auf der World Defense Show in Riad prahlen chinesische und russische Waffenhersteller mit ihren Produkten und wollen von den Investitionen Saudi-Arabiens in den Rüstungssektor profitieren. Gabriel Bub ist vor Ort und schreibt, welche Erwartungen deutsche Unternehmen mit Blick auf den Mark in der Golfregion haben und wie sie die Wende bei den Rüstungsexporten der Ampel bewerten.
Unsere litauische Kollegin Jurga Bakaitė analysiert die Pläne der baltischen Staaten für eine stark befestigte Grenze gegen Russland und Belarus. Sie sind detailliert, aber aus Sicht von Fachleuten auch sehr langwierig.
Markus Bickel stellt Ihnen Nils Gründer vor: Der jüngste FDP-Politiker im Bundestag ist Mitglied im Verteidigungsausschuss.
Eine gute Lektüre wünscht Ihnen
Den besten Platz in Halle 3 der World Defense Show nahe Riad hat sich das chinesische Verteidigungsministerium gesichert. Die Volksrepublik zeigt auf etwa 3.000 Quadratmetern ein Modell des S45-Aufklärungsboots, ein LD35-Luftverteidigungssystem, Wing Loong-Drohnen oder SY 400-Lenkraketen. Etwa 20 Meter weiter preist ein russischer Händler der staatlichen Waffenexportagentur Rosoboronexport neue Kalaschnikow-Modelle an. “Saudi-Arabien war schon immer unser Freund”, sagt er.
Der saudische Markt verspricht lukrative Geschäfte. Für 2023 hatte Saudi-Arabien ein Verteidigungsbudget von rund 64 Milliarden Euro eingeplant. Tendenz steigend. Und bis 2030 will Riad mehr als 50 Prozent seiner Waffen im eigenen Land produzieren.
Der Wüstenstaat ist als Rüstungspartner begehrt. Für deutsche Unternehmen dürfte sich mit der Entscheidung der Bundesregierung, Iris-T-Luft-Luft-Lenkflugkörper in das Land zu liefern und sich dem Export von Eurofighter-Kampfjets nicht mehr in den Weg zu stellen, ein rentabler Absatzmarkt bieten. Nach dem Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi in der Botschaft des Königreichs in Istanbul und wegen der Beteiligung am Krieg im Jemen hatte die Bundesregierung die Lieferung von Waffen nach Saudi-Arabien 2018 eingestellt.
Die deutschen Aussteller bleiben mit ihren Erwartungen vorsichtig: Als eindeutige Wende in der Exportpolitik der Ampel sehen sie die Iris-T- und die Eurofighter-Entscheidung nicht. Das Unternehmen Hensoldt, das sich im Mai 2023 gegen Vorwürfe des “Spiegel” gewehrt hatte, dass das Unternehmen trotz des Embargos versucht habe, Aufträge im Königreich zu ergattern, stellt etwa nur Jammer, Überwachungssysteme und Radare seiner südafrikanischen Dependance aus. Für den Konzern, an dem der Bund 25,1 Prozent und damit eine Sperrminorität hält, ist das Königreich ein wichtiger Partner. In der Hauptstadt Riad unterhält Hensoldt ein Büro. Nationalflaggen wie bei französischen oder britischen Ständen sucht man bei den Deutschen indes vergebens.
Auch Rheinmetall will und wollte auf das profitable Geschäft auf der arabischen Halbinsel nicht verzichten. Bei der World Defense Show zeigt es mit Joint Ventures Präsenz. Mit Rheinmetall Arabia Simulation and Training, wo der deutsche Konzern beteiligt ist, produziert er seit 2015 Kampfflugzeug-Simulatoren im Königreich. Laut einer Recherche von “Stern” und ARD lieferte Rheinmetall über Tochterfirmen in Italien und Südafrika nach dem Embargo weiter Munition nach Saudi-Arabien.
Weitere Möglichkeiten bietet die spanische Tochter Rheinmetall Expal Munitions. Doch zuerst müssen die Düsseldorfer kritische Fragen der spanischen Kartellwächter beantworten. In Riad stellt Expal Modelle von 155 Millimeter Artilleriemunition, 127 Millimeter Marinemunition und der 155 Millimeter Radhaubitze aus. Wenn Riad nach seiner Luftwaffe die Landstreitkräfte weiter aufrüstet, dürften auch in Düsseldorf Hoffnungen auf neue, größere Aufträge aufkommen.
Mit einer Mission ist Michael Schöllhorn, CEO von Airbus Defence and Space, nach Riad gekommen. Auf das lange Zögern der Bundesregierung in der Eurofighter-Frage hatte Riad mit Interesse an den französischen Rafale-Kampfjets von Dassault reagiert. Im Dezember 2023 war der saudische Verteidigungsminister deshalb nach Frankreich gereist. Schöllhorns Besuch ist ein Zeichen an Saudi-Arabien und dürfte die Mitproduzenten BAE Systems (Großbritannien) und Leonardo (Italien) zufriedenstellen, die weitere Kampfjets verkaufen wollen.
Die Wende der Ampel, sich den Waffenexporten nach Saudi-Arabien nicht mehr in den Weg zu stellen, hat neben wirtschaftlichen auch strategische Gründe. Außenministerin Annalena Baerbock begründete sie damit, dass Saudi-Arabien “maßgeblich” zur Sicherheit Israels beitrage, unter anderem, weil das Königreich auf Israel gerichtete Raketen der Huthi aus dem Jemen abschießt. Und das Land hätte seine Kriegsführung im Jemen verändert und bombardiere seit gut anderthalb Jahren keine Stellungen mehr.
Doch auch das könnte sich wieder ändern. Formell ist Saudi-Arabien noch Kriegspartei. Außerdem hat die Bundesregierung ein Interesse daran, Saudi-Arabien auf ihrer Seite zu haben. Die USA, Frankreich und Großbritannien binden den Partner in Nahost schon lange mit Waffenlieferungen – nicht nur mit Erfolg. Im Januar hat sich Saudi-Arabien dem Brics-Bündnis angeschlossen, das anfangs aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika bestand.
In Halle 1 – weiter kann man von den russischen Ständen auf der Messe kaum entfernt sein – sucht die nationale Vereinigung der ukrainischen Verteidigungsindustrie (Naudi) mit einem kleinen Stand nach Partnern für Joint Ventures. Nach dem Krieg gegen Russland soll eine starke ukrainische Rüstungsindustrie beim Aufbau des Landes helfen. “Die Länder des Golfkooperationsrats können wertvolle Partner sein”, sagt Roman Sheleng, Verkäufer von Naudi.
Im Januar unterzeichneten Estland, Lettland und Litauen ein Abkommen über den Aufbau einer gemeinsamen Verteidigungszone an ihren Grenzen zu Russland und Belarus. Bereits 2025 will die Regierung in Tallinn mit dem Bau von Bunkern beginnen. Kritiker bezweifeln allerdings, dass eine Linie aus Sprengstoff, Maschendraht und Hindernissen – vergleichbar mit der hochgerüsteten Grenze Südkoreas oder dem Eisernen Vorhang aus der Zeit des Kalten Kriegs – die optimale Lösung für die Verteidigung der Ostflanke ist.
Neben Bunkern plant Estland ein Netz aus Stützpunkten und Versorgungslinien zu errichten, während Litauen entlang seiner Ostgrenze 18 “Countermobility Stations” zur Lagerung von Ausrüstung wie Panzersperren, Stahlbetonblöcken und Stacheldraht einrichten will. Das lettische Verteidigungsministerium will seine Pläne dem Kabinett “in naher Zukunft” vorlegen.
Der Verlauf des Kriegs in der Ukraine ist die Begründung für die Verstärkung der Nato-Grenze zu Russland und Belarus: Gute Verteidigungslinien haben sich in der Ukraine für beide Armeen, die russische wie die ukrainische, als vorteilhaft erwiesen, sagen Experten. Dies ist auch Teil des strategischen Wechsels der Nato von der Abschreckungs- zur Verteidigungsstrategie für ihre Ostflanke, der auf dem Gipfel in Madrid im Jahr 2022 beschlossen wurde.
“Der Krieg Russlands in der Ukraine hat gezeigt, dass neben Ausrüstung, Munition und Personal auch physische Verteidigungsanlagen an der Grenze erforderlich sind, um Estland vom ersten Meter an zu verteidigen”, sagte Hanno Pevkur, Verteidigungsminister von Estland. Tomas Jermalavičius vom estnischen Internationalen Zentrum für Verteidigung und Sicherheit verweist auf die stark befestigte und verminte Grenze zwischen Südkorea und Nordkorea als Beispiel für moderne Befestigungsanlagen.
“Die Ukrainer hatten seit 2014 gut befestigte Frontlinien im Donbas, und Russland war weniger erfolgreich bei der Entwicklung seiner Offensive dort. Wie wichtig dies ist, haben die Russen selbst mit der Errichtung der Surowikin-Linie in der Südukraine bewiesen, die die Ukrainer bei ihrer Gegenoffensive nicht durchbrechen konnten”, betont Jermalavičius.
In Litauen wird seit Beginn der russischen Invasion in die Ukraine im Jahr 2022 über die Notwendigkeit von Befestigungen gesprochen. Kritiker bemängeln jedoch, dass es sich dabei um eine veraltete Strategie handele, die in einem Manöverkrieg wenig Sinn ergeben würde, und dass das Verteidigungsbudget des Staates an anderer Stelle besser angelegt wäre.
Gintaras Ažubalis, Verteidigungsexperte und pensionierter Oberst der litauischen Streitkräfte, vergleicht die nur 40 Kilometer von Belarus entfernte litauische Hauptstadt Vilnius mit Charkiw in der Ukraine. Diese Stadt litt unter schweren Angriffen, nachdem russische Streitkräfte sie gleich zu Beginn des Krieges umzingelt hatten. Ažubalis weist auch darauf hin, dass die Ukraine an ihrer Grenze zu Belarus Befestigungsanlagen errichtet.
“Es handelt sich um die gleiche Bedrohung, das gleiche operative und taktische Problem. Die Verteidiger von Charkiw betonen, dass die russische Armee nicht so nah an die Stadt herangekommen wäre, wenn sie besser vorbereitet gewesen wären und die Grenze befestigt hätten”, sagt Ažubalis.
Die Pläne führen jedoch zu Problem: Eine Grenzbefestigung könnte bedeuten, dass Antipersonenminen beschafft werden müssten. Das stößt auf rechtliche Vorbehalte. Denn alle baltischen Staaten haben den Ottawa-Vertrag unterzeichnet, der solche Minen verbietet. Litauen ist darüber hinaus Vertragspartner der Oslo-Konvention gegen Streumunition. Der Einsatz dieser Waffen wird als Gefahr für die Zivilbevölkerung angesehen. Befürworter der Kündigung der Abkommen weisen darauf hin, dass auch Russland keinen der beiden Verträge unterzeichnet hat.
Es gibt noch zu viele Fragen zur endgültigen Form der Verteidigungslinie und zur Zusammenarbeit der drei Regierungen. “Die Pläne müssen eng aufeinander abgestimmt sein, vor allem dort, wo sich Grenzen treffen. Wenn ein Land nicht standhalten kann, wird es zu einem Schwachpunkt, von dem aus ein Angriff gestartet werden kann”, sagt Oberst Ažubalis.
Experten zufolge dürfte die Verstärkung der Ostgrenze nur ein Projekt Litauens, Lettlands und Estlands sein, da Finnland, dessen Beitritt zur Nato die Landgrenze der Allianz zu Russland verdoppelt hat, kein geografisch verbundenes Gebiet für Landoperationen in der Region ist. “Mich würde mehr interessieren, ob Polen sich ebenfalls beteiligen möchte, insbesondere im Hinblick auf den Suwałki-Korridor”, betont Jermalavičius. Er fügt hinzu, dass dieser Wandel in der Verteidigung auch zu einer Militarisierung der Grenzschutzbehörden nach finnischem Vorbild führen könnte.
Sowohl Militärexperten als auch politische Entscheidungsträger in den baltischen Ländern betonen, dass Grenzbefestigungen nicht nur ein Instrument zur Verteidigung des Landes seien, sondern auch dazu dienten, potenziellen Angreifern zu zeigen, dass die Länder Sicherheit ernst nehmen. “Wenn wir über einen neuen Eisernen Vorhang in Europa sprechen, muss er auch eine physische Form annehmen. Man braucht keine Angst zu haben, über einen neuen Eisernen Vorhang zu reden: Er sorgt für Sicherheit, solange man auf der richtigen Seite steht“, so Jermalavičius.
Die IG Metall und das Wirtschaftsforum der SPD fordern in einem Positionspapier, das in Zusammenarbeit mit dem der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) entwickelt wurde, die Stärkung der nationalen Rüstungsindustrie. Sie fordern darin eine “Struktur- und Prozessreform” in der Industriepolitik, “damit jeder investierte Euro auch eine entsprechende Leistung erbringt”, wie es in einem Brief an das Verteidigungsministerium von vergangener Woche heißt. Der Brief liegt Table.Media vor.
Es bestehe die Sorge, dass die “Zeitenwende” lediglich der Bundeswehr zu neuem Glanz durch modernere Ausstattung verhelfen werde. Eine Gesamtstrategie zur Förderung der deutschen Industriepolitik lasse bislang auf sich warten. Was es braucht, sei eine “klare Definition und politische Zielsetzung von Schlüsseltechnologien in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie”, um die Souveränität der Bundeswehr und die nationale Industrie zu stärken, heißt es in dem Schreiben.
Die IG Metall setzt sich in ihrer Satzung zwar für Abrüstung ein, vertritt als größte Gewerkschaft Deutschlands aber Angestellte aus der Rüstungsbranche. Vertreter der Industrie haben in der Vergangenheit immer wieder betont, dass der deutsche Beitrag bei internationalen Rüstungsprojekten zu gering ausfällt.
Ein prominentes Beispiel ist der Bau des modernen F35-Kampfjets, an dem das deutsche Unternehmen Rheinmetall beteiligt ist. Hans Christoph Atzpodien vom BDSV bezeichnete den deutschen Wertschöpfungsanteil an dem milliardenschweren Vorhaben dennoch als “eher gering”. “Deutschland muss als das zentrale Industrieland in Europa vorangehen und eine strategische Industriepolitik auf den Weg bringen”, schreiben der Zweite IG-Metall-Vorsitzende Jürgen Kerner und Matthias Machnig, Vizepräsident des Wirtschaftsforums der SPD, in ihrem Brief an Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD).
Die Vorsitzenden der Verbände stellen das Papier mit dem Namen “Souveränität und Resilienz sichern. Industriepolitische Leitlinien und Instrumente für eine zukunftsfähige Sicherheits- und Verteidigungsindustrie” am Dienstagnachmittag in Berlin vor. wp
Die Zahl zugesagter F-16 Kampfflugzeuge für die Ukraine wächst: Am Montag hat das niederländische Verteidigungsministerium angekündigt, zusätzlich zu den bereits versprochenen 18 Jets noch sechs weitere zu überstellen. Allein von den Niederlanden würde die ukrainische Luftwaffe dann 24 Flugzeuge dieses Typs erhalten.
Die Möglichkeit, sechs weitere Flugzeuge an Kiew abzugeben, ergab sich nach gescheiterten Verkaufsgesprächen zwischen Amsterdam und dem Unternehmen Draken International, meldete das niederländische Verteidigungsministerium. Die Firma bietet unter anderem für Trainings eine Flotte ausgemusterter Kampfflugzeuge an.
Mit den sechs weiteren Jets steigt die Zahl aller in der Ukraine erwarteten F-16-Maschinen auf mindestens 43. Seit Monaten schon laufen Ausbildungen ukrainischer Piloten in Dänemark, in den USA und seit kurzem auch in Rumänien. Die ersten F-16 mit den ausgebildeten Piloten könnten im Frühling in der Ukraine ankommen. vf
Der Verteidigungsausschuss des britischen Unterhauses hat in seinem Bericht 2023/2024 den britischen Streitkräften Unterfinanzierung und Überlastung attestiert. Sie hätten aufgrund der verschlechterten Sicherheitslage ihre Einsatzkapazitäten überschritten, heißt es in dem Bericht. Das Personal sei “ständig überlastet”, was sich negativ auf die Personalgewinnung und -bindung auswirke und die Herstellung einer Einsatzbereitschaft verzögere.
Entweder, so schreiben die Mitglieder des Verteidigungsausschusses, müsste das Verteidigungsministerium alle Mittel erhalten, die es braucht, um sich an Operationen zu beteiligen und gleichzeitig die Kampfbereitschaft zu entwickeln – oder die Regierung müsse die operative Belastung der Streitkräfte reduzieren. Großbritannien investiert etwa 50 Milliarden jährlich in seine Streitkräfte.
Ende 2023 waren mehr als 7.000 Soldatinnen und Soldaten in mehr als 40 Auslandseinsätzen. Vor allem im letzten Quartal 2023 seien einige Verpflichtungen dazugekommen, wie der Einsatz im östlichen Mittelmeer und die Beteiligung an der Operation Prosperity Guardian. Der ehemalige Staatssekretär für die Streitkräfte, James Heappey, hatte eingeräumt, “dass die Streitkräfte des Vereinigten Königreichs in einem Umfang eingesetzt werden, der über das hinausgeht, wofür die Streitkräftestruktur ausgelegt ist”.
Zudem monieren die Autoren, dass die Regierung dem Parlament wichtige Informationen vorenthalte: “Es ist inakzeptabel, dass wir während eines Großteils dieser Untersuchung in unseren Versuchen behindert wurden, die Bereitschaft zu bewerten, durch mangelnde Transparenz der Regierung”, heißt es in dem Bericht.
Wichtige Informationen, die vor einem Jahrzehnt leicht zugänglich gewesen seien, würden aus unklaren Gründen nicht mehr veröffentlicht. Die Regierung hätte außerdem “übermäßig lange gebraucht”, um auf Informationsanfragen zu reagieren. Andere Nationen in ähnlicher Bedrohungslage würden ihrer Bevölkerung und ihren Parlamenten bedeutend mehr Informationen über ihre Einsatzbereitschaft bereitstellen. klm
Der Fall der lettischen Europa-Abgeordneten Tatjana Ždanoka, die Recherchen zufolge fast 20 Jahre für den russischen Geheimdienst FSB gearbeitet haben soll, könnte erst der Anfang sein, warnen baltische Europa-Abgeordnete. Konkrete Namen von weiteren Personen, die unter Verdacht stehen, wollten die sie nicht nennen, das sei Aufgabe der Geheimdienste. Die lettische EVP-Abgeordnete Sandra Kalniete rät allerdings, einen Blick auf das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten zu werfen, um erste Anhaltspunkte für ausländische Einflussnahme zu finden.
Spätestens seit dem historischen Bestechungsskandal um die griechische Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Eva Kaili im vergangenen Jahr, der unter dem Namen “Qatargate” bekannt wurde, ist die Anfälligkeit des Europäischen Parlaments für Korruption und ausländische Einflussnahme kein Geheimnis mehr. Während hier Staaten wie Marokko und Qatar im Mittelpunkt standen, rückt der Fall Ždanoka den Fokus nun auf russische Agenten in Brüssel.
Rasa Juknevičienė, ehemalige litauische Verteidigungsministerin, befürchtet, dass Belgiens Geheimdienste nicht in der Lage sind, ausländische Agenten in Brüssel zu identifizieren. Die große Anzahl an internationalen Organisationen und diplomatischen Vertretungen in der europäischen Hauptstadt macht die Stadt schon lange zum Einfallstor für ausländische Agenten. Juknevičienė betont, dass hier nicht nur Russland, sondern auch China, der Iran und die Türkei ihren Einfluss geltend machen. Russland gehe allerdings besonders systematisch vor.
Lettische Abgeordnete wollen Ždanoka schon seit einiger Zeit verdächtigt haben, für Moskau zu arbeiten. Konkrete Hinweise konnten aber erst durch journalistische Recherche geliefert werden, die ein Treffen mit russischen Offizieren und den Informationsaustausch mit Russland nachweisen soll.
Ždanoka selbst bestreitet die Vorwürfe. Fakt ist allerdings, dass die 73-jährige Lettin 2014 als “internationale Beobachterin” zu der international als Scheinreferendum eingeordneten Unabhängigkeitsabstimmung auf der Krim reiste und zuletzt als eine von nur 13 Abgeordneten gegen eine Resolution stimmte, die den Überfall Russlands auf die Ukraine verurteilte. Daraufhin schlossen die Greens/EFA-Fraktion sie aus ihrer Fraktion aus. Seither ist sie fraktionslos.
Das Europaparlament hatte vergangenen Montag eine Untersuchung gegen die Europa-Abgeordnete eingeleitet. Die Hoffnung ist, dass diese Untersuchung auch weitere Einblicke in die Strategie und das Ausmaß der russischen Einflussnahme in der EU liefert. Während sich der politische Einfluss von Akteuren wie Ždanoka in Brüssel selbst meist in Grenzen hält, spielen sie für die Moskaus Propaganda in russischen Staatsmedien eine wichtige Rolle. jb/wp
Foreign Affairs: How the European Continent can Prepare for American Abandonment. Das Risiko einer zweiten Präsidentschaft Trumps geht weit über ein potenzielles Zurückfahren des Engagements für die Ukraine und die europäische Sicherheit hinaus: Die Beziehung zwischen China und den USA könnte sich weiter verschlechtern, was auch europäische Unternehmen in Schwierigkeiten bringt. Außerdem ist Europa abhängig von den Fähigkeiten der Amerikaner bei fast allen satellitenbasierten Diensten.
Stiftung Wissenschaft Politik: Die Türkei auf dem Weg zum globalen Rüstungsexporteur. In der türkischen Rüstungspolitik ist eine neue Ära angebrochen. Für die Nato-Partner ergeben sich damit sicherheitspolitische Herausforderungen. Blockierte Lieferungen von Kampfflugzeugen an Ankara, sei es durch Washington oder Berlin, könnten die strategische Neuausrichtung der türkischen Rüstungspolitik noch weiter verstärken.
Spiegel: Wie Annalena Baerbock sich von ihrer Partei entfremdet. Im Ausland erfährt Annalena Baerbock viel Respekt, in der Heimat wächst die Kritik. Der Gazastreifen sei ihr jetzt näher als die Antragskommission oder das Parteiprogramm, so die Autoren. Die Entfremdung der Ministerin von ihrer eigenen Partei ist bemerkenswert – schließlich steht die Frage im Raum, wer 2025 Kanzlerkandidat wird.
The New Yorker: The Risks in Attacking the Houthis in Yemen. Die Huthi-Rebellen greifen seit November Schiffe im Roten Meer an, die Amerikaner und Briten bombardieren militärische Ziele im Jemen. Für die Huthis sei es ein Kampf um ihre Ehre, gegen den Satan aus den USA, sagt ein Huthi-Kämpfer. Das Stück schaut sich die lange Historie der Kämpfe im Jemen.
Eigentlich wollte Nils Gründer nach dem Abitur Offizier werden. Doch die Laufbahn in der Bundeswehr endete bereits 2016 beim Truppenarzt in München: Weil dieser ihn für untauglich befand, wurde aus der Karriere in Uniform nichts. Verbunden geblieben ist der 1997 in Nürnberg geborene FDP-Politiker der Bundeswehr trotzdem, seit 2022 auch als Mitglied des Verteidigungsausschusses – und durch regelmäßige Standortbesuche, unter anderem in der Major-Radloff-Kaserne in Weiden in der Oberpfalz.
Die Soldatinnen und Soldaten dort wüssten es sehr zu schätzen, wenn jemand wiederkomme, sagt Gründer: “Nachdem ich mich tagtäglich mit Verteidigung beschäftige, ist für mich der Blick in die Truppe, besonders direkt vor Ort, von großer Bedeutung.” Das zahle sich auch im Bundestag aus, wo er zur kleinen Zahl der unter 30 Jahre jungen Abgeordneten gehört.
Sicherlich sei das Alter in bestimmten Fragen ein verbindendes Element, so Gründer. “Eine WhatsApp-Gruppe U30 gibt es im Bundestag nicht, auch wenn das eigentlich ganz lustig wäre.” Ernst ist es ihm damit, das Wahlalter auf 16 zu senken, nicht nur, weil er der jüngste Abgeordnete der FDP-Fraktion ist. “Mit 16 kann man vielerorts bei Kommunal- oder Landtagswahlen mitentscheiden. Auch Bier trinken ist mit 16 erlaubt. Da frage ich mich: Warum trauen wir Menschen in diesem Alter nicht zu, mehr politische Verantwortung zu übernehmen?”
Der kollegiale Umgang mit Abgeordneten anderer Fraktionen habe ihn überrascht, als er 2022 für den bayerischen FDP-Abgeordneten Thomas Sattelberger in den Bundestag nachrückte. Inhaltlich verliefen die Überschneidungen dabei des Öfteren auch gegen die klassische Arithmetik von Koalition gegen Opposition oder der vermeintlich natürlichen ideologischen Nähe von Konservativen und Liberalen. “Kollegen von der CDU muss man schon auch mal deutlich machen, dass die FDP mehr ist als nur der Wirtschaftsflügel der Union.” Und Grünen-Abgeordneten, dass sie nicht über den Alleinvertretungsanspruch in Umweltfragen verfügten.
Bevor Gründer vor knapp zwei Jahren in den Bundestag nachrückte, hatte er als Account Manager einer PR-Agentur gearbeitet, im Anschluss an mehrere Jahre Studium von Politikwissenschaft, Betriebs- und Volkswirtschaft. Qualifiziertes Personal in die Truppe zu bringen, sieht er als die vielleicht wichtigste Aufgabe der Zeitenwende an: “Unsere Bundeswehr muss für junge Menschen attraktiver werden, auch für Frauen. Um Nachwuchs zu gewinnen, brauchen wir unbedingt neue Strategien und Anreize.” Markus Bickel
auf der World Defense Show in Riad prahlen chinesische und russische Waffenhersteller mit ihren Produkten und wollen von den Investitionen Saudi-Arabiens in den Rüstungssektor profitieren. Gabriel Bub ist vor Ort und schreibt, welche Erwartungen deutsche Unternehmen mit Blick auf den Mark in der Golfregion haben und wie sie die Wende bei den Rüstungsexporten der Ampel bewerten.
Unsere litauische Kollegin Jurga Bakaitė analysiert die Pläne der baltischen Staaten für eine stark befestigte Grenze gegen Russland und Belarus. Sie sind detailliert, aber aus Sicht von Fachleuten auch sehr langwierig.
Markus Bickel stellt Ihnen Nils Gründer vor: Der jüngste FDP-Politiker im Bundestag ist Mitglied im Verteidigungsausschuss.
Eine gute Lektüre wünscht Ihnen
Den besten Platz in Halle 3 der World Defense Show nahe Riad hat sich das chinesische Verteidigungsministerium gesichert. Die Volksrepublik zeigt auf etwa 3.000 Quadratmetern ein Modell des S45-Aufklärungsboots, ein LD35-Luftverteidigungssystem, Wing Loong-Drohnen oder SY 400-Lenkraketen. Etwa 20 Meter weiter preist ein russischer Händler der staatlichen Waffenexportagentur Rosoboronexport neue Kalaschnikow-Modelle an. “Saudi-Arabien war schon immer unser Freund”, sagt er.
Der saudische Markt verspricht lukrative Geschäfte. Für 2023 hatte Saudi-Arabien ein Verteidigungsbudget von rund 64 Milliarden Euro eingeplant. Tendenz steigend. Und bis 2030 will Riad mehr als 50 Prozent seiner Waffen im eigenen Land produzieren.
Der Wüstenstaat ist als Rüstungspartner begehrt. Für deutsche Unternehmen dürfte sich mit der Entscheidung der Bundesregierung, Iris-T-Luft-Luft-Lenkflugkörper in das Land zu liefern und sich dem Export von Eurofighter-Kampfjets nicht mehr in den Weg zu stellen, ein rentabler Absatzmarkt bieten. Nach dem Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi in der Botschaft des Königreichs in Istanbul und wegen der Beteiligung am Krieg im Jemen hatte die Bundesregierung die Lieferung von Waffen nach Saudi-Arabien 2018 eingestellt.
Die deutschen Aussteller bleiben mit ihren Erwartungen vorsichtig: Als eindeutige Wende in der Exportpolitik der Ampel sehen sie die Iris-T- und die Eurofighter-Entscheidung nicht. Das Unternehmen Hensoldt, das sich im Mai 2023 gegen Vorwürfe des “Spiegel” gewehrt hatte, dass das Unternehmen trotz des Embargos versucht habe, Aufträge im Königreich zu ergattern, stellt etwa nur Jammer, Überwachungssysteme und Radare seiner südafrikanischen Dependance aus. Für den Konzern, an dem der Bund 25,1 Prozent und damit eine Sperrminorität hält, ist das Königreich ein wichtiger Partner. In der Hauptstadt Riad unterhält Hensoldt ein Büro. Nationalflaggen wie bei französischen oder britischen Ständen sucht man bei den Deutschen indes vergebens.
Auch Rheinmetall will und wollte auf das profitable Geschäft auf der arabischen Halbinsel nicht verzichten. Bei der World Defense Show zeigt es mit Joint Ventures Präsenz. Mit Rheinmetall Arabia Simulation and Training, wo der deutsche Konzern beteiligt ist, produziert er seit 2015 Kampfflugzeug-Simulatoren im Königreich. Laut einer Recherche von “Stern” und ARD lieferte Rheinmetall über Tochterfirmen in Italien und Südafrika nach dem Embargo weiter Munition nach Saudi-Arabien.
Weitere Möglichkeiten bietet die spanische Tochter Rheinmetall Expal Munitions. Doch zuerst müssen die Düsseldorfer kritische Fragen der spanischen Kartellwächter beantworten. In Riad stellt Expal Modelle von 155 Millimeter Artilleriemunition, 127 Millimeter Marinemunition und der 155 Millimeter Radhaubitze aus. Wenn Riad nach seiner Luftwaffe die Landstreitkräfte weiter aufrüstet, dürften auch in Düsseldorf Hoffnungen auf neue, größere Aufträge aufkommen.
Mit einer Mission ist Michael Schöllhorn, CEO von Airbus Defence and Space, nach Riad gekommen. Auf das lange Zögern der Bundesregierung in der Eurofighter-Frage hatte Riad mit Interesse an den französischen Rafale-Kampfjets von Dassault reagiert. Im Dezember 2023 war der saudische Verteidigungsminister deshalb nach Frankreich gereist. Schöllhorns Besuch ist ein Zeichen an Saudi-Arabien und dürfte die Mitproduzenten BAE Systems (Großbritannien) und Leonardo (Italien) zufriedenstellen, die weitere Kampfjets verkaufen wollen.
Die Wende der Ampel, sich den Waffenexporten nach Saudi-Arabien nicht mehr in den Weg zu stellen, hat neben wirtschaftlichen auch strategische Gründe. Außenministerin Annalena Baerbock begründete sie damit, dass Saudi-Arabien “maßgeblich” zur Sicherheit Israels beitrage, unter anderem, weil das Königreich auf Israel gerichtete Raketen der Huthi aus dem Jemen abschießt. Und das Land hätte seine Kriegsführung im Jemen verändert und bombardiere seit gut anderthalb Jahren keine Stellungen mehr.
Doch auch das könnte sich wieder ändern. Formell ist Saudi-Arabien noch Kriegspartei. Außerdem hat die Bundesregierung ein Interesse daran, Saudi-Arabien auf ihrer Seite zu haben. Die USA, Frankreich und Großbritannien binden den Partner in Nahost schon lange mit Waffenlieferungen – nicht nur mit Erfolg. Im Januar hat sich Saudi-Arabien dem Brics-Bündnis angeschlossen, das anfangs aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika bestand.
In Halle 1 – weiter kann man von den russischen Ständen auf der Messe kaum entfernt sein – sucht die nationale Vereinigung der ukrainischen Verteidigungsindustrie (Naudi) mit einem kleinen Stand nach Partnern für Joint Ventures. Nach dem Krieg gegen Russland soll eine starke ukrainische Rüstungsindustrie beim Aufbau des Landes helfen. “Die Länder des Golfkooperationsrats können wertvolle Partner sein”, sagt Roman Sheleng, Verkäufer von Naudi.
Im Januar unterzeichneten Estland, Lettland und Litauen ein Abkommen über den Aufbau einer gemeinsamen Verteidigungszone an ihren Grenzen zu Russland und Belarus. Bereits 2025 will die Regierung in Tallinn mit dem Bau von Bunkern beginnen. Kritiker bezweifeln allerdings, dass eine Linie aus Sprengstoff, Maschendraht und Hindernissen – vergleichbar mit der hochgerüsteten Grenze Südkoreas oder dem Eisernen Vorhang aus der Zeit des Kalten Kriegs – die optimale Lösung für die Verteidigung der Ostflanke ist.
Neben Bunkern plant Estland ein Netz aus Stützpunkten und Versorgungslinien zu errichten, während Litauen entlang seiner Ostgrenze 18 “Countermobility Stations” zur Lagerung von Ausrüstung wie Panzersperren, Stahlbetonblöcken und Stacheldraht einrichten will. Das lettische Verteidigungsministerium will seine Pläne dem Kabinett “in naher Zukunft” vorlegen.
Der Verlauf des Kriegs in der Ukraine ist die Begründung für die Verstärkung der Nato-Grenze zu Russland und Belarus: Gute Verteidigungslinien haben sich in der Ukraine für beide Armeen, die russische wie die ukrainische, als vorteilhaft erwiesen, sagen Experten. Dies ist auch Teil des strategischen Wechsels der Nato von der Abschreckungs- zur Verteidigungsstrategie für ihre Ostflanke, der auf dem Gipfel in Madrid im Jahr 2022 beschlossen wurde.
“Der Krieg Russlands in der Ukraine hat gezeigt, dass neben Ausrüstung, Munition und Personal auch physische Verteidigungsanlagen an der Grenze erforderlich sind, um Estland vom ersten Meter an zu verteidigen”, sagte Hanno Pevkur, Verteidigungsminister von Estland. Tomas Jermalavičius vom estnischen Internationalen Zentrum für Verteidigung und Sicherheit verweist auf die stark befestigte und verminte Grenze zwischen Südkorea und Nordkorea als Beispiel für moderne Befestigungsanlagen.
“Die Ukrainer hatten seit 2014 gut befestigte Frontlinien im Donbas, und Russland war weniger erfolgreich bei der Entwicklung seiner Offensive dort. Wie wichtig dies ist, haben die Russen selbst mit der Errichtung der Surowikin-Linie in der Südukraine bewiesen, die die Ukrainer bei ihrer Gegenoffensive nicht durchbrechen konnten”, betont Jermalavičius.
In Litauen wird seit Beginn der russischen Invasion in die Ukraine im Jahr 2022 über die Notwendigkeit von Befestigungen gesprochen. Kritiker bemängeln jedoch, dass es sich dabei um eine veraltete Strategie handele, die in einem Manöverkrieg wenig Sinn ergeben würde, und dass das Verteidigungsbudget des Staates an anderer Stelle besser angelegt wäre.
Gintaras Ažubalis, Verteidigungsexperte und pensionierter Oberst der litauischen Streitkräfte, vergleicht die nur 40 Kilometer von Belarus entfernte litauische Hauptstadt Vilnius mit Charkiw in der Ukraine. Diese Stadt litt unter schweren Angriffen, nachdem russische Streitkräfte sie gleich zu Beginn des Krieges umzingelt hatten. Ažubalis weist auch darauf hin, dass die Ukraine an ihrer Grenze zu Belarus Befestigungsanlagen errichtet.
“Es handelt sich um die gleiche Bedrohung, das gleiche operative und taktische Problem. Die Verteidiger von Charkiw betonen, dass die russische Armee nicht so nah an die Stadt herangekommen wäre, wenn sie besser vorbereitet gewesen wären und die Grenze befestigt hätten”, sagt Ažubalis.
Die Pläne führen jedoch zu Problem: Eine Grenzbefestigung könnte bedeuten, dass Antipersonenminen beschafft werden müssten. Das stößt auf rechtliche Vorbehalte. Denn alle baltischen Staaten haben den Ottawa-Vertrag unterzeichnet, der solche Minen verbietet. Litauen ist darüber hinaus Vertragspartner der Oslo-Konvention gegen Streumunition. Der Einsatz dieser Waffen wird als Gefahr für die Zivilbevölkerung angesehen. Befürworter der Kündigung der Abkommen weisen darauf hin, dass auch Russland keinen der beiden Verträge unterzeichnet hat.
Es gibt noch zu viele Fragen zur endgültigen Form der Verteidigungslinie und zur Zusammenarbeit der drei Regierungen. “Die Pläne müssen eng aufeinander abgestimmt sein, vor allem dort, wo sich Grenzen treffen. Wenn ein Land nicht standhalten kann, wird es zu einem Schwachpunkt, von dem aus ein Angriff gestartet werden kann”, sagt Oberst Ažubalis.
Experten zufolge dürfte die Verstärkung der Ostgrenze nur ein Projekt Litauens, Lettlands und Estlands sein, da Finnland, dessen Beitritt zur Nato die Landgrenze der Allianz zu Russland verdoppelt hat, kein geografisch verbundenes Gebiet für Landoperationen in der Region ist. “Mich würde mehr interessieren, ob Polen sich ebenfalls beteiligen möchte, insbesondere im Hinblick auf den Suwałki-Korridor”, betont Jermalavičius. Er fügt hinzu, dass dieser Wandel in der Verteidigung auch zu einer Militarisierung der Grenzschutzbehörden nach finnischem Vorbild führen könnte.
Sowohl Militärexperten als auch politische Entscheidungsträger in den baltischen Ländern betonen, dass Grenzbefestigungen nicht nur ein Instrument zur Verteidigung des Landes seien, sondern auch dazu dienten, potenziellen Angreifern zu zeigen, dass die Länder Sicherheit ernst nehmen. “Wenn wir über einen neuen Eisernen Vorhang in Europa sprechen, muss er auch eine physische Form annehmen. Man braucht keine Angst zu haben, über einen neuen Eisernen Vorhang zu reden: Er sorgt für Sicherheit, solange man auf der richtigen Seite steht“, so Jermalavičius.
Die IG Metall und das Wirtschaftsforum der SPD fordern in einem Positionspapier, das in Zusammenarbeit mit dem der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) entwickelt wurde, die Stärkung der nationalen Rüstungsindustrie. Sie fordern darin eine “Struktur- und Prozessreform” in der Industriepolitik, “damit jeder investierte Euro auch eine entsprechende Leistung erbringt”, wie es in einem Brief an das Verteidigungsministerium von vergangener Woche heißt. Der Brief liegt Table.Media vor.
Es bestehe die Sorge, dass die “Zeitenwende” lediglich der Bundeswehr zu neuem Glanz durch modernere Ausstattung verhelfen werde. Eine Gesamtstrategie zur Förderung der deutschen Industriepolitik lasse bislang auf sich warten. Was es braucht, sei eine “klare Definition und politische Zielsetzung von Schlüsseltechnologien in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie”, um die Souveränität der Bundeswehr und die nationale Industrie zu stärken, heißt es in dem Schreiben.
Die IG Metall setzt sich in ihrer Satzung zwar für Abrüstung ein, vertritt als größte Gewerkschaft Deutschlands aber Angestellte aus der Rüstungsbranche. Vertreter der Industrie haben in der Vergangenheit immer wieder betont, dass der deutsche Beitrag bei internationalen Rüstungsprojekten zu gering ausfällt.
Ein prominentes Beispiel ist der Bau des modernen F35-Kampfjets, an dem das deutsche Unternehmen Rheinmetall beteiligt ist. Hans Christoph Atzpodien vom BDSV bezeichnete den deutschen Wertschöpfungsanteil an dem milliardenschweren Vorhaben dennoch als “eher gering”. “Deutschland muss als das zentrale Industrieland in Europa vorangehen und eine strategische Industriepolitik auf den Weg bringen”, schreiben der Zweite IG-Metall-Vorsitzende Jürgen Kerner und Matthias Machnig, Vizepräsident des Wirtschaftsforums der SPD, in ihrem Brief an Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD).
Die Vorsitzenden der Verbände stellen das Papier mit dem Namen “Souveränität und Resilienz sichern. Industriepolitische Leitlinien und Instrumente für eine zukunftsfähige Sicherheits- und Verteidigungsindustrie” am Dienstagnachmittag in Berlin vor. wp
Die Zahl zugesagter F-16 Kampfflugzeuge für die Ukraine wächst: Am Montag hat das niederländische Verteidigungsministerium angekündigt, zusätzlich zu den bereits versprochenen 18 Jets noch sechs weitere zu überstellen. Allein von den Niederlanden würde die ukrainische Luftwaffe dann 24 Flugzeuge dieses Typs erhalten.
Die Möglichkeit, sechs weitere Flugzeuge an Kiew abzugeben, ergab sich nach gescheiterten Verkaufsgesprächen zwischen Amsterdam und dem Unternehmen Draken International, meldete das niederländische Verteidigungsministerium. Die Firma bietet unter anderem für Trainings eine Flotte ausgemusterter Kampfflugzeuge an.
Mit den sechs weiteren Jets steigt die Zahl aller in der Ukraine erwarteten F-16-Maschinen auf mindestens 43. Seit Monaten schon laufen Ausbildungen ukrainischer Piloten in Dänemark, in den USA und seit kurzem auch in Rumänien. Die ersten F-16 mit den ausgebildeten Piloten könnten im Frühling in der Ukraine ankommen. vf
Der Verteidigungsausschuss des britischen Unterhauses hat in seinem Bericht 2023/2024 den britischen Streitkräften Unterfinanzierung und Überlastung attestiert. Sie hätten aufgrund der verschlechterten Sicherheitslage ihre Einsatzkapazitäten überschritten, heißt es in dem Bericht. Das Personal sei “ständig überlastet”, was sich negativ auf die Personalgewinnung und -bindung auswirke und die Herstellung einer Einsatzbereitschaft verzögere.
Entweder, so schreiben die Mitglieder des Verteidigungsausschusses, müsste das Verteidigungsministerium alle Mittel erhalten, die es braucht, um sich an Operationen zu beteiligen und gleichzeitig die Kampfbereitschaft zu entwickeln – oder die Regierung müsse die operative Belastung der Streitkräfte reduzieren. Großbritannien investiert etwa 50 Milliarden jährlich in seine Streitkräfte.
Ende 2023 waren mehr als 7.000 Soldatinnen und Soldaten in mehr als 40 Auslandseinsätzen. Vor allem im letzten Quartal 2023 seien einige Verpflichtungen dazugekommen, wie der Einsatz im östlichen Mittelmeer und die Beteiligung an der Operation Prosperity Guardian. Der ehemalige Staatssekretär für die Streitkräfte, James Heappey, hatte eingeräumt, “dass die Streitkräfte des Vereinigten Königreichs in einem Umfang eingesetzt werden, der über das hinausgeht, wofür die Streitkräftestruktur ausgelegt ist”.
Zudem monieren die Autoren, dass die Regierung dem Parlament wichtige Informationen vorenthalte: “Es ist inakzeptabel, dass wir während eines Großteils dieser Untersuchung in unseren Versuchen behindert wurden, die Bereitschaft zu bewerten, durch mangelnde Transparenz der Regierung”, heißt es in dem Bericht.
Wichtige Informationen, die vor einem Jahrzehnt leicht zugänglich gewesen seien, würden aus unklaren Gründen nicht mehr veröffentlicht. Die Regierung hätte außerdem “übermäßig lange gebraucht”, um auf Informationsanfragen zu reagieren. Andere Nationen in ähnlicher Bedrohungslage würden ihrer Bevölkerung und ihren Parlamenten bedeutend mehr Informationen über ihre Einsatzbereitschaft bereitstellen. klm
Der Fall der lettischen Europa-Abgeordneten Tatjana Ždanoka, die Recherchen zufolge fast 20 Jahre für den russischen Geheimdienst FSB gearbeitet haben soll, könnte erst der Anfang sein, warnen baltische Europa-Abgeordnete. Konkrete Namen von weiteren Personen, die unter Verdacht stehen, wollten die sie nicht nennen, das sei Aufgabe der Geheimdienste. Die lettische EVP-Abgeordnete Sandra Kalniete rät allerdings, einen Blick auf das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten zu werfen, um erste Anhaltspunkte für ausländische Einflussnahme zu finden.
Spätestens seit dem historischen Bestechungsskandal um die griechische Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Eva Kaili im vergangenen Jahr, der unter dem Namen “Qatargate” bekannt wurde, ist die Anfälligkeit des Europäischen Parlaments für Korruption und ausländische Einflussnahme kein Geheimnis mehr. Während hier Staaten wie Marokko und Qatar im Mittelpunkt standen, rückt der Fall Ždanoka den Fokus nun auf russische Agenten in Brüssel.
Rasa Juknevičienė, ehemalige litauische Verteidigungsministerin, befürchtet, dass Belgiens Geheimdienste nicht in der Lage sind, ausländische Agenten in Brüssel zu identifizieren. Die große Anzahl an internationalen Organisationen und diplomatischen Vertretungen in der europäischen Hauptstadt macht die Stadt schon lange zum Einfallstor für ausländische Agenten. Juknevičienė betont, dass hier nicht nur Russland, sondern auch China, der Iran und die Türkei ihren Einfluss geltend machen. Russland gehe allerdings besonders systematisch vor.
Lettische Abgeordnete wollen Ždanoka schon seit einiger Zeit verdächtigt haben, für Moskau zu arbeiten. Konkrete Hinweise konnten aber erst durch journalistische Recherche geliefert werden, die ein Treffen mit russischen Offizieren und den Informationsaustausch mit Russland nachweisen soll.
Ždanoka selbst bestreitet die Vorwürfe. Fakt ist allerdings, dass die 73-jährige Lettin 2014 als “internationale Beobachterin” zu der international als Scheinreferendum eingeordneten Unabhängigkeitsabstimmung auf der Krim reiste und zuletzt als eine von nur 13 Abgeordneten gegen eine Resolution stimmte, die den Überfall Russlands auf die Ukraine verurteilte. Daraufhin schlossen die Greens/EFA-Fraktion sie aus ihrer Fraktion aus. Seither ist sie fraktionslos.
Das Europaparlament hatte vergangenen Montag eine Untersuchung gegen die Europa-Abgeordnete eingeleitet. Die Hoffnung ist, dass diese Untersuchung auch weitere Einblicke in die Strategie und das Ausmaß der russischen Einflussnahme in der EU liefert. Während sich der politische Einfluss von Akteuren wie Ždanoka in Brüssel selbst meist in Grenzen hält, spielen sie für die Moskaus Propaganda in russischen Staatsmedien eine wichtige Rolle. jb/wp
Foreign Affairs: How the European Continent can Prepare for American Abandonment. Das Risiko einer zweiten Präsidentschaft Trumps geht weit über ein potenzielles Zurückfahren des Engagements für die Ukraine und die europäische Sicherheit hinaus: Die Beziehung zwischen China und den USA könnte sich weiter verschlechtern, was auch europäische Unternehmen in Schwierigkeiten bringt. Außerdem ist Europa abhängig von den Fähigkeiten der Amerikaner bei fast allen satellitenbasierten Diensten.
Stiftung Wissenschaft Politik: Die Türkei auf dem Weg zum globalen Rüstungsexporteur. In der türkischen Rüstungspolitik ist eine neue Ära angebrochen. Für die Nato-Partner ergeben sich damit sicherheitspolitische Herausforderungen. Blockierte Lieferungen von Kampfflugzeugen an Ankara, sei es durch Washington oder Berlin, könnten die strategische Neuausrichtung der türkischen Rüstungspolitik noch weiter verstärken.
Spiegel: Wie Annalena Baerbock sich von ihrer Partei entfremdet. Im Ausland erfährt Annalena Baerbock viel Respekt, in der Heimat wächst die Kritik. Der Gazastreifen sei ihr jetzt näher als die Antragskommission oder das Parteiprogramm, so die Autoren. Die Entfremdung der Ministerin von ihrer eigenen Partei ist bemerkenswert – schließlich steht die Frage im Raum, wer 2025 Kanzlerkandidat wird.
The New Yorker: The Risks in Attacking the Houthis in Yemen. Die Huthi-Rebellen greifen seit November Schiffe im Roten Meer an, die Amerikaner und Briten bombardieren militärische Ziele im Jemen. Für die Huthis sei es ein Kampf um ihre Ehre, gegen den Satan aus den USA, sagt ein Huthi-Kämpfer. Das Stück schaut sich die lange Historie der Kämpfe im Jemen.
Eigentlich wollte Nils Gründer nach dem Abitur Offizier werden. Doch die Laufbahn in der Bundeswehr endete bereits 2016 beim Truppenarzt in München: Weil dieser ihn für untauglich befand, wurde aus der Karriere in Uniform nichts. Verbunden geblieben ist der 1997 in Nürnberg geborene FDP-Politiker der Bundeswehr trotzdem, seit 2022 auch als Mitglied des Verteidigungsausschusses – und durch regelmäßige Standortbesuche, unter anderem in der Major-Radloff-Kaserne in Weiden in der Oberpfalz.
Die Soldatinnen und Soldaten dort wüssten es sehr zu schätzen, wenn jemand wiederkomme, sagt Gründer: “Nachdem ich mich tagtäglich mit Verteidigung beschäftige, ist für mich der Blick in die Truppe, besonders direkt vor Ort, von großer Bedeutung.” Das zahle sich auch im Bundestag aus, wo er zur kleinen Zahl der unter 30 Jahre jungen Abgeordneten gehört.
Sicherlich sei das Alter in bestimmten Fragen ein verbindendes Element, so Gründer. “Eine WhatsApp-Gruppe U30 gibt es im Bundestag nicht, auch wenn das eigentlich ganz lustig wäre.” Ernst ist es ihm damit, das Wahlalter auf 16 zu senken, nicht nur, weil er der jüngste Abgeordnete der FDP-Fraktion ist. “Mit 16 kann man vielerorts bei Kommunal- oder Landtagswahlen mitentscheiden. Auch Bier trinken ist mit 16 erlaubt. Da frage ich mich: Warum trauen wir Menschen in diesem Alter nicht zu, mehr politische Verantwortung zu übernehmen?”
Der kollegiale Umgang mit Abgeordneten anderer Fraktionen habe ihn überrascht, als er 2022 für den bayerischen FDP-Abgeordneten Thomas Sattelberger in den Bundestag nachrückte. Inhaltlich verliefen die Überschneidungen dabei des Öfteren auch gegen die klassische Arithmetik von Koalition gegen Opposition oder der vermeintlich natürlichen ideologischen Nähe von Konservativen und Liberalen. “Kollegen von der CDU muss man schon auch mal deutlich machen, dass die FDP mehr ist als nur der Wirtschaftsflügel der Union.” Und Grünen-Abgeordneten, dass sie nicht über den Alleinvertretungsanspruch in Umweltfragen verfügten.
Bevor Gründer vor knapp zwei Jahren in den Bundestag nachrückte, hatte er als Account Manager einer PR-Agentur gearbeitet, im Anschluss an mehrere Jahre Studium von Politikwissenschaft, Betriebs- und Volkswirtschaft. Qualifiziertes Personal in die Truppe zu bringen, sieht er als die vielleicht wichtigste Aufgabe der Zeitenwende an: “Unsere Bundeswehr muss für junge Menschen attraktiver werden, auch für Frauen. Um Nachwuchs zu gewinnen, brauchen wir unbedingt neue Strategien und Anreize.” Markus Bickel