“alles hängt mit allem zusammen” ist eine Binse und doch ist es wichtig, das zu wiederholen: Wenn auf der Rüstungsmesse Eurosatory 2024 die israelischen Aussteller ausgeschlossen sind und der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu vielleicht schon bald kein Verteidigungsminister mehr ist, so stellt sich die Frage, was das alles für Europas Wehrfähigkeit bedeutet. Gabriel Bub ist auf der Messe in Paris und widmet sich der Frage in seiner Analyse.
Auf Israel blicken wir mit einer News zur aktuellen politischen Entwicklung und einem Interview mit dem Völkerrechtler Alexander Schwarz vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Warum er die abgewiesene Klage gegen Waffenlieferungen an Israel für einen Teilerfolg hält, lesen Sie im Gespräch, das Mirco Keilberth mit ihm geführt hat.
Lisa-Martina Klein macht darauf aufmerksam, dass manch ein Projekt zum Wiederaufbau der Ukraine zwar gute Absichten verfolgt, aber vielleicht nicht gut umgesetzt werden kann.
Dass es nicht gut steht um die Menschenrechte, sagt die neue Chefin von Amnesty International Deutschland, Julia Duchrow. Wie sie die Menschen dazu bewegen will, wieder für ihre Rechte auf die Straße zu gehen, hat sie Wilhelmine Preußen berichtet, die die Juristin vorstellt.
Eine gute Lektüre wünscht Ihnen,
Sébastien Lecornu weiß nicht, wie viele Auftritte er als französischer Verteidigungsminister noch haben wird. Es dürften nicht viele sein. Spricht in einem Monat außer Emmanuel Macron noch jemand von der “Économie de Guerre”? Der Kriegswirtschaft, die Frankreich auf einen drohenden Konflikt vorbereiten soll und die sich auch die Rüstungsbauer, die in Paris ausstellen, wünschen.
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat viel darauf ausgerichtet, in manchen Betrieben Dreischichtsystem einführen lassen und mit dem Militärbudgetgesetz 413 Milliarden Euro an Ausgaben bis 2030 festgelegt. “Die Eurosatory soll eine operative Messe bleiben”, sagt Lecornu bei seiner Eröffnungsrede einer der größten Rüstungsmessen Europas. Und: “Wir befinden uns in einem schwierigen Moment”.
Schwierig sind die Zeiten immer. Aber in diesem Jahr rückt der Krieg in der Ukraine in den Hintergrund, und innenpolitische Fragen prägen den Beginn der Rüstungsmesse. Lecornus Eröffnungsrede ist ein Rückblick auf das bisher erreichte. Mit der staatlich gelenkten Kriegswirtschaft haben französische Rüstungsunternehmen beachtliche Fortschritte bei der Produktionsgeschwindigkeit gemacht.
Mit der Ankündigung, die französische Nationalversammlung aufzulösen, hat Macron nicht nur das eigene Land beunruhigt. Der Erfolg von deutsch-französischen Rüstungsprojekten hängt auch an der wohlwollenden Zusammenarbeit zwischen dem französischen Verteidigungsminister Sébastien Lecornu und Boris Pistorius.
Der bisherige französische Verteidigungsausschussvorsitzende Thomas Gassilloud von der Macron-Partei Renaissance, warnte, dass die Eurosatory ein Opfer von Macrons taktischem Manöver werden könnte. Wenn die Franzosen am 30. Juni und 7. Juli eine neue Nationalversammlung wählen, könnte der Premierminister danach Jordan Bardella heißen und dem rechtspopulistischen Rassemblement National angehören.
Le Monde berichtet, dass Lecornu sich in seinem Ministerium beraten habe, welche Aufgaben vor dem 7. Juli geklärt werden müssen. Die Nato-Akten hätten vor dem wichtigen Gipfel in Washington Priorität gehabt.
Die Rüstungskonzerne, die ausländische Kunden haben, können sich gelassen geben. Öffentlich positionieren will sich aber niemand. Für das Geschäft bedeute das erstmal keine großen Veränderungen, die Verträge seien unterschrieben, wenn das Gesetz zur Planung für das Militärbudget angefasst werde, wären vor allem die Unternehmen betroffen, die nicht so stark auf Exporte angewiesen sind, sagt einer.
Ein anderer französischer Industrieller hat jedoch große Sorgen. Er befürchtet, dass die Zusammenarbeit mit Lecornus Nachfolger schlechter wird. Der aktuelle Minister habe der Industrie gut zugehört und sei auf sie eingegangen. Dass Lecornu in einem Monat sein Amt noch innehat, hält er für ausgeschlossen.
Die Auflösung des Parlaments bringt zunächst das technische Problem, dass die Assemblée nicht arbeiten kann. Diese Woche hätte eigentlich der Militärhaushalt im Parlament geregelt werden sollen. Einige Aktivitäten befänden sich im Standby-Modus sagt der Industrievertreter.
Eine neue linke oder rechte Regierung dürfte weniger Geld für Verteidigung veranschlagen, vor allem das rechtspopulistische Rassemblement National die Ukraine-Hilfen streichen oder kürzen. Die französische Erfolgsgeschichte der “Économie de guerre” würde nicht fortgeschrieben. “Bisher haben wir in einem konstanten Fluss gearbeitet”, sagt der französische Industrielle. Wenn das Rassemblement National den nächsten Verteidigungsminister stellt, werden sich die Waffenbauer die Frage stellen müssen, ob sie einen Minister der Rechtspopulisten zur Werksbesichtigung einladen wollen. Auch internationale Kooperationen würden schwieriger. Das Rassemblement National will etwa Rüstungskooperationen mit Deutschland beenden. In manchen Fragen wären Rüstungsunternehmen gut beraten, die Wahlen abzuwarten, um Kooperationsverträge zu unterzeichnen.
Für Jacob Ross von der DGAP würde auch die linkspopulistische France insoumise (LFI) bei einem Wahlsieg zu sicherheitspolitischer Instabilität führen. Die französischen linken Parteien haben sich für die anstehenden Wahlen im Nouveau Front populaire zusammengeschlossen. Holt diese Fraktion eine Mehrheit bei den Wahlen, wäre LFI darin die “dominante Kraft”, sagt Ross. Mit Positionen, die konträr zu der Politik Macrons seien. Gerade bei der Unterstützung der Ukraine widerspricht die Partei Macron vehement.
Ein Streitpunkt am ersten Messetag waren die Diskussionen um israelische Aussteller. Nachdem den 74 israelischen Ausstellern Ende Mai untersagt wurde, bei der Messe ihre Waffen zu präsentieren, hat ein französisches Gericht am Freitag entschieden, außerdem auch israelischen Industriellen den Zutritt zur Messe generell zu untersagen. Grund für das Ausstellungsverbot war die Bombardierung eines Lagers bei Rafah im Gazastreifen durch die IDF.
Einige Unternehmen, die ihr Gerät mit israelischen Komponenten ausstatten, haben entsprechende Teile verhüllt. Am Stand von General Dynamics hängt Flecktarn über den Panzern. Andere zeigen israelische Teile offen. Auf dem Gelände fänden Kontrollgänge statt, sagte ein Industrieller. Doch auch hier äußerte man sich lieber nicht öffentlich.
Die Ukraine wirbt um Investitionen. Dem Staat und privaten, einheimischen Unternehmen fehlt Kapital, die eigene Wirtschaft und Rüstungsindustrie am Laufen zu halten – und vor allem unabhängiger von westlichen militärischen Lieferungen zu werden. “Ich appelliere an die Unternehmen, mit ihren Investitionen in der Ukraine nicht bis zum Ende des Krieges zu warten. Fangen Sie jetzt an”, sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba auf der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz vergangene Woche.
Zwar sind viele der deutschen Unternehmen aus dem zivilen Bereich, die bereits vor dem Krieg in der Ukraine tätig waren, geblieben. Einige Rüstungsunternehmen bauen Werke in der Ukraine neu auf. Mit Rheinmetall, dem Flensburger Fahrzeugbauer FFG und dem Drohnenhersteller Quantum Systems haben bereits deutsche Rüstungsfirmen einen Teil ihrer Produktion in die Ukraine verlegt. Auch der türkische Drohnenhersteller Baykar baut nach eigenen Angaben ein Werk auf, der britische Waffenproduzent BAE Systems hat nach Angaben des Ministeriums für strategische Industrien zumindest ein Büro in der Ukraine eröffnet. Beim Panzerhersteller KNDS gebe es ähnliche Überlegungen.
Doch viele weitere Interessenten zögern. Die ständige Gefahr, Ziel russischer Raketen zu werden, ist dabei aber nur ein Faktor. Dieses Risiko sei berechenbar, sagt der Sicherheitsexperte Friedrich-Christian Haas, Geschäftsführer der AKE Group. Er berät Unternehmen vor allem aus dem zivilen Sektor, die in Krisen- oder Kriegsgebieten investieren wollen. Es gebe viele Gegenden im Westen der Ukraine, die noch nie angegriffen wurden. “Man sollte sein Werk nicht gerade neben Güterbahnhöfen oder einem Kraftwerk oder sonstiger Kritischer Infrastruktur aufbauen, und lieber längere Logistikwege in Kauf nehmen”, sagt Haas.
Die Probleme, warum Unternehmen zögern, liegen woanders: in einem sehr starren Arbeitsrecht, teils noch angelehnt an die Sowjetzeit, an hoher Bürokratie und an der Ressource Mensch. “Die Mobilisierung ist, neben den zerstörten Energienetzen, die größte Herausforderung für Unternehmen”, sagt Ruslan Illichov, Generaldirektor des größten ukrainischen Arbeitgeberverbands (Federation of Employers of Ukraine, FEU), im Interview mit Table.Briefings. Rund 8.000 Unternehmen sind Mitglied in dem Verband.
Männer im wehrfähigen Alter einzustellen, sagt Illichov, sei für Unternehmen mit hohem Risiko verbunden, denn von heute auf morgen könnten sie an die Front geschickt werden. Nur Rüstungsbauer und Betreiber Kritischer Infrastrukturen sind aktuell von dieser Regel befreit.
Um den Fachkräftemangel abzufedern, haben das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und das ukrainische Wirtschaftsministerium auf der Wiederaufbaukonferenz eine “Fachkräfte-Allianz” geschlossen. Junge Menschen und Binnenvertriebene sollten so einfacher ihre Ausbildung beginnen oder fortsetzen, die sie aufgrund des Krieges unterbrochen haben. Frauen sollen umschulen für Berufe, die bislang vor allem Männer ausführten. Mehr als 180.000 neue Fachkräfte sollten in den nächsten drei Jahren für den Wiederaufbau der Ukraine ausgebildet werden, teilt das BMZ mit.
Im ukrainischen Arbeitgeberverband sieht man die Allianz kritisch – und symptomatisch für die Wiederaufbaukonferenz: Die Initiative sei sehr symbolisch, enthalte wenig Praktisches und sei mit niemandem aus der Industrie abgestimmt worden. Überhaupt seien keine neue Allianz nötig, kein weiteres Seminar, keine weiteren Roundtable, stattdessen: “Jeden Tag bilden unsere Unternehmen Frauen in Männerberufen aus”, sagt Illichov. Was die Ukraine brauche, seien moderne Ausbildungszentren mit neuen Maschinen, sagt er. Junge Menschen, die in Ausbildungszentren aus der Sowjetzeit lernten, kämen in Firmen mit hochmodernen Maschinen und könnten diese nicht bedienen.
Und zum Thema Ansiedlungen deutscher Unternehmen, sagt Illichov: “Es wäre angesichts der aktuellen Situation nicht ehrlich, jetzt zu deutschen Firmen zu sagen, kommt in die Ukraine und investiert.” Was die Ukraine jetzt brauche, seien Kooperationen zwischen deutschen und ukrainischen Firmen.
“Wir müssen so viel wie möglich im Land produzieren, mit der Ausrüstung, mit der Beteiligung deutscher Technologien, deutschen Unternehmen. Das sollte Priorität haben. Leider sehen wir, dass das immer noch nicht der Fall ist”, sagt Illichov. Potenziale sieht Illichov neben der Rüstungsindustrie etwa in der Automobilbranche. So könnte diese in ihrer gesamten Lieferkette auch Produktionsstätten in der Ukraine einbauen.
Und noch einen Hemmschuh schildern mehrere Unternehmen: Die Ukraine schaue bei Neuansiedelungen und Investoren sehr genau hin, um russischen Einfluss, aber auch Korruption zu vermeiden. Die bürokratischen Hürden seien entsprechend hoch, diese würden wiederum zum Teil die Schwarzarbeit fördern.
Herr Schwarz, darf die Bundesregierung nach diesem Urteil weiterhin Waffen an Israel liefern?
Die Bundesregierung hat zwar einerseits weiterhin die Entscheidungsfreiheit, Kriegswaffen für Israel zu genehmigen. Allerdings wird aus dem Beschluss deutlich, dass die Bundesregierung ihre Genehmigungspraxis spätestens ab dem Frühjahr 2024 verschärft hat. Wir führen diese geänderte Genehmigungspraxis auf die Art und Weise der israelischen Kriegsführung zurück, die offensichtlich gegen humanitäres Völkerrecht verstößt. Auch wenn die Bundesregierung dies öffentlich so nicht einräumt, hat sie damit faktisch einen Stopp der Waffenexporte nach Israel vorgenommen. Insofern kann man dies als Teilerfolg verbuchen. Dies zeigt aber auch, dass juristische Interventionen, wie etwa die vor dem IGH oder dem Internationalen Strafgerichtshof, aber auch nationale Interventionen wie die unsrige, tatsächlich Wirkung entfalten. Recht kann also auch Politik bewegen.
Sehen Sie das Urteil der Richter also auch als Erfolg?
Rein juristisch ist uns zum Nachteil gereicht, dass die Bundesregierung gegenwärtig keine Kriegswaffen mehr genehmigt. Damit besteht aus Sicht des Verwaltungsgerichts kein aktueller Anlass für ein Verbot. Im Verwaltungsrecht gilt nun mal, dass man die Rechtmäßigkeit von Behördenhandeln grundsätzlich nur nachträglich gerichtlich überprüfen kann. Aber es gibt auch Ausnahmen von diesem Grundsatz, auf dies hatten wir uns berufen. Nach Auffassung des Gerichts hätte es für diese Ausnahme aber einer bevorstehenden Genehmigung von Kriegswaffen durch die Bundesregierung bedurft. Und eine solche sieht das Gericht aktuell gerade nicht. Politisch betrachtet ist die geänderte Praxis des Kriegswaffenexports allerdings genau das, was wir erreichen wollten.
Wie geht es jetzt weiter?
Wenn man das Urteil ernst nimmt, dürfte Deutschland bis zum Ende der aktuellen Kampfhandlungen in Gaza keine Kriegswaffen mehr an Israel liefern. Denn das Gericht geht davon aus, dass die Bundesregierung alle völkerrechtlichen Verpflichtungen sorgsam überprüft. Da die israelische Kriegsführung aber ganz offensichtlich Verstöße gegen das Völkerrecht in Kauf nimmt, müsste genau dies bei der Genehmigungspraxis Berücksichtigung finden. Im Ergebnis müssten deutsche Waffenlieferungen damit unterbleiben. Das ist unsere Schlussfolgerung aus dieser Entscheidung.
Außenministerin Baerbock hat kürzlich auf einer Veranstaltung in Berlin erneut bestritten, dass überhaupt deutsche Kriegswaffen in Gaza im Einsatz seien.
Deutsche Matador-Panzerfäuste wurden nach dem 7. Oktober bestellt und geliefert, zur Verwendung im Gaza-Krieg. Es ist wenig glaubhaft, dass die israelische Armee Panzerfäuste für den Häuserkampf in einem andauernden Krieg bestellt, um sie dann auf Halde zu lagern. Zumal es Videos gibt, die zeigen, dass die Panzerfäuste in Gaza bereits zum Einsatz kamen.
Wie ungewöhnlich ist es, dass sich ein deutsches Verwaltungsgericht mit Waffenexporten beschäftigen muss?
Aufgrund der in Deutschland völlig intransparenten Genehmigungspraxis ist ein solcher Fall ein juristisch schwieriges Unterfangen, weshalb Gerichtsverfahren äußerst selten sind. Denn es wird weder öffentlich kommuniziert, wann ein Antrag auf Kriegswaffen eingeht, noch proaktiv darüber informiert, wann er genehmigt wird. Die Antragsteller erfahren also nicht, wann sie überhaupt Rechtsschutz beantragen können. Mir ist kein anderer Fall bekannt, in dem über Waffenlieferungen an eine Kriegspartei während eines laufenden Krieges vor einem deutschen Verwaltungsgericht entschieden wurde.
Gab es in den letzten Wochen Kampagnen oder Angriffe gegen die Kläger oder gar Zweifel daran, ob diese Klage überhaupt legitim ist?
In der juristischen Szene hat das Verfahren durchaus für Aufsehen gesorgt. Es gab diejenigen, die eine Aktivierung des Verwaltungsverfahrens für politisch völlig falsch halten. In juristischen Blogs wurde viel darüber diskutiert, ob diese Klage überhaupt zulässig ist. Grundsätzlich ist zu sagen, dass sich die mediale Berichterstattung verändert hat. Stand lange allein das Selbstverteidigungsrecht Israels im Zentrum der Kommentare, so wird jetzt angesichts der dramatischen Bilder aus Gaza immer mehr auch die israelische Kriegsführung hinterfragt.
Werden das ECCHR und die palästinensischen Mitkläger das Urteil akzeptieren?
Das werden wir in der nächsten Woche entscheiden. Das Problem der völlig intransparenten Informationspolitik der Bundesregierung in Bezug auf die Genehmigung von Kriegswaffen besteht ja weiter. Unsere Mandanten sind also weiterhin in einer Position ohne effektiven Rechtsschutz. Wir hatten unsere Klage mit einer Verpflichtung verbunden, unsere Mandanten darüber zu informieren, wenn weitere Kriegswaffen an Israel genehmigt werden.
Wie überprüft das ECCHR die Lage vor Ort?
Kürzlich wurde der aktuelle Bericht der Vereinten Nationen zur Lage in Gaza veröffentlicht. Darin werden Kriegsverbrechen auf beiden Seiten belegt. Neben dem Terror der Hamas werden eine ganze Reihe von Völkerrechtsverletzungen durch die israelische Armee nachgewiesen. Auch die beantragten Haftbefehle des Anklägers des IStGH liefern ganz offensichtlich Beweise, dass neben der Hamas auch Israel Kriegsverbrechen begeht. Neben diesen internationalen Verfahren gibt es zahlreiche weitere Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen, die möglichen Kriegsverbrechen nachgehen. Mirco Keilberth
Israels Militär warnt vor einer gefährlichen Ausweitung des Konflikts mit der Schiiten-Miliz Hisbollah im Grenzgebiet zum Libanon.
Armeesprecher Daniel Hagari warf der Miliz in einer am Sonntagabend veröffentlichten Videoerklärung vor, die Angriffe zu verstärken und damit die Zukunft ihres eigenen Landes zu gefährden. Zuvor hatte sich bereits die UN-Beobachtermission Unifil, die seit 1978 das Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon überwacht, äußerst besorgt gezeigt ob der zunehmenden Spannungen.
Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor mehr als acht Monaten hat sich die Lage deutlich verschärft, inzwischen kommt es fast täglich zu Gefechten zwischen der israelischen Armee und der Hisbollah. Die von Israels Erzfeind Iran unterstützte Miliz ist mit der islamistischen Hamas im Gazastreifen verbündet, gilt aber als deutlich schlagkräftiger.
Vergangene Woche hatte der französische Präsident Emmanuel Macron angekündigt, dass die Vereinigten Staaten, Frankreich und Israel zusammenarbeiten wollen, um den von Paris Anfang des Jahres vorgelegten Fahrplan zur Entschärfung der Spannungen zwischen der Hisbollah und Israel voranzutreiben. Experten sehen dafür allerdings einen Waffenstillstand mit der Hamas als Vorbedingung .
“Ohne einen Waffenstillstand im Gazastreifen, wird es keinen Deal mit der Hisbollah geben”, so Muriel Asseburg, Nahostexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im Live.Talk mit Table.Briefings. Gleichzeitig forderte sie deswegen die Bundesregierung auf, sich für einen Waffenstillstand einzusetzen. Ähnlich sah es Yossi Melman, Journalist und Militärexperte der liberalen Tagesszeitung Haaretz. Ein Waffenstillstand sei “ein erster Schritt”, um die Lage im Norden Israels zu stabilisieren, sagte er gegenüber Table.Briefings.
Kurz zuvor hatte das israelische Militär eine mehrstündigen und räumlich begrenzten Feuerpause im südlichen Gazastreifen angekündigt. Die “taktische Pause” entlang einer wichtigen Straße soll demnach mehr Hilfslieferungen in das Küstengebiet ermöglichen. Die Entscheidung wurde den Angaben zufolge nach Beratungen mit den Vereinten Nationen und internationalen Organisationen getroffen.
In der israelischen Regierung selbst stieß die Ansage des israelischen Militärs zunächst allerdings auf Kritik. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bezeichnete die Ankündigung Berichten zufolge als “inakzeptabel”. Der Premierminister steht auch innenpolitisch unter Druck. Nachdem der liberale Minister Benny Gantz aus der israelischen Notstandsregierung ausgetreten war, ist er zunehmend abhängig von seinen rechtsextremen Koalitionspartnern, die jegliche Art von Waffenstillstand ablehnen. wp/dpa
Die neue Nato-Kommandostruktur nimmt weiter Formen an: Finnland werde ein neues Landkommando der Nato unter der Führung des operativen Hauptquartiers (Joint Force Command) in Norfolk, USA, aufstellen. Das teilte der finnische Verteidigungsminister Antti Hakkanen am Freitag nach einem Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel mit. Hakkanen sagte, das Kommando werde die Aufgabe haben, Landkriegsoperationen in Nordeuropa und Skandinavien zu leiten. Wo das Kommando aufgebaut werden und wie viele Nato-Truppen dort stationiert werden sollen, sagte er nicht.
Lange war unklar, wie der Nord- und Ostseeraum nach dem Beitritt Schweden und Finnlands zur Nato aufgeteilt werden soll. Finale Entscheidungen zur neuen Kommandostruktur soll es zwar erst auf dem Nato-Gipfel in Washington im Juli geben. Aber nach aktuellem Stand werden die beiden Neu-Mitglieder Schweden und Finnland, zusammen mit Norwegen, unter das Joint Force Command Norfolk in den USA fallen. Dieses Kommando ist auf die Verteidigung des Raumes von der nordamerikanischen Atlantikküste über Großbritannien und Norwegen bis zum Nordmeer und der Arktis, ausgerichtet.
Dänemark, Deutschland und die baltischen Länder werden wie bisher vom Joint Force Command im niederländischen Brunssum aus geführt. Auch das neue regionale maritime Hauptquartier (CTF Baltic) für die Ostsee, dessen Führung Deutschland von Rostock aus übernehmen soll, wird aller Voraussicht dem JFC Brunssum unterstellt werden. Von hier aus sollen Manöver geplant und geführt und ein gemeinsames Lagebild erstellt, sowie die Verteidigungspläne der Anrainerstaaten aufeinander abgestimmt werden. Auf praktischer Ebene geht es vor allem darum, Fähigkeiten und Ressourcen besser gemeinsam zu nutzen. So könnten Nato-Staaten Munition wie Seeminen auf den Marinestützpunkten anderer Anrainerstaaten vorstationieren und so effektiver einsetzen.
Eine ähnliche Initiative gibt es für den Luftraum unterhalb der Nato-Struktur bereits: Im März 2023 beschlossen Norwegen, Schweden und Finnland, zusammen mit Dänemark, ihre Luftverteidigungsfähigkeiten stärker aufeinander abzustimmen. Zwar sollte es keine Zusammenlegung der Einheiten oder eine gemeinsame Kommandozentrale geben. Die Länder beabsichtigen aber, die nordischen Luftwaffenstützpunkte künftig besser gemeinsam zu nutzen. klm
Die Bedeutung, die Atomwaffenstaaten ihrem Nukleararsenal zumessen, hat angesichts der weltweiten Kriege wieder zugenommen. Zugleich gibt es immer weniger Bemühungen, diese Verbreitung dieser Waffen mit Abrüstungsabkommen einzugrenzen. Zu diesem Ergebnis kommt das schwedische Friedensforschungsinstitut Sipri in seinem am Montag veröffentlichen Jahresbericht.
Zwar nehme die Gesamtzahl der Atomsprengköpfe weltweit ab – aber nur, weil veraltete Systeme ausgemustert und durch modernisierte Nuklearwaffen ersetzt würden, heißt es im Sipri Jahrbuch 2024. Gleichzeitig steige die Zahl der einsatzbereiten Gefechtsköpfe. Dieser Besorgnis erregende Trend könne sich in den nächsten Jahren noch verstärken, warnte Sipri-Direktor Dan Smith. So arbeiteten die Atomwaffenstaaten Indien, Pakistan und Nordkorea daran, ihre Trägersysteme mit Mehrfachsprengköpfen auszustatten, wie sie die USA, Russland, Frankreich und inzwischen auch China bereits besitzen.
Derzeit halten vor allem die USA und Russland, die zusammen mehr als 90 Prozent aller Atomwaffen besitzen, etwa 2.100 ihrer Nuklearwaffen in einer hohen Einsatzbereitschaft. Auch China habe vermutlich erstmals einen Teil seiner Atomwaffen einsatzbereit gemacht, schätzte das Stockholmer Institut. Verlässliche Informationen dazu gebe es aber nicht.
Sipri beklagte, dass sowohl die USA als auch Russland als Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine deutlich weniger transparent über ihre Atomwaffenarsenale informierten. Die Bemühungen über Rüstungskontrollverträge der vergangenen Jahre seien ebenfalls von der angespannten Lage zwischen den beiden Großmächten betroffen, was sich zuletzt im russischen Ausstieg aus den Verhandlungen über das New START-Abkommen im vergangenen Jahr gezeigt habe. tw
Le Monde: Après la dissolution de l’Assemblée nationale, les dossiers de la défense suspendus “en plein vol“. Der anstehende politische Wechsel in Matignon, dem Sitz des Regierungschefs in Frankreich, dürfte auch Auswirkungen auf die Ausrichtung der französischen Verteidigungspolitik haben. Unter anderem könnte die Unterstützung der Ukraine unter einem Rechtsruck im Parlament leiden.
Kyiv Independent: Ukraine-US 10-year security deal: 5 key takeaways. Der Artikel fasst alle wichtigen Details des Sicherheitsabkommen zwischen den USA und der Ukraine zusammen, das am Rande des G7-Gipfels unterzeichnet wurde. Selenskyj beschreibt das Abkommen als “Brücke” zur Nato-Mitgliedschaft. Allerdings könne der Deal theoretisch nach den US-Wahlen aufgekündigt werden, sollte der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump gewinnen.
ECFR: It just makes cents: Why the EU needs to step up its geoeconomics game: Die EU solle ihre Wirtschaftsmacht noch mehr nutzen, um Einfluss auf die Entscheidungen von Staaten wie China und Russland zu nehmen. Das bedeute, die Maßnahmen noch besser zu koordinieren, auch mit Wertepartnern wie Australien, Kanada oder Großbritannien. Ein EU-Kommissar für Geo-Ökonomie wäre sinnvoll.
AGI: A European Initiative to Put NATO on a Sustainable Footing. Unabhängig davon, ob Donald Trump der nächste Präsident wird, müsse sich Europa darauf einstellen, dass die US-Militärunterstützung zurückgehen werde. Für diese Analyse hat der Autor dutzende republikanische Abgeordnete in den USA interviewt. Er beschreibt die Ursachen für die wahrscheinliche Entwicklung und fordert die EU auf, Initiative beim anstehenden Wandlungsprozess zu ergreifen.
Julia Duchrow ist seit ungefähr einem halben Jahr Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International, neu ist sie in der Organisation aber nicht. Hier hat sie einst als Asylpolitische Referentin ihre hauptamtliche Karriere im Bereich Menschenrechte begonnen und war zuletzt bereits stellvertretende Generalsekretärin. Die neue Rolle birgt trotzdem Veränderungen und große Herausforderungen.
“Das Thema Menschenrechte hat heute mehr Gegenwind und weniger Rückenwind”, sagt die promovierte Juristin. Standards, auf die sich die Weltgemeinschaft nach den Grauen des Zweiten Weltkriegs und der Shoah einst geeinigt hätten, würden laut Duchrow zunehmend ignoriert. Sie selbst glaubt an die Kraft des Rechts schon lange. Ein freiwilliges soziales Jahr bei der Bürgerrechtsbewegung Black Sash in Südafrika habe ihr erstmals vor Augen geführt, dass Recht dazu geeignet sei, Macht zu begrenzen.
Der Amnesty Report 2024 zeichnet derzeit allerdings in allen Bereichen ein düsteres Bild. Immer schlechter steht es um den Zustand der Menschenrechte weltweit, immer weniger Menschen leben in Demokratien, immer mehr in Krisen und Konfliktgebieten.
Während die Research Abteilung, also das Erstellen der Berichte in der Verantwortung des internationalen Sekretariats von Amnesty liegt, ist Duchrows Aufgabe in Berlin vor allem der Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit. Genügend Herausforderungen gibt es auch hier.
Wenn man Menschen früher mit ausführlichen Gastbeiträgen und Pressemitteilungen erreicht hat, geht es heute darum, die Botschaften so kurz und bündig wie möglich einem Publikum mit einer Aufmerksamkeitsspanne eines Instagram-Reels zu vermitteln. Nicht einfach für eine Organisation, die für sich in Anspruch nimmt, von der Qualität und der Glaubwürdigkeit detaillierter Recherchen zu leben. “Die Verkürzung wird für uns zum Problem”, stellt Duchrow fest – eines, das sie lösen will.
Amnesty International hat weltweit zehn Millionen Unterstützer – 200.000 allein in Deutschland, und sie alle wollen mitentscheiden. Bisher meidet Amnesty Deutschland beispielsweise Tiktok mit Blick auf die menschenrechtlichen Bedenken. Ob das auch in Zukunft so bleiben soll, dürften die Mitglieder wohl demnächst diskutieren.
Es ist ihr wichtig, Mitglieder in Denk- und Entscheidungsprozessen mitzunehmen. Das gilt auch für das wohl explosivste aller Themen: den Nahostkonflikt. Schon seit 2022 wurde hierzu ein Sensibilisierungsprozess in der Organisation losgetreten, auf den Duchrow stolz verweist. Der Versuch in einer Organisation mit vielen Mitgliedern und entsprechend vielen Meinungen eine informierte Debatte zu führen. Sie selbst hat eine klare Haltung. Zwar betont sie, dass sie die Freilassung der israelischen Geiseln fordert und den brutalen Angriff verschiedener bewaffneter Gruppen auf Israel am 7. Oktober scharf verurteilt. Doch sie lenkt schnell wieder die Aufmerksamkeit auf das Schicksal der palästinensischen Zivilgesellschaft. Sie ist im Gazastreifen seit mehr als einem halben Jahr täglichen Bombardements des israelischen Militärs ausgesetzt.
Die Liste der Vorwürfe an die israelische Regierung ist lang. Nachweise für Hamas-Verbrechen seien dagegen nicht immer so eindeutig, wie es die israelische Seite schildere: In den bisherigen Untersuchungen, die 17 Angriffe der israelischen Armee umfassen, habe man nicht nachweisen können, dass die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde benutzt werde. Die Bundesregierung reagiere “viel zu spät” und gefährde damit das internationale Recht insgesamt.
Dem Vorwurf der Täter-Opfer-Umkehr, der Amnesty International vermehrt gemacht wurde, begegnet sie im Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts gelassen. Die Universalität der Menschenrechte und Unparteilichkeit sei Grundlage der Arbeit von Amnesty. Alle Berichte seien “wasserdicht” und Ergebnis “hoher Standards” bei der Recherche und Überprüfung von Fakten.
Während es dem Nahostkonflikt zumindest nicht an Aufmerksamkeit mangelt, geraten andere Konflikte in Vergessenheit. Julia Duchrow ist deswegen besorgt, aber nicht frustriert. Im Gegenteil: Man spürt, dass ihre Arbeit sie erfüllt, dass sie das Gefühl hat, etwas ändern zu können. Die ersten sechs Monate im neuen Amt bezeichnet sie als positiv. Auch wenn sie das vor allem im Zusammenhang mit einem neuen Führungsmodell nach dem Konzept der “feminist leadership” tut, das mit ihrer Amtsübernahme eingeführt wurde.
Der Aufbruch in eine neue Zeit voller Veränderungen und Herausforderungen ist jedenfalls in vielerlei Hinsicht gewiss. Auch physisch gibt es für die Organisation Veränderung. In Duchrows Büro sind die Kisten schon gepackt. Amnesty zieht weg von der Hauptstadtpolitik im bürokratischen Berlin-Mitte, hin zum jungen, alternativen Berlin – nach Neukölln. Wilhelmine Preußen
“alles hängt mit allem zusammen” ist eine Binse und doch ist es wichtig, das zu wiederholen: Wenn auf der Rüstungsmesse Eurosatory 2024 die israelischen Aussteller ausgeschlossen sind und der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu vielleicht schon bald kein Verteidigungsminister mehr ist, so stellt sich die Frage, was das alles für Europas Wehrfähigkeit bedeutet. Gabriel Bub ist auf der Messe in Paris und widmet sich der Frage in seiner Analyse.
Auf Israel blicken wir mit einer News zur aktuellen politischen Entwicklung und einem Interview mit dem Völkerrechtler Alexander Schwarz vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Warum er die abgewiesene Klage gegen Waffenlieferungen an Israel für einen Teilerfolg hält, lesen Sie im Gespräch, das Mirco Keilberth mit ihm geführt hat.
Lisa-Martina Klein macht darauf aufmerksam, dass manch ein Projekt zum Wiederaufbau der Ukraine zwar gute Absichten verfolgt, aber vielleicht nicht gut umgesetzt werden kann.
Dass es nicht gut steht um die Menschenrechte, sagt die neue Chefin von Amnesty International Deutschland, Julia Duchrow. Wie sie die Menschen dazu bewegen will, wieder für ihre Rechte auf die Straße zu gehen, hat sie Wilhelmine Preußen berichtet, die die Juristin vorstellt.
Eine gute Lektüre wünscht Ihnen,
Sébastien Lecornu weiß nicht, wie viele Auftritte er als französischer Verteidigungsminister noch haben wird. Es dürften nicht viele sein. Spricht in einem Monat außer Emmanuel Macron noch jemand von der “Économie de Guerre”? Der Kriegswirtschaft, die Frankreich auf einen drohenden Konflikt vorbereiten soll und die sich auch die Rüstungsbauer, die in Paris ausstellen, wünschen.
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat viel darauf ausgerichtet, in manchen Betrieben Dreischichtsystem einführen lassen und mit dem Militärbudgetgesetz 413 Milliarden Euro an Ausgaben bis 2030 festgelegt. “Die Eurosatory soll eine operative Messe bleiben”, sagt Lecornu bei seiner Eröffnungsrede einer der größten Rüstungsmessen Europas. Und: “Wir befinden uns in einem schwierigen Moment”.
Schwierig sind die Zeiten immer. Aber in diesem Jahr rückt der Krieg in der Ukraine in den Hintergrund, und innenpolitische Fragen prägen den Beginn der Rüstungsmesse. Lecornus Eröffnungsrede ist ein Rückblick auf das bisher erreichte. Mit der staatlich gelenkten Kriegswirtschaft haben französische Rüstungsunternehmen beachtliche Fortschritte bei der Produktionsgeschwindigkeit gemacht.
Mit der Ankündigung, die französische Nationalversammlung aufzulösen, hat Macron nicht nur das eigene Land beunruhigt. Der Erfolg von deutsch-französischen Rüstungsprojekten hängt auch an der wohlwollenden Zusammenarbeit zwischen dem französischen Verteidigungsminister Sébastien Lecornu und Boris Pistorius.
Der bisherige französische Verteidigungsausschussvorsitzende Thomas Gassilloud von der Macron-Partei Renaissance, warnte, dass die Eurosatory ein Opfer von Macrons taktischem Manöver werden könnte. Wenn die Franzosen am 30. Juni und 7. Juli eine neue Nationalversammlung wählen, könnte der Premierminister danach Jordan Bardella heißen und dem rechtspopulistischen Rassemblement National angehören.
Le Monde berichtet, dass Lecornu sich in seinem Ministerium beraten habe, welche Aufgaben vor dem 7. Juli geklärt werden müssen. Die Nato-Akten hätten vor dem wichtigen Gipfel in Washington Priorität gehabt.
Die Rüstungskonzerne, die ausländische Kunden haben, können sich gelassen geben. Öffentlich positionieren will sich aber niemand. Für das Geschäft bedeute das erstmal keine großen Veränderungen, die Verträge seien unterschrieben, wenn das Gesetz zur Planung für das Militärbudget angefasst werde, wären vor allem die Unternehmen betroffen, die nicht so stark auf Exporte angewiesen sind, sagt einer.
Ein anderer französischer Industrieller hat jedoch große Sorgen. Er befürchtet, dass die Zusammenarbeit mit Lecornus Nachfolger schlechter wird. Der aktuelle Minister habe der Industrie gut zugehört und sei auf sie eingegangen. Dass Lecornu in einem Monat sein Amt noch innehat, hält er für ausgeschlossen.
Die Auflösung des Parlaments bringt zunächst das technische Problem, dass die Assemblée nicht arbeiten kann. Diese Woche hätte eigentlich der Militärhaushalt im Parlament geregelt werden sollen. Einige Aktivitäten befänden sich im Standby-Modus sagt der Industrievertreter.
Eine neue linke oder rechte Regierung dürfte weniger Geld für Verteidigung veranschlagen, vor allem das rechtspopulistische Rassemblement National die Ukraine-Hilfen streichen oder kürzen. Die französische Erfolgsgeschichte der “Économie de guerre” würde nicht fortgeschrieben. “Bisher haben wir in einem konstanten Fluss gearbeitet”, sagt der französische Industrielle. Wenn das Rassemblement National den nächsten Verteidigungsminister stellt, werden sich die Waffenbauer die Frage stellen müssen, ob sie einen Minister der Rechtspopulisten zur Werksbesichtigung einladen wollen. Auch internationale Kooperationen würden schwieriger. Das Rassemblement National will etwa Rüstungskooperationen mit Deutschland beenden. In manchen Fragen wären Rüstungsunternehmen gut beraten, die Wahlen abzuwarten, um Kooperationsverträge zu unterzeichnen.
Für Jacob Ross von der DGAP würde auch die linkspopulistische France insoumise (LFI) bei einem Wahlsieg zu sicherheitspolitischer Instabilität führen. Die französischen linken Parteien haben sich für die anstehenden Wahlen im Nouveau Front populaire zusammengeschlossen. Holt diese Fraktion eine Mehrheit bei den Wahlen, wäre LFI darin die “dominante Kraft”, sagt Ross. Mit Positionen, die konträr zu der Politik Macrons seien. Gerade bei der Unterstützung der Ukraine widerspricht die Partei Macron vehement.
Ein Streitpunkt am ersten Messetag waren die Diskussionen um israelische Aussteller. Nachdem den 74 israelischen Ausstellern Ende Mai untersagt wurde, bei der Messe ihre Waffen zu präsentieren, hat ein französisches Gericht am Freitag entschieden, außerdem auch israelischen Industriellen den Zutritt zur Messe generell zu untersagen. Grund für das Ausstellungsverbot war die Bombardierung eines Lagers bei Rafah im Gazastreifen durch die IDF.
Einige Unternehmen, die ihr Gerät mit israelischen Komponenten ausstatten, haben entsprechende Teile verhüllt. Am Stand von General Dynamics hängt Flecktarn über den Panzern. Andere zeigen israelische Teile offen. Auf dem Gelände fänden Kontrollgänge statt, sagte ein Industrieller. Doch auch hier äußerte man sich lieber nicht öffentlich.
Die Ukraine wirbt um Investitionen. Dem Staat und privaten, einheimischen Unternehmen fehlt Kapital, die eigene Wirtschaft und Rüstungsindustrie am Laufen zu halten – und vor allem unabhängiger von westlichen militärischen Lieferungen zu werden. “Ich appelliere an die Unternehmen, mit ihren Investitionen in der Ukraine nicht bis zum Ende des Krieges zu warten. Fangen Sie jetzt an”, sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba auf der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz vergangene Woche.
Zwar sind viele der deutschen Unternehmen aus dem zivilen Bereich, die bereits vor dem Krieg in der Ukraine tätig waren, geblieben. Einige Rüstungsunternehmen bauen Werke in der Ukraine neu auf. Mit Rheinmetall, dem Flensburger Fahrzeugbauer FFG und dem Drohnenhersteller Quantum Systems haben bereits deutsche Rüstungsfirmen einen Teil ihrer Produktion in die Ukraine verlegt. Auch der türkische Drohnenhersteller Baykar baut nach eigenen Angaben ein Werk auf, der britische Waffenproduzent BAE Systems hat nach Angaben des Ministeriums für strategische Industrien zumindest ein Büro in der Ukraine eröffnet. Beim Panzerhersteller KNDS gebe es ähnliche Überlegungen.
Doch viele weitere Interessenten zögern. Die ständige Gefahr, Ziel russischer Raketen zu werden, ist dabei aber nur ein Faktor. Dieses Risiko sei berechenbar, sagt der Sicherheitsexperte Friedrich-Christian Haas, Geschäftsführer der AKE Group. Er berät Unternehmen vor allem aus dem zivilen Sektor, die in Krisen- oder Kriegsgebieten investieren wollen. Es gebe viele Gegenden im Westen der Ukraine, die noch nie angegriffen wurden. “Man sollte sein Werk nicht gerade neben Güterbahnhöfen oder einem Kraftwerk oder sonstiger Kritischer Infrastruktur aufbauen, und lieber längere Logistikwege in Kauf nehmen”, sagt Haas.
Die Probleme, warum Unternehmen zögern, liegen woanders: in einem sehr starren Arbeitsrecht, teils noch angelehnt an die Sowjetzeit, an hoher Bürokratie und an der Ressource Mensch. “Die Mobilisierung ist, neben den zerstörten Energienetzen, die größte Herausforderung für Unternehmen”, sagt Ruslan Illichov, Generaldirektor des größten ukrainischen Arbeitgeberverbands (Federation of Employers of Ukraine, FEU), im Interview mit Table.Briefings. Rund 8.000 Unternehmen sind Mitglied in dem Verband.
Männer im wehrfähigen Alter einzustellen, sagt Illichov, sei für Unternehmen mit hohem Risiko verbunden, denn von heute auf morgen könnten sie an die Front geschickt werden. Nur Rüstungsbauer und Betreiber Kritischer Infrastrukturen sind aktuell von dieser Regel befreit.
Um den Fachkräftemangel abzufedern, haben das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und das ukrainische Wirtschaftsministerium auf der Wiederaufbaukonferenz eine “Fachkräfte-Allianz” geschlossen. Junge Menschen und Binnenvertriebene sollten so einfacher ihre Ausbildung beginnen oder fortsetzen, die sie aufgrund des Krieges unterbrochen haben. Frauen sollen umschulen für Berufe, die bislang vor allem Männer ausführten. Mehr als 180.000 neue Fachkräfte sollten in den nächsten drei Jahren für den Wiederaufbau der Ukraine ausgebildet werden, teilt das BMZ mit.
Im ukrainischen Arbeitgeberverband sieht man die Allianz kritisch – und symptomatisch für die Wiederaufbaukonferenz: Die Initiative sei sehr symbolisch, enthalte wenig Praktisches und sei mit niemandem aus der Industrie abgestimmt worden. Überhaupt seien keine neue Allianz nötig, kein weiteres Seminar, keine weiteren Roundtable, stattdessen: “Jeden Tag bilden unsere Unternehmen Frauen in Männerberufen aus”, sagt Illichov. Was die Ukraine brauche, seien moderne Ausbildungszentren mit neuen Maschinen, sagt er. Junge Menschen, die in Ausbildungszentren aus der Sowjetzeit lernten, kämen in Firmen mit hochmodernen Maschinen und könnten diese nicht bedienen.
Und zum Thema Ansiedlungen deutscher Unternehmen, sagt Illichov: “Es wäre angesichts der aktuellen Situation nicht ehrlich, jetzt zu deutschen Firmen zu sagen, kommt in die Ukraine und investiert.” Was die Ukraine jetzt brauche, seien Kooperationen zwischen deutschen und ukrainischen Firmen.
“Wir müssen so viel wie möglich im Land produzieren, mit der Ausrüstung, mit der Beteiligung deutscher Technologien, deutschen Unternehmen. Das sollte Priorität haben. Leider sehen wir, dass das immer noch nicht der Fall ist”, sagt Illichov. Potenziale sieht Illichov neben der Rüstungsindustrie etwa in der Automobilbranche. So könnte diese in ihrer gesamten Lieferkette auch Produktionsstätten in der Ukraine einbauen.
Und noch einen Hemmschuh schildern mehrere Unternehmen: Die Ukraine schaue bei Neuansiedelungen und Investoren sehr genau hin, um russischen Einfluss, aber auch Korruption zu vermeiden. Die bürokratischen Hürden seien entsprechend hoch, diese würden wiederum zum Teil die Schwarzarbeit fördern.
Herr Schwarz, darf die Bundesregierung nach diesem Urteil weiterhin Waffen an Israel liefern?
Die Bundesregierung hat zwar einerseits weiterhin die Entscheidungsfreiheit, Kriegswaffen für Israel zu genehmigen. Allerdings wird aus dem Beschluss deutlich, dass die Bundesregierung ihre Genehmigungspraxis spätestens ab dem Frühjahr 2024 verschärft hat. Wir führen diese geänderte Genehmigungspraxis auf die Art und Weise der israelischen Kriegsführung zurück, die offensichtlich gegen humanitäres Völkerrecht verstößt. Auch wenn die Bundesregierung dies öffentlich so nicht einräumt, hat sie damit faktisch einen Stopp der Waffenexporte nach Israel vorgenommen. Insofern kann man dies als Teilerfolg verbuchen. Dies zeigt aber auch, dass juristische Interventionen, wie etwa die vor dem IGH oder dem Internationalen Strafgerichtshof, aber auch nationale Interventionen wie die unsrige, tatsächlich Wirkung entfalten. Recht kann also auch Politik bewegen.
Sehen Sie das Urteil der Richter also auch als Erfolg?
Rein juristisch ist uns zum Nachteil gereicht, dass die Bundesregierung gegenwärtig keine Kriegswaffen mehr genehmigt. Damit besteht aus Sicht des Verwaltungsgerichts kein aktueller Anlass für ein Verbot. Im Verwaltungsrecht gilt nun mal, dass man die Rechtmäßigkeit von Behördenhandeln grundsätzlich nur nachträglich gerichtlich überprüfen kann. Aber es gibt auch Ausnahmen von diesem Grundsatz, auf dies hatten wir uns berufen. Nach Auffassung des Gerichts hätte es für diese Ausnahme aber einer bevorstehenden Genehmigung von Kriegswaffen durch die Bundesregierung bedurft. Und eine solche sieht das Gericht aktuell gerade nicht. Politisch betrachtet ist die geänderte Praxis des Kriegswaffenexports allerdings genau das, was wir erreichen wollten.
Wie geht es jetzt weiter?
Wenn man das Urteil ernst nimmt, dürfte Deutschland bis zum Ende der aktuellen Kampfhandlungen in Gaza keine Kriegswaffen mehr an Israel liefern. Denn das Gericht geht davon aus, dass die Bundesregierung alle völkerrechtlichen Verpflichtungen sorgsam überprüft. Da die israelische Kriegsführung aber ganz offensichtlich Verstöße gegen das Völkerrecht in Kauf nimmt, müsste genau dies bei der Genehmigungspraxis Berücksichtigung finden. Im Ergebnis müssten deutsche Waffenlieferungen damit unterbleiben. Das ist unsere Schlussfolgerung aus dieser Entscheidung.
Außenministerin Baerbock hat kürzlich auf einer Veranstaltung in Berlin erneut bestritten, dass überhaupt deutsche Kriegswaffen in Gaza im Einsatz seien.
Deutsche Matador-Panzerfäuste wurden nach dem 7. Oktober bestellt und geliefert, zur Verwendung im Gaza-Krieg. Es ist wenig glaubhaft, dass die israelische Armee Panzerfäuste für den Häuserkampf in einem andauernden Krieg bestellt, um sie dann auf Halde zu lagern. Zumal es Videos gibt, die zeigen, dass die Panzerfäuste in Gaza bereits zum Einsatz kamen.
Wie ungewöhnlich ist es, dass sich ein deutsches Verwaltungsgericht mit Waffenexporten beschäftigen muss?
Aufgrund der in Deutschland völlig intransparenten Genehmigungspraxis ist ein solcher Fall ein juristisch schwieriges Unterfangen, weshalb Gerichtsverfahren äußerst selten sind. Denn es wird weder öffentlich kommuniziert, wann ein Antrag auf Kriegswaffen eingeht, noch proaktiv darüber informiert, wann er genehmigt wird. Die Antragsteller erfahren also nicht, wann sie überhaupt Rechtsschutz beantragen können. Mir ist kein anderer Fall bekannt, in dem über Waffenlieferungen an eine Kriegspartei während eines laufenden Krieges vor einem deutschen Verwaltungsgericht entschieden wurde.
Gab es in den letzten Wochen Kampagnen oder Angriffe gegen die Kläger oder gar Zweifel daran, ob diese Klage überhaupt legitim ist?
In der juristischen Szene hat das Verfahren durchaus für Aufsehen gesorgt. Es gab diejenigen, die eine Aktivierung des Verwaltungsverfahrens für politisch völlig falsch halten. In juristischen Blogs wurde viel darüber diskutiert, ob diese Klage überhaupt zulässig ist. Grundsätzlich ist zu sagen, dass sich die mediale Berichterstattung verändert hat. Stand lange allein das Selbstverteidigungsrecht Israels im Zentrum der Kommentare, so wird jetzt angesichts der dramatischen Bilder aus Gaza immer mehr auch die israelische Kriegsführung hinterfragt.
Werden das ECCHR und die palästinensischen Mitkläger das Urteil akzeptieren?
Das werden wir in der nächsten Woche entscheiden. Das Problem der völlig intransparenten Informationspolitik der Bundesregierung in Bezug auf die Genehmigung von Kriegswaffen besteht ja weiter. Unsere Mandanten sind also weiterhin in einer Position ohne effektiven Rechtsschutz. Wir hatten unsere Klage mit einer Verpflichtung verbunden, unsere Mandanten darüber zu informieren, wenn weitere Kriegswaffen an Israel genehmigt werden.
Wie überprüft das ECCHR die Lage vor Ort?
Kürzlich wurde der aktuelle Bericht der Vereinten Nationen zur Lage in Gaza veröffentlicht. Darin werden Kriegsverbrechen auf beiden Seiten belegt. Neben dem Terror der Hamas werden eine ganze Reihe von Völkerrechtsverletzungen durch die israelische Armee nachgewiesen. Auch die beantragten Haftbefehle des Anklägers des IStGH liefern ganz offensichtlich Beweise, dass neben der Hamas auch Israel Kriegsverbrechen begeht. Neben diesen internationalen Verfahren gibt es zahlreiche weitere Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen, die möglichen Kriegsverbrechen nachgehen. Mirco Keilberth
Israels Militär warnt vor einer gefährlichen Ausweitung des Konflikts mit der Schiiten-Miliz Hisbollah im Grenzgebiet zum Libanon.
Armeesprecher Daniel Hagari warf der Miliz in einer am Sonntagabend veröffentlichten Videoerklärung vor, die Angriffe zu verstärken und damit die Zukunft ihres eigenen Landes zu gefährden. Zuvor hatte sich bereits die UN-Beobachtermission Unifil, die seit 1978 das Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon überwacht, äußerst besorgt gezeigt ob der zunehmenden Spannungen.
Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor mehr als acht Monaten hat sich die Lage deutlich verschärft, inzwischen kommt es fast täglich zu Gefechten zwischen der israelischen Armee und der Hisbollah. Die von Israels Erzfeind Iran unterstützte Miliz ist mit der islamistischen Hamas im Gazastreifen verbündet, gilt aber als deutlich schlagkräftiger.
Vergangene Woche hatte der französische Präsident Emmanuel Macron angekündigt, dass die Vereinigten Staaten, Frankreich und Israel zusammenarbeiten wollen, um den von Paris Anfang des Jahres vorgelegten Fahrplan zur Entschärfung der Spannungen zwischen der Hisbollah und Israel voranzutreiben. Experten sehen dafür allerdings einen Waffenstillstand mit der Hamas als Vorbedingung .
“Ohne einen Waffenstillstand im Gazastreifen, wird es keinen Deal mit der Hisbollah geben”, so Muriel Asseburg, Nahostexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im Live.Talk mit Table.Briefings. Gleichzeitig forderte sie deswegen die Bundesregierung auf, sich für einen Waffenstillstand einzusetzen. Ähnlich sah es Yossi Melman, Journalist und Militärexperte der liberalen Tagesszeitung Haaretz. Ein Waffenstillstand sei “ein erster Schritt”, um die Lage im Norden Israels zu stabilisieren, sagte er gegenüber Table.Briefings.
Kurz zuvor hatte das israelische Militär eine mehrstündigen und räumlich begrenzten Feuerpause im südlichen Gazastreifen angekündigt. Die “taktische Pause” entlang einer wichtigen Straße soll demnach mehr Hilfslieferungen in das Küstengebiet ermöglichen. Die Entscheidung wurde den Angaben zufolge nach Beratungen mit den Vereinten Nationen und internationalen Organisationen getroffen.
In der israelischen Regierung selbst stieß die Ansage des israelischen Militärs zunächst allerdings auf Kritik. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bezeichnete die Ankündigung Berichten zufolge als “inakzeptabel”. Der Premierminister steht auch innenpolitisch unter Druck. Nachdem der liberale Minister Benny Gantz aus der israelischen Notstandsregierung ausgetreten war, ist er zunehmend abhängig von seinen rechtsextremen Koalitionspartnern, die jegliche Art von Waffenstillstand ablehnen. wp/dpa
Die neue Nato-Kommandostruktur nimmt weiter Formen an: Finnland werde ein neues Landkommando der Nato unter der Führung des operativen Hauptquartiers (Joint Force Command) in Norfolk, USA, aufstellen. Das teilte der finnische Verteidigungsminister Antti Hakkanen am Freitag nach einem Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel mit. Hakkanen sagte, das Kommando werde die Aufgabe haben, Landkriegsoperationen in Nordeuropa und Skandinavien zu leiten. Wo das Kommando aufgebaut werden und wie viele Nato-Truppen dort stationiert werden sollen, sagte er nicht.
Lange war unklar, wie der Nord- und Ostseeraum nach dem Beitritt Schweden und Finnlands zur Nato aufgeteilt werden soll. Finale Entscheidungen zur neuen Kommandostruktur soll es zwar erst auf dem Nato-Gipfel in Washington im Juli geben. Aber nach aktuellem Stand werden die beiden Neu-Mitglieder Schweden und Finnland, zusammen mit Norwegen, unter das Joint Force Command Norfolk in den USA fallen. Dieses Kommando ist auf die Verteidigung des Raumes von der nordamerikanischen Atlantikküste über Großbritannien und Norwegen bis zum Nordmeer und der Arktis, ausgerichtet.
Dänemark, Deutschland und die baltischen Länder werden wie bisher vom Joint Force Command im niederländischen Brunssum aus geführt. Auch das neue regionale maritime Hauptquartier (CTF Baltic) für die Ostsee, dessen Führung Deutschland von Rostock aus übernehmen soll, wird aller Voraussicht dem JFC Brunssum unterstellt werden. Von hier aus sollen Manöver geplant und geführt und ein gemeinsames Lagebild erstellt, sowie die Verteidigungspläne der Anrainerstaaten aufeinander abgestimmt werden. Auf praktischer Ebene geht es vor allem darum, Fähigkeiten und Ressourcen besser gemeinsam zu nutzen. So könnten Nato-Staaten Munition wie Seeminen auf den Marinestützpunkten anderer Anrainerstaaten vorstationieren und so effektiver einsetzen.
Eine ähnliche Initiative gibt es für den Luftraum unterhalb der Nato-Struktur bereits: Im März 2023 beschlossen Norwegen, Schweden und Finnland, zusammen mit Dänemark, ihre Luftverteidigungsfähigkeiten stärker aufeinander abzustimmen. Zwar sollte es keine Zusammenlegung der Einheiten oder eine gemeinsame Kommandozentrale geben. Die Länder beabsichtigen aber, die nordischen Luftwaffenstützpunkte künftig besser gemeinsam zu nutzen. klm
Die Bedeutung, die Atomwaffenstaaten ihrem Nukleararsenal zumessen, hat angesichts der weltweiten Kriege wieder zugenommen. Zugleich gibt es immer weniger Bemühungen, diese Verbreitung dieser Waffen mit Abrüstungsabkommen einzugrenzen. Zu diesem Ergebnis kommt das schwedische Friedensforschungsinstitut Sipri in seinem am Montag veröffentlichen Jahresbericht.
Zwar nehme die Gesamtzahl der Atomsprengköpfe weltweit ab – aber nur, weil veraltete Systeme ausgemustert und durch modernisierte Nuklearwaffen ersetzt würden, heißt es im Sipri Jahrbuch 2024. Gleichzeitig steige die Zahl der einsatzbereiten Gefechtsköpfe. Dieser Besorgnis erregende Trend könne sich in den nächsten Jahren noch verstärken, warnte Sipri-Direktor Dan Smith. So arbeiteten die Atomwaffenstaaten Indien, Pakistan und Nordkorea daran, ihre Trägersysteme mit Mehrfachsprengköpfen auszustatten, wie sie die USA, Russland, Frankreich und inzwischen auch China bereits besitzen.
Derzeit halten vor allem die USA und Russland, die zusammen mehr als 90 Prozent aller Atomwaffen besitzen, etwa 2.100 ihrer Nuklearwaffen in einer hohen Einsatzbereitschaft. Auch China habe vermutlich erstmals einen Teil seiner Atomwaffen einsatzbereit gemacht, schätzte das Stockholmer Institut. Verlässliche Informationen dazu gebe es aber nicht.
Sipri beklagte, dass sowohl die USA als auch Russland als Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine deutlich weniger transparent über ihre Atomwaffenarsenale informierten. Die Bemühungen über Rüstungskontrollverträge der vergangenen Jahre seien ebenfalls von der angespannten Lage zwischen den beiden Großmächten betroffen, was sich zuletzt im russischen Ausstieg aus den Verhandlungen über das New START-Abkommen im vergangenen Jahr gezeigt habe. tw
Le Monde: Après la dissolution de l’Assemblée nationale, les dossiers de la défense suspendus “en plein vol“. Der anstehende politische Wechsel in Matignon, dem Sitz des Regierungschefs in Frankreich, dürfte auch Auswirkungen auf die Ausrichtung der französischen Verteidigungspolitik haben. Unter anderem könnte die Unterstützung der Ukraine unter einem Rechtsruck im Parlament leiden.
Kyiv Independent: Ukraine-US 10-year security deal: 5 key takeaways. Der Artikel fasst alle wichtigen Details des Sicherheitsabkommen zwischen den USA und der Ukraine zusammen, das am Rande des G7-Gipfels unterzeichnet wurde. Selenskyj beschreibt das Abkommen als “Brücke” zur Nato-Mitgliedschaft. Allerdings könne der Deal theoretisch nach den US-Wahlen aufgekündigt werden, sollte der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump gewinnen.
ECFR: It just makes cents: Why the EU needs to step up its geoeconomics game: Die EU solle ihre Wirtschaftsmacht noch mehr nutzen, um Einfluss auf die Entscheidungen von Staaten wie China und Russland zu nehmen. Das bedeute, die Maßnahmen noch besser zu koordinieren, auch mit Wertepartnern wie Australien, Kanada oder Großbritannien. Ein EU-Kommissar für Geo-Ökonomie wäre sinnvoll.
AGI: A European Initiative to Put NATO on a Sustainable Footing. Unabhängig davon, ob Donald Trump der nächste Präsident wird, müsse sich Europa darauf einstellen, dass die US-Militärunterstützung zurückgehen werde. Für diese Analyse hat der Autor dutzende republikanische Abgeordnete in den USA interviewt. Er beschreibt die Ursachen für die wahrscheinliche Entwicklung und fordert die EU auf, Initiative beim anstehenden Wandlungsprozess zu ergreifen.
Julia Duchrow ist seit ungefähr einem halben Jahr Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International, neu ist sie in der Organisation aber nicht. Hier hat sie einst als Asylpolitische Referentin ihre hauptamtliche Karriere im Bereich Menschenrechte begonnen und war zuletzt bereits stellvertretende Generalsekretärin. Die neue Rolle birgt trotzdem Veränderungen und große Herausforderungen.
“Das Thema Menschenrechte hat heute mehr Gegenwind und weniger Rückenwind”, sagt die promovierte Juristin. Standards, auf die sich die Weltgemeinschaft nach den Grauen des Zweiten Weltkriegs und der Shoah einst geeinigt hätten, würden laut Duchrow zunehmend ignoriert. Sie selbst glaubt an die Kraft des Rechts schon lange. Ein freiwilliges soziales Jahr bei der Bürgerrechtsbewegung Black Sash in Südafrika habe ihr erstmals vor Augen geführt, dass Recht dazu geeignet sei, Macht zu begrenzen.
Der Amnesty Report 2024 zeichnet derzeit allerdings in allen Bereichen ein düsteres Bild. Immer schlechter steht es um den Zustand der Menschenrechte weltweit, immer weniger Menschen leben in Demokratien, immer mehr in Krisen und Konfliktgebieten.
Während die Research Abteilung, also das Erstellen der Berichte in der Verantwortung des internationalen Sekretariats von Amnesty liegt, ist Duchrows Aufgabe in Berlin vor allem der Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit. Genügend Herausforderungen gibt es auch hier.
Wenn man Menschen früher mit ausführlichen Gastbeiträgen und Pressemitteilungen erreicht hat, geht es heute darum, die Botschaften so kurz und bündig wie möglich einem Publikum mit einer Aufmerksamkeitsspanne eines Instagram-Reels zu vermitteln. Nicht einfach für eine Organisation, die für sich in Anspruch nimmt, von der Qualität und der Glaubwürdigkeit detaillierter Recherchen zu leben. “Die Verkürzung wird für uns zum Problem”, stellt Duchrow fest – eines, das sie lösen will.
Amnesty International hat weltweit zehn Millionen Unterstützer – 200.000 allein in Deutschland, und sie alle wollen mitentscheiden. Bisher meidet Amnesty Deutschland beispielsweise Tiktok mit Blick auf die menschenrechtlichen Bedenken. Ob das auch in Zukunft so bleiben soll, dürften die Mitglieder wohl demnächst diskutieren.
Es ist ihr wichtig, Mitglieder in Denk- und Entscheidungsprozessen mitzunehmen. Das gilt auch für das wohl explosivste aller Themen: den Nahostkonflikt. Schon seit 2022 wurde hierzu ein Sensibilisierungsprozess in der Organisation losgetreten, auf den Duchrow stolz verweist. Der Versuch in einer Organisation mit vielen Mitgliedern und entsprechend vielen Meinungen eine informierte Debatte zu führen. Sie selbst hat eine klare Haltung. Zwar betont sie, dass sie die Freilassung der israelischen Geiseln fordert und den brutalen Angriff verschiedener bewaffneter Gruppen auf Israel am 7. Oktober scharf verurteilt. Doch sie lenkt schnell wieder die Aufmerksamkeit auf das Schicksal der palästinensischen Zivilgesellschaft. Sie ist im Gazastreifen seit mehr als einem halben Jahr täglichen Bombardements des israelischen Militärs ausgesetzt.
Die Liste der Vorwürfe an die israelische Regierung ist lang. Nachweise für Hamas-Verbrechen seien dagegen nicht immer so eindeutig, wie es die israelische Seite schildere: In den bisherigen Untersuchungen, die 17 Angriffe der israelischen Armee umfassen, habe man nicht nachweisen können, dass die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde benutzt werde. Die Bundesregierung reagiere “viel zu spät” und gefährde damit das internationale Recht insgesamt.
Dem Vorwurf der Täter-Opfer-Umkehr, der Amnesty International vermehrt gemacht wurde, begegnet sie im Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts gelassen. Die Universalität der Menschenrechte und Unparteilichkeit sei Grundlage der Arbeit von Amnesty. Alle Berichte seien “wasserdicht” und Ergebnis “hoher Standards” bei der Recherche und Überprüfung von Fakten.
Während es dem Nahostkonflikt zumindest nicht an Aufmerksamkeit mangelt, geraten andere Konflikte in Vergessenheit. Julia Duchrow ist deswegen besorgt, aber nicht frustriert. Im Gegenteil: Man spürt, dass ihre Arbeit sie erfüllt, dass sie das Gefühl hat, etwas ändern zu können. Die ersten sechs Monate im neuen Amt bezeichnet sie als positiv. Auch wenn sie das vor allem im Zusammenhang mit einem neuen Führungsmodell nach dem Konzept der “feminist leadership” tut, das mit ihrer Amtsübernahme eingeführt wurde.
Der Aufbruch in eine neue Zeit voller Veränderungen und Herausforderungen ist jedenfalls in vielerlei Hinsicht gewiss. Auch physisch gibt es für die Organisation Veränderung. In Duchrows Büro sind die Kisten schon gepackt. Amnesty zieht weg von der Hauptstadtpolitik im bürokratischen Berlin-Mitte, hin zum jungen, alternativen Berlin – nach Neukölln. Wilhelmine Preußen