rund 50 Millionen Euro hat Deutschland bislang in die Entwicklung von KI-Software für das Militär gesteckt. Im europäischen Vergleich ist das nicht unbedingt wenig, aber es fehlt der Bundesregierung nach wie vor an einer Strategie zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz in Waffensystemen. Vor allem Frankreich gilt hier als Vorreiter, wie Nana Brink analysiert. Derweil bietet der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie der Bundesregierung in einem neuen Papier schonmal Hilfe an bei der “Formulierung einer militärischen KI-Strategie”.
Dass KI nicht unfehlbar ist, hat die Überraschungsattacke der Hamas mit Hunderten Toten gezeigt. Wie kaum ein anderer Staat hatte Israel in seine Raketenabwehr und Aufklärung investiert, gestützt durch Künstliche Intelligenz. Doch der Terrorgruppe gelang es, am frühen Morgen des 7. Oktober alle Barrieren zu überwinden. Im Interview mit Markus Bickel erklärt Oberst Markus Reisner, Kommandant des österreichischen Bundesheeres, wie es dazu kommen konnte.
Bundeskanzler Olaf Scholz ist heute auf Solidaritätsbesuch beim israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, ehe es morgen weitergeht nach Kairo zu Ägyptens Machthaber Abdel Fattah al-Sisi. Bei beiden Treffen geht es darum, wie die Bundesregierung konkret Hilfe leisten kann – humanitär und bei der Befreiung von 200 Geiseln aus den Händen der Hamas. Darunter sind weiterhin mehrere Deutsche.
Mit der Entwicklung des Future Combat Air System (FCAS), dem größten europäischen Rüstungsprojekt mit deutscher und französischer Beteiligung, wird die Frage nach der Rolle von Künstlicher Intelligenz (KI) in den Waffensystemen der Zukunft entscheidend. Anders als in den USA oder in Frankreich, die schon seit Jahren KI-Regularien für Waffensysteme haben, verfügt Deutschland bislang über keine offizielle Strategie, die eine nationale Position im Umgang mit Autonomen Waffensysteme (AWS) definiert.
Im Koalitionsvertrag der Ampel 2021 heißt es lediglich: “Letale autonome Waffensysteme, die der Verfügung des Menschen entzogen sind, lehnen wir ab.” Auch in der Bundeswehr gibt es kein umfassendes, verbindliches Papier, das die Beziehung Mensch-Maschine definiert. Das Amt für Heeresführung hat 2019 das Konzeptpapier “Künstliche Intelligenz in den Landstreitkräften” herausgegeben. Darin steht: “Der Mensch muss die Entscheidungsgewalt über Leben und Tod behalten.” Was daraus resultiert, ist jedoch unklar.
KI-Experten wie Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr in München bemängeln das Zögern der Politik: “Als größtes europäisches Land mit steigenden Militärausgaben sollte Deutschland im Sinne der Mitgestaltung der regulatorischen Landschaft bei AWS aktiver und selbstbewusster werden.” Der Arbeitskreis KI & Verteidigung, dem Vertreter des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie sowie Wissenschaftler der Fraunhofer-Gesellschaft und der Universität der Bundeswehr angehören, fordert nun eine Antwort von der Politik (siehe News in der heutigen Ausgabe).
Seit 2019 verfügt Frankreich über eine nationale KI-Strategie für den Verteidigungsbereich. Wie ein roter Faden zieht sich das Prinzip der “meaningful human control” (menschliche Kontrolle) als Anforderung an neue Technologien durch das Konzept. Überprüft wird dies durch eine extra eingerichtete Ethikkommission des Verteidigungsministeriums. Der französische Ansatz einer Priorisierung von ethischen Aspekten hat viele Experten überrascht. “Ich hätte aufgrund der strategischen Kultur Frankreichs und des Stellenwerts militärischer Macht nicht mit einem so prominenten Fokus gerechnet”, erklärt Heiko Borchert, Ko-Leiter des Defense AI Observatory (DAIO) an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg.
In einer Studie zu KI-Strategien im militärischen Bereich, die DAIO an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr für mehrere europäische Staaten veröffentlicht hat, wird Frankreich als führende “AI Nation” in Europa bezeichnet: “Frankreichs große Beschaffungsbemühungen im Bereich KI sind mit einem durchschnittlichen Budget von 100 Millionen Euro pro Jahr ausgestattet.”
Laut Schätzungen des DAIO hat Deutschland bislang Mittel in Höhe von 50 Millionen Euro für die Entwicklung von KI-Software eingesetzt.
Finnland, als neues Mitglied der Nato, verfügt zwar seit 2017 über eine überaus innovative nationale KI-Strategie, die jedoch nicht speziell auf den militärischen Bereich abgestimmt ist. Ähnlich wie in Deutschland nimmt das Thema KI in Waffensystemen erst jetzt Fahrt auf. Dabei spielt das Bekenntnis zur menschlichen Kontrolle bei AWS zwar eine Rolle, folgt aber einem pragmatischen Ansatz.
Mit dem Kauf von 64 amerikanischen F-35-Kampfjets wird Finnland KI-Software von ausländischen Partnern, hier von den USA, übernehmen. Die Frage, die sich laut Borchert dabei stellt: “Weiß ich eigentlich, was ich dabei kriege bzw. wie tief lässt mich ein Partner in sein KI-System blicken?” Der Chef der israelischen Missile Defense Organisation Moshe Patel sagte im Mai auf einer Veranstaltung des US-amerikanischen Centers for Strategic and International Studies sehr direkt: “Wir werden unsere Algorithmen in das finnische Command and Control-System zur Flugabwehr integrieren.”
Da KI im zivilen Sektor und auch in der Ausbildung eine große Rolle in Finnland spielt, steht die Beschäftigung mit ihr schon seit längerem auf dem Lehrplan der Nationalen Verteidigungsuniversität. Die Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg plant dies erst für 2024.
Wie in Deutschland steht auch für die Niederlande die ethische Frage beim Einsatz von KI in AWS im Vordergrund. “Die Einführung neuer Technologien in der Verteidigung bietet Chancen, birgt aber auch Risiken. Wie können KI-gesteuerte Systeme unter menschlicher Kontrolle bleiben?” Unter dieser Überschrift beschäftigt sich das “Elsa Lab Defence” mit der Implementierung eines ethischen Designs in AWS. Im Unterschied zu Deutschland arbeiten hier – staatlich finanziert – Verteidigungsministerium, Streitkräfte, Universitäten und Thinktanks eng zusammen. In sogenannten “use cases” wird der Einsatz von KI durchgespielt. Eine der ersten Studien untersuchte die Rolle von Emotionen beim Einsatz von KI.
Ihren kooperativen Ansatz haben die Niederlande als Gastgeber der REAIM im Februar dieses Jahres vorgestellt. Die REAIM war der erste globale Gipfel überhaupt zum Thema “Verantwortungsbewusste KI im militärischen Sektor”. Die USA nutzten ihn für eine Erklärung ihrer Haltung. Im Gegensatz zu vielen europäischen Staaten ist darin nicht von einer “meaningful human control” die Rede, sondern von einer “responsible human chain of command and control”.
Zum Vergleich: Die USA geben für die Forschung und Entwicklung von KI in AWS jährlich rund 5 Milliarden Dollar aus.
Herr Reisner, vor welchen Optionen steht das Kriegskabinett von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu Beginn der zweiten Kriegswoche?
Die Israelis versuchen sich zu wehren, sie stehen mit dem Rücken zur Wand. Sie versuchen natürlich, im Rahmen des Völkerrechts zu agieren. Aber sie machen nicht den Fehler zu glauben, einen sauberen Krieg führen zu können, weil sie wissen, dass Krieg hauptsächlich schmutzig und grausam ist. Aber Israel kann nicht einfach klein beigeben. Dazu sind die Verluste einfach zu gewaltig.
Die Hamas hat die Aufforderung der israelischen Armee an die Zivilbevölkerung, den Norden des Gazastreifens zu räumen, als Propaganda bezeichnet. Was erreicht die Hamas damit?
Die Informationsdomäne hat in der Kriegsführung eine enorme Bedeutung gewonnen. Sie bestimmt, was Öffentlichkeit und Kriegsparteien über den Konflikt denken. Die Hamas hat durch den Angriff vom 7. Oktober im Informationsraum einen überraschenden Erfolg erzielt. Vor allem dahingehend, dass der Nimbus der Unbesiegbarkeit der israelischen Armee einen Schlag versetzt bekommen hat.
Wie hat die Hamas das erreicht?
Sie ist sehr vorsichtig vorgegangen und hat sich offensichtlich über Jahre vorbereitet. Im entscheidenden Moment hat sie alle von einem solchen komplexen militärischen Angriff betroffenen Domänen in Zusammenhang gebracht. Die Stromversorgung wurde unterbrochen, Kabel zerschnitten, Radaranlagen mit Drohnen gesprengt, Überwachungskameras ausgeschaltet. Das hat dazu geführt, dass die israelische Armee für kurze Zeit handlungsunfähig war. Und dazu, dass Tausende Palästinenser die Grenzanlagen durchbrochen haben, teils unterirdisch, teil auf Motorrädern und Pickups, aber auch zu Fuß. Die israelische Armee hat dann mehrere Stunden gebraucht, um sich zu fangen.
Hat die israelische Armee das Gebiet um den Gazastreifen gegenüber dem Westjordanland vernachlässigt?
Das Konzept der israelischen Streitkräfte war immer darauf ausgerichtet, Schwergewichte zu setzen. Und das Schwergewicht war natürlich eindeutig der Einsatz gegenüber der Hisbollah im Libanon – und vermehrt in den vergangenen Jahren das Westjordanland. Dadurch sieht sich die israelische Armeeführung dem Dilemma ausgesetzt, möglicherweise an mehreren Fronten Krieg führen zu müssen.
350.000 Reservisten hat die Armee mobilisiert. Wie viele Soldaten braucht sie, um im Gazastreifen einzumarschieren?
Damit der Angreifer im offenen Gelände überlegen ist, braucht er schon dreimal so viele Kräfte wie die Verteidiger. Beim Häuserkampf ist das Verhältnis noch höher. Schon um einen einzelnen Scharfschützen zu bekämpfen, braucht man eine ganze Gruppe von acht oder zehn Soldaten. Das erklärt auch, warum Israel massiv Reservisten mobilisiert hat. Aber es ist vor allem ein Zeichen im Informationsraum an Israels Feinde, dass sie sich keinen Illusionen über mangelnde Entschlossenheit hingeben sollten: “Wir haben genug Reserven verfügbar, um gegen alle Bedrohungen gewappnet zu sein.”
Wie erklären Sie sich die hohen Opferzahlen? Nach 24 Stunden waren sie so hoch wie in den Kriegen mit Libanon 2006 und im Gazastreifen 2014 erst nach einigen Tagen.
Sie müssen sich doch nur ansehen, wie die Hamas hier vorgegangen ist, willkürlich und völlig gegen ihre eigene Regel, keine Menschen zu massakrieren. Allein auf einem Festivalgelände waren es mehr als 260. Solche Angriffe hat es seit der Staatsgründung Israels 1948 nie gegeben.
Sie haben die Waffenhoheit der Hamas im Informationsraum genannt – was genau hat sie in den frühen Stunden des 7. Oktober getan, um das zu erreichen?
Das zu klären, wird sicher Gegenstand von vielen Untersuchungen sein. Das Unterbrechen von Kommunikation oder das Stören von Stromversorgung sind Beispiele in diese Richtung, gepaart mit Mitteln eines Cyberangriffs, eine Mischung aus Attacke und Störung eigentlich. Was das im Ergebnis gebracht hat? Chaos und Übersättigung der israelischen Sicherheitseinrichtungen. Für einen halben Tag war die Armee dadurch wie gelähmt, aber das hat der Hamas gereicht an diesem schwarzen Schabbatmorgen.
Übersättigt soll auch das Raketenabwehrschild Iron Dome gewesen sein.
Sollte der Raketenbeschuss nicht gestoppt werden können, müsste die Armee im Gazastreifen einmarschieren, um zu verhindern, dass weiter Raketen durchstoßen. Sie müsste Raketen-Abschussrampen in Besitz nehmen, damit die Bedrohung endet.
Gilt dasselbe Prinzip auch für einen Einmarsch im Libanon?
Immer wieder wurde danach gefragt, ob die Hisbollah genug Raketen für einen Waffengang hätte oder ob es Israel gelingen würde, mit Abwehrraketen aus dem eigenen Land dagegen zu halten ohne einzumarschieren. Für eine Invasion braucht sie Nachschub, den die USA offenbar liefern.
Schadet das dem militärischen Nachschub in die Ukraine?
Nicht im Bereich von Flugabwehrmunition. Aber natürlich ergibt sich gerade eine gewisse Gleichzeitigkeit, multiple Krisen fließen ineinander über. Der Bedarf an bestimmten Waffensystemen verbindet ja nicht nur die Ukraine und Israel. Denken Sie an Taiwan, denken Sie an die Sahelzone, an den Iran oder Bergkarabach, wo offensichtlich Aserbaidschan immer größeren Appetit bekommt, durchzustoßen in Richtung Türkei.
Halten Sie einen Zweifrontenkrieg mit der Hisbollah für realistisch?
Ich denke, die Hisbollah erwägt ihre nächsten Schritte militärisch sehr genau. Sie wird so lange nicht eingreifen, wie die Führung um Nasrallah nicht das Gefühl hat, Israel ist so geschwächt, dass seine Kämpfer tatsächlich eine Chance haben, einen durchschlagenden Erfolg zu erzielen.
Spielt die panarabische Solidarität heute noch dieselbe mobilisierende Rolle wie während Sechstagekrieg 1967 und Jom Kippur-Krieg 1973?
Nein, auch wenn das Konfliktpotenzial und die Polarisierung enorm bleiben. Wenn es jetzt tatsächlich zu einem Flächenbrand kommt, hätte das einen Dominoeffekt zur Folge. Was bedeutet es, wenn der Gazastreifen in Schutt und Asche gelegt wird? Wie werden die Menschen in der Region damit umgehen?
Zehn Tage nach dem Terrorüberfall der Hamas auf den Süden Israels zieht die Armee weitere Kräfte für eine Bodenoffensive in den Gazastreifen zusammen. Derweil weiten sich die Kämpfe mit der libanesischen Hisbollah aus. Tausende Bewohner aus 28 nordisraelischen Gemeinden mussten deshalb am Montag das Grenzgebiet zum Libanon verlassen.
Die Evakuierung des seit einer Woche unter Beschuss der Hisbollah, Islamischem Dschihad und anderer palästinensischer Milizen im Süden des Libanon stehenden Gebiets hatte bereits am Wochenende begonnen; die National Emergency Management Authority (NEMA) des Verteidigungsministeriums kündigte an, Unterkünfte zur Verfügung zu stellen.
Die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu geht seit dem Terrorüberfall auf Ortschaften östlich des Gazastreifens am 7. Oktober täglich aus der Luft und mit Artillerie gegen Stellung des Hamas-Verbündeten Hisbollah im Libanon vor. Nach einem Feuergefecht entlang der 130 Kilometer langen Grenze zwischen den beiden Staaten setzte die israelische Armee Hubschrauber ein, um einen der Beobachtungsposten der von Generalsekretär Hassan Nasrallah seit 1992 geführten Parteimiliz anzugreifen.
Nasrallah war vergangene Woche in Beirut mit Irans Außenminister Hossein Amir-Abdollahian zusammenkommen; tags darauf traf er in Doha Hamas-Führer Ismail Haniyeh. Hamas, Hisbollah, Iran und Syrien bilden seit gut zwanzig Jahren eine “Achse des Widerstands” gegen Israel; ihre Ursprünge reicht sogar zurück in die 1980er Jahre, als Israel den Südlibanon besetzt hielt.
Nach dem Abzug der israelischen Armee im Mai 2000 sprach Nasrallah von einem “historischen Sieg” – und als Vorbild für die Palästinenser, “eine ernsthafte und echte Intifada, keine Intifada im Kontext von Oslo gegen die Besatzung ihres Landes zu beginnen”. Auch Irans Außenminister Amir-Abdollahian bezeichnete den Überfall der Hamas bei seinem Treffen mit Haniyeh als “historischen Sieg”. mrb
Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), Hans Christoph Atzpodien, will den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) in Waffensystemen “entdämonisieren”. Das sagte er am Montag bei der Vorstellung eines Impulspapiers des Arbeitskreises KI und Verteidigung. Table.Media hatte im Vorfeld über das Dokument berichtet. Dem Arbeitskreis gehören unter anderem Vertreter des BDSV, der Industrieverbände BDI, BDLI und Bitkom sowie Wissenschaftler eines Instituts der Fraunhofer-Gesellschaft und der Universität der Bundeswehr in München an.
Das Papier solle einen Beitrag zur “Formulierung einer nationalen militärischen KI-Strategie liefern”, heißt es in dem Dokument. Ein Problem sei, dass internationale Regelungen für den Einsatz von KI fehlten. “Besonders in Deutschland tut man sich in dieser Angelegenheit schwer, ein derartiges Thema über reine Verbotsszenarien hinaus zu diskutieren”, sagte der BDI-Vertreter Matthias Wachter.
Bei der Programmierung von KI-Systemen in Waffen müsse “höchste Priorität haben”, dass “keinem individuellen Menschen zugemutet wird, eine Entscheidung gegen sein eigenes Überleben zu treffen”, heißt es in dem 20-seitigen Dokument. Für Atzpodien wäre es “unverantwortlich, die Maschine in einer solchen Situation nicht machen zu lassen”, also zum Beispiel nicht automatisch auszulösen.
Das Papier, in dem ethische Richtlinien für den Einsatz von KI in Waffensystemen diskutiert werden, solle mit Bundestagsabgeordnete in den kommenden Wochen besprochen werden, sagte Atzpodien. Von der Politik fordert die Arbeitsgruppe, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, die eine “kontinuierliche Überprüfung und Weiterentwicklung” von KI-Modellen möglich mache. Der Bundeswehr komme mit dem Zugriff auf große Datenmengen da eine entscheidende Rolle zu. bub
Mit Schattenimporten elektronischer Bauteile für seine Waffen und Schattenexporten seines Öls gelingt es Russland nach wie vor, die Sanktionen der EU, der USA und anderer westlicher Partner zu umgehen. Doch die Kosten dafür steigen und insgesamt zeigten die Sanktionen der Europäische Union Erfolge, berichtet der EU-Sonderbeauftragte David O’Sullivan im Interview mit Table.Media. Seit Januar dieses Jahres ist der ehemalige europäische Top-Diplomat ständig auf Reisen. In Verhandlungen mit Drittstaaten versucht er die Schlupflöcher zu schließen, die Russland nutzt.
Als Erfolg verbucht der ehemalige EU-Botschafter in Washington, dass die Rüstungsproduktion für Russland immer teurer werde, und dass mehrere Staaten wie etwa Kasachstan, Usbekistan und Armenien den Handel mit Russland künftig stärker kontrollieren und illegale Handelswege unterbinden wollen. O’Sullivan setzt bisher auf Vereinbarungen, doch er macht deutlich, dass die EU auch jene strafen werde, die bei der Umgehung von Sanktionen helfen: “Aber wenn wir nicht in der Lage sind, auf dem Verhandlungsweg zu einer Einigung zu kommen, wie wir mit einigen dieser Umgehungsfragen umgehen sollen, dann haben wir natürlich die Möglichkeit, auf diese Strafmaßnahmen zurückzugreifen. Ich hoffe, dass wir das nicht tun müssen.” Hier geht es zum vollständigen Interview. sti
Atlantic Council: What to expect from Israel’s ground invasion of Gaza. Weil die Hamas vor allem schultergestützte und Handfeuerwaffen sowie mobile Luftverteidigungssysteme verwendet, hält Alex Plitsas den Einsatz von Hubschraubern durch Israel für unwahrscheinlich. Um die Hamas militärisch auszuschalten, müsste sich die Armee von Block zu Block, von Haus zu Haus vorkämpfen. Das könnte Monate dauern.
CNN: How Hamas is using cryptocurrency to raise funds. Ohne Geld wäre die Hamas nicht so schlagkräftig. Wie die Terrororganisation sich finanziert und welche Rolle dabei digitale Währungen spielen, fasst dieser Bericht gut zusammen.
Deutschlandfunk: Krieg 2.0 – Ringen um Regeln für Militärroboter. Juristen sprechen von “autonomen Waffen”, Kritiker von “Killerrobotern”. Im Rahmen der Vereinten Nationen wird seit langem über Regeln für den Einsatz von Militärrobotern verhandelt. Die wären bitter nötig, denn die Entwicklung geht schnell voran.
Deutschlandfunk: KI – Was sich für Militär und Polizei verändert. Künstliche Intelligenz kann riesige Mengen von Daten in Sekundenschnelle auswerten und kombinieren. Die Arbeit von Militär und Polizei könnte das grundlegend verändern. Doch zu welchem Preis?
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führt uns deutlich vor Augen, dass auch das Prinzip des “arktischen Exzeptionalismus” überdacht werden muss. Die militärische Sicherheit in der Arktis muss viel mehr als bisher ein Thema westlicher und auch deutscher Politik werden. Schon seit 2014 nimmt Russland auch in der Arktis eine konfrontative Rolle ein und baut seine militärischen Fähigkeiten in der Region aus.
In Zusammenarbeit mit China, das sich in seinem “Weißbuch zur arktischen Politik” als “arktisnah” und “wichtiger Beteiligter” bezeichnet, stellt Russland die Regeln der internationalen Ordnung infrage, verletzt oder kündigt mühsam ausgehandelte Verträge und versucht, mit militärischen Mitteln neue Fakten zu schaffen. China nutzt dabei die selbstverursachte Schwäche Russlands, um selbst Kontrolle über Rohstoffe, Handelswege und Infrastruktur zu erhalten.
Die deutsche Arktispolitik muss Frieden und Sicherheit in der Region stärken, um auch Deutschlands Interessen als von Seewegen abhängige Handelsnation in Zusammenarbeit mit alliierten und befreundeten Nationen durchzusetzen. Jenseits wirtschaftlicher Interessen sollte Deutschland auch dazu beitragen, die negativen Auswirkungen des Klimawandels zu reduzieren.
Der Schutz arktischer Gewässer vor Verschmutzung und die Verhinderung der Zerstörung zum Teil noch unbekannter Ökosysteme ist ebenso wichtig wie etwa ein Regelwerk für den umweltverträglichen Abbau von Meeresboden-Ressourcen. Mit auf die Agenda muss auch die Entsorgung hochgefährlicher radioaktiver Altlasten der Sowjetunion im arktischen Meer und die Verhinderung neuer Gefahrenquellen wie etwa schwimmender Atomkraftwerke.
Verträge wie das Seerechtsübereinkommen der UN von 1982 bleiben wichtig für die Stabilität in der Region, die Schifffahrt und den Welthandel. Auch die Zusammenarbeit im Arktischen Rat und anderen multilateralen Foren muss ohne Russland fortgesetzt und intensiviert werden. Die Einhaltung dieser internationalen Regelwerke muss überwacht werden, Verstöße müssen mit spürbaren Konsequenzen verbunden sein.
“Freedom of Navigation”-Fahrten müssen auch für die Deutsche Marine im Rahmen der Nato eine Option sein, wenn etwa Russland versucht, im arktischen Meer regelwidrig zu agieren. Die Staaten der freien Welt sollten gemeinsam an der Durchsetzung der bestehenden Regeln arbeiten, wobei Deutschland eine aktive, mit den EU-Partnern abgestimmte Rolle einnehmen sollte.
Die Bundeswehr sollte in der Lage sein, im Nato-Verbund substantielle Beiträge zur Sicherheit in der Arktis zu leisten. Das erfordert zum Beispiel ein Echtzeit-Lagebild zumindest der strategisch wichtigen Gebiete wie der Zugänge zum Atlantik und dem Umfeld wichtiger Infrastrukturen, sowie sichere Kommunikationswege. Gerade die für Deutschland strategisch wichtigen Seeboden-Infrastrukturen müssen dringend besser aufgeklärt und geschützt werden, auch indem man die Aktivitäten bekannter gegnerischer Akteure enger überwacht.
Dazu sind Investitionen in militärische Spezialfähigkeiten und Infrastrukturen notwendig. Das Bündnis muss in der Lage sein, mit Kräften zur See, in der Luft und zu Land in der Arktis zu operieren und muss regelmäßig dort üben. Auch die Fähigkeit zur militärischen Kommunikation über Satelliten fehlt bisher. Nato-Truppen müssen auch in der Arktis potenziellen Gegnern überlegen sein, um militärische Konflikte oder Versuche, den Status Quo einseitig zu ändern, wirkungsvoll abzuschrecken.
Zu den benötigten Spezialfähigkeiten kann Deutschland durch eine intelligente Beschaffungspolitik beitragen. So könnte das BMVg bei der Planung für die Fregatte 127 die Tauglichkeit für arktische Gewässer sicherstellen. Das Gleiche gilt für die dringend notwendige Beschaffung von Drohnen zur weiträumigen signalerfassenden luftgestützten Überwachung und Aufklärung und unbemannten Langstrecken-Unterwasserfahrzeugen zur Überwachung von Seeboden-Infrastrukturen.
Innovative Projekte wie das U-Boot U 212 CD, bei dem Deutschland und Norwegen ihre Technologieführerschaft im Bereich konventioneller U-Boote beweisen können, sollten in bedarfsgerechten Zahlen (sicher mehr als zwei) und schneller (bisher ab 2032) beschafft werden. Die Beschaffungszahlen der Future Naval Strike Missile (FNSM) sollten sich an den Durchhaltezielen der Nato orientieren. Das Bojensystem zur Unterwasserortung sowie Mehrzweckkampfboote müssen im Beschaffungsplan bleiben.
Damit Deutschland einen signifikanten Beitrag zur Sicherheit in der Arktis leisten kann, sollte die Bundesregierung das Zielbild für die Deutsche Marine ab 2035 schnellstmöglich in Bezug auf Material, Personal und Ausbildung umsetzen. Nachdem Kanzler Scholz von seinen Versprechungen zur “Zeitenwende” immer weiter zurückrudert, lassen die mittelfristige Finanzplanung der Ampel-Koalition für die Bundeswehr und auch das schon verplante Sondervermögen allerdings erstmal kaum Spielraum für einen Fokus auf die Arktis.
Knut Abraham ist CDU-Bundestagsabgeordneter und Diplomat. Er ist Obmann im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.
Nein – leicht liest sich das neue Buch des Doyens der deutschen Politikwissenschaft nicht. Herfried Münklers Welt in Aufruhr ist eine 500-seitige geopolitische Analyse der neuen Unordnung – elegant formuliert und unglaublich faktenreich. Ein echter Münkler also. Nicht überraschend: Er benennt fünf neue – alte – Akteure. Nach China, den USA und Russland setzt Münkler die EU und Indien auf seine Liste der Hegemonen. Allerdings: “Die Europäer werden sich erheblich anstrengen müssen, um dem kleinen Kreis der die Weltordnung dominierenden Akteure anzugehören. Ob sie das schaffen, wird sich noch in diesem Jahrzehnt entscheiden”.
Aber – wer Durchhaltevermögen beim Lesen zeigt, wird belohnt. Der emeritierte Berliner Politikwissenschaftler räsoniert nicht nur detailverliebt über eine “kleine Typologie der Großreichsbildungen”, sondern erklärt seinem Publikum auch die “Analytiker des großen Umbruchs”, wie Machiavelli oder Clausewitz.
Also – keine einfache Lesekost, aber wer schon immer mal in die Grundzüge der Geopolitik einsteigen wollte, der ist hier richtig. Am besten mit einem Glas Whisky. nana
Herfried Münkler / Welt in Aufruhr. Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert / rowohlt Berlin
Wer Münkler hören will: Er ist am 18. und 20. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse zu Gast.
rund 50 Millionen Euro hat Deutschland bislang in die Entwicklung von KI-Software für das Militär gesteckt. Im europäischen Vergleich ist das nicht unbedingt wenig, aber es fehlt der Bundesregierung nach wie vor an einer Strategie zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz in Waffensystemen. Vor allem Frankreich gilt hier als Vorreiter, wie Nana Brink analysiert. Derweil bietet der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie der Bundesregierung in einem neuen Papier schonmal Hilfe an bei der “Formulierung einer militärischen KI-Strategie”.
Dass KI nicht unfehlbar ist, hat die Überraschungsattacke der Hamas mit Hunderten Toten gezeigt. Wie kaum ein anderer Staat hatte Israel in seine Raketenabwehr und Aufklärung investiert, gestützt durch Künstliche Intelligenz. Doch der Terrorgruppe gelang es, am frühen Morgen des 7. Oktober alle Barrieren zu überwinden. Im Interview mit Markus Bickel erklärt Oberst Markus Reisner, Kommandant des österreichischen Bundesheeres, wie es dazu kommen konnte.
Bundeskanzler Olaf Scholz ist heute auf Solidaritätsbesuch beim israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, ehe es morgen weitergeht nach Kairo zu Ägyptens Machthaber Abdel Fattah al-Sisi. Bei beiden Treffen geht es darum, wie die Bundesregierung konkret Hilfe leisten kann – humanitär und bei der Befreiung von 200 Geiseln aus den Händen der Hamas. Darunter sind weiterhin mehrere Deutsche.
Mit der Entwicklung des Future Combat Air System (FCAS), dem größten europäischen Rüstungsprojekt mit deutscher und französischer Beteiligung, wird die Frage nach der Rolle von Künstlicher Intelligenz (KI) in den Waffensystemen der Zukunft entscheidend. Anders als in den USA oder in Frankreich, die schon seit Jahren KI-Regularien für Waffensysteme haben, verfügt Deutschland bislang über keine offizielle Strategie, die eine nationale Position im Umgang mit Autonomen Waffensysteme (AWS) definiert.
Im Koalitionsvertrag der Ampel 2021 heißt es lediglich: “Letale autonome Waffensysteme, die der Verfügung des Menschen entzogen sind, lehnen wir ab.” Auch in der Bundeswehr gibt es kein umfassendes, verbindliches Papier, das die Beziehung Mensch-Maschine definiert. Das Amt für Heeresführung hat 2019 das Konzeptpapier “Künstliche Intelligenz in den Landstreitkräften” herausgegeben. Darin steht: “Der Mensch muss die Entscheidungsgewalt über Leben und Tod behalten.” Was daraus resultiert, ist jedoch unklar.
KI-Experten wie Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr in München bemängeln das Zögern der Politik: “Als größtes europäisches Land mit steigenden Militärausgaben sollte Deutschland im Sinne der Mitgestaltung der regulatorischen Landschaft bei AWS aktiver und selbstbewusster werden.” Der Arbeitskreis KI & Verteidigung, dem Vertreter des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie sowie Wissenschaftler der Fraunhofer-Gesellschaft und der Universität der Bundeswehr angehören, fordert nun eine Antwort von der Politik (siehe News in der heutigen Ausgabe).
Seit 2019 verfügt Frankreich über eine nationale KI-Strategie für den Verteidigungsbereich. Wie ein roter Faden zieht sich das Prinzip der “meaningful human control” (menschliche Kontrolle) als Anforderung an neue Technologien durch das Konzept. Überprüft wird dies durch eine extra eingerichtete Ethikkommission des Verteidigungsministeriums. Der französische Ansatz einer Priorisierung von ethischen Aspekten hat viele Experten überrascht. “Ich hätte aufgrund der strategischen Kultur Frankreichs und des Stellenwerts militärischer Macht nicht mit einem so prominenten Fokus gerechnet”, erklärt Heiko Borchert, Ko-Leiter des Defense AI Observatory (DAIO) an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg.
In einer Studie zu KI-Strategien im militärischen Bereich, die DAIO an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr für mehrere europäische Staaten veröffentlicht hat, wird Frankreich als führende “AI Nation” in Europa bezeichnet: “Frankreichs große Beschaffungsbemühungen im Bereich KI sind mit einem durchschnittlichen Budget von 100 Millionen Euro pro Jahr ausgestattet.”
Laut Schätzungen des DAIO hat Deutschland bislang Mittel in Höhe von 50 Millionen Euro für die Entwicklung von KI-Software eingesetzt.
Finnland, als neues Mitglied der Nato, verfügt zwar seit 2017 über eine überaus innovative nationale KI-Strategie, die jedoch nicht speziell auf den militärischen Bereich abgestimmt ist. Ähnlich wie in Deutschland nimmt das Thema KI in Waffensystemen erst jetzt Fahrt auf. Dabei spielt das Bekenntnis zur menschlichen Kontrolle bei AWS zwar eine Rolle, folgt aber einem pragmatischen Ansatz.
Mit dem Kauf von 64 amerikanischen F-35-Kampfjets wird Finnland KI-Software von ausländischen Partnern, hier von den USA, übernehmen. Die Frage, die sich laut Borchert dabei stellt: “Weiß ich eigentlich, was ich dabei kriege bzw. wie tief lässt mich ein Partner in sein KI-System blicken?” Der Chef der israelischen Missile Defense Organisation Moshe Patel sagte im Mai auf einer Veranstaltung des US-amerikanischen Centers for Strategic and International Studies sehr direkt: “Wir werden unsere Algorithmen in das finnische Command and Control-System zur Flugabwehr integrieren.”
Da KI im zivilen Sektor und auch in der Ausbildung eine große Rolle in Finnland spielt, steht die Beschäftigung mit ihr schon seit längerem auf dem Lehrplan der Nationalen Verteidigungsuniversität. Die Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg plant dies erst für 2024.
Wie in Deutschland steht auch für die Niederlande die ethische Frage beim Einsatz von KI in AWS im Vordergrund. “Die Einführung neuer Technologien in der Verteidigung bietet Chancen, birgt aber auch Risiken. Wie können KI-gesteuerte Systeme unter menschlicher Kontrolle bleiben?” Unter dieser Überschrift beschäftigt sich das “Elsa Lab Defence” mit der Implementierung eines ethischen Designs in AWS. Im Unterschied zu Deutschland arbeiten hier – staatlich finanziert – Verteidigungsministerium, Streitkräfte, Universitäten und Thinktanks eng zusammen. In sogenannten “use cases” wird der Einsatz von KI durchgespielt. Eine der ersten Studien untersuchte die Rolle von Emotionen beim Einsatz von KI.
Ihren kooperativen Ansatz haben die Niederlande als Gastgeber der REAIM im Februar dieses Jahres vorgestellt. Die REAIM war der erste globale Gipfel überhaupt zum Thema “Verantwortungsbewusste KI im militärischen Sektor”. Die USA nutzten ihn für eine Erklärung ihrer Haltung. Im Gegensatz zu vielen europäischen Staaten ist darin nicht von einer “meaningful human control” die Rede, sondern von einer “responsible human chain of command and control”.
Zum Vergleich: Die USA geben für die Forschung und Entwicklung von KI in AWS jährlich rund 5 Milliarden Dollar aus.
Herr Reisner, vor welchen Optionen steht das Kriegskabinett von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu Beginn der zweiten Kriegswoche?
Die Israelis versuchen sich zu wehren, sie stehen mit dem Rücken zur Wand. Sie versuchen natürlich, im Rahmen des Völkerrechts zu agieren. Aber sie machen nicht den Fehler zu glauben, einen sauberen Krieg führen zu können, weil sie wissen, dass Krieg hauptsächlich schmutzig und grausam ist. Aber Israel kann nicht einfach klein beigeben. Dazu sind die Verluste einfach zu gewaltig.
Die Hamas hat die Aufforderung der israelischen Armee an die Zivilbevölkerung, den Norden des Gazastreifens zu räumen, als Propaganda bezeichnet. Was erreicht die Hamas damit?
Die Informationsdomäne hat in der Kriegsführung eine enorme Bedeutung gewonnen. Sie bestimmt, was Öffentlichkeit und Kriegsparteien über den Konflikt denken. Die Hamas hat durch den Angriff vom 7. Oktober im Informationsraum einen überraschenden Erfolg erzielt. Vor allem dahingehend, dass der Nimbus der Unbesiegbarkeit der israelischen Armee einen Schlag versetzt bekommen hat.
Wie hat die Hamas das erreicht?
Sie ist sehr vorsichtig vorgegangen und hat sich offensichtlich über Jahre vorbereitet. Im entscheidenden Moment hat sie alle von einem solchen komplexen militärischen Angriff betroffenen Domänen in Zusammenhang gebracht. Die Stromversorgung wurde unterbrochen, Kabel zerschnitten, Radaranlagen mit Drohnen gesprengt, Überwachungskameras ausgeschaltet. Das hat dazu geführt, dass die israelische Armee für kurze Zeit handlungsunfähig war. Und dazu, dass Tausende Palästinenser die Grenzanlagen durchbrochen haben, teils unterirdisch, teil auf Motorrädern und Pickups, aber auch zu Fuß. Die israelische Armee hat dann mehrere Stunden gebraucht, um sich zu fangen.
Hat die israelische Armee das Gebiet um den Gazastreifen gegenüber dem Westjordanland vernachlässigt?
Das Konzept der israelischen Streitkräfte war immer darauf ausgerichtet, Schwergewichte zu setzen. Und das Schwergewicht war natürlich eindeutig der Einsatz gegenüber der Hisbollah im Libanon – und vermehrt in den vergangenen Jahren das Westjordanland. Dadurch sieht sich die israelische Armeeführung dem Dilemma ausgesetzt, möglicherweise an mehreren Fronten Krieg führen zu müssen.
350.000 Reservisten hat die Armee mobilisiert. Wie viele Soldaten braucht sie, um im Gazastreifen einzumarschieren?
Damit der Angreifer im offenen Gelände überlegen ist, braucht er schon dreimal so viele Kräfte wie die Verteidiger. Beim Häuserkampf ist das Verhältnis noch höher. Schon um einen einzelnen Scharfschützen zu bekämpfen, braucht man eine ganze Gruppe von acht oder zehn Soldaten. Das erklärt auch, warum Israel massiv Reservisten mobilisiert hat. Aber es ist vor allem ein Zeichen im Informationsraum an Israels Feinde, dass sie sich keinen Illusionen über mangelnde Entschlossenheit hingeben sollten: “Wir haben genug Reserven verfügbar, um gegen alle Bedrohungen gewappnet zu sein.”
Wie erklären Sie sich die hohen Opferzahlen? Nach 24 Stunden waren sie so hoch wie in den Kriegen mit Libanon 2006 und im Gazastreifen 2014 erst nach einigen Tagen.
Sie müssen sich doch nur ansehen, wie die Hamas hier vorgegangen ist, willkürlich und völlig gegen ihre eigene Regel, keine Menschen zu massakrieren. Allein auf einem Festivalgelände waren es mehr als 260. Solche Angriffe hat es seit der Staatsgründung Israels 1948 nie gegeben.
Sie haben die Waffenhoheit der Hamas im Informationsraum genannt – was genau hat sie in den frühen Stunden des 7. Oktober getan, um das zu erreichen?
Das zu klären, wird sicher Gegenstand von vielen Untersuchungen sein. Das Unterbrechen von Kommunikation oder das Stören von Stromversorgung sind Beispiele in diese Richtung, gepaart mit Mitteln eines Cyberangriffs, eine Mischung aus Attacke und Störung eigentlich. Was das im Ergebnis gebracht hat? Chaos und Übersättigung der israelischen Sicherheitseinrichtungen. Für einen halben Tag war die Armee dadurch wie gelähmt, aber das hat der Hamas gereicht an diesem schwarzen Schabbatmorgen.
Übersättigt soll auch das Raketenabwehrschild Iron Dome gewesen sein.
Sollte der Raketenbeschuss nicht gestoppt werden können, müsste die Armee im Gazastreifen einmarschieren, um zu verhindern, dass weiter Raketen durchstoßen. Sie müsste Raketen-Abschussrampen in Besitz nehmen, damit die Bedrohung endet.
Gilt dasselbe Prinzip auch für einen Einmarsch im Libanon?
Immer wieder wurde danach gefragt, ob die Hisbollah genug Raketen für einen Waffengang hätte oder ob es Israel gelingen würde, mit Abwehrraketen aus dem eigenen Land dagegen zu halten ohne einzumarschieren. Für eine Invasion braucht sie Nachschub, den die USA offenbar liefern.
Schadet das dem militärischen Nachschub in die Ukraine?
Nicht im Bereich von Flugabwehrmunition. Aber natürlich ergibt sich gerade eine gewisse Gleichzeitigkeit, multiple Krisen fließen ineinander über. Der Bedarf an bestimmten Waffensystemen verbindet ja nicht nur die Ukraine und Israel. Denken Sie an Taiwan, denken Sie an die Sahelzone, an den Iran oder Bergkarabach, wo offensichtlich Aserbaidschan immer größeren Appetit bekommt, durchzustoßen in Richtung Türkei.
Halten Sie einen Zweifrontenkrieg mit der Hisbollah für realistisch?
Ich denke, die Hisbollah erwägt ihre nächsten Schritte militärisch sehr genau. Sie wird so lange nicht eingreifen, wie die Führung um Nasrallah nicht das Gefühl hat, Israel ist so geschwächt, dass seine Kämpfer tatsächlich eine Chance haben, einen durchschlagenden Erfolg zu erzielen.
Spielt die panarabische Solidarität heute noch dieselbe mobilisierende Rolle wie während Sechstagekrieg 1967 und Jom Kippur-Krieg 1973?
Nein, auch wenn das Konfliktpotenzial und die Polarisierung enorm bleiben. Wenn es jetzt tatsächlich zu einem Flächenbrand kommt, hätte das einen Dominoeffekt zur Folge. Was bedeutet es, wenn der Gazastreifen in Schutt und Asche gelegt wird? Wie werden die Menschen in der Region damit umgehen?
Zehn Tage nach dem Terrorüberfall der Hamas auf den Süden Israels zieht die Armee weitere Kräfte für eine Bodenoffensive in den Gazastreifen zusammen. Derweil weiten sich die Kämpfe mit der libanesischen Hisbollah aus. Tausende Bewohner aus 28 nordisraelischen Gemeinden mussten deshalb am Montag das Grenzgebiet zum Libanon verlassen.
Die Evakuierung des seit einer Woche unter Beschuss der Hisbollah, Islamischem Dschihad und anderer palästinensischer Milizen im Süden des Libanon stehenden Gebiets hatte bereits am Wochenende begonnen; die National Emergency Management Authority (NEMA) des Verteidigungsministeriums kündigte an, Unterkünfte zur Verfügung zu stellen.
Die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu geht seit dem Terrorüberfall auf Ortschaften östlich des Gazastreifens am 7. Oktober täglich aus der Luft und mit Artillerie gegen Stellung des Hamas-Verbündeten Hisbollah im Libanon vor. Nach einem Feuergefecht entlang der 130 Kilometer langen Grenze zwischen den beiden Staaten setzte die israelische Armee Hubschrauber ein, um einen der Beobachtungsposten der von Generalsekretär Hassan Nasrallah seit 1992 geführten Parteimiliz anzugreifen.
Nasrallah war vergangene Woche in Beirut mit Irans Außenminister Hossein Amir-Abdollahian zusammenkommen; tags darauf traf er in Doha Hamas-Führer Ismail Haniyeh. Hamas, Hisbollah, Iran und Syrien bilden seit gut zwanzig Jahren eine “Achse des Widerstands” gegen Israel; ihre Ursprünge reicht sogar zurück in die 1980er Jahre, als Israel den Südlibanon besetzt hielt.
Nach dem Abzug der israelischen Armee im Mai 2000 sprach Nasrallah von einem “historischen Sieg” – und als Vorbild für die Palästinenser, “eine ernsthafte und echte Intifada, keine Intifada im Kontext von Oslo gegen die Besatzung ihres Landes zu beginnen”. Auch Irans Außenminister Amir-Abdollahian bezeichnete den Überfall der Hamas bei seinem Treffen mit Haniyeh als “historischen Sieg”. mrb
Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), Hans Christoph Atzpodien, will den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) in Waffensystemen “entdämonisieren”. Das sagte er am Montag bei der Vorstellung eines Impulspapiers des Arbeitskreises KI und Verteidigung. Table.Media hatte im Vorfeld über das Dokument berichtet. Dem Arbeitskreis gehören unter anderem Vertreter des BDSV, der Industrieverbände BDI, BDLI und Bitkom sowie Wissenschaftler eines Instituts der Fraunhofer-Gesellschaft und der Universität der Bundeswehr in München an.
Das Papier solle einen Beitrag zur “Formulierung einer nationalen militärischen KI-Strategie liefern”, heißt es in dem Dokument. Ein Problem sei, dass internationale Regelungen für den Einsatz von KI fehlten. “Besonders in Deutschland tut man sich in dieser Angelegenheit schwer, ein derartiges Thema über reine Verbotsszenarien hinaus zu diskutieren”, sagte der BDI-Vertreter Matthias Wachter.
Bei der Programmierung von KI-Systemen in Waffen müsse “höchste Priorität haben”, dass “keinem individuellen Menschen zugemutet wird, eine Entscheidung gegen sein eigenes Überleben zu treffen”, heißt es in dem 20-seitigen Dokument. Für Atzpodien wäre es “unverantwortlich, die Maschine in einer solchen Situation nicht machen zu lassen”, also zum Beispiel nicht automatisch auszulösen.
Das Papier, in dem ethische Richtlinien für den Einsatz von KI in Waffensystemen diskutiert werden, solle mit Bundestagsabgeordnete in den kommenden Wochen besprochen werden, sagte Atzpodien. Von der Politik fordert die Arbeitsgruppe, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, die eine “kontinuierliche Überprüfung und Weiterentwicklung” von KI-Modellen möglich mache. Der Bundeswehr komme mit dem Zugriff auf große Datenmengen da eine entscheidende Rolle zu. bub
Mit Schattenimporten elektronischer Bauteile für seine Waffen und Schattenexporten seines Öls gelingt es Russland nach wie vor, die Sanktionen der EU, der USA und anderer westlicher Partner zu umgehen. Doch die Kosten dafür steigen und insgesamt zeigten die Sanktionen der Europäische Union Erfolge, berichtet der EU-Sonderbeauftragte David O’Sullivan im Interview mit Table.Media. Seit Januar dieses Jahres ist der ehemalige europäische Top-Diplomat ständig auf Reisen. In Verhandlungen mit Drittstaaten versucht er die Schlupflöcher zu schließen, die Russland nutzt.
Als Erfolg verbucht der ehemalige EU-Botschafter in Washington, dass die Rüstungsproduktion für Russland immer teurer werde, und dass mehrere Staaten wie etwa Kasachstan, Usbekistan und Armenien den Handel mit Russland künftig stärker kontrollieren und illegale Handelswege unterbinden wollen. O’Sullivan setzt bisher auf Vereinbarungen, doch er macht deutlich, dass die EU auch jene strafen werde, die bei der Umgehung von Sanktionen helfen: “Aber wenn wir nicht in der Lage sind, auf dem Verhandlungsweg zu einer Einigung zu kommen, wie wir mit einigen dieser Umgehungsfragen umgehen sollen, dann haben wir natürlich die Möglichkeit, auf diese Strafmaßnahmen zurückzugreifen. Ich hoffe, dass wir das nicht tun müssen.” Hier geht es zum vollständigen Interview. sti
Atlantic Council: What to expect from Israel’s ground invasion of Gaza. Weil die Hamas vor allem schultergestützte und Handfeuerwaffen sowie mobile Luftverteidigungssysteme verwendet, hält Alex Plitsas den Einsatz von Hubschraubern durch Israel für unwahrscheinlich. Um die Hamas militärisch auszuschalten, müsste sich die Armee von Block zu Block, von Haus zu Haus vorkämpfen. Das könnte Monate dauern.
CNN: How Hamas is using cryptocurrency to raise funds. Ohne Geld wäre die Hamas nicht so schlagkräftig. Wie die Terrororganisation sich finanziert und welche Rolle dabei digitale Währungen spielen, fasst dieser Bericht gut zusammen.
Deutschlandfunk: Krieg 2.0 – Ringen um Regeln für Militärroboter. Juristen sprechen von “autonomen Waffen”, Kritiker von “Killerrobotern”. Im Rahmen der Vereinten Nationen wird seit langem über Regeln für den Einsatz von Militärrobotern verhandelt. Die wären bitter nötig, denn die Entwicklung geht schnell voran.
Deutschlandfunk: KI – Was sich für Militär und Polizei verändert. Künstliche Intelligenz kann riesige Mengen von Daten in Sekundenschnelle auswerten und kombinieren. Die Arbeit von Militär und Polizei könnte das grundlegend verändern. Doch zu welchem Preis?
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führt uns deutlich vor Augen, dass auch das Prinzip des “arktischen Exzeptionalismus” überdacht werden muss. Die militärische Sicherheit in der Arktis muss viel mehr als bisher ein Thema westlicher und auch deutscher Politik werden. Schon seit 2014 nimmt Russland auch in der Arktis eine konfrontative Rolle ein und baut seine militärischen Fähigkeiten in der Region aus.
In Zusammenarbeit mit China, das sich in seinem “Weißbuch zur arktischen Politik” als “arktisnah” und “wichtiger Beteiligter” bezeichnet, stellt Russland die Regeln der internationalen Ordnung infrage, verletzt oder kündigt mühsam ausgehandelte Verträge und versucht, mit militärischen Mitteln neue Fakten zu schaffen. China nutzt dabei die selbstverursachte Schwäche Russlands, um selbst Kontrolle über Rohstoffe, Handelswege und Infrastruktur zu erhalten.
Die deutsche Arktispolitik muss Frieden und Sicherheit in der Region stärken, um auch Deutschlands Interessen als von Seewegen abhängige Handelsnation in Zusammenarbeit mit alliierten und befreundeten Nationen durchzusetzen. Jenseits wirtschaftlicher Interessen sollte Deutschland auch dazu beitragen, die negativen Auswirkungen des Klimawandels zu reduzieren.
Der Schutz arktischer Gewässer vor Verschmutzung und die Verhinderung der Zerstörung zum Teil noch unbekannter Ökosysteme ist ebenso wichtig wie etwa ein Regelwerk für den umweltverträglichen Abbau von Meeresboden-Ressourcen. Mit auf die Agenda muss auch die Entsorgung hochgefährlicher radioaktiver Altlasten der Sowjetunion im arktischen Meer und die Verhinderung neuer Gefahrenquellen wie etwa schwimmender Atomkraftwerke.
Verträge wie das Seerechtsübereinkommen der UN von 1982 bleiben wichtig für die Stabilität in der Region, die Schifffahrt und den Welthandel. Auch die Zusammenarbeit im Arktischen Rat und anderen multilateralen Foren muss ohne Russland fortgesetzt und intensiviert werden. Die Einhaltung dieser internationalen Regelwerke muss überwacht werden, Verstöße müssen mit spürbaren Konsequenzen verbunden sein.
“Freedom of Navigation”-Fahrten müssen auch für die Deutsche Marine im Rahmen der Nato eine Option sein, wenn etwa Russland versucht, im arktischen Meer regelwidrig zu agieren. Die Staaten der freien Welt sollten gemeinsam an der Durchsetzung der bestehenden Regeln arbeiten, wobei Deutschland eine aktive, mit den EU-Partnern abgestimmte Rolle einnehmen sollte.
Die Bundeswehr sollte in der Lage sein, im Nato-Verbund substantielle Beiträge zur Sicherheit in der Arktis zu leisten. Das erfordert zum Beispiel ein Echtzeit-Lagebild zumindest der strategisch wichtigen Gebiete wie der Zugänge zum Atlantik und dem Umfeld wichtiger Infrastrukturen, sowie sichere Kommunikationswege. Gerade die für Deutschland strategisch wichtigen Seeboden-Infrastrukturen müssen dringend besser aufgeklärt und geschützt werden, auch indem man die Aktivitäten bekannter gegnerischer Akteure enger überwacht.
Dazu sind Investitionen in militärische Spezialfähigkeiten und Infrastrukturen notwendig. Das Bündnis muss in der Lage sein, mit Kräften zur See, in der Luft und zu Land in der Arktis zu operieren und muss regelmäßig dort üben. Auch die Fähigkeit zur militärischen Kommunikation über Satelliten fehlt bisher. Nato-Truppen müssen auch in der Arktis potenziellen Gegnern überlegen sein, um militärische Konflikte oder Versuche, den Status Quo einseitig zu ändern, wirkungsvoll abzuschrecken.
Zu den benötigten Spezialfähigkeiten kann Deutschland durch eine intelligente Beschaffungspolitik beitragen. So könnte das BMVg bei der Planung für die Fregatte 127 die Tauglichkeit für arktische Gewässer sicherstellen. Das Gleiche gilt für die dringend notwendige Beschaffung von Drohnen zur weiträumigen signalerfassenden luftgestützten Überwachung und Aufklärung und unbemannten Langstrecken-Unterwasserfahrzeugen zur Überwachung von Seeboden-Infrastrukturen.
Innovative Projekte wie das U-Boot U 212 CD, bei dem Deutschland und Norwegen ihre Technologieführerschaft im Bereich konventioneller U-Boote beweisen können, sollten in bedarfsgerechten Zahlen (sicher mehr als zwei) und schneller (bisher ab 2032) beschafft werden. Die Beschaffungszahlen der Future Naval Strike Missile (FNSM) sollten sich an den Durchhaltezielen der Nato orientieren. Das Bojensystem zur Unterwasserortung sowie Mehrzweckkampfboote müssen im Beschaffungsplan bleiben.
Damit Deutschland einen signifikanten Beitrag zur Sicherheit in der Arktis leisten kann, sollte die Bundesregierung das Zielbild für die Deutsche Marine ab 2035 schnellstmöglich in Bezug auf Material, Personal und Ausbildung umsetzen. Nachdem Kanzler Scholz von seinen Versprechungen zur “Zeitenwende” immer weiter zurückrudert, lassen die mittelfristige Finanzplanung der Ampel-Koalition für die Bundeswehr und auch das schon verplante Sondervermögen allerdings erstmal kaum Spielraum für einen Fokus auf die Arktis.
Knut Abraham ist CDU-Bundestagsabgeordneter und Diplomat. Er ist Obmann im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.
Nein – leicht liest sich das neue Buch des Doyens der deutschen Politikwissenschaft nicht. Herfried Münklers Welt in Aufruhr ist eine 500-seitige geopolitische Analyse der neuen Unordnung – elegant formuliert und unglaublich faktenreich. Ein echter Münkler also. Nicht überraschend: Er benennt fünf neue – alte – Akteure. Nach China, den USA und Russland setzt Münkler die EU und Indien auf seine Liste der Hegemonen. Allerdings: “Die Europäer werden sich erheblich anstrengen müssen, um dem kleinen Kreis der die Weltordnung dominierenden Akteure anzugehören. Ob sie das schaffen, wird sich noch in diesem Jahrzehnt entscheiden”.
Aber – wer Durchhaltevermögen beim Lesen zeigt, wird belohnt. Der emeritierte Berliner Politikwissenschaftler räsoniert nicht nur detailverliebt über eine “kleine Typologie der Großreichsbildungen”, sondern erklärt seinem Publikum auch die “Analytiker des großen Umbruchs”, wie Machiavelli oder Clausewitz.
Also – keine einfache Lesekost, aber wer schon immer mal in die Grundzüge der Geopolitik einsteigen wollte, der ist hier richtig. Am besten mit einem Glas Whisky. nana
Herfried Münkler / Welt in Aufruhr. Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert / rowohlt Berlin
Wer Münkler hören will: Er ist am 18. und 20. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse zu Gast.