Table.Briefing: Security

Funkgerät-Explosionen im Libanon: Wie reagiert die Hisbollah? + Was plant der neue EU-Verteidigungskommissar?

Liebe Leserin, lieber Leser,

Israel hat “alle roten Linien überschritten”. Das sagte gestern Abend Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah in Beirut: Nach den Sprengstoffattacken auf Pager und Walkie-Talkies der libanesischen Parteimiliz fürchten Menschen im ganzen Land eine Eskalation des Kriegs mit Israel. Mit Viktor Funk undWilhelmine Preußen habe ich aufgeschrieben, was nach der hybriden Attacke droht.

Meine Kollegin Anouk Schlung hat Moldau besucht, wo Präsidentin Maia Sandu die Bevölkerung im Oktober in einem Referendum darüber abstimmen lässt, ob das Ziel eines EU-Beitritts in der Verfassung verankert werden soll – nicht zuletzt als Brandmauer gegen russische Einflüsse. Eine solche will auch die EU weiter hochziehen – Stephan Israel hat sich deshalb die Pläne des designierten Kommissars für Raumfahrt und Rüstung, Andrius Kubilius, genauer angeschaut.

Ihr
Markus Bickel
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Analyse

Wie die Gefahr eines offenen Krieges zwischen Israel und der Hisbollah steigt

Die Israeli Defence Forces (IDF) griffen am Mittwoch und Donnerstag vermehrt Ziele im Südlibanon mit Kampfjets und Artillerie an, darunter Waffenlager der Hisbollah.

Nach der Detonation Hunderter Funkrufempfänger mit mehr als 2900 Verletzten und 37 Toten im Libanon ist die Gefahr eines offenen Krieges zwischen Israel und der Hisbollah nicht gebannt. Die israelische Armee griff in der Nacht auf Freitag mehr als siebzig Ziele im Südlibanon an, die Hisbollah sprach von 17 Attacken auf Ziele im Norden Israels am Donnerstag. Der UN-Sicherheitsrat plant Freitagabend deutscher Zeit eine Dringlichkeitssitzung.

Hisbollah-Generalsekretär, Hassan Nasrallah, hatte am Donnerstagabend in Beirut in seiner ersten Ansprache nach der Attacke auf ihr Kommunikationsnetz gesagt, dass Israel alle roten Linien überschritten habe und eine Vergeltung sicher sei. Er bezeichnete die Explosionen von Pagern und Funkgeräten am Dienstag und Mittwoch als “Massaker”. Unter den Toten und Verletzten befinden sich zahlreiche Hisbollah-Mitglieder, aber auch Zivilisten.

Israelischer Verteidigungsminister: “Neue Phase” des Krieges

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock warnte am Donnerstag genauso wie US-Außenminister Antony Blinken vor einer Eskalationsspirale. Bei einem Besuch in Paris sagte Blinken, dass dies auch die Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Gaza-Streifen gefährden würde.

Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant hatte zuvor eine “neue Phase” des Krieges angekündigt, in der sich der Schwerpunkt in Richtung Norden verlagert. Während Nasrallahs Rede flogen israelische Kampfflugzeuge bereits im Tiefflug über die Hauptstadt Beirut und durchbrachen die Schallmauer. In Israel wurden mehrere Zivilisten und Soldaten durch Beschuss aus dem Libanon mit Panzerabwehr-Raketen verletzt und zwei israelische Soldaten wurden bei den Angriffen getötet.

Rüstungskontrollforscher Reinhold: “Fragwürdige” Methoden

An der dem israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad zugeschriebenen Operation gibt es auch Kritik. “Die Methode halte ich für sehr fragwürdig”, sagte Thomas Reinhold, Forscher im Cluster Natur- und Technikwissenschaftliche Rüstungskontrollforschung (CNTR) am Peace Research Institute Frankfurt (PRIF) im Gespräch mit Table.Briefings. “Hätten Terroristen dazu gegriffen, würde man das scharf verurteilen. Es gab keine Kontrolle darüber, in welchen Umständen die Geräte explodieren, eine Abschätzung der Kollateralschäden ist kaum möglich.” Gleichzeitig mutmaßte er, dass es wahrscheinlich vor allem auch “um den psychologischen Effekt” ging. “Die Menschen im Libanon werden nun auch mit ihren Handys vorsichtiger umgehen”, so Reinhold.

Nasrallahs Handy-Verbot führte zu Fehlern

Der Doppelschlag gegen die von Nasrallah seit 1992 geführte Hisbollah trifft die Parteimiliz zu einem empfindlichen Zeitpunkt. Bereits im Juli war es Israel gelungen, Hisbollah-Militärkommandeur Fuad Schukr zu töten. Anfang des Jahres kam im unmittelbaren Hisbollah-Einflussgebiet im Süden Beiruts der stellvertretende Hamas-Chef Saleh al-Arouri bei einem israelischen Luftangriff ums Leben. Da es israelischen Geheimdiensten offenbar gelungen war, ins Kommunikationsnetz der Schiitenorganisation einzudringen, soll Nasrallah danach ein Handy-Verbot in der von Iran Anfang der 1980er Jahre im Libanon gegründeten Hisbollah (“Partei Gottes”) angeordnet haben.

Sollte sich bewahrheiten, dass der Mossad mehrere Scheinfirmen aufbaute mit dem Ziel, Pager und Walkie-Talkies an die Hisbollah zu verkaufen, wäre das ein Geheimdienst-Scoop. Die New York Times berichtete unter Berufung auf US-Regierungsquellen, die von israelischer Seite über die Operation unterrichtet wurden, dass es dem Mossad gelungen sei, die Hisbollah von einer Front-Firma des Mossad täuschen zu lassen.

Die von der hybriden Attacke am Mittwoch betroffenen Walkie-Talkies soll die Hisbollah Sicherheitskreisen zufolge vor fünf Monaten gekauft haben – etwa zur selben Zeit wie die Pager, von denen Tausende am Dienstag in mehreren Orten Libanons explodiert waren. Bei der Detonation der Funksprechgeräte waren nach libanesischen Angaben am Mittwoch 25 Menschen getötet und mehr als 600 verletzt worden, bei der Explosion der Pager am Dienstag kamen demnach zwölf Menschen ums Leben und fast 3000 wurden verletzt. 

Taktisch erfolgreich, spektakulär in Wirkung, strategisch fraglich

“Nach allem, was bisher bekannt geworden ist und technisch möglich ist, dürften Sprengladungen von 20 bis 50 Gramm in den Pagern platziert worden sein”, schätzt Thomas Reinhold vom CNTR in Frankfurt. “Sicher ist, dass der ganze Vorbereitungsprozess enorm aufwändig war: eventuell wurde eine Scheinfirma aufgebaut, Pager wurden abgefangen, jedes Gerät technisch und an der Software verändert und wieder zusammengebaut.”

Über die Frage, inwieweit der Geheimdienst-Coup Israels Sicherheit strategisch sichert, gehen die Meinungen auseinander.  Manche vergleichen ihn mit der Tötung Hamas-Chefs Ismail Hanijeh in einem Gästehaus der Revolutionsgarden Pasdaran in Teheran Ende Juli. Dieser habe die Hamas einer wichtigen Führungsfigur beraubt, die militärische Schlagkraft der Organisation im Gazastreifen jedoch nicht entscheidend geschwächt. Was sich 36 Stunden nach dem Doppelschlag sagen lässt: taktisch erfolgreich, spektakulär in der Wirkung – aber ein Ende des Konflikts mit der Hisbollah an der Nordgrenze Israels bringt er nicht näher.

Hisbollah-Chef Nasrallah betonte in seiner Rede: “Die libanesische Front wird nicht aufhören, bis der Krieg in Gaza vorbei ist!” Mit Viktor Funk.

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Was der designierte EU-Verteidigungskommissar Kubilius vorhat

Der Litauer Andrius Kubilius war zuvor Regierungschef Litauens und EVP-Berichterstatter für Russland im EU-Parlament.

Es klingt nach einer schwierigen Mission. Andrius Kubilius wird als erster Verteidigungskommissar in der Geschichte der EU gegen hohe Erwartungen ankämpfen müssen. Der Litauer wird mit beschränkten Kompetenzen auskommen und darauf achten müssen, dass er sich angesichts der Überschneidungen mit den Portfolios anderer Kommissare behaupten kann. Die knappen Mittel und der Streit um mehr Geld könnten sich rasch als Hindernis für große Ambitionen erweisen. Immerhin bringt Kubilius als ehemaliger Regierungschef Litauens und EVP-Berichterstatter für Russland im EU-Parlament gute Voraussetzungen für den Job mit.

Europa müsse mehr ausgeben, besser ausgeben und europäisch ausgeben, überschreibt Ursula von der Leyen in ihrem “Mission Letter” die Stoßrichtung für Andrius Kubilius. Direkt unterstellt wird dem künftigen Verteidigungskommissar allerdings nur die erst vor vier Jahren unter dem bisherigen Binnenmarktkommissar Thierry Breton geschaffene Generaldirektion Verteidigung und Weltraum (Defis), mit unter anderem dem Verteidigungsfonds und Instrumenten wie ASAP, dem Programm zum Ausbau der Produktionskapazitäten für Artilleriemunition oder dem künftigen Europäischen Verteidigungs- und Investitionsprogramm (Edip).

Kubilius will Tempo beim EU-Verteidigungsinvestitionsprogramm

Zu den Aufgaben des 67-jährigen wird gehören, einen “Binnenmarkt für Rüstungsgüter und Dienstleistungen” zu schaffen sowie den Ausbau der Produktionskapazitäten und gemeinsame Beschaffungen zu fördern. Dazu sollen die Hürden für grenzüberschreitende Zusammenarbeit reduziert werden. In Kooperation mit den Mitgliedstaaten soll der Verteidigungskommissar darauf hinwirken, die militärische Mobilität in Europa zu stärken. Unter der Ägide der Außenbeauftragten Kaja Kallas und mit den Mitgliedstaaten soll Kubilius am “Design und der Umsetzung” des European Air Shields arbeiten sowie Vorschläge für weitere Verteidigungsprojekte von gemeinsamem europäischem Interesse präsentieren.

Andrius Kubilius hat angekündigt, Edip möglichst rasch durch das Parlament zu bringen. In den ersten 100 Tagen wird der Litauer zudem das Weißbuch zur “Zukunft der Europäischen Verteidigung” ausarbeiten müssen. Darin sollen unter anderem die Investitionsbedürfnisse identifiziert werden, ein politisch brisantes Thema. Andrius Kubilius hat in ersten Äußerungen die Dimensionen angedeutet: Über die nächsten zehn Jahre seien 500 Milliarden Euro zusätzlich nötig, wobei der Litauer zwar verschiedene Wege zur Beschaffung sieht, aber auch gemeinsame Schulden nicht ausschließt.

Strack-Zimmermann: Sicherheit ist ganz oben angekommen

Der Litauer hat sich beim Finanzbedarf schon klar positioniert, was ihm bei den Anhörungen im EU-Parlament von Mitte November noch Ärger bereiten könnte. EU-Parlamentarier reagierten auf die Personalie und das neue Portfolio gegenüber Table.Briefings vorerst jedoch vorwiegend positiv: Sicherheit in allen Dimensionen sei in Europa ganz oben angekommen, sagt die EU-Abgeordnete und Vorsitzende des Unterausschusses für Sicherheit und Verteidigung (Sede) Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Damit Europa verteidigungsfähig werde, brauche es überdies mehr grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Industrie und mehr gemeinsame Beschaffungen, so Strack-Zimmermann. Die Aufgabe des Verteidigungskommissars sieht sie auch darin, das Vertrauen in den Mitgliedstaaten herzustellen, dass das Geld in der EU für gemeinsame Rüstungsprojekte in guten Händen sei.

Hannah Neumann: Das größte Potential im Bereich Cybersicherheit

Andrius Kubilius habe eine klare Haltung zur notwendigen Unterstützung der Ukraine und sei zudem für Verteidigungsbonds, um dringend benötigte Projekte anzugehen, begrüßt die Grüne Hannah Neumann, ebenfalls Mitglied im Sede-Unterausschuss. Mit dem Verteidigungskommissar gebe es nun endlich einen Ansprechpartner und Verantwortlichen. Das größte Potential sieht die Grüne im Bereich Cybersicherheit. Keine nationale Armee habe hier ausreichende Fähigkeiten und Personal.

Andrius Kubilis sei ein ausgewiesener Experte in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, sagt der sozialdemokratische EU-Abgeordnete Tobias Cremer und Michael Gahler, Abgeordneter von der konservativen EVP im Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, zeigt sich erfreut, dass Kubilius nun mit den Zuständigkeiten auch für die militärische Mobilität und der Verwirklichung des Verteidigungsbinnenmarktes doch nicht ein reiner Industriekommissar sein werden. Nun müssten die Mitgliedstaaten den Verteidigungskommissar noch zum Chef der Verteidigungsagentur und zum Pesco-Koordinator machen. Dann wäre für Michael Gahler der Weg hin zu einer echten Europäischen Verteidigungsunion frei.

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EU-Beitritt: Wie Moldau sich für das Referendum im Oktober rüstet

Am 20. Oktober trifft die Bevölkerung Moldaus zwei Entscheidungen. Sie muss ihr neues Staatsoberhaupt aus insgesamt 17 Kandidatinnen und Kandidaten wählen. Und sie muss entscheiden, ob der geplante Beitritt zur Europäischen Union in der Verfassung verankert werden soll, um zu verhindern, dass künftige Regierungen die Republik von ihrem pro-europäischen Kurs abbringen könnten.

Moldau ist seit Juni 2022 EU-Beitrittskandidat, nachdem die Regierung im März desselben Jahres den Antrag auf Mitgliedschaft gestellt hatte. Der 2,5-Millionen-Einwohner-Staat ist einer der ärmsten Europas und besitzt zudem eine der kleinsten Streitkräfte der Welt – diese umfassen gerade einmal 7.000 Personen. Das ist überraschend angesichts der geopolitischen Lage im Osten Europas und 1.222 Kilometer mit der Ukraine geteilten Grenze. 

Deshalb soll es nun schnell gehen: Schon 2030 soll Moldaus EU-Beitritt erfolgen, wenn es nach Chișinău geht. Bis dahin muss noch viel passieren. Konkret steht die Republik vor vier Herausforderungen: 

  • Aufrüstung: Seit Februar 2022 erhöht Moldau die Militärausgaben stark. In diesem Jahr liegt das Budget bei 112 Millionen US-Dollar und somit 0,55 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Bis 2030 will Moldau auf ein Prozent aufstocken. 
  • Korruption: Moldaus staatliche Institutionen sind korruptionsbelastet und reformbedürftig. In einem Report fordert das Antikorruptionsgremium des Europarats Maßnahmen gegen Lobbyarbeit in Regierung, Polizei, Grenzpolizei und vor allem im Justizsystem. 
  • Desinformation und hybride Attacken vonseiten Russlands: Russland versucht schon seit Moldaus Unabhängigkeit 1991 im Land Einfluss zu nehmen, hat seine Bemühungen aber seit 2022 enorm verstärkt. Für Propaganda, anti-westliche Demonstrationen mit gekauften Teilnehmenden, illegale Parteienfinanzierung und Stimmenkauf zur Wahlbeeinflussung gibt Russland jährlich circa 120 bis 130 Millionen Euro aus. Diese immensen Summen seien “Peanuts” für Putin und fester Bestandteil von Russlands Militärbudget, berichtet Valeriu Pașa, Direktor des Thinktanks Watchdog.md, der sich für mehr Resilienz gegen Desinformation und manipulative Narrative einsetzt, im Gespräch mit Table.Briefings.Moldau ist für Russland ein Testgelände für hybride Kriegstechniken und invasive Außenpolitik. Putin setzt alles auf die Hoffnung, Moldau könnte ein zweites Belarus werden – das wird er eher forcieren als eine Invasion.” 
  • Die ökonomische Lage: Gründe für Moldaus geringes Bruttoinlandsprodukt sind ein starker Fokus auf den Agrarsektor, hohe Arbeitslosigkeit und Abwanderung sowie fehlerhafte Sozialpolitik. Die ökonomische Lage könnte entscheidenden Einfluss auf den Ausgang der Parlamentswahlen im kommenden Sommer nehmen, denn die Unzufriedenheit über hohe Wohnungs- und Energiepreise ist hoch. 

Diese Faktoren beeinflussen einander. Eine fehlende konstante politische Linie behindert die Integrität staatlicher Gewalten – zu groß ist die Sorge vor Restriktionen einer neuen Regierung, die einen potenziell anderen politischen Kurs fährt. Korruption im politischen System öffnet wiederum Tor und Tür für russischen Einfluss. Das bestätigt auch Premierminister Dorin Recean: “Russland kann uns rein militärisch nichts anhaben, deshalb fokussiert Moskau sich auf hybride Attacken.” 

EU bedeutet für Moldau primär politisch-ökonomische Sicherheit

Besonders stark greift Putins Einfluss in der autonomen Region Gagausien und im abtrünnigen, ausschließlich von Russland unterstützten De-facto-Regime Transnistrien. Beide Regionen verfügen über eigene Regierungen und sind den Desinformationskampagnen noch stärker ausgesetzt als der Rest des Landes. 

Das angestrebte Narrativ beider Pole ist gleich: Ein friedliches und prosperierendes Moldau – sei es als Mitglied der Europäischen Union oder als Patenkind Putins. Für die EU steht an wichtigster Stelle, Moldau nicht an Russland zu verlieren. Deshalb sieht sie vorerst über mitunter offensichtliche Baustellen hinweg. Für Moldau würde die EU-Mitgliedschaft zwar nicht primär militärische, dafür aber ökonomische und politische Sicherheit bedeuten. 

Umfragewerte, zum Beispiel vom International Republican Institute, zeigen derzeit einen Kurs Richtung EU – bis zu 65 Prozent Zustimmung werden prognostiziert – und Richtung Wiederwahl der pro-europäischen Präsidentin Maia Sandu. Doch wahrscheinlich werde Sandu die Präsidentschaft nicht in der ersten, sondern in der zweiten Runde gewinnen, sagt Osteuropawissenschaftlerin Anastasia Pociumban von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik zu Table.Briefings. 

Präsidentin Maia Sandu ist geschätzter als ihre Partei

Interessant sollen die Parlamentswahlen im Juni nächsten Jahres werden, denn Sandus Partei PAS wird dort wahrscheinlich keine Mehrheit bekommen. Den Wahlkampf 2021 gewann die Partei eher mit innen- als außenpolitischen Themen. Doch aufgrund vieler Herausforderungen – Russlands Angriffskrieg in der Ukraine, die daraus folgende Energie- und Wirtschaftskrise und über eine Million über Moldau geflüchtete Ukrainer – habe sie ihre Versprechen nicht einhalten können, sagt Pociumban. Zudem geht es den Menschen eher um Sandus Person als um ihre Partei, denn sie gilt als eine der wenigen großen politischen Persönlichkeiten des Landes, die nicht korrupt sind.

Den Moldauern selbst ist wichtig, dass ihr Land nicht zu vereinfacht betrachtet wird. Moldau sei nicht bloß ein Spielball zwischen zwei Großmächten, sondern besitze seine eigene Entscheidungs- und Handlungsmacht und sei durch die multiplen Krisen stets resilienter geworden: Das betonen Moldauerinnen und Moldauer immer wieder.

Die Recherchen zu diesem Bericht fanden im Rahmen einer von der Europäischen Kommission geförderten Journalistenreise nach Moldau und Rumänien statt.

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Neue geopolitische Machtverhältnisse verändern Deutschlands Arktispolitik

Die Bundesregierung hat die Leitlinien für ihre Arktispolitik aktualisiert und am Mittwoch im Kabinett verabschiedet. Stand in den Leitlinien von 2019 noch der Klimaschutz an vorderster Stelle, rücken jetzt sicherheitspolitische Aspekte wie die Zusammenarbeit mit Nato-Partnern und mehr Aufgaben für die Bundeswehr nach vorn. 

Vor allem Russland stelle den “arktischen Exzeptionalismus” infrage. Ziel der deutschen Arktispolitik sei es, die Region möglichst konfliktfrei zu gestalten, heißt es in den vom Auswärtigen Amt in Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministerium erarbeiteten Leitlinien. “Gleichzeitig muss die Bundesregierung auf neue sicherheitspolitische Herausforderungen reagieren: Entwicklungen in der Arktis sind eng verbunden mit der Sicherheitslage in der Nord- und Ostsee sowie dem Nordatlantik – insbesondere vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.”

Konkret soll die Bundeswehr enger mit den Verbündeten und Partnern zusammenarbeiten, Erfahrungen austauschen und durch gemeinsame Übungen mehr Präsenz zeigen. Dafür halte die Bundesregierung “entsprechende Fähigkeiten zur Lagebilderstellung” vor. 

Neue Arktispolitik erweitert Aufgabenfeld der Bundeswehr

Diese Absicht dürfte Verteidigungsminister Boris Pistorius bei seiner Argumentation für mehr als nur zwei der bislang bestellten neuen U-Boote des Typs 212 CD helfen. Vor einem Monat hatte er angekündigt, er wolle sich “in der zweiten Jahreshälfte damit beschäftigen, wie und in welcher Geschwindigkeit wir die weiteren benötigten vier U-Boote der Klasse 212 CD bestellen können”. Deutschland und Norwegen entwickeln und beschaffen gemeinsam U-Boote. Norwegen hat vier bestellt, Deutschland bislang zwei. 

Zudem diskutiert die Deutsche Marine über die Anschaffung einer Drohne zur Seefernaufklärung, die auch für weite Gebiete wie dem Hohen Norden geeignet ist. Bis 2027 will die Marine die Drohne MQ-9B des amerikanischen Herstellers General Atomics beschaffen, heißt es aus Kreisen des Marinekommandos. Sie soll den Seefernaufklärer des Typs P-8 Poseidon begleiten, die ab 2025 in der Truppe ankommen. Außerdem soll die Bundeswehr mehr Soldaten für den Einsatz in der arktischen Region ausbilden.

Chinas Einfluss wächst durch Investitionen und militärischen Ausbau

Die Arktis gewinnt strategisch an Bedeutung: Russland hat dort seine militärische Präsenz stark ausgebaut, alte Militärbasen reaktiviert und neue errichtet. Zudem bedroht Russland die Schifffahrtsfreiheit im Nordatlantik und vertritt aggressivere Positionen in multilateralen Foren. In den Leitlinien heißt es dazu: “Die Fähigkeit Russlands, im Hohen Norden die Freiheit der Schifffahrt im Nordatlantik zu beeinträchtigen, stellt eine strategische Herausforderung für die Bundesregierung und ihre Verbündeten dar.” Auch Chinas Einfluss in der Arktis wächst durch wirtschaftliche Investitionen, wissenschaftliche Forschung und den Ausbau militärischer Fähigkeiten. 

Deutschland setze sich daher für die Wahrung der internationalen Rechtsordnung und freie Schifffahrt in arktischen Gewässern ein, heißt es in dem Dokument. Im Arktischen Rat wolle man als Beobachter aktiver werden und die Zusammenarbeit in Arbeitsgruppen verstärken.

Neben Sicherheitsaspekten sollen der Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung wichtige Ziele bleiben. Die Bundesregierung fordert deshalb strenge Umweltauflagen für wirtschaftliche Aktivitäten und unterstützt die Ausweisung von Schutzgebieten in der Arktis. klm

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Mali: Terroranschlag in Bamako wirft Fragen nach Sicherheit auf

Die Schule der Gendarmerie sowie das Präsidententerminal und militärische Anlagen am Flughafen in Malis Hauptstadt Bamako – damit haben die Terroristen ausschließlich militärische beziehungsweise staatliche Ziele für ihren Anschlag am Dienstag ausgewählt. Die Al-Qaida nahestehende Gruppierung JNIM (Jama’at Nusrat al-Islam wal-Muslimin) hat den doppelten Anschlag für sich reklamiert.

Sich auf staatliche und militärische Einrichtungen zu beschränken, könne als positive Botschaft der Terroristen an die Bevölkerung verstanden werden, mutmaßte der Analyst Wassim Nasr im französischen Auslandssender France 24.

Anschläge zielen auf Truppenverlegungen ab

Gleichzeitig kann der jüngste Angriff aber auch als eine Warnung gelesen werden: “Die Dschihadisten haben gezeigt, dass sie jederzeit auch im Süden zuschlagen können und haben den Bewohnern Bamakos eindrucksvoll bewiesen, dass der Konflikt nicht weit weg ist“, sagte Ulf Laessing von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) gegenüber Table.Briefings.

Die Regierungstruppen, die von russischen Kräften des Afrika-Korps (ehemals Wagner) unterstützt werden, sind momentan schwerpunktmäßig außerhalb Bamakos eingesetzt. “Insofern ist der Anschlag eine Taktik, um die Regierung dazu zu zwingen, mehr Truppen in die Hauptstadt zu verlegen und aus dem Zentrum und dem Norden abzuziehen”, so Laessing, der das Sahel-Programm der KAS in Bamako leitet.

Zahl der Todesopfer noch unklar

Die Terroristen setzten am Flughafen mehrere Flugzeuge und eine Drohne in Brand, unter anderem den Jet von Präsident Goïta. Damit sollte die Junta blamiert werden, sagte Laessing.

Wie viele Todesopfer der Anschlag forderte, ist weiterhin unklar. Auf Propaganda-Kanälen der JNIM war von “mehreren hunderten feindlichen Kämpfern” die Rede, die getötet worden sein sollen. Die malische Regierung gab an, die Terroristen getötet zu haben.

Der Tag des Anschlags schien bewusst gewählt: Er fiel auf den 64. Geburtstag der Gendarmerie. In der Schule, die die Terroristen angriffen, warteten zudem einige Inhaftierte auf einen Prozess. Am Wochenende zuvor feierte die Regierung außerdem den ersten Jahrestag der Gründung der Allianz der Sahelstaaten (AES), gemeinsam mit Burkinas und Nigers militärischen Machthabern. Die AES hat sich zum Ziel gesetzt, den Terrorismus in der Region besser zu bekämpfen. Malis Präsident Goïta hatte in seiner Festtagsrede Erfolge beschrieben.

Russland schickt Medikamente und Nahrung

Das Auswärtige Amt verurteilte den Anschlag in einem Post auf der Plattform X und rief auf seiner Website zu Vorsicht am kommenden Wochenende auf, an dem in Mali der Nationalfeiertag begangen wird. Zudem steht in rund zwei Monaten mit der 30. Auflage der Foto-Biennale in Bamako ein Kulturevent an, das weit über die Region hinaus in Afrika Bedeutung hat.

Das russische Außenministerium schickte am Donnerstag einen Lufttransport mit Medikamenten und Nahrungsmitteln für die malischen Truppen nach Bamako, wie unter anderem das russische Auslandsmedium African Initiative berichtete. lcw

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Konrad-Adenauer-Stiftung “pausiert” langjährige Kooperation mit palästinensischem Umfrageinstitut

Die Hamas verliert an Rückhalt unter den Palästinensern. Das zeigen Ergebnisse einer Umfrage des Palästinensischen Zentrums für Politik- und Umfrageforschung (PCPSR), die am Dienstag dieser Woche veröffentlicht wurde.

Es war die vierte Umfrage seit dem 7. Oktober – allerdings die erste ohne Kooperation mit der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, die bei den vorangegangenen Umfragen mitbeteiligt war. Aus der Stiftung hieß es auf Anfrage von Table.Briefings, dass die Kooperation aufgrund von im vergangenen Monat vorgebrachten Vorwürfen möglicher gefälschter Daten in der März-Umfrage für die aktuelle September-Umfrage pausiert wurde, bis die durch das PCPSR angestoßenen internen Untersuchungen abgeschlossen werden. “Wir nehmen die Vorwürfe sehr ernst und warten die Klärung der Anschuldigungen ab.”

Die Vorwürfe, die vom israelischen Militär ausgingen, werden in der Studie aufgegriffen. Allerdings heißt es da, dass sie nach sorgfältiger Prüfung zu dem Schluss kommen, dass “keine Datenmanipulation stattgefunden hat”. Das PCPSR lies eine Nachfrage von Table.Briefings unbeantwortet.

Israelische Medien zitieren aber den prominenten palästinensischen Meinungsforscher Khalil Shikaki, der das Meinungsforschungsinstitut leitet und von einem “battle over narratives” zwischen dem israelischen Militär und der Hamas spricht. “Das Zentrum mischt sich nicht in die Politik ein”, so Shikaki.

Nach dem Überfall auf Israel mit 1200 Toten im vergangenen Jahr und dem dadurch ausgelösten Gaza-Krieg war das Ansehen der islamistischen Hamas zuerst stark gestiegen. Dieser Trend ist den Daten des palästinensischen Instituts zufolge nun wohl leicht rückläufig, auch wenn nach wie vor weit mehr Palästinenser hinter der Hamas stehen als noch vor Kriegsbeginn. Während jetzt 61 Prozent der Befragten in den palästinensischen Gebieten angeben, mit der Hamas zufrieden zu sein, waren es im Juni noch 75 Prozent. Im Gaza-Streifen ist der Wert jedoch weit niedriger als im Westjordanland.

Ähnlich sieht es bei der Haltung der Menschen zum Massaker des 7. Oktober aus. Zwar hält eine Mehrheit die Entscheidung der Hamas, den Anschlag auszuführen, nach wie vor für “richtig”. Aber diese Mehrheit ist jetzt kleiner als bei der ersten Umfrage, und im Gaza-Streifen hält nur eine Minderheit die damalige Entscheidung für richtig. Während in Gaza weniger als 40 Prozent der Befragten den Überfall der Hamas auf Israel befürworten, sind es im Westjordanland über 60 Prozent. Der Rückhalt für die Hamas und ihre terroristischen Aktivitäten war im Gaza-Streifen von Beginn an kleiner, wo die Organisation herrscht und die schrecklichen humanitären Auswirkungen des Krieges deutlicher im Alltag zu spüren sind.

Für die Studie befragte das Palästinensische Zentrum für Politik- und Umfrageforschung mehr 1200 Menschen in einer repräsentativen Stichprobe. 790 der Befragten stammen aus dem Westjordanland und 410 aus dem Gazastreifen. Die Daten des Instituts, das seit Mitte der neunziger Jahre Meinungsumfragen durchführt, gelten grundsätzlich als verlässlich. wp

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Must-Reads

Axios: Why China hawks care so much about cranes. Die Befürchtung einer chinesischen Invasion Taiwans hat die USA dazu veranlasst, den potenziellen Einfluss Pekings auf die kritische Infrastruktur zu überprüfen. Ein Beispiel dafür sind in China hergestellte Lastenkräne. Viele Experten glauben, dass Peking die Macht hat, die meisten Frachtkräne der USA lahmzulegen – und damit möglicherweise den globalen Handel mit Konsumgütern, militärischer Ausrüstung und anderen Ressourcen zu stören.

Der Standard: Enge Bande zwischen Israel und Serbien. Belgrad liefert Waffen für den Gazakrieg an Israel. Serbiens größter staatlicher Waffenhändler, Yugoimport SDPR, soll im Jahr 2024 Waffen und Munition im Wert von 23,1 Millionen Euro nach Israel geliefert haben. Gleichzeitig setzt Serbien offenbar israelische Überwachungs-IT auch gegen Journalisten ein.

Foreign Affairs: America and the Philippines Should Call China’s Bluff. Nach monatelangen Spannungen zwischen China und den Philippinen sind Manila und Peking um Schlichtung bemüht. Die Gespräche wurden intensiviert, nachdem im August ein chinesisches Schiff vor einer umstrittenen Untiefe ein Schiff der philippinischen Küstenwache gerammt hatte. Um eine Katastrophe zu verhindern, muss Manila mit Unterstützung der USA über die laufenden Verhandlungen mit China hinaus einen langfristigen Ansatz zur Risikominderung im Südchinesischen Meer entwickeln.

Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik: Sicherheitsrisiken im Indopazifik. Chinas aggressives Verhalten im Südchinesischen Meer und in der Taiwanstraße, sowie die Sorge um fehlende US-Unterstützung betreffen Deutschland und seine Verbündeten im Indopazifik. Viele Länder in der Region unterstützen die Ukraine und tragen zur europäischen Sicherheit bei. Daher sollte Deutschland die sicherheits- und verteidigungspolitische Zusammenarbeit mit diesen Ländern intensivieren, so die Forderung dieses Textes.

Standpunkt

Tobias Bacherle: Wie autoritäre Kräfte unsere digitale Freiheit angreifen

Von Tobias B. Bacherle
Tobias B. Bacherle ist Obmann im Ausschuss für Digitales und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags.

Perfide Desinformationskampagnen sind durch die geleakten Dokumente der Social Design Agency dieser Tage in aller Munde. Die mit dem Regime Wladimir Putins verbandelte Agentur hat die gesellschaftliche Spaltung und den Aufstieg der Rechtsextremen als erklärtes Ziel. Auch Cyberangriffe der nordkoreanischen Hackergruppe Lazarus stehen für die digitale Bedrohung, die von autoritären Staaten ausgeht. Doch die Freiheit im digitalen Raum wird auch an anderer Stelle wortwörtlich verhandelt: Kaum beachtet von der Öffentlichkeit und technisch tief im Detail inszenieren sich abwechselnd Russland und China erst bei der Cybercrime Convention und jetzt bei den Verhandlungen zum ersten globalen “Digitalpakt” als vertrauenswürdige Verhandlungspartner auf internationaler Bühne. Obwohl sie eigentlich an den Grundfesten eines freien Internets und digitaler Freiheiten sägen.

Eher früher als später hat dies direkte Auswirkungen auf uns: Denn auf die Unabhängigkeit und Dezentralität der Internetverwaltung, die Sicherheit verschlüsselter Kommunikation und den Schutz globaler, digitaler Debattenräume vor Manipulation sind auch wir angewiesen. Im digitalen Zeitalter muss die digitale Außenpolitik eine hohe Priorität in unserer Arbeit für die Freiheit und globale Sicherheit einnehmen.

Beim Global Digital Compact geht es auch um die Freiheit im Digitalen

Dieser Tage geht mein Blick besorgt nach New York, wo am Wochenende der Summit of the Future stattfindet. Hier verabschieden die UN-Mitglieder unter anderem den “Digitalpakt” Global Digital Compact (GDC), der erstmals gemeinsame Ziele für eine globale digitale Zukunft formuliert.

Verhandelt haben den GDC die UN-Mitgliedstaaten. Die technische Community und die Zivilgesellschaft wurden im Prozess zwar formell angehört, aber die eigentlichen Verhandlungen blieben für sie eine unzugängliche Blackbox. Hinter verschlossenen Türen können autoritäre Staaten die Angriffe auf die Freiheit im Digitalen ungestörter und detaillierter fahren. Und das, ähnlich wie bei der Cybercrime Convention, auch beim GDC mit Erfolg: Der jüngste Entwurf weicht bestehende Grundprinzipien eines globalen, freien, offenen, sichereren und dezentral verwalteten Internets auf. Auch die Manipulation des Informationsraums soll nur abgeschwächt werden – gerade hier wäre ein multilaterales Regelwerk jedoch besonders wichtig.

Der digitale Raum im Visier autoritärer Kräfte

Es zeichnet sich ein Muster ab: Autoritäre Kräfte inszenieren sich als starke Verhandler und Dealmaker und setzen gleichzeitig Teile ihrer autokratischen, illiberalen Vorstellungen in der Digitalpolitik durch. Die Freiheit und die Handlungsfähigkeit einer wertegeleiteten Gemeinschaft stehen dabei gleichzeitig auf dem Spiel.

Das ist ein Zielkonflikt für die deutsche digitale Außenpolitik. Doch umso wichtiger wird aktives Engagement in internationalen Foren. Denn weder sollten wir das Feld direkt China und Russland überlassen, noch können oder wollen wir eine Zustimmung um jeden Preis zulassen.

Es wäre naiv zu glauben, dass autoritäre Kräfte es dabei belassen werden, ihre Vorstellungen von Zensur und Repression im Digitalen schlicht durch internationales Recht abzusichern. Vielmehr soll das Modell des freien Internets als für autoritäre Staaten störendes Element weltweit zurückgedrängt werden.

Einfallstore schließen, bevor sie zu unserem Problem werden

Mit der Strategie für die internationale Digitalpolitik benennt die Bundesregierung erstmals klar, welche Debatten sich derzeit abspielen, und weist den Weg: Neben guter Unterstützung und enger Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft braucht es dieser Tage eine klare Sprache der deutschen digitalen Außenpolitik auf internationaler Bühne.  Denn auch hier gilt eine Binsenweisheit der Cybersicherheit: Backdoors lieber schließen, sobald man sie entdeckt. Damit sich ein kurzfristiger Erfolg für die internationale Zusammenarbeit – wie ein erfolgreicher Abschluss des GDC – nicht als langfristiges Einfallstor für autokratische Träume entpuppt.

Tobias B. Bacherle vertritt Bündnis 90/Die Grüne als Abgeordneter im Deutschen Bundestag und ist Obmann im Ausschuss für Digitales sowie Mitglied des Auswärtigen Ausschusses.

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Dessert

Das Auswärtige Amt (AA) räumt auf mit seiner Geschichte. Vor 14 Jahren, angestoßen vom grünen Außenminister Joschka Fischer, erschien ein Buch über die Verstrickungen des Amtes im Nationalsozialismus. Die skandalträchtige Quintessenz: Das AA war aktiv an den Verbrechen wie der Vernichtung der Juden beteiligt.

Das neue Buch über das “Auswärtige Amt und die Kolonien”, ist zwar weniger reißerisch. Aber die Aussage nicht minder klar: Das Amt habe eine Politik verfolgt, “die menschenverachtend und rassistisch war”, erklärte Außenministerin Annalena Baerbock.

Aber räumt das Buch wirklich auf mit der deutschen Kolonialgeschichte? Dass sie “von Unrecht und Gewalt” geprägt war, ist unstrittig. Dass das AA – endlich – selbst aktiv geworden ist mit diesem Buch, ist überfällig. Mit dem Zugang zu den Archiven haben die Wissenschaftler akribisch die Details der blutigen Kolonialgeschichte abgebildet. Auch wie sie den Traditionslinien der europäischen Kolonialvergangenheit folgt.

Auffällig ist das Bemühen, nur ja in kein Fettnäpfchen zu treten. Ein “Aufarbeitungsbuch” muss sich nicht lesen wie ein Thriller. Aber es hätte mehr sein können als nur ein Buch für die Bibliothek und die Ausbildung künftiger Diplomatinnen. nana

Carlos Alberto Haas, Lars Lehmann, Brigitte Reinwald, David Simo (Hrsg) – Das Auswärtige Amt und die Kolonien. Geschichte, Erinnerung, Erbe. C.H. Beck Verlag, München 2024

Security.Table Redaktion

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Israel hat “alle roten Linien überschritten”. Das sagte gestern Abend Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah in Beirut: Nach den Sprengstoffattacken auf Pager und Walkie-Talkies der libanesischen Parteimiliz fürchten Menschen im ganzen Land eine Eskalation des Kriegs mit Israel. Mit Viktor Funk undWilhelmine Preußen habe ich aufgeschrieben, was nach der hybriden Attacke droht.

    Meine Kollegin Anouk Schlung hat Moldau besucht, wo Präsidentin Maia Sandu die Bevölkerung im Oktober in einem Referendum darüber abstimmen lässt, ob das Ziel eines EU-Beitritts in der Verfassung verankert werden soll – nicht zuletzt als Brandmauer gegen russische Einflüsse. Eine solche will auch die EU weiter hochziehen – Stephan Israel hat sich deshalb die Pläne des designierten Kommissars für Raumfahrt und Rüstung, Andrius Kubilius, genauer angeschaut.

    Ihr
    Markus Bickel
    Bild von Markus  Bickel
    • Raumfahrt

    Analyse

    Wie die Gefahr eines offenen Krieges zwischen Israel und der Hisbollah steigt

    Die Israeli Defence Forces (IDF) griffen am Mittwoch und Donnerstag vermehrt Ziele im Südlibanon mit Kampfjets und Artillerie an, darunter Waffenlager der Hisbollah.

    Nach der Detonation Hunderter Funkrufempfänger mit mehr als 2900 Verletzten und 37 Toten im Libanon ist die Gefahr eines offenen Krieges zwischen Israel und der Hisbollah nicht gebannt. Die israelische Armee griff in der Nacht auf Freitag mehr als siebzig Ziele im Südlibanon an, die Hisbollah sprach von 17 Attacken auf Ziele im Norden Israels am Donnerstag. Der UN-Sicherheitsrat plant Freitagabend deutscher Zeit eine Dringlichkeitssitzung.

    Hisbollah-Generalsekretär, Hassan Nasrallah, hatte am Donnerstagabend in Beirut in seiner ersten Ansprache nach der Attacke auf ihr Kommunikationsnetz gesagt, dass Israel alle roten Linien überschritten habe und eine Vergeltung sicher sei. Er bezeichnete die Explosionen von Pagern und Funkgeräten am Dienstag und Mittwoch als “Massaker”. Unter den Toten und Verletzten befinden sich zahlreiche Hisbollah-Mitglieder, aber auch Zivilisten.

    Israelischer Verteidigungsminister: “Neue Phase” des Krieges

    Bundesaußenministerin Annalena Baerbock warnte am Donnerstag genauso wie US-Außenminister Antony Blinken vor einer Eskalationsspirale. Bei einem Besuch in Paris sagte Blinken, dass dies auch die Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Gaza-Streifen gefährden würde.

    Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant hatte zuvor eine “neue Phase” des Krieges angekündigt, in der sich der Schwerpunkt in Richtung Norden verlagert. Während Nasrallahs Rede flogen israelische Kampfflugzeuge bereits im Tiefflug über die Hauptstadt Beirut und durchbrachen die Schallmauer. In Israel wurden mehrere Zivilisten und Soldaten durch Beschuss aus dem Libanon mit Panzerabwehr-Raketen verletzt und zwei israelische Soldaten wurden bei den Angriffen getötet.

    Rüstungskontrollforscher Reinhold: “Fragwürdige” Methoden

    An der dem israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad zugeschriebenen Operation gibt es auch Kritik. “Die Methode halte ich für sehr fragwürdig”, sagte Thomas Reinhold, Forscher im Cluster Natur- und Technikwissenschaftliche Rüstungskontrollforschung (CNTR) am Peace Research Institute Frankfurt (PRIF) im Gespräch mit Table.Briefings. “Hätten Terroristen dazu gegriffen, würde man das scharf verurteilen. Es gab keine Kontrolle darüber, in welchen Umständen die Geräte explodieren, eine Abschätzung der Kollateralschäden ist kaum möglich.” Gleichzeitig mutmaßte er, dass es wahrscheinlich vor allem auch “um den psychologischen Effekt” ging. “Die Menschen im Libanon werden nun auch mit ihren Handys vorsichtiger umgehen”, so Reinhold.

    Nasrallahs Handy-Verbot führte zu Fehlern

    Der Doppelschlag gegen die von Nasrallah seit 1992 geführte Hisbollah trifft die Parteimiliz zu einem empfindlichen Zeitpunkt. Bereits im Juli war es Israel gelungen, Hisbollah-Militärkommandeur Fuad Schukr zu töten. Anfang des Jahres kam im unmittelbaren Hisbollah-Einflussgebiet im Süden Beiruts der stellvertretende Hamas-Chef Saleh al-Arouri bei einem israelischen Luftangriff ums Leben. Da es israelischen Geheimdiensten offenbar gelungen war, ins Kommunikationsnetz der Schiitenorganisation einzudringen, soll Nasrallah danach ein Handy-Verbot in der von Iran Anfang der 1980er Jahre im Libanon gegründeten Hisbollah (“Partei Gottes”) angeordnet haben.

    Sollte sich bewahrheiten, dass der Mossad mehrere Scheinfirmen aufbaute mit dem Ziel, Pager und Walkie-Talkies an die Hisbollah zu verkaufen, wäre das ein Geheimdienst-Scoop. Die New York Times berichtete unter Berufung auf US-Regierungsquellen, die von israelischer Seite über die Operation unterrichtet wurden, dass es dem Mossad gelungen sei, die Hisbollah von einer Front-Firma des Mossad täuschen zu lassen.

    Die von der hybriden Attacke am Mittwoch betroffenen Walkie-Talkies soll die Hisbollah Sicherheitskreisen zufolge vor fünf Monaten gekauft haben – etwa zur selben Zeit wie die Pager, von denen Tausende am Dienstag in mehreren Orten Libanons explodiert waren. Bei der Detonation der Funksprechgeräte waren nach libanesischen Angaben am Mittwoch 25 Menschen getötet und mehr als 600 verletzt worden, bei der Explosion der Pager am Dienstag kamen demnach zwölf Menschen ums Leben und fast 3000 wurden verletzt. 

    Taktisch erfolgreich, spektakulär in Wirkung, strategisch fraglich

    “Nach allem, was bisher bekannt geworden ist und technisch möglich ist, dürften Sprengladungen von 20 bis 50 Gramm in den Pagern platziert worden sein”, schätzt Thomas Reinhold vom CNTR in Frankfurt. “Sicher ist, dass der ganze Vorbereitungsprozess enorm aufwändig war: eventuell wurde eine Scheinfirma aufgebaut, Pager wurden abgefangen, jedes Gerät technisch und an der Software verändert und wieder zusammengebaut.”

    Über die Frage, inwieweit der Geheimdienst-Coup Israels Sicherheit strategisch sichert, gehen die Meinungen auseinander.  Manche vergleichen ihn mit der Tötung Hamas-Chefs Ismail Hanijeh in einem Gästehaus der Revolutionsgarden Pasdaran in Teheran Ende Juli. Dieser habe die Hamas einer wichtigen Führungsfigur beraubt, die militärische Schlagkraft der Organisation im Gazastreifen jedoch nicht entscheidend geschwächt. Was sich 36 Stunden nach dem Doppelschlag sagen lässt: taktisch erfolgreich, spektakulär in der Wirkung – aber ein Ende des Konflikts mit der Hisbollah an der Nordgrenze Israels bringt er nicht näher.

    Hisbollah-Chef Nasrallah betonte in seiner Rede: “Die libanesische Front wird nicht aufhören, bis der Krieg in Gaza vorbei ist!” Mit Viktor Funk.

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    Was der designierte EU-Verteidigungskommissar Kubilius vorhat

    Der Litauer Andrius Kubilius war zuvor Regierungschef Litauens und EVP-Berichterstatter für Russland im EU-Parlament.

    Es klingt nach einer schwierigen Mission. Andrius Kubilius wird als erster Verteidigungskommissar in der Geschichte der EU gegen hohe Erwartungen ankämpfen müssen. Der Litauer wird mit beschränkten Kompetenzen auskommen und darauf achten müssen, dass er sich angesichts der Überschneidungen mit den Portfolios anderer Kommissare behaupten kann. Die knappen Mittel und der Streit um mehr Geld könnten sich rasch als Hindernis für große Ambitionen erweisen. Immerhin bringt Kubilius als ehemaliger Regierungschef Litauens und EVP-Berichterstatter für Russland im EU-Parlament gute Voraussetzungen für den Job mit.

    Europa müsse mehr ausgeben, besser ausgeben und europäisch ausgeben, überschreibt Ursula von der Leyen in ihrem “Mission Letter” die Stoßrichtung für Andrius Kubilius. Direkt unterstellt wird dem künftigen Verteidigungskommissar allerdings nur die erst vor vier Jahren unter dem bisherigen Binnenmarktkommissar Thierry Breton geschaffene Generaldirektion Verteidigung und Weltraum (Defis), mit unter anderem dem Verteidigungsfonds und Instrumenten wie ASAP, dem Programm zum Ausbau der Produktionskapazitäten für Artilleriemunition oder dem künftigen Europäischen Verteidigungs- und Investitionsprogramm (Edip).

    Kubilius will Tempo beim EU-Verteidigungsinvestitionsprogramm

    Zu den Aufgaben des 67-jährigen wird gehören, einen “Binnenmarkt für Rüstungsgüter und Dienstleistungen” zu schaffen sowie den Ausbau der Produktionskapazitäten und gemeinsame Beschaffungen zu fördern. Dazu sollen die Hürden für grenzüberschreitende Zusammenarbeit reduziert werden. In Kooperation mit den Mitgliedstaaten soll der Verteidigungskommissar darauf hinwirken, die militärische Mobilität in Europa zu stärken. Unter der Ägide der Außenbeauftragten Kaja Kallas und mit den Mitgliedstaaten soll Kubilius am “Design und der Umsetzung” des European Air Shields arbeiten sowie Vorschläge für weitere Verteidigungsprojekte von gemeinsamem europäischem Interesse präsentieren.

    Andrius Kubilius hat angekündigt, Edip möglichst rasch durch das Parlament zu bringen. In den ersten 100 Tagen wird der Litauer zudem das Weißbuch zur “Zukunft der Europäischen Verteidigung” ausarbeiten müssen. Darin sollen unter anderem die Investitionsbedürfnisse identifiziert werden, ein politisch brisantes Thema. Andrius Kubilius hat in ersten Äußerungen die Dimensionen angedeutet: Über die nächsten zehn Jahre seien 500 Milliarden Euro zusätzlich nötig, wobei der Litauer zwar verschiedene Wege zur Beschaffung sieht, aber auch gemeinsame Schulden nicht ausschließt.

    Strack-Zimmermann: Sicherheit ist ganz oben angekommen

    Der Litauer hat sich beim Finanzbedarf schon klar positioniert, was ihm bei den Anhörungen im EU-Parlament von Mitte November noch Ärger bereiten könnte. EU-Parlamentarier reagierten auf die Personalie und das neue Portfolio gegenüber Table.Briefings vorerst jedoch vorwiegend positiv: Sicherheit in allen Dimensionen sei in Europa ganz oben angekommen, sagt die EU-Abgeordnete und Vorsitzende des Unterausschusses für Sicherheit und Verteidigung (Sede) Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Damit Europa verteidigungsfähig werde, brauche es überdies mehr grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Industrie und mehr gemeinsame Beschaffungen, so Strack-Zimmermann. Die Aufgabe des Verteidigungskommissars sieht sie auch darin, das Vertrauen in den Mitgliedstaaten herzustellen, dass das Geld in der EU für gemeinsame Rüstungsprojekte in guten Händen sei.

    Hannah Neumann: Das größte Potential im Bereich Cybersicherheit

    Andrius Kubilius habe eine klare Haltung zur notwendigen Unterstützung der Ukraine und sei zudem für Verteidigungsbonds, um dringend benötigte Projekte anzugehen, begrüßt die Grüne Hannah Neumann, ebenfalls Mitglied im Sede-Unterausschuss. Mit dem Verteidigungskommissar gebe es nun endlich einen Ansprechpartner und Verantwortlichen. Das größte Potential sieht die Grüne im Bereich Cybersicherheit. Keine nationale Armee habe hier ausreichende Fähigkeiten und Personal.

    Andrius Kubilis sei ein ausgewiesener Experte in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, sagt der sozialdemokratische EU-Abgeordnete Tobias Cremer und Michael Gahler, Abgeordneter von der konservativen EVP im Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, zeigt sich erfreut, dass Kubilius nun mit den Zuständigkeiten auch für die militärische Mobilität und der Verwirklichung des Verteidigungsbinnenmarktes doch nicht ein reiner Industriekommissar sein werden. Nun müssten die Mitgliedstaaten den Verteidigungskommissar noch zum Chef der Verteidigungsagentur und zum Pesco-Koordinator machen. Dann wäre für Michael Gahler der Weg hin zu einer echten Europäischen Verteidigungsunion frei.

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    EU-Beitritt: Wie Moldau sich für das Referendum im Oktober rüstet

    Am 20. Oktober trifft die Bevölkerung Moldaus zwei Entscheidungen. Sie muss ihr neues Staatsoberhaupt aus insgesamt 17 Kandidatinnen und Kandidaten wählen. Und sie muss entscheiden, ob der geplante Beitritt zur Europäischen Union in der Verfassung verankert werden soll, um zu verhindern, dass künftige Regierungen die Republik von ihrem pro-europäischen Kurs abbringen könnten.

    Moldau ist seit Juni 2022 EU-Beitrittskandidat, nachdem die Regierung im März desselben Jahres den Antrag auf Mitgliedschaft gestellt hatte. Der 2,5-Millionen-Einwohner-Staat ist einer der ärmsten Europas und besitzt zudem eine der kleinsten Streitkräfte der Welt – diese umfassen gerade einmal 7.000 Personen. Das ist überraschend angesichts der geopolitischen Lage im Osten Europas und 1.222 Kilometer mit der Ukraine geteilten Grenze. 

    Deshalb soll es nun schnell gehen: Schon 2030 soll Moldaus EU-Beitritt erfolgen, wenn es nach Chișinău geht. Bis dahin muss noch viel passieren. Konkret steht die Republik vor vier Herausforderungen: 

    • Aufrüstung: Seit Februar 2022 erhöht Moldau die Militärausgaben stark. In diesem Jahr liegt das Budget bei 112 Millionen US-Dollar und somit 0,55 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Bis 2030 will Moldau auf ein Prozent aufstocken. 
    • Korruption: Moldaus staatliche Institutionen sind korruptionsbelastet und reformbedürftig. In einem Report fordert das Antikorruptionsgremium des Europarats Maßnahmen gegen Lobbyarbeit in Regierung, Polizei, Grenzpolizei und vor allem im Justizsystem. 
    • Desinformation und hybride Attacken vonseiten Russlands: Russland versucht schon seit Moldaus Unabhängigkeit 1991 im Land Einfluss zu nehmen, hat seine Bemühungen aber seit 2022 enorm verstärkt. Für Propaganda, anti-westliche Demonstrationen mit gekauften Teilnehmenden, illegale Parteienfinanzierung und Stimmenkauf zur Wahlbeeinflussung gibt Russland jährlich circa 120 bis 130 Millionen Euro aus. Diese immensen Summen seien “Peanuts” für Putin und fester Bestandteil von Russlands Militärbudget, berichtet Valeriu Pașa, Direktor des Thinktanks Watchdog.md, der sich für mehr Resilienz gegen Desinformation und manipulative Narrative einsetzt, im Gespräch mit Table.Briefings.Moldau ist für Russland ein Testgelände für hybride Kriegstechniken und invasive Außenpolitik. Putin setzt alles auf die Hoffnung, Moldau könnte ein zweites Belarus werden – das wird er eher forcieren als eine Invasion.” 
    • Die ökonomische Lage: Gründe für Moldaus geringes Bruttoinlandsprodukt sind ein starker Fokus auf den Agrarsektor, hohe Arbeitslosigkeit und Abwanderung sowie fehlerhafte Sozialpolitik. Die ökonomische Lage könnte entscheidenden Einfluss auf den Ausgang der Parlamentswahlen im kommenden Sommer nehmen, denn die Unzufriedenheit über hohe Wohnungs- und Energiepreise ist hoch. 

    Diese Faktoren beeinflussen einander. Eine fehlende konstante politische Linie behindert die Integrität staatlicher Gewalten – zu groß ist die Sorge vor Restriktionen einer neuen Regierung, die einen potenziell anderen politischen Kurs fährt. Korruption im politischen System öffnet wiederum Tor und Tür für russischen Einfluss. Das bestätigt auch Premierminister Dorin Recean: “Russland kann uns rein militärisch nichts anhaben, deshalb fokussiert Moskau sich auf hybride Attacken.” 

    EU bedeutet für Moldau primär politisch-ökonomische Sicherheit

    Besonders stark greift Putins Einfluss in der autonomen Region Gagausien und im abtrünnigen, ausschließlich von Russland unterstützten De-facto-Regime Transnistrien. Beide Regionen verfügen über eigene Regierungen und sind den Desinformationskampagnen noch stärker ausgesetzt als der Rest des Landes. 

    Das angestrebte Narrativ beider Pole ist gleich: Ein friedliches und prosperierendes Moldau – sei es als Mitglied der Europäischen Union oder als Patenkind Putins. Für die EU steht an wichtigster Stelle, Moldau nicht an Russland zu verlieren. Deshalb sieht sie vorerst über mitunter offensichtliche Baustellen hinweg. Für Moldau würde die EU-Mitgliedschaft zwar nicht primär militärische, dafür aber ökonomische und politische Sicherheit bedeuten. 

    Umfragewerte, zum Beispiel vom International Republican Institute, zeigen derzeit einen Kurs Richtung EU – bis zu 65 Prozent Zustimmung werden prognostiziert – und Richtung Wiederwahl der pro-europäischen Präsidentin Maia Sandu. Doch wahrscheinlich werde Sandu die Präsidentschaft nicht in der ersten, sondern in der zweiten Runde gewinnen, sagt Osteuropawissenschaftlerin Anastasia Pociumban von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik zu Table.Briefings. 

    Präsidentin Maia Sandu ist geschätzter als ihre Partei

    Interessant sollen die Parlamentswahlen im Juni nächsten Jahres werden, denn Sandus Partei PAS wird dort wahrscheinlich keine Mehrheit bekommen. Den Wahlkampf 2021 gewann die Partei eher mit innen- als außenpolitischen Themen. Doch aufgrund vieler Herausforderungen – Russlands Angriffskrieg in der Ukraine, die daraus folgende Energie- und Wirtschaftskrise und über eine Million über Moldau geflüchtete Ukrainer – habe sie ihre Versprechen nicht einhalten können, sagt Pociumban. Zudem geht es den Menschen eher um Sandus Person als um ihre Partei, denn sie gilt als eine der wenigen großen politischen Persönlichkeiten des Landes, die nicht korrupt sind.

    Den Moldauern selbst ist wichtig, dass ihr Land nicht zu vereinfacht betrachtet wird. Moldau sei nicht bloß ein Spielball zwischen zwei Großmächten, sondern besitze seine eigene Entscheidungs- und Handlungsmacht und sei durch die multiplen Krisen stets resilienter geworden: Das betonen Moldauerinnen und Moldauer immer wieder.

    Die Recherchen zu diesem Bericht fanden im Rahmen einer von der Europäischen Kommission geförderten Journalistenreise nach Moldau und Rumänien statt.

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    Neue geopolitische Machtverhältnisse verändern Deutschlands Arktispolitik

    Die Bundesregierung hat die Leitlinien für ihre Arktispolitik aktualisiert und am Mittwoch im Kabinett verabschiedet. Stand in den Leitlinien von 2019 noch der Klimaschutz an vorderster Stelle, rücken jetzt sicherheitspolitische Aspekte wie die Zusammenarbeit mit Nato-Partnern und mehr Aufgaben für die Bundeswehr nach vorn. 

    Vor allem Russland stelle den “arktischen Exzeptionalismus” infrage. Ziel der deutschen Arktispolitik sei es, die Region möglichst konfliktfrei zu gestalten, heißt es in den vom Auswärtigen Amt in Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministerium erarbeiteten Leitlinien. “Gleichzeitig muss die Bundesregierung auf neue sicherheitspolitische Herausforderungen reagieren: Entwicklungen in der Arktis sind eng verbunden mit der Sicherheitslage in der Nord- und Ostsee sowie dem Nordatlantik – insbesondere vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.”

    Konkret soll die Bundeswehr enger mit den Verbündeten und Partnern zusammenarbeiten, Erfahrungen austauschen und durch gemeinsame Übungen mehr Präsenz zeigen. Dafür halte die Bundesregierung “entsprechende Fähigkeiten zur Lagebilderstellung” vor. 

    Neue Arktispolitik erweitert Aufgabenfeld der Bundeswehr

    Diese Absicht dürfte Verteidigungsminister Boris Pistorius bei seiner Argumentation für mehr als nur zwei der bislang bestellten neuen U-Boote des Typs 212 CD helfen. Vor einem Monat hatte er angekündigt, er wolle sich “in der zweiten Jahreshälfte damit beschäftigen, wie und in welcher Geschwindigkeit wir die weiteren benötigten vier U-Boote der Klasse 212 CD bestellen können”. Deutschland und Norwegen entwickeln und beschaffen gemeinsam U-Boote. Norwegen hat vier bestellt, Deutschland bislang zwei. 

    Zudem diskutiert die Deutsche Marine über die Anschaffung einer Drohne zur Seefernaufklärung, die auch für weite Gebiete wie dem Hohen Norden geeignet ist. Bis 2027 will die Marine die Drohne MQ-9B des amerikanischen Herstellers General Atomics beschaffen, heißt es aus Kreisen des Marinekommandos. Sie soll den Seefernaufklärer des Typs P-8 Poseidon begleiten, die ab 2025 in der Truppe ankommen. Außerdem soll die Bundeswehr mehr Soldaten für den Einsatz in der arktischen Region ausbilden.

    Chinas Einfluss wächst durch Investitionen und militärischen Ausbau

    Die Arktis gewinnt strategisch an Bedeutung: Russland hat dort seine militärische Präsenz stark ausgebaut, alte Militärbasen reaktiviert und neue errichtet. Zudem bedroht Russland die Schifffahrtsfreiheit im Nordatlantik und vertritt aggressivere Positionen in multilateralen Foren. In den Leitlinien heißt es dazu: “Die Fähigkeit Russlands, im Hohen Norden die Freiheit der Schifffahrt im Nordatlantik zu beeinträchtigen, stellt eine strategische Herausforderung für die Bundesregierung und ihre Verbündeten dar.” Auch Chinas Einfluss in der Arktis wächst durch wirtschaftliche Investitionen, wissenschaftliche Forschung und den Ausbau militärischer Fähigkeiten. 

    Deutschland setze sich daher für die Wahrung der internationalen Rechtsordnung und freie Schifffahrt in arktischen Gewässern ein, heißt es in dem Dokument. Im Arktischen Rat wolle man als Beobachter aktiver werden und die Zusammenarbeit in Arbeitsgruppen verstärken.

    Neben Sicherheitsaspekten sollen der Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung wichtige Ziele bleiben. Die Bundesregierung fordert deshalb strenge Umweltauflagen für wirtschaftliche Aktivitäten und unterstützt die Ausweisung von Schutzgebieten in der Arktis. klm

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    Mali: Terroranschlag in Bamako wirft Fragen nach Sicherheit auf

    Die Schule der Gendarmerie sowie das Präsidententerminal und militärische Anlagen am Flughafen in Malis Hauptstadt Bamako – damit haben die Terroristen ausschließlich militärische beziehungsweise staatliche Ziele für ihren Anschlag am Dienstag ausgewählt. Die Al-Qaida nahestehende Gruppierung JNIM (Jama’at Nusrat al-Islam wal-Muslimin) hat den doppelten Anschlag für sich reklamiert.

    Sich auf staatliche und militärische Einrichtungen zu beschränken, könne als positive Botschaft der Terroristen an die Bevölkerung verstanden werden, mutmaßte der Analyst Wassim Nasr im französischen Auslandssender France 24.

    Anschläge zielen auf Truppenverlegungen ab

    Gleichzeitig kann der jüngste Angriff aber auch als eine Warnung gelesen werden: “Die Dschihadisten haben gezeigt, dass sie jederzeit auch im Süden zuschlagen können und haben den Bewohnern Bamakos eindrucksvoll bewiesen, dass der Konflikt nicht weit weg ist“, sagte Ulf Laessing von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) gegenüber Table.Briefings.

    Die Regierungstruppen, die von russischen Kräften des Afrika-Korps (ehemals Wagner) unterstützt werden, sind momentan schwerpunktmäßig außerhalb Bamakos eingesetzt. “Insofern ist der Anschlag eine Taktik, um die Regierung dazu zu zwingen, mehr Truppen in die Hauptstadt zu verlegen und aus dem Zentrum und dem Norden abzuziehen”, so Laessing, der das Sahel-Programm der KAS in Bamako leitet.

    Zahl der Todesopfer noch unklar

    Die Terroristen setzten am Flughafen mehrere Flugzeuge und eine Drohne in Brand, unter anderem den Jet von Präsident Goïta. Damit sollte die Junta blamiert werden, sagte Laessing.

    Wie viele Todesopfer der Anschlag forderte, ist weiterhin unklar. Auf Propaganda-Kanälen der JNIM war von “mehreren hunderten feindlichen Kämpfern” die Rede, die getötet worden sein sollen. Die malische Regierung gab an, die Terroristen getötet zu haben.

    Der Tag des Anschlags schien bewusst gewählt: Er fiel auf den 64. Geburtstag der Gendarmerie. In der Schule, die die Terroristen angriffen, warteten zudem einige Inhaftierte auf einen Prozess. Am Wochenende zuvor feierte die Regierung außerdem den ersten Jahrestag der Gründung der Allianz der Sahelstaaten (AES), gemeinsam mit Burkinas und Nigers militärischen Machthabern. Die AES hat sich zum Ziel gesetzt, den Terrorismus in der Region besser zu bekämpfen. Malis Präsident Goïta hatte in seiner Festtagsrede Erfolge beschrieben.

    Russland schickt Medikamente und Nahrung

    Das Auswärtige Amt verurteilte den Anschlag in einem Post auf der Plattform X und rief auf seiner Website zu Vorsicht am kommenden Wochenende auf, an dem in Mali der Nationalfeiertag begangen wird. Zudem steht in rund zwei Monaten mit der 30. Auflage der Foto-Biennale in Bamako ein Kulturevent an, das weit über die Region hinaus in Afrika Bedeutung hat.

    Das russische Außenministerium schickte am Donnerstag einen Lufttransport mit Medikamenten und Nahrungsmitteln für die malischen Truppen nach Bamako, wie unter anderem das russische Auslandsmedium African Initiative berichtete. lcw

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    Konrad-Adenauer-Stiftung “pausiert” langjährige Kooperation mit palästinensischem Umfrageinstitut

    Die Hamas verliert an Rückhalt unter den Palästinensern. Das zeigen Ergebnisse einer Umfrage des Palästinensischen Zentrums für Politik- und Umfrageforschung (PCPSR), die am Dienstag dieser Woche veröffentlicht wurde.

    Es war die vierte Umfrage seit dem 7. Oktober – allerdings die erste ohne Kooperation mit der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, die bei den vorangegangenen Umfragen mitbeteiligt war. Aus der Stiftung hieß es auf Anfrage von Table.Briefings, dass die Kooperation aufgrund von im vergangenen Monat vorgebrachten Vorwürfen möglicher gefälschter Daten in der März-Umfrage für die aktuelle September-Umfrage pausiert wurde, bis die durch das PCPSR angestoßenen internen Untersuchungen abgeschlossen werden. “Wir nehmen die Vorwürfe sehr ernst und warten die Klärung der Anschuldigungen ab.”

    Die Vorwürfe, die vom israelischen Militär ausgingen, werden in der Studie aufgegriffen. Allerdings heißt es da, dass sie nach sorgfältiger Prüfung zu dem Schluss kommen, dass “keine Datenmanipulation stattgefunden hat”. Das PCPSR lies eine Nachfrage von Table.Briefings unbeantwortet.

    Israelische Medien zitieren aber den prominenten palästinensischen Meinungsforscher Khalil Shikaki, der das Meinungsforschungsinstitut leitet und von einem “battle over narratives” zwischen dem israelischen Militär und der Hamas spricht. “Das Zentrum mischt sich nicht in die Politik ein”, so Shikaki.

    Nach dem Überfall auf Israel mit 1200 Toten im vergangenen Jahr und dem dadurch ausgelösten Gaza-Krieg war das Ansehen der islamistischen Hamas zuerst stark gestiegen. Dieser Trend ist den Daten des palästinensischen Instituts zufolge nun wohl leicht rückläufig, auch wenn nach wie vor weit mehr Palästinenser hinter der Hamas stehen als noch vor Kriegsbeginn. Während jetzt 61 Prozent der Befragten in den palästinensischen Gebieten angeben, mit der Hamas zufrieden zu sein, waren es im Juni noch 75 Prozent. Im Gaza-Streifen ist der Wert jedoch weit niedriger als im Westjordanland.

    Ähnlich sieht es bei der Haltung der Menschen zum Massaker des 7. Oktober aus. Zwar hält eine Mehrheit die Entscheidung der Hamas, den Anschlag auszuführen, nach wie vor für “richtig”. Aber diese Mehrheit ist jetzt kleiner als bei der ersten Umfrage, und im Gaza-Streifen hält nur eine Minderheit die damalige Entscheidung für richtig. Während in Gaza weniger als 40 Prozent der Befragten den Überfall der Hamas auf Israel befürworten, sind es im Westjordanland über 60 Prozent. Der Rückhalt für die Hamas und ihre terroristischen Aktivitäten war im Gaza-Streifen von Beginn an kleiner, wo die Organisation herrscht und die schrecklichen humanitären Auswirkungen des Krieges deutlicher im Alltag zu spüren sind.

    Für die Studie befragte das Palästinensische Zentrum für Politik- und Umfrageforschung mehr 1200 Menschen in einer repräsentativen Stichprobe. 790 der Befragten stammen aus dem Westjordanland und 410 aus dem Gazastreifen. Die Daten des Instituts, das seit Mitte der neunziger Jahre Meinungsumfragen durchführt, gelten grundsätzlich als verlässlich. wp

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    Must-Reads

    Axios: Why China hawks care so much about cranes. Die Befürchtung einer chinesischen Invasion Taiwans hat die USA dazu veranlasst, den potenziellen Einfluss Pekings auf die kritische Infrastruktur zu überprüfen. Ein Beispiel dafür sind in China hergestellte Lastenkräne. Viele Experten glauben, dass Peking die Macht hat, die meisten Frachtkräne der USA lahmzulegen – und damit möglicherweise den globalen Handel mit Konsumgütern, militärischer Ausrüstung und anderen Ressourcen zu stören.

    Der Standard: Enge Bande zwischen Israel und Serbien. Belgrad liefert Waffen für den Gazakrieg an Israel. Serbiens größter staatlicher Waffenhändler, Yugoimport SDPR, soll im Jahr 2024 Waffen und Munition im Wert von 23,1 Millionen Euro nach Israel geliefert haben. Gleichzeitig setzt Serbien offenbar israelische Überwachungs-IT auch gegen Journalisten ein.

    Foreign Affairs: America and the Philippines Should Call China’s Bluff. Nach monatelangen Spannungen zwischen China und den Philippinen sind Manila und Peking um Schlichtung bemüht. Die Gespräche wurden intensiviert, nachdem im August ein chinesisches Schiff vor einer umstrittenen Untiefe ein Schiff der philippinischen Küstenwache gerammt hatte. Um eine Katastrophe zu verhindern, muss Manila mit Unterstützung der USA über die laufenden Verhandlungen mit China hinaus einen langfristigen Ansatz zur Risikominderung im Südchinesischen Meer entwickeln.

    Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik: Sicherheitsrisiken im Indopazifik. Chinas aggressives Verhalten im Südchinesischen Meer und in der Taiwanstraße, sowie die Sorge um fehlende US-Unterstützung betreffen Deutschland und seine Verbündeten im Indopazifik. Viele Länder in der Region unterstützen die Ukraine und tragen zur europäischen Sicherheit bei. Daher sollte Deutschland die sicherheits- und verteidigungspolitische Zusammenarbeit mit diesen Ländern intensivieren, so die Forderung dieses Textes.

    Standpunkt

    Tobias Bacherle: Wie autoritäre Kräfte unsere digitale Freiheit angreifen

    Von Tobias B. Bacherle
    Tobias B. Bacherle ist Obmann im Ausschuss für Digitales und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags.

    Perfide Desinformationskampagnen sind durch die geleakten Dokumente der Social Design Agency dieser Tage in aller Munde. Die mit dem Regime Wladimir Putins verbandelte Agentur hat die gesellschaftliche Spaltung und den Aufstieg der Rechtsextremen als erklärtes Ziel. Auch Cyberangriffe der nordkoreanischen Hackergruppe Lazarus stehen für die digitale Bedrohung, die von autoritären Staaten ausgeht. Doch die Freiheit im digitalen Raum wird auch an anderer Stelle wortwörtlich verhandelt: Kaum beachtet von der Öffentlichkeit und technisch tief im Detail inszenieren sich abwechselnd Russland und China erst bei der Cybercrime Convention und jetzt bei den Verhandlungen zum ersten globalen “Digitalpakt” als vertrauenswürdige Verhandlungspartner auf internationaler Bühne. Obwohl sie eigentlich an den Grundfesten eines freien Internets und digitaler Freiheiten sägen.

    Eher früher als später hat dies direkte Auswirkungen auf uns: Denn auf die Unabhängigkeit und Dezentralität der Internetverwaltung, die Sicherheit verschlüsselter Kommunikation und den Schutz globaler, digitaler Debattenräume vor Manipulation sind auch wir angewiesen. Im digitalen Zeitalter muss die digitale Außenpolitik eine hohe Priorität in unserer Arbeit für die Freiheit und globale Sicherheit einnehmen.

    Beim Global Digital Compact geht es auch um die Freiheit im Digitalen

    Dieser Tage geht mein Blick besorgt nach New York, wo am Wochenende der Summit of the Future stattfindet. Hier verabschieden die UN-Mitglieder unter anderem den “Digitalpakt” Global Digital Compact (GDC), der erstmals gemeinsame Ziele für eine globale digitale Zukunft formuliert.

    Verhandelt haben den GDC die UN-Mitgliedstaaten. Die technische Community und die Zivilgesellschaft wurden im Prozess zwar formell angehört, aber die eigentlichen Verhandlungen blieben für sie eine unzugängliche Blackbox. Hinter verschlossenen Türen können autoritäre Staaten die Angriffe auf die Freiheit im Digitalen ungestörter und detaillierter fahren. Und das, ähnlich wie bei der Cybercrime Convention, auch beim GDC mit Erfolg: Der jüngste Entwurf weicht bestehende Grundprinzipien eines globalen, freien, offenen, sichereren und dezentral verwalteten Internets auf. Auch die Manipulation des Informationsraums soll nur abgeschwächt werden – gerade hier wäre ein multilaterales Regelwerk jedoch besonders wichtig.

    Der digitale Raum im Visier autoritärer Kräfte

    Es zeichnet sich ein Muster ab: Autoritäre Kräfte inszenieren sich als starke Verhandler und Dealmaker und setzen gleichzeitig Teile ihrer autokratischen, illiberalen Vorstellungen in der Digitalpolitik durch. Die Freiheit und die Handlungsfähigkeit einer wertegeleiteten Gemeinschaft stehen dabei gleichzeitig auf dem Spiel.

    Das ist ein Zielkonflikt für die deutsche digitale Außenpolitik. Doch umso wichtiger wird aktives Engagement in internationalen Foren. Denn weder sollten wir das Feld direkt China und Russland überlassen, noch können oder wollen wir eine Zustimmung um jeden Preis zulassen.

    Es wäre naiv zu glauben, dass autoritäre Kräfte es dabei belassen werden, ihre Vorstellungen von Zensur und Repression im Digitalen schlicht durch internationales Recht abzusichern. Vielmehr soll das Modell des freien Internets als für autoritäre Staaten störendes Element weltweit zurückgedrängt werden.

    Einfallstore schließen, bevor sie zu unserem Problem werden

    Mit der Strategie für die internationale Digitalpolitik benennt die Bundesregierung erstmals klar, welche Debatten sich derzeit abspielen, und weist den Weg: Neben guter Unterstützung und enger Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft braucht es dieser Tage eine klare Sprache der deutschen digitalen Außenpolitik auf internationaler Bühne.  Denn auch hier gilt eine Binsenweisheit der Cybersicherheit: Backdoors lieber schließen, sobald man sie entdeckt. Damit sich ein kurzfristiger Erfolg für die internationale Zusammenarbeit – wie ein erfolgreicher Abschluss des GDC – nicht als langfristiges Einfallstor für autokratische Träume entpuppt.

    Tobias B. Bacherle vertritt Bündnis 90/Die Grüne als Abgeordneter im Deutschen Bundestag und ist Obmann im Ausschuss für Digitales sowie Mitglied des Auswärtigen Ausschusses.

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    Dessert

    Das Auswärtige Amt (AA) räumt auf mit seiner Geschichte. Vor 14 Jahren, angestoßen vom grünen Außenminister Joschka Fischer, erschien ein Buch über die Verstrickungen des Amtes im Nationalsozialismus. Die skandalträchtige Quintessenz: Das AA war aktiv an den Verbrechen wie der Vernichtung der Juden beteiligt.

    Das neue Buch über das “Auswärtige Amt und die Kolonien”, ist zwar weniger reißerisch. Aber die Aussage nicht minder klar: Das Amt habe eine Politik verfolgt, “die menschenverachtend und rassistisch war”, erklärte Außenministerin Annalena Baerbock.

    Aber räumt das Buch wirklich auf mit der deutschen Kolonialgeschichte? Dass sie “von Unrecht und Gewalt” geprägt war, ist unstrittig. Dass das AA – endlich – selbst aktiv geworden ist mit diesem Buch, ist überfällig. Mit dem Zugang zu den Archiven haben die Wissenschaftler akribisch die Details der blutigen Kolonialgeschichte abgebildet. Auch wie sie den Traditionslinien der europäischen Kolonialvergangenheit folgt.

    Auffällig ist das Bemühen, nur ja in kein Fettnäpfchen zu treten. Ein “Aufarbeitungsbuch” muss sich nicht lesen wie ein Thriller. Aber es hätte mehr sein können als nur ein Buch für die Bibliothek und die Ausbildung künftiger Diplomatinnen. nana

    Carlos Alberto Haas, Lars Lehmann, Brigitte Reinwald, David Simo (Hrsg) – Das Auswärtige Amt und die Kolonien. Geschichte, Erinnerung, Erbe. C.H. Beck Verlag, München 2024

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