das neue Jahr in Kiew und Tel Aviv begann so wie das alte zu Ende ging: mit Luftalarm. Doch nicht nur in den Hauptstädten der Ukraine und Israels ist 2024 ein Ende der Kriege nicht in Sicht, auch in vielen anderen Städten hält die Bedrohung durch Raketen und Drohnen an – durch russische, oder durch die von Hamas und Hisbollah.
Darüber, wie die schwindende westliche Unterstützung für die Ukraine den Kriegsverlauf zugunsten Moskaus verändern könnte, werden wir Sie selbstverständlich über die US-Präsidentenwahl im November hinaus detailliert auf dem Laufenden halten – verstärkt bereits im Vorfeld der 60. Münchner Sicherheitskonferenz im Februar. Nicht nur die Weigerung von Bundeskanzler Olaf Scholz, Taurus-Marschflugkörper an die Regierung in Kiew zu liefern, dürfte die im Hotel Bayerischer Hof versammelte internationale Security-Community weiter beschäftigen.
In unserer ersten Ausgabe des neuen Jahres beschreibt Shams ul-Haq das erstaunliche Bündnis, das Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit seinem indischen Counterpart Narendra Modi eingegangen ist. Angesichts des langen Krieges, den Netanjahu gegen die Hamas trotz wachsender internationaler Kritik angekündigt hat, ist der israelische Regierungschef auf Unterstützer dringend angewiesen.
Mit Frank Leidenberger habe ich über die Folgen digitaler Kriegsführung für die Bundeswehr gesprochen. Vier Jahrzehnte diente er in der Truppe, zuletzt als Generalleutnant, ehe er die Geschäftsführung des IT-Systemhauses der Bundeswehr BWI übernahm. “Wir helfen der Bundeswehr dabei, Deutschland zu verteidigen”, sagt Leidenberger – und rechnet fest damit, dass die BWI ihre Services auch der Litauen-Brigade zur Verfügung stellen wird, deren Aufstellung dieses Jahr an Schwung aufnehmen wird. Wie die Bundesregierung das von Verteidigungsminister Boris Pistorius vorangetriebene Multimilliardenprojekt finanzieren wird, werden wir in den kommenden Monaten ganz genau für Sie im Blick haben.
Einen guten Start ins neue Jahr wünscht Ihnen
Wie hat sich die Arbeit der BWI durch die Zeitenwende verändert?
Im Abstand von zwei Jahren betrachtet eigentlich relativ wenig. Das liegt aber auch daran, dass wir als IT-Systemhaus der Bundeswehr ohnehin unverzichtbar für deren Funktionieren sind. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine ist nur noch deutlicher geworden, dass bestimmte Kompetenzen, die in Friedenszeiten aus der Truppe an die Wirtschaft übertragen wurden, essenziell für die Leistungserbringung der Bundeswehr sind. Da die Kriegsführung heute sehr stark an digitalen Fähigkeiten orientiert ist, schaut die Bundeswehr jetzt aber vielleicht anders auf uns.
Neben dem digitalen Raum spielen auch Drohnen eine immer größere Rolle bei der Kriegsführung, nicht zuletzt im Bereich Datengewinnung. Wie reagiert die BWI auf diese Entwicklung?
In der Kriegsführung war schon immer klar, dass ich wissen muss, was passiert – sowohl im Hinblick auf meine eigenen Kräfte wie auf die des Gegners. Die Omnipräsenz mit Sensoren ausgestatteter Drohnen ermöglicht es, in Echtzeit Unmengen von diesen Sensoren generierter Daten zu sammeln und aufzubereiten – wenn sie den Datenstrom zum Boden sowie die Steuerung der Drohne kontrollieren können. Aus der Ukraine wissen wir, wie stark dieses elektromagnetische Spektrum umkämpft ist. Unsere Aufgabe ist es, der Bundeswehr dabei zu helfen, intelligente Systeme zu entwickeln, um diese Datenströme zu managen, das lässt sich ja auch im Frieden trainieren.
Das klingt so, als ob Sie sich immer stärker auf bewaffnete Konflikte einstellen.
Nein. Diese Aufgabe können wir nur leisten, weil wir zunächst einmal für die Sicherstellung des stabilen Betriebs zuständig sind – das ist sozusagen das Markenzeichen der BWI. Dadurch, dass wir die Rechenzentren der Bundeswehr betreiben, verfügen wir über große Möglichkeiten, Daten zu speichern und zu verarbeiten. Wie man das in einer akuten Krise oder im Krieg organisiert, sind aber sicherlich Fragestellungen, die wir nun stärker untersuchen. Auch deshalb, weil das Bereiche sind, von denen wir ausgehen, dass sie die Bundeswehr künftig stärker beschäftigen werden.
Israel gilt im Bereich Cyber Security neben den USA als Weltmarktführer. Kann die BWI von den Erfahrungen dort lernen?
Es gibt schon einen signifikanten Unterschied zwischen Israel und Deutschland, vor allem strategisch: Israel befindet sich latent immer im Kriegszustand und dadurch permanent unter Druck, sich schneller entwickeln zu müssen als seine Gegner. Ein zweites Phänomen ist, dass Israel als kleines Land immer darauf angewiesen war, neue Technologien zu nutzen, um das Leben seiner Bewohner zu schützen. Beides gilt für Deutschland in dieser Weise nicht, und hinzu kommt in Deutschland ein strengeres gesetzliches Regelwerk, das eine rasche Umsetzung der durch die Zeitenwende gewachsenen Anforderungen ein Stück weit bremst. Meine Wahrnehmung ist, dass die Israelis eher vom Ergebnis her denken und nicht vom Prinzip – da könnten wir uns schon etwas abschauen.
Hat die BWI noch andere Kunden als die Bundeswehr?
Ja, wenn auch nicht viele – die prominentesten sind das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), wo wir den Betrieb unterstützen, und der Bundesrechnungshof. Primärer Kunde ist aber ganz klar die Bundeswehr, verbunden mit einem Zuwachs von 4.000 Angestellten in den vergangenen Jahren, weil die Aufträge massiv zugenommen – und sich die Aufgaben der BWI dadurch sehr ausgeweitet haben. Das heißt, wir fahren hier schon unter Volllast, und alles, was weiter dazu kommt, organisieren wir dann noch zusätzlich.
Der IT-Markt ist heiß umkämpft. Wie gewinnen Sie neue Angestellte?
Wir beobachten durchaus, dass neue Mitarbeiter gerade mit Blick auf die Zeitenwende eine zusätzliche Motivation darin sehen, im Umfeld grüner IT tätig zu werden. Wir haben das Wort Überzeugungstäter ja ganz bewusst in unser Zielbild geschrieben, weil wir glauben, dass diejenigen, die bei uns arbeiten, schon wissen müssen, wofür sie das tun, gerade auch in der Zukunft. Und da bietet die BWI etwas, was viele andere Firmen nicht bieten: Wir helfen der Bundeswehr dabei, Deutschland zu verteidigen. Das finden viele gut, denen es nicht in erster Linie um höhere Aktienkurse und Dividenden geht, sondern darum, etwas zu tun, wovon sie überzeugt sind. So generieren sie auf eine andere Weise einen Mehrwert aus der eigenen Tätigkeit.
Was zählt darüber hinaus zum Zielbild der BWI?
Mit Blick auf die Zeitenwende hatten wir in der Geschäftsführung das Gefühl, dass es notwendig ist, wirklich auf die Zukunft zu fokussieren – und der Bundeswehr dabei zu helfen, das ebenfalls zu tun. Wenn man ein Unternehmen mit rund 7.000 Mitarbeitern umgestalten will, geht das nicht von heute auf morgen, sondern es braucht eine grundsätzliche Ausrichtung, an der sich alle orientieren können – so etwas wie eine Leitplanke, entlang derer wir uns entwickeln wollen. Deshalb haben wir in unserem “Zielbild 28” festgehalten, dass der Fokus ganz klar auf die Frage der Datennutzung im modernen Gefecht liegen muss.
Und da ziehen Ihre Mitarbeiter mit, obwohl sie über viele Standorte im ganzen Bundesgebiet verteilt sind?
Den Eindruck habe ich schon. Das liegt sicherlich auch daran, dass wir durch unsere Nähe zum Kunden direkt in Kasernen und Liegenschaften der Bundeswehr tätig sind, wo viele Dienstleistungen ja physisch vor Ort erbracht werden müssen. Im Schnitt betreuen wir rund 300 Projekte für die Bundeswehr, sodass wir im ständigen Austausch mit den Kameraden, aber auch mit zivilen Mitarbeitern sind.
Sie waren 46 Jahre für die Bundeswehr tätig, davon 15 als General. Fremdeln Sie manchmal mit der zivilen Welt, in der Sie nun arbeiten?
Überhaupt nicht, zumal Angehörige einer Armee im Frieden ja auch ihrer Arbeit nachgehen wie Beschäftigte in nichtmilitärischen Bereichen. Einen Unterschied, den ich natürlich erlebt habe, ist der in Einsätzen, da verändert sich der Fokus, und der Druck ist ungleich größer, wenn es um Leben und Tod geht. Worauf es aber überall ankommt, ist Engagement und Leidenschaft, ist das Commitment von Kolleginnen und Kollegen, Dinge vorantreiben zu wollen. Und das erlebe ich bei der BWI genauso stark wie in der Armee.
Für eine ganze Generation an Bundeswehrsoldaten waren die Einsätze auf dem Balkan und in Afghanistan prägend, künftig könnte das im Baltikum der Fall sein. Bietet die bevorstehende Entsendung einer Brigade nach Litauen neue Einsatzmöglichkeiten für die BWI?
Ja, dort werden wir ziemlich sicher beteiligt sein, denn viele Services, die wir der Bundeswehr in Deutschland zur Verfügung stellen, werden natürlich auch in Litauen gebraucht werden. Was genau dann in Zukunft gefragt sein wird, kann ich heute allerdings noch nicht sagen.
Wenige Wochen vor der Parlamentswahl im Frühjahr überschattet der Gazakrieg die indische Sicherheitskooperation mit Israel. Premierminister Narendra Modi, der 2017 mit Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu eine strategische Partnerschaft beider Länder vereinbarte, möchte mit seiner nationalistisch-hinduistischen Partei Bharatiya Janata Party (BJP) weiter regieren. Hier offen Partei für die mehrheitlich muslimischen Palästinenser zu ergreifen, würde ihn mit Sicherheit Stimmen aus dem eigenen Lager kosten.
Doch drei Monate nach Beginn des Gazakriegs wächst der Druck auf den Regierungschef, sich deutlicher auf Seiten der Palästinenser zu stellen – insbesondere von Vertretern der etwa 160 Millionen muslimischen Inder, der größten Minderheit des Landes. Modi solle “die langjährige antikoloniale und propalästinensische Außenpolitik Indiens fortzusetzen, die von Mahatma Gandhi befürwortet und von Atal Behari Vajpayee fortgesetzt wurde”, heißt es in einer Erklärung führender Vertreter muslimischer Verbände.
Zu den Unterzeichnern der Erklärung gehören die Vertreter des All India Muslim Personal Law Board, der Jamiat Ulama-I-Hind, Jamaat-e-Islami, Imarat e Shariah, All India Ulemma and Masaikh Board, Milli Council sowie die Jamiat Ahl-e-Hadees.
Unmittelbar nach den Massakern der Terrororganisation Hamas an mehr als 1.200 Israelis am 7. Oktober hatte sich Modi “zutiefst schockiert” geäußert und gesagt: “Wir stehen in dieser schwierigen Stunde in Solidarität mit Israel.” Nach einem Telefonat mit Netanjahu bekräftigte er, dass Indien “den Terrorismus in all seinen Formen und Erscheinungsformen entschieden und unmissverständlich verurteilt”.
Bei der Abstimmung in der UN-Generalversammlung über eine Waffenstillstandsresolution am 27. Oktober enthielt sich Indien – anders als die zunehmend als Repräsentanten des globalen Südens betrachteten BRICS-Staaten Russland, Brasilien, China und Südafrika. “Terrorismus ist eine bösartige Tat und kennt keine Grenzen, Nationalität oder Rasse”, sagte die stellvertretende indische UN-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Yojna Patel. “Lasst uns Differenzen überbrücken und einen Null-Toleranz-Ansatz gegenüber dem Terrorismus verfolgen.” Zugleich bekundete Patel ihre “ernsthafte und anhaltende Sorge” angesichts der hohen Opferzahlen im Gazastreifen.
Das aber reichte den Kritikern Modis nicht, die ihm die Enthaltung bei der Abstimmung vorhielten. “Auge um Auge macht die ganze Welt blind”, zitierte die Generalsekretärin der oppositionellen Kongresspartei, Priyanka Gandhi Vadrad, die Worte Mahatma Ghandis. Auch zwei linke Parteien meldeten sich in einer gemeinsamen Erklärung zu Wort und sagten, Indiens Außenpolitik werde inzwischen “dadurch geprägt, dass es ein untergeordneter Verbündeter des US-Imperialismus ist.” Dies mache Indiens “langjährige Unterstützung der palästinensischen Sache zunichte”.
So gehört die Unterstützung der Palästinenser zwar seit Jahrzehnten fest zu den Grundkonstanten indischen Außenpolitik, was 1974 in der Anerkennung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) Yassir Arafats als legitime Vertretung des palästinensischen Volkes mündete – als erster nicht-arabischer Staat. 1996 eröffnete Indien eine diplomatische Vertretung in Gaza-Stadt, die später nach Ramallah im von Israel besetzten Westjordanland verlegt wurde.
Auf der anderen Seite erkannte Indien Israel bereits 1950 an – auch wenn es bis 1992 dauerte, ehe beide Länder umfassende diplomatische Beziehungen aufnahmen und Botschaften in Delhi und Tel Aviv eröffneten. 1999 erlebten die Beziehungen einen Aufschwung, als Israel Indien im Konflikt mit Pakistan mit Waffen und Munition unterstützte. 2017 dann war Modi der erste indische Premierminister, der Israel besuchte und während der Reise die Beziehungen zu einer strategischen Partnerschaft ausbaute; 2018 kam Netanjahu nach Indien.
Die engen Beziehungen dürfte durch die jüngsten regionalen Entwicklungen weiter gestärkt werden. So gab der indische Verteidigungsminister Rajnath Singh Ende Dezember bekannt, dass seine Regierung nach einem mutmaßlichen Drohnenangriff auf ein Handelsschiff vor der indischen Küste drei Kriegsschiffe ins Arabische Meer geschickt habe. Diese sollten zur Abschreckung dienen. Der unter liberianischer Flagge fahrende Öl- und Chemikalientanker MV Chem Pluto war vor zehn Tagen rund 200 Seemeilen vor dem Festland getroffen worden.
Die jährlichen Rüstungsexporte aus Israel nach Indien werden auf rund zwei Milliarden Dollar geschätzt, Unternehmen wie Israel Aerospace Industries (IAI) und Elbit Systems unterhalten Vertretungen im Land. Hinzu kommen gemeinsame Militärübungen und nachrichtendienstliche Zusammenarbeit. Auch deshalb sehen Beobachter in der Enthaltung Indiens bei der Abstimmung in der UN-Generalversammlung im Oktober keine Abkehr vom bisherigen Kurs.
Yogesh Gupta etwa, ehemaliger indischer Botschafter in Dänemark, hält die Enthaltung angesichts der klaren Haltung seiner Regierung seit den Terroranschlägen von Mumbai 2008 für folgerichtig: “Indien drängt auf weltweite Zusammenarbeit in der Terrorismusfrage, und jetzt, wo sein enger Freund Israel mit Terroranschlägen konfrontiert wird, kann es Indien nicht an seinem prinzipiellen Widerstand dagegen mangeln lassen.”
Diese Unterstützung könnte in den kommenden Wochen noch wichtiger werden. So haben die indischen Behörden die Sicherheitsvorkehrungen in der indischen Hauptstadt nach einer Explosion in der Nähe der israelischen Botschaft Ende Dezember verschärft. Es werde befürchtet, dass jüdische Einrichtungen zum Ziel von Attacken gemacht werden könnten, berichtete die Times of India unter Berufung auf Sicherheitskreise. Der indischen Presse zufolge werde in Vierteln mit jüdischen Bewohnern, an religiösen Stätten, Märkten sowie an Botschaften die Polizeipräsenz erhöht.
Trotz Beteuerungen von US-Präsident Joe Biden, keine direkte Konfrontation mit den proiranischen Houthi-Rebellen im Jemen zu suchen, wächst die Gefahr einer regionalen Ausweitung des Gaza-Kriegs zu Jahresbeginn weiter. So lieferten sich Streitkräfte der US-Marine an Silvester Gefechte mit den Insassen dreier Boote der jemenitischen Houthi-Rebellen im Roten Meer, die zuvor das dänische, unter der Flagge Singapurs fahrende Handelsschiff Maersk Hangzhou angegriffen hatten. Alle Besatzungsmitglieder seien getötet und die Schiffe versenkt worden, so das US Central Command.
Der britische Verteidigungsminister Grant Shapps kündigte an, dass seine Regierung nicht zögern werde, “direkte Maßnahmen” zu ergreifen, um weitere Angriffe auf die kommerzielle Schifffahrt im Roten Meer zu unterbinden. Großbritannien ist Teil der von den USA im Dezember geschmiedeten Militärkoalition “Operation Prosperity Guardian”, der sich knapp ein Dutzend Staaten angeschlossen haben, um die Seewege durch das Rote Meer zu sichern.
Nach amerikanischen Angaben war der Angriff auf die Maersk Hangzhou bereits der 23. auf Handelsschiffe im Roten Meer in den vergangenen fünf Wochen. Ein Houthi-Sprecher teilte am Sonntag mit, die US-Maßnahmen, “um israelische Schiffe zu schützen” würden seine Kräfte nicht davon abhalten, “ihrer religiösen, moralischen und humanitären Pflicht zur Unterstützung und Hilfe derer nachzukommen, denen in Palästina und Gaza Unrecht getan wird”.
Die Houthis sind Teil der sogenannten antiwestlichen “Achse des Widerstands”, der neben Syrien und dem Iran die von Iran unterstützte Hisbollah im Libanon, die palästinensische Terrororganisation Hamas sowie irakische Schiitenmilizen angehören. Am Sonntag behauptete die paramilitärische Kataib Hisbollah, “mit entsprechenden Waffen” die südisraelische Hafenstadt Eilat “als Reaktion auf die israelischen Massaker” gegen palästinensische Zivilisten angegriffen zu haben.
Die Stadt am Roten Meer war bereits seit Beginn des Gaza-Kriegs im vergangenen Oktober immer wieder Ziel von aus dem Jemen abgeschossenen Drohnen und Marschflugkörpern gewesen. Am Wochenende waren Drohnen auf auch von US-Truppen genutzten irakischen Militärstützpunkte in Erbil und Ain al-Assad abgefangen worden.
Unterdessen hält die US-amerikanische Unterstützung für Israel trotz wachsender Kritik am militärischen Vorgehen seiner Streitkräfte im Gazastreifen an. So stimmte das US-Außenministerium am Freitag der Lieferung von 155-Millimeter-Artilleriegeschossen und zugehöriger Ausrüstung im Wert von 147,5 Millionen Dollar zu – ohne Abstimmung im US-Kongress, der mit Verweis auf Dringlichkeitsregeln bereits zum zweiten Mal seit Beginn des Gazakriegs umgangen wurde.
Israelischen Offiziellen zufolge werde die Armee mit dem Abzug einiger seiner Soldaten aus dem Gazastreifen beginnen, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters an Neujahr. Damit werde die dritte Phase des Krieges gegen die Hamas vorbereitet, “die mindestens sechs Monate dauern” werde. 170 israelische Soldaten sind seit Oktober bei den Kämpfen im Gazastreifen getötet worden, davon 29 durch eigenen Beschuss, teilten die Israel Defence Forces (IDF) an Neujahr mit. Nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministerium sind seit dem Terrorüberfall auf Israel am 7. Oktober im Gazastreifen mehr als 21.000 Menschen getötet worden. mrb
Die Debatte um die Wiedereinführung der ausgesetzten Wehrpflicht in Deutschland nimmt Fahrt auf. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte Anfang Dezember angekündigt, unter anderem das schwedische Modell prüfen zu lassen, wonach alle jungen Männer und Frauen gemustert, aber nur diejenigen eingezogen werden, die Interesse hätten.
CSU-Chef Markus Söder fordert nun in einem Interview mit der Bild am Sonntag einen verpflichtenden Grundwehrdienst für Männer: “Dies geht nicht über Nacht. Wir reden über eine Umsetzung in einem Zeitraum von frühestens fünf Jahren, um die notwendigen Strukturen anzupassen. Um eine vernünftige Grundausbildung zu gewährleisten, sollte diese mindestens sieben Monate dauern.” Bis dahin müsse die Bundeswehr vor allem den Freiwilligendienst attraktiver gestalten, etwa mit einer Ausbildungsverkürzung oder einer Senkung des Numerus Clausus bei Studiengängen.
FDP und Grüne sind weitgehend gegen eine Wehrpflicht. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, hält “bei den hoch spezialisierten Anforderungen der heutigen Zeit” eine Wehrpflicht für bedingt hilfreich, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Junge Menschen würden dann in der Wirtschaft fehlen. Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour sieht keine Notwendigkeit für eine Wiedereinführung – eine Wehrpflicht steigere nicht zwingend die Wehrfähigkeit. Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, plädierte gegenüber der Deutschen Presseagentur dafür, über konkrete Konzepte zu sprechen statt eine “verkrampfte” Debatte um einen allgemeinen Dienst zu führen.
Eine allgemeine Dienstpflicht, die Männer wie Frauen betrifft und wie sie CDU und SPD 2018 selbst gefordert hatten, sieht Söder als schwer mit der Verfassung vereinbar an. Auch für das schwedische Modell wäre zunächst eine Gesetzesänderung durch den Bundestag nötig, die die 2011 beschlossene Aussetzung rückgängig macht. Dann dürften Männer wieder verpflichtend eingezogen werden – allerdings keine Frauen, für sie bliebe der Dienst freiwillig.
Sollten zu wenig Frauen und Männer Interesse anmelden, müssten Männer eingezogen werden, die geeignet sind, aber kein Interesse angemeldet haben, so sieht es das schwedische Modell vor. Um auch Frauen verpflichten zu können, müsste es zusätzlich eine Änderung von Artikel 12a des Grundgesetzes geben. Versuche, diesen Artikel zugunsten der Gleichbehandlung der Geschlechter zu ändern, gab es bereits Anfang der 2000er, bislang ohne Ergebnis. klm
New York Times: “Screams Without Words”: How Hamas Weaponized Sexual Violence on Oct. 7. Die Recherche der Times enthüllte neue Details darüber, wie die Hamas bei ihrem Überfall auf Israel systematisch sexualisierte Gewalt gegen Frauen einsetzte. Sie belegt Muster von Vergewaltigung, Verstümmelung und extremer Brutalität.
F.A.Z.: “Ein EU-Nuklearschirm darf kein Tabu sein”. Der Grünen-Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky bezeichnet es im F.A.Z.-Interview als falsch, die europäische Sicherheitszusammenarbeit als Alternative zur transatlantischen zu begreifen. Die Antwort auf das bei einer Wiederwahl Donald Trumps drohende “America First” müsse “Europe now” sein.
Le Monde: Les drones, objets de convoitise de toutes les armées d’Afrique. Aus modernen Konflikten sind sie nicht mehr wegzudenken sind, und auch in Afrika haben sie das Gleichgewicht der Kräfte auf den verschiedensten Schlachtfeldern verändert. Erster Teil einer Serie der französischen Tageszeitung Le Monde über die Bedeutung von Drohnen.
Al-Monitor: 2023 in review – From Sudan to Syria, here are Mideast’s forgotten conflicts. Mehr als 12.000 Menschen wurden 2023 im Sudan getötet, auch in Teilen Syriens, im Iran und in anderen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas hielt die Gewalt an. Die Onlineplattform Al-Monitor verschafft einen Überblick über die vergessenen Kriege der Region.
Politico: Rusia Uses POWs as a political weapon against Kyiv. Nach ukrainischen Angaben sind rund 3.000 ukrainische Soldaten und 28.000 Zivilisten in russischer Gefangenschaft. Russland hat die Gefangenenaustausche gestoppt. Ukrainer werfen Russland vor, Stimmung machen zu wollen in ihrer Bevölkerung gegen Präsident Zelenskyij.
Das Hundertmilliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr, die Selbstverpflichtung der Bundesregierung auf das Zwei-Prozentziel der Nato sowie dessen Verschärfung auf dem Nato-Gipfel in Vilnius im Juli 2023, Waffenlieferungen in Milliardenhöhe an die Ukraine und die Erhöhung der Militäretats in anderen europäischen Ländern – es ist ein goldenes Zeitalter für die Rüstungsindustrie angebrochen, wie sich unschwer auch an den Aktienkursen von Rheinmetall oder Hensoldt ablesen lässt.
Als in der Vergangenheit Auftragslage und Aussichten weniger günstig waren, war der geringe Absatz das stärkste Argument der deutschen Konzerne und ihrer politischen Unterstützer für Waffenexporte in Diktaturen, Folterregime und Spannungsgebiete. So wurden Lieferungen an Staaten wie Saudi-Arabien, Pakistan und Ägypten genehmigt – schließlich, so die Befürworter, sollte die Rüstungsproduktion in Deutschland erhalten bleiben, was ohne Exporte eben nicht ginge.
Dieses Argument entfällt nun. Der Weg ist nach dieser Logik frei für ein restriktives Rüstungsexportkontrollgesetz, dessen Verabschiedung die Ampel-Koalition in ihrem Koalitionsvertrag verankert und dessen zügige Verabschiedung die SPD auf ihrem Parteitag im Dezember nochmals beschlossen hat.
Was muss dieses Gesetz leisten?
Für die Ampel-Koalition heißt es jetzt, beim Rüstungskontrollgesetz zu liefern. Dieses Gesetz stellt eine der wenigen Möglichkeiten im aktuellen internationalen Umfeld dar, Rüstungskontrolle zu stärken und Gewalt einzudämmen. Zusätzlichen Spielraum dafür hat ihr paradoxerweise auch ihre eigene Aufrüstungspolitik gegeben.
Alexander Lurz ist Experte für Abrüstung bei Greenpeace Deutschland. Von 2010 bis 2017 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Linken-BundestagsabgeordnetenJan van Aken tätig, zuvor arbeitete er beim Berliner Informationszentrum für transatlantische Sicherheit (BITS).
das neue Jahr in Kiew und Tel Aviv begann so wie das alte zu Ende ging: mit Luftalarm. Doch nicht nur in den Hauptstädten der Ukraine und Israels ist 2024 ein Ende der Kriege nicht in Sicht, auch in vielen anderen Städten hält die Bedrohung durch Raketen und Drohnen an – durch russische, oder durch die von Hamas und Hisbollah.
Darüber, wie die schwindende westliche Unterstützung für die Ukraine den Kriegsverlauf zugunsten Moskaus verändern könnte, werden wir Sie selbstverständlich über die US-Präsidentenwahl im November hinaus detailliert auf dem Laufenden halten – verstärkt bereits im Vorfeld der 60. Münchner Sicherheitskonferenz im Februar. Nicht nur die Weigerung von Bundeskanzler Olaf Scholz, Taurus-Marschflugkörper an die Regierung in Kiew zu liefern, dürfte die im Hotel Bayerischer Hof versammelte internationale Security-Community weiter beschäftigen.
In unserer ersten Ausgabe des neuen Jahres beschreibt Shams ul-Haq das erstaunliche Bündnis, das Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit seinem indischen Counterpart Narendra Modi eingegangen ist. Angesichts des langen Krieges, den Netanjahu gegen die Hamas trotz wachsender internationaler Kritik angekündigt hat, ist der israelische Regierungschef auf Unterstützer dringend angewiesen.
Mit Frank Leidenberger habe ich über die Folgen digitaler Kriegsführung für die Bundeswehr gesprochen. Vier Jahrzehnte diente er in der Truppe, zuletzt als Generalleutnant, ehe er die Geschäftsführung des IT-Systemhauses der Bundeswehr BWI übernahm. “Wir helfen der Bundeswehr dabei, Deutschland zu verteidigen”, sagt Leidenberger – und rechnet fest damit, dass die BWI ihre Services auch der Litauen-Brigade zur Verfügung stellen wird, deren Aufstellung dieses Jahr an Schwung aufnehmen wird. Wie die Bundesregierung das von Verteidigungsminister Boris Pistorius vorangetriebene Multimilliardenprojekt finanzieren wird, werden wir in den kommenden Monaten ganz genau für Sie im Blick haben.
Einen guten Start ins neue Jahr wünscht Ihnen
Wie hat sich die Arbeit der BWI durch die Zeitenwende verändert?
Im Abstand von zwei Jahren betrachtet eigentlich relativ wenig. Das liegt aber auch daran, dass wir als IT-Systemhaus der Bundeswehr ohnehin unverzichtbar für deren Funktionieren sind. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine ist nur noch deutlicher geworden, dass bestimmte Kompetenzen, die in Friedenszeiten aus der Truppe an die Wirtschaft übertragen wurden, essenziell für die Leistungserbringung der Bundeswehr sind. Da die Kriegsführung heute sehr stark an digitalen Fähigkeiten orientiert ist, schaut die Bundeswehr jetzt aber vielleicht anders auf uns.
Neben dem digitalen Raum spielen auch Drohnen eine immer größere Rolle bei der Kriegsführung, nicht zuletzt im Bereich Datengewinnung. Wie reagiert die BWI auf diese Entwicklung?
In der Kriegsführung war schon immer klar, dass ich wissen muss, was passiert – sowohl im Hinblick auf meine eigenen Kräfte wie auf die des Gegners. Die Omnipräsenz mit Sensoren ausgestatteter Drohnen ermöglicht es, in Echtzeit Unmengen von diesen Sensoren generierter Daten zu sammeln und aufzubereiten – wenn sie den Datenstrom zum Boden sowie die Steuerung der Drohne kontrollieren können. Aus der Ukraine wissen wir, wie stark dieses elektromagnetische Spektrum umkämpft ist. Unsere Aufgabe ist es, der Bundeswehr dabei zu helfen, intelligente Systeme zu entwickeln, um diese Datenströme zu managen, das lässt sich ja auch im Frieden trainieren.
Das klingt so, als ob Sie sich immer stärker auf bewaffnete Konflikte einstellen.
Nein. Diese Aufgabe können wir nur leisten, weil wir zunächst einmal für die Sicherstellung des stabilen Betriebs zuständig sind – das ist sozusagen das Markenzeichen der BWI. Dadurch, dass wir die Rechenzentren der Bundeswehr betreiben, verfügen wir über große Möglichkeiten, Daten zu speichern und zu verarbeiten. Wie man das in einer akuten Krise oder im Krieg organisiert, sind aber sicherlich Fragestellungen, die wir nun stärker untersuchen. Auch deshalb, weil das Bereiche sind, von denen wir ausgehen, dass sie die Bundeswehr künftig stärker beschäftigen werden.
Israel gilt im Bereich Cyber Security neben den USA als Weltmarktführer. Kann die BWI von den Erfahrungen dort lernen?
Es gibt schon einen signifikanten Unterschied zwischen Israel und Deutschland, vor allem strategisch: Israel befindet sich latent immer im Kriegszustand und dadurch permanent unter Druck, sich schneller entwickeln zu müssen als seine Gegner. Ein zweites Phänomen ist, dass Israel als kleines Land immer darauf angewiesen war, neue Technologien zu nutzen, um das Leben seiner Bewohner zu schützen. Beides gilt für Deutschland in dieser Weise nicht, und hinzu kommt in Deutschland ein strengeres gesetzliches Regelwerk, das eine rasche Umsetzung der durch die Zeitenwende gewachsenen Anforderungen ein Stück weit bremst. Meine Wahrnehmung ist, dass die Israelis eher vom Ergebnis her denken und nicht vom Prinzip – da könnten wir uns schon etwas abschauen.
Hat die BWI noch andere Kunden als die Bundeswehr?
Ja, wenn auch nicht viele – die prominentesten sind das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), wo wir den Betrieb unterstützen, und der Bundesrechnungshof. Primärer Kunde ist aber ganz klar die Bundeswehr, verbunden mit einem Zuwachs von 4.000 Angestellten in den vergangenen Jahren, weil die Aufträge massiv zugenommen – und sich die Aufgaben der BWI dadurch sehr ausgeweitet haben. Das heißt, wir fahren hier schon unter Volllast, und alles, was weiter dazu kommt, organisieren wir dann noch zusätzlich.
Der IT-Markt ist heiß umkämpft. Wie gewinnen Sie neue Angestellte?
Wir beobachten durchaus, dass neue Mitarbeiter gerade mit Blick auf die Zeitenwende eine zusätzliche Motivation darin sehen, im Umfeld grüner IT tätig zu werden. Wir haben das Wort Überzeugungstäter ja ganz bewusst in unser Zielbild geschrieben, weil wir glauben, dass diejenigen, die bei uns arbeiten, schon wissen müssen, wofür sie das tun, gerade auch in der Zukunft. Und da bietet die BWI etwas, was viele andere Firmen nicht bieten: Wir helfen der Bundeswehr dabei, Deutschland zu verteidigen. Das finden viele gut, denen es nicht in erster Linie um höhere Aktienkurse und Dividenden geht, sondern darum, etwas zu tun, wovon sie überzeugt sind. So generieren sie auf eine andere Weise einen Mehrwert aus der eigenen Tätigkeit.
Was zählt darüber hinaus zum Zielbild der BWI?
Mit Blick auf die Zeitenwende hatten wir in der Geschäftsführung das Gefühl, dass es notwendig ist, wirklich auf die Zukunft zu fokussieren – und der Bundeswehr dabei zu helfen, das ebenfalls zu tun. Wenn man ein Unternehmen mit rund 7.000 Mitarbeitern umgestalten will, geht das nicht von heute auf morgen, sondern es braucht eine grundsätzliche Ausrichtung, an der sich alle orientieren können – so etwas wie eine Leitplanke, entlang derer wir uns entwickeln wollen. Deshalb haben wir in unserem “Zielbild 28” festgehalten, dass der Fokus ganz klar auf die Frage der Datennutzung im modernen Gefecht liegen muss.
Und da ziehen Ihre Mitarbeiter mit, obwohl sie über viele Standorte im ganzen Bundesgebiet verteilt sind?
Den Eindruck habe ich schon. Das liegt sicherlich auch daran, dass wir durch unsere Nähe zum Kunden direkt in Kasernen und Liegenschaften der Bundeswehr tätig sind, wo viele Dienstleistungen ja physisch vor Ort erbracht werden müssen. Im Schnitt betreuen wir rund 300 Projekte für die Bundeswehr, sodass wir im ständigen Austausch mit den Kameraden, aber auch mit zivilen Mitarbeitern sind.
Sie waren 46 Jahre für die Bundeswehr tätig, davon 15 als General. Fremdeln Sie manchmal mit der zivilen Welt, in der Sie nun arbeiten?
Überhaupt nicht, zumal Angehörige einer Armee im Frieden ja auch ihrer Arbeit nachgehen wie Beschäftigte in nichtmilitärischen Bereichen. Einen Unterschied, den ich natürlich erlebt habe, ist der in Einsätzen, da verändert sich der Fokus, und der Druck ist ungleich größer, wenn es um Leben und Tod geht. Worauf es aber überall ankommt, ist Engagement und Leidenschaft, ist das Commitment von Kolleginnen und Kollegen, Dinge vorantreiben zu wollen. Und das erlebe ich bei der BWI genauso stark wie in der Armee.
Für eine ganze Generation an Bundeswehrsoldaten waren die Einsätze auf dem Balkan und in Afghanistan prägend, künftig könnte das im Baltikum der Fall sein. Bietet die bevorstehende Entsendung einer Brigade nach Litauen neue Einsatzmöglichkeiten für die BWI?
Ja, dort werden wir ziemlich sicher beteiligt sein, denn viele Services, die wir der Bundeswehr in Deutschland zur Verfügung stellen, werden natürlich auch in Litauen gebraucht werden. Was genau dann in Zukunft gefragt sein wird, kann ich heute allerdings noch nicht sagen.
Wenige Wochen vor der Parlamentswahl im Frühjahr überschattet der Gazakrieg die indische Sicherheitskooperation mit Israel. Premierminister Narendra Modi, der 2017 mit Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu eine strategische Partnerschaft beider Länder vereinbarte, möchte mit seiner nationalistisch-hinduistischen Partei Bharatiya Janata Party (BJP) weiter regieren. Hier offen Partei für die mehrheitlich muslimischen Palästinenser zu ergreifen, würde ihn mit Sicherheit Stimmen aus dem eigenen Lager kosten.
Doch drei Monate nach Beginn des Gazakriegs wächst der Druck auf den Regierungschef, sich deutlicher auf Seiten der Palästinenser zu stellen – insbesondere von Vertretern der etwa 160 Millionen muslimischen Inder, der größten Minderheit des Landes. Modi solle “die langjährige antikoloniale und propalästinensische Außenpolitik Indiens fortzusetzen, die von Mahatma Gandhi befürwortet und von Atal Behari Vajpayee fortgesetzt wurde”, heißt es in einer Erklärung führender Vertreter muslimischer Verbände.
Zu den Unterzeichnern der Erklärung gehören die Vertreter des All India Muslim Personal Law Board, der Jamiat Ulama-I-Hind, Jamaat-e-Islami, Imarat e Shariah, All India Ulemma and Masaikh Board, Milli Council sowie die Jamiat Ahl-e-Hadees.
Unmittelbar nach den Massakern der Terrororganisation Hamas an mehr als 1.200 Israelis am 7. Oktober hatte sich Modi “zutiefst schockiert” geäußert und gesagt: “Wir stehen in dieser schwierigen Stunde in Solidarität mit Israel.” Nach einem Telefonat mit Netanjahu bekräftigte er, dass Indien “den Terrorismus in all seinen Formen und Erscheinungsformen entschieden und unmissverständlich verurteilt”.
Bei der Abstimmung in der UN-Generalversammlung über eine Waffenstillstandsresolution am 27. Oktober enthielt sich Indien – anders als die zunehmend als Repräsentanten des globalen Südens betrachteten BRICS-Staaten Russland, Brasilien, China und Südafrika. “Terrorismus ist eine bösartige Tat und kennt keine Grenzen, Nationalität oder Rasse”, sagte die stellvertretende indische UN-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Yojna Patel. “Lasst uns Differenzen überbrücken und einen Null-Toleranz-Ansatz gegenüber dem Terrorismus verfolgen.” Zugleich bekundete Patel ihre “ernsthafte und anhaltende Sorge” angesichts der hohen Opferzahlen im Gazastreifen.
Das aber reichte den Kritikern Modis nicht, die ihm die Enthaltung bei der Abstimmung vorhielten. “Auge um Auge macht die ganze Welt blind”, zitierte die Generalsekretärin der oppositionellen Kongresspartei, Priyanka Gandhi Vadrad, die Worte Mahatma Ghandis. Auch zwei linke Parteien meldeten sich in einer gemeinsamen Erklärung zu Wort und sagten, Indiens Außenpolitik werde inzwischen “dadurch geprägt, dass es ein untergeordneter Verbündeter des US-Imperialismus ist.” Dies mache Indiens “langjährige Unterstützung der palästinensischen Sache zunichte”.
So gehört die Unterstützung der Palästinenser zwar seit Jahrzehnten fest zu den Grundkonstanten indischen Außenpolitik, was 1974 in der Anerkennung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) Yassir Arafats als legitime Vertretung des palästinensischen Volkes mündete – als erster nicht-arabischer Staat. 1996 eröffnete Indien eine diplomatische Vertretung in Gaza-Stadt, die später nach Ramallah im von Israel besetzten Westjordanland verlegt wurde.
Auf der anderen Seite erkannte Indien Israel bereits 1950 an – auch wenn es bis 1992 dauerte, ehe beide Länder umfassende diplomatische Beziehungen aufnahmen und Botschaften in Delhi und Tel Aviv eröffneten. 1999 erlebten die Beziehungen einen Aufschwung, als Israel Indien im Konflikt mit Pakistan mit Waffen und Munition unterstützte. 2017 dann war Modi der erste indische Premierminister, der Israel besuchte und während der Reise die Beziehungen zu einer strategischen Partnerschaft ausbaute; 2018 kam Netanjahu nach Indien.
Die engen Beziehungen dürfte durch die jüngsten regionalen Entwicklungen weiter gestärkt werden. So gab der indische Verteidigungsminister Rajnath Singh Ende Dezember bekannt, dass seine Regierung nach einem mutmaßlichen Drohnenangriff auf ein Handelsschiff vor der indischen Küste drei Kriegsschiffe ins Arabische Meer geschickt habe. Diese sollten zur Abschreckung dienen. Der unter liberianischer Flagge fahrende Öl- und Chemikalientanker MV Chem Pluto war vor zehn Tagen rund 200 Seemeilen vor dem Festland getroffen worden.
Die jährlichen Rüstungsexporte aus Israel nach Indien werden auf rund zwei Milliarden Dollar geschätzt, Unternehmen wie Israel Aerospace Industries (IAI) und Elbit Systems unterhalten Vertretungen im Land. Hinzu kommen gemeinsame Militärübungen und nachrichtendienstliche Zusammenarbeit. Auch deshalb sehen Beobachter in der Enthaltung Indiens bei der Abstimmung in der UN-Generalversammlung im Oktober keine Abkehr vom bisherigen Kurs.
Yogesh Gupta etwa, ehemaliger indischer Botschafter in Dänemark, hält die Enthaltung angesichts der klaren Haltung seiner Regierung seit den Terroranschlägen von Mumbai 2008 für folgerichtig: “Indien drängt auf weltweite Zusammenarbeit in der Terrorismusfrage, und jetzt, wo sein enger Freund Israel mit Terroranschlägen konfrontiert wird, kann es Indien nicht an seinem prinzipiellen Widerstand dagegen mangeln lassen.”
Diese Unterstützung könnte in den kommenden Wochen noch wichtiger werden. So haben die indischen Behörden die Sicherheitsvorkehrungen in der indischen Hauptstadt nach einer Explosion in der Nähe der israelischen Botschaft Ende Dezember verschärft. Es werde befürchtet, dass jüdische Einrichtungen zum Ziel von Attacken gemacht werden könnten, berichtete die Times of India unter Berufung auf Sicherheitskreise. Der indischen Presse zufolge werde in Vierteln mit jüdischen Bewohnern, an religiösen Stätten, Märkten sowie an Botschaften die Polizeipräsenz erhöht.
Trotz Beteuerungen von US-Präsident Joe Biden, keine direkte Konfrontation mit den proiranischen Houthi-Rebellen im Jemen zu suchen, wächst die Gefahr einer regionalen Ausweitung des Gaza-Kriegs zu Jahresbeginn weiter. So lieferten sich Streitkräfte der US-Marine an Silvester Gefechte mit den Insassen dreier Boote der jemenitischen Houthi-Rebellen im Roten Meer, die zuvor das dänische, unter der Flagge Singapurs fahrende Handelsschiff Maersk Hangzhou angegriffen hatten. Alle Besatzungsmitglieder seien getötet und die Schiffe versenkt worden, so das US Central Command.
Der britische Verteidigungsminister Grant Shapps kündigte an, dass seine Regierung nicht zögern werde, “direkte Maßnahmen” zu ergreifen, um weitere Angriffe auf die kommerzielle Schifffahrt im Roten Meer zu unterbinden. Großbritannien ist Teil der von den USA im Dezember geschmiedeten Militärkoalition “Operation Prosperity Guardian”, der sich knapp ein Dutzend Staaten angeschlossen haben, um die Seewege durch das Rote Meer zu sichern.
Nach amerikanischen Angaben war der Angriff auf die Maersk Hangzhou bereits der 23. auf Handelsschiffe im Roten Meer in den vergangenen fünf Wochen. Ein Houthi-Sprecher teilte am Sonntag mit, die US-Maßnahmen, “um israelische Schiffe zu schützen” würden seine Kräfte nicht davon abhalten, “ihrer religiösen, moralischen und humanitären Pflicht zur Unterstützung und Hilfe derer nachzukommen, denen in Palästina und Gaza Unrecht getan wird”.
Die Houthis sind Teil der sogenannten antiwestlichen “Achse des Widerstands”, der neben Syrien und dem Iran die von Iran unterstützte Hisbollah im Libanon, die palästinensische Terrororganisation Hamas sowie irakische Schiitenmilizen angehören. Am Sonntag behauptete die paramilitärische Kataib Hisbollah, “mit entsprechenden Waffen” die südisraelische Hafenstadt Eilat “als Reaktion auf die israelischen Massaker” gegen palästinensische Zivilisten angegriffen zu haben.
Die Stadt am Roten Meer war bereits seit Beginn des Gaza-Kriegs im vergangenen Oktober immer wieder Ziel von aus dem Jemen abgeschossenen Drohnen und Marschflugkörpern gewesen. Am Wochenende waren Drohnen auf auch von US-Truppen genutzten irakischen Militärstützpunkte in Erbil und Ain al-Assad abgefangen worden.
Unterdessen hält die US-amerikanische Unterstützung für Israel trotz wachsender Kritik am militärischen Vorgehen seiner Streitkräfte im Gazastreifen an. So stimmte das US-Außenministerium am Freitag der Lieferung von 155-Millimeter-Artilleriegeschossen und zugehöriger Ausrüstung im Wert von 147,5 Millionen Dollar zu – ohne Abstimmung im US-Kongress, der mit Verweis auf Dringlichkeitsregeln bereits zum zweiten Mal seit Beginn des Gazakriegs umgangen wurde.
Israelischen Offiziellen zufolge werde die Armee mit dem Abzug einiger seiner Soldaten aus dem Gazastreifen beginnen, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters an Neujahr. Damit werde die dritte Phase des Krieges gegen die Hamas vorbereitet, “die mindestens sechs Monate dauern” werde. 170 israelische Soldaten sind seit Oktober bei den Kämpfen im Gazastreifen getötet worden, davon 29 durch eigenen Beschuss, teilten die Israel Defence Forces (IDF) an Neujahr mit. Nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministerium sind seit dem Terrorüberfall auf Israel am 7. Oktober im Gazastreifen mehr als 21.000 Menschen getötet worden. mrb
Die Debatte um die Wiedereinführung der ausgesetzten Wehrpflicht in Deutschland nimmt Fahrt auf. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte Anfang Dezember angekündigt, unter anderem das schwedische Modell prüfen zu lassen, wonach alle jungen Männer und Frauen gemustert, aber nur diejenigen eingezogen werden, die Interesse hätten.
CSU-Chef Markus Söder fordert nun in einem Interview mit der Bild am Sonntag einen verpflichtenden Grundwehrdienst für Männer: “Dies geht nicht über Nacht. Wir reden über eine Umsetzung in einem Zeitraum von frühestens fünf Jahren, um die notwendigen Strukturen anzupassen. Um eine vernünftige Grundausbildung zu gewährleisten, sollte diese mindestens sieben Monate dauern.” Bis dahin müsse die Bundeswehr vor allem den Freiwilligendienst attraktiver gestalten, etwa mit einer Ausbildungsverkürzung oder einer Senkung des Numerus Clausus bei Studiengängen.
FDP und Grüne sind weitgehend gegen eine Wehrpflicht. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, hält “bei den hoch spezialisierten Anforderungen der heutigen Zeit” eine Wehrpflicht für bedingt hilfreich, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Junge Menschen würden dann in der Wirtschaft fehlen. Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour sieht keine Notwendigkeit für eine Wiedereinführung – eine Wehrpflicht steigere nicht zwingend die Wehrfähigkeit. Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, plädierte gegenüber der Deutschen Presseagentur dafür, über konkrete Konzepte zu sprechen statt eine “verkrampfte” Debatte um einen allgemeinen Dienst zu führen.
Eine allgemeine Dienstpflicht, die Männer wie Frauen betrifft und wie sie CDU und SPD 2018 selbst gefordert hatten, sieht Söder als schwer mit der Verfassung vereinbar an. Auch für das schwedische Modell wäre zunächst eine Gesetzesänderung durch den Bundestag nötig, die die 2011 beschlossene Aussetzung rückgängig macht. Dann dürften Männer wieder verpflichtend eingezogen werden – allerdings keine Frauen, für sie bliebe der Dienst freiwillig.
Sollten zu wenig Frauen und Männer Interesse anmelden, müssten Männer eingezogen werden, die geeignet sind, aber kein Interesse angemeldet haben, so sieht es das schwedische Modell vor. Um auch Frauen verpflichten zu können, müsste es zusätzlich eine Änderung von Artikel 12a des Grundgesetzes geben. Versuche, diesen Artikel zugunsten der Gleichbehandlung der Geschlechter zu ändern, gab es bereits Anfang der 2000er, bislang ohne Ergebnis. klm
New York Times: “Screams Without Words”: How Hamas Weaponized Sexual Violence on Oct. 7. Die Recherche der Times enthüllte neue Details darüber, wie die Hamas bei ihrem Überfall auf Israel systematisch sexualisierte Gewalt gegen Frauen einsetzte. Sie belegt Muster von Vergewaltigung, Verstümmelung und extremer Brutalität.
F.A.Z.: “Ein EU-Nuklearschirm darf kein Tabu sein”. Der Grünen-Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky bezeichnet es im F.A.Z.-Interview als falsch, die europäische Sicherheitszusammenarbeit als Alternative zur transatlantischen zu begreifen. Die Antwort auf das bei einer Wiederwahl Donald Trumps drohende “America First” müsse “Europe now” sein.
Le Monde: Les drones, objets de convoitise de toutes les armées d’Afrique. Aus modernen Konflikten sind sie nicht mehr wegzudenken sind, und auch in Afrika haben sie das Gleichgewicht der Kräfte auf den verschiedensten Schlachtfeldern verändert. Erster Teil einer Serie der französischen Tageszeitung Le Monde über die Bedeutung von Drohnen.
Al-Monitor: 2023 in review – From Sudan to Syria, here are Mideast’s forgotten conflicts. Mehr als 12.000 Menschen wurden 2023 im Sudan getötet, auch in Teilen Syriens, im Iran und in anderen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas hielt die Gewalt an. Die Onlineplattform Al-Monitor verschafft einen Überblick über die vergessenen Kriege der Region.
Politico: Rusia Uses POWs as a political weapon against Kyiv. Nach ukrainischen Angaben sind rund 3.000 ukrainische Soldaten und 28.000 Zivilisten in russischer Gefangenschaft. Russland hat die Gefangenenaustausche gestoppt. Ukrainer werfen Russland vor, Stimmung machen zu wollen in ihrer Bevölkerung gegen Präsident Zelenskyij.
Das Hundertmilliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr, die Selbstverpflichtung der Bundesregierung auf das Zwei-Prozentziel der Nato sowie dessen Verschärfung auf dem Nato-Gipfel in Vilnius im Juli 2023, Waffenlieferungen in Milliardenhöhe an die Ukraine und die Erhöhung der Militäretats in anderen europäischen Ländern – es ist ein goldenes Zeitalter für die Rüstungsindustrie angebrochen, wie sich unschwer auch an den Aktienkursen von Rheinmetall oder Hensoldt ablesen lässt.
Als in der Vergangenheit Auftragslage und Aussichten weniger günstig waren, war der geringe Absatz das stärkste Argument der deutschen Konzerne und ihrer politischen Unterstützer für Waffenexporte in Diktaturen, Folterregime und Spannungsgebiete. So wurden Lieferungen an Staaten wie Saudi-Arabien, Pakistan und Ägypten genehmigt – schließlich, so die Befürworter, sollte die Rüstungsproduktion in Deutschland erhalten bleiben, was ohne Exporte eben nicht ginge.
Dieses Argument entfällt nun. Der Weg ist nach dieser Logik frei für ein restriktives Rüstungsexportkontrollgesetz, dessen Verabschiedung die Ampel-Koalition in ihrem Koalitionsvertrag verankert und dessen zügige Verabschiedung die SPD auf ihrem Parteitag im Dezember nochmals beschlossen hat.
Was muss dieses Gesetz leisten?
Für die Ampel-Koalition heißt es jetzt, beim Rüstungskontrollgesetz zu liefern. Dieses Gesetz stellt eine der wenigen Möglichkeiten im aktuellen internationalen Umfeld dar, Rüstungskontrolle zu stärken und Gewalt einzudämmen. Zusätzlichen Spielraum dafür hat ihr paradoxerweise auch ihre eigene Aufrüstungspolitik gegeben.
Alexander Lurz ist Experte für Abrüstung bei Greenpeace Deutschland. Von 2010 bis 2017 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Linken-BundestagsabgeordnetenJan van Aken tätig, zuvor arbeitete er beim Berliner Informationszentrum für transatlantische Sicherheit (BITS).