viel Zeit hat Olaf Scholz nicht, wenn er heute in der Generaldebatte der UN-Vollversammlung in New York das Wort ergreift. Nur 15 Minuten Redezeit stehen dem Bundeskanzler zu, und das, obwohl der zweitgrößte Geldgeber der Vereinten Nationen wirklich etwas zu feiern hat: Vor fünfzig Jahren traten Bundesrepublik und DDR den UN bei, im September 1973 als Mitglieder Nummer 133 und 134 der heute 193 Staaten starken Weltorganisation.
Noch kürzer bemessen ist die Redezeit des Kanzlers am Mittwoch, wenn der Sicherheitsrat über den Ukraine-Krieg berät: 3 Minuten und 20 Sekunden bleiben Scholz da nur – sicherlich nicht der beste Moment, um sein Zögern bei der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern näher zu erläutern, womöglich noch im Beisein von Wolodymyr Selenskyj und Sergej Lawrow. Dass die ukrainische Armee inzwischen Drohnen aus der Startup-Szene um München besitzt, hat Nana Brink in ihrer Analyse aufgeschrieben. Viktor Funk wirft einen Blick auf die Versorgungsengpässe, die die russische Rüstungsindustrie durch Sanktionen erleidet, etwa bei Halbleitern und Chips.
Zu guter Letzt kommen in diesem Security.Table zwei Stimmen zu Wort, die sich auf ganz unterschiedliche Art für den Abbau von Spannungen weltweit einsetzen: Renata Alt (FDP), Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, hat Lisa-Martina Klein erzählt, wie sie auf die Sanktionsliste des Irans geriet, wo die Proteste gegen das Regime auch ein Jahr nach dem Tod der Kurdin Mahsa Amini weitergehen. Linken-Altstar Gregor Gysi sagt im Interview, warum aus seiner Sicht nicht der Sozialdemokrat Scholz, sondern der Sozialist Lula da Silva der richtige für Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine sei.
Ukrainische Drohnen in Gestalt von unbemannten U-Booten haben die russische Schwarzmeerflotte vergangene Woche an einer empfindlichen Stelle getroffen. “Wir können jetzt sagen, dass die Schiffe höchstwahrscheinlich nicht mehr zu reparieren sind”, erklärte ein Sprecher des ukrainischen Militärgeheimdienstes nach dem Angriff auf Kriegsschiffe in einer Werft in Sewastopol. Auch wenn das Verteidigungsministerium in Moskau meldete, die ukrainischen See-Drohnen seien zerstört worden, sprach Kiew von einem Erfolg. Ein Beweis mehr für die Effektivität der ukrainischen “Army of Drones”.
Als erstes Land weltweit hat die Ukraine im vergangenen Jahr 60 eigene Drohnen-Staffeln in ihre Armee integriert. Laut einer Studie des European Council on Foreign Relations (ECFR) sind in der Ukraine “Hunderte verschiedene Drohnensysteme im Einsatz, ein Durcheinander von kommerziellen, Hobby-, militärischen und anderen Systemen, die von Soldaten, Freiwilligen und Zivilisten geflogen werden”. Das Erfolgsrezept der “Army of Drones” liege demnach in der Fähigkeit der ukrainischen Streitkräfte, diese unterschiedlichen Systeme koordiniert für “drei wesentliche Ziele einzusetzen: Überwachung und Aufklärung, Propaganda, Angriffe und Angriffs-Koordination”.
Die Bandbreite der Drohnen-Typen (siehe Grafik) reicht von der türkischen Kampfdrohne Bayraktar TB2 mit einer Spannweite von 12 Metern über die amerikanische, 2,5 Kilogramm schwere Switchblade bis zum R18 Oktokopter mit acht Rotoren. Letztere stammt aus ukrainischer Produktion und wurde bereits nach der russischen Annexion der Krim 2014 von einer Freiwilligen-Einheit namens Aerorozvidka entwickelt. Der R18 ist ein typisches Beispiel für die schnelle Adaptionsfähigkeit der ukrainischen Kriegswirtschaft. Die Drohnen mit acht Propellern sind simpel konstruiert, leicht zu warten, und die Ausbildung der Piloten dauert nur rund zwei Wochen.
Ihr Einsatz gegen gegnerische Fahrzeuge und Munitionsdepots gilt als äußert effektiv. Oder wie ein Ingenieur von Aerorozvidka erklärte: “Wir haben ausgerechnet, dass ein Dollar, den wir in die Produktion einer R18-Drohne investiert haben, dem Feind einen Schaden von 1000 Dollar zugefügt hat. Wenn eine Drohne einen Panzer trifft, hat sie in einem Flug ihre Produktion schon bezahlt”.
Als sehr erfolgreich im Einsatz gelten auch kleine zivile Drohnen aus chinesischer Produktion. Diese sogenannten First-Person-View Drohnen (FPV) werden von einem Piloten mittels einer Videobrille gesteuert. Als “Kamikaze”-Drohnen werden sie ähnlich wie der R18 eingesetzt und kommen auch in anderen kriegerischen Konflikten zum Einsatz.
Mehr als 200 ukrainische Firmen produzieren mittlerweile Drohnen. Yurii Shchyhol, der Leiter des ukrainischen Staatsdienstes für Sonderkommunikation und Informationsschutz, erklärte bei dem Kurzmitteilungsdienst X Ende August: “Die Ukraine plant, bis zum Ende des Jahres 200.000 Kampfdrohnen produziert oder gekauft zu haben”.
Grundlage für den Boom der ukrainischen Drohnen-Industrie sind zu einem großen Teil ausländische Spenden und Investitionen, wie Ulrike Franke, eine der Autorinnen der ECFR-Studie, erklärt: “Ein wirklich relevanter Teil an Kriegsgerät wird von Privatmenschen gekauft, entwickelt und geschickt. Das haben wir so noch nicht gesehen in der Vergangenheit.” Im Zentrum dieser Aktivitäten steht der ukrainische Digitalminister Mykhailo Federov. Der 32-Jährige gilt als Spin-Doktor der ukrainischen Drohnen-Industrie. Die von ihm initiierte Plattform “Brave 1” verbindet ausländische Investoren mit einheimischen Tech-Start-ups. In einem Beitrag für den amerikanischen Think Tank Atlantic Council nannte er die Zahl von 400 Projekten, von denen bereits die Hälfte “vom Militär getestet” worden sei.
Für Drohnen-Expertin Ulrike Franke keine Überraschung: “Ich erwarte tatsächlich, wenn dieser Krieg vorbei ist, dass die Ukraine ein sehr relevanter Produzent von Drohnen wird. Denn man darf nicht vernachlässigen, wie wichtig es für Militärtechnologie ist, wenn man sagen kann, die ist kampferprobt”.
Auch deutsche Firmen sind auf dem Drohnen-Testfeld in der Ukraine aktiv. Viele von ihnen kommen aus der Start-up-Szene rund um München. Die Quantums Systems GmbH mit Sitz in Gilching baut zivile und militärische Überwachungsdrohnen, deren Spezialität Gefechtsfeldaufklärung mittels KI ist. Bereits im April 2022 lieferte das Start-up Drohnen vom Typ Vector, insgesamt 138. Sie wurden zum Teil privat finanziert; 104 hat die Bundesregierung bereits bezahlt. Wie das Unternehmen Ende Mai mitteilte, hat das ukrainische Verteidigungsministerium weitere 300 bestellt, deren Finanzierung von der Bundesregierung übernommen wird. Kosten pro Stück: 180.000 Euro (Stand 2022). Vector werde “auf dem ukrainischen Schlachtfeld intensiv genutzt und getestet”.
Das vor drei Jahren gegründete KI-Verteidigungsunternehmen Helsing GmbH, auch im Raum München ansässig, arbeitet ebenfalls mit der Ukraine zusammen. Das Start-up ist Teil eines Konsortiums, das die KI-Infrastruktur für das Future Combat Air System bereitstellen soll. Helsing entwickelt unter anderem Software-Lösungen, die von Drohnen überlieferte Echtzeitbilder auswerten. Wie das Unternehmen bestätigte, arbeiten Mitarbeiter vor Ort “kontinuierlich” mit den ukrainischen Streitkräften zusammen.
Im gegenseitigen Interesse, wie der ukrainische Kommunikationschef Yurii Shchyhol, in einem Interview mit dem Online-Medium The Record betonte: “Die Investitionen unserer Partner dienen nicht nur der Verteidigung der Ukraine, sondern auch ihren eigenen Interessen. Während unsere Partner uns ihre Technologie zur Verfügung stellen, profitieren sie von unserer Erfahrung, die sie vorher nicht hatten”.
Herr Pardo, nach den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Marokko könnte sich bald auch Saudi-Arabien den sogenannten Abraham Accords anschließen. Wie eng sind die Beziehungen zwischen Israel und dem Königshaus in Riad schon heute?
Unter dem Tisch unterhalten wir Beziehungen zu Saudi-Arabien, die sich aus gegenseitigen Sicherheitsinteressen ergeben. Um die israelisch-saudischen Beziehungen zu verbessern, muss man aber Bedeutsameres tun, doch dazu ist Israel leider nicht bereit.
Was ist der Preis, den das Königshaus in Riad für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel verlangt?
Die Saudis wollen einen vollständigen Nuklearkreislauf einschließlich Urananreicherung erreichen. Aufgrund meiner Erfahrung und meines Wissens bin ich dagegen, verstehe aber, dass Israel in diesen Szenarien eine untergeordnete Rolle spielt: Ich bin mir nicht sicher, ob wir in der Frage der Urananreicherung ein Mitspracherecht haben.
Der Iran strebt schon länger als Saudi-Arabien nach Atomwaffen.
Wenn der Iran Atomwaffen herstellt, stellt dies eine große Gefahr nicht nur für Israel und den Nahen Osten, sondern für die ganze Welt dar. Ein nuklear bewaffneter Iran wird auch die Kontrolle über die riesigen Öl- und Gasvorkommen seiner Nachbarn am Persischen Golf, wie die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien, übernehmen. Die Welt muss ihre Augen öffnen und den Iran beobachten
Was ist der Grund, warum nun auch Saudi-Arabien ein Atomprogramm will?
Es besteht kein Zweifel, dass in dem Maße, in dem der Iran auf dem Weg zu Atomwaffen voranschreitet, mehr Nationen im Nahen Osten daran interessiert sein werden, ähnliche nukleare Fähigkeiten zu erlangen. Am Ende wird sich die Region in einem gefährlichen nuklearen Wettlauf befinden, der zur Zerstörung der Welt führen kann.
Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass Saudi-Arabien der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel in einem Abkommen zustimmt?
Sollten die saudisch-amerikanischen Verhandlungen bis Februar, März 2024 nicht abgeschlossen sein, schätze ich die Chance auf ein solches Abkommen als sehr gering ein, da sich die USA mitten im Wahlkampfgetümmel befinden werden.
Was neben der Atomfrage behindert die Verhandlungen zu einem saudisch-israelischen Friedensschluss?
Die Palästinenserfrage.
Inwiefern?
Der Konflikt muss auf eine Weise gelöst werden, die den gegenseitigen Respekt gewährleistet.
Das Gegenteil ist der Fall – so viele Tote wie in den vergangenen Monaten gab es im besetzten Westjordanland seit Ende der Zweiten Intifada 2005 nicht mehr.
Das ist wahr. Zu meinem Bedauern sehen wir uns außerdem vermehrt palästinensischen Terroranschlägen ausgesetzt. Wie jedes andere Volk wollen die Palästinenser frei sein. Der Widerstand gegen die israelische Besatzung ist der Auslöser für Gewalt und Terrorakte einer kleinen Minderheit von radikalen jüdischen Extremisten. Die Lösung muss auf diplomatischem und politischem Wege und nicht mit Gewalt herbeigeführt werden. Leider glaubt unsere Regierung, dass der Terror durch den Einsatz von mehr militärischer Gewalt besiegt werden kann.
Seit Anfang des Jahres demonstrieren Woche für Woche Hunderttausende Israelis gegen die Regierung Benjamin Netanjahus. Wie groß ist die Gefahr, die sein Kabinett aus konservativen und rechtsextremen Ministern für Israel darstellt?
Israel kann auf Dauer nur sicher sein und überleben, wenn es jüdisch und demokratisch bleibt. Wenn Israel nur noch ein jüdischer, theokratischer Staat ist, wird es nicht mehr demokratisch sein. Wenn es aufhört, demokratisch zu sein, verdient es nicht, zu existieren
Sie haben Teile der Regierung mit dem Ku Klux Klan vergleichen.
In der Regierung gibt es rassistische und faschistische Parteien. Als ich den Ku Klux Klan erwähnt habe, habe ich ihnen einen Gefallen getan.
Sie meinen den Minister für nationale Sicherheit Itamar Ben Gvir und den Finanzminister Betzalel Smotrich?
Ja, und alle ihre Unterstützer.
Zählen Sie dazu auch Netanjahu?
Er ist das eigentliche Problem. Er ist der Premierminister. Er ist der Premierminister und trägt somit die letzte Verantwortung. Ich kenne Netanjahu seit vielen Jahren. Er war nicht so. Aber er hat sich geändert. Wenn er ihnen Jobs und Ministerien gibt und mit ihnen in der gleichen Regierung sitzt. Selbst wenn man kein Rassist und Faschist ist, ist man in dem Moment, in dem man mit ihnen zusammensitzt und kooperiert, ein Teil von ihnen.
Sind Sie pessimistisch, was die weitere Entwicklung Ihres Landes anbelangt?
Als Chef des Mossad musste ich ein Optimist sein. Ich bin inspiriert von der Protestbewegung, in der Millionen von Israelis, die als hedonistisch, verwöhnt und apathisch beschrieben wurden, aufgestanden sind und beschlossen haben, sich den Plänen der Regierung zu widersetzen. Ich bin siebzig Jahre alt und habe meinem Land 43 Jahre lang gedient. Ich habe Kinder und Enkelkinder. Israel kämpft um seine Seele. Ich habe keine andere Wahl, als Optimist zu sein.
Tamir Pardo (70) war zwischen 2010 und 2015 Direktor des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad. Als Angehöriger einer Spezialeinheit der israelischen Armee war er im Juli 1976 an der Operation zur Beendigung der Entführung eines französischen Passagierflugzeugs im ugandischen Entebbe beteiligt, bei der der ältere Bruder des heutigen israelischen Ministerpräsidenten, Yonatan Netanjahu, ums Leben kam. 2014 kam Pardo im saudi-arabischen Dschidda israelischen Medienberichten zufolge zu einem geheimen Treffen mit seinem saudischen Countepart, Prinz Bandar Bin Sultan, zusammen.
Das Gespräch mit Tamir Pardo führte Yossi Melman.
Westliche Sanktionen wirken so stark auf die russische Rüstungsindustrie, dass deren Unternehmen reihenweise Lieferverträge platzen lassen. Eine neue Datenrecherche der im Exil erscheinenden russischen Zeitung “Novaya Gazeta Europe” zeigt nun: Bereits die 2014 implementierten Strafen gegen Russland haben zu großen Problemen in der Branche geführt. Das zeigt sich in mehr als 400 juristischen Verfahren gegen Verantwortliche in der Rüstungsindustrie, die die Zeitung ausgewertet hat. Die Zahl der Verfahren steigt seit der Invasion der Ukraine 2022 rasch an.
Vor allem fehlen Halbleiter, Chips und Präzisionswerkzeuge aus dem Westen. Hinzu kommen hausgemachte Probleme: Korruption und fehlendes Personal. Wie bereits früher im Security.Table berichtet, gelingt es den russischen Herstellern auch nicht, Panzerstahl von nötiger Qualität und Quantität herzustellen, weil entsprechende Stahlschmelzverfahren im Land kaum vorhanden sind. Laut der russischen Wirtschaftszeitung Kommersant erschwert nun sogar auch China den Import von Teilen für Drohnen nach Russland, wie etwa Wärmebildkameras. Allerdings hätten russische Händler Vorräte angehäuft. Künftig will China außerdem eine Zusage, dass die Drohnen nicht für militärische Ziele verwendet werden.
Am stärksten wirken sich die Sanktionen auf die Flugzeugbranche, den Schiffsbau, Satellitenhersteller, Panzerfabriken und Reparaturbetriebe aus. Auf die Probleme reagiert die russische Führung mit Druck und Strafandrohungen. Das und die Ausweitung von Arbeitszeiten auf je sechs Tage die Woche mit bis zu elf Stunden Arbeitszeit führt zu weiterer Abwanderung von Arbeitskräften – trotz sehr hoher Löhne und hoher Budgets, die der Staat der Branche zukommen lässt. Manch ein Zulieferbetrieb setzt nun Häftlinge ein, um fehlende Arbeitskräfte zu ersetzen.
Insbesondere die USA verschärfen nun noch einmal die Sanktionen und gehen gegen Unternehmen unter anderem in der Türkei, in Finnland, Frankreich und Estland vor. Über sie konnte Russland Chips und andere elektronische Teile beziehen. Das britische Verteidigungsministerium geht trotz allem davon aus, dass Russland für den kommenden Winter gezielt einen Raketenvorrat aufgebaut hat, um wieder kritische Infrastruktur in der Ukraine angreifen zu können. vf
Der seit 2015 laufende Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten an der multinationalen Operation Counter DAESH/Capacity Building Iraq (Anti-IS-Einsatz) im Irak soll nach dem Wunsch der Bundesregierung um ein weiteres Jahr verlängert werden. Ein entsprechender Kabinettsbeschluss liegt dem Bundestag vor; mit der namentlichen Abstimmung wird in der Sitzung vom 20. Oktober gerechnet, das Mandat im Rahmen der Operation Inherent Resolve (OIR) läuft am 31. Oktober aus. Da die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ihre Angriffe im Nordirak und Syrien zuletzt verstärkte, sollen sich bis zu 500 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr auch künftig an dem Einsatz beteiligen.
Neben der Verlängerung der Anti-IS-Operation steht die Ausweitung des Nato-Einsatzes zur Unterstützung irakischer Sicherheitskräfte (Nato Mission Iraq (NMI) bevor. Auch daran sind deutsche Soldatinnen und Soldaten beteiligt. Wie die Anti-IS-Operation soll der seit 2018 laufende Einsatz das Wiedererstarken der Dschihadistenmiliz verhindern. Dazu wurden bislang irakische Militärausbilder geschult. Die Bundeswehr-Soldaten in der Nato-Mission waren zuletzt vor allem als Berater an einer Panzertruppenschule in Bagdad eingesetzt. Mit dem bodengebundenen Luftraumüberwachungsradar auf der Al Asad Airbase trägt die Bundeswehr zudem zur Erstellung des Luftlagebilds der Koalition bei.
Innerhalb der Nato finden offenbar Überlegungen statt, die Aktivitäten von NMI künftig auch auf das irakische Innenministerium auszuweiten. Eine Zusammenlegung des Counter-Daesh-Mandats mit dem der Nato ist zur Zeit aber nicht geplant.
Das Mandat für die Bundeswehr umfasst Unterstützung beim Lufttransport und bei der Luftbetankung von Flugzeugen. Bbis zur Befreiung des von IS-Kämpfern besetzten Territoriums 2017 bestand die Ausbildung vor allem in klassischen Anti-Terror-Trainings, vor allem für die kurdischen Peschmerga-Kämpfer im Nordirak. Mittlerweile ist die Bundeswehr auch in Bagdad aktiv und berät dort die Führungsebene der irakischen Armee. Birgit Svensson, Bagdad
Die durch Putsche an die Macht gelangten Regierungen der westafrikanischen Staaten Mali, Niger und Burkina Faso haben sich zu einem Verteidigungsbündnis zusammengeschlossen. Ziel der sogenannten Allianz der Sahel-Staaten sei «die Schaffung einer Architektur der kollektiven Verteidigung und der gegenseitigen Unterstützung der Vertragsparteien», heißt es in einer Charta, die von Ministern der drei Staaten am Wochenende in Malis Hauptstadt Bamako vorgestellt wurde.
Malis Übergangspräsident, Oberst Assimi Goïta, Burkina Fasos Interimsmachthaber, Kapitän Ibrahim Traoré, und Nigers Juntachef, General Abdourahamane Tiani verbindet, dass sie durch Militärputsche an die Macht gelangten – in Mali 2021, in Burkina Faso 2022 und im Niger diesen Juli. Die drei Staaten waren gemeinsam mit Mauretanien und dem Tschad zuvor bereits in dem von Frankreich angestoßenen Bündnis G5 Sahel zur Anti-Terror-Bekämpfung zusammengeschlossen.
Nach dem Putsch gegen Nigers Präsident Mohamed Bazoum im Juli in Niamey hatten sich Mali und Burkina Faso an die Seite General Tianis gestellt, der den Drohungen der westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas gegen die Militärjunta trotzte. Malis Übergangspräsident Goïta fordert den Abzug der rund 12 000 UN-Blauhelmsoldaten, die seit mehr als zehn Jahren im Rahmen der UN-Stabilisierungsmission Minusma im Land sind. Im Zuge des Abzugs aus Mali bis Jahresende kommt es bereits jetzt zu mehr Angriffen von Dschihadisten. Zudem kam es zuletzt zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Armee, Einheiten der russischen Söldnergruppe Wagner und Angehörigen der Tuareg.
In der Charta der sogenannten Sahel-Allianz verpflichten sich die Staaten, Terrorismus und organisierte Kriminalität zu bekämpfen. «Jede Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität einer oder mehrerer Vertragsparteien wird als Aggression gegen die anderen Vertragsparteien angesehen und verpflichtet alle Vertragsparteien zu Beistand und Abhilfe … einschließlich der Anwendung von Waffengewalt», heißt es darin. dpa
ZEIT ONLINE: Die Welt wird weniger sicher – die Waffenbauer profitieren davon: Hauke Friederichs’ Reportage von der größten Rüstungsmesse Europas in London beleuchtet einen klaren Trend: Wegen Russlands Angriffskrieg und Chinas Aufrüstung sind Panzer, Raketen und Drohnen so gefragt wie nie zuvor.
IPPNW Report – Die katastrophalen Folgen der Atomtests. Der 76-seitige Report der International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) beleuchtet die Folgen von über- und unterirdischen Atomtests in Algerien, den USA, Russland und im Zentralpazifik. Die in den 1950er Jahren begonnenen Versuche belasten die Umwelt bis heute schwer und kosteten Hunderttausende Menschen das Leben. Der Report zeigt zudem, wie schwierig es für die Opfer ist, an Entschädigung zu kommen.
Podcast: “Russen üben Nuklearangriff aufs Kanzleramt” – Das Scholz-Update: Der Journalist Stephan Lamby begleitete zwei Jahre lang Vertreter der Bundesregierung. Im Podcast erzählt er bislang Unbekanntes über die Recherchen zu seinem Buch- und Filmprojekt “Ernstfall – Regieren am Limit“. Zum Beispiel, dass Russland vor dem Angriff auf die Ukraine bereits bei einem Manöver in der Ostsee Ziele in Deutschland im Visier hatte (42 Minuten).
Die Rosengärten im Shiraz und Qamsar im Iran wird Renata Alt (FDP) nicht so bald sehen. Als eine von drei Deutschen steht sie – schon seit Februar 2022 – auf der Sanktionsliste des Landes. Zu kritisch sind ihre Worte gegen das Regime in Teheran, die Unterdrückung der Frauen und die willkürliche Bestrafung von Oppositionellen.
Als Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Bundestags ist es Alts Aufgabe, zu kritisieren, wo Menschenrechte verletzt werden. Darüber hinaus setzt sie sich dafür ein, dass die Opfer nicht in Vergessenheit geraten. Aber vor allem sieht sie es als ihre Aufgabe, den Gesprächsfaden nie abreißen zu lassen, auch nicht mit schwierigen Partnern. Das gelte auch für Länder wie den Iran oder Russland. Im Falle Russlands müsse es nicht direkt um territoriale Fragen gehen. “Gespräche sind auf jeder Ebene wichtig, zum Beispiel auch zum Austausch Gefangener”, sagt Alt.
Politisches Gespür hatte sie schon lange vor ihrer Ausbildung für den diplomatischen Dienst Anfang der 1990er-Jahre. Geboren 1965, wuchs sie im tschechoslowakischen Grenzort Skalica unter kommunistischer Herrschaft auf. Früh entdeckte sie ihre Begabung für Sprachen und Forschung, zu Hause diskutierte die Familie viel über Politik. Ihre Eltern brachten ihr bei, dass sie “draußen” nicht alles sagen konnte, was “drinnen” besprochen wurde.
Ihre Leidenschaften Forschung und Politik verband sie später geschickt. Sie studierte Lebensmittelchemie und Biotechnologie in Bratislava, orientierte sich dann um in Richtung Außenhandel in der Maschinen- und Lebensmittelindustrie. “1987 habe ich gespürt, dass sich das politische System ändern wird, dass sich Grenzen öffnen und der Außenhandel und die Außenpolitik sehr relevant werden”, sagt Alt.
Sie behielt recht. Das Angebot des tschechoslowakischen Außenhandelsministeriums, im nach der Samtenen Revolution neu geschaffenen diplomatischen Dienst zu arbeiten, nahm sie sofort an. Bereits 1992 ging sie für das Ministerium nach München und baute nachhaltige Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Ländern auf. Die Liebe zu ihrem Mann zog sie später nach Baden-Württemberg, “und meine Liebe zur Freiheit und Demokratie brachte mich dann 2009 zur FDP”, sagt sie. Seit 2017 sitzt sie im Bundestag und vertritt dort den Wahlkreis Kirchheim/Teck.
Von der Ausbildung im diplomatischen Dienst profitiert sie bis heute, in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, in der sie Mitglied ist, und als Kämpferin für Menschenrechte im Sudan, Iran oder Bergkarabach. “Ich versuche, Gesprächsmöglichkeiten zu nutzen, bevor es zu spät ist, hinzuschauen, auch wenn das Land vielleicht gerade nicht im internationalen Fokus steht. Im Moment sind das bei mir Marokko und Ägypten. Da gibt es noch eine Chance, durch Gespräche Positives bewirken.”
So war sie auch als einzige Bundestagsabgeordnete bei beiden Wahlgängen der diesjährigen Präsidentschaftswahl in der Türkei als Beobachterin präsent und setzte sich im Vatikan für die weitere Aufarbeitung der Missbrauchsvorfälle in der katholischen Kirche ein.
Die im ehemaligen Ostblock selbst erlebten Menschenrechtsverletzungen und die politischen Gespräche zu Hause am Küchentisch mit ihren Eltern: Für Alt ist die ständige Auseinandersetzung mit schweren Themen normal. “Aber vor allem ist es meine Pflicht, Klartext zu sprechen, wenn Menschenrechte verletzt werden.” Lisa-Martina Klein
Wenn der Auswärtige Ausschuss am morgigen Mittwoch zu seiner 45. Sitzung in dieser Legislaturperiode zusammenkommt, wird eines seiner prominentesten Gesichter fehlen: Gregor Gysi. “In Zukunft werden Sie die Freude haben, Ihrer Arbeit ohne mich nachgehen zu können”, hatte der frühere Linken-Parteichef vergangene Woche in der Haushaltsdebatte des Bundestags verkündet. Zur Überraschung auch manch eines seiner Kollegen aus der Linken-Bundestagsfraktion.
Zwar hatte Gysi die Fraktionsführung über seinen Schritt unterrichtet, künftig weder als außenpolitischer Sprecher noch als zweiter Ausschussvertreter neben der Linken-Obfrau Sevim Dagdelen zur Verfügung zu stehen. Doch weder Dietmar Bartsch noch Amira Mohammed Ali passt offenbar Gysis Personalvorschlag für seine Nachfolge: Caren Lay gehört dem progressiven Teil von Partei und Fraktion an, der sich der Russland-freundlichen Linie widersetzt, die Gefolgsleute von Sahra Wagenknecht wie Ali oder Dagdelen verfolgen.
Gegenüber Table.Media sagte Gysi, dass es innerhalb der Linken zwar Politiker gebe, “die den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine verurteilen”. Doch folge dahinter in der Regel entweder “ein kleines Aber oder ein mittleres oder ein ganz großes Aber”. Auch die Nähe etlicher Genossen zu anderen autokratischen Regimen wie Venezuela oder Syrien kritisierte Gysi: Demokratische Sozialisten müssten “immer an der ersten Stelle für demokratische Staaten sein und nicht für autoritäre”. Bei allem Verständnis für die Gefühle älterer Genossen für die ehemalige Sowjetunion müsste mancher “mal sein Herz zum Schweigen bringen und den Verstand einschalten”.
Mit Blick auf die “Pattsituation” in der Ukraine forderte Gysi die Nato auf, nach Rücksprache mit der ukrainischen Regierung Russland einen Waffenstillstand anzubieten – verbunden mit dem Angebot, bei einer Annahme durch Wladimir Putin auf Waffenlieferungen seitens des Westens an Kiew zu verzichten. Zudem müssten Staaten wie Brasilien oder Südafrika ihre neutrale Position für Friedensverhandlungen stärker in die Waagschale werfen. Das sei auch angesichts der bevorstehenden Erweiterung des BRICS-Bündnisses um sechs neue Mitglieder 2024 richtig, vertrete dieses künftig doch “mehr als die Hälfte der Menschheit”.
Gysi will sich in einer noch zu gründenden Enquete-Kommission des Bundestags zur Untersuchung der Corona-Pandemie engagieren. Der Rückzug von seinen außenpolitischen Ämtern dürfte die Spaltung der Linken weiter beschleunigen. “Was wir lernen müssen, ist, Politik realistisch zu betreiben und uns nicht an irgendwelchen Nebensächlichkeiten festzuhalten”, sagte Gysi gegenüber Table.Media. Der von Wagenknecht geplanten Gründung einer Konkurrenzpartei räumte er zwar gewisse Erfolgsaussichten bei der Europawahl und den Landtagswahlen in Ostdeutschland im kommenden Jahr ein. “Ich behaupte aber, dass Sie 2025 bei der Bundestagswahl keine Chance haben.” Sollte es tatsächlich dazu kommen, “entsteht bei mir dann doch wieder ein gewisser neuer Kampfgeist”. mrb
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!
viel Zeit hat Olaf Scholz nicht, wenn er heute in der Generaldebatte der UN-Vollversammlung in New York das Wort ergreift. Nur 15 Minuten Redezeit stehen dem Bundeskanzler zu, und das, obwohl der zweitgrößte Geldgeber der Vereinten Nationen wirklich etwas zu feiern hat: Vor fünfzig Jahren traten Bundesrepublik und DDR den UN bei, im September 1973 als Mitglieder Nummer 133 und 134 der heute 193 Staaten starken Weltorganisation.
Noch kürzer bemessen ist die Redezeit des Kanzlers am Mittwoch, wenn der Sicherheitsrat über den Ukraine-Krieg berät: 3 Minuten und 20 Sekunden bleiben Scholz da nur – sicherlich nicht der beste Moment, um sein Zögern bei der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern näher zu erläutern, womöglich noch im Beisein von Wolodymyr Selenskyj und Sergej Lawrow. Dass die ukrainische Armee inzwischen Drohnen aus der Startup-Szene um München besitzt, hat Nana Brink in ihrer Analyse aufgeschrieben. Viktor Funk wirft einen Blick auf die Versorgungsengpässe, die die russische Rüstungsindustrie durch Sanktionen erleidet, etwa bei Halbleitern und Chips.
Zu guter Letzt kommen in diesem Security.Table zwei Stimmen zu Wort, die sich auf ganz unterschiedliche Art für den Abbau von Spannungen weltweit einsetzen: Renata Alt (FDP), Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, hat Lisa-Martina Klein erzählt, wie sie auf die Sanktionsliste des Irans geriet, wo die Proteste gegen das Regime auch ein Jahr nach dem Tod der Kurdin Mahsa Amini weitergehen. Linken-Altstar Gregor Gysi sagt im Interview, warum aus seiner Sicht nicht der Sozialdemokrat Scholz, sondern der Sozialist Lula da Silva der richtige für Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine sei.
Ukrainische Drohnen in Gestalt von unbemannten U-Booten haben die russische Schwarzmeerflotte vergangene Woche an einer empfindlichen Stelle getroffen. “Wir können jetzt sagen, dass die Schiffe höchstwahrscheinlich nicht mehr zu reparieren sind”, erklärte ein Sprecher des ukrainischen Militärgeheimdienstes nach dem Angriff auf Kriegsschiffe in einer Werft in Sewastopol. Auch wenn das Verteidigungsministerium in Moskau meldete, die ukrainischen See-Drohnen seien zerstört worden, sprach Kiew von einem Erfolg. Ein Beweis mehr für die Effektivität der ukrainischen “Army of Drones”.
Als erstes Land weltweit hat die Ukraine im vergangenen Jahr 60 eigene Drohnen-Staffeln in ihre Armee integriert. Laut einer Studie des European Council on Foreign Relations (ECFR) sind in der Ukraine “Hunderte verschiedene Drohnensysteme im Einsatz, ein Durcheinander von kommerziellen, Hobby-, militärischen und anderen Systemen, die von Soldaten, Freiwilligen und Zivilisten geflogen werden”. Das Erfolgsrezept der “Army of Drones” liege demnach in der Fähigkeit der ukrainischen Streitkräfte, diese unterschiedlichen Systeme koordiniert für “drei wesentliche Ziele einzusetzen: Überwachung und Aufklärung, Propaganda, Angriffe und Angriffs-Koordination”.
Die Bandbreite der Drohnen-Typen (siehe Grafik) reicht von der türkischen Kampfdrohne Bayraktar TB2 mit einer Spannweite von 12 Metern über die amerikanische, 2,5 Kilogramm schwere Switchblade bis zum R18 Oktokopter mit acht Rotoren. Letztere stammt aus ukrainischer Produktion und wurde bereits nach der russischen Annexion der Krim 2014 von einer Freiwilligen-Einheit namens Aerorozvidka entwickelt. Der R18 ist ein typisches Beispiel für die schnelle Adaptionsfähigkeit der ukrainischen Kriegswirtschaft. Die Drohnen mit acht Propellern sind simpel konstruiert, leicht zu warten, und die Ausbildung der Piloten dauert nur rund zwei Wochen.
Ihr Einsatz gegen gegnerische Fahrzeuge und Munitionsdepots gilt als äußert effektiv. Oder wie ein Ingenieur von Aerorozvidka erklärte: “Wir haben ausgerechnet, dass ein Dollar, den wir in die Produktion einer R18-Drohne investiert haben, dem Feind einen Schaden von 1000 Dollar zugefügt hat. Wenn eine Drohne einen Panzer trifft, hat sie in einem Flug ihre Produktion schon bezahlt”.
Als sehr erfolgreich im Einsatz gelten auch kleine zivile Drohnen aus chinesischer Produktion. Diese sogenannten First-Person-View Drohnen (FPV) werden von einem Piloten mittels einer Videobrille gesteuert. Als “Kamikaze”-Drohnen werden sie ähnlich wie der R18 eingesetzt und kommen auch in anderen kriegerischen Konflikten zum Einsatz.
Mehr als 200 ukrainische Firmen produzieren mittlerweile Drohnen. Yurii Shchyhol, der Leiter des ukrainischen Staatsdienstes für Sonderkommunikation und Informationsschutz, erklärte bei dem Kurzmitteilungsdienst X Ende August: “Die Ukraine plant, bis zum Ende des Jahres 200.000 Kampfdrohnen produziert oder gekauft zu haben”.
Grundlage für den Boom der ukrainischen Drohnen-Industrie sind zu einem großen Teil ausländische Spenden und Investitionen, wie Ulrike Franke, eine der Autorinnen der ECFR-Studie, erklärt: “Ein wirklich relevanter Teil an Kriegsgerät wird von Privatmenschen gekauft, entwickelt und geschickt. Das haben wir so noch nicht gesehen in der Vergangenheit.” Im Zentrum dieser Aktivitäten steht der ukrainische Digitalminister Mykhailo Federov. Der 32-Jährige gilt als Spin-Doktor der ukrainischen Drohnen-Industrie. Die von ihm initiierte Plattform “Brave 1” verbindet ausländische Investoren mit einheimischen Tech-Start-ups. In einem Beitrag für den amerikanischen Think Tank Atlantic Council nannte er die Zahl von 400 Projekten, von denen bereits die Hälfte “vom Militär getestet” worden sei.
Für Drohnen-Expertin Ulrike Franke keine Überraschung: “Ich erwarte tatsächlich, wenn dieser Krieg vorbei ist, dass die Ukraine ein sehr relevanter Produzent von Drohnen wird. Denn man darf nicht vernachlässigen, wie wichtig es für Militärtechnologie ist, wenn man sagen kann, die ist kampferprobt”.
Auch deutsche Firmen sind auf dem Drohnen-Testfeld in der Ukraine aktiv. Viele von ihnen kommen aus der Start-up-Szene rund um München. Die Quantums Systems GmbH mit Sitz in Gilching baut zivile und militärische Überwachungsdrohnen, deren Spezialität Gefechtsfeldaufklärung mittels KI ist. Bereits im April 2022 lieferte das Start-up Drohnen vom Typ Vector, insgesamt 138. Sie wurden zum Teil privat finanziert; 104 hat die Bundesregierung bereits bezahlt. Wie das Unternehmen Ende Mai mitteilte, hat das ukrainische Verteidigungsministerium weitere 300 bestellt, deren Finanzierung von der Bundesregierung übernommen wird. Kosten pro Stück: 180.000 Euro (Stand 2022). Vector werde “auf dem ukrainischen Schlachtfeld intensiv genutzt und getestet”.
Das vor drei Jahren gegründete KI-Verteidigungsunternehmen Helsing GmbH, auch im Raum München ansässig, arbeitet ebenfalls mit der Ukraine zusammen. Das Start-up ist Teil eines Konsortiums, das die KI-Infrastruktur für das Future Combat Air System bereitstellen soll. Helsing entwickelt unter anderem Software-Lösungen, die von Drohnen überlieferte Echtzeitbilder auswerten. Wie das Unternehmen bestätigte, arbeiten Mitarbeiter vor Ort “kontinuierlich” mit den ukrainischen Streitkräften zusammen.
Im gegenseitigen Interesse, wie der ukrainische Kommunikationschef Yurii Shchyhol, in einem Interview mit dem Online-Medium The Record betonte: “Die Investitionen unserer Partner dienen nicht nur der Verteidigung der Ukraine, sondern auch ihren eigenen Interessen. Während unsere Partner uns ihre Technologie zur Verfügung stellen, profitieren sie von unserer Erfahrung, die sie vorher nicht hatten”.
Herr Pardo, nach den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Marokko könnte sich bald auch Saudi-Arabien den sogenannten Abraham Accords anschließen. Wie eng sind die Beziehungen zwischen Israel und dem Königshaus in Riad schon heute?
Unter dem Tisch unterhalten wir Beziehungen zu Saudi-Arabien, die sich aus gegenseitigen Sicherheitsinteressen ergeben. Um die israelisch-saudischen Beziehungen zu verbessern, muss man aber Bedeutsameres tun, doch dazu ist Israel leider nicht bereit.
Was ist der Preis, den das Königshaus in Riad für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel verlangt?
Die Saudis wollen einen vollständigen Nuklearkreislauf einschließlich Urananreicherung erreichen. Aufgrund meiner Erfahrung und meines Wissens bin ich dagegen, verstehe aber, dass Israel in diesen Szenarien eine untergeordnete Rolle spielt: Ich bin mir nicht sicher, ob wir in der Frage der Urananreicherung ein Mitspracherecht haben.
Der Iran strebt schon länger als Saudi-Arabien nach Atomwaffen.
Wenn der Iran Atomwaffen herstellt, stellt dies eine große Gefahr nicht nur für Israel und den Nahen Osten, sondern für die ganze Welt dar. Ein nuklear bewaffneter Iran wird auch die Kontrolle über die riesigen Öl- und Gasvorkommen seiner Nachbarn am Persischen Golf, wie die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien, übernehmen. Die Welt muss ihre Augen öffnen und den Iran beobachten
Was ist der Grund, warum nun auch Saudi-Arabien ein Atomprogramm will?
Es besteht kein Zweifel, dass in dem Maße, in dem der Iran auf dem Weg zu Atomwaffen voranschreitet, mehr Nationen im Nahen Osten daran interessiert sein werden, ähnliche nukleare Fähigkeiten zu erlangen. Am Ende wird sich die Region in einem gefährlichen nuklearen Wettlauf befinden, der zur Zerstörung der Welt führen kann.
Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass Saudi-Arabien der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel in einem Abkommen zustimmt?
Sollten die saudisch-amerikanischen Verhandlungen bis Februar, März 2024 nicht abgeschlossen sein, schätze ich die Chance auf ein solches Abkommen als sehr gering ein, da sich die USA mitten im Wahlkampfgetümmel befinden werden.
Was neben der Atomfrage behindert die Verhandlungen zu einem saudisch-israelischen Friedensschluss?
Die Palästinenserfrage.
Inwiefern?
Der Konflikt muss auf eine Weise gelöst werden, die den gegenseitigen Respekt gewährleistet.
Das Gegenteil ist der Fall – so viele Tote wie in den vergangenen Monaten gab es im besetzten Westjordanland seit Ende der Zweiten Intifada 2005 nicht mehr.
Das ist wahr. Zu meinem Bedauern sehen wir uns außerdem vermehrt palästinensischen Terroranschlägen ausgesetzt. Wie jedes andere Volk wollen die Palästinenser frei sein. Der Widerstand gegen die israelische Besatzung ist der Auslöser für Gewalt und Terrorakte einer kleinen Minderheit von radikalen jüdischen Extremisten. Die Lösung muss auf diplomatischem und politischem Wege und nicht mit Gewalt herbeigeführt werden. Leider glaubt unsere Regierung, dass der Terror durch den Einsatz von mehr militärischer Gewalt besiegt werden kann.
Seit Anfang des Jahres demonstrieren Woche für Woche Hunderttausende Israelis gegen die Regierung Benjamin Netanjahus. Wie groß ist die Gefahr, die sein Kabinett aus konservativen und rechtsextremen Ministern für Israel darstellt?
Israel kann auf Dauer nur sicher sein und überleben, wenn es jüdisch und demokratisch bleibt. Wenn Israel nur noch ein jüdischer, theokratischer Staat ist, wird es nicht mehr demokratisch sein. Wenn es aufhört, demokratisch zu sein, verdient es nicht, zu existieren
Sie haben Teile der Regierung mit dem Ku Klux Klan vergleichen.
In der Regierung gibt es rassistische und faschistische Parteien. Als ich den Ku Klux Klan erwähnt habe, habe ich ihnen einen Gefallen getan.
Sie meinen den Minister für nationale Sicherheit Itamar Ben Gvir und den Finanzminister Betzalel Smotrich?
Ja, und alle ihre Unterstützer.
Zählen Sie dazu auch Netanjahu?
Er ist das eigentliche Problem. Er ist der Premierminister. Er ist der Premierminister und trägt somit die letzte Verantwortung. Ich kenne Netanjahu seit vielen Jahren. Er war nicht so. Aber er hat sich geändert. Wenn er ihnen Jobs und Ministerien gibt und mit ihnen in der gleichen Regierung sitzt. Selbst wenn man kein Rassist und Faschist ist, ist man in dem Moment, in dem man mit ihnen zusammensitzt und kooperiert, ein Teil von ihnen.
Sind Sie pessimistisch, was die weitere Entwicklung Ihres Landes anbelangt?
Als Chef des Mossad musste ich ein Optimist sein. Ich bin inspiriert von der Protestbewegung, in der Millionen von Israelis, die als hedonistisch, verwöhnt und apathisch beschrieben wurden, aufgestanden sind und beschlossen haben, sich den Plänen der Regierung zu widersetzen. Ich bin siebzig Jahre alt und habe meinem Land 43 Jahre lang gedient. Ich habe Kinder und Enkelkinder. Israel kämpft um seine Seele. Ich habe keine andere Wahl, als Optimist zu sein.
Tamir Pardo (70) war zwischen 2010 und 2015 Direktor des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad. Als Angehöriger einer Spezialeinheit der israelischen Armee war er im Juli 1976 an der Operation zur Beendigung der Entführung eines französischen Passagierflugzeugs im ugandischen Entebbe beteiligt, bei der der ältere Bruder des heutigen israelischen Ministerpräsidenten, Yonatan Netanjahu, ums Leben kam. 2014 kam Pardo im saudi-arabischen Dschidda israelischen Medienberichten zufolge zu einem geheimen Treffen mit seinem saudischen Countepart, Prinz Bandar Bin Sultan, zusammen.
Das Gespräch mit Tamir Pardo führte Yossi Melman.
Westliche Sanktionen wirken so stark auf die russische Rüstungsindustrie, dass deren Unternehmen reihenweise Lieferverträge platzen lassen. Eine neue Datenrecherche der im Exil erscheinenden russischen Zeitung “Novaya Gazeta Europe” zeigt nun: Bereits die 2014 implementierten Strafen gegen Russland haben zu großen Problemen in der Branche geführt. Das zeigt sich in mehr als 400 juristischen Verfahren gegen Verantwortliche in der Rüstungsindustrie, die die Zeitung ausgewertet hat. Die Zahl der Verfahren steigt seit der Invasion der Ukraine 2022 rasch an.
Vor allem fehlen Halbleiter, Chips und Präzisionswerkzeuge aus dem Westen. Hinzu kommen hausgemachte Probleme: Korruption und fehlendes Personal. Wie bereits früher im Security.Table berichtet, gelingt es den russischen Herstellern auch nicht, Panzerstahl von nötiger Qualität und Quantität herzustellen, weil entsprechende Stahlschmelzverfahren im Land kaum vorhanden sind. Laut der russischen Wirtschaftszeitung Kommersant erschwert nun sogar auch China den Import von Teilen für Drohnen nach Russland, wie etwa Wärmebildkameras. Allerdings hätten russische Händler Vorräte angehäuft. Künftig will China außerdem eine Zusage, dass die Drohnen nicht für militärische Ziele verwendet werden.
Am stärksten wirken sich die Sanktionen auf die Flugzeugbranche, den Schiffsbau, Satellitenhersteller, Panzerfabriken und Reparaturbetriebe aus. Auf die Probleme reagiert die russische Führung mit Druck und Strafandrohungen. Das und die Ausweitung von Arbeitszeiten auf je sechs Tage die Woche mit bis zu elf Stunden Arbeitszeit führt zu weiterer Abwanderung von Arbeitskräften – trotz sehr hoher Löhne und hoher Budgets, die der Staat der Branche zukommen lässt. Manch ein Zulieferbetrieb setzt nun Häftlinge ein, um fehlende Arbeitskräfte zu ersetzen.
Insbesondere die USA verschärfen nun noch einmal die Sanktionen und gehen gegen Unternehmen unter anderem in der Türkei, in Finnland, Frankreich und Estland vor. Über sie konnte Russland Chips und andere elektronische Teile beziehen. Das britische Verteidigungsministerium geht trotz allem davon aus, dass Russland für den kommenden Winter gezielt einen Raketenvorrat aufgebaut hat, um wieder kritische Infrastruktur in der Ukraine angreifen zu können. vf
Der seit 2015 laufende Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten an der multinationalen Operation Counter DAESH/Capacity Building Iraq (Anti-IS-Einsatz) im Irak soll nach dem Wunsch der Bundesregierung um ein weiteres Jahr verlängert werden. Ein entsprechender Kabinettsbeschluss liegt dem Bundestag vor; mit der namentlichen Abstimmung wird in der Sitzung vom 20. Oktober gerechnet, das Mandat im Rahmen der Operation Inherent Resolve (OIR) läuft am 31. Oktober aus. Da die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ihre Angriffe im Nordirak und Syrien zuletzt verstärkte, sollen sich bis zu 500 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr auch künftig an dem Einsatz beteiligen.
Neben der Verlängerung der Anti-IS-Operation steht die Ausweitung des Nato-Einsatzes zur Unterstützung irakischer Sicherheitskräfte (Nato Mission Iraq (NMI) bevor. Auch daran sind deutsche Soldatinnen und Soldaten beteiligt. Wie die Anti-IS-Operation soll der seit 2018 laufende Einsatz das Wiedererstarken der Dschihadistenmiliz verhindern. Dazu wurden bislang irakische Militärausbilder geschult. Die Bundeswehr-Soldaten in der Nato-Mission waren zuletzt vor allem als Berater an einer Panzertruppenschule in Bagdad eingesetzt. Mit dem bodengebundenen Luftraumüberwachungsradar auf der Al Asad Airbase trägt die Bundeswehr zudem zur Erstellung des Luftlagebilds der Koalition bei.
Innerhalb der Nato finden offenbar Überlegungen statt, die Aktivitäten von NMI künftig auch auf das irakische Innenministerium auszuweiten. Eine Zusammenlegung des Counter-Daesh-Mandats mit dem der Nato ist zur Zeit aber nicht geplant.
Das Mandat für die Bundeswehr umfasst Unterstützung beim Lufttransport und bei der Luftbetankung von Flugzeugen. Bbis zur Befreiung des von IS-Kämpfern besetzten Territoriums 2017 bestand die Ausbildung vor allem in klassischen Anti-Terror-Trainings, vor allem für die kurdischen Peschmerga-Kämpfer im Nordirak. Mittlerweile ist die Bundeswehr auch in Bagdad aktiv und berät dort die Führungsebene der irakischen Armee. Birgit Svensson, Bagdad
Die durch Putsche an die Macht gelangten Regierungen der westafrikanischen Staaten Mali, Niger und Burkina Faso haben sich zu einem Verteidigungsbündnis zusammengeschlossen. Ziel der sogenannten Allianz der Sahel-Staaten sei «die Schaffung einer Architektur der kollektiven Verteidigung und der gegenseitigen Unterstützung der Vertragsparteien», heißt es in einer Charta, die von Ministern der drei Staaten am Wochenende in Malis Hauptstadt Bamako vorgestellt wurde.
Malis Übergangspräsident, Oberst Assimi Goïta, Burkina Fasos Interimsmachthaber, Kapitän Ibrahim Traoré, und Nigers Juntachef, General Abdourahamane Tiani verbindet, dass sie durch Militärputsche an die Macht gelangten – in Mali 2021, in Burkina Faso 2022 und im Niger diesen Juli. Die drei Staaten waren gemeinsam mit Mauretanien und dem Tschad zuvor bereits in dem von Frankreich angestoßenen Bündnis G5 Sahel zur Anti-Terror-Bekämpfung zusammengeschlossen.
Nach dem Putsch gegen Nigers Präsident Mohamed Bazoum im Juli in Niamey hatten sich Mali und Burkina Faso an die Seite General Tianis gestellt, der den Drohungen der westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas gegen die Militärjunta trotzte. Malis Übergangspräsident Goïta fordert den Abzug der rund 12 000 UN-Blauhelmsoldaten, die seit mehr als zehn Jahren im Rahmen der UN-Stabilisierungsmission Minusma im Land sind. Im Zuge des Abzugs aus Mali bis Jahresende kommt es bereits jetzt zu mehr Angriffen von Dschihadisten. Zudem kam es zuletzt zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Armee, Einheiten der russischen Söldnergruppe Wagner und Angehörigen der Tuareg.
In der Charta der sogenannten Sahel-Allianz verpflichten sich die Staaten, Terrorismus und organisierte Kriminalität zu bekämpfen. «Jede Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität einer oder mehrerer Vertragsparteien wird als Aggression gegen die anderen Vertragsparteien angesehen und verpflichtet alle Vertragsparteien zu Beistand und Abhilfe … einschließlich der Anwendung von Waffengewalt», heißt es darin. dpa
ZEIT ONLINE: Die Welt wird weniger sicher – die Waffenbauer profitieren davon: Hauke Friederichs’ Reportage von der größten Rüstungsmesse Europas in London beleuchtet einen klaren Trend: Wegen Russlands Angriffskrieg und Chinas Aufrüstung sind Panzer, Raketen und Drohnen so gefragt wie nie zuvor.
IPPNW Report – Die katastrophalen Folgen der Atomtests. Der 76-seitige Report der International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) beleuchtet die Folgen von über- und unterirdischen Atomtests in Algerien, den USA, Russland und im Zentralpazifik. Die in den 1950er Jahren begonnenen Versuche belasten die Umwelt bis heute schwer und kosteten Hunderttausende Menschen das Leben. Der Report zeigt zudem, wie schwierig es für die Opfer ist, an Entschädigung zu kommen.
Podcast: “Russen üben Nuklearangriff aufs Kanzleramt” – Das Scholz-Update: Der Journalist Stephan Lamby begleitete zwei Jahre lang Vertreter der Bundesregierung. Im Podcast erzählt er bislang Unbekanntes über die Recherchen zu seinem Buch- und Filmprojekt “Ernstfall – Regieren am Limit“. Zum Beispiel, dass Russland vor dem Angriff auf die Ukraine bereits bei einem Manöver in der Ostsee Ziele in Deutschland im Visier hatte (42 Minuten).
Die Rosengärten im Shiraz und Qamsar im Iran wird Renata Alt (FDP) nicht so bald sehen. Als eine von drei Deutschen steht sie – schon seit Februar 2022 – auf der Sanktionsliste des Landes. Zu kritisch sind ihre Worte gegen das Regime in Teheran, die Unterdrückung der Frauen und die willkürliche Bestrafung von Oppositionellen.
Als Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Bundestags ist es Alts Aufgabe, zu kritisieren, wo Menschenrechte verletzt werden. Darüber hinaus setzt sie sich dafür ein, dass die Opfer nicht in Vergessenheit geraten. Aber vor allem sieht sie es als ihre Aufgabe, den Gesprächsfaden nie abreißen zu lassen, auch nicht mit schwierigen Partnern. Das gelte auch für Länder wie den Iran oder Russland. Im Falle Russlands müsse es nicht direkt um territoriale Fragen gehen. “Gespräche sind auf jeder Ebene wichtig, zum Beispiel auch zum Austausch Gefangener”, sagt Alt.
Politisches Gespür hatte sie schon lange vor ihrer Ausbildung für den diplomatischen Dienst Anfang der 1990er-Jahre. Geboren 1965, wuchs sie im tschechoslowakischen Grenzort Skalica unter kommunistischer Herrschaft auf. Früh entdeckte sie ihre Begabung für Sprachen und Forschung, zu Hause diskutierte die Familie viel über Politik. Ihre Eltern brachten ihr bei, dass sie “draußen” nicht alles sagen konnte, was “drinnen” besprochen wurde.
Ihre Leidenschaften Forschung und Politik verband sie später geschickt. Sie studierte Lebensmittelchemie und Biotechnologie in Bratislava, orientierte sich dann um in Richtung Außenhandel in der Maschinen- und Lebensmittelindustrie. “1987 habe ich gespürt, dass sich das politische System ändern wird, dass sich Grenzen öffnen und der Außenhandel und die Außenpolitik sehr relevant werden”, sagt Alt.
Sie behielt recht. Das Angebot des tschechoslowakischen Außenhandelsministeriums, im nach der Samtenen Revolution neu geschaffenen diplomatischen Dienst zu arbeiten, nahm sie sofort an. Bereits 1992 ging sie für das Ministerium nach München und baute nachhaltige Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Ländern auf. Die Liebe zu ihrem Mann zog sie später nach Baden-Württemberg, “und meine Liebe zur Freiheit und Demokratie brachte mich dann 2009 zur FDP”, sagt sie. Seit 2017 sitzt sie im Bundestag und vertritt dort den Wahlkreis Kirchheim/Teck.
Von der Ausbildung im diplomatischen Dienst profitiert sie bis heute, in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, in der sie Mitglied ist, und als Kämpferin für Menschenrechte im Sudan, Iran oder Bergkarabach. “Ich versuche, Gesprächsmöglichkeiten zu nutzen, bevor es zu spät ist, hinzuschauen, auch wenn das Land vielleicht gerade nicht im internationalen Fokus steht. Im Moment sind das bei mir Marokko und Ägypten. Da gibt es noch eine Chance, durch Gespräche Positives bewirken.”
So war sie auch als einzige Bundestagsabgeordnete bei beiden Wahlgängen der diesjährigen Präsidentschaftswahl in der Türkei als Beobachterin präsent und setzte sich im Vatikan für die weitere Aufarbeitung der Missbrauchsvorfälle in der katholischen Kirche ein.
Die im ehemaligen Ostblock selbst erlebten Menschenrechtsverletzungen und die politischen Gespräche zu Hause am Küchentisch mit ihren Eltern: Für Alt ist die ständige Auseinandersetzung mit schweren Themen normal. “Aber vor allem ist es meine Pflicht, Klartext zu sprechen, wenn Menschenrechte verletzt werden.” Lisa-Martina Klein
Wenn der Auswärtige Ausschuss am morgigen Mittwoch zu seiner 45. Sitzung in dieser Legislaturperiode zusammenkommt, wird eines seiner prominentesten Gesichter fehlen: Gregor Gysi. “In Zukunft werden Sie die Freude haben, Ihrer Arbeit ohne mich nachgehen zu können”, hatte der frühere Linken-Parteichef vergangene Woche in der Haushaltsdebatte des Bundestags verkündet. Zur Überraschung auch manch eines seiner Kollegen aus der Linken-Bundestagsfraktion.
Zwar hatte Gysi die Fraktionsführung über seinen Schritt unterrichtet, künftig weder als außenpolitischer Sprecher noch als zweiter Ausschussvertreter neben der Linken-Obfrau Sevim Dagdelen zur Verfügung zu stehen. Doch weder Dietmar Bartsch noch Amira Mohammed Ali passt offenbar Gysis Personalvorschlag für seine Nachfolge: Caren Lay gehört dem progressiven Teil von Partei und Fraktion an, der sich der Russland-freundlichen Linie widersetzt, die Gefolgsleute von Sahra Wagenknecht wie Ali oder Dagdelen verfolgen.
Gegenüber Table.Media sagte Gysi, dass es innerhalb der Linken zwar Politiker gebe, “die den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine verurteilen”. Doch folge dahinter in der Regel entweder “ein kleines Aber oder ein mittleres oder ein ganz großes Aber”. Auch die Nähe etlicher Genossen zu anderen autokratischen Regimen wie Venezuela oder Syrien kritisierte Gysi: Demokratische Sozialisten müssten “immer an der ersten Stelle für demokratische Staaten sein und nicht für autoritäre”. Bei allem Verständnis für die Gefühle älterer Genossen für die ehemalige Sowjetunion müsste mancher “mal sein Herz zum Schweigen bringen und den Verstand einschalten”.
Mit Blick auf die “Pattsituation” in der Ukraine forderte Gysi die Nato auf, nach Rücksprache mit der ukrainischen Regierung Russland einen Waffenstillstand anzubieten – verbunden mit dem Angebot, bei einer Annahme durch Wladimir Putin auf Waffenlieferungen seitens des Westens an Kiew zu verzichten. Zudem müssten Staaten wie Brasilien oder Südafrika ihre neutrale Position für Friedensverhandlungen stärker in die Waagschale werfen. Das sei auch angesichts der bevorstehenden Erweiterung des BRICS-Bündnisses um sechs neue Mitglieder 2024 richtig, vertrete dieses künftig doch “mehr als die Hälfte der Menschheit”.
Gysi will sich in einer noch zu gründenden Enquete-Kommission des Bundestags zur Untersuchung der Corona-Pandemie engagieren. Der Rückzug von seinen außenpolitischen Ämtern dürfte die Spaltung der Linken weiter beschleunigen. “Was wir lernen müssen, ist, Politik realistisch zu betreiben und uns nicht an irgendwelchen Nebensächlichkeiten festzuhalten”, sagte Gysi gegenüber Table.Media. Der von Wagenknecht geplanten Gründung einer Konkurrenzpartei räumte er zwar gewisse Erfolgsaussichten bei der Europawahl und den Landtagswahlen in Ostdeutschland im kommenden Jahr ein. “Ich behaupte aber, dass Sie 2025 bei der Bundestagswahl keine Chance haben.” Sollte es tatsächlich dazu kommen, “entsteht bei mir dann doch wieder ein gewisser neuer Kampfgeist”. mrb
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!