kurz vor Mitternacht endlich einmal gute Nachrichten aus Nahost: Das Büro von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bedankte sich in einem Statement bei Ägypten und dem Roten Kreuz für die Unterstützung bei der Freilassung von zwei israelischen Frauen aus der Geiselhaft der Hamas. Vor 17 Tagen hatte die Terrororganisation die 79-jährige Nurit Cooper und die 85-jährige Yocheved Lifshitz aus dem Kibbuz Nir Oz in den Gazastreifen entführt – ihre Ehemänner sind weiter in der Gewalt der Hamas, so wie 200 weitere Menschen aus mehr als vierzig Nationen.
Der Krieg in Israel findet auch an einer unsichtbaren Front statt, im Cyberspace. Feindliche Hackeraktivisten, staatliche Akteure und schlicht Kriminelle greifen verschieden Ziele im Land an. In gewöhnlichen Zeiten kann die Cybermacht Israel solche Attacken ohne große Probleme abwehren. Falk Steiner erklärt, warum das jetzt schwieriger ist – und warum private Überwachungskameras ein Risiko darstellen.
Vor einigen Tagen besuchte ich im ukrainischen Lwiw zwei Rehabilitationszentren für Frauen, Männer und Kinder, die infolge des Krieges Gliedmaßen verloren haben. Die meisten Opfer sind Soldatinnen und Soldaten. Doch Minen und Geschosse verletzten auch Zivilisten. Seriöse Schätzungen gehen von mehreren Tausend Menschen mit Amputationen aus. Wie sie Hilfe bekommen, und warum die Hilfe nicht reicht, lesen Sie in meiner Analyse.
Zum Schluss noch eine gute Nachricht: Unser Kollege Thomas Wiegold wird mit dem Karl-Carstens-Preis der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) für sicherheitspolitische Kommunikation geehrt – gemeinsam mit Ulrike Franke, Carlo Masala und Frank Sauer. In ihrem Podcast Sicherheitshalber klärt das Quartett regelmäßig über die Krisen auf, die uns betreffen. Die Preisverleihung findet am kommenden Freitag in der Bundesakademie statt. Auf deren Webseite können Sie die Ehrung und den Talk ab 11 Uhr live verfolgen.
Wir wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre
Israelische IT-Sicherheitssysteme stehen seit dem Angriff der Hamas unter digitalem Dauerbeschuss. Checkpoint, eines der bekannteren Cybersecurity-Unternehmen aus Tel Aviv, fasst dabei drei Trends zusammen: Russland zugerechnete “Hacktivisten” würden sich nun Israel zuwenden, ebenso wie regierungsnahe iranische Akteure. Und, als würde das nicht reichen, würden auch gewöhnliche Cyberkriminelle ihre Chance für Ransomware-Angriffe suchen.
Die offiziellen israelischen Stellen warnen explizit vor Attacken, bei denen Unbekannte Nachrichten etwa per WhatsApp oder Telegram an Mobiltelefone schicken – mit Links, hinter denen sich angeblich Informationen zu Vermissten und Verschleppten befinden. Tatsächlich führen sie zu Schadsoftware.
Als besonders gefährlich gelten Angriffe auf Industriesteuerungsanlagen. Israel ist abhängig etwa von Meerwasserentsalzungsanlagen, die aufgrund einer weitgehend perfektionierten Wasseraufbereitung Brauchwasser wieder zu Trinkwasser werden lässt. Genau solche Steuerungsanlagen will etwa die Gruppe GhostSec unter Kontrolle gebracht haben. Die ist kein klar zurechenbarer Akteur, soll in der Vergangenheit auch schon Angriffe auf iranische und russische Systeme verursacht haben. Eine andere Gruppierung namens ThreatSec wiederum gab bekannt, gegen Ziele im Gaza-Streifen digital vorzugehen, etwa gegen einen wichtigen lokalen Internetanbieter.
Distributed Denial-of-Service-Attacken seien als das “Steinewerfen des digitalen Zeitalters” zwar ärgerlich, wären aber vergleichsweise einfach abzuwehren, sagt Mirko Ross vom Stuttgarter IT/OT-Security-Spezialisten Asvin. Angriffe auf Industriesteuerungssysteme (SCADA/ICS) seien etwas schwieriger zu bewältigen, aber auch kein Hexenwerk. Sie würden in der Regel zudem nur begrenzt Schaden anrichten können. Das liege an physischen Schutzmechanismen, die normalerweise analoge Fehlerquellen wie Fehlbedienung einhegen müssten. Durch sie seien auch Angriffe auf digitale Steuerungsanlagen nur begrenzt wirksam. Per Remote-Kontrolle über den Schieberegler Brunnen zu vergiften sei etwa kaum möglich.
Den Angreifern gehe es mit ihren Aktionen in erster Linie darum, Israel schwach aussehen zu lassen und Verunsicherung auszulösen, sagte Mirko Ross. Trotzdem müsse man bedenken: “Bei der ganzen Panik, die man oft unter dem Stichwort Cyberwar hört: Menschen werden in erster Linie von Raketen und Bomben getötet.” Israel sei zwar eigentlich eine Cybersicherheits-Weltmacht – allerdings stelle die schiere Masse an Unterstützern für die palästinensische Seite ein Problem dar.
Ross spricht von einem Verhältnis von etwa einem proisraelischen Akteur zu sechs propalästinensischen Gruppierungen. Diese Asymmetrie verschaffe den Angreifern Vorteile: “In manchen Bereichen, insbesondere im Informationsraum, können sie da nicht mithalten.” Die Hamas habe die Social-Media-Dimension bei ihrem Angriff mitbedacht – und im Westen Schrecken ausgelöst, in muslimischen Ländern zugleich Unterstützung mobilisiert.
Eine ganz besondere Rolle scheinen in dem Konflikt vernetzte Überwachungskameras zu spielen. Diese sind in Israel weit verbreitet und oftmals schlecht geschützt. Diverse Angreifergruppen rühmen sich damit, Zugriff auf solche Kameras erlangt zu haben. Schon im vergangenen Jahr hatte das Cyberdirektorat in einem detaillierten Report Maßnahmen aufgeführt, wie die Kameras besser geschützt werden könnten.
Erst am Freitag gab die Behörde, die beim Büro des Premierministers Benjamin Netanjahu angesiedelt ist, eine Warnung heraus: Kameras sollten möglichst vom Internet getrennt werden. In Zeiten militärischer Bewegungen ermöglichen die omnipräsenten Überwacher dem Feind noch mehr Einblicke als in friedlicheren Zeiten. In Kombination mit physischen Attacken sei das besonders gefährlich, mahnt der deutsche IT-Security-Spezialist Ross.
Im Bundesinnenministerium in Berlin beobachtet man die Lage ebenfalls genau. Spillover-Effekte aus dem Konflikt habe es bislang nicht gegeben und auch keine nachweisbaren Cyberbedrohungen im direkten Zusammenhang. Es gebe aber eine Vereinbarung, Beobachtungen dazu mit hoher Priorität mit den israelischen Stellen auszutauschen, sagt ein Sprecher.
Von deutschem Boden aus habe man zumindest bislang aber keine digitalen Angriffe auf Israel oder Unterstützung dafür wahrgenommen. “Bei Bedarf werden in diesem Zusammenhang auch etwaige künftige Unterstützungsanfragen mit besonderer Priorität geprüft und beantwortet”, heißt es. Auch Mirko Ross vom Security-Spezialisten Asvin sieht bislang keine große Lageveränderung: Die Bedrohungslage sei im Kontext des russischen Angriffs auf die Ukraine ohnehin schon sehr hoch gewesen.
Dmytro ist 26, Zivilist, Elektriker, von großer Statur, still und sagt wenig; Ruslan, 28, ist Militärpolizist, kleiner als Dmytro, aber durchtrainiert, lächelt und antwortet ausführlich auf Fragen. So unterschiedlich die Männer wirken – sie haben ein gemeinsames Schicksal: Beide verloren das rechte Bein im Krieg Russlands gegen die Ukraine.
“Ich bin von einem Strommast geklettert und auf eine Mine getreten”, erzählt Dmytro.
“Am zehnten Tag des Kriegs ist 15 Meter von mir entfernt eine Fliegerbombe runtergekommen”, erzählt Ruslan.
Die beiden Ukrainer sind Patienten des Prothesen- und Rehabilitationszentrums Superhumans in der westukrainischen Stadt Lwiw. Wie viele Menschen in der Ukraine im Kriege ihre Arme, Hände, Füße oder Beine verloren haben, ist unbekannt. Kiew gibt zu Toten und Verletzten keine Zahlen heraus, auch wenn US-Quellen von etwa 70.000 Gefallenen und bis zu 120.000 Verletzten sprechen.
Der deutsche Prothesenhersteller Ottobock rechnet mit etwa 50.000 Männern, Frauen und Kindern mit Amputationen. Es gibt niedrigere Zahlen, die genannt werden – nämlich 20.000 – aber auch höhere. Selbst wenn man die vorsichtigste Schätzung nimmt, waren es seit Kriegsbeginn mindestens 33 Amputationen täglich. In jedem Fall reichen die Kapazitäten im Land für deren Versorgung nicht aus. “Vor der Vollinvasion hatten wir landesweit drei Prothesenhersteller für Hände und vielleicht 30 für Beine”, erzählt der Chirurg Wolodymyr Fedorow. Er leitet das Prothesen- und Rehabilitationszentrum Unbroken, wo neben der Behandlung auch neue Prothesentechniker ausgebildet werden. Auch dieses Zentrum befindet sich in Lwiw.
Sowohl Superhumans als auch Unbroken nahmen ihre Arbeit im April 2023 auf. Die Zentren sind unterschiedlich organisiert. Superhumans finanziert sich vor allem privat, während Unbroken Teil des öffentlichen Gesundheitssystems ist und zusätzlich Spenden annimmt. Das Geld kommt aus der ganzen Welt sowohl von Unternehmen, öffentlichen Förderern als auch von Privatpersonen.
Beide Kliniken ringen mit ähnlichen Problemen: viele Patientinnen und Patienten, zu wenige Prothesentechniker, Orthopäden, Ärzte, Ergotherapeuten sowie andere Spezialisten wie etwa Trauma-Therapeuten. Und beide Behandlungszentren setzen aus Mangel an heimischen Produkten auf westliche Technik: Össur aus Island; Open Bionics aus Großbritannien, Covvi aus Italien, Ottobock aus Deutschland. Eine vollelektrische Hand kann mehr als 50.000 Euro kosten, ein Bein mehr als 70.000 Euro.
In den meisten Fällen verlieren Betroffene nach Minenexplosionen oder Artilleriebeschuss untere Extremitäten: Füße, Unterschenkel, ganze Beine. Oft müssen mehrere Gliedmaßen amputiert werden.
Der 28-jährige Ruslan geht raschen Schrittes auf die Trainingstreppe zu, steigt hoch und wieder herab. Prothesentechniker Dmitri Konontschuk überwacht auf einem Laptop die Daten, die ihm Ruslans vollelektrisches Bein sendet. Es geht um Belastungen in bestimmten Winkeln, Widerstands- und unterstützende Kraft des künstlichen Beins. Konontschuk gibt in sein Laptop ein paar Werte ein, und Ruslan geht lockerer und gleichmäßiger durch den Raum. Der Zivilist Dmytro beobachtet die schnellen, sicheren Bewegungen des Militärpolizisten Ruslan. Dmytro selbst hat noch ein Provisorium. Seine Verletzung ist erst sechs Monate her, der Stumpf noch nicht bereit für eine dauerhafte Hilfe.
Nach einigen Treppenaufstiegen, kurzen Sprints und Korrekturen auf dem Laptop ist das Bein von Ruslan so eingestellt, wie er es braucht. Er kommt ohne fremde Hilfe und ohne einen Rollstuhl klar – ein großer Vorteil in einem Land, dessen sowjetisch geprägte öffentliche Infrastruktur keine Rücksicht auf Menschen mit Einschränkungen nimmt.
Hätte Ruslan eine lange Hose, würde sein Gang nicht verraten, dass er ein künstliches Bein des deutschen Herstellers Ottobock hat. Das niedersächsische Unternehmen arbeitet mit den Kliniken in Lwiw seit der Vollinvasion zusammen. Für die Ukraine gebe es ein spezielles Rabattprogramm und in Duderstadt würden technische Spezialisten aus der Ukraine ausgebildet, erläutert die Pressesprecherin des Unternehmens, Merle Florstedt. Auch in Russland ist Ottobock nach wie vor präsent – ein Punkt, den mehrere Gesprächspartner in Lwiw kritisieren. Das Unternehmen habe die Zahl der Standorte in Russland von sechs auf drei reduziert und “arbeite nicht mit dem russischen Militär zusammen”, betont die Sprecherin.
Im gesamten Krankenhaus von Superhumans begegnen Patienten mit erst kürzlich erlittenen Verletzungen Betroffenen, deren Genesung schon fortgeschritten ist. “Wir haben Kolleginnen und Kollegen, die selbst Amputationen haben und die sich um Neuankömmlinge kümmern. Diese Kommunikation von gleich zu gleich ist wichtig für die Psyche”, erläutert Pressesprecher Andrij Schick, während er durch die Klinik führt. Aktuell könne Superhumans 50 Patientinnen und Patienten pro Monat versorgen, 1020 weitere warten auf eine Behandlung.
Fünf neue Zentren will Superhumans landesweit errichten. Für das Zentrum in Lwiw waren 15 Millionen US-Dollar an Investitionen nötig, die neuen Standorte würden kleiner ausfallen und benötigten zumindest in der Startphase fünf bis sechs Millionen US-Dollar, erläutert die für Fundraising verantwortliche Kateryna Kovalchuk.
Auch Unbroken baut aus. Die Zahl der Betten in Lwiw soll von aktuell 150 auf dann 250 wachsen. Hinzu kommt die Ausbildung von Prothesentechnikern, in die Unbroken investiert. “Dieses Wissen können wir dann weiter geben, wenn es woanders neue Kriege gibt”, sagt der Chirurg Fedorow nüchtern. Gut wäre auch eine eigene, ukrainische Prothesenfabrik, ergänzt er. “Wir brauchen eigene Unternehmen, dann könnten wir günstiger herstellen. Der Bedarf wird lange bestehen bleiben.”
In der deutschen Politik wächst die Bereitschaft, Israel stärker militärisch auszustatten. “Deutschland soll Israel nach den Interessen des israelischen Staates unterstützen”, sagte der Grünen-Verteidigungspolitiker Philip Krämer im Interview mit Table.Media. “Die Mangellage bei bestimmten Waffensystemen aufgrund der Lieferungen an die Ukraine darf keine Ausrede für Nichtstun sein.” Seit Beginn des Gazakriegs vor zwei Wochen hat die Bundesregierung Sanitätsmaterial an Israel geliefert und ihr zwei von der Bundeswehr geleaste, israelische Heron-TP-Drohnen zur Nutzung überlassen. “Dementsprechend ist es, glaube ich, gut und richtig, dass wir keine Abstufungen mehr vornehmen, wenn in Israel die Notwendigkeit an deutschen Militärgütern besteht”, sagte Krämer. Artilleriemunition konnte nicht geliefert werden, weil diese bereits an die Ukraine weitergegeben worden ist.
Krämer bezeichnete die Vertiefung der deutsch-israelischen Militärkooperation als “Zeitenwende”. So wie die Ukraine müsse man “auch Israel unterstützen, weil das demokratische Staaten sind, die ganz klar aufseiten des Westens stehen”. Nur so ergebe “die Aussage, die Verteidigung von Israels Sicherheit sei deutsche Staatsräson, Sinn”.
Auch der frühere Bundestagspräsident und Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Norbert Lammert (CDU), hält eine stärkere militärische Unterstützung Israels für richtig. Waffenlieferungen Deutschlands an Israel befürworte er, “wenn es die Notwendigkeit dafür gibt”, sagte Lammert im Interview mit Table.Media.
Lammert äußerte sich skeptisch, dass die EU eine gemeinsame Haltung zum Krieg in Israel finden könne. “Ich fürchte, dass mit zunehmender Dauer dieser brutalen Auseinandersetzung nach dem Angriff der Hamas auf Israel das Finden und Umsetzen einer gemeinsamen europäischen Position auch von Monat zu Monat schwerer werden wird.” Am Montag waren in Luxemburg die EU-Außenminister zusammengekommen, um eine gemeinsame Linie zu finden. Während Staaten wie Deutschland und Ungarn den derzeitigen Gegenschlag der israelischen Armee grundsätzlich als legitime Selbstverteidigung ansehen, betrachten Länder wie Spanien, Irland und Belgien Israels Vorgehen kritisch. mrb/klm
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat dem Parlament den Antrag Schwedens zum Beitritt zur Nato zur Ratifizierung vorgelegt. Erdoğan habe das Beitrittsprotokoll unterzeichnet und an die Große Nationalversammlung weitergeleitet, teilte das Präsidialamt am Montag mit. Eine Zustimmung gilt als wahrscheinlich – das Bündnis von Erdogans islamisch-konservativer AKP hat im Parlament eine Mehrheit.
Die Türkei hatte den Nato-Beitritt Schwedens monatelang blockiert. Ankara hatte seine Blockade immer wieder mit einem aus ihrer Sicht unzureichenden Einsatz Schwedens gegen “Terrororganisationen” begründet. Dabei geht es Ankara vor allem um die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und die syrische Kurdenmiliz YPG.
Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hatte Schweden im Mai 2022 gemeinsam mit Finnland die Nato-Mitgliedschaft beantragt. Finnland wurde Anfang April als 31. Mitglied im Bündnis willkommen geheißen. dpa
Drei Eurofighter der Luftwaffe werden vom 1. November an für vier Wochen das spanische Kontingent beim Nato Baltic Air Policing auf dem Militärflughafen Ämari im Norden Estlands unterstützen. Ende November sollen dann zwei weitere Eurofighter im Rahmen der Nato-Mission Air Policing South ins rumänische Constanța ans Schwarze Meer verlegt werden.
Die Einsätze erfolgten zu routinemäßigen Übungs- und Einsatzzwecken, nicht weil ein höherer Bedarf bemerkt worden sei, erläuterte Oberstleutnant Alexander Feja, Sprecher des deutschen Air Policing-Einsatz im Baltikum. “Es geht um die Flugsicherheit für alle, es ist aber auch ein ganz klares sicherheitspolitisches Signal.”
Die deutschen Kampfjets in Estland werden nach dem “Plug and Fight”-Konzept in das spanische Kontingent integriert. Das Konzept wurde ursprünglich von der deutschen Luftwaffe mit der britischen Royal Air Force entwickelt, um die Interoperabilität der Nutzer-Nationen des Eurofighters innerhalb der Nato zu verbessern. Kleinere Kontingente docken an größeren an, und können so kurzfristig zur Verstärkung eingesetzt werden. Für Spanien ist es das erste Mal, dass sich deutsche Eurofighter an ihr Kontingent andocken. Die Mission an der rumänischen Schwarzmeerküste in Constanța soll dagegen eigenständig sein, nicht im Rahmen von “Plug and Fight”.
Für die Luftwaffe wird der Einsatz in Estland der vorerst letzte in dem baltischen Staat sein. Die nächste Air Policing-Mission erfolgt vom lettischen Lielvārde aus, 60 Kilometer südöstlich von Riga. Dort errichtet die Bundeswehr derzeit ein Feldlager. In Ämari müssen Start- und Landebahn erneuert werden. klm
Saudi-Arabien überlegt nach übereinstimmenden Medienberichten 54 Rafale-Kampfjets des französischen Flugzeugbauers Dassault Aviation zu kaufen. Zuerst hatte die französische Zeitung La Tribune darüber berichtet. Demnach habe Riad um ein entsprechendes Angebot der Firma bis zum 10. November gebeten.
Bislang hat Saudi-Arabien keine Kampfflugzeuge aus Frankreich geordert. Riad ist derzeit noch einer der wichtigsten Kunden für den Eurofighter, den das Eurofighter-Konsortium aus Airbus, dem britischen BAE Systems und Leonardo aus Italien herstellt.
Deutschland steuert zum Bau der Eurofighter Komponenten bei und muss die Lieferung deshalb freigeben. Die Bundesregierung hat allerdings Waffenexporte nach Saudi-Arabien wegen des Mordes am saudischen Journalisten Jamal Kashoggi 2018 und Saudi-Arabiens Beteiligung am Krieg im Jemen gestoppt. Großbritannien macht deshalb Druck zur Lockerung der deutschen Exportpolitik. 2018 unterschrieben Riad und London einen Vorvertrag für den Verkauf von 48 Eurofightern, London wartet aber auf die Freigabe aus Deutschland. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte im Juli gesagt, eine “Entscheidung zu Eurofighter-Lieferungen in Richtung Saudi-Arabien steht absehbar nicht an”. Im September 2022 genehmigte die Bundesregierung allerdings die Lieferung von Ersatzteilen für die bereits in der saudischen Flotte vorhandenen Eurofighter.
Sollte das Geschäft zustande kommen, wäre es ein Rückschlag für Airbus. Die deutsche Rüstungsindustrie fordert eine Folgebeauftragung der Bundesregierung für die Eurofighter-Produktion (siehe Standpunkt in dieser Ausgabe), die allerdings nur rentabel sein dürfte, wenn auch Eurofighter nach Saudi-Arabien verkauft würden. bub
Der französische Generalleutnant Bertrand Toujouse hat die Führung des neu geschaffenen Landkommandos für Luft-Land-Operationen in Europa (CTE) im nordfranzösischen Lille übernommen. In Lille ist auch das Kommando des französischen Heers angesiedelt. Das neue Kommando soll zunächst eine Brigade, also 6.000 Soldatinnen und Soldaten, zur Verlegung in Bereitschaft halten, bis 2027 soll eine Division schnell verlegbar sein, also bis zu 24.000 Streitkräfte.
Damit kommt Frankreich den Nato-Plänen nach, die im Juli beim Gipfel in Vilnius formuliert wurden. Sie sehen für alle nationalen Armeen Verantwortlichkeiten im Falle eines Angriffs vor. Das neue Kommando soll als Schnittstelle zur Nato, zur EU und Partnernationen für Landeinsätze fungieren und die Interoperabilität erhöhen, teilte das französische Verteidigungsministerium in einer Pressemitteilung mit.
Frankreich stellt derzeit in Rumänien im Rahmen der Nato Response Force 1.200 Streitkräfte sowie 300 in Estland. Das neue Kommando zeigt, dass Frankreich seinen Fokus zurück nach Europa verlegt. Am 10. Oktober hatte Paris mit dem Abzug seiner Truppen aus Niger begonnen. Zuvor hatten sich die französischen Truppen aus weiteren Ländern in der Sahel-Zone zurückgezogen. bub
Handelsblatt: Der Eurofighter manövriert Berlin in ein Dilemma. Sollte die Bundesregierung dabei bleiben, keine Waffen in Spannungsgebiete wie Saudi-Arabien zu liefern, fiele der Eurofighter als Exportgut aus. Ändert sie ihre Meinung, steht ihre Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Vieles hängt jetzt davon ab, wie sich Saudi-Arabien im Nahost-Konflikt verhält.
The Wall Street Journal: What Defense Stocks Say About a More Violent World. Der Krieg in Israel treibt die Aktien von Rüstungsfirmen in die Höhe. In der Vergangenheit haben lokale Konflikte nur für kurze Hochs gesorgt, die Frage ist, ob Chinas Aufrüstung und Russlands Krieg für einen dauerhaften Anstieg der Wertpapiere sorgen werden. Vor allem in bodengestützte Kriegsführung könnte investiert werden.
Jacobin: Türkische Angriffe zerstörten 80 Prozent der Infrastruktur in Nord-Ost-Syrien. Zwei der fünf Millionen Menschen in der autonomen kurdischen Region Rojava sind aktuell von Strom, Wasser und Gas abgeschnitten. Die Politologin Dilar Dirik darüber, weshalb Drohnenangriffe weniger Kritik hervorrufen als Landinvasionen.
Spiegel: Forschungsmittel für Künstliche Intelligenz sinken um zwölf Millionen Euro. Trotz der ohnehin schon schwachen Finanzierung der militärischen KI-Forschung in Deutschland streicht das Verteidigungsministerium Mittel für die wehrtechnische Forschung in diesem Bereich drastisch – von16,4 Millionen Euro 2022 auf gerade einmal 4,4 Millionen Euro in zwei Jahren.
Zum Erhalt nationaler Souveränität gehört eine leistungsstarke Kampfjetflotte mit eigenentwickelten technologischen Fähigkeiten im militärischen Flugzeugbau. Im Falle Deutschlands und unserer europäischen Partner ist diese Plattform der Eurofighter, der als Rückgrat der Luftwaffe den Luftraum Deutschlands und Europas für die nächsten Jahrzehnte weiter schützen wird. Aus diesem Grund ist es jetzt dringend geboten, dass die Bundesregierung ein sichtbares Zeichen zur Sicherung der Zukunft des Eurofighters durch einen ersten Entwicklungsauftrag für eine Tranche 5 setzt.
Der Eurofighter als europäisches Kooperationsprojekt bildet auch das Rückgrat mehrerer europäischer Luftwaffen. Für Deutschland ist dieses Waffensystem nicht nur von übergeordneter, strategischer Bedeutung für die Luftwaffe, sondern das strukturbestimmende militärische Luftfahrtprogramm, das unsere industrielle Landschaft entlang der gesamten Wertschöpfungskette bundesweit nachhaltig prägt. Es bedarf daher einer Grundsatzentscheidung zur Zukunft des Eurofighters noch in dieser Legislaturperiode.
Die Produktion des Eurofighters in Deutschland läuft nach jetzigem Planungsstand im Jahr 2030 mit der Lieferung der letzten Tranche 4-Maschine für die Bundeswehr aus. Da das zukünftige europäische Luftkampfsystem Future Combat Air System (FCAS) ab 2040 einsatzbereit sein soll, besteht derzeit eine Produktionslücke von zehn Jahren.
Was bedeutet eine solche Produktionslücke? Ohne eine baldige Folgebeauftragung (Tranche 5) durch die Bundesregierung droht ein Verlust von technologischem Know-How, das nur unter erheblichen finanziellen Anstrengungen wiedergewonnen werden kann – oder vielleicht sogar für immer verloren ist. Wir sprechen hier von einem möglichen Ende des militärischen Kampfflugzeugbaus in Deutschland – und damit verbunden einem entsprechenden Verlust von Arbeitsplätzen, Steuereinnahmen und insbesondere von Spitzentechnologien und Kompetenzen unserer Industrie, die über Jahrzehnte aufgebaut wurden. Und die Zeit wird rasch knapp: Die Zulieferindustrie wird ihre Arbeitspakete zur laufenden Tranche 4 bis spätestens 2027 abgeschlossen haben und braucht nun Klarheit, ob sie ihre Fähigkeiten in diesem Projekt über dieses Jahr hinaus erhalten kann und soll.
Aktuell hat die Unternehmensberatung PwC Strategy& im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) eine Studie zu den volkswirtschaftlichen Implikationen der Tranche 4 des Eurofighter-Programms auf die deutsche Wirtschaft erarbeitet. Diese zeigt auf, dass das Eurofighter-Programm entlang der gesamten Wertschöpfungskette 100.000 europäische Arbeitsplätze sichert, davon 25.000 in Deutschland. Insgesamt sind 120 Zulieferer in der ganzen Republik beteiligt.
Durch den Anteil der deutschen Industrie am Programm werden in erheblichem Maße Steuereinnahmen sowie Beiträge für die Sozialversicherungen und die Rentenkasse erwirtschaftet. Unterm Strich trägt das Eurofighter-Programm nicht nur maßgeblich zur Sicherheit Europas bei, zusätzlich generiert jeder investierte Euro auch ein Mehrfaches für das deutsche Bruttoinlandsprodukt.
Angesichts des drohenden Verlusts von Hochtechnologie, Wirtschaftskraft und strategischer Autonomie Europas lautet die entscheidende Frage jetzt: Wollen wir militärischen Flugzeugbau in Deutschland erhalten? Lautet die Antwort ‘ja’ – nicht zuletzt angesichts der geopolitischen Situation – dann müssen wir neben der aktuell in der Produktion befindlichen Tranche 4 des Eurofighters rasch die industrielle Brücke zur Zukunft schlagen.
Nur so können wir das System für die Bundeswehr und unsere Verbündeten langfristig auf dem neuesten Stand der Technik halten und wichtige technologische Grundlagen für die nächste Generation von Luftkampf-Plattformen schaffen. Damit verbunden ist eine Grundsatzentscheidung der Bundesregierung über eine zusätzliche Beschaffung von Eurofightern auf Basis dieser neuen Technologie.
Das heißt konkret: Noch in dieser Legislaturperiode benötigen wir die Beauftragung für die Weiterentwicklung des Eurofighters.
Alexander Reinhardt ist seit Juni 2023 Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI). Zuvor war er Vorstandsbeauftragter für Politik- und Regierungsangelegenheiten in Deutschland bei Airbus.
kurz vor Mitternacht endlich einmal gute Nachrichten aus Nahost: Das Büro von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bedankte sich in einem Statement bei Ägypten und dem Roten Kreuz für die Unterstützung bei der Freilassung von zwei israelischen Frauen aus der Geiselhaft der Hamas. Vor 17 Tagen hatte die Terrororganisation die 79-jährige Nurit Cooper und die 85-jährige Yocheved Lifshitz aus dem Kibbuz Nir Oz in den Gazastreifen entführt – ihre Ehemänner sind weiter in der Gewalt der Hamas, so wie 200 weitere Menschen aus mehr als vierzig Nationen.
Der Krieg in Israel findet auch an einer unsichtbaren Front statt, im Cyberspace. Feindliche Hackeraktivisten, staatliche Akteure und schlicht Kriminelle greifen verschieden Ziele im Land an. In gewöhnlichen Zeiten kann die Cybermacht Israel solche Attacken ohne große Probleme abwehren. Falk Steiner erklärt, warum das jetzt schwieriger ist – und warum private Überwachungskameras ein Risiko darstellen.
Vor einigen Tagen besuchte ich im ukrainischen Lwiw zwei Rehabilitationszentren für Frauen, Männer und Kinder, die infolge des Krieges Gliedmaßen verloren haben. Die meisten Opfer sind Soldatinnen und Soldaten. Doch Minen und Geschosse verletzten auch Zivilisten. Seriöse Schätzungen gehen von mehreren Tausend Menschen mit Amputationen aus. Wie sie Hilfe bekommen, und warum die Hilfe nicht reicht, lesen Sie in meiner Analyse.
Zum Schluss noch eine gute Nachricht: Unser Kollege Thomas Wiegold wird mit dem Karl-Carstens-Preis der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) für sicherheitspolitische Kommunikation geehrt – gemeinsam mit Ulrike Franke, Carlo Masala und Frank Sauer. In ihrem Podcast Sicherheitshalber klärt das Quartett regelmäßig über die Krisen auf, die uns betreffen. Die Preisverleihung findet am kommenden Freitag in der Bundesakademie statt. Auf deren Webseite können Sie die Ehrung und den Talk ab 11 Uhr live verfolgen.
Wir wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre
Israelische IT-Sicherheitssysteme stehen seit dem Angriff der Hamas unter digitalem Dauerbeschuss. Checkpoint, eines der bekannteren Cybersecurity-Unternehmen aus Tel Aviv, fasst dabei drei Trends zusammen: Russland zugerechnete “Hacktivisten” würden sich nun Israel zuwenden, ebenso wie regierungsnahe iranische Akteure. Und, als würde das nicht reichen, würden auch gewöhnliche Cyberkriminelle ihre Chance für Ransomware-Angriffe suchen.
Die offiziellen israelischen Stellen warnen explizit vor Attacken, bei denen Unbekannte Nachrichten etwa per WhatsApp oder Telegram an Mobiltelefone schicken – mit Links, hinter denen sich angeblich Informationen zu Vermissten und Verschleppten befinden. Tatsächlich führen sie zu Schadsoftware.
Als besonders gefährlich gelten Angriffe auf Industriesteuerungsanlagen. Israel ist abhängig etwa von Meerwasserentsalzungsanlagen, die aufgrund einer weitgehend perfektionierten Wasseraufbereitung Brauchwasser wieder zu Trinkwasser werden lässt. Genau solche Steuerungsanlagen will etwa die Gruppe GhostSec unter Kontrolle gebracht haben. Die ist kein klar zurechenbarer Akteur, soll in der Vergangenheit auch schon Angriffe auf iranische und russische Systeme verursacht haben. Eine andere Gruppierung namens ThreatSec wiederum gab bekannt, gegen Ziele im Gaza-Streifen digital vorzugehen, etwa gegen einen wichtigen lokalen Internetanbieter.
Distributed Denial-of-Service-Attacken seien als das “Steinewerfen des digitalen Zeitalters” zwar ärgerlich, wären aber vergleichsweise einfach abzuwehren, sagt Mirko Ross vom Stuttgarter IT/OT-Security-Spezialisten Asvin. Angriffe auf Industriesteuerungssysteme (SCADA/ICS) seien etwas schwieriger zu bewältigen, aber auch kein Hexenwerk. Sie würden in der Regel zudem nur begrenzt Schaden anrichten können. Das liege an physischen Schutzmechanismen, die normalerweise analoge Fehlerquellen wie Fehlbedienung einhegen müssten. Durch sie seien auch Angriffe auf digitale Steuerungsanlagen nur begrenzt wirksam. Per Remote-Kontrolle über den Schieberegler Brunnen zu vergiften sei etwa kaum möglich.
Den Angreifern gehe es mit ihren Aktionen in erster Linie darum, Israel schwach aussehen zu lassen und Verunsicherung auszulösen, sagte Mirko Ross. Trotzdem müsse man bedenken: “Bei der ganzen Panik, die man oft unter dem Stichwort Cyberwar hört: Menschen werden in erster Linie von Raketen und Bomben getötet.” Israel sei zwar eigentlich eine Cybersicherheits-Weltmacht – allerdings stelle die schiere Masse an Unterstützern für die palästinensische Seite ein Problem dar.
Ross spricht von einem Verhältnis von etwa einem proisraelischen Akteur zu sechs propalästinensischen Gruppierungen. Diese Asymmetrie verschaffe den Angreifern Vorteile: “In manchen Bereichen, insbesondere im Informationsraum, können sie da nicht mithalten.” Die Hamas habe die Social-Media-Dimension bei ihrem Angriff mitbedacht – und im Westen Schrecken ausgelöst, in muslimischen Ländern zugleich Unterstützung mobilisiert.
Eine ganz besondere Rolle scheinen in dem Konflikt vernetzte Überwachungskameras zu spielen. Diese sind in Israel weit verbreitet und oftmals schlecht geschützt. Diverse Angreifergruppen rühmen sich damit, Zugriff auf solche Kameras erlangt zu haben. Schon im vergangenen Jahr hatte das Cyberdirektorat in einem detaillierten Report Maßnahmen aufgeführt, wie die Kameras besser geschützt werden könnten.
Erst am Freitag gab die Behörde, die beim Büro des Premierministers Benjamin Netanjahu angesiedelt ist, eine Warnung heraus: Kameras sollten möglichst vom Internet getrennt werden. In Zeiten militärischer Bewegungen ermöglichen die omnipräsenten Überwacher dem Feind noch mehr Einblicke als in friedlicheren Zeiten. In Kombination mit physischen Attacken sei das besonders gefährlich, mahnt der deutsche IT-Security-Spezialist Ross.
Im Bundesinnenministerium in Berlin beobachtet man die Lage ebenfalls genau. Spillover-Effekte aus dem Konflikt habe es bislang nicht gegeben und auch keine nachweisbaren Cyberbedrohungen im direkten Zusammenhang. Es gebe aber eine Vereinbarung, Beobachtungen dazu mit hoher Priorität mit den israelischen Stellen auszutauschen, sagt ein Sprecher.
Von deutschem Boden aus habe man zumindest bislang aber keine digitalen Angriffe auf Israel oder Unterstützung dafür wahrgenommen. “Bei Bedarf werden in diesem Zusammenhang auch etwaige künftige Unterstützungsanfragen mit besonderer Priorität geprüft und beantwortet”, heißt es. Auch Mirko Ross vom Security-Spezialisten Asvin sieht bislang keine große Lageveränderung: Die Bedrohungslage sei im Kontext des russischen Angriffs auf die Ukraine ohnehin schon sehr hoch gewesen.
Dmytro ist 26, Zivilist, Elektriker, von großer Statur, still und sagt wenig; Ruslan, 28, ist Militärpolizist, kleiner als Dmytro, aber durchtrainiert, lächelt und antwortet ausführlich auf Fragen. So unterschiedlich die Männer wirken – sie haben ein gemeinsames Schicksal: Beide verloren das rechte Bein im Krieg Russlands gegen die Ukraine.
“Ich bin von einem Strommast geklettert und auf eine Mine getreten”, erzählt Dmytro.
“Am zehnten Tag des Kriegs ist 15 Meter von mir entfernt eine Fliegerbombe runtergekommen”, erzählt Ruslan.
Die beiden Ukrainer sind Patienten des Prothesen- und Rehabilitationszentrums Superhumans in der westukrainischen Stadt Lwiw. Wie viele Menschen in der Ukraine im Kriege ihre Arme, Hände, Füße oder Beine verloren haben, ist unbekannt. Kiew gibt zu Toten und Verletzten keine Zahlen heraus, auch wenn US-Quellen von etwa 70.000 Gefallenen und bis zu 120.000 Verletzten sprechen.
Der deutsche Prothesenhersteller Ottobock rechnet mit etwa 50.000 Männern, Frauen und Kindern mit Amputationen. Es gibt niedrigere Zahlen, die genannt werden – nämlich 20.000 – aber auch höhere. Selbst wenn man die vorsichtigste Schätzung nimmt, waren es seit Kriegsbeginn mindestens 33 Amputationen täglich. In jedem Fall reichen die Kapazitäten im Land für deren Versorgung nicht aus. “Vor der Vollinvasion hatten wir landesweit drei Prothesenhersteller für Hände und vielleicht 30 für Beine”, erzählt der Chirurg Wolodymyr Fedorow. Er leitet das Prothesen- und Rehabilitationszentrum Unbroken, wo neben der Behandlung auch neue Prothesentechniker ausgebildet werden. Auch dieses Zentrum befindet sich in Lwiw.
Sowohl Superhumans als auch Unbroken nahmen ihre Arbeit im April 2023 auf. Die Zentren sind unterschiedlich organisiert. Superhumans finanziert sich vor allem privat, während Unbroken Teil des öffentlichen Gesundheitssystems ist und zusätzlich Spenden annimmt. Das Geld kommt aus der ganzen Welt sowohl von Unternehmen, öffentlichen Förderern als auch von Privatpersonen.
Beide Kliniken ringen mit ähnlichen Problemen: viele Patientinnen und Patienten, zu wenige Prothesentechniker, Orthopäden, Ärzte, Ergotherapeuten sowie andere Spezialisten wie etwa Trauma-Therapeuten. Und beide Behandlungszentren setzen aus Mangel an heimischen Produkten auf westliche Technik: Össur aus Island; Open Bionics aus Großbritannien, Covvi aus Italien, Ottobock aus Deutschland. Eine vollelektrische Hand kann mehr als 50.000 Euro kosten, ein Bein mehr als 70.000 Euro.
In den meisten Fällen verlieren Betroffene nach Minenexplosionen oder Artilleriebeschuss untere Extremitäten: Füße, Unterschenkel, ganze Beine. Oft müssen mehrere Gliedmaßen amputiert werden.
Der 28-jährige Ruslan geht raschen Schrittes auf die Trainingstreppe zu, steigt hoch und wieder herab. Prothesentechniker Dmitri Konontschuk überwacht auf einem Laptop die Daten, die ihm Ruslans vollelektrisches Bein sendet. Es geht um Belastungen in bestimmten Winkeln, Widerstands- und unterstützende Kraft des künstlichen Beins. Konontschuk gibt in sein Laptop ein paar Werte ein, und Ruslan geht lockerer und gleichmäßiger durch den Raum. Der Zivilist Dmytro beobachtet die schnellen, sicheren Bewegungen des Militärpolizisten Ruslan. Dmytro selbst hat noch ein Provisorium. Seine Verletzung ist erst sechs Monate her, der Stumpf noch nicht bereit für eine dauerhafte Hilfe.
Nach einigen Treppenaufstiegen, kurzen Sprints und Korrekturen auf dem Laptop ist das Bein von Ruslan so eingestellt, wie er es braucht. Er kommt ohne fremde Hilfe und ohne einen Rollstuhl klar – ein großer Vorteil in einem Land, dessen sowjetisch geprägte öffentliche Infrastruktur keine Rücksicht auf Menschen mit Einschränkungen nimmt.
Hätte Ruslan eine lange Hose, würde sein Gang nicht verraten, dass er ein künstliches Bein des deutschen Herstellers Ottobock hat. Das niedersächsische Unternehmen arbeitet mit den Kliniken in Lwiw seit der Vollinvasion zusammen. Für die Ukraine gebe es ein spezielles Rabattprogramm und in Duderstadt würden technische Spezialisten aus der Ukraine ausgebildet, erläutert die Pressesprecherin des Unternehmens, Merle Florstedt. Auch in Russland ist Ottobock nach wie vor präsent – ein Punkt, den mehrere Gesprächspartner in Lwiw kritisieren. Das Unternehmen habe die Zahl der Standorte in Russland von sechs auf drei reduziert und “arbeite nicht mit dem russischen Militär zusammen”, betont die Sprecherin.
Im gesamten Krankenhaus von Superhumans begegnen Patienten mit erst kürzlich erlittenen Verletzungen Betroffenen, deren Genesung schon fortgeschritten ist. “Wir haben Kolleginnen und Kollegen, die selbst Amputationen haben und die sich um Neuankömmlinge kümmern. Diese Kommunikation von gleich zu gleich ist wichtig für die Psyche”, erläutert Pressesprecher Andrij Schick, während er durch die Klinik führt. Aktuell könne Superhumans 50 Patientinnen und Patienten pro Monat versorgen, 1020 weitere warten auf eine Behandlung.
Fünf neue Zentren will Superhumans landesweit errichten. Für das Zentrum in Lwiw waren 15 Millionen US-Dollar an Investitionen nötig, die neuen Standorte würden kleiner ausfallen und benötigten zumindest in der Startphase fünf bis sechs Millionen US-Dollar, erläutert die für Fundraising verantwortliche Kateryna Kovalchuk.
Auch Unbroken baut aus. Die Zahl der Betten in Lwiw soll von aktuell 150 auf dann 250 wachsen. Hinzu kommt die Ausbildung von Prothesentechnikern, in die Unbroken investiert. “Dieses Wissen können wir dann weiter geben, wenn es woanders neue Kriege gibt”, sagt der Chirurg Fedorow nüchtern. Gut wäre auch eine eigene, ukrainische Prothesenfabrik, ergänzt er. “Wir brauchen eigene Unternehmen, dann könnten wir günstiger herstellen. Der Bedarf wird lange bestehen bleiben.”
In der deutschen Politik wächst die Bereitschaft, Israel stärker militärisch auszustatten. “Deutschland soll Israel nach den Interessen des israelischen Staates unterstützen”, sagte der Grünen-Verteidigungspolitiker Philip Krämer im Interview mit Table.Media. “Die Mangellage bei bestimmten Waffensystemen aufgrund der Lieferungen an die Ukraine darf keine Ausrede für Nichtstun sein.” Seit Beginn des Gazakriegs vor zwei Wochen hat die Bundesregierung Sanitätsmaterial an Israel geliefert und ihr zwei von der Bundeswehr geleaste, israelische Heron-TP-Drohnen zur Nutzung überlassen. “Dementsprechend ist es, glaube ich, gut und richtig, dass wir keine Abstufungen mehr vornehmen, wenn in Israel die Notwendigkeit an deutschen Militärgütern besteht”, sagte Krämer. Artilleriemunition konnte nicht geliefert werden, weil diese bereits an die Ukraine weitergegeben worden ist.
Krämer bezeichnete die Vertiefung der deutsch-israelischen Militärkooperation als “Zeitenwende”. So wie die Ukraine müsse man “auch Israel unterstützen, weil das demokratische Staaten sind, die ganz klar aufseiten des Westens stehen”. Nur so ergebe “die Aussage, die Verteidigung von Israels Sicherheit sei deutsche Staatsräson, Sinn”.
Auch der frühere Bundestagspräsident und Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Norbert Lammert (CDU), hält eine stärkere militärische Unterstützung Israels für richtig. Waffenlieferungen Deutschlands an Israel befürworte er, “wenn es die Notwendigkeit dafür gibt”, sagte Lammert im Interview mit Table.Media.
Lammert äußerte sich skeptisch, dass die EU eine gemeinsame Haltung zum Krieg in Israel finden könne. “Ich fürchte, dass mit zunehmender Dauer dieser brutalen Auseinandersetzung nach dem Angriff der Hamas auf Israel das Finden und Umsetzen einer gemeinsamen europäischen Position auch von Monat zu Monat schwerer werden wird.” Am Montag waren in Luxemburg die EU-Außenminister zusammengekommen, um eine gemeinsame Linie zu finden. Während Staaten wie Deutschland und Ungarn den derzeitigen Gegenschlag der israelischen Armee grundsätzlich als legitime Selbstverteidigung ansehen, betrachten Länder wie Spanien, Irland und Belgien Israels Vorgehen kritisch. mrb/klm
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat dem Parlament den Antrag Schwedens zum Beitritt zur Nato zur Ratifizierung vorgelegt. Erdoğan habe das Beitrittsprotokoll unterzeichnet und an die Große Nationalversammlung weitergeleitet, teilte das Präsidialamt am Montag mit. Eine Zustimmung gilt als wahrscheinlich – das Bündnis von Erdogans islamisch-konservativer AKP hat im Parlament eine Mehrheit.
Die Türkei hatte den Nato-Beitritt Schwedens monatelang blockiert. Ankara hatte seine Blockade immer wieder mit einem aus ihrer Sicht unzureichenden Einsatz Schwedens gegen “Terrororganisationen” begründet. Dabei geht es Ankara vor allem um die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und die syrische Kurdenmiliz YPG.
Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hatte Schweden im Mai 2022 gemeinsam mit Finnland die Nato-Mitgliedschaft beantragt. Finnland wurde Anfang April als 31. Mitglied im Bündnis willkommen geheißen. dpa
Drei Eurofighter der Luftwaffe werden vom 1. November an für vier Wochen das spanische Kontingent beim Nato Baltic Air Policing auf dem Militärflughafen Ämari im Norden Estlands unterstützen. Ende November sollen dann zwei weitere Eurofighter im Rahmen der Nato-Mission Air Policing South ins rumänische Constanța ans Schwarze Meer verlegt werden.
Die Einsätze erfolgten zu routinemäßigen Übungs- und Einsatzzwecken, nicht weil ein höherer Bedarf bemerkt worden sei, erläuterte Oberstleutnant Alexander Feja, Sprecher des deutschen Air Policing-Einsatz im Baltikum. “Es geht um die Flugsicherheit für alle, es ist aber auch ein ganz klares sicherheitspolitisches Signal.”
Die deutschen Kampfjets in Estland werden nach dem “Plug and Fight”-Konzept in das spanische Kontingent integriert. Das Konzept wurde ursprünglich von der deutschen Luftwaffe mit der britischen Royal Air Force entwickelt, um die Interoperabilität der Nutzer-Nationen des Eurofighters innerhalb der Nato zu verbessern. Kleinere Kontingente docken an größeren an, und können so kurzfristig zur Verstärkung eingesetzt werden. Für Spanien ist es das erste Mal, dass sich deutsche Eurofighter an ihr Kontingent andocken. Die Mission an der rumänischen Schwarzmeerküste in Constanța soll dagegen eigenständig sein, nicht im Rahmen von “Plug and Fight”.
Für die Luftwaffe wird der Einsatz in Estland der vorerst letzte in dem baltischen Staat sein. Die nächste Air Policing-Mission erfolgt vom lettischen Lielvārde aus, 60 Kilometer südöstlich von Riga. Dort errichtet die Bundeswehr derzeit ein Feldlager. In Ämari müssen Start- und Landebahn erneuert werden. klm
Saudi-Arabien überlegt nach übereinstimmenden Medienberichten 54 Rafale-Kampfjets des französischen Flugzeugbauers Dassault Aviation zu kaufen. Zuerst hatte die französische Zeitung La Tribune darüber berichtet. Demnach habe Riad um ein entsprechendes Angebot der Firma bis zum 10. November gebeten.
Bislang hat Saudi-Arabien keine Kampfflugzeuge aus Frankreich geordert. Riad ist derzeit noch einer der wichtigsten Kunden für den Eurofighter, den das Eurofighter-Konsortium aus Airbus, dem britischen BAE Systems und Leonardo aus Italien herstellt.
Deutschland steuert zum Bau der Eurofighter Komponenten bei und muss die Lieferung deshalb freigeben. Die Bundesregierung hat allerdings Waffenexporte nach Saudi-Arabien wegen des Mordes am saudischen Journalisten Jamal Kashoggi 2018 und Saudi-Arabiens Beteiligung am Krieg im Jemen gestoppt. Großbritannien macht deshalb Druck zur Lockerung der deutschen Exportpolitik. 2018 unterschrieben Riad und London einen Vorvertrag für den Verkauf von 48 Eurofightern, London wartet aber auf die Freigabe aus Deutschland. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte im Juli gesagt, eine “Entscheidung zu Eurofighter-Lieferungen in Richtung Saudi-Arabien steht absehbar nicht an”. Im September 2022 genehmigte die Bundesregierung allerdings die Lieferung von Ersatzteilen für die bereits in der saudischen Flotte vorhandenen Eurofighter.
Sollte das Geschäft zustande kommen, wäre es ein Rückschlag für Airbus. Die deutsche Rüstungsindustrie fordert eine Folgebeauftragung der Bundesregierung für die Eurofighter-Produktion (siehe Standpunkt in dieser Ausgabe), die allerdings nur rentabel sein dürfte, wenn auch Eurofighter nach Saudi-Arabien verkauft würden. bub
Der französische Generalleutnant Bertrand Toujouse hat die Führung des neu geschaffenen Landkommandos für Luft-Land-Operationen in Europa (CTE) im nordfranzösischen Lille übernommen. In Lille ist auch das Kommando des französischen Heers angesiedelt. Das neue Kommando soll zunächst eine Brigade, also 6.000 Soldatinnen und Soldaten, zur Verlegung in Bereitschaft halten, bis 2027 soll eine Division schnell verlegbar sein, also bis zu 24.000 Streitkräfte.
Damit kommt Frankreich den Nato-Plänen nach, die im Juli beim Gipfel in Vilnius formuliert wurden. Sie sehen für alle nationalen Armeen Verantwortlichkeiten im Falle eines Angriffs vor. Das neue Kommando soll als Schnittstelle zur Nato, zur EU und Partnernationen für Landeinsätze fungieren und die Interoperabilität erhöhen, teilte das französische Verteidigungsministerium in einer Pressemitteilung mit.
Frankreich stellt derzeit in Rumänien im Rahmen der Nato Response Force 1.200 Streitkräfte sowie 300 in Estland. Das neue Kommando zeigt, dass Frankreich seinen Fokus zurück nach Europa verlegt. Am 10. Oktober hatte Paris mit dem Abzug seiner Truppen aus Niger begonnen. Zuvor hatten sich die französischen Truppen aus weiteren Ländern in der Sahel-Zone zurückgezogen. bub
Handelsblatt: Der Eurofighter manövriert Berlin in ein Dilemma. Sollte die Bundesregierung dabei bleiben, keine Waffen in Spannungsgebiete wie Saudi-Arabien zu liefern, fiele der Eurofighter als Exportgut aus. Ändert sie ihre Meinung, steht ihre Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Vieles hängt jetzt davon ab, wie sich Saudi-Arabien im Nahost-Konflikt verhält.
The Wall Street Journal: What Defense Stocks Say About a More Violent World. Der Krieg in Israel treibt die Aktien von Rüstungsfirmen in die Höhe. In der Vergangenheit haben lokale Konflikte nur für kurze Hochs gesorgt, die Frage ist, ob Chinas Aufrüstung und Russlands Krieg für einen dauerhaften Anstieg der Wertpapiere sorgen werden. Vor allem in bodengestützte Kriegsführung könnte investiert werden.
Jacobin: Türkische Angriffe zerstörten 80 Prozent der Infrastruktur in Nord-Ost-Syrien. Zwei der fünf Millionen Menschen in der autonomen kurdischen Region Rojava sind aktuell von Strom, Wasser und Gas abgeschnitten. Die Politologin Dilar Dirik darüber, weshalb Drohnenangriffe weniger Kritik hervorrufen als Landinvasionen.
Spiegel: Forschungsmittel für Künstliche Intelligenz sinken um zwölf Millionen Euro. Trotz der ohnehin schon schwachen Finanzierung der militärischen KI-Forschung in Deutschland streicht das Verteidigungsministerium Mittel für die wehrtechnische Forschung in diesem Bereich drastisch – von16,4 Millionen Euro 2022 auf gerade einmal 4,4 Millionen Euro in zwei Jahren.
Zum Erhalt nationaler Souveränität gehört eine leistungsstarke Kampfjetflotte mit eigenentwickelten technologischen Fähigkeiten im militärischen Flugzeugbau. Im Falle Deutschlands und unserer europäischen Partner ist diese Plattform der Eurofighter, der als Rückgrat der Luftwaffe den Luftraum Deutschlands und Europas für die nächsten Jahrzehnte weiter schützen wird. Aus diesem Grund ist es jetzt dringend geboten, dass die Bundesregierung ein sichtbares Zeichen zur Sicherung der Zukunft des Eurofighters durch einen ersten Entwicklungsauftrag für eine Tranche 5 setzt.
Der Eurofighter als europäisches Kooperationsprojekt bildet auch das Rückgrat mehrerer europäischer Luftwaffen. Für Deutschland ist dieses Waffensystem nicht nur von übergeordneter, strategischer Bedeutung für die Luftwaffe, sondern das strukturbestimmende militärische Luftfahrtprogramm, das unsere industrielle Landschaft entlang der gesamten Wertschöpfungskette bundesweit nachhaltig prägt. Es bedarf daher einer Grundsatzentscheidung zur Zukunft des Eurofighters noch in dieser Legislaturperiode.
Die Produktion des Eurofighters in Deutschland läuft nach jetzigem Planungsstand im Jahr 2030 mit der Lieferung der letzten Tranche 4-Maschine für die Bundeswehr aus. Da das zukünftige europäische Luftkampfsystem Future Combat Air System (FCAS) ab 2040 einsatzbereit sein soll, besteht derzeit eine Produktionslücke von zehn Jahren.
Was bedeutet eine solche Produktionslücke? Ohne eine baldige Folgebeauftragung (Tranche 5) durch die Bundesregierung droht ein Verlust von technologischem Know-How, das nur unter erheblichen finanziellen Anstrengungen wiedergewonnen werden kann – oder vielleicht sogar für immer verloren ist. Wir sprechen hier von einem möglichen Ende des militärischen Kampfflugzeugbaus in Deutschland – und damit verbunden einem entsprechenden Verlust von Arbeitsplätzen, Steuereinnahmen und insbesondere von Spitzentechnologien und Kompetenzen unserer Industrie, die über Jahrzehnte aufgebaut wurden. Und die Zeit wird rasch knapp: Die Zulieferindustrie wird ihre Arbeitspakete zur laufenden Tranche 4 bis spätestens 2027 abgeschlossen haben und braucht nun Klarheit, ob sie ihre Fähigkeiten in diesem Projekt über dieses Jahr hinaus erhalten kann und soll.
Aktuell hat die Unternehmensberatung PwC Strategy& im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) eine Studie zu den volkswirtschaftlichen Implikationen der Tranche 4 des Eurofighter-Programms auf die deutsche Wirtschaft erarbeitet. Diese zeigt auf, dass das Eurofighter-Programm entlang der gesamten Wertschöpfungskette 100.000 europäische Arbeitsplätze sichert, davon 25.000 in Deutschland. Insgesamt sind 120 Zulieferer in der ganzen Republik beteiligt.
Durch den Anteil der deutschen Industrie am Programm werden in erheblichem Maße Steuereinnahmen sowie Beiträge für die Sozialversicherungen und die Rentenkasse erwirtschaftet. Unterm Strich trägt das Eurofighter-Programm nicht nur maßgeblich zur Sicherheit Europas bei, zusätzlich generiert jeder investierte Euro auch ein Mehrfaches für das deutsche Bruttoinlandsprodukt.
Angesichts des drohenden Verlusts von Hochtechnologie, Wirtschaftskraft und strategischer Autonomie Europas lautet die entscheidende Frage jetzt: Wollen wir militärischen Flugzeugbau in Deutschland erhalten? Lautet die Antwort ‘ja’ – nicht zuletzt angesichts der geopolitischen Situation – dann müssen wir neben der aktuell in der Produktion befindlichen Tranche 4 des Eurofighters rasch die industrielle Brücke zur Zukunft schlagen.
Nur so können wir das System für die Bundeswehr und unsere Verbündeten langfristig auf dem neuesten Stand der Technik halten und wichtige technologische Grundlagen für die nächste Generation von Luftkampf-Plattformen schaffen. Damit verbunden ist eine Grundsatzentscheidung der Bundesregierung über eine zusätzliche Beschaffung von Eurofightern auf Basis dieser neuen Technologie.
Das heißt konkret: Noch in dieser Legislaturperiode benötigen wir die Beauftragung für die Weiterentwicklung des Eurofighters.
Alexander Reinhardt ist seit Juni 2023 Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI). Zuvor war er Vorstandsbeauftragter für Politik- und Regierungsangelegenheiten in Deutschland bei Airbus.