieden zu reden. Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew reiste gar nicht erst an für das dritte Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Granada. Das geplante bilaterale Gespräch über Schritte hin zu einer Normalisierung mit Armeniens Premier Nikol Paschinjan konnte deshalb nicht stattfinden.
Serbiens Aleksandar Vučić und Kosovos Vjosa Osmani kamen zwar beide pünktlich, gingen sich aber aus dem Weg. Solange Serbien für den “Akt der Aggression” in Nordkosovo nicht zur Rechenschaft gezogen werde, sei ein Dialog nicht möglich und könne man nicht einfach zur Tagesordnung zurückkehren, sagte Vjosa Osmani. Derzeit gebe es keine Gesprächsbasis. Die Präsidentin legte den Staats- und Regierungschefs nach eigenen Angaben neue Erkenntnisse vor, wonach Vučić hinter dem blutigen Angriff serbischer Paramilitärs auf eine Polizeipatrouille in Norden Kosovos stehe. Auf Seite der EU-Staaten zumindest gibt es allerdings trotz recht eindeutiger Faktenlage nach wie vor keinen Appetit, Sanktionen gegen Serbien zu verhängen.
Die Europäische Politische Gemeinschaft war ursprünglich eine Idee Macrons, auch um die Beitrittskandidaten etwas auf Distanz zu halten. Jetzt stößt das neue Format möglicherweise an seine Grenzen. Zweimal hat es ganz gut geklappt mit den halbjährlichen Treffen, die abwechslungsweise in einem EU-Staat und außerhalb der EU stattfinden sollen. Die ersten EPC-Treffen in Prag und Chișinău waren vor dem Hintergrund des Angriffskriegs Russlands mehr oder weniger offizielle Anti-Putin-Gipfel.
In Spanien schien jedoch anders als in Tschechien und Moldau der Krieg weit weg. Der russische Vernichtungskrieg gegen die Ukraine reicht zudem möglicherweise auf Dauer nicht als Klammer. Macrons Europäische Politische Gemeinschaft ohne Struktur, verbindliche Werte und klare Agenda wirkt wie eine leere Hülle. Präsident Wolodymyr Selenskyj war zwar in Granada auch wieder dabei, aber erstmals mehr Nebendarsteller als Stargast im Kreis der Staats- und Regierungschefs. Dort ist eine gewisse Ermüdung zu spüren. Selenskyj warnte in Granada, Putin plane einen langen Krieg über mehrere Jahre. Die Europäer müssten sich auf eine längerfristige Unterstützung der Ukraine einstellen.
Russlands Krieg in der Ukraine, und dann noch Bergkarabach und der Nordkosovo. Europäer wirkten in Granada angesichts von Krieg und Krisen wie ohnmächtig. Aserbaidschans Präsident schien dem hochkarätigen Rendez-vous jedenfalls ganz gezielt die kalte Schulter zu zeigen: Präsident Ilham Alijew werde wegen der “antiaserbaidschanischen Stimmung” einiger Gipfelteilnehmer nicht nach Granada fliegen, hatte die Nachrichtenagentur des Kaukasusstaates gemeldet. Gemeint ist in erster Linie Frankreich, dessen Außenministerin Catherine Colonna gerade in Jerewan war und dort die Vertreibung der armenischen Bevölkerung aus Bergkarabach verurteilt hat. Frankreich will das bedrängte Armenien zudem mit Waffen unterstützen.
Frankreich könne kein neutraler Vermittler sein, verbreite Ressentiments, so der Vorwurf aus Baku. Nicht alle in der EU positionieren sich so klar wie Frankreich, schließlich ist Aserbaidschan zuletzt wichtiger geworden als Energielieferant. Prominenter Abwesender war auch Recep Tayyip Erdoğan, der offiziell wegen einer Erkältung absagte. Die Türkei sieht sich als Schutzmacht Aserbaidschans.
Es sei schade, dass Aserbaidschan und die Türkei als wichtiger Unterstützer nicht in Granada seien, sagte der EU-Chefdiplomat Josep Borrell: “Deshalb können wir nicht über so Schwerwiegendes reden wie die Flucht von mehr als 100.000 Menschen aus ihren Häusern als Folge militärischer Gewalt.”
Eine klare Position bezog das EU-Parlament, das am Donnerstag Aserbaidschan für seinen “ungerechtfertigten militärischen Angriff auf Bergkarabach” verurteilte. Der Angriff sei eine grobe Verletzung des Völkerrechts. Das Parlament forderte die EU-Staaten auf, Sanktionen gegen aserbaidschanische Regierungsmitglieder zu verhängen, die für mehrfache Verletzungen der Menschenrechte in Bergkarabach verantwortlich seien.
Am Rande des Gipfels kamen EU-Ratspräsident Charles Michel, Macron und Scholz mit Armeniens Premier Nikol Pashinjan zusammen. In einer Erklärung unterstrichen sie ihre “unerschütterliche Unterstützung für die Unabhängigkeit, Souveränität, territoriale Integrität und Unverletzbarkeit von Armeniens Grenzen.” Armenien wurde zudem weitere humanitäre Hilfe in Aussicht gestellt. Vertriebene hätten das Recht, ohne Bedingungen und unter internationaler Aufsicht in ihre Häuser zurückzukehren. Man werde weiter alle Bemühungen hin zu einer Normalisierung der Beziehung zwischen Armenien und Aserbaidschan unterstützen.
Dynamisch ist vielleicht noch ein freundliches Wort, um die Lage im Sahel zu beschreiben. In den vergangenen acht Wochen jedenfalls haben sich die Rahmenbedingungen für den Abzug der Bundeswehr aus Mali grundlegend geändert. Nach dem Putsch in Niger Ende Juli, der viele internationale Beobachter und Regierungen kalt erwischte, kündigte Frankreich Ende September an, seine verbleibenden 1500 Soldaten aus Niger bis Ende des Jahres abzuziehen.
Dennoch gibt man sich bei der Bundeswehr optimistisch. Der Rückzug der deutschen Soldatinnen und Soldaten aus dem Sahel verlaufe wie vorgesehen. “Die Rückverlegung der Bundeswehr aus Mali ist auf gutem Weg und befindet sich im Zeitplan. Die Bundeswehr nutzt dazu als logistische Drehscheiben Bamako, Gao und Dakar, was uns eine gewisse Flexibilität bei der Rückverlegung verleiht”, so ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr gegenüber Table.Media.
Welche Folgen der von Frankreich angekündigte Abzug seiner etwa 1500 Soldaten aus Niger habe, sei noch nicht klar. “Der angekündigte Abzug Frankreichs bedeutet keinen Automatismus für die Bundeswehr im Niger. Eine Bewertung möglicher Auswirkungen auf die Bundeswehr findet derzeit statt. Dazu stimmen wir uns mit unseren multinationalen Partnern eng ab. Die Sicherheit der deutschen Soldatinnen und Soldaten sowohl im Niger als auch in Mali steht dabei im Fokus”, heißt es weiter.
Die Sicherheitslage in Mali verbessert sich derweil nicht: Neben terroristischen Angriffen nehmen Gefechte zwischen sezessionistischen Kräften und der Armee im Norden des Landes zu. Zuletzt kam es am Sonntag zu schweren Zusammenstößen in der in der Region Gao gelegenen Stadt Bamba. Dort griffen Informationen des französischen Auslandssenders RFI zufolge schwer bewaffnete Kämpfer zum zweiten Mal innerhalb eines Monats einen Armeestützpunkt an.
Die wiederaufgeflammten Auseinandersetzungen zwischen der Regierung in Bamako und malischen Gruppen aus dem Norden stellen das Friedensabkommen von Algier zunehmend infrage, das 2015 zwischen der damaligen malischen Regierung und bewaffneten Gruppen aus Nordmali geschlossen worden war. Sie verschärfen die Lage für die zivile Bevölkerung zusätzlich.
Im benachbarten Burkina Faso kündigte die Putschregierung von Hauptmann Ibrahim Traoré unterdessen eine Verschiebung der Wahlen an, nachdem bereits Mali angekündigt hatte, den ursprünglichen Wahltermin im Februar 2024 “aus technischen Gründen” nicht einhalten zu können. Im staatlichen Fernsehen sagte Traoré, bis nicht jeder in seinem Land in Sicherheit wählen könne, werde es auch keine Wahlen geben. Der jüngste Staatsstreich in Burkina Faso jährte sich am 30. September zum ersten Mal.
Die drei Sahelländer Burkina Faso, Mali und Niger sind jüngst noch enger zusammengerückt. Mitte September gründeten sie ein Verteidigungsbündnis, um sich gegen eine mögliche Intervention der anderen Ecowas-Staaten zu schützen – und um gemeinsam beim Kampf gegen Terrorismus vorzugehen. Darüber hinaus sicherten sich die drei Putschregierungen Hilfe im Falle “interner Aufstände” zu. Die Bundeswehr äußerte sich nicht konkret auf Nachfragen zu diesem Thema, sondern verwies auf politische Instanzen zur Bewertung.
“Das Bündnis ist die Formalisierung des gemeinsamen Willens, den die drei Länder nach der Ankündigung der Ecowas, in Niger militärisch zu intervenieren, schon nicht versteckt hatten”, analysiert der in Bamako ansässige Forscher Fahiraman Rodrigue Koné im Gespräch mit Table.Media. Die drei Sahelländer seien entscheidend für die Sicherheit in ganz Westafrika. “Ohne die drei Länder lässt sich in Sachen Sicherheit im Sahel nichts erreichen. Dort liegt das Epizentrum des dschihadistischen Terrors, der die ganze Region betrifft.”
Koné, der für das renommierte Institute for Security Studies (ISS) in Dakar als Sahel-Experte arbeitet, plädiert für eine realistische Sicht auf die sogenannte Allianz der Sahelstaaten. “Das Bündnis sollte nicht unterschätzt werden. Die Absicht der drei Länder, militärisch zusammenzuarbeiten ist an sich auch nicht neu. Sie haben schon einige Anti-Terror-Aktionen gemeinsam durchgeführt. Allerdings ist ihr realer Wirkungsgrad beschränkt, denn sowohl ihre Ausrüstung als auch ihr Personal sind begrenzt.”
Dass der Rückzug Frankreichs aus Niger plötzlich alles verändere, glaubt Koné indes nicht. Schließlich sei die militärische Bekämpfung des Terrorismus nur ein Faktor. In der Vergangenheit habe die nigrische Regierung Erfolge vor allem durch einen gewissen Dialog mit Dschihadisten gehabt, um längerfristig dem Terrorismus den Nährboden zu entziehen.
Die USA könnten Medienberichten vom August zufolge ebenfalls ihre Truppen in Niger reduzieren. Sie nutzen den Drohnenbasisstützpunkt Niger Air Base 2021 bei Agadez bisher insbesondere für nachrichtendienstliche und Aufklärungsaktivitäten in der gesamten Sahel-Region. In einer Anhörung vor dem Repräsentantenhaus in Washington rieten Experten Ende September dazu, zeitnah alternative Standorte für die US-Truppen zu prüfen, insbesondere in Ghana und Senegal.
Polen hat das Einfuhrverbot für ukrainische Agrarprodukte aufgeweicht. Am Mittwoch unterzeichnete das Land ein Abkommen mit der Ukraine und Litauen, das den Transit von ukrainischem Weizen, Raps, Mais und Sonnenblumen durch das polnische Territorium zu den litauischen Häfen an der Ostsee erlaubt. Von dort soll das Getreide weiter zu den Märkten in Afrika und im Nahen Osten transportiert werden.
Polen verzichtet dabei auf Kontrollen an der polnisch-ukrainischen Grenze, erwartet aber von Vilnius eine Inspektion der Transporte bei der Ankunft in Litauen. Diese soll bestätigen, dass kein ukrainisches Getreide in Polen geblieben ist.
Seit einem Jahr behauptet Warschau, dass die Öffnung der Grenze und die Abschaffung der Einfuhrzölle für ukrainische Agrarprodukte die polnischen Bauern in den Ruin treibe. Auf Betreiben Polens und der Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien hat die EU im Frühjahr einen Einfuhrstopp für ukrainisches Getreide verhängt, den Brüssel am 15. September auslaufen ließ. Warschau kam dem zuvor und verlängerte eigenmächtig das Embargo – und verstieß damit gegen EU-Recht. Für Agrarpolitik der Mitgliedsstaaten ist Brüssel zuständig.
Die Entscheidung sorgte für auch Verstimmung in Kiew: Präsident Wolodymyr Selenskyj beschuldigte die polnische Regierung, mit ihrer Politik Russland zu unterstützen und verklagte das Land vor der Welthandelsorganisation. Darauf drohte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, weitere Waffenlieferungen aus Polen an die Ukraine zu stoppen. Die Verlängerung des Embargos und die harsche Reaktion auf die “ukrainische Undankbarkeit” hat einen Grund: In Polen herrscht Wahlkampf, am 15. Oktober wird das Parlament gewählt. Die Regierungspartei PiS kämpft um die Stimmen der Bauern, ohne die sie kaum Siegeschancen hat.
Das am Mittwoch unterzeichnete Abkommen zeigt, dass mit einem Hauch von gutem Willen das Problem zu lösen sein könnte. Schon kurz nach dem Krieg begannen die EU-Staaten “Solidaritätskorridore” einzurichten, durch die sämtliche ukrainische Agrarprodukte im Transit zu den Exporthäfen in Litauen, Polen, Deutschland und Rumänien rollen sollten. “Wir wollten der Ukraine damit die Ausfuhren ermöglichen und nicht entscheiden, wer der Endabnehmer sein wird”, sagt Eric Maier, Sprecher der EU-Kommission. Das nutzten gewiefte Zwischenhändler in Polen aus: Sie kauften das ukrainische Getreide auf dem Weg zum Hafen auf – und verkauften es mit Gewinn in Polen weiter.
Die Schäden, die den polnischen Bauern entstanden sind, halten sich in Grenzen. Denn die Kapazität aller Transitkorridore, die aus der Ukraine durch Polen Richtung Westen führen, beträgt maximal 1,5 Millionen Tonnen im Monat. Nicht genug, um die von Russland blockierten Schwarzmeer-Häfen zu ersetzen. ar
Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, hat Bundeskanzler Olaf Scholz für sein Zögern bei der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern kritisiert. Es handele sich um eine “vorgeschobene Argumentation”, die Entscheidung von der Begrenzung der Reichweite der Raketen abhängig zu machen, so Heusgen, der bis zur Abwahl Bundeskanzlerin Angela Merkels 2021 deren außen- und sicherheitspolitischer Berater war. Mit Verweis auf die Debatte über die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern sagte er, dass es sich bei der Taurus-Diskussion um eine “Vorgehensweise, die wir aus der Vergangenheit kennen” handele, und der eine “gewisse Unterstellung” zugrunde liege: Die Bundesregierung fürchte, dass die Führung um Präsident Wolodymyr Selenskyj die Geschosse auch gegen Ziele auf russischem Territorium einsetzen könne.
Großbritannien und Frankreich haben der Ukraine bereits Marschflugkörper der mit Taurus praktisch identischen Typen Storm Shadow und Scalp geliefert. Im Mai hatte die Ukraine offiziell auch bei der Bundesregierung angefragt, ob sie ihr Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern bereitstellen kann. Das ukrainische Militär benötigt die Raketen, um russische Stellungen weit hinter der Frontlinie angreifen zu können, die mit Artillerie nicht erreicht werden können.
Scholz hat sich Medienberichten zufolge gegen eine Lieferung von Taurus-Flugkörpern ausgesprochen, eine formelle Entscheidung gibt es dazu bislang aber nicht. Vor allem Grünen- und FDP-Politiker dringen in der Ampelkoalition auf eine Lieferung der Marschflugkörper. Scholz sperrt sich offenbar vor allem deswegen dagegen, weil er anders als Frankreich und Großbritannien keine Geodaten für Raketenziele liefern will. Zudem bestehe die Sorge, dass mit Taurus-Marschflugkörpern die Kertsch-Brücke zwischen dem russischen Festland und der von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim getroffen werden könnte. Auch die USA haben sich bisher nicht zu einer Lieferung ihrer weit reichenden Raketenartillerie vom Typ Atacms an die Ukraine durchringen können. Deutschland lieferte Leopard-Kampfpanzer erst, nachdem US-Präsident Joe Biden der Entsendung von Abrams-Kampfpanzern zugestimmt hatte.
Scholz sagte stattdessen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Donnerstag am Rande des Europa-Gipfels in Granada ein weiteres Patriot-Flugabwehrsystem für die Wintermonate zu. mrb/dpa
Der Oberbefehlshaber der schwedischen Armee, Micael Bydén, hat in einem Interview mit der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter die Bereitschaft Schwedens erklärt, den multinationalen Nato-Kampfverband der enhanced Forward Presence (eFP) in Lettland mit Soldaten zu unterstützen.
Er habe bereits Gespräche mit seinem lettischen Amtskollegen geführt, aber auch mit kanadischen und dänischen Militärs, sagte Bydén. Wie groß dieser Anteil ausfallen könnte, sagte er nicht. Führungsnation der Nato-Beistandsinitiative in Lettland ist Kanada, unter anderem sind auch Dänemark, Polen, Slowakei, Italien und Spanien mit Soldaten beteiligt.
Die Integration des schwedischen Militärs in die Nato sei in vollem Gange, sagte Bydén. Dennoch herrsche ein Schwebezustand, solange das Land noch nicht dem Militärbündnis beigetreten ist. Zwar hatten die Türkei und Ungarn vor dem Nato-Gipfel in Vilnius im Juli ihre Blockadehaltung aufgegeben. Doch in der ersten Sitzung des türkischen Parlaments nach der Sommerpause legte Präsident Recep Tayyip Erdoğan das Beitrittsprotokoll nicht zur Abstimmung vor.
Die vorgebrachten Gründe für die Blockadehaltung Erdoğans änderten sich mehrfach, vom Umgang mit Sympathisanten der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK über Koranverbrennungen bis zur Forderung nach Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen. Doch die eigentliche Forderung, so gab Erdoğan kürzlich zu, dreht sich um 40 Kampfjets des Typ F-16, die die Türkei von den USA kaufen will. Eine Zustimmung des US-Kongresses gilt als unwahrscheinlich.
Schweden ist ein wichtiges Land für die Versorgungsrouten der Nato Richtung Finnland und ins Baltikum. In Schweden könnten Truppen und militärisches Gerät der Nato-Mitglieder stationiert werden, sagte Bydén. Dafür müsse Schweden in seine Infrastruktur wie Häfen, Flugplätze, Straßen und Eisenbahnen investieren. Auch Unterkünfte für Truppen müssten hergerichtet werden. klm
Podcast “Streitkräfte und Strategien”: Marinedrohnen – klein und gefährlich (Folge 583). Die Ukraine setzt im Krieg gegen Russland sehr effektiv auf Marine-Drohnen und entwickelt diese laufend weiter. Die Drohne Magura kann inzwischen bis zu 800 Kilometer weit fahren und 300 Kilogramm Sprengstoff tragen. Die Boote haben vor allem den Effekt, dass große russische Kampfschiffe im Hafen bleiben, wo sie besser geschützt werden können, als auf offener See.
SWP – Turkey-Iran Rivalry in the Changing Geopolitics of the South Caucasus: Dass Aserbaidschan gestärkt aus den Eroberungen in Bergkarabach hervorgeht, besorgt den Iran. Von einem einflussreicheren Aserbaidschan profitiert auch die Türkei, die ihre Verbindungen nach Israel vertieft – Irans Erzfeind und größter Rivale um die Hegemonie in der Region.
Podcast von Julia Ioffe – About a Boy: The Story of Vladimir Putin: Es ist kein Podcast über Wladimir Putin – streng genommen. Und das ist das Gute daran. Die US-Journalistin sowjetischer Herkunft, Julia Ioffe, schildert in ihrem vielstimmigen, zweiteiligen Audiobeitrag die gesellschaftlichen Umstände, in denen Putins Generation aufwuchs. Ioffe hilft zu verstehen, was Menschen wie Putin geprägt hat. Aber sie entschuldigt nichts.
Podcast “Sicherheitshalber”: Wie wir auf die Sahelzone blicken (sollten) (Folge 76). Der Journalist und Sahel-Kenner Issio Ehrich erläutert im Gespräch mit Ulrike Franke, Frank Sauer und Carlo Masala sowie Security.Table-Redakteur Thomas Wiegold die explosive Gemengelage in den Staaten südlich der Sahara. In Mali, wo sich die Bundeswehr zusammen mit der gesamten UN-Mission Minusma auf den Abzug zum Jahresende vorbereitet, drohen Auseinandersetzungen bis hin zum Bürgerkrieg.
Seit dem Zivildienst Ende der 80er Jahre beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) brennt Christof Johnen für die humanitäre Hilfe. In der Berliner Zentrale der Wohlfahrtsorganisation leitet er nun seit elf Jahren den Bereich Internationale Zusammenarbeit. Im Blick hat er neben den in den Medien präsenten Krisen auch immer die vergessenen humanitären Katastrophen wie im Jemen, im Sudan oder in Bergkarabach.
Nicht ohne Grund: In den vergangenen zehn Jahren hat sich Deutschland zum zweitgrößten Geber humanitärer Hilfe hinter den USA entwickelt. “Deutschland ist ein äußerst guter Geber, der sich sehr den humanitären Prinzipien der Unparteilichkeit, der Neutralität, Menschlichkeit und Unabhängigkeit verpflichtet fühlt”, sagt Johnen.
Aber die Budgets seien endlich, es müsse immer eine Priorisierung geben. 3,2 Milliarden Euro hat das Auswärtige Amt, zuständig für die Finanzierung humanitärer Hilfe, 2022 bereitgestellt. “Wir sind dem Auswärtigen Amt dankbar, dass es neben den großen, präsenten Krisen die vergessenen Katastrophen nie aus den Augen verliert. Das ist eine Besonderheit deutscher humanitärer Hilfe.”
Nach dem Zivildienst als Rettungssanitäter im Ortsverein Jülich und während des Studiums zum Diplomvolkswirt an der Universität in Köln bleibt Johnen, Jahrgang 1966, dem Ehrenamt treu. Als im Golfkrieg 1991 Rettungsassistenten gebraucht werden, fliegt er in den Nahen Osten. “Ich fand den Spruch ‘Kein Blut für Öl’ etwas zu einfach. Ich ließ ein Semester sausen und ging in den Iran, wohin viele Menschen aus dem Irak flohen. Das war’s, da fing ich Feuer.”
Die folgenden Semesterferien verbringt er dort, wo humanitäre Versorgung gebraucht wird. 1992, während des kurzen Kriegs zwischen Moldau und der abtrünnigen Republik Transnistrien stattet er Krankenhäuser mit chirurgischen Gerätschaften aus. Während des ersten Tschetschenienkrieges arbeitet er als Referent im Generalsekretariat in Berlin. Anschließend geht er als Delegierter für ein Nothilfeprogramm, im Kontext des bewaffneten Konflikts in Bergkarabach, nach Armenien. “Durch den parallel stattfindenden Konflikt in Tschetschenien verschärfte sich dort die Situation”, sagt Johnen.
1997 fängt er fest beim DRK an, arbeitet zeitweise in Genf bei der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC). Dort ist er verantwortlich für die Konzeption und den Aufbau von Field Assessment & Coordination Teams (FACT), einem damals neuen Instrument der Bewegung.
Zwar wechselt er über die Jahre immer wieder mal die Perspektive, arbeitet mal für den öffentlichen Sektor im Katastrophenschutz, dann drei Jahre für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in China. Doch es zieht ihn immer wieder zum DRK zurück.
Seit 2012 koordiniert er nun die internationale Zusammenarbeit und Abstimmung innerhalb des Roten Kreuzes. Wenn andere Rotkreuz- oder – in muslimisch geprägten Staaten – Rothalbmondverbände – das DRK um Unterstützung bitten, sei es kurzfristige Nothilfe bei einer Naturkatastrophe oder aufgrund einer langwierigen humanitären Krise, ist es seine Aufgabe, das Anliegen zu prüfen. “Ein Grundsatz der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung ist die Universalität, die Pflicht zur gegenseitigen Hilfe“, erklärt Johnen. Dennoch arbeite das DRK mit manchen der weltweit 192 nationalen Verbände enger und länger zusammen als mit anderen.
So bestünden seit Jahrzehnten enge Partnerschaften mit den Rotkreuz- bzw. Rothalbmondbewegungen in Ländern wie dem Sudan, Bangladesch oder dem Libanon. Dort seien sehr viele Menschen von einer langwierigen humanitären Katastrophe betroffen. In anderen Gebieten wie dem Pazifik sei das DRK dagegen weniger aktiv. Neben geografischer gibt es auch fachliche Expertisen. “Das DRK hat zum Beispiel sehr viel Erfahrung im Aufbau logistischer Infrastrukturen. In Syrien haben wir dabei über mehrere Jahre unterstützt.”
Immer mehr Wert legt das DRK dabei auf die Lokalisierung der humanitären Hilfe – weg von interventionistischer, kurzfristiger Unterstützung, hin zur mittel- und langfristigen Stärkung lokaler Strukturen. Daher sind meist gar nicht viele internationale Mitarbeiter vor Ort, das DRK wirkt mit und durch die lokalen Verbände: “Wir sind davon überzeugt, dass Menschen, die nah an einer Krise sind, ob das ein Erdbeben oder bewaffneter Konflikt ist, selbst am besten wissen, was am dringendsten gebraucht wird.”
Lokale Kräfte hätten zudem den besten Zugang zur eigenen Bevölkerung, ob sprachlich, kulturell oder sozial. “Es hat auch etwas mit Würde zu tun, ob eine Familie jeden Monat zweieinhalb Kilo getrocknete Linsen und anderthalb Kilo Bohnen bekommt, oder Geld – vorausgesetzt, es gibt etwas zu kaufen”, sagt Johnen. Lisa-Martina Klein
Der deutsche Politikwissenschaftler Bastian Giegerich ist neuer Generaldirektor des Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS) – und damit der erste Deutsche auf diesem Posten. Das 1958 gegründete Forschungsinstitut gilt international als einer der führenden Thinktanks auf dem Gebiet der Militärpolitik.
Der 47-jährige Sicherheitsexperte studierte Politikwissenschaften an der Universität Potsdam und entschied sich früh für eine Karriere im Ausland. Nach einem Zwischenstopp an der National Defense University in Washington D.C. promovierte sich Giegerich 2005 im Bereich Internationale Beziehungen an der London School of Economics and Political Science. Nach Zwischenstationen am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr und als Referent in der Abteilung Politik des Bundesministeriums der Verteidigung wurde schließlich London sein Lebensmittelpunkt. Zuletzt leitete Giegerich das IISS-Team, das die Publikation “The Military Balance” herausgibt, die die militärischen Potenziale und Verteidigungswirtschaften von 173 Ländern auflistet und bewertet. Zudem liefert das Flaggschiff des IISS einen Überblick über bewaffnete Konflikte.
Wie tief das angelsächsische Denken auch Giegerichs Expertise beeinflusst hat, zeigt sich in seiner Fundamentalkritik an Deutschlands strategischer Kultur, unter anderem in seinem 2021 erschienenen Buch “The Responsibility to Defend. Rethinking Germany’s Strategic Culture”, das er zusammen mit dem konservativen Politologen Maximilian Terhalle vom Londoner King’s College verfasst hat. nana
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Olaf Scholz konnte gestern zwar dem Berliner Trubel entfliehen, wo ihn sogar Parteikollegen dafür kritisieren, dass er weiter keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern will. Beim Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Granada musste der Kanzler das aber Wolodymyr Selenskyj erklären – zumindest ein weiteres Patriot-System versprach Scholz dem ukrainischen Präsidenten.
Viele Fragen hätten die Teilnehmenden des Gipfels wohl auch an Recep Tayyip Erdoğan gehabt. Der türkische Präsident fehlte aber wegen Krankheit; ebenso abwesend war sein aserbaidschanischer Amtskollege Ilham Alijew, wie Stephan Israel aus Granada berichtet. Ohne Erdoğans Unterstützung hätte Alijew im September wohl kaum seine Militäroffensive gestartet, um die armenische Enklave Bergkarabach Aserbaidschan einzuverleiben.
Unangenehmes anhören musste sich Serbiens Präsident Aleksandar Vučić auf dem Gipfel. Nach den Gefechten im Nordkosovo seien Strafmaßnahmen gegen Serbien geboten, bevor weitere Gespräche mit Vučić möglich seien, sagte die kosovarische Präsidentin Vjosa Osmani,. Heute versucht Annalena Baerbock beim Treffen der Außenminister des Berliner Prozesses ebenfalls zu vermitteln – in Tirana trifft sie erst Serbiens Außenminister Ivica Dačić, dann Kosovos Außenministerin Donika Gёrvalla-Schwarz. Nacheinander, nicht zusammen.
Wir haben aber auch bessere Nachrichten: Die Bundeswehr sieht sich im beschleunigten Abzug aus Mali gut in der Zeit – trotz der schwieriger werdenden Sicherheitslage -, wie unsere Korrespondentin Lucia Weiß aus Dakar berichtet.
Eine gute Lektüre wünscht
Eigentlich sollte es ein lockeres Format für den ungezwungenen Austausch auf höchster Ebene sein. Aber vielleicht ist das Großevent mit knapp 50 Staats- und Regierungschefs einfach nicht der richtige Rahmen, um über Krieg und Frieden zu reden. Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew reiste gar nicht erst an für das dritte Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Granada. Das geplante bilaterale Gespräch über Schritte hin zu einer Normalisierung mit Armeniens Premier Nikol Paschinjan konnte deshalb nicht stattfinden.
Serbiens Aleksandar Vučić und Kosovos Vjosa Osmani kamen zwar beide pünktlich, gingen sich aber aus dem Weg. Solange Serbien für den “Akt der Aggression” in Nordkosovo nicht zur Rechenschaft gezogen werde, sei ein Dialog nicht möglich und könne man nicht einfach zur Tagesordnung zurückkehren, sagte Vjosa Osmani. Derzeit gebe es keine Gesprächsbasis. Die Präsidentin legte den Staats- und Regierungschefs nach eigenen Angaben neue Erkenntnisse vor, wonach Vučić hinter dem blutigen Angriff serbischer Paramilitärs auf eine Polizeipatrouille in Norden Kosovos stehe. Auf Seite der EU-Staaten zumindest gibt es allerdings trotz recht eindeutiger Faktenlage nach wie vor keinen Appetit, Sanktionen gegen Serbien zu verhängen.
Die Europäische Politische Gemeinschaft war ursprünglich eine Idee Macrons, auch um die Beitrittskandidaten etwas auf Distanz zu halten. Jetzt stößt das neue Format möglicherweise an seine Grenzen. Zweimal hat es ganz gut geklappt mit den halbjährlichen Treffen, die abwechslungsweise in einem EU-Staat und außerhalb der EU stattfinden sollen. Die ersten EPC-Treffen in Prag und Chișinău waren vor dem Hintergrund des Angriffskriegs Russlands mehr oder weniger offizielle Anti-Putin-Gipfel.
In Spanien schien jedoch anders als in Tschechien und Moldau der Krieg weit weg. Der russische Vernichtungskrieg gegen die Ukraine reicht zudem möglicherweise auf Dauer nicht als Klammer. Macrons Europäische Politische Gemeinschaft ohne Struktur, verbindliche Werte und klare Agenda wirkt wie eine leere Hülle. Präsident Wolodymyr Selenskyj war zwar in Granada auch wieder dabei, aber erstmals mehr Nebendarsteller als Stargast im Kreis der Staats- und Regierungschefs. Dort ist eine gewisse Ermüdung zu spüren. Selenskyj warnte in Granada, Putin plane einen langen Krieg über mehrere Jahre. Die Europäer müssten sich auf eine längerfristige Unterstützung der Ukraine einstellen.
Russlands Krieg in der Ukraine, und dann noch Bergkarabach und der Nordkosovo. Europäer wirkten in Granada angesichts von Krieg und Krisen wie ohnmächtig. Aserbaidschans Präsident schien dem hochkarätigen Rendez-vous jedenfalls ganz gezielt die kalte Schulter zu zeigen: Präsident Ilham Alijew werde wegen der “antiaserbaidschanischen Stimmung” einiger Gipfelteilnehmer nicht nach Granada fliegen, hatte die Nachrichtenagentur des Kaukasusstaates gemeldet. Gemeint ist in erster Linie Frankreich, dessen Außenministerin Catherine Colonna gerade in Jerewan war und dort die Vertreibung der armenischen Bevölkerung aus Bergkarabach verurteilt hat. Frankreich will das bedrängte Armenien zudem mit Waffen unterstützen.
Frankreich könne kein neutraler Vermittler sein, verbreite Ressentiments, so der Vorwurf aus Baku. Nicht alle in der EU positionieren sich so klar wie Frankreich, schließlich ist Aserbaidschan zuletzt wichtiger geworden als Energielieferant. Prominenter Abwesender war auch Recep Tayyip Erdoğan, der offiziell wegen einer Erkältung absagte. Die Türkei sieht sich als Schutzmacht Aserbaidschans.
Es sei schade, dass Aserbaidschan und die Türkei als wichtiger Unterstützer nicht in Granada seien, sagte der EU-Chefdiplomat Josep Borrell: “Deshalb können wir nicht über so Schwerwiegendes reden wie die Flucht von mehr als 100.000 Menschen aus ihren Häusern als Folge militärischer Gewalt.”
Eine klare Position bezog das EU-Parlament, das am Donnerstag Aserbaidschan für seinen “ungerechtfertigten militärischen Angriff auf Bergkarabach” verurteilte. Der Angriff sei eine grobe Verletzung des Völkerrechts. Das Parlament forderte die EU-Staaten auf, Sanktionen gegen aserbaidschanische Regierungsmitglieder zu verhängen, die für mehrfache Verletzungen der Menschenrechte in Bergkarabach verantwortlich seien.
Am Rande des Gipfels kamen EU-Ratspräsident Charles Michel, Macron und Scholz mit Armeniens Premier Nikol Pashinjan zusammen. In einer Erklärung unterstrichen sie ihre “unerschütterliche Unterstützung für die Unabhängigkeit, Souveränität, territoriale Integrität und Unverletzbarkeit von Armeniens Grenzen.” Armenien wurde zudem weitere humanitäre Hilfe in Aussicht gestellt. Vertriebene hätten das Recht, ohne Bedingungen und unter internationaler Aufsicht in ihre Häuser zurückzukehren. Man werde weiter alle Bemühungen hin zu einer Normalisierung der Beziehung zwischen Armenien und Aserbaidschan unterstützen.
Dynamisch ist vielleicht noch ein freundliches Wort, um die Lage im Sahel zu beschreiben. In den vergangenen acht Wochen jedenfalls haben sich die Rahmenbedingungen für den Abzug der Bundeswehr aus Mali grundlegend geändert. Nach dem Putsch in Niger Ende Juli, der viele internationale Beobachter und Regierungen kalt erwischte, kündigte Frankreich Ende September an, seine verbleibenden 1500 Soldaten aus Niger bis Ende des Jahres abzuziehen.
Dennoch gibt man sich bei der Bundeswehr optimistisch. Der Rückzug der deutschen Soldatinnen und Soldaten aus dem Sahel verlaufe wie vorgesehen. “Die Rückverlegung der Bundeswehr aus Mali ist auf gutem Weg und befindet sich im Zeitplan. Die Bundeswehr nutzt dazu als logistische Drehscheiben Bamako, Gao und Dakar, was uns eine gewisse Flexibilität bei der Rückverlegung verleiht”, so ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr gegenüber Table.Media.
Welche Folgen der von Frankreich angekündigte Abzug seiner etwa 1500 Soldaten aus Niger habe, sei noch nicht klar. “Der angekündigte Abzug Frankreichs bedeutet keinen Automatismus für die Bundeswehr im Niger. Eine Bewertung möglicher Auswirkungen auf die Bundeswehr findet derzeit statt. Dazu stimmen wir uns mit unseren multinationalen Partnern eng ab. Die Sicherheit der deutschen Soldatinnen und Soldaten sowohl im Niger als auch in Mali steht dabei im Fokus”, heißt es weiter.
Die Sicherheitslage in Mali verbessert sich derweil nicht: Neben terroristischen Angriffen nehmen Gefechte zwischen sezessionistischen Kräften und der Armee im Norden des Landes zu. Zuletzt kam es am Sonntag zu schweren Zusammenstößen in der in der Region Gao gelegenen Stadt Bamba. Dort griffen Informationen des französischen Auslandssenders RFI zufolge schwer bewaffnete Kämpfer zum zweiten Mal innerhalb eines Monats einen Armeestützpunkt an.
Die wiederaufgeflammten Auseinandersetzungen zwischen der Regierung in Bamako und malischen Gruppen aus dem Norden stellen das Friedensabkommen von Algier zunehmend infrage, das 2015 zwischen der damaligen malischen Regierung und bewaffneten Gruppen aus Nordmali geschlossen worden war. Sie verschärfen die Lage für die zivile Bevölkerung zusätzlich.
Im benachbarten Burkina Faso kündigte die Putschregierung von Hauptmann Ibrahim Traoré unterdessen eine Verschiebung der Wahlen an, nachdem bereits Mali angekündigt hatte, den ursprünglichen Wahltermin im Februar 2024 “aus technischen Gründen” nicht einhalten zu können. Im staatlichen Fernsehen sagte Traoré, bis nicht jeder in seinem Land in Sicherheit wählen könne, werde es auch keine Wahlen geben. Der jüngste Staatsstreich in Burkina Faso jährte sich am 30. September zum ersten Mal.
Die drei Sahelländer Burkina Faso, Mali und Niger sind jüngst noch enger zusammengerückt. Mitte September gründeten sie ein Verteidigungsbündnis, um sich gegen eine mögliche Intervention der anderen Ecowas-Staaten zu schützen – und um gemeinsam beim Kampf gegen Terrorismus vorzugehen. Darüber hinaus sicherten sich die drei Putschregierungen Hilfe im Falle “interner Aufstände” zu. Die Bundeswehr äußerte sich nicht konkret auf Nachfragen zu diesem Thema, sondern verwies auf politische Instanzen zur Bewertung.
“Das Bündnis ist die Formalisierung des gemeinsamen Willens, den die drei Länder nach der Ankündigung der Ecowas, in Niger militärisch zu intervenieren, schon nicht versteckt hatten”, analysiert der in Bamako ansässige Forscher Fahiraman Rodrigue Koné im Gespräch mit Table.Media. Die drei Sahelländer seien entscheidend für die Sicherheit in ganz Westafrika. “Ohne die drei Länder lässt sich in Sachen Sicherheit im Sahel nichts erreichen. Dort liegt das Epizentrum des dschihadistischen Terrors, der die ganze Region betrifft.”
Koné, der für das renommierte Institute for Security Studies (ISS) in Dakar als Sahel-Experte arbeitet, plädiert für eine realistische Sicht auf die sogenannte Allianz der Sahelstaaten. “Das Bündnis sollte nicht unterschätzt werden. Die Absicht der drei Länder, militärisch zusammenzuarbeiten ist an sich auch nicht neu. Sie haben schon einige Anti-Terror-Aktionen gemeinsam durchgeführt. Allerdings ist ihr realer Wirkungsgrad beschränkt, denn sowohl ihre Ausrüstung als auch ihr Personal sind begrenzt.”
Dass der Rückzug Frankreichs aus Niger plötzlich alles verändere, glaubt Koné indes nicht. Schließlich sei die militärische Bekämpfung des Terrorismus nur ein Faktor. In der Vergangenheit habe die nigrische Regierung Erfolge vor allem durch einen gewissen Dialog mit Dschihadisten gehabt, um längerfristig dem Terrorismus den Nährboden zu entziehen.
Die USA könnten Medienberichten vom August zufolge ebenfalls ihre Truppen in Niger reduzieren. Sie nutzen den Drohnenbasisstützpunkt Niger Air Base 2021 bei Agadez bisher insbesondere für nachrichtendienstliche und Aufklärungsaktivitäten in der gesamten Sahel-Region. In einer Anhörung vor dem Repräsentantenhaus in Washington rieten Experten Ende September dazu, zeitnah alternative Standorte für die US-Truppen zu prüfen, insbesondere in Ghana und Senegal.
Polen hat das Einfuhrverbot für ukrainische Agrarprodukte aufgeweicht. Am Mittwoch unterzeichnete das Land ein Abkommen mit der Ukraine und Litauen, das den Transit von ukrainischem Weizen, Raps, Mais und Sonnenblumen durch das polnische Territorium zu den litauischen Häfen an der Ostsee erlaubt. Von dort soll das Getreide weiter zu den Märkten in Afrika und im Nahen Osten transportiert werden.
Polen verzichtet dabei auf Kontrollen an der polnisch-ukrainischen Grenze, erwartet aber von Vilnius eine Inspektion der Transporte bei der Ankunft in Litauen. Diese soll bestätigen, dass kein ukrainisches Getreide in Polen geblieben ist.
Seit einem Jahr behauptet Warschau, dass die Öffnung der Grenze und die Abschaffung der Einfuhrzölle für ukrainische Agrarprodukte die polnischen Bauern in den Ruin treibe. Auf Betreiben Polens und der Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien hat die EU im Frühjahr einen Einfuhrstopp für ukrainisches Getreide verhängt, den Brüssel am 15. September auslaufen ließ. Warschau kam dem zuvor und verlängerte eigenmächtig das Embargo – und verstieß damit gegen EU-Recht. Für Agrarpolitik der Mitgliedsstaaten ist Brüssel zuständig.
Die Entscheidung sorgte für auch Verstimmung in Kiew: Präsident Wolodymyr Selenskyj beschuldigte die polnische Regierung, mit ihrer Politik Russland zu unterstützen und verklagte das Land vor der Welthandelsorganisation. Darauf drohte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, weitere Waffenlieferungen aus Polen an die Ukraine zu stoppen. Die Verlängerung des Embargos und die harsche Reaktion auf die “ukrainische Undankbarkeit” hat einen Grund: In Polen herrscht Wahlkampf, am 15. Oktober wird das Parlament gewählt. Die Regierungspartei PiS kämpft um die Stimmen der Bauern, ohne die sie kaum Siegeschancen hat.
Das am Mittwoch unterzeichnete Abkommen zeigt, dass mit einem Hauch von gutem Willen das Problem zu lösen sein könnte. Schon kurz nach dem Krieg begannen die EU-Staaten “Solidaritätskorridore” einzurichten, durch die sämtliche ukrainische Agrarprodukte im Transit zu den Exporthäfen in Litauen, Polen, Deutschland und Rumänien rollen sollten. “Wir wollten der Ukraine damit die Ausfuhren ermöglichen und nicht entscheiden, wer der Endabnehmer sein wird”, sagt Eric Maier, Sprecher der EU-Kommission. Das nutzten gewiefte Zwischenhändler in Polen aus: Sie kauften das ukrainische Getreide auf dem Weg zum Hafen auf – und verkauften es mit Gewinn in Polen weiter.
Die Schäden, die den polnischen Bauern entstanden sind, halten sich in Grenzen. Denn die Kapazität aller Transitkorridore, die aus der Ukraine durch Polen Richtung Westen führen, beträgt maximal 1,5 Millionen Tonnen im Monat. Nicht genug, um die von Russland blockierten Schwarzmeer-Häfen zu ersetzen. ar
Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, hat Bundeskanzler Olaf Scholz für sein Zögern bei der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern kritisiert. Es handele sich um eine “vorgeschobene Argumentation”, die Entscheidung von der Begrenzung der Reichweite der Raketen abhängig zu machen, so Heusgen, der bis zur Abwahl Bundeskanzlerin Angela Merkels 2021 deren außen- und sicherheitspolitischer Berater war. Mit Verweis auf die Debatte über die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern sagte er, dass es sich bei der Taurus-Diskussion um eine “Vorgehensweise, die wir aus der Vergangenheit kennen” handele, und der eine “gewisse Unterstellung” zugrunde liege: Die Bundesregierung fürchte, dass die Führung um Präsident Wolodymyr Selenskyj die Geschosse auch gegen Ziele auf russischem Territorium einsetzen könne.
Großbritannien und Frankreich haben der Ukraine bereits Marschflugkörper der mit Taurus praktisch identischen Typen Storm Shadow und Scalp geliefert. Im Mai hatte die Ukraine offiziell auch bei der Bundesregierung angefragt, ob sie ihr Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern bereitstellen kann. Das ukrainische Militär benötigt die Raketen, um russische Stellungen weit hinter der Frontlinie angreifen zu können, die mit Artillerie nicht erreicht werden können.
Scholz hat sich Medienberichten zufolge gegen eine Lieferung von Taurus-Flugkörpern ausgesprochen, eine formelle Entscheidung gibt es dazu bislang aber nicht. Vor allem Grünen- und FDP-Politiker dringen in der Ampelkoalition auf eine Lieferung der Marschflugkörper. Scholz sperrt sich offenbar vor allem deswegen dagegen, weil er anders als Frankreich und Großbritannien keine Geodaten für Raketenziele liefern will. Zudem bestehe die Sorge, dass mit Taurus-Marschflugkörpern die Kertsch-Brücke zwischen dem russischen Festland und der von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim getroffen werden könnte. Auch die USA haben sich bisher nicht zu einer Lieferung ihrer weit reichenden Raketenartillerie vom Typ Atacms an die Ukraine durchringen können. Deutschland lieferte Leopard-Kampfpanzer erst, nachdem US-Präsident Joe Biden der Entsendung von Abrams-Kampfpanzern zugestimmt hatte.
Scholz sagte stattdessen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Donnerstag am Rande des Europa-Gipfels in Granada ein weiteres Patriot-Flugabwehrsystem für die Wintermonate zu. mrb/dpa
Der Oberbefehlshaber der schwedischen Armee, Micael Bydén, hat in einem Interview mit der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter die Bereitschaft Schwedens erklärt, den multinationalen Nato-Kampfverband der enhanced Forward Presence (eFP) in Lettland mit Soldaten zu unterstützen.
Er habe bereits Gespräche mit seinem lettischen Amtskollegen geführt, aber auch mit kanadischen und dänischen Militärs, sagte Bydén. Wie groß dieser Anteil ausfallen könnte, sagte er nicht. Führungsnation der Nato-Beistandsinitiative in Lettland ist Kanada, unter anderem sind auch Dänemark, Polen, Slowakei, Italien und Spanien mit Soldaten beteiligt.
Die Integration des schwedischen Militärs in die Nato sei in vollem Gange, sagte Bydén. Dennoch herrsche ein Schwebezustand, solange das Land noch nicht dem Militärbündnis beigetreten ist. Zwar hatten die Türkei und Ungarn vor dem Nato-Gipfel in Vilnius im Juli ihre Blockadehaltung aufgegeben. Doch in der ersten Sitzung des türkischen Parlaments nach der Sommerpause legte Präsident Recep Tayyip Erdoğan das Beitrittsprotokoll nicht zur Abstimmung vor.
Die vorgebrachten Gründe für die Blockadehaltung Erdoğans änderten sich mehrfach, vom Umgang mit Sympathisanten der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK über Koranverbrennungen bis zur Forderung nach Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen. Doch die eigentliche Forderung, so gab Erdoğan kürzlich zu, dreht sich um 40 Kampfjets des Typ F-16, die die Türkei von den USA kaufen will. Eine Zustimmung des US-Kongresses gilt als unwahrscheinlich.
Schweden ist ein wichtiges Land für die Versorgungsrouten der Nato Richtung Finnland und ins Baltikum. In Schweden könnten Truppen und militärisches Gerät der Nato-Mitglieder stationiert werden, sagte Bydén. Dafür müsse Schweden in seine Infrastruktur wie Häfen, Flugplätze, Straßen und Eisenbahnen investieren. Auch Unterkünfte für Truppen müssten hergerichtet werden. klm
Podcast “Streitkräfte und Strategien”: Marinedrohnen – klein und gefährlich (Folge 583). Die Ukraine setzt im Krieg gegen Russland sehr effektiv auf Marine-Drohnen und entwickelt diese laufend weiter. Die Drohne Magura kann inzwischen bis zu 800 Kilometer weit fahren und 300 Kilogramm Sprengstoff tragen. Die Boote haben vor allem den Effekt, dass große russische Kampfschiffe im Hafen bleiben, wo sie besser geschützt werden können, als auf offener See.
SWP – Turkey-Iran Rivalry in the Changing Geopolitics of the South Caucasus: Dass Aserbaidschan gestärkt aus den Eroberungen in Bergkarabach hervorgeht, besorgt den Iran. Von einem einflussreicheren Aserbaidschan profitiert auch die Türkei, die ihre Verbindungen nach Israel vertieft – Irans Erzfeind und größter Rivale um die Hegemonie in der Region.
Podcast von Julia Ioffe – About a Boy: The Story of Vladimir Putin: Es ist kein Podcast über Wladimir Putin – streng genommen. Und das ist das Gute daran. Die US-Journalistin sowjetischer Herkunft, Julia Ioffe, schildert in ihrem vielstimmigen, zweiteiligen Audiobeitrag die gesellschaftlichen Umstände, in denen Putins Generation aufwuchs. Ioffe hilft zu verstehen, was Menschen wie Putin geprägt hat. Aber sie entschuldigt nichts.
Podcast “Sicherheitshalber”: Wie wir auf die Sahelzone blicken (sollten) (Folge 76). Der Journalist und Sahel-Kenner Issio Ehrich erläutert im Gespräch mit Ulrike Franke, Frank Sauer und Carlo Masala sowie Security.Table-Redakteur Thomas Wiegold die explosive Gemengelage in den Staaten südlich der Sahara. In Mali, wo sich die Bundeswehr zusammen mit der gesamten UN-Mission Minusma auf den Abzug zum Jahresende vorbereitet, drohen Auseinandersetzungen bis hin zum Bürgerkrieg.
Seit dem Zivildienst Ende der 80er Jahre beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) brennt Christof Johnen für die humanitäre Hilfe. In der Berliner Zentrale der Wohlfahrtsorganisation leitet er nun seit elf Jahren den Bereich Internationale Zusammenarbeit. Im Blick hat er neben den in den Medien präsenten Krisen auch immer die vergessenen humanitären Katastrophen wie im Jemen, im Sudan oder in Bergkarabach.
Nicht ohne Grund: In den vergangenen zehn Jahren hat sich Deutschland zum zweitgrößten Geber humanitärer Hilfe hinter den USA entwickelt. “Deutschland ist ein äußerst guter Geber, der sich sehr den humanitären Prinzipien der Unparteilichkeit, der Neutralität, Menschlichkeit und Unabhängigkeit verpflichtet fühlt”, sagt Johnen.
Aber die Budgets seien endlich, es müsse immer eine Priorisierung geben. 3,2 Milliarden Euro hat das Auswärtige Amt, zuständig für die Finanzierung humanitärer Hilfe, 2022 bereitgestellt. “Wir sind dem Auswärtigen Amt dankbar, dass es neben den großen, präsenten Krisen die vergessenen Katastrophen nie aus den Augen verliert. Das ist eine Besonderheit deutscher humanitärer Hilfe.”
Nach dem Zivildienst als Rettungssanitäter im Ortsverein Jülich und während des Studiums zum Diplomvolkswirt an der Universität in Köln bleibt Johnen, Jahrgang 1966, dem Ehrenamt treu. Als im Golfkrieg 1991 Rettungsassistenten gebraucht werden, fliegt er in den Nahen Osten. “Ich fand den Spruch ‘Kein Blut für Öl’ etwas zu einfach. Ich ließ ein Semester sausen und ging in den Iran, wohin viele Menschen aus dem Irak flohen. Das war’s, da fing ich Feuer.”
Die folgenden Semesterferien verbringt er dort, wo humanitäre Versorgung gebraucht wird. 1992, während des kurzen Kriegs zwischen Moldau und der abtrünnigen Republik Transnistrien stattet er Krankenhäuser mit chirurgischen Gerätschaften aus. Während des ersten Tschetschenienkrieges arbeitet er als Referent im Generalsekretariat in Berlin. Anschließend geht er als Delegierter für ein Nothilfeprogramm, im Kontext des bewaffneten Konflikts in Bergkarabach, nach Armenien. “Durch den parallel stattfindenden Konflikt in Tschetschenien verschärfte sich dort die Situation”, sagt Johnen.
1997 fängt er fest beim DRK an, arbeitet zeitweise in Genf bei der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC). Dort ist er verantwortlich für die Konzeption und den Aufbau von Field Assessment & Coordination Teams (FACT), einem damals neuen Instrument der Bewegung.
Zwar wechselt er über die Jahre immer wieder mal die Perspektive, arbeitet mal für den öffentlichen Sektor im Katastrophenschutz, dann drei Jahre für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in China. Doch es zieht ihn immer wieder zum DRK zurück.
Seit 2012 koordiniert er nun die internationale Zusammenarbeit und Abstimmung innerhalb des Roten Kreuzes. Wenn andere Rotkreuz- oder – in muslimisch geprägten Staaten – Rothalbmondverbände – das DRK um Unterstützung bitten, sei es kurzfristige Nothilfe bei einer Naturkatastrophe oder aufgrund einer langwierigen humanitären Krise, ist es seine Aufgabe, das Anliegen zu prüfen. “Ein Grundsatz der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung ist die Universalität, die Pflicht zur gegenseitigen Hilfe“, erklärt Johnen. Dennoch arbeite das DRK mit manchen der weltweit 192 nationalen Verbände enger und länger zusammen als mit anderen.
So bestünden seit Jahrzehnten enge Partnerschaften mit den Rotkreuz- bzw. Rothalbmondbewegungen in Ländern wie dem Sudan, Bangladesch oder dem Libanon. Dort seien sehr viele Menschen von einer langwierigen humanitären Katastrophe betroffen. In anderen Gebieten wie dem Pazifik sei das DRK dagegen weniger aktiv. Neben geografischer gibt es auch fachliche Expertisen. “Das DRK hat zum Beispiel sehr viel Erfahrung im Aufbau logistischer Infrastrukturen. In Syrien haben wir dabei über mehrere Jahre unterstützt.”
Immer mehr Wert legt das DRK dabei auf die Lokalisierung der humanitären Hilfe – weg von interventionistischer, kurzfristiger Unterstützung, hin zur mittel- und langfristigen Stärkung lokaler Strukturen. Daher sind meist gar nicht viele internationale Mitarbeiter vor Ort, das DRK wirkt mit und durch die lokalen Verbände: “Wir sind davon überzeugt, dass Menschen, die nah an einer Krise sind, ob das ein Erdbeben oder bewaffneter Konflikt ist, selbst am besten wissen, was am dringendsten gebraucht wird.”
Lokale Kräfte hätten zudem den besten Zugang zur eigenen Bevölkerung, ob sprachlich, kulturell oder sozial. “Es hat auch etwas mit Würde zu tun, ob eine Familie jeden Monat zweieinhalb Kilo getrocknete Linsen und anderthalb Kilo Bohnen bekommt, oder Geld – vorausgesetzt, es gibt etwas zu kaufen”, sagt Johnen. Lisa-Martina Klein
Der deutsche Politikwissenschaftler Bastian Giegerich ist neuer Generaldirektor des Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS) – und damit der erste Deutsche auf diesem Posten. Das 1958 gegründete Forschungsinstitut gilt international als einer der führenden Thinktanks auf dem Gebiet der Militärpolitik.
Der 47-jährige Sicherheitsexperte studierte Politikwissenschaften an der Universität Potsdam und entschied sich früh für eine Karriere im Ausland. Nach einem Zwischenstopp an der National Defense University in Washington D.C. promovierte sich Giegerich 2005 im Bereich Internationale Beziehungen an der London School of Economics and Political Science. Nach Zwischenstationen am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr und als Referent in der Abteilung Politik des Bundesministeriums der Verteidigung wurde schließlich London sein Lebensmittelpunkt. Zuletzt leitete Giegerich das IISS-Team, das die Publikation “The Military Balance” herausgibt, die die militärischen Potenziale und Verteidigungswirtschaften von 173 Ländern auflistet und bewertet. Zudem liefert das Flaggschiff des IISS einen Überblick über bewaffnete Konflikte.
Wie tief das angelsächsische Denken auch Giegerichs Expertise beeinflusst hat, zeigt sich in seiner Fundamentalkritik an Deutschlands strategischer Kultur, unter anderem in seinem 2021 erschienenen Buch “The Responsibility to Defend. Rethinking Germany’s Strategic Culture”, das er zusammen mit dem konservativen Politologen Maximilian Terhalle vom Londoner King’s College verfasst hat. nana
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