nur kurz nach seiner Vereidigung am 19. Januar 2023 musste Verteidigungsminister Boris Pistorius Deutschlands Verbündeten erklären, warum Berlin keine Leopard-Kampfpanzer an die Ukraine liefert. Ein Jahr später hat es der Niedersachse zum beliebtesten Minister der derzeit eher unbeliebten Bundesregierung gebracht. Und das, obwohl er das Organigramm seines Ressorts nur zögerlich verändert.
Ein gutes Standing bei der Bundeswehr verschafft sich Pistorius aktuell als Einkäufer: Allein für das erste Halbjahr 2024 liegen dem Bundestag 43 25 Millionen Euro-Vorlagen vor. Sebastian Schäfer von den Grünen sagt, dass zur Finanzierung nach 2026 kein Weg an einem zweiten Sondervermögen vorbeiführe. Nicht zuletzt in Hinblick auf Deutschlands Rolle bei der militärisch Verteidigung Europas im Falle einer Wiederwahl Donald Trumps.
Wenn am Freitag in vier Wochen im Bayerischen Hof die 60. Münchner Sicherheitskonferenz beginnt, könnten Deutschland, Frankreich und Polen das Weimarer Dreieck wiederbeleben. Mehr zu den Plänen von Christoph Heusgen für dieJubiläums-MSC hören sie heute im Table.Today-Podcast unserer Chefredaktion, Helene Bubrowski und Michael Bröcker.
An dieser Stelle wollen wir noch den Kolleginnen und Kollegen von Research.Table gratulieren: Das Briefing für Wissenschaft, Forschung und Politik feierte am Donnerstag seinen 1. Geburtstag. Als Geschenk an die Leserinnen und Leser gibt es die ersten zehn Teile der Serie “Wissenschaftliche Politikberatung – quo vadis?” mit Statements unter anderem von Bärbel Bas, Helge Braun und Veronika Grimm hier als Reader.
Beim zweiten Anlauf dürfte es nun klappen: Die EU-Botschafter haben diese Woche im Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK) einem Vorschlag des Außenbeauftragten Josep Borrell für eine Marinemission im Roten Meer grundsätzlich zugestimmt. Kein Mitgliedstaat habe sich gegen den europäischen Beitrag zur Sicherung des Seeverkehrs vor Angriffen jemenitischer Huthi-Rebellen gestellt, so Diplomaten. Einen ersten Anlauf hatte Spanien im Dezember noch blockiert.
Vor Ende Februar wird die Marinemission aber kaum starten können. Beim Treffen der Außenministerinnen und Außenminister am Montag steht die Mission formell nicht auf der Agenda, dürfte aber im Rahmen der Diskussion über die Lage im Nahen Osten ein Thema sein. Nach der grundsätzlichen Zustimmung müssten jetzt erst noch die Details der Mission ausgearbeitet werden, so Diplomaten. Konkret also Mandat und Einsatzgebiet sowie auch der Standort des Hauptquartiers und die Frage der nötigen “Assets”.
Die Bundesregierung stehe bereit, sich an der Mission zu beteiligen, so Sebastian Fischer, Sprecher des Auswärtigen Amtes. Die Rede ist von der Fregatte “Hessen”, die bereits Anfang Februar Richtung Rotes Meer aufbrechen könnte. Bevor die Bundeswehr an der Mission teilnehmen kann, braucht es allerdings die Zustimmung des Bundestages. Ziel ist, dass die Außenminister der Mitgliedstaaten beim Treffen am 19. Februar dann formell den Start der Mission beschließen können.
Die EU müsse ihren Beitrag dazu leisten, der kommerziellen Schifffahrt eine sichere Durchfahrt im Roten Meer zu garantieren, mahnte diese Woche die EU-Abgeordnete Hannah Neumann, Vorsitzende der Delegation für die Beziehungen zur arabischen Halbinsel. Die deutsche Grüne kritisierte im EU-Parlament, dass die Mitgliedstaaten so lange gebraucht hätten. Dabei sind die USA zusammen mit Großbritannien mit ihrer Mission Operation Prosperity Guardian längst präsent, wobei einige EU-Staaten ihre Vorbehalte angesichts der Präzisionsangriffe US-amerikanischer und britischer Streitkräfte auf Waffenlager und Drohnenabschussrampen der Huthi zuletzt bestätigt sahen.
Eigentlich müsste der Fall auch für die Europäer klar sein. Die Handelsroute über den Suezkanal und das Rote Meer ist für Europas Wirtschaft von strategischer Bedeutung. In einem ersten Anlauf hatte der Außenbeauftragte Borrell noch im Dezember vorgeschlagen, auf der von Spanien geführten EU-Antipirateriemission Atalanta aufzubauen und deren Mandat auf den Einsatz zum Schutz vor Huthi-Rebellen zu erweitern.
Dies hätte einen schnellen Start der Mission ermöglicht. Spaniens Regierungschef Pedro Sanchez stellte sich jedoch aus Rücksicht auf seine linken Koalitionspartner dagegen, die jede Nähe zu Washington im Gazakonflikt kritisch sehen. Beim zweiten Anlauf habe sich Spanien in “konstruktiver Enthaltung” geübt, so Diplomaten. Nach dem neuen Vorschlag von Josep Borrell soll der Einsatz jetzt auf einer anderen Marinemission in der Region aufbauen, nämlich auf Agenor, einer von Frankreich geführten Überwachungsoperation in der Straße von Hormuz, einer wichtigen Arterie für den Transport von Erdöl.
Die Operation wird seit 2020 nach Angriffen auf Öltanker von einer “Koalition der Willigen” aus neun Staaten unterstützt, darunter auch Deutschland. Der Vorschlag des Europäischen Auswärtigen Dienstes sieht mindestens drei Fregatten für die neue Mission vor. Vorgesehen sind auch Flugzeuge, Hubschrauber und Drohnen zur Luftüberwachung.
Agenor würde unter bisherigem oder eventuell neuem Namen “Aspis”, wie unter anderem der Spiegel berichtet, ihr Operationsgebiet auf das Rote Meer ausdehnen, das Hauptquartier aber wie bisher in Abu Dhabi bleiben. Neben Deutschland hat unter anderem auch Schweden signalisiert, sich mit einer Fregatte zu beteiligen. Die Streitkräfte seien gebeten worden, die Möglichkeiten für eine schwedische Unterstützung zu prüfen, so das Verteidigungsministerium in Stockholm. Italien, Frankreich und Griechenland sind bereits in der Region mit Kriegsschiffen präsent.
Offen ist, ob die Marinemission nur kommerzielle Schiffe eskortieren oder im Fall von Angriffen auch aktiv Drohnen bekämpfen oder gar Abschussrampen der Huthi-Rebellen zerstören darf. Je nach Mandat, so Diplomaten, müssten auch die nötigen “Assets” bestimmt werden. Proaktive Schläge gegen militärische Ziele im Jemen, wie zuletzt von den USA und Großbritannien ausgeführt, sind allerdings nicht vorgesehen.
Sein Programm für die Bundeswehr fasste Boris Pistorius gleich am ersten Arbeitstag in drei Worten zusammen. “Es geht um Abschreckung, Wirksamkeit und Einsatzfähigkeit“, sagte der neue Verteidigungsminister am 19. Januar 2023, wenige Stunden nach seiner Vereidigung, beim ersten öffentlichen Auftritt als Ressortchef im eisigen Wind auf dem Antreteplatz des Bendlerblocks in Berlin. Ein Jahr später ist der Niedersachse beliebtester Minister einer sonst nicht besonders beliebten Bundesregierung.
Das ist vor allem in seiner Fähigkeit begründet, besser als etliche Vorgänger(innen) die Bedeutung und Notwendigkeit der Streitkräfte zu kommunizieren. Doch ist er mit seinen drei Punkten Abschreckung, Wirksamkeit und Einsatzfähigkeit der Bundeswehr nach einem Amtsjahr nur begrenzt vorangekommen.
Das allerdings liegt nicht allein, noch nicht mal in erster Linie, an Pistorius. Bereits am Tag nach Amtsantritt musste er mit den Begrenzungen seiner Aufgabe klarkommen: Beim Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in der Pfalz durfte der neue deutsche Verteidigungsminister im Kreis der Verbündeten der Ukraine keine deutschen Leopard-Kampfpanzer zusagen. Erst eine knappe Woche später gaben sein Chef, Bundeskanzler Olaf Scholz, und dann das ganze Bundeskabinett grünes Licht für die Lieferung der von der Ukraine so dringend erbetenen deutschen Waffensysteme.
Schon Pistorius’ erste Woche an der Spitze von Verteidigungsministerium und Bundeswehr war damit ein Vorzeichen für seine weitere Tätigkeit. Mit so viel öffentlicher Zustimmung zu den Streitkräften in Zeiten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, dank 100-Milliarden-Sondervermögen mit so viel Geld wie schon lange nicht mehr ausgestattet, sah sich der Neue von Anfang an hohen Erwartungen gegenüber.
Vergessen wurde dabei oft, dass ein Verteidigungsminister wie alle anderen Kabinettsmitglieder in die Mühlen einer (Koalitions-)Regierung eingebunden ist. Und auch, dass die fein ziselierten Gesetze und Bestimmungen in Deutschland und Europa einem Chef der Streitkräfte auch in den aktuellen Krisen nicht größeren Freiraum gewähren.
Mit seinem neuen Generalinspekteur Carsten Breuer, den er im März als obersten Soldaten ins Ministerium holte, schob Pistorius schnell die großen Beschaffungsvorhaben der Truppe an. Neue Kampfjets, neue schwere Transporthubschrauber, das Luftverteidigungssystem Arrow aus Israel und das deutsche Flugabwehrsystem Iris-T SLM, um nur die teuersten Posten zu nennen, wurden bestellt. Doch bis sie bei der Truppe ankommen, werden Jahre vergehen: Die Produktionsdauer der komplexen Waffensysteme erlaubt keine schnelle Lieferung.
Das gilt – besonders bitter für Minister wie Truppe – auch für das Gerät, was an die Ukraine abgegeben wurde. Es muss ersetzt werden, wenn die Bundeswehr nicht noch weiter Ausrüstung und damit ihre Fähigkeiten zur Abschreckung sowie ihre Wirksamkeit und Einsatzfähigkeit verlieren soll. 18 Kampfpanzer Leopard A2 lieferte Deutschland an die ukrainischen Streitkräfte, die im vergangenen Jahr bestellten Nachfolger werden noch eine Zeit auf sich warten lassen.
Das Beispiel Leopard A2 zeigt: Auch mit Zustimmung und Geld lassen sich die Lücken nicht schließen, die die Schrumpfentscheidungen der vergangenen Jahrzehnte in einer jahrelang immer kleiner werdenden Bundeswehr gerissen haben. Dass sich Pistorius dagegen stemmt, wird ihm innerhalb wie außerhalb der Truppe angerechnet. Auch wenn sich das bei Soldaten und Soldatinnen bislang noch kaum praktisch auswirkt. “Was ich im vergangenen Jahr bekommen habe? Einen neuen Rucksack”, merkt ein Stabsoffizier sarkastisch an.
Das ist dem Minister kaum anzulasten. Schwerer wiegt da schon, wie fast schon zögerlich der Niedersachse agierte, wenn es darum ging, den eigenen Laden aufzuräumen. Zwar tauschte er sehr schnell den bedächtigen Generalinspekteur Eberhard Zorn gegen Breuer aus. Auch ein wichtiges Steuerungselement im Ministerium selbst, einen neuen Planungs- und Führungsstab, richtete er innerhalb weniger Monate ein.
Doch die Struktur von Ministerium und Bundeswehr insgesamt ließ er zunächst weitgehend unangetastet. Im Herbst verfügte Pistorius zwar einen Mini-Umbau der Abteilungen, der aber viel mit internen Organisationsabläufen zu tun hatte und nicht so erkennbar viel mit Schlagkraft. Dabei hatte er schon auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2023, sehr kurz nach Amtsantritt, öffentlich bekundet: Das Organigramm des großen, auch noch auf die Standorte Berlin und Bonn verteilten Ressorts habe wenig mit Effizienz zu tun. Grundlegend änderte er daran nichts.
Folgenschwerer dürfte allerdings sein, dass sich der Minister über Monate nicht zu einem Umbau der Strukturen der Bundeswehr selbst entschloss. Erst im November kündigte er an, sein Staatssekretär Nils Hilmer und der Generalinspekteur sollten neue Strukturen für die Organisation von Truppe, Teilstreitkräften und Organisationsbereichen erarbeiten.
Die sollen bis Ostern vorliegen – das Problem dabei: Auch wenn Ostern in diesem Jahr vergleichsweise früh liegt, bleibt dann nicht viel mehr als ein gutes Jahr, die dann beschlossenen Änderungen auch umzusetzen, ehe die nächste Bundestagswahl möglicherweise die Spitze des Ressorts wieder durcheinander wirbelt.
Und Klarheit über Strukturen und Zuständigkeiten erwartet die Truppe dringend. Schon Pistorius’ überraschende und mutig-energische Entscheidung im vergangenen Juni, in Litauen dauerhaft eine Kampfbrigade des Heeres zu stationieren, muss in die ganze Organisation eingepasst werden: Bekommt das Heer damit faktisch neun Brigaden, oder muss an anderer Stelle in Deutschland reduziert werden, damit es wie bisher bei acht Brigaden bleiben kann?
Das hängt nicht zuletzt auch mit den Plänen des Ministers für die künftige Größe der Bundeswehr zusammen. Bislang ließ Pistorius offen, ob er die Zielvorstellung seiner Vorgängerinnen von 203.000 Soldatinnen und Soldaten einschließlich rund 3.500 Reservisten beibehalten oder nach oben oder unten anpassen will.
Faktisch kommt die Truppe derzeit trotz aller Anstrengungen nicht über um die 181.000 Aktive hinaus; ob die Anstrengungen und Vorschläge einer “Task Force Personal” das grundsätzlich verbessern werden, scheint zweifelhaft. Und die Andeutungen des Ministers für eine mögliche Reaktivierung der Wehrpflicht, nach welchem Modell auch immer, waren bisher vor allem für eines gut: Widerstand in der eigenen Partei und bei den Koalitionspartnern hervorzurufen.
Auf dem Weg, sein Programm zu verwirklichen, steht Pistorius deshalb noch eine weite Strecke bevor. Eines allerdings ist ihm in seinen ersten zwölf Monaten im Amt gelungen: Dass Deutschland Streitkräfte braucht und für ihre Wirksamkeit sorgen muss, wird zunehmend zum Konsens in der Gesellschaft. Auch wenn da bisweilen selbst seine Unterstützer ein wenig über die Wortwahl erschrecken. Verteidigungsbereit ja – aber mit Pistorius’ Begriff “kriegstüchtig”, so berechtigt er auch sein mag, hadern dann doch einige.
Die 60. Münchner Sicherheitskonferenz (MCS) vom 16. bis 18. Februar in München soll kleine diplomatische Initiativen für zentrale Konfliktfelder in der Welt bringen. Außerdem hofft der Vorsitzende der MSC, Christoph Heusgen, auf eine Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks mit dem Besuch von Kanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem neuen polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk.
“Ich halte es für sehr wichtig, dass wir das deutsch-französische Paar wieder erweitern um Polen als das größte Land in Osteuropa. Wenn das gelingt, wäre das sehr schön. Die Einladung steht”, sagte Heusgen im Interview für Table.Today, dem neuen Podcast von Table.Media.
“Wir versuchen in guten wie in schlechten Zeiten einen Beitrag zu leisten, dass die Welt sicherer wird, in dem wir Politiker, Militärs und Zivilgesellschaft zusammenbringen, damit sie im Gespräch herausfinden, wo es einen Silberstreif am Horizont gibt”, so Heusgen. Man werde die wichtigsten geopolitischen Konflikte auf den verschiedenen Bühnen der MSC diskutieren. “Unsere Moderatoren der einzelnen Panels sollen herausfinden, wo man ansetzen kann, wo ein Ausweg einer vertrackten Situation sein könnte.”
Heusgen rechnet damit, dass unter anderem der außenpolitische Chefberater des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei in China, Wang Yi, die US-Vizepräsidentin Kamala Harris sowie die führenden Staats- und Regierungschefs aus Afrika und Europa kommen werden.
Außerdem soll ein Fokus auf den südamerikanischen Krisenstaat Haiti gelegt werden und Vertreter des globalen Südens in den Mittelpunkt vieler Panels und Diskussionsrunden gesetzt werden. “Uns geht es nicht nur um die Ukraine oder das transatlantische Verhältnis. Wir sehen die Herausforderungen des globalen Südens.”
Heusgen erwartet von der Konferenz in diesem Jahr auch ein klares Bekenntnis zur Unterstützung der Ukraine. “Ich erhoffe mir die Verstärkung der Botschaft: Wir unterstützen die Ukraine as long as it takes. Dann haben wir einen Beitrag auch zu einem Friedensschluss geleistet.” Für Putin könnten Friedensverhandlungen nur interessant sein, wenn er spüre, dass der Westen und Europa weiter klar hinter der Ukraine stehe.
Der frühere langjährige Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigte die Entscheidung, wie im vergangenen Jahr keinen Vertreter der russischen Regierung eingeladen zu haben. Dies sei ja auch gar nicht möglich: “Putin würde verhaftet, wenn er käme.” brö
Der Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestags hat am Donnerstag neue Widersprüche in den Lageeinschätzungen von Auswärtigem Amt und Bundesnachrichtendienst (BND) unmittelbar vor dem Einmarsch der Taliban in Kabul im August 2021 zutage gelegt. Befragt wurde unter anderem ein Referent der deutschen Botschaft in Kabul, der damals dem Krisenunterstützungsteam (KUT) der Botschaft angehörte, und ein Vertreter der Residentur des BND in der afghanischen Hauptstadt. Ziel des im Sommer 2022 eingesetzten Ausschusses ist es unter anderem, herauszufinden, inwieweit Kompetenzgerangel zwischen den vor Ort tätigen deutschen Institutionen im Vorfeld der Evakuierung im August 2021 die Lage verschärfte.
Thema der Befragung am Donnerstag war unter anderem eine Email aus der BND-Residentur in Kabul an die Zentrale in Berlin, in der von einer Krisensitzung nur zwei Tage vor der Machtübernahme der Taliban in Kabul berichtet wurde. Bei dem Treffen habe der stellvertretende deutsche Botschafter, Jan Hendrik van Thiel, mehrfach der Lagedarstellung des BND widersprochen, heißt es in der Mail, wonach die Einschätzungen von USA und Großbritannien “sehr wohl eine gewaltsame Übernahme Kabuls” innerhalb der “nächsten 30 Tage sähen”. Weiter wird die BND-Vizepräsidentin des Dienstes gebeten, “in den nächsten Tagen und Wochen” mit ihren britischen und US-amerikanischen Kollegen “zu eruieren, wie die dortige Lageeinschätzung tatsächlich ist”.
Vorsitzender des Afghanistan-Untersuchungsausschuss ist der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner. Anderthalb Jahre nach seiner Einsetzung soll die Beweisaufnahme Ende dieses Jahres abgeschlossen werden – mit der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel als Zeugin. Bis zum Sommer 2025 soll der Abschlussbericht im Bundestag vorgestellt werden. mrb
Dem Haushalts- und Verteidigungsausschuss sollen im ersten Halbjahr 43 Vorlagen zu Vertragsabschlüssen mit einem Auftragswert von mehr als 25 Millionen Euro zugeleitet werden. 2023 waren es im ganzen Jahr 55, so viele wie nie zuvor.
Der Grünen-Haushaltspolitiker Sebastian Schäfer, stellvertretender Vorsitzender des Gremiums “Sondervermögen Bundeswehr”, sagte im Interview mit Table.Media, dass dieser Trend “in diesem Jahr entsprechend fortgesetzt werden” solle, bemängelte jedoch, dass die Vergabe von mehr Aufträgen allein nicht ausreichten, um die Ausstattung der Bundeswehr auf die Höhe der Zeit zu bringen. “Wir brauchen größere Produktionskapazitäten bei unserer Rüstungsindustrie. Da gibt es großen Nachholbedarf - gerade mit Blick auf Russland, das durch seine Kriegswirtschaft die Produktion von Rüstungsgütern erheblich erhöht hat.”
Unter anderem plant das Verteidigungsministerium, die Vertragsoption für Bau und Lieferung von zwei weiteren Fregatten vom Typ F 126 zu ziehen; die ersten vier waren bereits 2023 vertraglich abgeschlossen worden. Auch ein Vertragsabschluss für den Schweren Waffenträger Infanterie ist in Planung. Schäfer bezeichnete es als “schmerzhaft”, dass im Verteidigungshaushalt 2024 rund eine halbe Milliarde Euro aus dem Sondervermögen Bundeswehr für Unterstützungsleistungen für die Ukraine verwendet würden, und nicht für die Modernisierung von Material für die Truppe. Dabei handele es sich jedoch um einen “Konsolidierungsbeitrag”.
Mittelfristig führe ohnehin kein Weg daran vorbei, ein neues Sondervermögen aufzusetzen, um “die Differenz zwischen dem Verteidigungsetat und dem Zweiprozentziel, das etwa 25 bis dreißig Milliarden Euro beträgt”, auszugleichen. “Deshalb braucht es ein zweites Sondervermögen, das in einer ganz anderen Dimension ausgestaltet werden muss, um die Bundeswehr in den Stand zu versetzen, in dieser schwierigen Zeit zu bestehen.” mrb
Der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu hat am Donnerstag mit seinem ukrainischen Pendant Rustem Umerow eine Artilleriekoalition zur Unterstützung der Ukraine ins Leben gerufen. 23 Länder, darunter auch Deutschland, schließen sich im Rahmen des Ramstein-Formats zu dieser von Frankreich gemeinsam mit den USA geführten Initiative zusammen.
Die Ukraine soll dadurch 78 Caesar-Haubitzen erhalten. Der französische Hersteller Nexter habe seine Produktionskapazitäten so hochgefahren, dass die 78 Haubitzen im Jahr 2024 für die Ukraine produziert werden können, sagte Lecornu am Donnerstag in Paris. Im Oktober 2023 hatte Nexter mitgeteilt, dass man die Produktionszeit einer Haubitze von 30 auf 15 Monate reduziert habe. 49 Caesar-Haubitzen befinden sich bereits in der Ukraine.
Das ukrainische Verteidigungsministerium hat bereits für sechs Caesar-Haubitzen bezahlt, sagte Lecornu. Es ist das erste Mal seit Beginn des Krieges, dass die Ukraine mit eigenem Geld französische Waffen kauft. Komplett uneigennützig ist die Artilleriekoalition nicht. Frankreich finanziert zwar mit 50 Millionen Euro zwölf Haubitzen, so Lecornu, 60 der Kriegsgeräte im Wert von 280 Millionen Euro sollten allerdings noch von den Partnernationen bezahlt werden.
“Das ist eine Summe, die mir für die verschiedenen Budgets der Partnerländer erreichbar scheint”, sagte der Minister. Sollten Koalitionen mit Waffen ins Leben gerufen werden, die die französische Industrie nicht produzieren kann, “werden wir uns selbstverständlich finanziell an Beschaffung und Produktion beteiligen”, fügte er an.
Am Dienstag hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zudem die Lieferung von etwa 40 Scalp-Marschflugkörpern und mehreren hundert AASM-Präzisionsbomben angekündigt, die jeweils für Schläge weit in feindlichem Gebiet geeignet sind. Mit der neuen Initiative soll die Ukraine auch längerfristig unterstützt werden und Interoperabilität mit Nato-Streitkräften hergestellt werden. “Man sieht, dass wir die Systematik ändern”, sagte Lecornu. Man müsse in eine Produktionsweise kommen, die es ermögliche, die “nordamerikanischen, europäischen Verteidigungsindustrien” mit der Ukraine “direkt zu verbinden”.
Im vergangenen Jahr waren bereits Fähigkeitskoalitionen zur Stärkung der ukrainischen Marine, Luftwaffe, Luftverteidigung und zur Ausstattung mit Panzern ins Leben gerufen worden. bub
Die neue Militärdoktrin von Belarus soll den Einsatz taktischer Atomwaffen vorsehen. Die Waffen seien bereits in Belarus stationiert. Das hat Verteidigungsminister Wiktor Chrenin in dieser Woche in der Landeshauptstadt Minsk bekannt gegeben. Die Allbelarussische Volksversammlung – eine Zusammenkunft mehrerer Institutionen – muss die Doktrin noch annehmen.
Ob die Atomwaffen tatsächlich im Land sind, lässt sich nicht unabhängig überprüfen. Im vergangenen Jahr hatten Russland und Belarus Pläne für die Stationierung russischer Nuklearwaffen in Belarus verkündet. Nach Angaben der belarussischen Opposition im Exil sollen mehrere Orte für die Stationierung der Waffen vorbereitet worden sein. Laut offiziellen russischen Angaben habe Moskau Belarus Iskander-Raketen übergeben, die atomare Sprengköpfe tragen können, sowie mehrere alte, sowjetische Kampfflugzeuge (SU-25) umgerüstet. Zur Zeit der Sowjetunion waren in Belarus Atomraketen stationiert, die 1996 mit internationaler Finanzierung Russland übergeben wurden. Lukaschenko hat diesen Schritt mehrfach kritisiert.
Belarus leistet wichtige logistische Hilfe für Russlands Krieg gegen die Ukraine, es produziert Munition und bildet russische Soldaten aus. Die Zahl gemeinsamer Manöver zwischen den Ländern hat sich seit der Vollinvasion Russlands in die Ukraine stark erhöht.
Laut Chrenin, der die Doktrin in einer kurzen öffentlichen Stellungnahme erläuterte, soll es Reaktionsmuster für äußere und innere Bedrohungen geben. In diesem Zusammenhang sei die Erfahrung aus dem gescheiterten Putschversuch in Kasachstan im Januar 2022 berücksichtigt worden – eine Botschaft an die wenigen verbliebenen Oppositionellen im Land. Der Kern der auf Verteidigung ausgelegten Doktrin, so Chrenin, sei aber “der friedliebende Charakter des belarussischen Volkes”. vf
The New Yorker: How Ten Middle East Conflicts Are Converging Into One Big War. Verschiedenste Fronten und Akteure stehen sich in Nahost gegenüber, mehrere Konflikte verschmelzen unweigerlich miteinander. Mittendrin stehen die USA, die seit 9/11 auf Bedrohungen nicht mehr diplomatisch, sondern ausschließlich militärisch reagieren – laut US-Botschafter Dan Kurzer ein grob unterschätzter Risikofaktor.
Spiegel: Volodymyr zweifelt und hat Angst – doch er wird in den Krieg ziehen. Der Personalmangel in der ukrainischen Armee ist gravierend. Ein neues Mobilisierungsgesetz soll das ändern. Der Entwurf sieht vor, das Mindestalter für die Wehrpflicht von 27 auf 25 Jahre zu senken. Wer sich ihr entzieht, dem drohen bis zu fünf Jahre Gefängnis. Der Spiegel beleuchtet, was diese Aussicht mit jungen ukrainischen Männern macht.
Netzpolitik.org: Datenhändler verticken Handy-Standorte von EU-Bürgern. Über 80 Gigabyte Daten und Standorte, unter anderem von Menschen aus sicherheitsrelevanten Gruppen, angeboten über die Plattform eines Berliner Datenbrokers. Eine aktuelle Recherche des privaten Radios BNR verdeutlicht, wie groß die Gefahr vom weltweiten Handel mit Daten ist.
Le monde diplomatique: Wie imperialistisch ist Putins Russland? Eine Hegemonialmacht, neu-kolonialistisch und imperialistisch – Rhetoriken wie diese sind keine Seltenheit, wenn es um Russland geht. Der Artikel untersucht, wie historisch berechtigt die damit verbundenen Narrative sind und wie die verschiedenen Seiten des russischen Nationalismus ihre Verwendung beeinflussen.
Frühjahr 2014 – Russland besetzt die Krim. Julia Friedlander, die zu dem Zeitpunkt als leitende Politikberaterin im US-Finanzministerium tätig ist, muss Mitten in der Nacht die wichtigsten Informationen zur Invasion bündeln. Obwohl das Erstellen von politischen Briefings für sie eine alltägliche Aufgabe war, berichtete sie dort zum ersten Mal im Kriegskontext. Heute ist sie die erste US-amerikanische Geschäftsführerin der Atlantik-Brücke. Der deutsche Verein bietet nach Eigenauskunft ein Netzwerk für “Entscheidungstragende aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Medien von beiden Seiten des Atlantiks”.
Das Interesse für den europäischen Raum entwickelt sich bei der 39-jährigen gebürtigen New Yorkerin schon früh. Zunächst studiert sie europäische Geschichte an der Princeton University und macht anschließend ihren Master in Internationale Beziehungen und Energiepolitik an der Johns Hopkins School. Schon als Wirtschaftsanalystin bei der CIA erstellte sie Analysen zur Eurokrise und zu internationalen Energiemärkten. Später beschäftigte sie sich auch im National Security Council und US-Finanzministerium mit europäischen Angelegenheiten – alles Schritte, die sie zu ihrer heutigen Position als Geschäftsführerin der Atlantik-Brücke brachten.
Die Atlantik-Brücke fokussiert sich als gemeinnützige Organisation vor allem auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Sowohl in Deutschland als auch in den USA müsse ein Umdenken bezüglich der Beziehungen auf bilateraler, aber auch auf multilateraler Ebene stattfinden. Deutschland würde sich selbst zu oft unterschätzen, dabei bräuchten sich beide Länder als enge Partner auf Augenhöhe. “Man denkt immer, die Politik wird in Washington gestaltet und da kann Deutschland entweder mitmachen oder nicht. Aber so läuft es nicht”, sagt Friedlander.
Auf der anderen Seite sollte der USA nähergebracht werden, dass der Austausch mit Europa auch anders funktioniert. Zu lange wurden Angelegenheiten mit den jeweiligen Hauptstädten direkt ausgehandelt und die Institution “Europäische Union”, in welcher die Interessen vieler europäischer Staaten gebündelt sind, wurde nicht ausreichend als allumfassender Partner angesehen. Allgemein müsse bei dem Austausch mit Europa von einem bilateralen zu einem multilateralen Ansatz umgestiegen werden – die Zukunft liegt in Brüssel.
Die anstehenden US-Wahlen 2024 könnten ebenfalls zu einer Veränderung der transatlantischen Beziehungen führen. Ein zentraler Punkt sind hierbei die internen sozialen Ungleichheiten in den USA. Für dieses Jahr beobachtet Friedlander, mit welchen Strategien zu deren Bekämpfung die möglichen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und Joe Biden in ihrem Wahlkampf auftreten werden. Die Auswirkungen einer solchen Politik könnten zum Beispiel beim Angriffskrieg gegen die Ukraine sichtbar werden.
Es findet sowohl bei den Republikanern als auch bei den Demokraten ein Umdenken statt, in welchem Umfang Finanzmittel für weit entfernte Länder bereitgestellt werden sollen. Die geografische Entfernung kann nach Meinung der Geschäftsführerin jedoch täuschen. Ein vollkommener territorialer Verlust der Ukraine würde ein Zeichen an Länder senden, die ebenfalls Machtvorstellungen haben. Für die Zukunft Europas heißt das: “Egal wer Präsident wird, Europa wird mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen müssen”, meint Friedlander. Anna Tayts
Deborah Düring ist Nachfolgerin Jürgen Trittins als außenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. Die 1994 in München geborene Sozialwissenschaftlerin gehört seit 2021 dem Bundestag an und wird wie Trittin dem linken Flügel der Grünen zugerechnet. Nach Auslandsaufenthalten in Costa Rica und Peru machte sie in Frankfurt am Main ihren Master in Friedens- und Konfliktforschung. Im Gespräch mit Table.Media wies sie auf die Bedeutung einer “lebendigen und vielfältigen Zivilgesellschaft” sowie auf eine “gerechte und effektive multilaterale Zusammenarbeit” hin, um die vielfältigen globalen Herausforderungen zu meistern. “Die konsequente Einhaltung des Völkerrechts, der Menschenrechte und der demokratischen Werte sind dabei handlungsleitend für unsere Außenpolitik.” mrb
Claude Weinber ist neuer Interimsleiter des Israel-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv. Der 1953 in Belgien geborene Deutsch-Österreicher hatte die Dependance der Grünen-nahen Stiftung 1997 gegründet und bis 2001 geleitet. Danach war er mehr als zehn Jahre lang Leiter des Brüsseler Büros der Böll-Stiftung. Weinber gehört auch weiterhin dem Board of Directors der Green European Foundation an. Er übernimmt die Büroleitung in der vielleicht schwersten Krise Israels seit der Staatsgründung 1948, die durch die Angriffe der Terrororganisation Hamas im vergangenen Oktober ausgelöst wurde. Zudem finden sich die deutschen politischen Stiftungen ebenso wie die progressive israelische Zivilgesellschaft Angriffen der rechtsextremen Mitglieder des Ende 2022 gebildeten sechsten Kabinetts von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ausgesetzt. mrb
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nur kurz nach seiner Vereidigung am 19. Januar 2023 musste Verteidigungsminister Boris Pistorius Deutschlands Verbündeten erklären, warum Berlin keine Leopard-Kampfpanzer an die Ukraine liefert. Ein Jahr später hat es der Niedersachse zum beliebtesten Minister der derzeit eher unbeliebten Bundesregierung gebracht. Und das, obwohl er das Organigramm seines Ressorts nur zögerlich verändert.
Ein gutes Standing bei der Bundeswehr verschafft sich Pistorius aktuell als Einkäufer: Allein für das erste Halbjahr 2024 liegen dem Bundestag 43 25 Millionen Euro-Vorlagen vor. Sebastian Schäfer von den Grünen sagt, dass zur Finanzierung nach 2026 kein Weg an einem zweiten Sondervermögen vorbeiführe. Nicht zuletzt in Hinblick auf Deutschlands Rolle bei der militärisch Verteidigung Europas im Falle einer Wiederwahl Donald Trumps.
Wenn am Freitag in vier Wochen im Bayerischen Hof die 60. Münchner Sicherheitskonferenz beginnt, könnten Deutschland, Frankreich und Polen das Weimarer Dreieck wiederbeleben. Mehr zu den Plänen von Christoph Heusgen für dieJubiläums-MSC hören sie heute im Table.Today-Podcast unserer Chefredaktion, Helene Bubrowski und Michael Bröcker.
An dieser Stelle wollen wir noch den Kolleginnen und Kollegen von Research.Table gratulieren: Das Briefing für Wissenschaft, Forschung und Politik feierte am Donnerstag seinen 1. Geburtstag. Als Geschenk an die Leserinnen und Leser gibt es die ersten zehn Teile der Serie “Wissenschaftliche Politikberatung – quo vadis?” mit Statements unter anderem von Bärbel Bas, Helge Braun und Veronika Grimm hier als Reader.
Beim zweiten Anlauf dürfte es nun klappen: Die EU-Botschafter haben diese Woche im Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK) einem Vorschlag des Außenbeauftragten Josep Borrell für eine Marinemission im Roten Meer grundsätzlich zugestimmt. Kein Mitgliedstaat habe sich gegen den europäischen Beitrag zur Sicherung des Seeverkehrs vor Angriffen jemenitischer Huthi-Rebellen gestellt, so Diplomaten. Einen ersten Anlauf hatte Spanien im Dezember noch blockiert.
Vor Ende Februar wird die Marinemission aber kaum starten können. Beim Treffen der Außenministerinnen und Außenminister am Montag steht die Mission formell nicht auf der Agenda, dürfte aber im Rahmen der Diskussion über die Lage im Nahen Osten ein Thema sein. Nach der grundsätzlichen Zustimmung müssten jetzt erst noch die Details der Mission ausgearbeitet werden, so Diplomaten. Konkret also Mandat und Einsatzgebiet sowie auch der Standort des Hauptquartiers und die Frage der nötigen “Assets”.
Die Bundesregierung stehe bereit, sich an der Mission zu beteiligen, so Sebastian Fischer, Sprecher des Auswärtigen Amtes. Die Rede ist von der Fregatte “Hessen”, die bereits Anfang Februar Richtung Rotes Meer aufbrechen könnte. Bevor die Bundeswehr an der Mission teilnehmen kann, braucht es allerdings die Zustimmung des Bundestages. Ziel ist, dass die Außenminister der Mitgliedstaaten beim Treffen am 19. Februar dann formell den Start der Mission beschließen können.
Die EU müsse ihren Beitrag dazu leisten, der kommerziellen Schifffahrt eine sichere Durchfahrt im Roten Meer zu garantieren, mahnte diese Woche die EU-Abgeordnete Hannah Neumann, Vorsitzende der Delegation für die Beziehungen zur arabischen Halbinsel. Die deutsche Grüne kritisierte im EU-Parlament, dass die Mitgliedstaaten so lange gebraucht hätten. Dabei sind die USA zusammen mit Großbritannien mit ihrer Mission Operation Prosperity Guardian längst präsent, wobei einige EU-Staaten ihre Vorbehalte angesichts der Präzisionsangriffe US-amerikanischer und britischer Streitkräfte auf Waffenlager und Drohnenabschussrampen der Huthi zuletzt bestätigt sahen.
Eigentlich müsste der Fall auch für die Europäer klar sein. Die Handelsroute über den Suezkanal und das Rote Meer ist für Europas Wirtschaft von strategischer Bedeutung. In einem ersten Anlauf hatte der Außenbeauftragte Borrell noch im Dezember vorgeschlagen, auf der von Spanien geführten EU-Antipirateriemission Atalanta aufzubauen und deren Mandat auf den Einsatz zum Schutz vor Huthi-Rebellen zu erweitern.
Dies hätte einen schnellen Start der Mission ermöglicht. Spaniens Regierungschef Pedro Sanchez stellte sich jedoch aus Rücksicht auf seine linken Koalitionspartner dagegen, die jede Nähe zu Washington im Gazakonflikt kritisch sehen. Beim zweiten Anlauf habe sich Spanien in “konstruktiver Enthaltung” geübt, so Diplomaten. Nach dem neuen Vorschlag von Josep Borrell soll der Einsatz jetzt auf einer anderen Marinemission in der Region aufbauen, nämlich auf Agenor, einer von Frankreich geführten Überwachungsoperation in der Straße von Hormuz, einer wichtigen Arterie für den Transport von Erdöl.
Die Operation wird seit 2020 nach Angriffen auf Öltanker von einer “Koalition der Willigen” aus neun Staaten unterstützt, darunter auch Deutschland. Der Vorschlag des Europäischen Auswärtigen Dienstes sieht mindestens drei Fregatten für die neue Mission vor. Vorgesehen sind auch Flugzeuge, Hubschrauber und Drohnen zur Luftüberwachung.
Agenor würde unter bisherigem oder eventuell neuem Namen “Aspis”, wie unter anderem der Spiegel berichtet, ihr Operationsgebiet auf das Rote Meer ausdehnen, das Hauptquartier aber wie bisher in Abu Dhabi bleiben. Neben Deutschland hat unter anderem auch Schweden signalisiert, sich mit einer Fregatte zu beteiligen. Die Streitkräfte seien gebeten worden, die Möglichkeiten für eine schwedische Unterstützung zu prüfen, so das Verteidigungsministerium in Stockholm. Italien, Frankreich und Griechenland sind bereits in der Region mit Kriegsschiffen präsent.
Offen ist, ob die Marinemission nur kommerzielle Schiffe eskortieren oder im Fall von Angriffen auch aktiv Drohnen bekämpfen oder gar Abschussrampen der Huthi-Rebellen zerstören darf. Je nach Mandat, so Diplomaten, müssten auch die nötigen “Assets” bestimmt werden. Proaktive Schläge gegen militärische Ziele im Jemen, wie zuletzt von den USA und Großbritannien ausgeführt, sind allerdings nicht vorgesehen.
Sein Programm für die Bundeswehr fasste Boris Pistorius gleich am ersten Arbeitstag in drei Worten zusammen. “Es geht um Abschreckung, Wirksamkeit und Einsatzfähigkeit“, sagte der neue Verteidigungsminister am 19. Januar 2023, wenige Stunden nach seiner Vereidigung, beim ersten öffentlichen Auftritt als Ressortchef im eisigen Wind auf dem Antreteplatz des Bendlerblocks in Berlin. Ein Jahr später ist der Niedersachse beliebtester Minister einer sonst nicht besonders beliebten Bundesregierung.
Das ist vor allem in seiner Fähigkeit begründet, besser als etliche Vorgänger(innen) die Bedeutung und Notwendigkeit der Streitkräfte zu kommunizieren. Doch ist er mit seinen drei Punkten Abschreckung, Wirksamkeit und Einsatzfähigkeit der Bundeswehr nach einem Amtsjahr nur begrenzt vorangekommen.
Das allerdings liegt nicht allein, noch nicht mal in erster Linie, an Pistorius. Bereits am Tag nach Amtsantritt musste er mit den Begrenzungen seiner Aufgabe klarkommen: Beim Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in der Pfalz durfte der neue deutsche Verteidigungsminister im Kreis der Verbündeten der Ukraine keine deutschen Leopard-Kampfpanzer zusagen. Erst eine knappe Woche später gaben sein Chef, Bundeskanzler Olaf Scholz, und dann das ganze Bundeskabinett grünes Licht für die Lieferung der von der Ukraine so dringend erbetenen deutschen Waffensysteme.
Schon Pistorius’ erste Woche an der Spitze von Verteidigungsministerium und Bundeswehr war damit ein Vorzeichen für seine weitere Tätigkeit. Mit so viel öffentlicher Zustimmung zu den Streitkräften in Zeiten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, dank 100-Milliarden-Sondervermögen mit so viel Geld wie schon lange nicht mehr ausgestattet, sah sich der Neue von Anfang an hohen Erwartungen gegenüber.
Vergessen wurde dabei oft, dass ein Verteidigungsminister wie alle anderen Kabinettsmitglieder in die Mühlen einer (Koalitions-)Regierung eingebunden ist. Und auch, dass die fein ziselierten Gesetze und Bestimmungen in Deutschland und Europa einem Chef der Streitkräfte auch in den aktuellen Krisen nicht größeren Freiraum gewähren.
Mit seinem neuen Generalinspekteur Carsten Breuer, den er im März als obersten Soldaten ins Ministerium holte, schob Pistorius schnell die großen Beschaffungsvorhaben der Truppe an. Neue Kampfjets, neue schwere Transporthubschrauber, das Luftverteidigungssystem Arrow aus Israel und das deutsche Flugabwehrsystem Iris-T SLM, um nur die teuersten Posten zu nennen, wurden bestellt. Doch bis sie bei der Truppe ankommen, werden Jahre vergehen: Die Produktionsdauer der komplexen Waffensysteme erlaubt keine schnelle Lieferung.
Das gilt – besonders bitter für Minister wie Truppe – auch für das Gerät, was an die Ukraine abgegeben wurde. Es muss ersetzt werden, wenn die Bundeswehr nicht noch weiter Ausrüstung und damit ihre Fähigkeiten zur Abschreckung sowie ihre Wirksamkeit und Einsatzfähigkeit verlieren soll. 18 Kampfpanzer Leopard A2 lieferte Deutschland an die ukrainischen Streitkräfte, die im vergangenen Jahr bestellten Nachfolger werden noch eine Zeit auf sich warten lassen.
Das Beispiel Leopard A2 zeigt: Auch mit Zustimmung und Geld lassen sich die Lücken nicht schließen, die die Schrumpfentscheidungen der vergangenen Jahrzehnte in einer jahrelang immer kleiner werdenden Bundeswehr gerissen haben. Dass sich Pistorius dagegen stemmt, wird ihm innerhalb wie außerhalb der Truppe angerechnet. Auch wenn sich das bei Soldaten und Soldatinnen bislang noch kaum praktisch auswirkt. “Was ich im vergangenen Jahr bekommen habe? Einen neuen Rucksack”, merkt ein Stabsoffizier sarkastisch an.
Das ist dem Minister kaum anzulasten. Schwerer wiegt da schon, wie fast schon zögerlich der Niedersachse agierte, wenn es darum ging, den eigenen Laden aufzuräumen. Zwar tauschte er sehr schnell den bedächtigen Generalinspekteur Eberhard Zorn gegen Breuer aus. Auch ein wichtiges Steuerungselement im Ministerium selbst, einen neuen Planungs- und Führungsstab, richtete er innerhalb weniger Monate ein.
Doch die Struktur von Ministerium und Bundeswehr insgesamt ließ er zunächst weitgehend unangetastet. Im Herbst verfügte Pistorius zwar einen Mini-Umbau der Abteilungen, der aber viel mit internen Organisationsabläufen zu tun hatte und nicht so erkennbar viel mit Schlagkraft. Dabei hatte er schon auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2023, sehr kurz nach Amtsantritt, öffentlich bekundet: Das Organigramm des großen, auch noch auf die Standorte Berlin und Bonn verteilten Ressorts habe wenig mit Effizienz zu tun. Grundlegend änderte er daran nichts.
Folgenschwerer dürfte allerdings sein, dass sich der Minister über Monate nicht zu einem Umbau der Strukturen der Bundeswehr selbst entschloss. Erst im November kündigte er an, sein Staatssekretär Nils Hilmer und der Generalinspekteur sollten neue Strukturen für die Organisation von Truppe, Teilstreitkräften und Organisationsbereichen erarbeiten.
Die sollen bis Ostern vorliegen – das Problem dabei: Auch wenn Ostern in diesem Jahr vergleichsweise früh liegt, bleibt dann nicht viel mehr als ein gutes Jahr, die dann beschlossenen Änderungen auch umzusetzen, ehe die nächste Bundestagswahl möglicherweise die Spitze des Ressorts wieder durcheinander wirbelt.
Und Klarheit über Strukturen und Zuständigkeiten erwartet die Truppe dringend. Schon Pistorius’ überraschende und mutig-energische Entscheidung im vergangenen Juni, in Litauen dauerhaft eine Kampfbrigade des Heeres zu stationieren, muss in die ganze Organisation eingepasst werden: Bekommt das Heer damit faktisch neun Brigaden, oder muss an anderer Stelle in Deutschland reduziert werden, damit es wie bisher bei acht Brigaden bleiben kann?
Das hängt nicht zuletzt auch mit den Plänen des Ministers für die künftige Größe der Bundeswehr zusammen. Bislang ließ Pistorius offen, ob er die Zielvorstellung seiner Vorgängerinnen von 203.000 Soldatinnen und Soldaten einschließlich rund 3.500 Reservisten beibehalten oder nach oben oder unten anpassen will.
Faktisch kommt die Truppe derzeit trotz aller Anstrengungen nicht über um die 181.000 Aktive hinaus; ob die Anstrengungen und Vorschläge einer “Task Force Personal” das grundsätzlich verbessern werden, scheint zweifelhaft. Und die Andeutungen des Ministers für eine mögliche Reaktivierung der Wehrpflicht, nach welchem Modell auch immer, waren bisher vor allem für eines gut: Widerstand in der eigenen Partei und bei den Koalitionspartnern hervorzurufen.
Auf dem Weg, sein Programm zu verwirklichen, steht Pistorius deshalb noch eine weite Strecke bevor. Eines allerdings ist ihm in seinen ersten zwölf Monaten im Amt gelungen: Dass Deutschland Streitkräfte braucht und für ihre Wirksamkeit sorgen muss, wird zunehmend zum Konsens in der Gesellschaft. Auch wenn da bisweilen selbst seine Unterstützer ein wenig über die Wortwahl erschrecken. Verteidigungsbereit ja – aber mit Pistorius’ Begriff “kriegstüchtig”, so berechtigt er auch sein mag, hadern dann doch einige.
Die 60. Münchner Sicherheitskonferenz (MCS) vom 16. bis 18. Februar in München soll kleine diplomatische Initiativen für zentrale Konfliktfelder in der Welt bringen. Außerdem hofft der Vorsitzende der MSC, Christoph Heusgen, auf eine Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks mit dem Besuch von Kanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem neuen polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk.
“Ich halte es für sehr wichtig, dass wir das deutsch-französische Paar wieder erweitern um Polen als das größte Land in Osteuropa. Wenn das gelingt, wäre das sehr schön. Die Einladung steht”, sagte Heusgen im Interview für Table.Today, dem neuen Podcast von Table.Media.
“Wir versuchen in guten wie in schlechten Zeiten einen Beitrag zu leisten, dass die Welt sicherer wird, in dem wir Politiker, Militärs und Zivilgesellschaft zusammenbringen, damit sie im Gespräch herausfinden, wo es einen Silberstreif am Horizont gibt”, so Heusgen. Man werde die wichtigsten geopolitischen Konflikte auf den verschiedenen Bühnen der MSC diskutieren. “Unsere Moderatoren der einzelnen Panels sollen herausfinden, wo man ansetzen kann, wo ein Ausweg einer vertrackten Situation sein könnte.”
Heusgen rechnet damit, dass unter anderem der außenpolitische Chefberater des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei in China, Wang Yi, die US-Vizepräsidentin Kamala Harris sowie die führenden Staats- und Regierungschefs aus Afrika und Europa kommen werden.
Außerdem soll ein Fokus auf den südamerikanischen Krisenstaat Haiti gelegt werden und Vertreter des globalen Südens in den Mittelpunkt vieler Panels und Diskussionsrunden gesetzt werden. “Uns geht es nicht nur um die Ukraine oder das transatlantische Verhältnis. Wir sehen die Herausforderungen des globalen Südens.”
Heusgen erwartet von der Konferenz in diesem Jahr auch ein klares Bekenntnis zur Unterstützung der Ukraine. “Ich erhoffe mir die Verstärkung der Botschaft: Wir unterstützen die Ukraine as long as it takes. Dann haben wir einen Beitrag auch zu einem Friedensschluss geleistet.” Für Putin könnten Friedensverhandlungen nur interessant sein, wenn er spüre, dass der Westen und Europa weiter klar hinter der Ukraine stehe.
Der frühere langjährige Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigte die Entscheidung, wie im vergangenen Jahr keinen Vertreter der russischen Regierung eingeladen zu haben. Dies sei ja auch gar nicht möglich: “Putin würde verhaftet, wenn er käme.” brö
Der Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestags hat am Donnerstag neue Widersprüche in den Lageeinschätzungen von Auswärtigem Amt und Bundesnachrichtendienst (BND) unmittelbar vor dem Einmarsch der Taliban in Kabul im August 2021 zutage gelegt. Befragt wurde unter anderem ein Referent der deutschen Botschaft in Kabul, der damals dem Krisenunterstützungsteam (KUT) der Botschaft angehörte, und ein Vertreter der Residentur des BND in der afghanischen Hauptstadt. Ziel des im Sommer 2022 eingesetzten Ausschusses ist es unter anderem, herauszufinden, inwieweit Kompetenzgerangel zwischen den vor Ort tätigen deutschen Institutionen im Vorfeld der Evakuierung im August 2021 die Lage verschärfte.
Thema der Befragung am Donnerstag war unter anderem eine Email aus der BND-Residentur in Kabul an die Zentrale in Berlin, in der von einer Krisensitzung nur zwei Tage vor der Machtübernahme der Taliban in Kabul berichtet wurde. Bei dem Treffen habe der stellvertretende deutsche Botschafter, Jan Hendrik van Thiel, mehrfach der Lagedarstellung des BND widersprochen, heißt es in der Mail, wonach die Einschätzungen von USA und Großbritannien “sehr wohl eine gewaltsame Übernahme Kabuls” innerhalb der “nächsten 30 Tage sähen”. Weiter wird die BND-Vizepräsidentin des Dienstes gebeten, “in den nächsten Tagen und Wochen” mit ihren britischen und US-amerikanischen Kollegen “zu eruieren, wie die dortige Lageeinschätzung tatsächlich ist”.
Vorsitzender des Afghanistan-Untersuchungsausschuss ist der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner. Anderthalb Jahre nach seiner Einsetzung soll die Beweisaufnahme Ende dieses Jahres abgeschlossen werden – mit der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel als Zeugin. Bis zum Sommer 2025 soll der Abschlussbericht im Bundestag vorgestellt werden. mrb
Dem Haushalts- und Verteidigungsausschuss sollen im ersten Halbjahr 43 Vorlagen zu Vertragsabschlüssen mit einem Auftragswert von mehr als 25 Millionen Euro zugeleitet werden. 2023 waren es im ganzen Jahr 55, so viele wie nie zuvor.
Der Grünen-Haushaltspolitiker Sebastian Schäfer, stellvertretender Vorsitzender des Gremiums “Sondervermögen Bundeswehr”, sagte im Interview mit Table.Media, dass dieser Trend “in diesem Jahr entsprechend fortgesetzt werden” solle, bemängelte jedoch, dass die Vergabe von mehr Aufträgen allein nicht ausreichten, um die Ausstattung der Bundeswehr auf die Höhe der Zeit zu bringen. “Wir brauchen größere Produktionskapazitäten bei unserer Rüstungsindustrie. Da gibt es großen Nachholbedarf - gerade mit Blick auf Russland, das durch seine Kriegswirtschaft die Produktion von Rüstungsgütern erheblich erhöht hat.”
Unter anderem plant das Verteidigungsministerium, die Vertragsoption für Bau und Lieferung von zwei weiteren Fregatten vom Typ F 126 zu ziehen; die ersten vier waren bereits 2023 vertraglich abgeschlossen worden. Auch ein Vertragsabschluss für den Schweren Waffenträger Infanterie ist in Planung. Schäfer bezeichnete es als “schmerzhaft”, dass im Verteidigungshaushalt 2024 rund eine halbe Milliarde Euro aus dem Sondervermögen Bundeswehr für Unterstützungsleistungen für die Ukraine verwendet würden, und nicht für die Modernisierung von Material für die Truppe. Dabei handele es sich jedoch um einen “Konsolidierungsbeitrag”.
Mittelfristig führe ohnehin kein Weg daran vorbei, ein neues Sondervermögen aufzusetzen, um “die Differenz zwischen dem Verteidigungsetat und dem Zweiprozentziel, das etwa 25 bis dreißig Milliarden Euro beträgt”, auszugleichen. “Deshalb braucht es ein zweites Sondervermögen, das in einer ganz anderen Dimension ausgestaltet werden muss, um die Bundeswehr in den Stand zu versetzen, in dieser schwierigen Zeit zu bestehen.” mrb
Der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu hat am Donnerstag mit seinem ukrainischen Pendant Rustem Umerow eine Artilleriekoalition zur Unterstützung der Ukraine ins Leben gerufen. 23 Länder, darunter auch Deutschland, schließen sich im Rahmen des Ramstein-Formats zu dieser von Frankreich gemeinsam mit den USA geführten Initiative zusammen.
Die Ukraine soll dadurch 78 Caesar-Haubitzen erhalten. Der französische Hersteller Nexter habe seine Produktionskapazitäten so hochgefahren, dass die 78 Haubitzen im Jahr 2024 für die Ukraine produziert werden können, sagte Lecornu am Donnerstag in Paris. Im Oktober 2023 hatte Nexter mitgeteilt, dass man die Produktionszeit einer Haubitze von 30 auf 15 Monate reduziert habe. 49 Caesar-Haubitzen befinden sich bereits in der Ukraine.
Das ukrainische Verteidigungsministerium hat bereits für sechs Caesar-Haubitzen bezahlt, sagte Lecornu. Es ist das erste Mal seit Beginn des Krieges, dass die Ukraine mit eigenem Geld französische Waffen kauft. Komplett uneigennützig ist die Artilleriekoalition nicht. Frankreich finanziert zwar mit 50 Millionen Euro zwölf Haubitzen, so Lecornu, 60 der Kriegsgeräte im Wert von 280 Millionen Euro sollten allerdings noch von den Partnernationen bezahlt werden.
“Das ist eine Summe, die mir für die verschiedenen Budgets der Partnerländer erreichbar scheint”, sagte der Minister. Sollten Koalitionen mit Waffen ins Leben gerufen werden, die die französische Industrie nicht produzieren kann, “werden wir uns selbstverständlich finanziell an Beschaffung und Produktion beteiligen”, fügte er an.
Am Dienstag hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zudem die Lieferung von etwa 40 Scalp-Marschflugkörpern und mehreren hundert AASM-Präzisionsbomben angekündigt, die jeweils für Schläge weit in feindlichem Gebiet geeignet sind. Mit der neuen Initiative soll die Ukraine auch längerfristig unterstützt werden und Interoperabilität mit Nato-Streitkräften hergestellt werden. “Man sieht, dass wir die Systematik ändern”, sagte Lecornu. Man müsse in eine Produktionsweise kommen, die es ermögliche, die “nordamerikanischen, europäischen Verteidigungsindustrien” mit der Ukraine “direkt zu verbinden”.
Im vergangenen Jahr waren bereits Fähigkeitskoalitionen zur Stärkung der ukrainischen Marine, Luftwaffe, Luftverteidigung und zur Ausstattung mit Panzern ins Leben gerufen worden. bub
Die neue Militärdoktrin von Belarus soll den Einsatz taktischer Atomwaffen vorsehen. Die Waffen seien bereits in Belarus stationiert. Das hat Verteidigungsminister Wiktor Chrenin in dieser Woche in der Landeshauptstadt Minsk bekannt gegeben. Die Allbelarussische Volksversammlung – eine Zusammenkunft mehrerer Institutionen – muss die Doktrin noch annehmen.
Ob die Atomwaffen tatsächlich im Land sind, lässt sich nicht unabhängig überprüfen. Im vergangenen Jahr hatten Russland und Belarus Pläne für die Stationierung russischer Nuklearwaffen in Belarus verkündet. Nach Angaben der belarussischen Opposition im Exil sollen mehrere Orte für die Stationierung der Waffen vorbereitet worden sein. Laut offiziellen russischen Angaben habe Moskau Belarus Iskander-Raketen übergeben, die atomare Sprengköpfe tragen können, sowie mehrere alte, sowjetische Kampfflugzeuge (SU-25) umgerüstet. Zur Zeit der Sowjetunion waren in Belarus Atomraketen stationiert, die 1996 mit internationaler Finanzierung Russland übergeben wurden. Lukaschenko hat diesen Schritt mehrfach kritisiert.
Belarus leistet wichtige logistische Hilfe für Russlands Krieg gegen die Ukraine, es produziert Munition und bildet russische Soldaten aus. Die Zahl gemeinsamer Manöver zwischen den Ländern hat sich seit der Vollinvasion Russlands in die Ukraine stark erhöht.
Laut Chrenin, der die Doktrin in einer kurzen öffentlichen Stellungnahme erläuterte, soll es Reaktionsmuster für äußere und innere Bedrohungen geben. In diesem Zusammenhang sei die Erfahrung aus dem gescheiterten Putschversuch in Kasachstan im Januar 2022 berücksichtigt worden – eine Botschaft an die wenigen verbliebenen Oppositionellen im Land. Der Kern der auf Verteidigung ausgelegten Doktrin, so Chrenin, sei aber “der friedliebende Charakter des belarussischen Volkes”. vf
The New Yorker: How Ten Middle East Conflicts Are Converging Into One Big War. Verschiedenste Fronten und Akteure stehen sich in Nahost gegenüber, mehrere Konflikte verschmelzen unweigerlich miteinander. Mittendrin stehen die USA, die seit 9/11 auf Bedrohungen nicht mehr diplomatisch, sondern ausschließlich militärisch reagieren – laut US-Botschafter Dan Kurzer ein grob unterschätzter Risikofaktor.
Spiegel: Volodymyr zweifelt und hat Angst – doch er wird in den Krieg ziehen. Der Personalmangel in der ukrainischen Armee ist gravierend. Ein neues Mobilisierungsgesetz soll das ändern. Der Entwurf sieht vor, das Mindestalter für die Wehrpflicht von 27 auf 25 Jahre zu senken. Wer sich ihr entzieht, dem drohen bis zu fünf Jahre Gefängnis. Der Spiegel beleuchtet, was diese Aussicht mit jungen ukrainischen Männern macht.
Netzpolitik.org: Datenhändler verticken Handy-Standorte von EU-Bürgern. Über 80 Gigabyte Daten und Standorte, unter anderem von Menschen aus sicherheitsrelevanten Gruppen, angeboten über die Plattform eines Berliner Datenbrokers. Eine aktuelle Recherche des privaten Radios BNR verdeutlicht, wie groß die Gefahr vom weltweiten Handel mit Daten ist.
Le monde diplomatique: Wie imperialistisch ist Putins Russland? Eine Hegemonialmacht, neu-kolonialistisch und imperialistisch – Rhetoriken wie diese sind keine Seltenheit, wenn es um Russland geht. Der Artikel untersucht, wie historisch berechtigt die damit verbundenen Narrative sind und wie die verschiedenen Seiten des russischen Nationalismus ihre Verwendung beeinflussen.
Frühjahr 2014 – Russland besetzt die Krim. Julia Friedlander, die zu dem Zeitpunkt als leitende Politikberaterin im US-Finanzministerium tätig ist, muss Mitten in der Nacht die wichtigsten Informationen zur Invasion bündeln. Obwohl das Erstellen von politischen Briefings für sie eine alltägliche Aufgabe war, berichtete sie dort zum ersten Mal im Kriegskontext. Heute ist sie die erste US-amerikanische Geschäftsführerin der Atlantik-Brücke. Der deutsche Verein bietet nach Eigenauskunft ein Netzwerk für “Entscheidungstragende aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Medien von beiden Seiten des Atlantiks”.
Das Interesse für den europäischen Raum entwickelt sich bei der 39-jährigen gebürtigen New Yorkerin schon früh. Zunächst studiert sie europäische Geschichte an der Princeton University und macht anschließend ihren Master in Internationale Beziehungen und Energiepolitik an der Johns Hopkins School. Schon als Wirtschaftsanalystin bei der CIA erstellte sie Analysen zur Eurokrise und zu internationalen Energiemärkten. Später beschäftigte sie sich auch im National Security Council und US-Finanzministerium mit europäischen Angelegenheiten – alles Schritte, die sie zu ihrer heutigen Position als Geschäftsführerin der Atlantik-Brücke brachten.
Die Atlantik-Brücke fokussiert sich als gemeinnützige Organisation vor allem auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Sowohl in Deutschland als auch in den USA müsse ein Umdenken bezüglich der Beziehungen auf bilateraler, aber auch auf multilateraler Ebene stattfinden. Deutschland würde sich selbst zu oft unterschätzen, dabei bräuchten sich beide Länder als enge Partner auf Augenhöhe. “Man denkt immer, die Politik wird in Washington gestaltet und da kann Deutschland entweder mitmachen oder nicht. Aber so läuft es nicht”, sagt Friedlander.
Auf der anderen Seite sollte der USA nähergebracht werden, dass der Austausch mit Europa auch anders funktioniert. Zu lange wurden Angelegenheiten mit den jeweiligen Hauptstädten direkt ausgehandelt und die Institution “Europäische Union”, in welcher die Interessen vieler europäischer Staaten gebündelt sind, wurde nicht ausreichend als allumfassender Partner angesehen. Allgemein müsse bei dem Austausch mit Europa von einem bilateralen zu einem multilateralen Ansatz umgestiegen werden – die Zukunft liegt in Brüssel.
Die anstehenden US-Wahlen 2024 könnten ebenfalls zu einer Veränderung der transatlantischen Beziehungen führen. Ein zentraler Punkt sind hierbei die internen sozialen Ungleichheiten in den USA. Für dieses Jahr beobachtet Friedlander, mit welchen Strategien zu deren Bekämpfung die möglichen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und Joe Biden in ihrem Wahlkampf auftreten werden. Die Auswirkungen einer solchen Politik könnten zum Beispiel beim Angriffskrieg gegen die Ukraine sichtbar werden.
Es findet sowohl bei den Republikanern als auch bei den Demokraten ein Umdenken statt, in welchem Umfang Finanzmittel für weit entfernte Länder bereitgestellt werden sollen. Die geografische Entfernung kann nach Meinung der Geschäftsführerin jedoch täuschen. Ein vollkommener territorialer Verlust der Ukraine würde ein Zeichen an Länder senden, die ebenfalls Machtvorstellungen haben. Für die Zukunft Europas heißt das: “Egal wer Präsident wird, Europa wird mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen müssen”, meint Friedlander. Anna Tayts
Deborah Düring ist Nachfolgerin Jürgen Trittins als außenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. Die 1994 in München geborene Sozialwissenschaftlerin gehört seit 2021 dem Bundestag an und wird wie Trittin dem linken Flügel der Grünen zugerechnet. Nach Auslandsaufenthalten in Costa Rica und Peru machte sie in Frankfurt am Main ihren Master in Friedens- und Konfliktforschung. Im Gespräch mit Table.Media wies sie auf die Bedeutung einer “lebendigen und vielfältigen Zivilgesellschaft” sowie auf eine “gerechte und effektive multilaterale Zusammenarbeit” hin, um die vielfältigen globalen Herausforderungen zu meistern. “Die konsequente Einhaltung des Völkerrechts, der Menschenrechte und der demokratischen Werte sind dabei handlungsleitend für unsere Außenpolitik.” mrb
Claude Weinber ist neuer Interimsleiter des Israel-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv. Der 1953 in Belgien geborene Deutsch-Österreicher hatte die Dependance der Grünen-nahen Stiftung 1997 gegründet und bis 2001 geleitet. Danach war er mehr als zehn Jahre lang Leiter des Brüsseler Büros der Böll-Stiftung. Weinber gehört auch weiterhin dem Board of Directors der Green European Foundation an. Er übernimmt die Büroleitung in der vielleicht schwersten Krise Israels seit der Staatsgründung 1948, die durch die Angriffe der Terrororganisation Hamas im vergangenen Oktober ausgelöst wurde. Zudem finden sich die deutschen politischen Stiftungen ebenso wie die progressive israelische Zivilgesellschaft Angriffen der rechtsextremen Mitglieder des Ende 2022 gebildeten sechsten Kabinetts von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ausgesetzt. mrb
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