der französische Präsident Emmanuel Macron hat am Montagabend energisch die deutsch-französische Partnerschaft beschworen. “Lasst uns entschlossen deutsch-französisch sein, lasst uns entschlossen Europäer sein”, sagte Macron in seiner 45-minütigen Rede, die er zu Teilen auf Deutsch hielt, vor der Dresdner Frauenkirche.
Im Anschluss an den Staatsbesuch, der heute endet, will er mit dem deutsch-französischen Sicherheits- und Verteidigungsrat die Lücken in der europäischen Luftverteidigung schließen. Die beinhalten nach französischer Auffassung auch die Fähigkeit, Feinde weit in ihrem Territorium zu treffen. Mehr dazu in den News.
Die Europawahlen sind ein Schwerpunkt unserer Ausgabe. Eine neue Studie zeigt detailliert, wie erfolgreich Peking die extremen Randparteien im Parlament beeinflusst, um die EU-Politik in eine China wohlgesonnene Richtung zu lenken. Die wichtigsten Aussagen finden Sie zusammengefasst in meiner Analyse. Russland nimmt auch Einfluss auf die europäischen Demokratien, verfolgt aber ein anderes Ziel als China. Mein Kollege Viktor Funk hat den EU-Abgeordneten Sergey Lagodinsky dazu befragt, wie gut die EU-Abgeordneten gegen Desinformation gerüstet sind.
Eine aufschlussreiche Lektüre wünscht
Aus den anstehenden Europawahlen werden aller Voraussicht nach vor allem die extremen rechten und linken Parteien gestärkt hervorgehen. Eine Studie der Prager Association for International Affairs (AMO) hat detailliert untersucht, wie die Erstarkung dieser Randparteien die EU in eine China-freundliche Richtung lenken könnte. Die Studie, die AMO am Dienstag veröffentlicht, wurde in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Naumann-Stiftung in Brüssel (FNF Europe) erstellt. FNF Europe wird die Studie nach der Europawahl publizieren. Sie liegt Table.Briefings vorab vor.
China nimmt zwar vorrangig Einfluss auf die EU-Mitgliedstaaten selbst, aber zunehmend auch auf die Institutionen der EU und die Abgeordneten des Parlaments, analysieren die Autorinnen Kara Němečková und Ivana Karáskováie. Die Entwicklungen rund um den Ausschluss der AfD aus der Fraktion Identität und Demokratie (ID) waren zum Redaktionsschluss der Studie nicht abzusehen.
Vier Trends zeichnen sich für die Europawahl ab:
Kritisch sind die Zuwächse vor allem bei den Rechten deshalb, weil sie aufgrund ihres Abstimmungsverhaltens bei EU-China-bezogenen Themen die EU in eine China-positivere Richtung lenken könnten. So stimmten die Abgeordneten der ID-Gruppe häufig entgegen gängiger EU-Positionen, etwa im Bereich des De-Risking, der neuen EU-China-Strategie oder in Fragen zur Straße von Taiwan. Chinas Menschenrechtsverletzungen berühren die Interessen der Rechten dagegen tendenziell weniger.
Die Studie nimmt verschiedene Spitzenkandidaten in den Blick, darunter den AfD-Abgeordneten und ehemaligen Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah. Krah saß in der vergangenen Legislaturperiode in sensiblen Ausschüssen zu Sicherheit und Verteidigung, auswärtigen Angelegenheiten oder Menschenrechten. Er nahm stets eine pro-chinesische Haltung ein, sprach sich etwa gegen die wirtschaftliche Abkopplung und die Sanktionen gegen China aus und argumentierte, dass diese Maßnahmen den europäischen Interessen schadeten.
Bei der Linken-Gruppe, so analysieren die Autorinnen, sei das Abstimmungsverhalten nicht ganz so klar. Die Fraktion ist mit 22 Parteien sehr fragmentiert. Thomas Geisel, einer der Spitzenkandidaten des BSW, positioniert sich china-freundlich und plädiert für eine engere Zusammenarbeit mit Peking. Carola Rackete, Kandidatin der deutschen Linken, hat dagegen die Unterstützung der autoritären Führung Chinas in der Vergangenheit offen kritisiert. Martin Schirdewan, aktuell Linken-Abgeordneter im EP, lehnt eine Konfrontation mit China ab und sucht offen den Dialog mit Peking.
Grundsätzlich agiert China, wie andere Staaten auch, vor allem auf Ebene der Mitgliedstaaten. Doch immer häufiger geraten EU-Institutionen und Abgeordnete in den Blick, denn Peking ist sich bewusst, “dass wichtige Initiativen, die große Auswirkungen auf die chinesische Politik haben könnten, von den EU-Institutionen ausgehen und dort beraten werden”, heißt es in der Studie.
Ein EP, das china-freundliche Fraktionen hat, könnte einen weniger china-skeptischen Kommissionspräsidenten wählen. Der neue Präsident oder die neue Präsidentin könnte dann wiederum die Positionen der gesamten Kommission mit Bezug auf China neu bewerten. Vor allem die ID könnte Gesetzgebungsprozesse erschweren, die das De-Risking vorantreiben. Derartige Entwicklungen sind laut der Studie aber noch “sehr spekulativ”.
Einer der Hauptunterschiede zwischen russischer und chinesischer Einflussnahme ist laut der Studie, dass Russland hauptsächlich darauf abzielt, das Vertrauen in demokratische Prozesse zu untergraben. Peking “präsentiert hingegen gerne ein betont positives Bild seines eigenen autoritären Staats, um an Einfluss zu gewinnen und die öffentliche Meinung in anderen Ländern zu beeinflussen”.
China ist zwar eher noch ein “Newcomer” bei der Beeinflussung europäischer Politik, setzt aber bereits jetzt ein komplexes und teils sehr subtiles Instrumentarium ein. Die diplomatischen Bemühungen chinesischer Akteure knüpfen meist erst im linken Spektrum Kontakte, dann in Regierungsparteien, später auch in (rechten) Oppositionsparteien, die künftig an der Regierung beteiligt sein könnten. Die eingesetzten Mittel reichen von gegenseitigen Delegationsbesuchen, individuellen Treffen mit Politikern oder Kontakten zu “Freundschaftsgruppen” in nationalen und europäischen Parlamenten.
Darüber hinaus bedient sich China den Mitteln der Desinformation, um eigene Narrative zu fördern, bis hin zu Cyberoperationen wie das Hacken von Datenbanken zur Wählerregistrierung oder Spear-Phishing-Angriffe, so die Autorinnen. Darüber hinaus beeinflusst China Abgeordnete auch auf “traditionelle” Weise, etwa durch finanzielle Unterstützung für sympathisierende Kandidaten oder Parteien, oder durch Animation zur Spionage, wie im jüngst bekannt gewordenen Fall des Mitarbeiters von Krah, Jian Guo.
Der Fall von Jian Guo, aber auch der der lettischen EP-Abgeordneten und mutmaßlichen Russlandspionin Tatjana Ždanoka, hat das Bewusstsein für diese Einflussnahme im EP geschärft. Die Abgeordneten haben sich für eine Verbesserung der parlamentarischen Sicherheitsinfrastruktur ausgesprochen. Es werde nun die Aufgabe des nächsten EP sein, die EU vor weiterer Unterminierung zu schützen, was aufgrund des Erstarkens der Randparteien noch einmal schwieriger werden dürfte, schreiben die Autorinnen.
Alle Beiträge der Fachbriefings zur Europawahl finden Sie hier.
Herr Lagodinsky, Microsoft hat kürzlich berichtet, dass Einmischungen in die anstehenden US-Wahlen durch China und Russland im Internet zunehmen. In wenigen Tagen wählen die Menschen in Europa ein neues EU-Parlament, ist Brüssel für die Gefahr durch Desinformation sensibilisiert?
Auf jeden Fall. Besonders bewusst ist diese Gefahr den osteuropäischen Ländern, die ja schon sehr lange davor gewarnt haben. Da geht es teilweise um mehr als nur Desinformation. In Estland ist die Grenzstadt Narwa russischsprachig und wäre aus meiner Sicht eine Sollbruchstelle, wenn Putin einen Schritt weiter in Richtung Nato ginge. Wir haben auch den Fall der lettischen EU-Abgeordneten Tatjana Zdanoka, bei der Kontakte zu russischen Geheimdienstleuten festgestellt wurden. Neu ist, dass jetzt immer mehr Abgeordneten aus westlichen EU-Staaten klar wird, dass wir in der EU nicht sicher sind vor Wahlmanipulationen.
Aber einen abgestimmten Umgang mit dem Thema sieht man auf der EU-Ebene nicht.
Es gibt verschiedene Interessen. Rechte Parteien wie die AfD verfallen da immer wieder in “Whataboutism”. Es gibt aber auch linksextreme Kräfte, zum Beispiel zwei Abgeordnete aus Irland, die von Hetze gegen Russland sprechen und anderen Abgeordneten pro-amerikanische Kampagnen vorwerfen. Die Fälle von Julian Assange und Edward Snowden werden benutzt, um die westliche Position im Krieg in der Ukraine zu kritisieren. Da werden Sachen vermischt. Andere instrumentalisieren das Thema Wahlbeeinflussung, um den politischen Gegner anzugreifen. Spanische konservative Nationalisten etwa werfen den Katalanen vor, Kontakte nach Russland zu haben. Das ist nach meinen Gesprächen mit den Kollegen aber nicht erwiesen.
In Deutschland ist inzwischen bekannt, dass einige AfD-Politiker recht enge Kontakte nach Moskau pflegen. Wie blicken Sie von Brüssel aus darauf?
Es geht nicht nur um die AfD. Interessant wird es, wenn es in einem Land Regierungswechsel gibt und sich dann zeigt, wie die neuen mächtigen Politiker sich zu Moskau verhalten. Bei Ungarn schauen wir ja schon etwas genauer hin, jetzt kommt die Slowakei dazu, deren neue Regierung Moskau freundlich gesinnt ist. Das besorgt uns sehr. Der slowakische Innenminister hat sogar kurzzeitig einem der Finanziers des russischen Propagandanetzwerks Voice of Europe Schutz gewährt. Dann sind einige sozialistische und sozialdemokratische Parteien als Nachfolgeparteien von Kommunisten auch empfänglich für Moskaus Erzählungen.
Haben sich diese Kreml-freundlichen Positionen in den vergangenen mehr als zwei Jahren nicht geändert? Immerhin ist heute genug bekannt über die Verbrechen der russischen Armee in der Ukraine.
Nach der Vollinvasion waren selbst AfD und FPÖ und andere Russland-freundliche Vertreter verwirrt. Sie waren von der Aggression selbst überrascht. Aber je mehr Zeit vergeht, desto stärker greifen sie Putins Propaganda auf. Wenn ich russisches Fernsehen sehe, dann weiß ich, welche Argumente ich in einer Woche im Parlament hören werde. Es geht aber nicht nur um Brüssel und Straßburg. Ich habe ein Büro in Brandenburg, dort höre ich dann das, was ich aus den prorussischen Telegram-Kanälen mitbekomme.
Haben Sie den Eindruck, dass ein bestimmtes prorussisches Narrativ politisch verfangen soll?
In erster Linie geht es um Verwirrung, denke ich. Es muss nicht gleich Russland nutzen, es geht um Verschmutzung des digitalen Raums, um Zersplitterung der Gesellschaften in den Demokratien. Es erzeugt Unmut. Wenn das gelingt, dann kommen groteske Informationsangebote. Wenn Menschen verwirrt sind, dann kann man ihnen eine andere Sicht auf bestimmte Dinge unterschieben.
Mit welchen Desinformationstaktiken rechnen Sie zur Europawahl?
Das können früher von Geheimdiensten gesammelte Informationen sein – wie im Fall der abgehörten deutschen Offiziere -, es können aber auch Manipulationen sein. Wir werden sehe. Dass da sicher was kommen wird, damit rechnen wir aber.
Nach Emmanuel Macrons Staatsbesuch soll der deutsch-französische Verteidigungs- und Sicherheitsrat am Dienstag positive Signale an die Ukraine und zu gemeinsamen Rüstungsprojekten senden. Der Rat konstituiert sich aus den Verteidigungs- und Außenministern beider Länder.
Aus dem Elysée heißt es, dass Macrons Vorschläge Basis der Diskussionen sein sollen, die er in seiner Sorbonne-Rede zur Sicherheit und Lage Europas gemacht hat. Ende April hatte der französische Präsident gesagt, er wolle in den kommenden Monaten eine europäische Initiative bilden, aus der Kapazitäten für Schläge weit auf feindlichem Territorium und zur Raketenabwehr geschaffen werden sollen.
Am Montagabend wiederholte Macron einen Großteil seiner Forderungen aus der Sorbonne-Rede vor der Dresdner Frauenkirche – teilweise auf Deutsch und appellierte an den Zusammenhalt Europas bei der Unterstützung der Ukraine. Europa müsse außerdem “gemeinsam ein neues Konzept unserer Sicherheit aufstellen und auf dieser Basis die Fähigkeiten definieren, die wir brauchen”, sagte Macron. Energisch plädierte er für mehr gemeinsame europäische Ausgaben, um die vielfältigen Herausforderungen anzugehen.
Anders als beim Luftverteidigungsprojekt European Sky Shield Initiative (Essi), die Scholz 2022 initiiert hatte und die mit amerikanischen Beschaffungen dem französischen Rüstungsprotektionismus zuwider läuft, scheinen sich Berlin und Paris neuerdings beim Aufbau der Luftverteidigung wieder aufeinander zuzubewegen.
Außenministerin Annalena Baerbock forderte vergangene Woche mit dem polnischen und dem französischen Außenminister den Ausbau von “deep precision strike systems”. Scholz hatte im Economist kürzlich begrüßt, dass Macron die europäische Dimension der französischen Nuklearstreitkräfte betonte und forderte Diskussionen über den richtigen Kapazitätenmix, um Europa zu verteidigen und Angreifer abzuschrecken. Bloomberg berichtet, dass bei dem Treffen konkrete Pläne für eine tiefere Luftverteidigungskooperation vorgestellt werden sollen.
Die Luftverteidigung beschäftigt auch Polen und Griechenland, die am Freitag in einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für ein “European air defence shield” warben, das die Verteidigungsfähigkeiten von EU-Mitgliedstaaten stärken solle. Die Bundesregierung, für die ein Essi-Konkurrenzprojekt entstehen könnte, äußerte sich bislang nur zurückhaltend zu dem Vorstoß.
Für die Atommacht Frankreich gehört die Fähigkeit, feindliches Gebiet treffen zu können und Angriffe nicht nur abwehren zu können, zum militärischen Selbstverständnis. Bei der Ukraine-Unterstützung wirft Paris Berlin vor, zu zaghaft zu sein. Macron lässt die ukrainischen Kämpfer bereits mit Scalp-Marschflugkörpern unterstützen, während Scholz die Taurus-Marschflugkörper zurückhält.
Erfolgsbotschaften könnten die Ministerinnen und Minister der beiden Länder mit Gesprächen über das Kampfjet-Projekt Future Combat Air System (FCAS) und das Spiegelprojekt für den “Panzer der Zukunft” Main Ground Combat System (MGCS) senden. Das Flugzeugprojekt verläuft derzeit konfliktfrei, weil nicht verhandelt werden muss. Das könnte sich 2025 ändern. Beim Kampfpanzer unterzeichneten die beiden Verteidigungsminister Ende April erst eine Absichtserklärung, die sie als “Meilenstein” bezeichneten. bub
Mindestens 45 Tote und 189 Verletzte sind die Folge von gezielten russischen Angriffen auf zivile Ziele in der ukrainischen Metropole Charkiw im Nord-Osten des Landes seit dem 10. Mai. Angesichts dieser Entwicklung und der permanenten Angriffe mit Lenkbomben und russischen Vorstößen auf dem Boden nimmt die Diskussion an Fahrt auf, ob auch westliche Waffensysteme gegen russische Truppen oder Munitionsdepots auf russischem Territorium eingesetzt werden könnten. Innerhalb der westlichen Unterstützergruppe gibt es Befürworter dieser Option (Nato-Chef Jens Stoltenberg, Schweden), aber auch Kritiker wie den Bundeskanzler Olaf Scholz.
Die Debatte über den Einsatz westlicher Waffen auf russischem Territorium erinnern an die früheren Diskussionen über die Lieferungen von Panzern, Marschflugkörpern oder Militärflugzeugen. Deutschland lehnt nicht nur die neue Forderung aus Kiew ab, sondern sieht auch die Idee, einen Nato-Abwehrschirm gegen russische Luftangriffe einzurichten, skeptisch. “Das wäre aus unserer Sicht eine Beteiligung, eine direkte Beteiligung an diesem Konflikt. Und das ist etwas, was wir nicht anstreben”, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag.
Ein weiteres Thema, auf das Ukraine-Unterstützer unterschiedlich blicken, ist eigenes Militär in der Ukraine. Frankreich will laut dpa-Bericht von Montagabend eigene Ausbilder in die Ukraine entsenden. Seit Februar 2022 haben westliche Militärs ukrainische Soldaten in Westeuropa ausgebildet. Russlands Außenminister Sergej Lawrow warnte kürzlich vor einer Entsendung westlicher Soldaten in die Ukraine und einer möglichen Konfrontation mit einer Nato-Streitkraft. Westliche Truppen auf dem Schlachtfeld würden diese zum Ziel russischer Armee machen.
Russland beschießt vom eigenen, grenznahen Territorium Ziele in der Ukraine und setzt seit Februar 2022 Militärflugzeuge ein, die von Flugplätzen in Russland und von der besetzten Krim starten. Luftverteidigung allein reiche nicht aus, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Sonntag. Er forderte die Erlaubnis von westlichen Staaten, die gelieferten Waffensysteme über die Grenze hinweg einzusetzen. Bisher nutzt die Ukraine dafür eigene Drohnen, insbesondere gegen Raffinerien und Militärlogistik. Sie verursachen zwar regelmäßig Schäden und binden russische Luftverteidigung weit weg von der Front. Doch einen nachhaltigen Effekt haben sie nicht. vf
Nach dem Luftangriff auf ein Flüchtlingslager in Rafah mit 45 Toten fordern immer mehr Staaten ein Ende der israelischen Offensive auf die Stadt im Süden des Gazastreifens. Darunter sind neben Deutschland und vielen EU-Staaten die Vereinigten Arabischen Emirate, Marokko und Ägypten, die anders als die meisten anderen arabischen Staaten Friedensverträge mit Israel geschlossen haben. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kündigte am Montagabend an, den Angriff untersuchen zu lassen – etwas sei “leider tragisch schief gelaufen”.
In Brüssel forderte Außenministerin Annalena Baerbock Israel zur Einhaltung der Anordnungen des Internationalen Gerichtshofs (IGH) auf, der vergangenen Freitag die sofortige Beendigung des Militäreinsatzes in Rafah angeordnet hatte. Israel wiederum argumentiert, dass das IGH-Urteil einen gewissen Spielraum für militärische Einsätze in Rafah einräume; eine Sicht, die von Völkerrechtlern geteilt wird. Der EU-Außenbeauftragte kündigte eine Wiederaufnahme der 2007 eingestellten EU-Grenzmission Eubam Rafah (European Union Border Assistance Mission) zwischen Gazastreifen und Ägypten an. Dem müssen Israel, Ägypten und palästinensische Vertreter jedoch zustimmen. Bei einem Schusswechsel kam am Montag ein ägyptischer Soldat nahe des Grenzübergangs ums Leben; Israel tausche sich mit Ägypten darüber aus, teilte ein Militärsprecher mit.
Israels oberste Militäranwältin Yifat Tomer Yerushalmi hatte den Angriff mit 45 Toten am Montag als “sehr schwerwiegenden Vorfall” bezeichnet, der genau untersucht würde. Insgesamt untersuchten die Israel Defence Forces (IDF) derzeit etwa siebzig Fälle auf mögliche Verstöße gegen das internationale Kriegsrecht, sagte sie bei einem Treffen der Israel Bar Association in Eilat.
Israels Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara bezichtige am Montag zudem den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Karim Khan, “vorschnell” und “unangemessen” Haftbefehle gegen Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Gallant beantragt zu haben. Sein Vorgehen sei auch deshalb “unbegründet”, weil die israelische Justiz selbst in der Lage sei, das Vorgehen der Armee auf mögliche Kriegsverbrechen zu untersuchen. Das IStGH-Statut sieht vor, dass das Gericht nur dann aktiv werden solle, wenn Staaten nicht willens oder in der Lage sind, Verbrechen, die ihrer Zuständigkeit entsprechen, vor Gericht zu bringen. mrb
Bundesländer und Verbände müssen dem Bundesinnenministerium bis zum heutigen Dienstag ihre Stellungnahme zum Referentenentwurf zur Umsetzung der NIS2-Richtlinie (“The Network and Information Security Directive”) der Europäischen Union vorlegen.
“Für die deutsche Industrie ist es wichtig, dass die Bundesressorts endlich die Verbände- und Länderbeteiligung initiiert haben”, so Iris Plöger, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), der am Montag seine Stellungnahme veröffentlichte. Konkret forderte sie unter anderem, dass
Die EU-Richtlinie soll kritische Infrastruktur und öffentliche Verwaltung besser vor Cyberangriffen schützen. Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, die am Montag erschienen ist, nehmen die Schäden durch Cyber-Angriffe für deutsche Unternehmen zu. Jedes dritte Unternehmen wurde in den letzten zwei Jahren Opfer von Cyber-Kriminalität.
Für Unternehmen sieht der Entwurf etwa strengere Sicherheitsstandards und die Einführung eines dreistufigen Melderegimes vor. Dazu soll das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik mehr Befugnisse erhalten. Die zusätzlichen Kosten für die Wirtschaft werden auf 2,3 Milliarden Euro jährlich und zusätzlich zwei Milliarden Euro für die Einführung geschätzt.
Am 3. Juni soll es eine Anhörung der Verbände im Bundesinnenministerium geben. Das Ministerium wollte sich allerdings zu den Details und dem Teilnehmerkreis nicht äußern. Die Umsetzung muss bis Oktober 2024 erfolgt sein. wp
The Bell: Secondary sanctions & Russia’s falling imports. Wirken sie oder wirken sie nicht? Eine alte Frage beim Thema Sanktionen – eine neue Antwort kommt zu dem Schluss: Im Falle Russlands wirken besonders die Sanktionsandrohungen gegen Unternehmen in Drittstaaten. Der Text analysiert die russischen Importe und geht den Ursachen für die negative Entwicklung nach.
Der Spiegel: Pistorius stampft Wehrpflichtpläne ein. Offenbar ist es dem Verteidigungsminister nicht gelungen, die Genossen für ein neues Wehrpflichtmodell zu erwärmen. Laut dem Bericht soll es nun lediglich darum gehen, die Personallücke bei der Truppe zu stopfen.
World Economic Forum: Geopolitical rivalries are costly for global businesses. Here’s why – and what’s at stake. Das Whitepaper analysiert, wie Firmen und Politiker auf geopolitische Spannungen reagieren können, die die globale Wirtschaft fragmentieren. Grenzüberschreitende Lieferketten müssen neu konfiguriert werden, Exposition gegenüber geopolitischen Hotspots neu bewertet werden. Außerdem: Neue Einnahmequellen sind nötig. Die Reaktionen variieren stark zwischen den Branchen.
Atlantic Council: How China could respond to US sanctions in a Taiwan crisis. Dieser Bericht untersucht Chinas Fähigkeiten, auf mögliche US- und G7-Sanktionen zu reagieren, indem er Vergeltungsmaßnahmen und Umgehungsstrategien betrachtet. Chinas wirtschaftspolitisches Instrumentarium, das hauptsächlich Handel und Investitionen betrifft, wird schnell erweitert und unterscheidet sich damit von Russlands Vorgehen.
Le Monde: Macron and Scholz – Two weakened leaders face a Europe in turmoil. Frankreichs Einfluss in Brüssel dürfte nach den kommenden Europawahlen abnehmen. Bundeskanzler Olaf Scholz hat wenig Zeit, seine Zustimmungswerte bis zur kommenden Bundestagswahl zu verbessern. Ausführliche Analyse, warum der französische Präsident und der deutsche Kanzler mit ihren jeweiligen Schwächen derzeit schlecht zusammenpassen.
Zeitenwende, Kriegstüchtigkeit, Landes- und Bündnisverteidigung oder Drehscheibe Deutschland – das sind momentan die Buzz-Words im sicherheitspolitischen Raum. Der gesamten Diskussion um dieses Themenfeld ist gemeinsam, dass sich daraus erhebliche Veränderungen für die Zivil-militärische Zusammenarbeit (ZMZ) ergeben.
Zeitenwende und Kriegstüchtigkeit erfordern die schnelle Revitalisierung der Unterstützungsfähigkeiten durch die zivilen Hilfsorganisationen. Zu Ende gedacht bedeutet das, dass ein nennenswerter Teil der Hilfsorganisationen im militärischen Kontext gebunden sein wird und damit nicht für die zivile Aufgabenerfüllung zur Verfügung steht.
Denn war uns bisher immer das Bild geläufig, dass die zivile Seite einen Hilfeleistungsantrag bei der Bundeswehr stellte, wenn die eigenen Fähigkeiten für die Bewältigung einer Lage nicht reichten, so stellt nun die Bundeswehr die Forderungen. Sie formuliert aber keine Hilfeleistungsanträge, sondern definiert ihren Unterstützungsbedarf gegenüber der zivilen Seite. Und zwar insbesondere im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung und als unabdingbare Voraussetzung für die Auftragserfüllung. Der Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU) lässt grüßen.
Ein erster wesentlicher Hinweis auf einen Richtungswechsel in der ZMZ ist bereits im DRK-Gesetz vom 5. Dezember 2008 angelegt. Dort wird als eine zentrale Aufgabe für die Hilfsorganisationen Deutsches Rotes Kreuz, Johanniter-Unfall-Hilfe und Malteser Hilfsdienst die Unterstützung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr im bewaffneten Konflikt nach Artikel 26 des I. Genfer Abkommens festgeschrieben. Lange Zeit wurde dieser Umstand sträflich vernachlässigt, sodass heute nur noch wenige belastbare Strukturen vorhanden sind.
Der nächste Blick streift dann die Verteidigungspolitischen Richtlinien aus dem Jahre 2023 (kurz VPR 2023). Dort wird eine nationale Zielvorgabe für die Auftragserfüllung in der Landes- und Bündnisverteidigung festgeschrieben. Etwas verklausuliert wird dort festgehalten, dass dieser Kernauftrag insbesondere in den Bereichen Infrastruktur, Logistik, Gesundheitsversorgung sowie Schutz und Sicherung nur gesamtstaatlich und im Rahmen der Gesamtverteidigung zu erfüllen ist.
Nach der Einschätzung der VPR 2023 gewinnt die Zusammenarbeit mit den Akteuren der zivilen Verteidigung deshalb weiter an Bedeutung und muss das übergeordnete Ziel verfolgen, die Zivilbevölkerung sowie eigene und verbündete Streitkräfte versorgen zu können. Dies mit dem Ziel, dass Letztere in ihrer Operationsfähigkeit und Operationsfreiheit uneingeschränkt und durchhaltefähig sind. Die Frage hier wird sein, wie sich die zuvor genannten zivilen Bereiche auf diese neue Anforderung einstellen.
Ein letzter Aspekt, der hier als Schlaglicht herauszugreifen ist, ist der Bereich der kritischen Infrastruktur und der kritischen Dienstleistungen (kurz KRITIS). Hier kommt zum Tragen, dass sich die Bundeswehr, insbesondere für die aus ihrer Sicht nur gesamtstaatlich zu bewältigende Aufgabe Deutschlands als Drehscheibe, auf die Möglichkeiten gesicherter zivil-gewerblicher Leistungen abstützten will.
Im Fokus stehen hier Krankenhäuser als stationäre Vollversorger, ein militärisches Grundstraßennetz, die Schienenwege, aber natürlich auch Werkstätten zur Instandsetzung von schweren Radfahrzeugen, sowie die Verpflegung und Versorgung von Soldatinnen und Soldaten im Raum. Spätestens seit dem Ukraine-Krieg und dem damit verbundenen massiven Einsatz von bewaffneten Drohnen, sollte allen Beteiligten gegenwärtig sein, dass insbesondere diese Einrichtungen der KRITIS ein besonderes Augenmerk bezüglich des physischen Schutzes bedürfen.
Die Zeitenwende führt also zu einem Richtungswechsel in der ZMZ. Nicht mehr Hilfeleistungsanträge der zivilen Seite, sondern Bedarfsforderungen der Bundeswehr bestimmen die Regeln. Die großen Hilfsorganisationen erhalten faktisch einen zweiten Hut. In der zivilen Verteidigung müssen die Fähigkeiten und Strukturen erheblich gestärkt werden. Und die KRITIS braucht ein neues Schutzniveau.
Björn Stahlhut leitet seit Januar 2024 die Koordinierungsstelle Kommunales Krisenmanagement in Potsdam. Von 1994 bis 2009 war er Offizier bei der Bundeswehr. Von 2009 bis 2023 arbeitete er beim Deutschen Roten Kreuz, unter anderem im Generalsekretariat.
Paul Linnarz übernimmt zum 1. Juli die Leitung des Auslandsbüros Japan und des Regionalprogramms Soziale Ordnungspolitik in Asien der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Tokio. Zuvor leitete er das Büro der Stiftung in Washington, D.C.. Sein Fokus dort war die Europäische und Internationale Zusammenarbeit. Davor leitete er das Medienprogramm in Lateinamerika und Asien. Linnarz studierte an der Universität zu Köln Geschichte und Volkswirtschaftslehre. klm
der französische Präsident Emmanuel Macron hat am Montagabend energisch die deutsch-französische Partnerschaft beschworen. “Lasst uns entschlossen deutsch-französisch sein, lasst uns entschlossen Europäer sein”, sagte Macron in seiner 45-minütigen Rede, die er zu Teilen auf Deutsch hielt, vor der Dresdner Frauenkirche.
Im Anschluss an den Staatsbesuch, der heute endet, will er mit dem deutsch-französischen Sicherheits- und Verteidigungsrat die Lücken in der europäischen Luftverteidigung schließen. Die beinhalten nach französischer Auffassung auch die Fähigkeit, Feinde weit in ihrem Territorium zu treffen. Mehr dazu in den News.
Die Europawahlen sind ein Schwerpunkt unserer Ausgabe. Eine neue Studie zeigt detailliert, wie erfolgreich Peking die extremen Randparteien im Parlament beeinflusst, um die EU-Politik in eine China wohlgesonnene Richtung zu lenken. Die wichtigsten Aussagen finden Sie zusammengefasst in meiner Analyse. Russland nimmt auch Einfluss auf die europäischen Demokratien, verfolgt aber ein anderes Ziel als China. Mein Kollege Viktor Funk hat den EU-Abgeordneten Sergey Lagodinsky dazu befragt, wie gut die EU-Abgeordneten gegen Desinformation gerüstet sind.
Eine aufschlussreiche Lektüre wünscht
Aus den anstehenden Europawahlen werden aller Voraussicht nach vor allem die extremen rechten und linken Parteien gestärkt hervorgehen. Eine Studie der Prager Association for International Affairs (AMO) hat detailliert untersucht, wie die Erstarkung dieser Randparteien die EU in eine China-freundliche Richtung lenken könnte. Die Studie, die AMO am Dienstag veröffentlicht, wurde in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Naumann-Stiftung in Brüssel (FNF Europe) erstellt. FNF Europe wird die Studie nach der Europawahl publizieren. Sie liegt Table.Briefings vorab vor.
China nimmt zwar vorrangig Einfluss auf die EU-Mitgliedstaaten selbst, aber zunehmend auch auf die Institutionen der EU und die Abgeordneten des Parlaments, analysieren die Autorinnen Kara Němečková und Ivana Karáskováie. Die Entwicklungen rund um den Ausschluss der AfD aus der Fraktion Identität und Demokratie (ID) waren zum Redaktionsschluss der Studie nicht abzusehen.
Vier Trends zeichnen sich für die Europawahl ab:
Kritisch sind die Zuwächse vor allem bei den Rechten deshalb, weil sie aufgrund ihres Abstimmungsverhaltens bei EU-China-bezogenen Themen die EU in eine China-positivere Richtung lenken könnten. So stimmten die Abgeordneten der ID-Gruppe häufig entgegen gängiger EU-Positionen, etwa im Bereich des De-Risking, der neuen EU-China-Strategie oder in Fragen zur Straße von Taiwan. Chinas Menschenrechtsverletzungen berühren die Interessen der Rechten dagegen tendenziell weniger.
Die Studie nimmt verschiedene Spitzenkandidaten in den Blick, darunter den AfD-Abgeordneten und ehemaligen Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah. Krah saß in der vergangenen Legislaturperiode in sensiblen Ausschüssen zu Sicherheit und Verteidigung, auswärtigen Angelegenheiten oder Menschenrechten. Er nahm stets eine pro-chinesische Haltung ein, sprach sich etwa gegen die wirtschaftliche Abkopplung und die Sanktionen gegen China aus und argumentierte, dass diese Maßnahmen den europäischen Interessen schadeten.
Bei der Linken-Gruppe, so analysieren die Autorinnen, sei das Abstimmungsverhalten nicht ganz so klar. Die Fraktion ist mit 22 Parteien sehr fragmentiert. Thomas Geisel, einer der Spitzenkandidaten des BSW, positioniert sich china-freundlich und plädiert für eine engere Zusammenarbeit mit Peking. Carola Rackete, Kandidatin der deutschen Linken, hat dagegen die Unterstützung der autoritären Führung Chinas in der Vergangenheit offen kritisiert. Martin Schirdewan, aktuell Linken-Abgeordneter im EP, lehnt eine Konfrontation mit China ab und sucht offen den Dialog mit Peking.
Grundsätzlich agiert China, wie andere Staaten auch, vor allem auf Ebene der Mitgliedstaaten. Doch immer häufiger geraten EU-Institutionen und Abgeordnete in den Blick, denn Peking ist sich bewusst, “dass wichtige Initiativen, die große Auswirkungen auf die chinesische Politik haben könnten, von den EU-Institutionen ausgehen und dort beraten werden”, heißt es in der Studie.
Ein EP, das china-freundliche Fraktionen hat, könnte einen weniger china-skeptischen Kommissionspräsidenten wählen. Der neue Präsident oder die neue Präsidentin könnte dann wiederum die Positionen der gesamten Kommission mit Bezug auf China neu bewerten. Vor allem die ID könnte Gesetzgebungsprozesse erschweren, die das De-Risking vorantreiben. Derartige Entwicklungen sind laut der Studie aber noch “sehr spekulativ”.
Einer der Hauptunterschiede zwischen russischer und chinesischer Einflussnahme ist laut der Studie, dass Russland hauptsächlich darauf abzielt, das Vertrauen in demokratische Prozesse zu untergraben. Peking “präsentiert hingegen gerne ein betont positives Bild seines eigenen autoritären Staats, um an Einfluss zu gewinnen und die öffentliche Meinung in anderen Ländern zu beeinflussen”.
China ist zwar eher noch ein “Newcomer” bei der Beeinflussung europäischer Politik, setzt aber bereits jetzt ein komplexes und teils sehr subtiles Instrumentarium ein. Die diplomatischen Bemühungen chinesischer Akteure knüpfen meist erst im linken Spektrum Kontakte, dann in Regierungsparteien, später auch in (rechten) Oppositionsparteien, die künftig an der Regierung beteiligt sein könnten. Die eingesetzten Mittel reichen von gegenseitigen Delegationsbesuchen, individuellen Treffen mit Politikern oder Kontakten zu “Freundschaftsgruppen” in nationalen und europäischen Parlamenten.
Darüber hinaus bedient sich China den Mitteln der Desinformation, um eigene Narrative zu fördern, bis hin zu Cyberoperationen wie das Hacken von Datenbanken zur Wählerregistrierung oder Spear-Phishing-Angriffe, so die Autorinnen. Darüber hinaus beeinflusst China Abgeordnete auch auf “traditionelle” Weise, etwa durch finanzielle Unterstützung für sympathisierende Kandidaten oder Parteien, oder durch Animation zur Spionage, wie im jüngst bekannt gewordenen Fall des Mitarbeiters von Krah, Jian Guo.
Der Fall von Jian Guo, aber auch der der lettischen EP-Abgeordneten und mutmaßlichen Russlandspionin Tatjana Ždanoka, hat das Bewusstsein für diese Einflussnahme im EP geschärft. Die Abgeordneten haben sich für eine Verbesserung der parlamentarischen Sicherheitsinfrastruktur ausgesprochen. Es werde nun die Aufgabe des nächsten EP sein, die EU vor weiterer Unterminierung zu schützen, was aufgrund des Erstarkens der Randparteien noch einmal schwieriger werden dürfte, schreiben die Autorinnen.
Alle Beiträge der Fachbriefings zur Europawahl finden Sie hier.
Herr Lagodinsky, Microsoft hat kürzlich berichtet, dass Einmischungen in die anstehenden US-Wahlen durch China und Russland im Internet zunehmen. In wenigen Tagen wählen die Menschen in Europa ein neues EU-Parlament, ist Brüssel für die Gefahr durch Desinformation sensibilisiert?
Auf jeden Fall. Besonders bewusst ist diese Gefahr den osteuropäischen Ländern, die ja schon sehr lange davor gewarnt haben. Da geht es teilweise um mehr als nur Desinformation. In Estland ist die Grenzstadt Narwa russischsprachig und wäre aus meiner Sicht eine Sollbruchstelle, wenn Putin einen Schritt weiter in Richtung Nato ginge. Wir haben auch den Fall der lettischen EU-Abgeordneten Tatjana Zdanoka, bei der Kontakte zu russischen Geheimdienstleuten festgestellt wurden. Neu ist, dass jetzt immer mehr Abgeordneten aus westlichen EU-Staaten klar wird, dass wir in der EU nicht sicher sind vor Wahlmanipulationen.
Aber einen abgestimmten Umgang mit dem Thema sieht man auf der EU-Ebene nicht.
Es gibt verschiedene Interessen. Rechte Parteien wie die AfD verfallen da immer wieder in “Whataboutism”. Es gibt aber auch linksextreme Kräfte, zum Beispiel zwei Abgeordnete aus Irland, die von Hetze gegen Russland sprechen und anderen Abgeordneten pro-amerikanische Kampagnen vorwerfen. Die Fälle von Julian Assange und Edward Snowden werden benutzt, um die westliche Position im Krieg in der Ukraine zu kritisieren. Da werden Sachen vermischt. Andere instrumentalisieren das Thema Wahlbeeinflussung, um den politischen Gegner anzugreifen. Spanische konservative Nationalisten etwa werfen den Katalanen vor, Kontakte nach Russland zu haben. Das ist nach meinen Gesprächen mit den Kollegen aber nicht erwiesen.
In Deutschland ist inzwischen bekannt, dass einige AfD-Politiker recht enge Kontakte nach Moskau pflegen. Wie blicken Sie von Brüssel aus darauf?
Es geht nicht nur um die AfD. Interessant wird es, wenn es in einem Land Regierungswechsel gibt und sich dann zeigt, wie die neuen mächtigen Politiker sich zu Moskau verhalten. Bei Ungarn schauen wir ja schon etwas genauer hin, jetzt kommt die Slowakei dazu, deren neue Regierung Moskau freundlich gesinnt ist. Das besorgt uns sehr. Der slowakische Innenminister hat sogar kurzzeitig einem der Finanziers des russischen Propagandanetzwerks Voice of Europe Schutz gewährt. Dann sind einige sozialistische und sozialdemokratische Parteien als Nachfolgeparteien von Kommunisten auch empfänglich für Moskaus Erzählungen.
Haben sich diese Kreml-freundlichen Positionen in den vergangenen mehr als zwei Jahren nicht geändert? Immerhin ist heute genug bekannt über die Verbrechen der russischen Armee in der Ukraine.
Nach der Vollinvasion waren selbst AfD und FPÖ und andere Russland-freundliche Vertreter verwirrt. Sie waren von der Aggression selbst überrascht. Aber je mehr Zeit vergeht, desto stärker greifen sie Putins Propaganda auf. Wenn ich russisches Fernsehen sehe, dann weiß ich, welche Argumente ich in einer Woche im Parlament hören werde. Es geht aber nicht nur um Brüssel und Straßburg. Ich habe ein Büro in Brandenburg, dort höre ich dann das, was ich aus den prorussischen Telegram-Kanälen mitbekomme.
Haben Sie den Eindruck, dass ein bestimmtes prorussisches Narrativ politisch verfangen soll?
In erster Linie geht es um Verwirrung, denke ich. Es muss nicht gleich Russland nutzen, es geht um Verschmutzung des digitalen Raums, um Zersplitterung der Gesellschaften in den Demokratien. Es erzeugt Unmut. Wenn das gelingt, dann kommen groteske Informationsangebote. Wenn Menschen verwirrt sind, dann kann man ihnen eine andere Sicht auf bestimmte Dinge unterschieben.
Mit welchen Desinformationstaktiken rechnen Sie zur Europawahl?
Das können früher von Geheimdiensten gesammelte Informationen sein – wie im Fall der abgehörten deutschen Offiziere -, es können aber auch Manipulationen sein. Wir werden sehe. Dass da sicher was kommen wird, damit rechnen wir aber.
Nach Emmanuel Macrons Staatsbesuch soll der deutsch-französische Verteidigungs- und Sicherheitsrat am Dienstag positive Signale an die Ukraine und zu gemeinsamen Rüstungsprojekten senden. Der Rat konstituiert sich aus den Verteidigungs- und Außenministern beider Länder.
Aus dem Elysée heißt es, dass Macrons Vorschläge Basis der Diskussionen sein sollen, die er in seiner Sorbonne-Rede zur Sicherheit und Lage Europas gemacht hat. Ende April hatte der französische Präsident gesagt, er wolle in den kommenden Monaten eine europäische Initiative bilden, aus der Kapazitäten für Schläge weit auf feindlichem Territorium und zur Raketenabwehr geschaffen werden sollen.
Am Montagabend wiederholte Macron einen Großteil seiner Forderungen aus der Sorbonne-Rede vor der Dresdner Frauenkirche – teilweise auf Deutsch und appellierte an den Zusammenhalt Europas bei der Unterstützung der Ukraine. Europa müsse außerdem “gemeinsam ein neues Konzept unserer Sicherheit aufstellen und auf dieser Basis die Fähigkeiten definieren, die wir brauchen”, sagte Macron. Energisch plädierte er für mehr gemeinsame europäische Ausgaben, um die vielfältigen Herausforderungen anzugehen.
Anders als beim Luftverteidigungsprojekt European Sky Shield Initiative (Essi), die Scholz 2022 initiiert hatte und die mit amerikanischen Beschaffungen dem französischen Rüstungsprotektionismus zuwider läuft, scheinen sich Berlin und Paris neuerdings beim Aufbau der Luftverteidigung wieder aufeinander zuzubewegen.
Außenministerin Annalena Baerbock forderte vergangene Woche mit dem polnischen und dem französischen Außenminister den Ausbau von “deep precision strike systems”. Scholz hatte im Economist kürzlich begrüßt, dass Macron die europäische Dimension der französischen Nuklearstreitkräfte betonte und forderte Diskussionen über den richtigen Kapazitätenmix, um Europa zu verteidigen und Angreifer abzuschrecken. Bloomberg berichtet, dass bei dem Treffen konkrete Pläne für eine tiefere Luftverteidigungskooperation vorgestellt werden sollen.
Die Luftverteidigung beschäftigt auch Polen und Griechenland, die am Freitag in einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für ein “European air defence shield” warben, das die Verteidigungsfähigkeiten von EU-Mitgliedstaaten stärken solle. Die Bundesregierung, für die ein Essi-Konkurrenzprojekt entstehen könnte, äußerte sich bislang nur zurückhaltend zu dem Vorstoß.
Für die Atommacht Frankreich gehört die Fähigkeit, feindliches Gebiet treffen zu können und Angriffe nicht nur abwehren zu können, zum militärischen Selbstverständnis. Bei der Ukraine-Unterstützung wirft Paris Berlin vor, zu zaghaft zu sein. Macron lässt die ukrainischen Kämpfer bereits mit Scalp-Marschflugkörpern unterstützen, während Scholz die Taurus-Marschflugkörper zurückhält.
Erfolgsbotschaften könnten die Ministerinnen und Minister der beiden Länder mit Gesprächen über das Kampfjet-Projekt Future Combat Air System (FCAS) und das Spiegelprojekt für den “Panzer der Zukunft” Main Ground Combat System (MGCS) senden. Das Flugzeugprojekt verläuft derzeit konfliktfrei, weil nicht verhandelt werden muss. Das könnte sich 2025 ändern. Beim Kampfpanzer unterzeichneten die beiden Verteidigungsminister Ende April erst eine Absichtserklärung, die sie als “Meilenstein” bezeichneten. bub
Mindestens 45 Tote und 189 Verletzte sind die Folge von gezielten russischen Angriffen auf zivile Ziele in der ukrainischen Metropole Charkiw im Nord-Osten des Landes seit dem 10. Mai. Angesichts dieser Entwicklung und der permanenten Angriffe mit Lenkbomben und russischen Vorstößen auf dem Boden nimmt die Diskussion an Fahrt auf, ob auch westliche Waffensysteme gegen russische Truppen oder Munitionsdepots auf russischem Territorium eingesetzt werden könnten. Innerhalb der westlichen Unterstützergruppe gibt es Befürworter dieser Option (Nato-Chef Jens Stoltenberg, Schweden), aber auch Kritiker wie den Bundeskanzler Olaf Scholz.
Die Debatte über den Einsatz westlicher Waffen auf russischem Territorium erinnern an die früheren Diskussionen über die Lieferungen von Panzern, Marschflugkörpern oder Militärflugzeugen. Deutschland lehnt nicht nur die neue Forderung aus Kiew ab, sondern sieht auch die Idee, einen Nato-Abwehrschirm gegen russische Luftangriffe einzurichten, skeptisch. “Das wäre aus unserer Sicht eine Beteiligung, eine direkte Beteiligung an diesem Konflikt. Und das ist etwas, was wir nicht anstreben”, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag.
Ein weiteres Thema, auf das Ukraine-Unterstützer unterschiedlich blicken, ist eigenes Militär in der Ukraine. Frankreich will laut dpa-Bericht von Montagabend eigene Ausbilder in die Ukraine entsenden. Seit Februar 2022 haben westliche Militärs ukrainische Soldaten in Westeuropa ausgebildet. Russlands Außenminister Sergej Lawrow warnte kürzlich vor einer Entsendung westlicher Soldaten in die Ukraine und einer möglichen Konfrontation mit einer Nato-Streitkraft. Westliche Truppen auf dem Schlachtfeld würden diese zum Ziel russischer Armee machen.
Russland beschießt vom eigenen, grenznahen Territorium Ziele in der Ukraine und setzt seit Februar 2022 Militärflugzeuge ein, die von Flugplätzen in Russland und von der besetzten Krim starten. Luftverteidigung allein reiche nicht aus, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Sonntag. Er forderte die Erlaubnis von westlichen Staaten, die gelieferten Waffensysteme über die Grenze hinweg einzusetzen. Bisher nutzt die Ukraine dafür eigene Drohnen, insbesondere gegen Raffinerien und Militärlogistik. Sie verursachen zwar regelmäßig Schäden und binden russische Luftverteidigung weit weg von der Front. Doch einen nachhaltigen Effekt haben sie nicht. vf
Nach dem Luftangriff auf ein Flüchtlingslager in Rafah mit 45 Toten fordern immer mehr Staaten ein Ende der israelischen Offensive auf die Stadt im Süden des Gazastreifens. Darunter sind neben Deutschland und vielen EU-Staaten die Vereinigten Arabischen Emirate, Marokko und Ägypten, die anders als die meisten anderen arabischen Staaten Friedensverträge mit Israel geschlossen haben. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kündigte am Montagabend an, den Angriff untersuchen zu lassen – etwas sei “leider tragisch schief gelaufen”.
In Brüssel forderte Außenministerin Annalena Baerbock Israel zur Einhaltung der Anordnungen des Internationalen Gerichtshofs (IGH) auf, der vergangenen Freitag die sofortige Beendigung des Militäreinsatzes in Rafah angeordnet hatte. Israel wiederum argumentiert, dass das IGH-Urteil einen gewissen Spielraum für militärische Einsätze in Rafah einräume; eine Sicht, die von Völkerrechtlern geteilt wird. Der EU-Außenbeauftragte kündigte eine Wiederaufnahme der 2007 eingestellten EU-Grenzmission Eubam Rafah (European Union Border Assistance Mission) zwischen Gazastreifen und Ägypten an. Dem müssen Israel, Ägypten und palästinensische Vertreter jedoch zustimmen. Bei einem Schusswechsel kam am Montag ein ägyptischer Soldat nahe des Grenzübergangs ums Leben; Israel tausche sich mit Ägypten darüber aus, teilte ein Militärsprecher mit.
Israels oberste Militäranwältin Yifat Tomer Yerushalmi hatte den Angriff mit 45 Toten am Montag als “sehr schwerwiegenden Vorfall” bezeichnet, der genau untersucht würde. Insgesamt untersuchten die Israel Defence Forces (IDF) derzeit etwa siebzig Fälle auf mögliche Verstöße gegen das internationale Kriegsrecht, sagte sie bei einem Treffen der Israel Bar Association in Eilat.
Israels Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara bezichtige am Montag zudem den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Karim Khan, “vorschnell” und “unangemessen” Haftbefehle gegen Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Gallant beantragt zu haben. Sein Vorgehen sei auch deshalb “unbegründet”, weil die israelische Justiz selbst in der Lage sei, das Vorgehen der Armee auf mögliche Kriegsverbrechen zu untersuchen. Das IStGH-Statut sieht vor, dass das Gericht nur dann aktiv werden solle, wenn Staaten nicht willens oder in der Lage sind, Verbrechen, die ihrer Zuständigkeit entsprechen, vor Gericht zu bringen. mrb
Bundesländer und Verbände müssen dem Bundesinnenministerium bis zum heutigen Dienstag ihre Stellungnahme zum Referentenentwurf zur Umsetzung der NIS2-Richtlinie (“The Network and Information Security Directive”) der Europäischen Union vorlegen.
“Für die deutsche Industrie ist es wichtig, dass die Bundesressorts endlich die Verbände- und Länderbeteiligung initiiert haben”, so Iris Plöger, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), der am Montag seine Stellungnahme veröffentlichte. Konkret forderte sie unter anderem, dass
Die EU-Richtlinie soll kritische Infrastruktur und öffentliche Verwaltung besser vor Cyberangriffen schützen. Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, die am Montag erschienen ist, nehmen die Schäden durch Cyber-Angriffe für deutsche Unternehmen zu. Jedes dritte Unternehmen wurde in den letzten zwei Jahren Opfer von Cyber-Kriminalität.
Für Unternehmen sieht der Entwurf etwa strengere Sicherheitsstandards und die Einführung eines dreistufigen Melderegimes vor. Dazu soll das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik mehr Befugnisse erhalten. Die zusätzlichen Kosten für die Wirtschaft werden auf 2,3 Milliarden Euro jährlich und zusätzlich zwei Milliarden Euro für die Einführung geschätzt.
Am 3. Juni soll es eine Anhörung der Verbände im Bundesinnenministerium geben. Das Ministerium wollte sich allerdings zu den Details und dem Teilnehmerkreis nicht äußern. Die Umsetzung muss bis Oktober 2024 erfolgt sein. wp
The Bell: Secondary sanctions & Russia’s falling imports. Wirken sie oder wirken sie nicht? Eine alte Frage beim Thema Sanktionen – eine neue Antwort kommt zu dem Schluss: Im Falle Russlands wirken besonders die Sanktionsandrohungen gegen Unternehmen in Drittstaaten. Der Text analysiert die russischen Importe und geht den Ursachen für die negative Entwicklung nach.
Der Spiegel: Pistorius stampft Wehrpflichtpläne ein. Offenbar ist es dem Verteidigungsminister nicht gelungen, die Genossen für ein neues Wehrpflichtmodell zu erwärmen. Laut dem Bericht soll es nun lediglich darum gehen, die Personallücke bei der Truppe zu stopfen.
World Economic Forum: Geopolitical rivalries are costly for global businesses. Here’s why – and what’s at stake. Das Whitepaper analysiert, wie Firmen und Politiker auf geopolitische Spannungen reagieren können, die die globale Wirtschaft fragmentieren. Grenzüberschreitende Lieferketten müssen neu konfiguriert werden, Exposition gegenüber geopolitischen Hotspots neu bewertet werden. Außerdem: Neue Einnahmequellen sind nötig. Die Reaktionen variieren stark zwischen den Branchen.
Atlantic Council: How China could respond to US sanctions in a Taiwan crisis. Dieser Bericht untersucht Chinas Fähigkeiten, auf mögliche US- und G7-Sanktionen zu reagieren, indem er Vergeltungsmaßnahmen und Umgehungsstrategien betrachtet. Chinas wirtschaftspolitisches Instrumentarium, das hauptsächlich Handel und Investitionen betrifft, wird schnell erweitert und unterscheidet sich damit von Russlands Vorgehen.
Le Monde: Macron and Scholz – Two weakened leaders face a Europe in turmoil. Frankreichs Einfluss in Brüssel dürfte nach den kommenden Europawahlen abnehmen. Bundeskanzler Olaf Scholz hat wenig Zeit, seine Zustimmungswerte bis zur kommenden Bundestagswahl zu verbessern. Ausführliche Analyse, warum der französische Präsident und der deutsche Kanzler mit ihren jeweiligen Schwächen derzeit schlecht zusammenpassen.
Zeitenwende, Kriegstüchtigkeit, Landes- und Bündnisverteidigung oder Drehscheibe Deutschland – das sind momentan die Buzz-Words im sicherheitspolitischen Raum. Der gesamten Diskussion um dieses Themenfeld ist gemeinsam, dass sich daraus erhebliche Veränderungen für die Zivil-militärische Zusammenarbeit (ZMZ) ergeben.
Zeitenwende und Kriegstüchtigkeit erfordern die schnelle Revitalisierung der Unterstützungsfähigkeiten durch die zivilen Hilfsorganisationen. Zu Ende gedacht bedeutet das, dass ein nennenswerter Teil der Hilfsorganisationen im militärischen Kontext gebunden sein wird und damit nicht für die zivile Aufgabenerfüllung zur Verfügung steht.
Denn war uns bisher immer das Bild geläufig, dass die zivile Seite einen Hilfeleistungsantrag bei der Bundeswehr stellte, wenn die eigenen Fähigkeiten für die Bewältigung einer Lage nicht reichten, so stellt nun die Bundeswehr die Forderungen. Sie formuliert aber keine Hilfeleistungsanträge, sondern definiert ihren Unterstützungsbedarf gegenüber der zivilen Seite. Und zwar insbesondere im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung und als unabdingbare Voraussetzung für die Auftragserfüllung. Der Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU) lässt grüßen.
Ein erster wesentlicher Hinweis auf einen Richtungswechsel in der ZMZ ist bereits im DRK-Gesetz vom 5. Dezember 2008 angelegt. Dort wird als eine zentrale Aufgabe für die Hilfsorganisationen Deutsches Rotes Kreuz, Johanniter-Unfall-Hilfe und Malteser Hilfsdienst die Unterstützung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr im bewaffneten Konflikt nach Artikel 26 des I. Genfer Abkommens festgeschrieben. Lange Zeit wurde dieser Umstand sträflich vernachlässigt, sodass heute nur noch wenige belastbare Strukturen vorhanden sind.
Der nächste Blick streift dann die Verteidigungspolitischen Richtlinien aus dem Jahre 2023 (kurz VPR 2023). Dort wird eine nationale Zielvorgabe für die Auftragserfüllung in der Landes- und Bündnisverteidigung festgeschrieben. Etwas verklausuliert wird dort festgehalten, dass dieser Kernauftrag insbesondere in den Bereichen Infrastruktur, Logistik, Gesundheitsversorgung sowie Schutz und Sicherung nur gesamtstaatlich und im Rahmen der Gesamtverteidigung zu erfüllen ist.
Nach der Einschätzung der VPR 2023 gewinnt die Zusammenarbeit mit den Akteuren der zivilen Verteidigung deshalb weiter an Bedeutung und muss das übergeordnete Ziel verfolgen, die Zivilbevölkerung sowie eigene und verbündete Streitkräfte versorgen zu können. Dies mit dem Ziel, dass Letztere in ihrer Operationsfähigkeit und Operationsfreiheit uneingeschränkt und durchhaltefähig sind. Die Frage hier wird sein, wie sich die zuvor genannten zivilen Bereiche auf diese neue Anforderung einstellen.
Ein letzter Aspekt, der hier als Schlaglicht herauszugreifen ist, ist der Bereich der kritischen Infrastruktur und der kritischen Dienstleistungen (kurz KRITIS). Hier kommt zum Tragen, dass sich die Bundeswehr, insbesondere für die aus ihrer Sicht nur gesamtstaatlich zu bewältigende Aufgabe Deutschlands als Drehscheibe, auf die Möglichkeiten gesicherter zivil-gewerblicher Leistungen abstützten will.
Im Fokus stehen hier Krankenhäuser als stationäre Vollversorger, ein militärisches Grundstraßennetz, die Schienenwege, aber natürlich auch Werkstätten zur Instandsetzung von schweren Radfahrzeugen, sowie die Verpflegung und Versorgung von Soldatinnen und Soldaten im Raum. Spätestens seit dem Ukraine-Krieg und dem damit verbundenen massiven Einsatz von bewaffneten Drohnen, sollte allen Beteiligten gegenwärtig sein, dass insbesondere diese Einrichtungen der KRITIS ein besonderes Augenmerk bezüglich des physischen Schutzes bedürfen.
Die Zeitenwende führt also zu einem Richtungswechsel in der ZMZ. Nicht mehr Hilfeleistungsanträge der zivilen Seite, sondern Bedarfsforderungen der Bundeswehr bestimmen die Regeln. Die großen Hilfsorganisationen erhalten faktisch einen zweiten Hut. In der zivilen Verteidigung müssen die Fähigkeiten und Strukturen erheblich gestärkt werden. Und die KRITIS braucht ein neues Schutzniveau.
Björn Stahlhut leitet seit Januar 2024 die Koordinierungsstelle Kommunales Krisenmanagement in Potsdam. Von 1994 bis 2009 war er Offizier bei der Bundeswehr. Von 2009 bis 2023 arbeitete er beim Deutschen Roten Kreuz, unter anderem im Generalsekretariat.
Paul Linnarz übernimmt zum 1. Juli die Leitung des Auslandsbüros Japan und des Regionalprogramms Soziale Ordnungspolitik in Asien der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Tokio. Zuvor leitete er das Büro der Stiftung in Washington, D.C.. Sein Fokus dort war die Europäische und Internationale Zusammenarbeit. Davor leitete er das Medienprogramm in Lateinamerika und Asien. Linnarz studierte an der Universität zu Köln Geschichte und Volkswirtschaftslehre. klm