das Deutsche Rote Kreuz schlägt Alarm: Angesichts immer neuer und komplexerer Krisen stoßen Hilfsorganisationen weltweit zunehmend an ihre Grenzen, so Christof Johnen, Leiter des Bereichs internationale Zusammenarbeit beim DRK. Gestörte Lieferketten, ein Mangel an Fachpersonal, und die bevorstehende Kürzung im Bundeshaushalt zwinge das DRK dazu, noch stärker zu priorisieren, wie geholfen werden kann. Im Interview mit Lisa-Martina Klein warnt Johnen davor, dass humanitäre Hilfe zunehmend zum politischen Instrument wird.
Die Warnungen vor einem regionalen Flächenbrand setzten ein, unmittelbar nachdem die Hamas im vergangenen Oktober den Süden Israels angriff. Dass durch den Gazakrieg auch das Verhältnis zwischen Iran und Pakistan aus dem Gleichgewicht geraten könnte, hatte damals allerdings kaum ein Sicherheitsexperte auf dem Schirm. Shams Ul Haq analysiert, wie die Führungen in Islamabad und Teheran eine Woche nach dem gegenseitigen Raketenbeschuss wieder zu deeskalieren versuchen.
Zu einer neuen Eskalation hingegen könnte die Verlegung von Teilen der russischen Schwarzmeerflotte nach Abchasien führen, schreibt Viktor Funk. Denn was auf den ersten Blick wie ein Rückzug vor ukrainischen Angriffen aussieht, birgt neues Konfliktpotenzial mit Georgien.
Tief unter dem Meeresspiegel verlaufen Dutzende Datenkabel, die Afrika mit dem Rest der Welt verbinden. Beim Schutz dieser Kabel vor Sabotage, Unfällen und bewaffneten Konflikten, besteht aber noch Nachholbedarf, hat die Friedrich-Naumann-Stiftung in einer Studie herausgefunden. Sie liegt Table.Media exklusiv vor.
Die regionalen Auswirkungen des gegenseitigen Beschusses zwischen Iran und Pakistan vergangene Woche sind noch nicht absehbar. Am Dienstag hatte Iran pakistanisches Territorium beim Dorf Koh-i-Sabaz angegriffen, einen Tag später reagierte die Atommacht Pakistan mit einem Gegenangriff. Die iranische Attacke galt Stützpunkten der 2012 gegründeten sunnitischen Terrorgruppe Jaish al-Adl, die von pakistanischem Territorium aus agiert.
Der Gruppe werden Verbindungen zum Islamischen Staat nachgesagt. Viele ihrer Mitglieder gehörten davor der mittlerweile aufgelösten Terrorgruppe Jundallah an, die dem Islamischen Staat Treue geschworen hatte. Sie war verantwortlich für eine Straßenbombe in der iranischen Stadt Saravan, mit der im Oktober 2013 13 Revolutionsgardisten getötet wurden. Bereits 2014 hatte Iran mit einer militärischen Operation in Pakistan gedroht, nachdem Jaish al-Adl vier iranische Soldaten entführt hatte. Diese wurden jedoch nach zwei Monaten freigelassen.
Die Geheimdienste Pakistans und Irans behaupten, dass die islamistischen Terroristen der Jaish al-Adl von den USA, Israel und Indien finanziert werden, um Unruhe in der Region zu schüren. Auch der afghanische Zweig des Islamischen Staates, der die Verantwortung für den Bombenanschlag in der iranischen Stadt Kerman Anfang des Jahres übernommen hat, agiert mittlerweile in hohem Maße von Belutschistan aus.
Diese ist in die wirtschaftlich unterentwickelte, mehrheitlich sunnitisch besiedelte pakistanische Provinz Belutschistan und die iranischen Provinzen Sistan und Belutschistan geteilt. Seit Jahren kämpfen belutschische Separatisten der Balochistan Liberation Front (BLF) für einen vereinigten Nationalstaat.
Ursprünglich tendierten die belutschischen Separatisten beiderseits der Grenze in den 1970er-Jahren zu kommunistischen Ideen. Seit den 1990er-Jahren geht die ideologische Tendenz allerdings stark in Richtung Islamismus. Damals entstand die militante Gruppe Sipah-e-Rasool Allah (Armee des Propheten Allahs) unter dem iranischen Belutschen Maula Bux Darakhshan, die als erste grenzüberschreitende Einfälle von Pakistan auf iranisches Territorium vornahm.
Ein Motiv der sunnitischen Terroristen ist es, dem schiitischen Iran die Rolle des wichtigsten Gegners Israels streitig zu machen. Bislang leistet die schiitische “Achse des Widerstands” mit der Hisbollah im Libanon und den Huthis im Jemen die Hauptarbeit bei der militärischen Unterstützung der palästinensischen Hamas. Dahingegen halten sich die mehrheitlich sunnitischen arabischen Staaten zurück.
Der pakistanische Gegenschlag war der erste Luftangriff auf iranischem Boden seit dem Iran-Irak-Krieg 1980-88. Auch er wurde mit dem Kampf gegen Extremismus begründet. In ihren Erklärungen bemühten sich aber beide an Eskalation wenig interessierten Regierungen, jede Verbindung zum Gaza-Krieg zu bestreiten.
Der iranische Außenminister Hossein Amir-Abdollahian erklärte, dass sich die Angriffe gegen eine “iranische Terroristengruppe” richteten, die von pakistanischem Boden aus agiere: “In Bezug auf Pakistan wurde keiner der Staatsangehörigen des befreundeten und brüderlichen Landes Pakistan von iranischen Raketen und Drohnen angegriffen.” Iran respektiere selbstverständlich die Souveränität und territoriale Integrität Pakistans. Zugleich betonte er in einem Telefongespräch mit seinem pakistanischen Amtskollegen Jalil Abbas Jilani, dass das Hauptziel die islamische Einheit angesichts der israelischen Intervention in Gaza sein müsse. Auch Jilani betonte die Notwendigkeit, die guten diplomatischen Beziehungen mit dem Nachbarland aufrechtzuerhalten. In Sicherheitsfragen müssten beide Länder verstärkt zusammenarbeiten.
Irans Vorgehen könnte aber auch Vorbote eines verstärkten direkten militärischen Engagements außerhalb seiner Grenzen sein. Ein Krieg zwischen Iran und Pakistan müsse iranischer Analysten zufolge aus den Bombenangriffen zwar nicht zwangsläufig folgen. Möglicherweise könnten die USA Pakistan aber dazu nutzen, den Iran in militärische Konflikte zu verwickeln, schließlich gehört Washington zu den wichtigsten Geldgebern des Landes im “Kampf gegen den Terror”. “Wie Sie sehen können, ist der Iran in der Region nicht sonderlich beliebt”, äußerte US-Präsident Joe Biden vergangene Woche. Und der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, ergänzte, man stehe in Kontakt mit Pakistan und unterstütze dessen Recht auf Selbstverteidigung.
Künftig werden 72 Untersee-Datenkabel Afrika mit dem Rest der Welt verbinden. Enorme Investitionen, unter anderem von Privatunternehmen wie Google mit dem Equiano-Kabel von Portugal bis Südafrika oder Meta mit dem Riesenprojekt 2Africa (46 Anlandepunkte in 33 Ländern), sollen den Kontinent fit für die Anforderungen des digitalen Zeitalters machen.
Noch schneidet Afrika in Sachen Datengeschwindigkeit im weltweiten Vergleich schlecht ab, doch die Bandbreite, die den Kontinent erreicht, hat sich zwischen 2019 und 2023 mehr als vervierfacht, Tendenz steigend. Ländliche Regionen sowie die Wirtschaft Afrikas, die unter anderem in datenintensive Branchen wie Künstliche Intelligenz investieren will, brauchen diese Bandbreite.
Nicht zuletzt geht es auch darum, den Anschluss an aktuelle und potenzielle Partner in Europa, den arabischen Ländern und Asien nicht zu verlieren. Alleine in der französischen Hafenstadt Marseille landen 14 Kabel an, die meisten davon mit direkter Verbindung nach Nordafrika. Ähnlich sieht es in Portugal, Spanien, Indien und Brasilien aus.
Den ostafrikanischen Küstenstaaten, von Südafrika über Mosambik, Tansania, Kenia bis Somalia, Dschibuti und Eritrea, kommt im Bereich der Unterseekabel eine besondere Rolle zu: Bis 2026 werden 26 dieser leistungsstarken Datenüberträger durch den Westindischen Ozean laufen und in Ostafrika anlanden.
Allerdings: Über den Schutz dieser Kabel und Anlandepunkte, etwa vor Unfällen, Sabotage, Einflussnahme durch ausländische Investoren und vor allem bewaffneter Konflikte, würden sich die Regierungen noch zu wenig Gedanken machen. Dies schreiben Francois Vreÿ von der Stellenbosch Universität sowie Mark Blaine und Andre De Wet, Offiziere a.D. der South African Navy, in einer Studie der Friedrich-Naumann-Stiftung (FNS), die Table.Media vorab vorliegt.
Zwar sei die Gefahr menschlicher Angriffe auf Unterseekabel im Westindischen Ozean im niedrigen, die Gefahr von Unfällen im mittleren Risikobereich. Hoch dagegen sei die Bedrohung der Anlandepunkte und Kabel an Land, die die Küsten- mit den Binnenländern verbinden. Der IS-Terror im Norden Mosambiks, der von Al Shabaab beeinflusste Aufstand in Somalia und die von den Huthi angeführte und vom Iran unterstützte Rebellion im Jemen sorgten für Instabilität an Land. Außerdem beeinträchtigten sie die Sicherheit in der Straße von Mosambik, im Golf von Aden und im Roten Meer, schreiben die Autoren.
Auf der anderen Seite stünde eine schwache gesetzliche Regulierung des maritimen Raums, so die Autoren. In Mosambik stehe vor allem die Piraterie und ihre Auswirkungen an Land im Fokus, einen ganzheitlichen Plan für das Küstenmanagement scheint es nicht zu geben. In Tansania würden Unterseekabel in Regelwerken höchstens implizit angesprochen, in Somalia nicht einmal das. In Kenia gebe es zwar Dokumente zum Schutz von Unterwasserinfrastruktur, doch die genauen Zuständigkeiten und die Finanzierung fehlten.
Während in den meisten Fällen regionale Strategien und Leitlinien vorhanden seien, fehle es an nationalen Strategien und/oder Leitlinien zur Regulierung des Sektors. “Er ist ein wichtiger, aber nach wie vor oft ignorierter Teil der kritischen Infrastruktur eines Landes”, analysieren die Autoren. Neben der physischen Sicherheit der Kabel werden Kritische Infrastrukturen zunehmend zum Instrument der Einflussnahme ausländischer Akteure. China ist einer der Hauptfinanziers afrikanischer Unterseekabel und könnte künftig durch Zwang Einfluss nehmen.
Dabei hat der Osten Afrikas eigentlich Erfahrung mit dem Schutz maritimer Kritischer Infrastruktur – und Angriffen darauf. Vor den Küsten des Kontinents werden bedeutende Mengen an Öl und Gas für den Weltmarkt gefördert. Laut dem Organised Crime Index 2023 steigt in Ostafrika die Kriminalität stark an. Vor allem Kenia gilt als “bedeutendes Zentrum für organisierte Kriminalität”, da es als Transitland wichtige Handelskorridore am Horn von Afrika und im südlichen Afrika mit der Arabischen Halbinsel und Südasien verbindet.
Als Reaktion darauf wurden private Sicherheitsunternehmen engagiert und firmeninterne Sicherheitsregelungen etabliert. Marinen, Küstenwachen und nationale Polizeibehörden arbeiten zum Schutz der Energieinfrastruktur verstärkt zusammen. Der Schwerpunkt liege jedoch nach wie vor auf dem, was sich über der Oberfläche befindet, heißt es in der Studie der FNS.
Wie auch im Energiesektor müssten die Unternehmen im Unterseekabel-Bereich ihren Fokus auf öffentlich-private Partnerschaften legen, um die Infrastruktur rasch auszubauen, Wettbewerb im Telekommunikationssektor zu schaffen und letztlich die Datenkosten zu senken und gleichzeitig die Datengeschwindigkeit zu erhöhen, folgern die Autoren.
Vor allem müsse Afrika aber bei globalen Debatten über den Schutz von Unterseekabeln einbezogen werden, da die Datenkabel im Westindischen Ozean die Konnektivität zwischen Europa, Afrika und Asien sicherstellen. Unternehmen als private Eigentümer der Infrastruktur müssen afrikanische Regierungen in Schutzpartnerschaften einbeziehen und eine praktische Aufgabenteilung in Bezug auf Finanzen, Informationsaustausch, Kapazitätsaufbau und Arbeitsteilung aushandeln.
Ein zentraler Punkt bleibe aber die Stabilität in den Küstennationen, um Wachstum für Binnenstaaten zu gewährleisten. Daher müsse die allgemeine Sicherheit um diese Netze herum aufrechterhalten werden, sei es durch Beiträge einzelner Staaten, durch Partnerschaften zwischen Staaten oder durch öffentlich-private Partnerschaften, schreiben die Autoren.
Was nach einem Rückzug aussieht, könnte zu neuen zwischenstaatlichen Eskalationen führen: Die verheerenden ukrainischen Angriffe auf russische Schiffe und U-Boote in den Häfen der annektierten Halbinsel Krim zwingen Russland zur Verlegung eines Teils seiner Schwarzmeerflotte. Dafür soll in Abchasien der alte sowjetische Hafen in Otschamtschire ausgebaut werden.
Nach dem georgisch-russischen Krieg 2008 nutzte Russland den Hafen als Stützpunkt für seine Küstenwache. Im vergangenen November wurde ein Abkommen zwischen Russland und der abtrünnigen, völkerrechtlich aber zu Georgien gehörenden Region zur Errichtung einer dauerhaften russischen Marinebasis in Otschamtschire geschlossen.
Mit jedem ukrainischen Angriff auf russische Marine- und Militärpunkte auf der Krim in Donuslaw, Sewastopol und Feodosia wächst für Russland der Druck, seine Flotte zu retten. 23 Schiffe und ein U-Boot hat die russische Armee bereits seit Februar 2022 verloren, vermeldet Kiew. Einige Schiffe wurden bereits nach Noworossijsk verlegt, aber auch dorthin reicht der Arm der ukrainischen Armee.
Mit einer Marinebasis in Abchasien bekäme Russland einen gewichtigen geostrategischen Vorteil: Gerade einmal 35 Kilometer weiter südlich will Georgien an der Küste einen großen Umschlaghafen errichten: Anaklia. Hier sollen eines Tages viele Container mit Waren aus China und anderen asiatischen Staaten umgeschlagen und über das Schwarze Meer unter anderem nach Europa verschifft werden.
Tiflis verurteile Moskaus Pläne, erläutert Marcel Röthig, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Georgien. “Russlands Vorgehen wird allgemein als eine unnötige, einseitige Eskalation Russlands verstanden.” Doch mehr als mahnende Worte gibt es aus Georgien im Moment nicht zu hören. Zu sehr hätte man Angst davor, eine Eskalationsspirale mit Russland anzuheizen und womöglich selbst in den Krieg zwischen Russland und der Ukraine hineingezogen zu werden. “Selbst ein ukrainischer Schlag auf russische Kriegsschiffe in Otschamtschire dürfte zwar von Tiflis kritisiert, aber letztlich zähneknirschend hingenommen werden”, erläutert Röthig.
Der georgische Tiefseehafen Anaklia soll zum Drehkreuz einer Transportroute für Waren aus Fernost werden, die nicht mehr durch Russland führt. In Moskaus Interesse wäre das nicht. Mit einer Marinebasis in Abchasien könnte Russland Druck auf Georgien ausüben und darüber hinaus auch auf zentralasiatische Staaten wie Kasachstan, durch die die Warenströme verlaufen würden.
Wie schnell Russland den Rückzug der Flotte von der Krim umsetzt, wird davon abhängen, wie intensiv sich die Ukraine auf militärische Ziele auf der Krim konzentriert. Offiziell will Abchasien den neuen Standort der russischen Marine so bald wie möglich haben, doch nicht alle Menschen in dem Landstreifen sind darüber erfreut.
“Die Idee einer ,Integration’ Abchasiens in das Staatsgebilde der Russischen Föderation, etwa nach dem Vorbild der von Russland besetzten Gebiete der Ukraine, wird von vielen Menschen in Abchasien abgelehnt”, betont Röthig. “Dass Russland nun abchasischen Boden als Ausweichhafen für die in Schwierigkeiten geratene Schwarzmeerflotte nutzen will, bewerten viele Stimmen in Abchasien als Gefahr einer schleichenden Annexion.”
In nur wenigen Tagen haben ukrainische Kräfte mehrere russische Ölraffinerien und Gasverarbeitungsanlagen getroffen. Der jüngste Angriff: Das große Gasterminal in der Ostsee in Ust-Luga, wo auch die Pipeline Nord Stream 2 beginnt. Laut russischen Angaben sei am Sonntagabend ein Feuer auf dem Gelände von Novatek durch “externen Einwirkungen” ausgebrochen. Die Löscharbeiten dauerten mehr als 24 Stunden, berichtete die Tageszeitung Kommersant.
Das Feuer war die Folge von – höchst wahrscheinlich ukrainischen – Drohnenangriffen. Die Beteiligung von Drohnen räumte der Kreml am Montagnachmittag ein. Bereits vergangene Woche brach nahe St. Petersburg auf einer Ölraffinerie ein kleines Feuer nach dem Abschuss von Drohnen aus. Experten schätzen, dass die Angriffe insbesondere auf Ust-Luga den Export russischer Energieträger behindern werden.
Die genannten Vorfälle sind nur zwei von mehreren Attacken auf Kritische Infrastruktur in Russland in den vergangenen Tagen. Bemerkenswert an ihnen ist die Entfernung von mehr als 800 Kilometern zur ukrainischen Grenze – und wenige Kilometer zu estnischen. Weitere Angriffe galten in der Region Tula südlich von Moskau dem Rüstungskonzern Scheglowskij Wal, in dem das Luftverteidigungssystem Pantsir-S hergestellt wird. Dort sollen die Drohnen über dem Werksgelände abgeschossen worden sein. vf
Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) warnt vor einer möglichen Einschränkung der Hilfe im Ausland. Hintergrund sind gestörte Lieferketten für Hilfsgüter wie Zelte, fehlendes Fachpersonal und logistische Probleme im Zusammenhang mit dem russisch-ukrainischen Krieg.
“Wir werden künftig noch stärker priorisieren müssen, um die dringlichsten humanitären Bedarfe decken zu können”, sagt Christof Johnen, Leiter des Bereichs Internationale Zusammenarbeit beim DRK, im Gespräch mit Table.Media (lesen Sie hier das ganze Interview).
Vor besondere Herausforderungen sieht sich das DRK wegen einer Vielzahl und der zunehmenden Komplexität von Krisen gestellt. Dabei überlappten sich humanitäre und militärische Konflikte zunehmend. Johnen betont zudem, dass der Personalmangel, etwa in der Gesundheitsbranche, sich direkt auf die Arbeit der Hilfsorganisation auswirke. “Vor Jahren war es noch wesentlich einfacher, zum Beispiel Leute aus Krankenhäusern für sechs oder acht Wochen rauszubekommen. Heute sagen viele Arbeitgeber, das geht nicht, dann bricht uns alles zusammen.”
Eine Folge des militärischen Konfliktes zwischen Russland und der Ukraine sind neue Logistikprobleme: “Früher standen uns für die Flüge mehr Fluggesellschaften zur Verfügung, ein erheblicher Teil der Hilfsflüge lief über belarussische und russische Airlines. Die fallen weg, und wir haben immer mehr Schwierigkeiten, kurzfristige Frachtflüge zu organisieren.”
Im Bundeshaushalt sind für Humanitäre Hilfsmaßnahmen im Ausland 2,23 Milliarden Euro eingeplant, das sind 470 Millionen weniger als im Vorjahr. Johnen warnt im Interview deshalb vor einer “Verschiebung hin zu sehr sichtbaren Krisen, zu vielleicht politisch, außenpolitisch, sicherheitspolitisch besonders relevanten Krisen” und weg von einer Allokation der Mittel nach rein humanitären Prinzipen. klm
Um die eklatanten Lücken beim Personal der Bundeswehr zu füllen, lässt Verteidigungsminister Boris Pistorius mehrere Wehrpflichtmodelle sowie die Frage prüfen, ob Menschen ohne deutschen Pass in die Bundeswehr eintreten können.
Eine Öffnung der Streitkräfte für EU-Bürger böte großes Potenzial für die militärische Nachwuchsgewinnung, sagt Konstantin Krome, Referent für Bundeswehr und Gesellschaft bei der Konrad-Adenauer-Stiftung. “Alleine wenn ein Bruchteil der 463.000 in Deutschland lebenden EU-Bürger zwischen 18 und 25 Jahren tauglich und interessiert wäre, würde das einen erheblichen Unterschied machen.”
Es brauche eine sachorientierte, strukturierte und ergebnisoffene Debatte, die sich nicht leiten ließe von Vorbehalten, sagt Krome zu Table.Media. Ziele, Umsetzung und Folgen einer Öffnung der Streitkräfte müssten nacheinander diskutiert werden. “Man darf nicht mit den Bedenken anfangen”, sagt Krome. Wichtig sei, die Debatte nicht über die Köpfe der Soldatinnen und Soldaten hinweg zu führen. “Die Innere Führung ist die DNA der Bundeswehr, was hieße eine solche Veränderung für das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform?” Begriffe wie “Fremdenlegion” oder “Söldnertum” dürften in der Debatte gar nicht vorkommen, so Krome, Ausländer in deutschen Uniformen, die als reguläre Angehörige der Bundeswehr dienen, wären völkerrechtlich
gesehen Kombattanten.
Ausländische Staatsbürger in die Bundeswehr zu integrieren, könnte der Bundeswehr im höher- wie niedriger qualifizierten Bereich helfen. 2022 waren in der Bundeswehr 15,8 Prozent der Offizier- und Unteroffizier-Dienstposten vakant, im Organisationsbereich Cyber- und Informationsraum (CIR) war es sogar jeder vierte Cyber-Dienstposten. Der Krieg in der Ukraine zeigt aber auch, dass eine “Rückkehr zum Faktor Masse” notwendig ist, schreibt Krome in einem kürzlich veröffentlichten Papier.
Die Öffnung der Streitkräfte für Ausländer ist keine neue Debatte. 2011 forderte der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, dass “bestehende Regelungen […] so zu erweitern [sind], dass Inländer bei entsprechender Eignung, Befähigung und Leistung auch ohne deutsche Staatsbürgerschaft regelmäßig in die Streitkräfte eingestellt werden können”.
In der Amtszeit von Ursula von der Leyen nannte der damalige Generalinspekteur Eberhard Zorn die Rekrutierung von Ausländern “eine Option”. Im April vergangenen Jahres forderte Alexander Müller, verteidigungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, ein “Pilotprojekt für den Dienst von ausländischen Staatsbürgern in der Bundeswehr mit der Aussicht auf Erlangen der deutschen Staatsbürgerschaft nach fünfjährigem Dienst”. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und der CDU/CSU-Fraktionsvize für verteidigungspolitische Fragen, Johann Wadephul, stehen dem Vorschlag offen gegenüber, wie sie der Rheinischen Post vom Montag mitteilten. Allerdings seien viele Fragen noch offen. klm
Der französische Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz haben sich am Montag in Berlin getroffen, um das Sondertreffen des Europäischen Rats am 1. Februar vorzubereiten und über die Unterstützung der Ukraine zu sprechen. Macron hatte zuvor auf Deutsch die Trauerrede auf den verstorbenen früheren Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble beim Staatsakt gehalten, der auf den Jahrestag der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages fiel.
Bei dem Treffen dürfte es auch um die Erhöhung der Produktionskapazitäten der Rüstungsindustrie gegangen sein. Macron hatte am Freitag in seiner Neujahrsansprache an die französischen Streitkräfte den Druck auf die französische Rüstungsindustrie erhöht. “Man darf sich nie wieder mit Produktionszeiten zufriedengeben, die sich über mehrere Jahre erstrecken”, sagte er.
Seit Macron die französische Rüstungsindustrie auf “économie de guerre”, Kriegswirtschaft also, eingestellt hat, hat Nexter die Produktionszeit der Caesar-Haubitzen von 30 auf 15 Monate reduziert. Am Donnerstag hatte Frankreich eine Artilleriekoalition ins Leben gerufen, die die Ukraine vor allem mit Caesar-Haubitzen unterstützen soll. MBDA produziert Mistral-Flugabwehrraketen in 15 statt in 24 Monaten. Macron lobte, dass Dassault Rafale-Kampfjets schneller herstellt und Thales die Fabrikationszeiten einiger Radare von 18 auf sechs Monate verkürzt hat. Andere Unternehmen nahm er in die Pflicht, sie hätten “lange gebraucht, um zu verstehen, dass sich der strategische Kontext verändert hat (…) und das bedauere ich”.
Am Donnerstag hatte der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu gesagt, dass die Zahl der Produktion von Artilleriemunition, mit der die Ukraine unterstützt wird, von 1.000 pro Monat kurz nach Kriegsbeginn auf 3.000 monatlich erhöht worden sei.
Am Tag, als Macron zu seinen Streitkräften sprach, besuchte Scholz den Kampfjet-Hersteller Airbus in Manching bei Ingolstadt. Er trat aber deutlich zurückhaltender als der französische Präsident beim Thema Rüstungsbeschaffung auf. Während in Frankreich die Politik die Industrie zu erhöhter Produktion auffordert, ist es in Deutschland umgekehrt. Dem Wunsch der Rüstungsindustrie, die fünfte Tranche zur Eurofighter-Produktion in Auftrag zu geben, kam Scholz am Freitag noch nicht nach. Scholz sagte lediglich, der Eurofighter sei “ein Flugzeug, das sehr leistungsfähig, für die Verteidigungsfähigkeit des Landes von Bedeutung und im guten Einsatz in der Bundeswehr ist”. bub
Ungeachtet der ablehnenden Äußerungen von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu haben sich die EU-Außenminister auf ihrem Treffen am Montag in Brüssel mehrheitlich für eine Zweistaatenlösung ausgesprochen. Den Teilnehmern lag ein Zwölfpunkteplan des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell vor, der Schritte auf dem Weg zu einer Zweistaatenlösung beschreibt, darunter auch eine “vorbereitende Friedenskonferenz” ohne direkte Beteiligung Israels und der Palästinenser. Als mögliche Teilnehmer werden neben der EU Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien und die Arabische Liga genannt, ebenso die Vereinten Nationen und die USA.
“All diejenigen, die davon nichts wissen wollen, haben bisher keine andere Alternative auf den Weg gebracht”, sagte Annalena Baerbock in Brüssel mit Blick auf eine Zweistaatenlösung, die einen unabhängigen Staat Palästina neben Israel vorsieht; ähnlich äußerten sich auch Ministerinnen und Minister anderer EU-Staaten. Netanjahu hatte am Wochenende auf der Plattform X geschrieben: “Ich werde keine Kompromisse eingehen, wenn es um die volle israelische Sicherheitskontrolle über das gesamte Gebiet westlich des Jordans geht – und das steht im Widerspruch zu einem palästinensischen Staat.”
Der jordanische Außenminister Aiman Safadi kritisierte, mit ihrem Nein widersetze sich die israelische Regierung der gesamten internationalen Gemeinschaft. Er war ebenso wie seine Kollegen aus Saudi-Arabien und Ägypten und der Generalsekretär der Arabischen Liga zu den Gesprächen in Brüssel eingeladen.
Zudem gab es in gesonderten Runden auch einen Austausch mit dem israelischen Außenminister Israel Katz sowie dem Außenminister der palästinensischen Autonomiebehörde, Riad Maliki. Katz ließ Journalistenfragen zur Zweistaatenlösung unbeantwortet. Israels Priorität sei es, “die Geiseln zurückzubringen”, die die Terrororganisation Hamas bei ihrem Angriff am 7. Oktober genommen habe, sagte er in Brüssel. Nach israelischen Angaben sind 132 Geiseln noch in der Gewalt der Hamas, 28 von ihnen sollen allerdings tot sein.
Lediglich am Rande ging es bei dem Treffen in Brüssel um die laufenden Vorbereitungen für den geplanten EU-Militäreinsatz zur Sicherung der Handelsschifffahrt im Roten Meer. Borrell konnte am Abend in der Abschlusspressekonferenz allerdings bestätigen, dass es mittlerweile eine politische Grundsatzeinigung auf den Start der Operation gibt. Sie soll im Idealfall im kommenden Monat starten und die Angriffe der von Iran unterstützten jemenitischen Huthi-Milizen beenden. Diese wollen mit dem Beschuss von Schiffen ein Ende der israelischen Angriffe im Gazastreifen erzwingen.
Nach den derzeitigen Planungen wird der Einsatz vorsehen, europäische Kriegsschiffe zum Schutz von Frachtschiffen in die Region zu entsenden. Eine Beteiligung an den US-Angriffen gegen Huthi-Stellungen im Jemen ist bislang nicht geplant. Deutschland will sich nach Angaben aus Regierungskreisen mit der Fregatte «Hessen» an der Militäroperation beteiligen – vorausgesetzt, dass der Bundestag nach dem Abschluss der EU-Planungen ein entsprechendes Mandat erteilt. Das Schiff ist unter anderem mit Flugabwehrraketen ausgerüstet. dpa/mrb
Tagesspiegel: Boris Pistorius über die Kriegsgefahr: “Ich will unsere Gesellschaft wachrütteln.” Ein Jahr nach Amtsantritt spricht Verteidigungsminister Pistorius darüber, was nach dem Sondervermögen Bundeswehr kommt, wie wir uns auf eine mögliche Wiederwahl Donald Trumps vorbereiten müssen und für wie wahrscheinlich er einen Angriff Russlands hält.
The New York Times: How Houthi Attacks Have Upended Global Shipping. Nach den Angriffen der jemenitischen Houthi-Rebellen meiden Hunderte Schiffe den Suezkanal und müssen dafür zusätzliche 4.000 Seemeilen um Afrika zurücklegen. Transportpreise, Versicherungen und Lieferzeiten steigen und beeinträchtigen Produktion und Handel weltweit. Die NYT schlüsselt in Karten und Grafiken die genauen Umwege und Preisschwankungen auf.
Table.Today: Droht ein dritter Weltkrieg, Frau Gaub? Florence Gaub, Militärstrategin und Zukunftsforscherin, spricht im Podcast über die Vorbereitungen der Bundeswehr auf potenzielle Konfliktszenarien. Strategische Planungen und Denkspiele sind aus ihrer Sicht eine Voraussetzung dafür, dass Konflikte, Krisen und Kriege abgewendet werden können.
Frankfurter Allgemeine Zeitung: Zwischen Freiwilligkeit und Zwang. Boris Pistorius bezeichnet die Aussetzung der Wehrpflicht rückblickend zwar als “Fehler”, doch zur alten Regelung will das Verteidigungsministerium nicht zurück. Die F.A.Z. liefert einen Überblick über verschiedene ausländische Modelle, die infrage kämen.
ZEIT: Wo in diesem Jahr gewählt wird – ein Überblick. 2024 ist ein Jahr vieler Wahlen – und somit potenziell ein Jahr des Umbruchs. Diese Übersicht zeigt auf, wo dieses Jahr Veränderung anstehen könnte und was das für die globale Gemeinschaft bedeutet.
Der Klimawandel und dessen Folgen stellen eine erhebliche Bedrohung für die Menschheit dar. Angesichts der Größe dieser Herausforderung müssen alle Ressorts der Bundesregierung ihren Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise und für mehr Nachhaltigkeit leisten. Der Bundeswehr kommt als großer Emittent dabei eine besondere Verantwortung zu. Ich habe es deshalb sehr begrüßt, dass das Bundesministerium der Verteidigung Ende November vergangenen Jahres mit der Nachhaltigkeits- und Klimaschutzstrategie hier nun ihren Beitrag leistet.
Für mich als Bundestagsabgeordneter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die ihre Wurzeln auch in der Anti-Atom- und Umweltbewegung hat, und als Mitglied des Verteidigungsausschusses steht fest, dass es keinen Widerspruch zwischen der Erhöhung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und der Umsetzung von Klimaschutz- und Nachhaltigkeitszielen gibt. Im Gegenteil: Wir müssen Landes- und Bündnisverteidigung, also den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger, und Klimaschutz, also den Schutz der Zukunft unserer Bürgerinnen und Bürger auf diesem Planeten, zusammen denken. Ohne Frieden keine Nachhaltigkeit, ohne Nachhaltigkeit kein Frieden!
Im Verteidigungsausschuss hat die Unterstützung der Ukraine und Israels aktuell oberste Priorität. Als Berichterstatter für Heer, Streitkräftebasis und territoriales Führungskommando sowie die Themen Klimaschutz, Infrastruktur und Ausbildung überprüfe ich, dass das Sondervermögen effizient in die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr investiert wird – bei gleichzeitigem Umsetzen der Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsziele.
Klar ist: Beiträge zum Klimaschutz sind auch im Eigeninteresse der Bundeswehr. Energieeffizienz in den Liegenschaften spart Kosten, eine dezentrale Versorgung erhöht die Resilienz und nicht-fossile Antriebsalternativen machen die Bundeswehr zukunftstauglich. Daran arbeiten unsere Partnerländer wie die Niederlande, das Vereinigte Königreich oder die Vereinigten Staaten sowie Organisationen wie die Europäische Union und die NATO bereits. Das BMVg hat mit dieser Strategie gezeigt, dass es bereit ist, die Herausforderungen anzunehmen.
Auch im Bereich der Infrastruktur steht das Bundesverteidigungsministerium vor Herausforderungen: 1500 Liegenschaften und mehr als 33.000 Gebäude müssen energetisch saniert werden. Das betrifft nicht nur den Geschäftsbereich des BMVg, sondern auch die Bundesländer und die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Mit nachhaltigen, klimaschonenden Baustoffen, Effizienzsteigerung und der Nutzung von erneuerbaren Energien können sogar Null- oder Plusenergiehausstandards erreicht werden. Insbesondere in diesem Bereich besteht ein erhebliches Einsparpotenzial für Treibhausgasemissionen. Auch der Ausbau der Lade-Infrastruktur für Elektroautos muss zügig vorangetrieben werden. Ich schlage vor, den Soldatinnen und Soldaten kostenloses Laden am Arbeitsplatz zu ermöglichen.
Auch in der Beschaffung können richtige Entscheidungen den CO₂-Fußabdruck signifikant reduzieren. Bei der Beschaffung von Ausrüstung und Material von Streitkräften werden der Schutz der Soldatinnen und Soldaten und die Leistung beziehungsweise die Wirkung priorisiert, und das ist auch absolut notwendig. Wenn es um Beschaffungen geht, die keinen direkten militärischen Bezug haben, sollten die Faktoren CO₂-Ausstoß oder Umweltbelastung jedoch stärker priorisiert werden. Bei der Beschaffung von handelsüblichen Fahrzeugen mit militärischer Sonderausstattung sowie der gesamten querschnittlichen Fahrzeugflotte der Bundeswehr sollte die Bundeswehr konsequent auf Antriebstechnologien setzen, die den CO₂-Ausstoß minimieren.
Mit Blick in die Zukunft arbeiten wir in der Ampelkoalition darauf hin, dass die Bundeswehr ihre Einsatzbereitschaft in allen Einsatzszenarien auch unter den Auswirkungen des Klimawandels sicherstellen kann.
Niklas Wagener ist Mitglied der Grünen und seit 2021 im Deutschen Bundestag. Er gehört dem Verteidigungsausschuss an und studiert Forstwirtschaft.
das Deutsche Rote Kreuz schlägt Alarm: Angesichts immer neuer und komplexerer Krisen stoßen Hilfsorganisationen weltweit zunehmend an ihre Grenzen, so Christof Johnen, Leiter des Bereichs internationale Zusammenarbeit beim DRK. Gestörte Lieferketten, ein Mangel an Fachpersonal, und die bevorstehende Kürzung im Bundeshaushalt zwinge das DRK dazu, noch stärker zu priorisieren, wie geholfen werden kann. Im Interview mit Lisa-Martina Klein warnt Johnen davor, dass humanitäre Hilfe zunehmend zum politischen Instrument wird.
Die Warnungen vor einem regionalen Flächenbrand setzten ein, unmittelbar nachdem die Hamas im vergangenen Oktober den Süden Israels angriff. Dass durch den Gazakrieg auch das Verhältnis zwischen Iran und Pakistan aus dem Gleichgewicht geraten könnte, hatte damals allerdings kaum ein Sicherheitsexperte auf dem Schirm. Shams Ul Haq analysiert, wie die Führungen in Islamabad und Teheran eine Woche nach dem gegenseitigen Raketenbeschuss wieder zu deeskalieren versuchen.
Zu einer neuen Eskalation hingegen könnte die Verlegung von Teilen der russischen Schwarzmeerflotte nach Abchasien führen, schreibt Viktor Funk. Denn was auf den ersten Blick wie ein Rückzug vor ukrainischen Angriffen aussieht, birgt neues Konfliktpotenzial mit Georgien.
Tief unter dem Meeresspiegel verlaufen Dutzende Datenkabel, die Afrika mit dem Rest der Welt verbinden. Beim Schutz dieser Kabel vor Sabotage, Unfällen und bewaffneten Konflikten, besteht aber noch Nachholbedarf, hat die Friedrich-Naumann-Stiftung in einer Studie herausgefunden. Sie liegt Table.Media exklusiv vor.
Die regionalen Auswirkungen des gegenseitigen Beschusses zwischen Iran und Pakistan vergangene Woche sind noch nicht absehbar. Am Dienstag hatte Iran pakistanisches Territorium beim Dorf Koh-i-Sabaz angegriffen, einen Tag später reagierte die Atommacht Pakistan mit einem Gegenangriff. Die iranische Attacke galt Stützpunkten der 2012 gegründeten sunnitischen Terrorgruppe Jaish al-Adl, die von pakistanischem Territorium aus agiert.
Der Gruppe werden Verbindungen zum Islamischen Staat nachgesagt. Viele ihrer Mitglieder gehörten davor der mittlerweile aufgelösten Terrorgruppe Jundallah an, die dem Islamischen Staat Treue geschworen hatte. Sie war verantwortlich für eine Straßenbombe in der iranischen Stadt Saravan, mit der im Oktober 2013 13 Revolutionsgardisten getötet wurden. Bereits 2014 hatte Iran mit einer militärischen Operation in Pakistan gedroht, nachdem Jaish al-Adl vier iranische Soldaten entführt hatte. Diese wurden jedoch nach zwei Monaten freigelassen.
Die Geheimdienste Pakistans und Irans behaupten, dass die islamistischen Terroristen der Jaish al-Adl von den USA, Israel und Indien finanziert werden, um Unruhe in der Region zu schüren. Auch der afghanische Zweig des Islamischen Staates, der die Verantwortung für den Bombenanschlag in der iranischen Stadt Kerman Anfang des Jahres übernommen hat, agiert mittlerweile in hohem Maße von Belutschistan aus.
Diese ist in die wirtschaftlich unterentwickelte, mehrheitlich sunnitisch besiedelte pakistanische Provinz Belutschistan und die iranischen Provinzen Sistan und Belutschistan geteilt. Seit Jahren kämpfen belutschische Separatisten der Balochistan Liberation Front (BLF) für einen vereinigten Nationalstaat.
Ursprünglich tendierten die belutschischen Separatisten beiderseits der Grenze in den 1970er-Jahren zu kommunistischen Ideen. Seit den 1990er-Jahren geht die ideologische Tendenz allerdings stark in Richtung Islamismus. Damals entstand die militante Gruppe Sipah-e-Rasool Allah (Armee des Propheten Allahs) unter dem iranischen Belutschen Maula Bux Darakhshan, die als erste grenzüberschreitende Einfälle von Pakistan auf iranisches Territorium vornahm.
Ein Motiv der sunnitischen Terroristen ist es, dem schiitischen Iran die Rolle des wichtigsten Gegners Israels streitig zu machen. Bislang leistet die schiitische “Achse des Widerstands” mit der Hisbollah im Libanon und den Huthis im Jemen die Hauptarbeit bei der militärischen Unterstützung der palästinensischen Hamas. Dahingegen halten sich die mehrheitlich sunnitischen arabischen Staaten zurück.
Der pakistanische Gegenschlag war der erste Luftangriff auf iranischem Boden seit dem Iran-Irak-Krieg 1980-88. Auch er wurde mit dem Kampf gegen Extremismus begründet. In ihren Erklärungen bemühten sich aber beide an Eskalation wenig interessierten Regierungen, jede Verbindung zum Gaza-Krieg zu bestreiten.
Der iranische Außenminister Hossein Amir-Abdollahian erklärte, dass sich die Angriffe gegen eine “iranische Terroristengruppe” richteten, die von pakistanischem Boden aus agiere: “In Bezug auf Pakistan wurde keiner der Staatsangehörigen des befreundeten und brüderlichen Landes Pakistan von iranischen Raketen und Drohnen angegriffen.” Iran respektiere selbstverständlich die Souveränität und territoriale Integrität Pakistans. Zugleich betonte er in einem Telefongespräch mit seinem pakistanischen Amtskollegen Jalil Abbas Jilani, dass das Hauptziel die islamische Einheit angesichts der israelischen Intervention in Gaza sein müsse. Auch Jilani betonte die Notwendigkeit, die guten diplomatischen Beziehungen mit dem Nachbarland aufrechtzuerhalten. In Sicherheitsfragen müssten beide Länder verstärkt zusammenarbeiten.
Irans Vorgehen könnte aber auch Vorbote eines verstärkten direkten militärischen Engagements außerhalb seiner Grenzen sein. Ein Krieg zwischen Iran und Pakistan müsse iranischer Analysten zufolge aus den Bombenangriffen zwar nicht zwangsläufig folgen. Möglicherweise könnten die USA Pakistan aber dazu nutzen, den Iran in militärische Konflikte zu verwickeln, schließlich gehört Washington zu den wichtigsten Geldgebern des Landes im “Kampf gegen den Terror”. “Wie Sie sehen können, ist der Iran in der Region nicht sonderlich beliebt”, äußerte US-Präsident Joe Biden vergangene Woche. Und der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, ergänzte, man stehe in Kontakt mit Pakistan und unterstütze dessen Recht auf Selbstverteidigung.
Künftig werden 72 Untersee-Datenkabel Afrika mit dem Rest der Welt verbinden. Enorme Investitionen, unter anderem von Privatunternehmen wie Google mit dem Equiano-Kabel von Portugal bis Südafrika oder Meta mit dem Riesenprojekt 2Africa (46 Anlandepunkte in 33 Ländern), sollen den Kontinent fit für die Anforderungen des digitalen Zeitalters machen.
Noch schneidet Afrika in Sachen Datengeschwindigkeit im weltweiten Vergleich schlecht ab, doch die Bandbreite, die den Kontinent erreicht, hat sich zwischen 2019 und 2023 mehr als vervierfacht, Tendenz steigend. Ländliche Regionen sowie die Wirtschaft Afrikas, die unter anderem in datenintensive Branchen wie Künstliche Intelligenz investieren will, brauchen diese Bandbreite.
Nicht zuletzt geht es auch darum, den Anschluss an aktuelle und potenzielle Partner in Europa, den arabischen Ländern und Asien nicht zu verlieren. Alleine in der französischen Hafenstadt Marseille landen 14 Kabel an, die meisten davon mit direkter Verbindung nach Nordafrika. Ähnlich sieht es in Portugal, Spanien, Indien und Brasilien aus.
Den ostafrikanischen Küstenstaaten, von Südafrika über Mosambik, Tansania, Kenia bis Somalia, Dschibuti und Eritrea, kommt im Bereich der Unterseekabel eine besondere Rolle zu: Bis 2026 werden 26 dieser leistungsstarken Datenüberträger durch den Westindischen Ozean laufen und in Ostafrika anlanden.
Allerdings: Über den Schutz dieser Kabel und Anlandepunkte, etwa vor Unfällen, Sabotage, Einflussnahme durch ausländische Investoren und vor allem bewaffneter Konflikte, würden sich die Regierungen noch zu wenig Gedanken machen. Dies schreiben Francois Vreÿ von der Stellenbosch Universität sowie Mark Blaine und Andre De Wet, Offiziere a.D. der South African Navy, in einer Studie der Friedrich-Naumann-Stiftung (FNS), die Table.Media vorab vorliegt.
Zwar sei die Gefahr menschlicher Angriffe auf Unterseekabel im Westindischen Ozean im niedrigen, die Gefahr von Unfällen im mittleren Risikobereich. Hoch dagegen sei die Bedrohung der Anlandepunkte und Kabel an Land, die die Küsten- mit den Binnenländern verbinden. Der IS-Terror im Norden Mosambiks, der von Al Shabaab beeinflusste Aufstand in Somalia und die von den Huthi angeführte und vom Iran unterstützte Rebellion im Jemen sorgten für Instabilität an Land. Außerdem beeinträchtigten sie die Sicherheit in der Straße von Mosambik, im Golf von Aden und im Roten Meer, schreiben die Autoren.
Auf der anderen Seite stünde eine schwache gesetzliche Regulierung des maritimen Raums, so die Autoren. In Mosambik stehe vor allem die Piraterie und ihre Auswirkungen an Land im Fokus, einen ganzheitlichen Plan für das Küstenmanagement scheint es nicht zu geben. In Tansania würden Unterseekabel in Regelwerken höchstens implizit angesprochen, in Somalia nicht einmal das. In Kenia gebe es zwar Dokumente zum Schutz von Unterwasserinfrastruktur, doch die genauen Zuständigkeiten und die Finanzierung fehlten.
Während in den meisten Fällen regionale Strategien und Leitlinien vorhanden seien, fehle es an nationalen Strategien und/oder Leitlinien zur Regulierung des Sektors. “Er ist ein wichtiger, aber nach wie vor oft ignorierter Teil der kritischen Infrastruktur eines Landes”, analysieren die Autoren. Neben der physischen Sicherheit der Kabel werden Kritische Infrastrukturen zunehmend zum Instrument der Einflussnahme ausländischer Akteure. China ist einer der Hauptfinanziers afrikanischer Unterseekabel und könnte künftig durch Zwang Einfluss nehmen.
Dabei hat der Osten Afrikas eigentlich Erfahrung mit dem Schutz maritimer Kritischer Infrastruktur – und Angriffen darauf. Vor den Küsten des Kontinents werden bedeutende Mengen an Öl und Gas für den Weltmarkt gefördert. Laut dem Organised Crime Index 2023 steigt in Ostafrika die Kriminalität stark an. Vor allem Kenia gilt als “bedeutendes Zentrum für organisierte Kriminalität”, da es als Transitland wichtige Handelskorridore am Horn von Afrika und im südlichen Afrika mit der Arabischen Halbinsel und Südasien verbindet.
Als Reaktion darauf wurden private Sicherheitsunternehmen engagiert und firmeninterne Sicherheitsregelungen etabliert. Marinen, Küstenwachen und nationale Polizeibehörden arbeiten zum Schutz der Energieinfrastruktur verstärkt zusammen. Der Schwerpunkt liege jedoch nach wie vor auf dem, was sich über der Oberfläche befindet, heißt es in der Studie der FNS.
Wie auch im Energiesektor müssten die Unternehmen im Unterseekabel-Bereich ihren Fokus auf öffentlich-private Partnerschaften legen, um die Infrastruktur rasch auszubauen, Wettbewerb im Telekommunikationssektor zu schaffen und letztlich die Datenkosten zu senken und gleichzeitig die Datengeschwindigkeit zu erhöhen, folgern die Autoren.
Vor allem müsse Afrika aber bei globalen Debatten über den Schutz von Unterseekabeln einbezogen werden, da die Datenkabel im Westindischen Ozean die Konnektivität zwischen Europa, Afrika und Asien sicherstellen. Unternehmen als private Eigentümer der Infrastruktur müssen afrikanische Regierungen in Schutzpartnerschaften einbeziehen und eine praktische Aufgabenteilung in Bezug auf Finanzen, Informationsaustausch, Kapazitätsaufbau und Arbeitsteilung aushandeln.
Ein zentraler Punkt bleibe aber die Stabilität in den Küstennationen, um Wachstum für Binnenstaaten zu gewährleisten. Daher müsse die allgemeine Sicherheit um diese Netze herum aufrechterhalten werden, sei es durch Beiträge einzelner Staaten, durch Partnerschaften zwischen Staaten oder durch öffentlich-private Partnerschaften, schreiben die Autoren.
Was nach einem Rückzug aussieht, könnte zu neuen zwischenstaatlichen Eskalationen führen: Die verheerenden ukrainischen Angriffe auf russische Schiffe und U-Boote in den Häfen der annektierten Halbinsel Krim zwingen Russland zur Verlegung eines Teils seiner Schwarzmeerflotte. Dafür soll in Abchasien der alte sowjetische Hafen in Otschamtschire ausgebaut werden.
Nach dem georgisch-russischen Krieg 2008 nutzte Russland den Hafen als Stützpunkt für seine Küstenwache. Im vergangenen November wurde ein Abkommen zwischen Russland und der abtrünnigen, völkerrechtlich aber zu Georgien gehörenden Region zur Errichtung einer dauerhaften russischen Marinebasis in Otschamtschire geschlossen.
Mit jedem ukrainischen Angriff auf russische Marine- und Militärpunkte auf der Krim in Donuslaw, Sewastopol und Feodosia wächst für Russland der Druck, seine Flotte zu retten. 23 Schiffe und ein U-Boot hat die russische Armee bereits seit Februar 2022 verloren, vermeldet Kiew. Einige Schiffe wurden bereits nach Noworossijsk verlegt, aber auch dorthin reicht der Arm der ukrainischen Armee.
Mit einer Marinebasis in Abchasien bekäme Russland einen gewichtigen geostrategischen Vorteil: Gerade einmal 35 Kilometer weiter südlich will Georgien an der Küste einen großen Umschlaghafen errichten: Anaklia. Hier sollen eines Tages viele Container mit Waren aus China und anderen asiatischen Staaten umgeschlagen und über das Schwarze Meer unter anderem nach Europa verschifft werden.
Tiflis verurteile Moskaus Pläne, erläutert Marcel Röthig, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Georgien. “Russlands Vorgehen wird allgemein als eine unnötige, einseitige Eskalation Russlands verstanden.” Doch mehr als mahnende Worte gibt es aus Georgien im Moment nicht zu hören. Zu sehr hätte man Angst davor, eine Eskalationsspirale mit Russland anzuheizen und womöglich selbst in den Krieg zwischen Russland und der Ukraine hineingezogen zu werden. “Selbst ein ukrainischer Schlag auf russische Kriegsschiffe in Otschamtschire dürfte zwar von Tiflis kritisiert, aber letztlich zähneknirschend hingenommen werden”, erläutert Röthig.
Der georgische Tiefseehafen Anaklia soll zum Drehkreuz einer Transportroute für Waren aus Fernost werden, die nicht mehr durch Russland führt. In Moskaus Interesse wäre das nicht. Mit einer Marinebasis in Abchasien könnte Russland Druck auf Georgien ausüben und darüber hinaus auch auf zentralasiatische Staaten wie Kasachstan, durch die die Warenströme verlaufen würden.
Wie schnell Russland den Rückzug der Flotte von der Krim umsetzt, wird davon abhängen, wie intensiv sich die Ukraine auf militärische Ziele auf der Krim konzentriert. Offiziell will Abchasien den neuen Standort der russischen Marine so bald wie möglich haben, doch nicht alle Menschen in dem Landstreifen sind darüber erfreut.
“Die Idee einer ,Integration’ Abchasiens in das Staatsgebilde der Russischen Föderation, etwa nach dem Vorbild der von Russland besetzten Gebiete der Ukraine, wird von vielen Menschen in Abchasien abgelehnt”, betont Röthig. “Dass Russland nun abchasischen Boden als Ausweichhafen für die in Schwierigkeiten geratene Schwarzmeerflotte nutzen will, bewerten viele Stimmen in Abchasien als Gefahr einer schleichenden Annexion.”
In nur wenigen Tagen haben ukrainische Kräfte mehrere russische Ölraffinerien und Gasverarbeitungsanlagen getroffen. Der jüngste Angriff: Das große Gasterminal in der Ostsee in Ust-Luga, wo auch die Pipeline Nord Stream 2 beginnt. Laut russischen Angaben sei am Sonntagabend ein Feuer auf dem Gelände von Novatek durch “externen Einwirkungen” ausgebrochen. Die Löscharbeiten dauerten mehr als 24 Stunden, berichtete die Tageszeitung Kommersant.
Das Feuer war die Folge von – höchst wahrscheinlich ukrainischen – Drohnenangriffen. Die Beteiligung von Drohnen räumte der Kreml am Montagnachmittag ein. Bereits vergangene Woche brach nahe St. Petersburg auf einer Ölraffinerie ein kleines Feuer nach dem Abschuss von Drohnen aus. Experten schätzen, dass die Angriffe insbesondere auf Ust-Luga den Export russischer Energieträger behindern werden.
Die genannten Vorfälle sind nur zwei von mehreren Attacken auf Kritische Infrastruktur in Russland in den vergangenen Tagen. Bemerkenswert an ihnen ist die Entfernung von mehr als 800 Kilometern zur ukrainischen Grenze – und wenige Kilometer zu estnischen. Weitere Angriffe galten in der Region Tula südlich von Moskau dem Rüstungskonzern Scheglowskij Wal, in dem das Luftverteidigungssystem Pantsir-S hergestellt wird. Dort sollen die Drohnen über dem Werksgelände abgeschossen worden sein. vf
Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) warnt vor einer möglichen Einschränkung der Hilfe im Ausland. Hintergrund sind gestörte Lieferketten für Hilfsgüter wie Zelte, fehlendes Fachpersonal und logistische Probleme im Zusammenhang mit dem russisch-ukrainischen Krieg.
“Wir werden künftig noch stärker priorisieren müssen, um die dringlichsten humanitären Bedarfe decken zu können”, sagt Christof Johnen, Leiter des Bereichs Internationale Zusammenarbeit beim DRK, im Gespräch mit Table.Media (lesen Sie hier das ganze Interview).
Vor besondere Herausforderungen sieht sich das DRK wegen einer Vielzahl und der zunehmenden Komplexität von Krisen gestellt. Dabei überlappten sich humanitäre und militärische Konflikte zunehmend. Johnen betont zudem, dass der Personalmangel, etwa in der Gesundheitsbranche, sich direkt auf die Arbeit der Hilfsorganisation auswirke. “Vor Jahren war es noch wesentlich einfacher, zum Beispiel Leute aus Krankenhäusern für sechs oder acht Wochen rauszubekommen. Heute sagen viele Arbeitgeber, das geht nicht, dann bricht uns alles zusammen.”
Eine Folge des militärischen Konfliktes zwischen Russland und der Ukraine sind neue Logistikprobleme: “Früher standen uns für die Flüge mehr Fluggesellschaften zur Verfügung, ein erheblicher Teil der Hilfsflüge lief über belarussische und russische Airlines. Die fallen weg, und wir haben immer mehr Schwierigkeiten, kurzfristige Frachtflüge zu organisieren.”
Im Bundeshaushalt sind für Humanitäre Hilfsmaßnahmen im Ausland 2,23 Milliarden Euro eingeplant, das sind 470 Millionen weniger als im Vorjahr. Johnen warnt im Interview deshalb vor einer “Verschiebung hin zu sehr sichtbaren Krisen, zu vielleicht politisch, außenpolitisch, sicherheitspolitisch besonders relevanten Krisen” und weg von einer Allokation der Mittel nach rein humanitären Prinzipen. klm
Um die eklatanten Lücken beim Personal der Bundeswehr zu füllen, lässt Verteidigungsminister Boris Pistorius mehrere Wehrpflichtmodelle sowie die Frage prüfen, ob Menschen ohne deutschen Pass in die Bundeswehr eintreten können.
Eine Öffnung der Streitkräfte für EU-Bürger böte großes Potenzial für die militärische Nachwuchsgewinnung, sagt Konstantin Krome, Referent für Bundeswehr und Gesellschaft bei der Konrad-Adenauer-Stiftung. “Alleine wenn ein Bruchteil der 463.000 in Deutschland lebenden EU-Bürger zwischen 18 und 25 Jahren tauglich und interessiert wäre, würde das einen erheblichen Unterschied machen.”
Es brauche eine sachorientierte, strukturierte und ergebnisoffene Debatte, die sich nicht leiten ließe von Vorbehalten, sagt Krome zu Table.Media. Ziele, Umsetzung und Folgen einer Öffnung der Streitkräfte müssten nacheinander diskutiert werden. “Man darf nicht mit den Bedenken anfangen”, sagt Krome. Wichtig sei, die Debatte nicht über die Köpfe der Soldatinnen und Soldaten hinweg zu führen. “Die Innere Führung ist die DNA der Bundeswehr, was hieße eine solche Veränderung für das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform?” Begriffe wie “Fremdenlegion” oder “Söldnertum” dürften in der Debatte gar nicht vorkommen, so Krome, Ausländer in deutschen Uniformen, die als reguläre Angehörige der Bundeswehr dienen, wären völkerrechtlich
gesehen Kombattanten.
Ausländische Staatsbürger in die Bundeswehr zu integrieren, könnte der Bundeswehr im höher- wie niedriger qualifizierten Bereich helfen. 2022 waren in der Bundeswehr 15,8 Prozent der Offizier- und Unteroffizier-Dienstposten vakant, im Organisationsbereich Cyber- und Informationsraum (CIR) war es sogar jeder vierte Cyber-Dienstposten. Der Krieg in der Ukraine zeigt aber auch, dass eine “Rückkehr zum Faktor Masse” notwendig ist, schreibt Krome in einem kürzlich veröffentlichten Papier.
Die Öffnung der Streitkräfte für Ausländer ist keine neue Debatte. 2011 forderte der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, dass “bestehende Regelungen […] so zu erweitern [sind], dass Inländer bei entsprechender Eignung, Befähigung und Leistung auch ohne deutsche Staatsbürgerschaft regelmäßig in die Streitkräfte eingestellt werden können”.
In der Amtszeit von Ursula von der Leyen nannte der damalige Generalinspekteur Eberhard Zorn die Rekrutierung von Ausländern “eine Option”. Im April vergangenen Jahres forderte Alexander Müller, verteidigungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, ein “Pilotprojekt für den Dienst von ausländischen Staatsbürgern in der Bundeswehr mit der Aussicht auf Erlangen der deutschen Staatsbürgerschaft nach fünfjährigem Dienst”. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und der CDU/CSU-Fraktionsvize für verteidigungspolitische Fragen, Johann Wadephul, stehen dem Vorschlag offen gegenüber, wie sie der Rheinischen Post vom Montag mitteilten. Allerdings seien viele Fragen noch offen. klm
Der französische Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz haben sich am Montag in Berlin getroffen, um das Sondertreffen des Europäischen Rats am 1. Februar vorzubereiten und über die Unterstützung der Ukraine zu sprechen. Macron hatte zuvor auf Deutsch die Trauerrede auf den verstorbenen früheren Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble beim Staatsakt gehalten, der auf den Jahrestag der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages fiel.
Bei dem Treffen dürfte es auch um die Erhöhung der Produktionskapazitäten der Rüstungsindustrie gegangen sein. Macron hatte am Freitag in seiner Neujahrsansprache an die französischen Streitkräfte den Druck auf die französische Rüstungsindustrie erhöht. “Man darf sich nie wieder mit Produktionszeiten zufriedengeben, die sich über mehrere Jahre erstrecken”, sagte er.
Seit Macron die französische Rüstungsindustrie auf “économie de guerre”, Kriegswirtschaft also, eingestellt hat, hat Nexter die Produktionszeit der Caesar-Haubitzen von 30 auf 15 Monate reduziert. Am Donnerstag hatte Frankreich eine Artilleriekoalition ins Leben gerufen, die die Ukraine vor allem mit Caesar-Haubitzen unterstützen soll. MBDA produziert Mistral-Flugabwehrraketen in 15 statt in 24 Monaten. Macron lobte, dass Dassault Rafale-Kampfjets schneller herstellt und Thales die Fabrikationszeiten einiger Radare von 18 auf sechs Monate verkürzt hat. Andere Unternehmen nahm er in die Pflicht, sie hätten “lange gebraucht, um zu verstehen, dass sich der strategische Kontext verändert hat (…) und das bedauere ich”.
Am Donnerstag hatte der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu gesagt, dass die Zahl der Produktion von Artilleriemunition, mit der die Ukraine unterstützt wird, von 1.000 pro Monat kurz nach Kriegsbeginn auf 3.000 monatlich erhöht worden sei.
Am Tag, als Macron zu seinen Streitkräften sprach, besuchte Scholz den Kampfjet-Hersteller Airbus in Manching bei Ingolstadt. Er trat aber deutlich zurückhaltender als der französische Präsident beim Thema Rüstungsbeschaffung auf. Während in Frankreich die Politik die Industrie zu erhöhter Produktion auffordert, ist es in Deutschland umgekehrt. Dem Wunsch der Rüstungsindustrie, die fünfte Tranche zur Eurofighter-Produktion in Auftrag zu geben, kam Scholz am Freitag noch nicht nach. Scholz sagte lediglich, der Eurofighter sei “ein Flugzeug, das sehr leistungsfähig, für die Verteidigungsfähigkeit des Landes von Bedeutung und im guten Einsatz in der Bundeswehr ist”. bub
Ungeachtet der ablehnenden Äußerungen von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu haben sich die EU-Außenminister auf ihrem Treffen am Montag in Brüssel mehrheitlich für eine Zweistaatenlösung ausgesprochen. Den Teilnehmern lag ein Zwölfpunkteplan des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell vor, der Schritte auf dem Weg zu einer Zweistaatenlösung beschreibt, darunter auch eine “vorbereitende Friedenskonferenz” ohne direkte Beteiligung Israels und der Palästinenser. Als mögliche Teilnehmer werden neben der EU Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien und die Arabische Liga genannt, ebenso die Vereinten Nationen und die USA.
“All diejenigen, die davon nichts wissen wollen, haben bisher keine andere Alternative auf den Weg gebracht”, sagte Annalena Baerbock in Brüssel mit Blick auf eine Zweistaatenlösung, die einen unabhängigen Staat Palästina neben Israel vorsieht; ähnlich äußerten sich auch Ministerinnen und Minister anderer EU-Staaten. Netanjahu hatte am Wochenende auf der Plattform X geschrieben: “Ich werde keine Kompromisse eingehen, wenn es um die volle israelische Sicherheitskontrolle über das gesamte Gebiet westlich des Jordans geht – und das steht im Widerspruch zu einem palästinensischen Staat.”
Der jordanische Außenminister Aiman Safadi kritisierte, mit ihrem Nein widersetze sich die israelische Regierung der gesamten internationalen Gemeinschaft. Er war ebenso wie seine Kollegen aus Saudi-Arabien und Ägypten und der Generalsekretär der Arabischen Liga zu den Gesprächen in Brüssel eingeladen.
Zudem gab es in gesonderten Runden auch einen Austausch mit dem israelischen Außenminister Israel Katz sowie dem Außenminister der palästinensischen Autonomiebehörde, Riad Maliki. Katz ließ Journalistenfragen zur Zweistaatenlösung unbeantwortet. Israels Priorität sei es, “die Geiseln zurückzubringen”, die die Terrororganisation Hamas bei ihrem Angriff am 7. Oktober genommen habe, sagte er in Brüssel. Nach israelischen Angaben sind 132 Geiseln noch in der Gewalt der Hamas, 28 von ihnen sollen allerdings tot sein.
Lediglich am Rande ging es bei dem Treffen in Brüssel um die laufenden Vorbereitungen für den geplanten EU-Militäreinsatz zur Sicherung der Handelsschifffahrt im Roten Meer. Borrell konnte am Abend in der Abschlusspressekonferenz allerdings bestätigen, dass es mittlerweile eine politische Grundsatzeinigung auf den Start der Operation gibt. Sie soll im Idealfall im kommenden Monat starten und die Angriffe der von Iran unterstützten jemenitischen Huthi-Milizen beenden. Diese wollen mit dem Beschuss von Schiffen ein Ende der israelischen Angriffe im Gazastreifen erzwingen.
Nach den derzeitigen Planungen wird der Einsatz vorsehen, europäische Kriegsschiffe zum Schutz von Frachtschiffen in die Region zu entsenden. Eine Beteiligung an den US-Angriffen gegen Huthi-Stellungen im Jemen ist bislang nicht geplant. Deutschland will sich nach Angaben aus Regierungskreisen mit der Fregatte «Hessen» an der Militäroperation beteiligen – vorausgesetzt, dass der Bundestag nach dem Abschluss der EU-Planungen ein entsprechendes Mandat erteilt. Das Schiff ist unter anderem mit Flugabwehrraketen ausgerüstet. dpa/mrb
Tagesspiegel: Boris Pistorius über die Kriegsgefahr: “Ich will unsere Gesellschaft wachrütteln.” Ein Jahr nach Amtsantritt spricht Verteidigungsminister Pistorius darüber, was nach dem Sondervermögen Bundeswehr kommt, wie wir uns auf eine mögliche Wiederwahl Donald Trumps vorbereiten müssen und für wie wahrscheinlich er einen Angriff Russlands hält.
The New York Times: How Houthi Attacks Have Upended Global Shipping. Nach den Angriffen der jemenitischen Houthi-Rebellen meiden Hunderte Schiffe den Suezkanal und müssen dafür zusätzliche 4.000 Seemeilen um Afrika zurücklegen. Transportpreise, Versicherungen und Lieferzeiten steigen und beeinträchtigen Produktion und Handel weltweit. Die NYT schlüsselt in Karten und Grafiken die genauen Umwege und Preisschwankungen auf.
Table.Today: Droht ein dritter Weltkrieg, Frau Gaub? Florence Gaub, Militärstrategin und Zukunftsforscherin, spricht im Podcast über die Vorbereitungen der Bundeswehr auf potenzielle Konfliktszenarien. Strategische Planungen und Denkspiele sind aus ihrer Sicht eine Voraussetzung dafür, dass Konflikte, Krisen und Kriege abgewendet werden können.
Frankfurter Allgemeine Zeitung: Zwischen Freiwilligkeit und Zwang. Boris Pistorius bezeichnet die Aussetzung der Wehrpflicht rückblickend zwar als “Fehler”, doch zur alten Regelung will das Verteidigungsministerium nicht zurück. Die F.A.Z. liefert einen Überblick über verschiedene ausländische Modelle, die infrage kämen.
ZEIT: Wo in diesem Jahr gewählt wird – ein Überblick. 2024 ist ein Jahr vieler Wahlen – und somit potenziell ein Jahr des Umbruchs. Diese Übersicht zeigt auf, wo dieses Jahr Veränderung anstehen könnte und was das für die globale Gemeinschaft bedeutet.
Der Klimawandel und dessen Folgen stellen eine erhebliche Bedrohung für die Menschheit dar. Angesichts der Größe dieser Herausforderung müssen alle Ressorts der Bundesregierung ihren Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise und für mehr Nachhaltigkeit leisten. Der Bundeswehr kommt als großer Emittent dabei eine besondere Verantwortung zu. Ich habe es deshalb sehr begrüßt, dass das Bundesministerium der Verteidigung Ende November vergangenen Jahres mit der Nachhaltigkeits- und Klimaschutzstrategie hier nun ihren Beitrag leistet.
Für mich als Bundestagsabgeordneter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die ihre Wurzeln auch in der Anti-Atom- und Umweltbewegung hat, und als Mitglied des Verteidigungsausschusses steht fest, dass es keinen Widerspruch zwischen der Erhöhung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und der Umsetzung von Klimaschutz- und Nachhaltigkeitszielen gibt. Im Gegenteil: Wir müssen Landes- und Bündnisverteidigung, also den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger, und Klimaschutz, also den Schutz der Zukunft unserer Bürgerinnen und Bürger auf diesem Planeten, zusammen denken. Ohne Frieden keine Nachhaltigkeit, ohne Nachhaltigkeit kein Frieden!
Im Verteidigungsausschuss hat die Unterstützung der Ukraine und Israels aktuell oberste Priorität. Als Berichterstatter für Heer, Streitkräftebasis und territoriales Führungskommando sowie die Themen Klimaschutz, Infrastruktur und Ausbildung überprüfe ich, dass das Sondervermögen effizient in die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr investiert wird – bei gleichzeitigem Umsetzen der Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsziele.
Klar ist: Beiträge zum Klimaschutz sind auch im Eigeninteresse der Bundeswehr. Energieeffizienz in den Liegenschaften spart Kosten, eine dezentrale Versorgung erhöht die Resilienz und nicht-fossile Antriebsalternativen machen die Bundeswehr zukunftstauglich. Daran arbeiten unsere Partnerländer wie die Niederlande, das Vereinigte Königreich oder die Vereinigten Staaten sowie Organisationen wie die Europäische Union und die NATO bereits. Das BMVg hat mit dieser Strategie gezeigt, dass es bereit ist, die Herausforderungen anzunehmen.
Auch im Bereich der Infrastruktur steht das Bundesverteidigungsministerium vor Herausforderungen: 1500 Liegenschaften und mehr als 33.000 Gebäude müssen energetisch saniert werden. Das betrifft nicht nur den Geschäftsbereich des BMVg, sondern auch die Bundesländer und die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Mit nachhaltigen, klimaschonenden Baustoffen, Effizienzsteigerung und der Nutzung von erneuerbaren Energien können sogar Null- oder Plusenergiehausstandards erreicht werden. Insbesondere in diesem Bereich besteht ein erhebliches Einsparpotenzial für Treibhausgasemissionen. Auch der Ausbau der Lade-Infrastruktur für Elektroautos muss zügig vorangetrieben werden. Ich schlage vor, den Soldatinnen und Soldaten kostenloses Laden am Arbeitsplatz zu ermöglichen.
Auch in der Beschaffung können richtige Entscheidungen den CO₂-Fußabdruck signifikant reduzieren. Bei der Beschaffung von Ausrüstung und Material von Streitkräften werden der Schutz der Soldatinnen und Soldaten und die Leistung beziehungsweise die Wirkung priorisiert, und das ist auch absolut notwendig. Wenn es um Beschaffungen geht, die keinen direkten militärischen Bezug haben, sollten die Faktoren CO₂-Ausstoß oder Umweltbelastung jedoch stärker priorisiert werden. Bei der Beschaffung von handelsüblichen Fahrzeugen mit militärischer Sonderausstattung sowie der gesamten querschnittlichen Fahrzeugflotte der Bundeswehr sollte die Bundeswehr konsequent auf Antriebstechnologien setzen, die den CO₂-Ausstoß minimieren.
Mit Blick in die Zukunft arbeiten wir in der Ampelkoalition darauf hin, dass die Bundeswehr ihre Einsatzbereitschaft in allen Einsatzszenarien auch unter den Auswirkungen des Klimawandels sicherstellen kann.
Niklas Wagener ist Mitglied der Grünen und seit 2021 im Deutschen Bundestag. Er gehört dem Verteidigungsausschuss an und studiert Forstwirtschaft.