Eurofighter für Saudi-Arabien? Die Bundesregierung gibt ihre bisherige Blockade auf, doch aus den Ampelfraktionen regt sich bereits Widerstand. Die News zum möglichen nächsten Streit in der Koalition fasst Gabriel Bub zusammen.
Nach den verheerenden, massiven Angriffen Russlands auf die Ukraine mit Raketen und Drohnen-Schwärmen zum Jahreswechsel stellt sich zunehmend die Frage, wer länger durchhält: Moskau oder die westlichen Unterstützer Kiews? Mein Kollege in Brüssel, Stephan Israel, und ich analysieren die Lage. So viel vorab: Kurzfristig sieht es für die Ukraine nicht gut aus.
Wir blicken auch auf die innenpolitische Sicherheitslage im Iran. Shams Ul Haq zeigt auf, wie sich Teheran den IS zum Feind gemacht hat, der sich zu den Anschlägen vom 3. Januar bekannt hat. Dennoch beschuldigt die Führung des Landes die USA und Israel, hinter dem Attentat zu stecken.
Im Standpunkt schreibt Hans-Walter Borries, Vize-Vorstandsvorsitzender im Bundesverband Schutz Kritischer Infrastruktur, dass Deutschland endlich mehr für den Katastrophenschutz tun müsse – insbesondere bei Hochwasserlagen.
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Wer hat den längeren Atem im Konflikt um die Ukraine: die westlichen Helfer oder Moskau? Eigentlich müsste der Fall klar sein im Verhältnis zwischen den mächtigsten Volkswirtschaften der Welt und Russland. Doch während der russische Präsident Wladimir Putin sein Land im Alleingang auf Kriegswirtschaft gebracht hat, tun sich die westlichen Verbündeten Kiews schwer, die Widerstandskraft der Ukraine nachhaltig zu stärken.
Russland soll bereits nordkoreanische Raketen in der Ukraine eingesetzt haben und wird demnächst auch aus dem Iran Kurzstreckenraketen erhalten. Trotz eigener Produktionsprobleme eröffnet Moskau für sich also weitere Bezugsquellen für Munition und Waffen. Auf der anderen Seite steht die Ukraine, die auf den Westen angewiesen ist und bei der Munition sparsamer als Russland vorgehen muss. Denn die EU hängt mit der versprochenen Lieferung von einer Million Schuss Artilleriemunition bis März 2024 hinterher. Laut Wall Street Journal verbraucht die russische Armee aktuell 10.000 Schuss Artilleriemunition pro Tag, während die Ukraine 2.000 Schuss abfeuern kann.
EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton stieß im Frühsommer 2023 mit seiner Forderung auf Kritik, die Europäer müssten es Russland gleichtun und die Verteidigungsindustrie ebenfalls auf Kriegswirtschaft trimmen. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius wies damals nicht nur den Begriff zurück, sondern auch die Vorstellung, dass Europas Wirtschaft den Bedürfnissen der Rüstungsindustrie untergeordnet werden müsste. Doch der Ton ändert sich.
Putin steigere Russlands Rüstungsproduktion erheblich, nach offiziellen Angaben um mehr als 60 Prozent, sagte Pistorius kürzlich in einem Interview mit der “Welt am Sonntag”. Die Nato und Deutschland hätten Nachholbedarf, müssten in “fünf bis acht Jahren” bereit sein. Gemeint war eine mögliche Konfrontation mit Russland.
Moskau hat jedenfalls eine Budgetplanung für die kommenden drei Jahre vorgenommen, die dem Militär große Anteile sichert. Allein in diesem Jahr sind mehr als sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Kriegsmaschinerie vorgesehen. 2025 und 2026 soll der Anteil ebenfalls hoch bleiben. Auch wenn die Planung von zu hohen Einnahmen aus dem Exporthandel mit Öl ausgeht, so dürfte die Prämisse Putins – die Ukraine niederzuringen – erhalten bleiben.
Langfristig sei das keine gute Entwicklung für Russland, sagt die Soziologin und Wirtschaftswissenschaftlerin Alexandra Prokopenko im Gespräch mit Table.Media. Die ehemalige Mitarbeiterin der russischen Zentralbank hatte Russland nach Kriegsbeginn im Februar 2022 verlassen und arbeitet heute als Analystin für das Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin. “Wenn sogenannte nichtproduktive Sektoren, zu denen auch die Verteidigungsindustrie gehört, zu stark finanziert werden, bremst das die Entwicklung in anderen Bereichen“, erläutert Prokopenko.
Der Arbeitskräftemangel in Russland, der mit der Einberufung für den Krieg, der kriegsbedingten Auswanderung hunderttausender gut qualifizierter Menschen und der Abwerbung der Arbeitskräfte in die Rüstungsbranche zusammenhängt, zeigt bereits die ersten Probleme. Kurzfristig werden sie sich aber nicht spürbar auf die russische Volkswirtschaft auswirken. Kurzfristig sieht es eher für die Ukraine düster aus.
Die jüngsten Raketen- und Drohnenangriffe zielen, wie befürchtet, auf die zivile Kritische Infrastruktur. Russland versucht mit Masse die verbesserte ukrainische Luftverteidigung zu umgehen. Im Gegenzug bekommt die Ukraine von Deutschland und anderen Nato-Staaten weitere Luftverteidigungssysteme. Bei dem eilig von Kiew ersuchten Nato-Ukraine-Treffen am Mittwoch, 10. Januar, soll es noch einmal explizit um dieses Thema gehen.
Die zwei Jahre Krieg haben sowohl die Ukraine als auch Russland dazu genutzt, ihre Drohnen-Flotten zu erweitern und zu entwickeln. Verteidigung in und aus der Luft wird entsprechend die nächste Phase des Krieges stark prägen. Dass Europa die Ukraine für und vor der Frühjahrsoffensive 2023 nicht so gut gestärkt hat, wie es das hätte tun können, hängt nicht nur mit fehlenden eigenen Fertigungskapazitäten für Munition zusammen. Laut EU-Kommissar Thierry Breton exportiert Europas Rüstungsindustrie nach wie vor einen guten Teil der Produktion in Drittstaaten. Der Franzose wollte die Möglichkeit haben, die Firmen zu verpflichten, ihre Exporte zugunsten der Ukraine zu priorisieren. Doch die Mitgliedstaaten lehnten dies ab.
Frankreich und andere wiederum verhinderten, dass mit EU-Mitteln Geschosse von Herstellern außerhalb der EU eingekauft wurden. Infrage gekommen wären etwa südkoreanische Hersteller. Zudem hätten die EU-Mitglieder nur zögerlich auf die Rahmenverträge mit Rheinmetall und Co. reagiert und bisher erst wenige Bestellungen platziert, heißt es zudem in Brüssel.
Das Beispiel Munition zeigt gut, dass die Solidarität für die Ukraine zuweilen an den wirtschaftlichen Interessen der EU-Staaten endet. Thierry Breton bleibt aber zuversichtlich, dass bis zum Frühling die Produktionskapazität für Artilleriegeschosse auf eine Million pro Jahr ausgebaut werden kann. Auch das Ziel von einer Million Geschosse für die Ukraine könnte mit Verspätung erreicht werden.
Mittelfristig sieht die Perspektive für die Ukraine besser aus. EU-Ratspräsident Charles Michel hat für den 1. Februar einen Sondergipfel einberufen. Dort dürften die 50 Milliarden Euro Finanz- und Wirtschaftshilfen für die Ukraine im zweiten Anlauf beschlossen werden. 26 Mitgliedstaaten wollen dies notfalls außerhalb des EU-Haushalts tun, wenn Viktor Orbán weiterhin blockiert.
Grundsätzlich zeigt zwar auch die Nato keine Ermüdungserscheinungen: “Wir stehen an der Seite der Ukraine so lange wie nötig”, sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg nach dem letzten Nato-Ukraine-Rat. Die Nato-Staaten haben bilateral der Ukraine Militärhilfe in Höhe von 100 Milliarden Euro zugesagt, wobei die Hälfte inzwischen von den europäischen Verbündeten kommt.
Im April feiert das Bündnis sein 75-Jähriges Jubiläum und für Juli ist in Washington der nächste Gipfel geplant. Den will Joe Biden auch für seinen Wahlkampf nutzen. Die Nato-Staaten werden es sich vor diesem Hintergrund kaum leisten können, in ihrer Unterstützung nachzulassen. In Washington könnte auch Mark Rutte als derzeitiger Favorit im Rennen um die Nachfolge von Stoltenberg den Posten des Nato-Generalsekretärs formell übernehmen. Der bisherige niederländische Regierungschef steht fest an der Seite der Ukraine.
Die USA allein werden jedoch wahrscheinlich nicht so schnell weitere große Hilfspakete der Ukraine liefern. Zumindest würden sie nicht so hoch wie 2022 und 2023 ausfallen, sagte ein Sprecher des Weißen Hauses vergangene Woche. Eine wachsende Rolle kommt also der EU zu. Zwar ist der Plan des EU-Außenbeauftragten, Josep Borrell, die Finanzierung der Militärhilfe mit 20 Milliarden Euro für die nächsten vier Jahre abzusichern, gescheitert. Die EU dürfte aber bald eine erste jährliche Tranche von fünf Milliarden Euro beschließen. Zudem hat Berlin allein acht Milliarden Euro an Hilfe zugesagt. Dieses Jahr dürfte die Ukraine also weitere Leopard-Kampfpanzer, Luftverteidigungssysteme und die ersten F-16 Kampfflugzeuge bekommen. Eine Koalition mit den USA, den Niederlanden, Dänemark, Norwegen und Großbritannien bildet derzeit ukrainische Piloten für die Maschine aus.
Für die EU und andere Staaten stellt sich die Frage, wie Russland weiter ökonomisch unter Druck gesetzt werden kann. Nach zwölf Sanktionspaketen gelingt es Moskau noch immer, Schlupflöcher zu finden. Wirtschaftsexpertin Alexandra Prokopenko sagt deshalb: “In diesem Jahr wird es nicht nur um neue Sanktionen, sondern um deren Durchsetzung gehen.” Russische Unternehmen und die Regierung würden erhebliche Kräfte darauf aufwenden, die Sanktionen zu umgehen. “Ich denke, der Westen müsste aktiver an die Staaten herantreten, die Russland dabei helfen, also Kasachstan, Kirgistan, Vereinigte Arabische Emirate und die Türkei.”
Eigentlich schien die Sache mit dem auf der offiziellen Website der Terrororganisation Islamischer Staat veröffentlichten Bekennervideo klar: Zwei Tage nach dem Anschlag in Kerman mit 88 Toten übernahm die Gruppe Islamischer Staat (ISIS-K) von Khorasan die Verantwortung für die Tat. Khorasan ist der Name einer historischen Region, die Afghanistan und den Nordosten Irans einschließt. Die Mitglieder der seit 2014 aktiven Gruppe setzen sich zusammen aus Abspaltungen der Taliban in Pakistan und Afghanistan sowie dem Haqqani-Netzwerk. Nach Meinung iranischer Fachleute wird die Gruppe von den USA finanziert.
Offizielle iranische Schuldzuweisungen in Richtung einer Urheberschaft Washingtons und Jerusalems wies die US-Regierung am Wochenende jedoch zurück. “Die Vereinigten Staaten waren in keiner Weise beteiligt, und jede gegenteilige Behauptung ist lächerlich”, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums Matthew Miller. “Wir haben keinen Grund zu der Annahme, dass Israel an dieser Explosion beteiligt war.” Mindestens zwei Sprengsätze gingen bei den Feierlichkeiten zum 4. Jahrestag der Tötung des Oberkommandierenden der iranischen Revolutionsgarden, Qasem Soleimani, in dessen Heimatstadt Kerman hoch.
Die Taliban-Regierung in Afghanistan betrachtet ISIS-K als aufständische Gruppe, doch was sie für den Anschlag in der derzeitigen außenpolitischen Situation motiviert haben könnte, bleibt nebulös. Sollte das Ziel wirklich gewesen sein, einen Spaltpilz zwischen Sunniten und Schiiten im Iran zu treiben, würden in der gegenwärtigen Lage eigentlich nur Israel und die USA profitieren.
Allerdings haben die IS-Terroristen mehrere Rechnungen mit dem Iran offen. So waren es die von Soleimani befehligte Quds-Einheit – eine Unterabteilung der iranischen Revolutionsgarden – und die vom Iran unterstützten schiitischen Kämpfer der Hisbollah-Miliz, die sich zwischen 2017 und 2019 maßgeblich an der Zerschlagung des vom IS ausgerufenen Kalifats in Syrien und im Irak beteiligt hatten.
Doch im Iran gibt es Zweifel an der Urheberschaft des IS. “Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Behauptung des IS, an dem Angriff beteiligt gewesen zu sein, falsch ist”, sagte der iranische Verteidigungsexperte Babak Taghvaee dem Nachrichtenportal Iran International. “Sie haben das Gleiche in der Vergangenheit getan. Es gab weitere Terroranschläge auf der ganzen Welt, und wenn die Angreifer keine Verantwortung übernahmen und keine Erklärung veröffentlichten, war es der IS, der sie gekapert hat.”
Das Attentat fällt in eine Tauwetter-Phase zwischen den geopolitischen Widersachern Iran und Saudi-Arabien. Vielleicht, um diesen Annäherungsprozess nicht zu gefährden, oder aber aus Misstrauen gegenüber der Erklärung der Terrorgruppe beharren iranische Beamte auf der These, dass Israel und die USA für die Tat Verantwortung tragen. So äußerte sich auch Präsident Ibrahim Raisi bei einer Zeremonie in Kerman zu Ehren der Opfer.
Die Nachrichtenagentur Tasnim, der Medienzweig der Revolutionsgarden, behauptete sogar, dass “Israel dem IS befohlen habe, die Verantwortung für den Angriff zu übernehmen.” Der frühere iranische Regierungssprecher und Reformpolitiker Ali Rabiei äußerte ebenfalls, dass der israelische Mossad die Gruppe möglicherweise infiltriert habe. So sei die Gruppe zu dem Angriff ermutigt worden, um den Iran in die regionalen Konflikte und den Gaza-Krieg hineinzuziehen.
“Die Islamische Republik ist sich sehr bewusst, dass diese Angriffe zusammengenommen eine Falle sein könnten, um den Krieg auf den Iran auszuweiten”, äußerte dazu der in Teheran ansässige politische Analyst Sasan Karimi.
Das Attentat trifft das Selbstverständnis der iranischen Führung hart, denn über Jahre hinweg rechtfertigte das System seine Militärpräsenz im Irak und in Syrien gerade dadurch, dort effektiv bei der Bekämpfung von Terroristen vorzugehen. Zwar fordern iranische Hardliner nun Gegenreaktionen, und der erste Vizepräsident Irans, Mohammad Mokhber, äußerte bei einem Krankenhausbesuch: “Die Soldaten von Soleimani werden ihnen eine sehr starke Vergeltungsmaßnahme auferlegen.” Aufgrund der innenpolitischen Spannungen stehen mittlerweile Teile des Militärapparats in Distanz zur geistlichen Führung. Doch Irans oberster Führer Ayatollah Ali Khamenei wies die Militärkommandanten an, “strategische Zurückhaltung” zu üben und eine direkte militärische Konfrontation mit den USA um jeden Preis zu vermeiden.
Das iranische Geheimdienstministerium teilte am vergangenen Freitag mit, dass zwölf Personen in sechs verschiedenen Provinzen festgenommen worden seien. Sie stünden im Verdacht, mit dem Attentat zu tun gehabt zu haben. Die Breite der Vernetzung überraschte. Einer der Selbstmordattentäter stamme aus Tadschikistan, die Identität des zweiten sei noch nicht bestätigt. Sicherheitskräfte hätten in Kerman den Unterschlupf der Angreifer ausfindig machen können. Dabei wären Westen für Selbstmordattentäter, Apparaturen zum Fernzünden von Sprengstoffen und diverse Sprengkörper entdeckt worden, die auf weitere Anschlagsplanungen hindeuten. Das deckt sich mit einer neuen Verlautbarung des Islamischen Staates vom Freitag, in der er mit weiteren Angriffen gedroht und den Kerman-Anschlag als “Beginn unseres Krieges” mit dem Iran bezeichnet hatte.
Der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner spricht sich gegen die Lieferung von Eurofighter-Kampfjets nach Saudi-Arabien aus. “Saudi-Arabien ist am Jemen-Krieg beteiligt, Saudi-Arabien lässt Journalisten ermorden. Das ist kein Land, an das wir Waffen liefern sollten”, sagte er Table.Media. Außenministerin Annalena Baerbock hatte am Sonntagabend in Jerusalem mitgeteilt, dass Deutschland sich “den britischen Überlegungen zu weiteren Eurofightern für Saudi-Arabien” nicht entgegenstellen werde. Regierungssprecher Steffen Hebestreit machte am Montag deutlich, dass diese Haltung in der Bundesregierung “eng abgestimmt” sei. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz stehe hinter dieser Entscheidung.
Seit den Angriffen der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 nehme Saudi-Arabien eine “sehr konstruktive Haltung” gegenüber Israel ein, erläuterte Hebestreit. Die saudische Luftwaffe habe mit Eurofightern auch Raketen der Huthi-Rebellen abgeschossen, die Ziele in Israel treffen sollten. Das Ziel der Angriffe vom 7. Oktober, eine Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien zu verhindern, sei nicht erreicht worden.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, dessen Ressort Genehmigungen für Rüstungsexporte erteilt, stellte sich an Baerbocks Seite. ARD und ZDF sagte er: “Die saudi-arabischen Abwehrraketen schützen auch Israel.” Auch wenn er einräumte, dass die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien “gar nicht unseren Standards entspricht”. Allerdings erhielt Baerbock für die Kehrtwende auch Kritik aus den eigenen Reihen. Die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen, Sara Nanni, sagte dem Spiegel, dass die Bundesregierung sich noch im Sommer “aus guten Gründen” bekannt habe, keine Fighter in den Wüstenstaat zu liefern.
Im Koalitionsvertrag hatten sich die Regierungsparteien darauf verständigt, “keine Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter an Staaten zu erteilen, solange diese nachweislich unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind“. Bei einer erneuten Evaluation im Juli 2023 hatte sich die Bundesregierung zu dieser Entscheidung bekannt.
In den in Großbritannien unter der Bezeichnung “Typhoon” gefertigten Eurofighter-Kampfjets werden auch Teile aus deutscher Produktion verbaut. Deshalb braucht London, das schon länger auf einen Export der Kampfflieger drängt, für eine Lieferung nach Saudi-Arabien das Einverständnis aus Deutschland. Großbritannien zeigte sich mit der neuen deutschen Position zufrieden: “Wir begrüßen die nach Medienberichten getroffene Entscheidung, den Export von Typhoon-Kampfjets an Saudi-Arabien zu erlauben, wenn es entsprechende Bestellungen gibt”, sagte eine Sprecherin der Botschaft in Berlin. “Wir werden weiterhin eng mit unseren Eurofighter-Partnern zusammenarbeiten und wir wollen unsere strategische Verteidigungspartnerschaft mit Saudi-Arabien ausbauen.”
2018 hatte Saudi-Arabien 48 Eurofighter nachbestellt, deren Export Deutschland nicht genehmigte. Riad verfügt derzeit über 72 der Kampfjets. Zuletzt hatte sich Saudi-Arabien nach Alternativen umgeschaut, etwa beim französischen Flugzeugbauer Dassault Aviation, wo das Königreich Interesse an 54 Rafale-Kampfjets bekundete. bub
Außenministerin Annalena Baerbock trifft heute Vormittag in Kairo und am Abend in Beirut mit ihren ägyptischen und libanesischen Amtskollegen, Sameh Shoukry und Abdallah Bou Habib, zusammen. Drei Monate nach dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel verfolgt Baerbock mit den Treffen das Ziel, eine politische Lösung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern zurück auf die Tagesordnung zu bringen. “Es ist unsere Aufgabe, auf dem Weg hin zu einer Zwei-Staaten-Lösung nichts unversucht zu lassen”, sagte sie zu Beginn ihrer viertägigen Nahostreise, ihrer vierten in die Region seit Beginn des Gazakriegs im Oktober.
Neben Baerbock, die am Montag in Ramallah mit dem Außenminister der Palästinensischen Autonomiebehörde, Riad al-Maliki, zusammentraf, ist auch US-Außenminister Antony Blinken in der Region. Beide verfolgen dasselbe Ziel: eine Ausweitung des Gazakriegs auf die Nachbarländer verhindern. Am Mittwoch wird zudem Wirtschaftsminister Robert Habeck in Tel Aviv und Ramallah erwartet; er brach am Montag zunächst zu politischen Gesprächen nach Oman und Saudi-Arabien auf.
Im Libanon war am Montag Hisbollah-Kommandeur Wissam al-Tawil getötet worden, mutmaßlich durch eine israelische Drohne. Er gehörte der Radwan-Einheit der vom Iran unterstützten Schiitenmiliz an, einer Elitetruppe, die direkt an der Grenze zu Israel im Süden des Landes operiert. Die Auseinandersetzungen zwischen israelischen Streitkräften und der Hisbollah haben seit der gezielten Tötung des stellvertretenden Hamas-Führers Saleh al-Arouri in Beirut vergangene Wochen an Intensität zugenommen. Seit Oktober sind mehr als 130 Hisbollah-Kämpfer getötet worden. Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah warnte Israel danach vor weiteren Angriffen mit den Worten: “Wer auch immer an einen Krieg mit uns denkt – mit einem Wort, er wird es bereuen.”
Beim Besuch eines palästinensischen Dorfs hatte Baerbock am Montag die israelische Regierung aufgefordert, gegen die Gewalt israelischer Siedler im Westjordanland vorzugehen. “Es ist die Verantwortung der israelischen Regierung, bei Angriffen auf Menschen, die hier legitim wohnen und illegal angegriffen werden, den Rechtsstaat umzusetzen und durchzusetzen.” Der israelischen Menschenrechtsorganisation Peace Now zufolge sind allein seit Beginn des Gazakriegs Anfang Oktober neun neue Außenposten von Siedlungen errichtet worden. Dem palästinensischen Gesundheitsministerium zufolge sind seitdem 317 Menschen getötet worden, durch Siedlergewalt oder bei Einsätzen der israelischen Armee. mrb
Der Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland (GNKD) wirft der Politik vor, die Verantwortung für Fehleinschätzungen bei sicherheitspolitischen Großereignissen an den Bundesnachrichtendienst (BND) abzuschieben. “Dass derartige pauschale Schuldzuweisungen in den meisten Fällen Ausdruck eines länder- und systemübergreifenden Instinkts zur ‘politischen Fahrerflucht’ bei Großschadensereignissen sind, tritt jedoch bei näherer Betrachtung und Analyse in den meisten Fällen zu Tage”, schreibt das GNKD-Vorstandsmitglied Gerhard Conrad in einem neuen, “Nachrichtendienste und Entscheidungsprozesse” betitelten Papier. Dieses Muster sei sowohl beim überstürzten Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan 2021, nach dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 sowie dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel im vergangenen Oktober zu beobachten gewesen.
Conrad macht für dieses Verhalten eine “kaum überbrückbare oder gar auflösbare Divergenz” verantwortlich. So seien Nachrichtendienste lediglich dafür verantwortlich, “eine möglichst fundierte zutreffende Lagefeststellung und Lagebeurteilung anzubieten”, während politische Entscheidungsträger “für Erfolg und Misserfolg” zur Rechenschaft gezogen würden. “Die Abkehr von einer einmal eingeschlagenen und öffentlich vertretenen Politik zugunsten eins ‘Plan B’ ist meist mit erheblichen politischen oder auch wirtschaftlichen Kosten verbunden.”
Um die divergierenden Interessen zwischen Nachrichtendiensten, weiteren Sicherheitsbehörden und Politik auszugleichen, plädiert der GNKD abermals für die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats. So stelle die vergangenen Juni von der Bundesregierung verabschiedete Nationale Sicherheitsstrategie zwar einen wichtigen “Schritt zur übergreifenden Orientierung” dar, der Gesprächskreis bemängelt jedoch, dass in der Strategie “die Nachrichtendienste als wesentliche Elemente im Entscheidungsprozess keine Rolle spielen”. Nötig sei außerdem ein gesellschaftlicher und politischer “Mentalitätswandel in Bezug auf Fragen der inneren und äußeren Sicherheit”. mrb
New York Times: From Lebanon to the Red Sea, a Broader Conflict With Iran Looms. Das wieder hochgefahrene Atomprogramm sowie Russland und China als Verbündete – der Iran stellt weiter eine Herausforderung für den Westen dar. Amerikanische und europäische Geheimdienste glauben zwar nicht, dass das Regime in Teheran einen direkten Konflikt anstrebt, doch scheine es mehr denn je dazu bereit, Grenzen auszutesten.
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: Die Vereinten Nationen gegen Israel. Ende dieser Woche wird sich Israel vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag gegen den Vorwurf des Völkermords im Gazastreifen verteidigen müssen. Grund dafür ist die Klage Südafrikas, das dem Staat Genozid vorwirft. Die F.A.S. beleuchtet in diesem Artikel das Verhältnis Israels und der UN von den Gründungstagen des Staates bis heute.
Foreign Policy: The World’s Biggest Risks for 2024 Are More Than Trump. Bereits zum siebten Mal bestimmt das Magazin Foreign Policy die “Top 10 Global Risks”. Neben einer möglichen zweiten Amtszeit Donald Trumps weist das Magazin auf die Auswirkungen des Klimawandels, eine dritte nukleare Ära und die sich vergrößernde Kluft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern hin.
China.Table: “Die westlichen Bedenken über China sind nicht zu unserem Vorteil.” China inspiriere die afrikanischen Völker, ihre Rolle in der Welt neu zu definieren, sagt die kenianische Schriftstellerin Yvonne Adhiambo Owuor. Im Interview spricht sie über afrikanische Identitäten in Zeiten globaler Umbrüche und die wachsende Präsenz Chinas auf dem Kontinent.
ARD History: Sicherheitsrisiko schwul – Die Affäre Kießling. Ende 1983 wird der stellvertretende Nato-Oberbefehlshaber für Europa, der Vier-Sterne-General Günter Kießling, aus dem Dienst entlassen. Er sei schwul und deshalb ein Sicherheitsrisiko für die Bundeswehr, so Verteidigungsminister Manfred Wörner. Die Doku beleuchtet den Fall; dabei geht es um schlampige Ermittlungen, fragwürdige Zeugen und einen Doppelgänger.
Anlässlich der mehrwöchigen Winter-Dauer-Starkregenfälle und der steigenden Fluten von Nebenflüssen in Niedersachsen, Bremen und Thüringen werden wiederholt Forderungen laut, dass mehr Geld für den Katastrophenschutz in Folge des Klimawandels und aktueller Dauerregenfälle mit großräumigen Überflutungen bereitzustellen sind.
Es gilt jetzt umso mehr, die Rahmenbedingungen für den Katastrophenschutz in den Folgejahren erheblich zu verbessern, um das Schadensausmaß von Flutkatastrophen einzugrenzen und nachhaltig managen zu können.
Dabei kommt der Prävention vor einer Hochwasserflut eine steigende Bedeutung zu. Ein gutes und somit strategisch vorausschauendes “Krisen- bzw. Resilienzmanagement” sollte bereits im Vorfeld jeglicher “Überschwemmungs-Wetterlagen” ansetzen und geografische Räume mit Hochwassergefahrenplänen neu untersuchen und potenzielle Überflutungsbereiche ausweisen.
Erfahrungen aus Oderflut 1997 (Schäden rund 500 Millionen Euro), Elbeflut 2002 (Schäden rund 9 Milliarden Euro) und Elbehochwasser 2013 (rund 10 Milliarden Euro an Schäden) haben gezeigt, dass ein Hochwasser-Krisenmanagement frühzeitig aufzubauen ist.
Dabei sind neben den Flüssen Rhein, Elbe, Donau und Oder auch deren kleinere Nebenflüsse zu untersuchen und bauliche Maßnahmen für mehr Überflutungsbereiche einzuplanen. Retentionsflächen sollten weiträumig vergrößert werden, ebenso bauliche Maßnahmen zur Deicherhöhung mit Veränderung der Deichlinien und den notwendigen Deichprofilen.
Im Einzelfall muss auch eine Rückverlegung von Deichen geprüft werden, auf jeden Fall sollten in potenziellen Überflutungsbereichen die Bebauungen ohne ausreichenden Hochwasserschutz nicht mehr genehmigt oder ausgeführt werden.
Werden diese notwendigen Maßnahmen nicht in der Frühphase eines Präventionskonzeptes beachtet, dann können Dauerregenfälle, wie jetzt seit zwei Wochen anhaltend, sich schnell von einer lokal begrenzten Krisenlage hin zu einer bundesländerweiten “Großkatastrophe” entwickeln.
Die Hochwassersituation müsste nicht derartig große Schäden anrichten, wenn Regierungen, hier speziell die Bundesregierung, aber auch Landesregierungen, langfristig über Wahlperioden hinaus den Bevölkerungsschutz und die Katastrophenhilfe stärker beachten und fördern würden. Ein verhängnisvolles Zaudern in der Politik, und der Hinweis der agierenden Regierung auf ihre Vorgängerregierung und deren Versäumnisse, führt stets dazu, dass der Katastrophenschutz nicht optimal arbeiten kann.
Angesichts der “Bundesländerübergreifenden Flutlagen” ist die Bundesregierung jetzt gefordert, ein strategisches Krisenmanagement zu betreiben und zentral die Krisenlagen zu koordinieren, dabei die Länder einzubeziehen und vorausschauende Entscheidungen zu treffen. Ähnlich der Förderung der Bundeswehr mit einem 100 Milliarden-Euro-Sondervermögen sollten jetzt zeitnah ausreichende Mittel für das “Sondervermögen-Katastrophenschutz” in Milliardenhöhe bereitgestellt werden.
Der Fokus der Prävention ist dabei auch auf die Ausbildung und Beübung von Krisen-/Verwaltungsstäben auszurichten, insbesondere die kreisangehörigen Städte/Gemeinden benötigen ausreichend Finanzmittel, um weiterhin als “Träger der Gefahrenabwehr” dieser wichtigen Aufgabe nachzukommen.
Anlässlich der Oderflut 1997 stellte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung richtungsweisend fest: “Ich denke, in allen Anrainerstaaten müssen wir dabei die Lehre beherzigen, die sich mit der Hochwasserkatastrophe verbindet: Wir müssen den Flüssen ihren Raum lassen, sie holen ihn sich sonst zurück”.
Es wird jetzt Zeit zu handeln, bevor uns die nächste Katastrophe wieder einmal “unvorbereitet” und aus heiterem Himmel einholt. Der Katastrophenschutz ist und bleibt eine Daueraufgabe, die Leben retten kann und Schäden bei ausreichender Prävention deutlich begrenzen kann. Nach der Flut ist vor der Flut!
Hans-Walter Borries ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Schutz Kritischer Infrastrukturen (BSKI). Er ist Oberst der Reserve der Bundeswehr und war von 2007 bis 2019 in leitenden Funktionen im Reservistenverband tätig. An der Hochschule Magdeburg-Stendal lehrt er zum Thema “Schutz und Resilienz KRITIS im Hinblick auf die Energieversorgung”.
Eurofighter für Saudi-Arabien? Die Bundesregierung gibt ihre bisherige Blockade auf, doch aus den Ampelfraktionen regt sich bereits Widerstand. Die News zum möglichen nächsten Streit in der Koalition fasst Gabriel Bub zusammen.
Nach den verheerenden, massiven Angriffen Russlands auf die Ukraine mit Raketen und Drohnen-Schwärmen zum Jahreswechsel stellt sich zunehmend die Frage, wer länger durchhält: Moskau oder die westlichen Unterstützer Kiews? Mein Kollege in Brüssel, Stephan Israel, und ich analysieren die Lage. So viel vorab: Kurzfristig sieht es für die Ukraine nicht gut aus.
Wir blicken auch auf die innenpolitische Sicherheitslage im Iran. Shams Ul Haq zeigt auf, wie sich Teheran den IS zum Feind gemacht hat, der sich zu den Anschlägen vom 3. Januar bekannt hat. Dennoch beschuldigt die Führung des Landes die USA und Israel, hinter dem Attentat zu stecken.
Im Standpunkt schreibt Hans-Walter Borries, Vize-Vorstandsvorsitzender im Bundesverband Schutz Kritischer Infrastruktur, dass Deutschland endlich mehr für den Katastrophenschutz tun müsse – insbesondere bei Hochwasserlagen.
Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre
Wer hat den längeren Atem im Konflikt um die Ukraine: die westlichen Helfer oder Moskau? Eigentlich müsste der Fall klar sein im Verhältnis zwischen den mächtigsten Volkswirtschaften der Welt und Russland. Doch während der russische Präsident Wladimir Putin sein Land im Alleingang auf Kriegswirtschaft gebracht hat, tun sich die westlichen Verbündeten Kiews schwer, die Widerstandskraft der Ukraine nachhaltig zu stärken.
Russland soll bereits nordkoreanische Raketen in der Ukraine eingesetzt haben und wird demnächst auch aus dem Iran Kurzstreckenraketen erhalten. Trotz eigener Produktionsprobleme eröffnet Moskau für sich also weitere Bezugsquellen für Munition und Waffen. Auf der anderen Seite steht die Ukraine, die auf den Westen angewiesen ist und bei der Munition sparsamer als Russland vorgehen muss. Denn die EU hängt mit der versprochenen Lieferung von einer Million Schuss Artilleriemunition bis März 2024 hinterher. Laut Wall Street Journal verbraucht die russische Armee aktuell 10.000 Schuss Artilleriemunition pro Tag, während die Ukraine 2.000 Schuss abfeuern kann.
EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton stieß im Frühsommer 2023 mit seiner Forderung auf Kritik, die Europäer müssten es Russland gleichtun und die Verteidigungsindustrie ebenfalls auf Kriegswirtschaft trimmen. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius wies damals nicht nur den Begriff zurück, sondern auch die Vorstellung, dass Europas Wirtschaft den Bedürfnissen der Rüstungsindustrie untergeordnet werden müsste. Doch der Ton ändert sich.
Putin steigere Russlands Rüstungsproduktion erheblich, nach offiziellen Angaben um mehr als 60 Prozent, sagte Pistorius kürzlich in einem Interview mit der “Welt am Sonntag”. Die Nato und Deutschland hätten Nachholbedarf, müssten in “fünf bis acht Jahren” bereit sein. Gemeint war eine mögliche Konfrontation mit Russland.
Moskau hat jedenfalls eine Budgetplanung für die kommenden drei Jahre vorgenommen, die dem Militär große Anteile sichert. Allein in diesem Jahr sind mehr als sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Kriegsmaschinerie vorgesehen. 2025 und 2026 soll der Anteil ebenfalls hoch bleiben. Auch wenn die Planung von zu hohen Einnahmen aus dem Exporthandel mit Öl ausgeht, so dürfte die Prämisse Putins – die Ukraine niederzuringen – erhalten bleiben.
Langfristig sei das keine gute Entwicklung für Russland, sagt die Soziologin und Wirtschaftswissenschaftlerin Alexandra Prokopenko im Gespräch mit Table.Media. Die ehemalige Mitarbeiterin der russischen Zentralbank hatte Russland nach Kriegsbeginn im Februar 2022 verlassen und arbeitet heute als Analystin für das Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin. “Wenn sogenannte nichtproduktive Sektoren, zu denen auch die Verteidigungsindustrie gehört, zu stark finanziert werden, bremst das die Entwicklung in anderen Bereichen“, erläutert Prokopenko.
Der Arbeitskräftemangel in Russland, der mit der Einberufung für den Krieg, der kriegsbedingten Auswanderung hunderttausender gut qualifizierter Menschen und der Abwerbung der Arbeitskräfte in die Rüstungsbranche zusammenhängt, zeigt bereits die ersten Probleme. Kurzfristig werden sie sich aber nicht spürbar auf die russische Volkswirtschaft auswirken. Kurzfristig sieht es eher für die Ukraine düster aus.
Die jüngsten Raketen- und Drohnenangriffe zielen, wie befürchtet, auf die zivile Kritische Infrastruktur. Russland versucht mit Masse die verbesserte ukrainische Luftverteidigung zu umgehen. Im Gegenzug bekommt die Ukraine von Deutschland und anderen Nato-Staaten weitere Luftverteidigungssysteme. Bei dem eilig von Kiew ersuchten Nato-Ukraine-Treffen am Mittwoch, 10. Januar, soll es noch einmal explizit um dieses Thema gehen.
Die zwei Jahre Krieg haben sowohl die Ukraine als auch Russland dazu genutzt, ihre Drohnen-Flotten zu erweitern und zu entwickeln. Verteidigung in und aus der Luft wird entsprechend die nächste Phase des Krieges stark prägen. Dass Europa die Ukraine für und vor der Frühjahrsoffensive 2023 nicht so gut gestärkt hat, wie es das hätte tun können, hängt nicht nur mit fehlenden eigenen Fertigungskapazitäten für Munition zusammen. Laut EU-Kommissar Thierry Breton exportiert Europas Rüstungsindustrie nach wie vor einen guten Teil der Produktion in Drittstaaten. Der Franzose wollte die Möglichkeit haben, die Firmen zu verpflichten, ihre Exporte zugunsten der Ukraine zu priorisieren. Doch die Mitgliedstaaten lehnten dies ab.
Frankreich und andere wiederum verhinderten, dass mit EU-Mitteln Geschosse von Herstellern außerhalb der EU eingekauft wurden. Infrage gekommen wären etwa südkoreanische Hersteller. Zudem hätten die EU-Mitglieder nur zögerlich auf die Rahmenverträge mit Rheinmetall und Co. reagiert und bisher erst wenige Bestellungen platziert, heißt es zudem in Brüssel.
Das Beispiel Munition zeigt gut, dass die Solidarität für die Ukraine zuweilen an den wirtschaftlichen Interessen der EU-Staaten endet. Thierry Breton bleibt aber zuversichtlich, dass bis zum Frühling die Produktionskapazität für Artilleriegeschosse auf eine Million pro Jahr ausgebaut werden kann. Auch das Ziel von einer Million Geschosse für die Ukraine könnte mit Verspätung erreicht werden.
Mittelfristig sieht die Perspektive für die Ukraine besser aus. EU-Ratspräsident Charles Michel hat für den 1. Februar einen Sondergipfel einberufen. Dort dürften die 50 Milliarden Euro Finanz- und Wirtschaftshilfen für die Ukraine im zweiten Anlauf beschlossen werden. 26 Mitgliedstaaten wollen dies notfalls außerhalb des EU-Haushalts tun, wenn Viktor Orbán weiterhin blockiert.
Grundsätzlich zeigt zwar auch die Nato keine Ermüdungserscheinungen: “Wir stehen an der Seite der Ukraine so lange wie nötig”, sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg nach dem letzten Nato-Ukraine-Rat. Die Nato-Staaten haben bilateral der Ukraine Militärhilfe in Höhe von 100 Milliarden Euro zugesagt, wobei die Hälfte inzwischen von den europäischen Verbündeten kommt.
Im April feiert das Bündnis sein 75-Jähriges Jubiläum und für Juli ist in Washington der nächste Gipfel geplant. Den will Joe Biden auch für seinen Wahlkampf nutzen. Die Nato-Staaten werden es sich vor diesem Hintergrund kaum leisten können, in ihrer Unterstützung nachzulassen. In Washington könnte auch Mark Rutte als derzeitiger Favorit im Rennen um die Nachfolge von Stoltenberg den Posten des Nato-Generalsekretärs formell übernehmen. Der bisherige niederländische Regierungschef steht fest an der Seite der Ukraine.
Die USA allein werden jedoch wahrscheinlich nicht so schnell weitere große Hilfspakete der Ukraine liefern. Zumindest würden sie nicht so hoch wie 2022 und 2023 ausfallen, sagte ein Sprecher des Weißen Hauses vergangene Woche. Eine wachsende Rolle kommt also der EU zu. Zwar ist der Plan des EU-Außenbeauftragten, Josep Borrell, die Finanzierung der Militärhilfe mit 20 Milliarden Euro für die nächsten vier Jahre abzusichern, gescheitert. Die EU dürfte aber bald eine erste jährliche Tranche von fünf Milliarden Euro beschließen. Zudem hat Berlin allein acht Milliarden Euro an Hilfe zugesagt. Dieses Jahr dürfte die Ukraine also weitere Leopard-Kampfpanzer, Luftverteidigungssysteme und die ersten F-16 Kampfflugzeuge bekommen. Eine Koalition mit den USA, den Niederlanden, Dänemark, Norwegen und Großbritannien bildet derzeit ukrainische Piloten für die Maschine aus.
Für die EU und andere Staaten stellt sich die Frage, wie Russland weiter ökonomisch unter Druck gesetzt werden kann. Nach zwölf Sanktionspaketen gelingt es Moskau noch immer, Schlupflöcher zu finden. Wirtschaftsexpertin Alexandra Prokopenko sagt deshalb: “In diesem Jahr wird es nicht nur um neue Sanktionen, sondern um deren Durchsetzung gehen.” Russische Unternehmen und die Regierung würden erhebliche Kräfte darauf aufwenden, die Sanktionen zu umgehen. “Ich denke, der Westen müsste aktiver an die Staaten herantreten, die Russland dabei helfen, also Kasachstan, Kirgistan, Vereinigte Arabische Emirate und die Türkei.”
Eigentlich schien die Sache mit dem auf der offiziellen Website der Terrororganisation Islamischer Staat veröffentlichten Bekennervideo klar: Zwei Tage nach dem Anschlag in Kerman mit 88 Toten übernahm die Gruppe Islamischer Staat (ISIS-K) von Khorasan die Verantwortung für die Tat. Khorasan ist der Name einer historischen Region, die Afghanistan und den Nordosten Irans einschließt. Die Mitglieder der seit 2014 aktiven Gruppe setzen sich zusammen aus Abspaltungen der Taliban in Pakistan und Afghanistan sowie dem Haqqani-Netzwerk. Nach Meinung iranischer Fachleute wird die Gruppe von den USA finanziert.
Offizielle iranische Schuldzuweisungen in Richtung einer Urheberschaft Washingtons und Jerusalems wies die US-Regierung am Wochenende jedoch zurück. “Die Vereinigten Staaten waren in keiner Weise beteiligt, und jede gegenteilige Behauptung ist lächerlich”, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums Matthew Miller. “Wir haben keinen Grund zu der Annahme, dass Israel an dieser Explosion beteiligt war.” Mindestens zwei Sprengsätze gingen bei den Feierlichkeiten zum 4. Jahrestag der Tötung des Oberkommandierenden der iranischen Revolutionsgarden, Qasem Soleimani, in dessen Heimatstadt Kerman hoch.
Die Taliban-Regierung in Afghanistan betrachtet ISIS-K als aufständische Gruppe, doch was sie für den Anschlag in der derzeitigen außenpolitischen Situation motiviert haben könnte, bleibt nebulös. Sollte das Ziel wirklich gewesen sein, einen Spaltpilz zwischen Sunniten und Schiiten im Iran zu treiben, würden in der gegenwärtigen Lage eigentlich nur Israel und die USA profitieren.
Allerdings haben die IS-Terroristen mehrere Rechnungen mit dem Iran offen. So waren es die von Soleimani befehligte Quds-Einheit – eine Unterabteilung der iranischen Revolutionsgarden – und die vom Iran unterstützten schiitischen Kämpfer der Hisbollah-Miliz, die sich zwischen 2017 und 2019 maßgeblich an der Zerschlagung des vom IS ausgerufenen Kalifats in Syrien und im Irak beteiligt hatten.
Doch im Iran gibt es Zweifel an der Urheberschaft des IS. “Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Behauptung des IS, an dem Angriff beteiligt gewesen zu sein, falsch ist”, sagte der iranische Verteidigungsexperte Babak Taghvaee dem Nachrichtenportal Iran International. “Sie haben das Gleiche in der Vergangenheit getan. Es gab weitere Terroranschläge auf der ganzen Welt, und wenn die Angreifer keine Verantwortung übernahmen und keine Erklärung veröffentlichten, war es der IS, der sie gekapert hat.”
Das Attentat fällt in eine Tauwetter-Phase zwischen den geopolitischen Widersachern Iran und Saudi-Arabien. Vielleicht, um diesen Annäherungsprozess nicht zu gefährden, oder aber aus Misstrauen gegenüber der Erklärung der Terrorgruppe beharren iranische Beamte auf der These, dass Israel und die USA für die Tat Verantwortung tragen. So äußerte sich auch Präsident Ibrahim Raisi bei einer Zeremonie in Kerman zu Ehren der Opfer.
Die Nachrichtenagentur Tasnim, der Medienzweig der Revolutionsgarden, behauptete sogar, dass “Israel dem IS befohlen habe, die Verantwortung für den Angriff zu übernehmen.” Der frühere iranische Regierungssprecher und Reformpolitiker Ali Rabiei äußerte ebenfalls, dass der israelische Mossad die Gruppe möglicherweise infiltriert habe. So sei die Gruppe zu dem Angriff ermutigt worden, um den Iran in die regionalen Konflikte und den Gaza-Krieg hineinzuziehen.
“Die Islamische Republik ist sich sehr bewusst, dass diese Angriffe zusammengenommen eine Falle sein könnten, um den Krieg auf den Iran auszuweiten”, äußerte dazu der in Teheran ansässige politische Analyst Sasan Karimi.
Das Attentat trifft das Selbstverständnis der iranischen Führung hart, denn über Jahre hinweg rechtfertigte das System seine Militärpräsenz im Irak und in Syrien gerade dadurch, dort effektiv bei der Bekämpfung von Terroristen vorzugehen. Zwar fordern iranische Hardliner nun Gegenreaktionen, und der erste Vizepräsident Irans, Mohammad Mokhber, äußerte bei einem Krankenhausbesuch: “Die Soldaten von Soleimani werden ihnen eine sehr starke Vergeltungsmaßnahme auferlegen.” Aufgrund der innenpolitischen Spannungen stehen mittlerweile Teile des Militärapparats in Distanz zur geistlichen Führung. Doch Irans oberster Führer Ayatollah Ali Khamenei wies die Militärkommandanten an, “strategische Zurückhaltung” zu üben und eine direkte militärische Konfrontation mit den USA um jeden Preis zu vermeiden.
Das iranische Geheimdienstministerium teilte am vergangenen Freitag mit, dass zwölf Personen in sechs verschiedenen Provinzen festgenommen worden seien. Sie stünden im Verdacht, mit dem Attentat zu tun gehabt zu haben. Die Breite der Vernetzung überraschte. Einer der Selbstmordattentäter stamme aus Tadschikistan, die Identität des zweiten sei noch nicht bestätigt. Sicherheitskräfte hätten in Kerman den Unterschlupf der Angreifer ausfindig machen können. Dabei wären Westen für Selbstmordattentäter, Apparaturen zum Fernzünden von Sprengstoffen und diverse Sprengkörper entdeckt worden, die auf weitere Anschlagsplanungen hindeuten. Das deckt sich mit einer neuen Verlautbarung des Islamischen Staates vom Freitag, in der er mit weiteren Angriffen gedroht und den Kerman-Anschlag als “Beginn unseres Krieges” mit dem Iran bezeichnet hatte.
Der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner spricht sich gegen die Lieferung von Eurofighter-Kampfjets nach Saudi-Arabien aus. “Saudi-Arabien ist am Jemen-Krieg beteiligt, Saudi-Arabien lässt Journalisten ermorden. Das ist kein Land, an das wir Waffen liefern sollten”, sagte er Table.Media. Außenministerin Annalena Baerbock hatte am Sonntagabend in Jerusalem mitgeteilt, dass Deutschland sich “den britischen Überlegungen zu weiteren Eurofightern für Saudi-Arabien” nicht entgegenstellen werde. Regierungssprecher Steffen Hebestreit machte am Montag deutlich, dass diese Haltung in der Bundesregierung “eng abgestimmt” sei. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz stehe hinter dieser Entscheidung.
Seit den Angriffen der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 nehme Saudi-Arabien eine “sehr konstruktive Haltung” gegenüber Israel ein, erläuterte Hebestreit. Die saudische Luftwaffe habe mit Eurofightern auch Raketen der Huthi-Rebellen abgeschossen, die Ziele in Israel treffen sollten. Das Ziel der Angriffe vom 7. Oktober, eine Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien zu verhindern, sei nicht erreicht worden.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, dessen Ressort Genehmigungen für Rüstungsexporte erteilt, stellte sich an Baerbocks Seite. ARD und ZDF sagte er: “Die saudi-arabischen Abwehrraketen schützen auch Israel.” Auch wenn er einräumte, dass die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien “gar nicht unseren Standards entspricht”. Allerdings erhielt Baerbock für die Kehrtwende auch Kritik aus den eigenen Reihen. Die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen, Sara Nanni, sagte dem Spiegel, dass die Bundesregierung sich noch im Sommer “aus guten Gründen” bekannt habe, keine Fighter in den Wüstenstaat zu liefern.
Im Koalitionsvertrag hatten sich die Regierungsparteien darauf verständigt, “keine Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter an Staaten zu erteilen, solange diese nachweislich unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind“. Bei einer erneuten Evaluation im Juli 2023 hatte sich die Bundesregierung zu dieser Entscheidung bekannt.
In den in Großbritannien unter der Bezeichnung “Typhoon” gefertigten Eurofighter-Kampfjets werden auch Teile aus deutscher Produktion verbaut. Deshalb braucht London, das schon länger auf einen Export der Kampfflieger drängt, für eine Lieferung nach Saudi-Arabien das Einverständnis aus Deutschland. Großbritannien zeigte sich mit der neuen deutschen Position zufrieden: “Wir begrüßen die nach Medienberichten getroffene Entscheidung, den Export von Typhoon-Kampfjets an Saudi-Arabien zu erlauben, wenn es entsprechende Bestellungen gibt”, sagte eine Sprecherin der Botschaft in Berlin. “Wir werden weiterhin eng mit unseren Eurofighter-Partnern zusammenarbeiten und wir wollen unsere strategische Verteidigungspartnerschaft mit Saudi-Arabien ausbauen.”
2018 hatte Saudi-Arabien 48 Eurofighter nachbestellt, deren Export Deutschland nicht genehmigte. Riad verfügt derzeit über 72 der Kampfjets. Zuletzt hatte sich Saudi-Arabien nach Alternativen umgeschaut, etwa beim französischen Flugzeugbauer Dassault Aviation, wo das Königreich Interesse an 54 Rafale-Kampfjets bekundete. bub
Außenministerin Annalena Baerbock trifft heute Vormittag in Kairo und am Abend in Beirut mit ihren ägyptischen und libanesischen Amtskollegen, Sameh Shoukry und Abdallah Bou Habib, zusammen. Drei Monate nach dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel verfolgt Baerbock mit den Treffen das Ziel, eine politische Lösung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern zurück auf die Tagesordnung zu bringen. “Es ist unsere Aufgabe, auf dem Weg hin zu einer Zwei-Staaten-Lösung nichts unversucht zu lassen”, sagte sie zu Beginn ihrer viertägigen Nahostreise, ihrer vierten in die Region seit Beginn des Gazakriegs im Oktober.
Neben Baerbock, die am Montag in Ramallah mit dem Außenminister der Palästinensischen Autonomiebehörde, Riad al-Maliki, zusammentraf, ist auch US-Außenminister Antony Blinken in der Region. Beide verfolgen dasselbe Ziel: eine Ausweitung des Gazakriegs auf die Nachbarländer verhindern. Am Mittwoch wird zudem Wirtschaftsminister Robert Habeck in Tel Aviv und Ramallah erwartet; er brach am Montag zunächst zu politischen Gesprächen nach Oman und Saudi-Arabien auf.
Im Libanon war am Montag Hisbollah-Kommandeur Wissam al-Tawil getötet worden, mutmaßlich durch eine israelische Drohne. Er gehörte der Radwan-Einheit der vom Iran unterstützten Schiitenmiliz an, einer Elitetruppe, die direkt an der Grenze zu Israel im Süden des Landes operiert. Die Auseinandersetzungen zwischen israelischen Streitkräften und der Hisbollah haben seit der gezielten Tötung des stellvertretenden Hamas-Führers Saleh al-Arouri in Beirut vergangene Wochen an Intensität zugenommen. Seit Oktober sind mehr als 130 Hisbollah-Kämpfer getötet worden. Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah warnte Israel danach vor weiteren Angriffen mit den Worten: “Wer auch immer an einen Krieg mit uns denkt – mit einem Wort, er wird es bereuen.”
Beim Besuch eines palästinensischen Dorfs hatte Baerbock am Montag die israelische Regierung aufgefordert, gegen die Gewalt israelischer Siedler im Westjordanland vorzugehen. “Es ist die Verantwortung der israelischen Regierung, bei Angriffen auf Menschen, die hier legitim wohnen und illegal angegriffen werden, den Rechtsstaat umzusetzen und durchzusetzen.” Der israelischen Menschenrechtsorganisation Peace Now zufolge sind allein seit Beginn des Gazakriegs Anfang Oktober neun neue Außenposten von Siedlungen errichtet worden. Dem palästinensischen Gesundheitsministerium zufolge sind seitdem 317 Menschen getötet worden, durch Siedlergewalt oder bei Einsätzen der israelischen Armee. mrb
Der Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland (GNKD) wirft der Politik vor, die Verantwortung für Fehleinschätzungen bei sicherheitspolitischen Großereignissen an den Bundesnachrichtendienst (BND) abzuschieben. “Dass derartige pauschale Schuldzuweisungen in den meisten Fällen Ausdruck eines länder- und systemübergreifenden Instinkts zur ‘politischen Fahrerflucht’ bei Großschadensereignissen sind, tritt jedoch bei näherer Betrachtung und Analyse in den meisten Fällen zu Tage”, schreibt das GNKD-Vorstandsmitglied Gerhard Conrad in einem neuen, “Nachrichtendienste und Entscheidungsprozesse” betitelten Papier. Dieses Muster sei sowohl beim überstürzten Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan 2021, nach dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 sowie dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel im vergangenen Oktober zu beobachten gewesen.
Conrad macht für dieses Verhalten eine “kaum überbrückbare oder gar auflösbare Divergenz” verantwortlich. So seien Nachrichtendienste lediglich dafür verantwortlich, “eine möglichst fundierte zutreffende Lagefeststellung und Lagebeurteilung anzubieten”, während politische Entscheidungsträger “für Erfolg und Misserfolg” zur Rechenschaft gezogen würden. “Die Abkehr von einer einmal eingeschlagenen und öffentlich vertretenen Politik zugunsten eins ‘Plan B’ ist meist mit erheblichen politischen oder auch wirtschaftlichen Kosten verbunden.”
Um die divergierenden Interessen zwischen Nachrichtendiensten, weiteren Sicherheitsbehörden und Politik auszugleichen, plädiert der GNKD abermals für die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats. So stelle die vergangenen Juni von der Bundesregierung verabschiedete Nationale Sicherheitsstrategie zwar einen wichtigen “Schritt zur übergreifenden Orientierung” dar, der Gesprächskreis bemängelt jedoch, dass in der Strategie “die Nachrichtendienste als wesentliche Elemente im Entscheidungsprozess keine Rolle spielen”. Nötig sei außerdem ein gesellschaftlicher und politischer “Mentalitätswandel in Bezug auf Fragen der inneren und äußeren Sicherheit”. mrb
New York Times: From Lebanon to the Red Sea, a Broader Conflict With Iran Looms. Das wieder hochgefahrene Atomprogramm sowie Russland und China als Verbündete – der Iran stellt weiter eine Herausforderung für den Westen dar. Amerikanische und europäische Geheimdienste glauben zwar nicht, dass das Regime in Teheran einen direkten Konflikt anstrebt, doch scheine es mehr denn je dazu bereit, Grenzen auszutesten.
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: Die Vereinten Nationen gegen Israel. Ende dieser Woche wird sich Israel vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag gegen den Vorwurf des Völkermords im Gazastreifen verteidigen müssen. Grund dafür ist die Klage Südafrikas, das dem Staat Genozid vorwirft. Die F.A.S. beleuchtet in diesem Artikel das Verhältnis Israels und der UN von den Gründungstagen des Staates bis heute.
Foreign Policy: The World’s Biggest Risks for 2024 Are More Than Trump. Bereits zum siebten Mal bestimmt das Magazin Foreign Policy die “Top 10 Global Risks”. Neben einer möglichen zweiten Amtszeit Donald Trumps weist das Magazin auf die Auswirkungen des Klimawandels, eine dritte nukleare Ära und die sich vergrößernde Kluft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern hin.
China.Table: “Die westlichen Bedenken über China sind nicht zu unserem Vorteil.” China inspiriere die afrikanischen Völker, ihre Rolle in der Welt neu zu definieren, sagt die kenianische Schriftstellerin Yvonne Adhiambo Owuor. Im Interview spricht sie über afrikanische Identitäten in Zeiten globaler Umbrüche und die wachsende Präsenz Chinas auf dem Kontinent.
ARD History: Sicherheitsrisiko schwul – Die Affäre Kießling. Ende 1983 wird der stellvertretende Nato-Oberbefehlshaber für Europa, der Vier-Sterne-General Günter Kießling, aus dem Dienst entlassen. Er sei schwul und deshalb ein Sicherheitsrisiko für die Bundeswehr, so Verteidigungsminister Manfred Wörner. Die Doku beleuchtet den Fall; dabei geht es um schlampige Ermittlungen, fragwürdige Zeugen und einen Doppelgänger.
Anlässlich der mehrwöchigen Winter-Dauer-Starkregenfälle und der steigenden Fluten von Nebenflüssen in Niedersachsen, Bremen und Thüringen werden wiederholt Forderungen laut, dass mehr Geld für den Katastrophenschutz in Folge des Klimawandels und aktueller Dauerregenfälle mit großräumigen Überflutungen bereitzustellen sind.
Es gilt jetzt umso mehr, die Rahmenbedingungen für den Katastrophenschutz in den Folgejahren erheblich zu verbessern, um das Schadensausmaß von Flutkatastrophen einzugrenzen und nachhaltig managen zu können.
Dabei kommt der Prävention vor einer Hochwasserflut eine steigende Bedeutung zu. Ein gutes und somit strategisch vorausschauendes “Krisen- bzw. Resilienzmanagement” sollte bereits im Vorfeld jeglicher “Überschwemmungs-Wetterlagen” ansetzen und geografische Räume mit Hochwassergefahrenplänen neu untersuchen und potenzielle Überflutungsbereiche ausweisen.
Erfahrungen aus Oderflut 1997 (Schäden rund 500 Millionen Euro), Elbeflut 2002 (Schäden rund 9 Milliarden Euro) und Elbehochwasser 2013 (rund 10 Milliarden Euro an Schäden) haben gezeigt, dass ein Hochwasser-Krisenmanagement frühzeitig aufzubauen ist.
Dabei sind neben den Flüssen Rhein, Elbe, Donau und Oder auch deren kleinere Nebenflüsse zu untersuchen und bauliche Maßnahmen für mehr Überflutungsbereiche einzuplanen. Retentionsflächen sollten weiträumig vergrößert werden, ebenso bauliche Maßnahmen zur Deicherhöhung mit Veränderung der Deichlinien und den notwendigen Deichprofilen.
Im Einzelfall muss auch eine Rückverlegung von Deichen geprüft werden, auf jeden Fall sollten in potenziellen Überflutungsbereichen die Bebauungen ohne ausreichenden Hochwasserschutz nicht mehr genehmigt oder ausgeführt werden.
Werden diese notwendigen Maßnahmen nicht in der Frühphase eines Präventionskonzeptes beachtet, dann können Dauerregenfälle, wie jetzt seit zwei Wochen anhaltend, sich schnell von einer lokal begrenzten Krisenlage hin zu einer bundesländerweiten “Großkatastrophe” entwickeln.
Die Hochwassersituation müsste nicht derartig große Schäden anrichten, wenn Regierungen, hier speziell die Bundesregierung, aber auch Landesregierungen, langfristig über Wahlperioden hinaus den Bevölkerungsschutz und die Katastrophenhilfe stärker beachten und fördern würden. Ein verhängnisvolles Zaudern in der Politik, und der Hinweis der agierenden Regierung auf ihre Vorgängerregierung und deren Versäumnisse, führt stets dazu, dass der Katastrophenschutz nicht optimal arbeiten kann.
Angesichts der “Bundesländerübergreifenden Flutlagen” ist die Bundesregierung jetzt gefordert, ein strategisches Krisenmanagement zu betreiben und zentral die Krisenlagen zu koordinieren, dabei die Länder einzubeziehen und vorausschauende Entscheidungen zu treffen. Ähnlich der Förderung der Bundeswehr mit einem 100 Milliarden-Euro-Sondervermögen sollten jetzt zeitnah ausreichende Mittel für das “Sondervermögen-Katastrophenschutz” in Milliardenhöhe bereitgestellt werden.
Der Fokus der Prävention ist dabei auch auf die Ausbildung und Beübung von Krisen-/Verwaltungsstäben auszurichten, insbesondere die kreisangehörigen Städte/Gemeinden benötigen ausreichend Finanzmittel, um weiterhin als “Träger der Gefahrenabwehr” dieser wichtigen Aufgabe nachzukommen.
Anlässlich der Oderflut 1997 stellte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung richtungsweisend fest: “Ich denke, in allen Anrainerstaaten müssen wir dabei die Lehre beherzigen, die sich mit der Hochwasserkatastrophe verbindet: Wir müssen den Flüssen ihren Raum lassen, sie holen ihn sich sonst zurück”.
Es wird jetzt Zeit zu handeln, bevor uns die nächste Katastrophe wieder einmal “unvorbereitet” und aus heiterem Himmel einholt. Der Katastrophenschutz ist und bleibt eine Daueraufgabe, die Leben retten kann und Schäden bei ausreichender Prävention deutlich begrenzen kann. Nach der Flut ist vor der Flut!
Hans-Walter Borries ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Schutz Kritischer Infrastrukturen (BSKI). Er ist Oberst der Reserve der Bundeswehr und war von 2007 bis 2019 in leitenden Funktionen im Reservistenverband tätig. An der Hochschule Magdeburg-Stendal lehrt er zum Thema “Schutz und Resilienz KRITIS im Hinblick auf die Energieversorgung”.