Table.Briefing: Security

Brigade-Vorkommando kommt in Litauen an + Genozid in Gaza? Deutschland gegen Nicaragua in Den Haag

Liebe Leserin, lieber Leser,

Abschreckung um jeden Preis: Boris Pistorius’ kostspieliges Leuchtturmprojekt, die künftige Panzerbrigade 45 in Litauen, nimmt Gestalt an. Die ersten 21 Bundeswehrsoldaten – auf ein Gendern kann ich an dieser Stelle verzichten – sind seit gestern vor Ort, um den weiteren Aufbau zu betreuen.

In Deutschland bleiben große Fragen: Wo kommen Material und Personal her, die eine einsatzbereite, 5000-köpfige Brigade braucht? Wo die Ressourcen, die auch in Deutschland gebraucht werden, um die entstehenden Lücken zu füllen? Antworten hat nicht einmal der mitgereiste Heeresinspekteur Alfons Mais. Wilhelmine Preußen berichtet aus Litauen.

Voll einsatzbereit soll die Brigade Ende 2027 sein. Käme es dann tatsächlich zu einem Krieg der Nato gegen Russland, kalkuliert die Bundeswehr mit etwa 1.000 verwundeten Soldatinnen und Soldaten, die auf zivile Krankenhäuser in Deutschland verteilt und dort behandelt werden müssten.

Ich habe mit Generalarzt Bruno Most, stellvertretender Kommandeur im Kommando Sanitätsdienstliche Einsatzunterstützung und zuständig für die zivil-militärische Zusammenarbeit, gesprochen. Er sagt: Das Gesundheitssicherstellungsgesetz, das sich die Ampel in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, habe absolute Dringlichkeit, um für diesen Fall gerüstet zu sein.

Ihre
Lisa-Martina Klein
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Analyse

Erste Soldaten der Brigade Litauen in Vilnius – neues Material muss noch beschafft werden

Neun Monate nach der Entscheidung von Verteidigungsminister Boris Pistorius, an der Nordostflanke der Nato erstmals dauerhaft eine Bundeswehrbrigade im Ausland zu stationieren, ist am Montag das Vorkommando der künftigen Panzerbrigade 45 in der litauischen Hauptstadt Vilnius eingetroffen. Damit beginnt für die Bundeswehr auch formal eine der größten Herausforderungen für die deutschen Streitkräfte.

Bundeskanzler Olaf Scholz und der litauische Präsident Gitanas Nausėda hatten bereits im Juni 2022 vereinbart, dass sich die Bundeswehr auf den Einsatz einer kompletten Kampfbrigade in dem baltischen Land an der Nordostflanke der Nato vorbereitet. Es geht darum, die Abschreckung gegen einen möglichen Angriff Russlands auf das Baltikum zu verstärken. Zunächst war allerdings geplant, nur Teile des Verbandes in Litauen zu stationieren und den Großteil der Truppen nur bei Bedarf oder für Übungen zu verlegen. Im Juni vergangenen Jahres hatte Pistorius überraschend angekündigt, dass die Bundeswehr die komplette Brigade dort aufstellen und stationieren werde. Für sie wurde der neue Name Panzerbrigade 45 gewählt, um deutlich zu machen, dass es sich um einen neu aufgestellten Verband handelt und nicht um die Verlegung einer bestehenden Brigade nach Litauen.

Nachdem im Dezember vergangenen Jahres beide Staaten eine Roadmap mit dem Zeitplan für die Stationierung vereinbart hatten, folgte nun die Verlegung des Vorkommandos für den Aufstellungsstab als erster Schritt. “Mir ist bewusst: Es gibt noch viel zu tun”, sagte Pistorius bei der Verabschiedung der 21 Soldaten am Flughafen in Berlin. Zugleich versprach er: “Wir werden alles dafür tun, die Brigade von Anfang an so auszustatten, wie sie ausgestattet werden muss und die Lücken, die das bei uns dann verursacht, zu schließen.” Die entsprechenden Arbeitsaufträge seien seit “geraumer Zeit” erteilt.

Materialmangel der Bundeswehr wird kurzfristig verstärkt

Heeresinspekteur Alfons Mais, der das Vorkommando nach Litauen begleitete, hatte bereits bei der Stationierungsentscheidung gefordert, dass die neu aufzustellende Brigade nicht mit dem bestehenden Material des Heeres, sondern mit neuem Gerät ausgestattet werden müsse. Zwar ist bereits entschieden, dass das Panzerbataillon 203 aus Augustdorf und das Panzergrenadierbataillon 122 aus Oberviechtach verlegt und den Kern der Panzerbrigade 45 bilden sollen. Aber “die großen Fragen, wo kommt das Material her, wo kommt das Personal her, wo kommen die Strukturen her, werden jetzt nach und nach abgearbeitet”, sagte Mais Table.Briefings an Bord des Transportflugzeugs A400M auf dem Weg nach Vilnius. Die erste wichtige Entscheidung sei gewesen, dass das Material neu beschafft werde.

Allerdings könne diese Beschaffung bis zu fünf Jahren dauern, warnte der Heeresinspekteur. In der Zwischenzeit müsse Material aus den vorhandenen Beständen genutzt werden – damit würden sieben bis acht Prozent des vorhandenen Geräts des Heeres für diese Brigade aufgewendet werden müssen. Zugleich müsse aber auch für die anderen Einheiten das Ziel der Vollausstattung der Truppe weiter verfolgt werden.

Freiwilligkeit könnte bei Spezialisten ein Ende haben

Für das Personal in Litauen, am Ende rund 4.800 Soldaten und Soldatinnen sowie 200 zivile Mitarbeiter, setze die Bundeswehr bislang auf Freiwilligkeit. “Ich will nicht ausschließen, dass wir einen Teil von Spezialisten haben, den wir überzeugen müssen, und wenn das nicht reicht, dann werden wir dort Leute hinbefehlen”, sagte Mais. Zahlen zu den bereits vorliegenden freiwilligen Meldungen wollte er nicht nennen, sie seien aber “relativ groß”. Für die nächste Welle im Oktober gebe es mehrere Tausend freiwillige Anmeldungen, allerdings seien das nicht immer genau die Dienstposten, die gebraucht werden.

Die neue Brigade soll spätestens ab Ende 2027 an den Standorten Rukla in der Mitte Litauens und Rūdninkai nahe der Grenze zu Belarus voll einsatzfähig sein. Bereits Ende 2024 soll der erste Kommandeur an der Spitze des Aufstellungsstabs den weiteren Aufwuchs organisieren. Wer die Führung der Brigade übernehmen solle, sei entschieden, sagte der Heeresinspekteur. Den Namen wollte er noch nicht nennen, aber fest stehe, dass ein wichtiger Faktor für die Personalentscheidung Landeskenntnisse gewesen seien und die Bereitschaft, auch mit Familie mit in diesen Einsatz zu gehen.

Finanzierung der zivilen Infrastruktur wird noch verhandelt

“Wir wollen ein Signal senden, dass sich unterscheidet von den Rotationseinsätzen. Das ist uns als Signal an die Litauer wichtig: Wir nehmen auch die Familien mit”, betonte Mais. Bereits seit 2017 führt die Bundeswehr eine Kampfgruppe der Nato in Litauen, wie auch die Briten in Estland und die Kanadier in Lettland. Allerdings rotieren die dort eingesetzten Soldaten im Halbjahresrhythmus. Mit der dauerhaften Stationierung der Brigade sollen auch Anreize für den Umzug der Familienangehörigen gegeben werden. Dafür muss aber neben der militärischen Infrastruktur auch entsprechende zivile Infrastruktur wie Wohnungen, Kindergärten oder Schulen geschaffen werden. Bislang ist offen, wie viele Familien zu diesem Umzug bereit sein werden.

Das Vorkommando wird von Oberst André Hastenrath geführt, dem stellvertretenden Kommandeur der Panzerbrigade 21, aus der auch das zu verlegende Panzerbataillon 203 kommt. Hastenrath sagte gegenüber Table.Briefings, dass “bis zum Sommer” auch Fragen zu den sogenannten Enablern wie dem Logistikbataillon geklärt werden sollten. Noch steht nicht fest, woher hier das Personal und Material kommen soll. Hastenrath war 2022 bereits als deutscher Kontingentführer in Litauen im Einsatz – damals allerdings noch im Rahmen der Planung, nur Teile der Brigade im Land zu stationieren und den Großteil der Einheiten in Deutschland zu lassen.

Beim Empfang des Vorkommandos in Vilnius versprach der neue litauische Verteidigungsminister Laurynas Kasčiūnas, der seine Ansprache symbolträchtig auf Deutsch begann, alle Unterstützung seines Landes, um die Einsatzbereitschaft der Brigade 2017 sicherzustellen. Dafür sehe das kleine baltische Land rund 800 Millionen Euro aus seinem Haushalt vor, hatte er zuvor als Zahl im litauischen Rundfunk genannt. Zugleich würdigte er den offiziellen Stationierungsbeginn mit dem Vorkommando als Zeichen der Geschlossenheit der Allianz: “Für uns bedeutet dies eine noch wirksamere Abschreckung und Sicherheit und ist ein Beispiel für außergewöhnliche Führungsstärke und Engagement, wenn wir tatsächlich sehen können, dass die kollektive Verteidigung und Einheit der Nato funktioniert” und er ergänzte, dass das Projekt auch Vorbildeffekt haben könnte für weitere dauerhafte Nato-Präsenzen in der baltischen Region.

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Generalarzt Most: “Bei der Reform der Notfallversorgung müssen jetzt resiliente Strukturen für den Verteidigungsfall mitbedacht werden”

Im Verteidigungsfall muss die Notfallversorgung durch Sanitäter gesichert sein, sagt Moss.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach sagte kürzlich, das Gesundheitswesen müsse auf mögliche militärische Konflikte vorbereitet werden. Was bedeutet das unterm Strich?

Ich war positiv angetan, dass er in großer Deutlichkeit gesagt hat, dass auch das Gesundheitssystem verteidigungsfähig und resilient sein muss. Bei der Reform der Notfallversorgung und der Krankenhausreform müssen jetzt von vornherein resiliente Strukturen für Krisen und vor allem den Verteidigungsfall mitbedacht werden.

Gesamtverteidigung muss schlussendlich auf kommunaler Ebene umgesetzt werden. Was bedeuten “resiliente Strukturen” ganz konkret?

Nicht erst auf kommunaler Ebene. Es ist entscheidend, dass ressortübergreifend, etwa zwischen Innen-, Verteidigungs- und Gesundheitsministerium zusammengearbeitet wird. Ein Beispiel: Die Ausbildung zum Rettungssanitäter dauert drei Monate. Jetzt denkt man darüber nach, diese Ausbildung auf ein Jahr zu erhöhen. Da stelle ich mir die Frage: Woher um Gottes willen soll ein Ehrenamtler die Zeit nehmen, für ein Jahr lang als Rettungssanitäter ausgebildet zu werden? Das ist für mich kein gemeinsames Denken zwischen Qualität in der Notfallversorgung und Durchhaltefähigkeit in der Gesamtverteidigung. Es ist entscheidend, dass wir gerade im Gesundheitssystem aus einem Guss denken.

Sie fangen beim Rettungsdienst an, warum?

Die wichtigsten Partner für den Sanitätsdienst der Bundeswehr, aber auch die Zivilbevölkerung, sind unsere sanitätsdienstlichen Hilfsorganisationen, sprich DRK, Malteser Hilfsdienst, Johanniter Unfallhilfe, Arbeiter-Samariter-Bund. In einem Bündnisfall sind wir auf sie angewiesen, denn unsere Rettungskette würde im Inland auf zivilen Transportmitteln beruhen und in zivilen Krankenhäusern enden. Wir kalkulieren mit 1.000 und mehr verwundeten deutschen Soldatinnen und Soldaten, Bündniskameraden gar nicht eingerechnet. Diese Partner sind im Augenblick hinsichtlich ihrer Ressourcen nicht auf die Größenordnungen der Landes- und Bündnisverteidigung eingestellt.

Überlastung entsteht, wenn es zu wenig Personal gibt, das Problem haben viele. Wie kann das System entlastet und resilienter werden?

Ein entscheidender Attraktivitätsmoment für das Ehrenamt ist die sogenannte Helfergleichstellung. Feuerwehrleute etwa wissen genau: Wenn dieses Land sie braucht, können sie sofort in Dienst treten, ihr Arbeitgeber wird entsprechend finanziell abgegolten. Das haben die Mitarbeiter von DRK, Johanniter, Malteser, ASB nicht. Am Ende ist das ein entscheidender Punkt: Wo werde ich ehrenamtlich tätig? Ich kann es nicht nachvollziehen, warum wir seit Jahren um diesen Punkt herumeiern. Es ist ein kleiner gesetzlicher Schritt mit großer Wirkung hin zur Resilienz des Gesundheitssystems. Dies würde auch helfen, das DRK-Gesetz, nach dem DRK, Johanniter und die Malteser den Sanitätsdienst der Bundeswehr in internationalen Konflikten – also bei Kriegseinsätzen nach Genfer Konvention – unterstützen, mit Substanz zu füllen.

Wenn es zum Konflikt im Baltikum kommt und Soldatinnen und Soldaten aus den Bundeswehrkrankenhäusern dort unterstützen, wer hält im Inland das System am Laufen?

Ich denke, es ist weniger die Frage: Wie fetten wir die Bundeswehrkrankenhäuser wieder an? Sondern: Mit welchen Koordinationsmechanismen verteilen wir die Verwundeten im zivilen System? Das muss eine Art Kleeblatt 2.0 werden, mit dem letztendlich verschiedenste dafür geeignete Krankenhäuser in Deutschland angesteuert werden können. Für uns wird es ganz entscheidend sein, dass wir uns in der Krankenhausversorgung auf zivile Krankenhäuser abstützen können.

Generalarzt Bruno Most.

Übrigens: Wir brauchen auch geeigneten Transportkapazitäten, um aus den Kriegsgebieten heraus eine große Zahl von Verletzten überhaupt nach Deutschland zu bringen. Hier führt kein Weg an Lazarettzügen vorbei, das sehen wir an der Ukraine. Wir brauchen zeitnahe Lösungen für die Umrüstung von zivilen Zügen auf Lazarettzüge.

Noch einmal zur Kernfrage: Ist denn unser Gesundheitssystem ausgelegt auf den Verteidigungsfall?

Mit den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken (BG Kliniken) haben wir einen Kooperationsvertrag. Diese Kliniken sind spezialisiert darauf, schwerstverletzte, anbehandelte Soldatinnen und Soldaten aufzunehmen. Insgesamt brauchen wir aber auch für den Zivilschutz resiliente Krankenhausstrukturen in der Fläche und wir brauchen zwingend ein Gesundheitssicherstellungs- und -vorsorgesetz. Das gäbe uns Möglichkeiten, in Krise und Krieg Schwerpunkte zu setzen. Dann könnten beispielsweise Operationen, die geschoben werden können, auch geschoben werden, um zusätzliche OP-Möglichkeiten, zusätzliche Krankenhausbetten, freizugeben. Das geht nur mit einem Gesetz, das letztendlich dem Bund die Eingriffsmöglichkeiten gibt. Das hat absolute Dringlichkeit. Unsere Gesundheitsstrukturen sind im Augenblick nicht resilient.

Die Bundeswehr erarbeitet den Operationsplan Deutschland. Welche Punkte müssen da mit Bezug zur Gesundheit berücksichtigt werden?

Gesundheitliche Versorgungsstrukturen und -prozesse sind für den OPLAN Deutschland ein entscheidender Faktor. Deshalb ist es wichtig, dass wir schon auf der Kreisebene anfangen, für diese Situation zu sensibilisieren. Was bedeutet es, wenn in einem Kreiskrankenhaus der amerikanische, französische, englische Soldat aufschlägt? Was bedeutet das, etwa hinsichtlich Sprachmittler und Prozeduren? Welche Aufgaben hat die Leitstelle bei der Verteilung zu erfüllen?

Das meinte ich, dass die Gesamtverteidigung auf der untersten Ebene umgesetzt werden muss …

Es beginnt oben, aber natürlich hat die Kreisebene entscheidende Ressourcen für die Resilienz Deutschlands und eine wichtige Steuerungs- und Lenkfunktion. Wir haben mit dem territorialen Verbindungssystem, den Kreisverbindungskommandos, ein seit Jahren etabliertes System. Die Reservisten dort sind Schlüsselpositionen der Resilienz, das sind unsere Augen und Ohren auf der Kreisebene. Diese Reservistinnen und Reservisten sind die Voraussetzung, um mit den zivilen Partnern interagieren zu können. Wir haben dort im Augenblick rund 60 Prozent der sanitätsdienstlichen Stellen besetzt und streben die Gesamtbesetzung an. Natürlich haben wir auch hier das Problem der Überalterung und der Gewinnung neuer Kräfte. Deshalb ist die Gewinnung dieses Personals oberste Priorität für die Reserve im Sanitätsdienst.

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News

Vučić für Rafale-Kampfjets und EU-Mitgliedschaft in Paris

Serbiens Präsident Aleksandar Vučić ist am Montagabend mit einer teuren Wunschliste nach Paris gereist, um den französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu besuchen. Macron empfing Vučić dann auch zunächst mit Lob für die “klaren Entscheidungen”, die Serbien im “geopolitischen Rahmen” getroffen hat. “Serbien spielt eine wichtige Rolle, um die europäische strategische Autonomie zu stärken”, sagte Macron. Forderte aber weitere Schritte in der Normalisierung der serbischen Beziehungen zum Kosovo.

Vučić erhofft sich von dem Treffen, das heute fortgesetzt wird, neben Unterstützung zu einer serbischen EU-Mitgliedschaft Fortschritte bei Serbiens Plänen zur Beschaffung von zwölf Rafale-Kampfjets. Im vergangenen Jahr hatte Vučić noch gesagt, dass Serbien bereit wäre, 3 Milliarden Euro dafür auszugeben. Am Donnerstag bekräftigte er seine Ambitionen dazu in einer öffentlichen Regierungssitzung. Vučić sagte außerdem, er wolle die Kooperation mit Airbus Helicopters vertiefen, von dem es bereits einige H125M-Hubschrauber besitzt.

Der Elysée hatte vor dem Treffen erklären lassen, dass die Präsidenten unter anderem über eine Vertiefung der bilateralen Kooperation in der Verteidigung sprechen wollen.

Bis zu Russlands Vollinvasion der Ukraine im Februar 2022 waren Serbiens Streitkräfte noch stark von russischen Waffenlieferungen abhängig. Die serbische Luftwaffe besteht zu großen Teilen aus sowjetischen MiG-29 Kampfjets und Mi-35 Kampfhubschraubern. Der serbische Sicherheitsexperte Daniel Šunter hatte Serbiens Pläne, sich von russischer Technologie unabhängig zu machen, als “große Langzeitherausforderung” bezeichnet.

Vor dem Treffen hatte der Elysée Serbien seine Unterstützung bei der europäischen Integration zugesichert, aber bekräftigt, dass “die Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo integraler Bestandteil des Beitrittsprozesses sind”. Insbesondere im Norden des Kosovo, dessen Unabhängigkeit Serbien nicht anerkennt, kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen der serbischen Minderheit und kosovarischen Behörden. Die kosovarische Regierung wirft der serbischen vor, die Konflikte zu schüren. Seit Januar hat sich das Verhältnis weiter verschlechtert, nachdem das Kosovo die Nutzung der serbischen Währung Dinar im Norden des Kosovo verboten hat. bub

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Nicaragua-Klage strahlt auf Globalen Süden aus

Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag hat Deutschland heute zwei Stunden Zeit, Nicaraguas Klage wegen Beihilfe zu Genozid zu entkräften – das Plädoyer hält Tania von Uslar-Gleichen, Leiterin der Rechtsabteilung und Völkerrechtsberaterin des Auswärtigen Amts, unterstützt von weiteren Vertretern des Auswärtigen Amts. Die Entscheidung des auch als Weltgerichts bezeichneten IGH könnte juristisch wegweisend werden – wegen der völkerrechtlichen Autorität der Einrichtung und weil es wegen des Gaza-Kriegs starke Aufmerksamkeit erzeugt.

Der Vorwurf, den Nicaraguas Rechtsvertreter, Carlos José Arguello Gómez, am Montag in seinem Plädoyer gegen die Bundesregierung darlegte, ist, mehr oder weniger, wissentlich und willentlich Genozid in Gaza zugelassen zu haben – durch Waffenlieferungen, finanzielle wie politische Unterstützung Israels. Ein harter Vorwurf, der im Auswärtigen Amt juristisch sehr ernst genommen wird. Genozid gilt als Verbrechen der Verbrechen; zudem hat Nicaragua eine lange Tradition vor dem IGH, das die Bundesregierung ausdrücklich als rechtliches Schlüsselorgan einer wertebasierten internationalen Ordnung achtet.

Die Achse Moskau-Managua

Signalwirkung hätte ein Entscheid, der Deutschland in die Pflicht nähme, aber auch langfristig. Ein Erfolg Nicaraguas, das ohne direkten Bezug zur Situation in Israel Klage eingereicht hat, könnte eine Welle von Anhörungen lostreten, mit starker Unterstützung aus Russland oder Venezuela.

Diese Autoritäre Achse ist wie den 1980ern antiisraelisch und propalästinensich. 2014 war Daniel Ortega einer der ersten Staatschefs, die die Annexion der Krim durch Russland anerkannten. Noch im selben Jahr besuchte Wladimir Putin Nicaragua. Die Achse Moskau-Managua endete mit dem Ende der Sowjetunion 1990, und dadurch auch die Unterstützung von Ortegas Sandinisten durch die KPdSU.

1988 zählte Nicaragua zu rund siebzig Staaten, die Palästina als unabhängigen Staat international anerkannten. Die vom gestürzten Somoza-Clan mit CIA-Hilfe aufgebauten Contra-Konterrebellen in Nicaragua erhielten neben US-Waffen auch Lieferungen aus Israel – während die Sandinisten auf Waffenbrüderschaft mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO setzten. Während des Contra-Kriegs gegen die Sandinisten belieferte Israel die Paramiliärs des Somoza-Clans mit zahlreichen Waffen.

Beim Verfahren in Den Haag kommt hinzu, dass Deutschland als grundsätzlich völkerrechtsfreundliches Land am Pranger steht – in einer Allianz, die weder unter Ortega noch unter Putin jenen Ansprüchen genügt, die Nicaragua nun in Den Haag anprangert. mrb

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Wie sich Norwegens Militär konsequent für zukünftige Bedrohungen rüstet

Mit dem langfristigen Verteidigungsplan, den die norwegische Regierung ihrem Parlament am Freitag vorgelegt hat, reagiert das Land auf das gestiegene Risiko eines militärischen Konflikts. Und macht der Rüstungsindustrie Hoffnung auf eine weitere deutsch-norwegische Kooperation: Mindestens fünf Fregatten will Norwegen zusammen mit einem “engen Verbündeten” beschaffen und betreiben, heißt es in dem Strategiepapier. Außerdem empfiehlt die Regierung dem Parlament die Beschaffung von mindestens einem weiteren U-Boot des Typs 212 CD.

Im März hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius bei einem Besuch bei seinem Amtskollegen Björn Arild Gram gesagt, er könne sich eine Kooperation mit Norwegen auch beim Bau der Fregatte 127 vorstellen. Laut dem Fachmagazin Hartpunkt ist auch eine Kooperation bei der Fregatte 126 denkbar. Oslo ist für Berlin bereits ein wichtiger Rüstungspartner: Die beiden Länder lassen bei Thyssen Krupp Marine Systems baugleiche U-Boote der Klasse 212 CD bauen. Norwegen hat vier, Deutschland bislang zwei bestellt. Das Land, das zwar nur eine kurze direkte Grenze zu Russland, dafür eine etwa 104.600-Kilometer-lange Küste hat, investiert traditionell viel in seine Marine.

Für die Jahre 2025 bis 2036 schlägt die Regierung zudem eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben um 600 Milliarden Norwegische Kronen (ca. 51,7 Milliarden Euro) vor, heißt es in dem 16-seitigen Dokument. Bereits dieses Jahr erreicht Norwegen das Zweiprozentziel für seine Verteidigungsausgaben. 2022 lagen die Ausgaben bei 1,64 Prozent des BIP. 

Neben den Beschaffungen für die Marine plant Norwegen die Stärkung seiner Fähigkeiten:

  • Lagebild: Dafür sieht die Regierung unter anderem die Beschaffung von Drohnen mit großer Reichweite und Satelliten zur Aufklärung und Kommunikation vor. 
  • Luftverteidigung: Es sollen vier NASAMS-Luftverteidigungssysteme des norwegischen Herstellers Kongsberg Defence & Aerospace zur Abwehr von Raketen mit kurzer bis mittlerer Reichweite beschafft werden. Die Regierung empfiehlt außerdem den Kauf eines Systems zur Abwehr von Langstreckenraketen.
  • Heer und Reserve: Das Heer soll aus drei Kampfbrigaden bestehen (Nord, Süd und Finnmark). Die Reserve soll außerdem Ausstattung für ihre “erweiterte nationale Verantwortung” bekommen. Das Heer und die Reserve sollen ausgebaut werden. Während die Zahl der Beschäftigten und Wehrpflichtigen bis 2036 um etwas mehr als 4.000 steigen soll, soll die Zahl der Reservisten um 14.000 Personen steigen. Insgesamt sollen die norwegischen Streitkräfte bis 2036 auf 45.000 Personen anwachsen. In 2024 liegt die Zahl laut Military Balance bei 25.400.

Zudem will die Regierung gezielt Schwächen des Militärs angehen:

  • Die Lager für Munition, Ersatzteile, Treibstoff und Ausstattung sollen gefüllt werden. 
  • Die IT-Infrastruktur soll gestärkt, die Digitalisierung vorangetrieben und vereinheitlicht werden. 
  • Die Kapazitäten für den Host Nation Support für Alliierte sollen erhöht werden. klm
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Japan soll sich Aukus anschließen

Australien, Großbritannien und die USA erwägen eine Erweiterung ihres Militärbündnisses Aukus (Akronym für Australia, UK, US) um Japan. Das teilten die Verteidigungsminister der drei Länder am Montag in einer gemeinsamen Erklärung mit. Die Kooperation mit Japan solle unter Säule 2 des Bündnisses – auf Ebene der industriellen Zusammenarbeit und Innovation – stattfinden, erklärten die Verteidigungsminister.

Hoffnungen um eine vertiefte Kooperation können sich auch die Philippinen machen. Das britische Verteidigungsministerium erklärte kurz nach der Ankündigung, dass Konsultationen “mit anderen Ländern, einschließlich Japan, als potenzielle Partner” noch dieses Jahr beginnen sollen.

Am Donnerstag halten US-Präsident Joe Biden, der philippinische Präsident Ferdinand Marcos sowie der japanische Ministerpräsident Fumio Kishida ein trilaterales Treffen in Washington ab. Bereits am Mittwoch empfängt Biden Kishida. Die beiden Staatschefs sollen das größte Upgrade zu ihrem Sicherheitsabkommen seit 1960 präsentieren, berichtet die Financial Times. Demnach hätten auch vor allem die USA auf eine Erweiterung um Japan gedrängt hätten. Allerdings sähen die Vereinigten Staaten bei Japan noch Nachholbedarf. So müsse das Land bei der Cyber-Sicherheit und dem Schutz von Geheiminformationen besser werden. Vize-Außenminister Kurt Campbell sagte: “Japan hat einige Schritte übernommen, aber nicht alle.”

Säule 1, die von der Erweiterung nicht betroffen wäre, beinhaltet den Verkauf von nuklear betriebenen U-Booten an Australien. Die 2021 gegründete Allianz gilt auch als Schutz für Taiwan, das China als abtrünnige Republik ansieht und wo seit längerem eine Invasion befürchtet wird. bub/rtr

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Presseschau

Forensis: German Arms Exports to Israel 2003-2023 Deutschland ist nicht nur politisch ein enger Partner Israels, sondern auch militärisch: Dieser Report von Forensis, der deutschen Schwesterorganisation der britischen Rechercheagentur Forensic Architecture, schlüsselt auf, wie Deutschland zum zweitgrößten Waffenlieferanten Israels wurde.

The Guardian: “The machine did it coldly”: Israel used AI to identify 37,000 Hamas targets. Ein KI-System namens Lavender soll Israel angeblich helfen, Palästinenser mit Verbindungen zur Hamas zu identifizieren. Geheimdienstler machen drastische Aussagen zum Einsatz, das Militär widerspricht.

CSIS: The U.S.-Japan Alliance in 2024: Toward an Integrated Alliance. Die USA und Japan müssen ihre Zusammenarbeit im militärischen und wirtschaftlichen Bereich weiter ausbauen und enger miteinander verzahnen, so die Autoren der amerikanischen Denkfabrik Center for Strategic and International Studies. Das beinhaltet auch die gemeinsame Entwicklung von Technologien und gegenseitige Öffnung der Verteidigungsindustrie. Es gehe um die Wahrung der freien internationalen Ordnung im Angesicht von verschiedenen Krisenherden weltweit und dem strategischen Wettbewerb mit China.

ARD: Putins Helfer. Deutsche Unternehmen in Mariupol. Der russische Präsident Wladimir Putin lässt Gebäude, Schulen und Theater der ukrainischen Stadt Mariupol wieder aufbauen, nachdem er sie flächendeckend zerstören ließ. Der Wiederaufbau ist Prestigeprojekt der russischen Kriegspropaganda. Monitor-Recherchen enthüllen, dass auch deutsche Firmen hier profitieren.

Standpunkt

Ludescher warnt vor Desinteresse westlicher Medien an Krisen im Globalen Süden

Von Ladislaus Ludescher

Die militärischen Auseinandersetzungen im Jemen, die schon fast zehn Jahre alt sind, dringen zunehmend in die westlichen Nachrichten. Doch bis vor den Angriffen der Huthi auf Handelsschiffe, die das Rote Meer durchquerten, spielte das Land in den westlichen Medien kaum eine Rolle – obwohl die Vereinten Nationen die Lage im Jemen jahrelang als “schlimmste humanitäre Krise weltweit” bezeichnet haben.

2017 wurde der Jemen von der größten jemals gemessenen Cholera-Epidemie heimgesucht, UN-Schätzungen zufolge starben in Folge des Bürgerkriegs alleine bis Ende 2021 rund 377.000 Menschen. Bis heute sind laut Unicef drei Viertel der Bevölkerung auf humanitäre Unterstützung angewiesen. Über eine halbe Million Kinder unter fünf Jahren sind lebensbedrohlich mangelernährt.

Krisen im Globalen Süden werden medial oft ignoriert

Leider stellt die langjährige mediale Vernachlässigung des Jemen keine Ausnahme dar. Als “tödlichster Krieg des 21. Jahrhunderts” gilt der Bürgerkrieg in der nordäthiopischen Region Tigray, in den auch Eritrea verwickelt war und der zwischen 2020 und 2022 schätzungsweise bis zu 600.000 Menschenleben forderte. Amnesty International konstatierte schwerste Menschenrechtsverletzungen wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnische Säuberungen.

Der Bürgerkrieg im Sudan, die Kämpfe in Myanmar zwischen Rebellen und der antidemokratischen Militärjunta, der Bandenterror in Haiti, dessen Hauptstadt Port-au-Prince zu etwa 80 Prozent von rivalisierenden Banden beherrscht wird und wo im vergangenen Jahr circa 4.000 Menschen ermordet wurden: Die Liste der medial vernachlässigten Krisen, Kriege und Katastrophen ließe sich leicht verlängern. Allen gemeinsam ist, dass sie im Globalen Süden liegen und in den Medien und von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden.

Offensichtlich haben das Leid und die humanitären Katastrophen in diesen Krisengebieten nicht ausgereicht, um medial ernsthaft thematisiert zu werden. Tigray und der Jemen kamen in den Nachrichten praktisch nicht vor. Das gilt für führende in- und ausländische Nachrichtensendungen wie die deutsche und Schweizer Tagesschau, die österreichische Zeit im Bild (ZIB) 1 oder die US-amerikanischen ABC World News Tonight. Das gilt aber auch für die wichtigsten politischen Talkshows und die meisten führenden Printmedien. Insgesamt wurden mehr als 40 Medien ausgewertet und für alle gilt, dass die Krisenregionen im Globalen Süden in der Berichterstattung der vergangenen Jahre fast vollständig übergangen wurden.

Der Autor: Ladislaus Ludescher.

Über Jahre hinweg durchgeführte Langzeituntersuchungen des Autors, zu denen beispielsweise die Auswertung von circa 6.000 Ausgaben der Tagesschau gehören, zeigen, dass der Globale Süden in den Nachrichten allgemein eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Im Durchschnitt beschäftigen sich Nachrichtenmedien in lediglich etwa zehn Prozent ihrer Sendezeit oder Beitragsseiten mit den Ländern des Globalen Südens, obwohl dort etwa 85 Prozent der Weltbevölkerung lebt. (Eine große Ausnahme stellt das ARTE Journal dar, das einen beträchtlichen Teil seiner Beiträge soziopolitischen Entwicklungen in der genannten Region widmet.)

Am Beispiel Jemen zeigt sich ein sehr großes allgemeines Problem der Berichterstattung. Pointiert gesagt: Berichtet wird anscheinend erst, wenn Menschen oder Interessen des Globalen Nordens in irgendeiner Form direkt betroffen sind. Vor dem Hintergrund der menschlichen Dimensionen der vergessenen Krisen und Konflikte ist das sehr erschreckend. Vor dem Hintergrund der globalen sicherheitspolitischen Dimensionen ist das sehr unklug und kurzsichtig.

UN-Abstimmungen verdeutlichen das Problem

Aktuelle UN-Abstimmungen zeigen divergierende geopolitische Vorstellungen des Globalen Nordens und Südens und irritieren den “Westen”, der sich teilweise uninformiert über die sicherheitspolitischen Interessen des Globalen Südens zeigt. Eine konsequente Berichterstattung über die Länder des Globalen Südens ist wichtig, um dortige politische Prozesse verstehen und ihnen adäquat begegnen zu können.

Eine Vernachlässigung des Globalen Südens und ein Vakuum an politischem Interesse und Engagement kann dazu führen, dass andere, nicht- oder sogar antidemokratische Akteure diese Lücken nach ihren politischen Interessen und Vorstellungen füllen. Erst zu handeln, wenn die Probleme den “Westen”, Europa oder Deutschland unmittelbar erreicht haben, ist zu spät. In einer sich zunehmend globalisierenden Welt kann es sich der Globale Norden nicht leisten, eine Mauer des medialen Desinteresses aufrechtzuerhalten und über die politischen Zustände und Entwicklungen des Globalen Südens uninformiert zu bleiben.

Ladislaus Ludescher ist Literaturwissenschaftler mit einem besonderen Interesse an der medialen Berichterstattung von Krisen und Konflikten. Aktuell habilitiert er an der Goethe-Universität Frankfurt über die Rezeption der US-amerikanischen Präsidenten.

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Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

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    In Deutschland bleiben große Fragen: Wo kommen Material und Personal her, die eine einsatzbereite, 5000-köpfige Brigade braucht? Wo die Ressourcen, die auch in Deutschland gebraucht werden, um die entstehenden Lücken zu füllen? Antworten hat nicht einmal der mitgereiste Heeresinspekteur Alfons Mais. Wilhelmine Preußen berichtet aus Litauen.

    Voll einsatzbereit soll die Brigade Ende 2027 sein. Käme es dann tatsächlich zu einem Krieg der Nato gegen Russland, kalkuliert die Bundeswehr mit etwa 1.000 verwundeten Soldatinnen und Soldaten, die auf zivile Krankenhäuser in Deutschland verteilt und dort behandelt werden müssten.

    Ich habe mit Generalarzt Bruno Most, stellvertretender Kommandeur im Kommando Sanitätsdienstliche Einsatzunterstützung und zuständig für die zivil-militärische Zusammenarbeit, gesprochen. Er sagt: Das Gesundheitssicherstellungsgesetz, das sich die Ampel in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, habe absolute Dringlichkeit, um für diesen Fall gerüstet zu sein.

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    Erste Soldaten der Brigade Litauen in Vilnius – neues Material muss noch beschafft werden

    Neun Monate nach der Entscheidung von Verteidigungsminister Boris Pistorius, an der Nordostflanke der Nato erstmals dauerhaft eine Bundeswehrbrigade im Ausland zu stationieren, ist am Montag das Vorkommando der künftigen Panzerbrigade 45 in der litauischen Hauptstadt Vilnius eingetroffen. Damit beginnt für die Bundeswehr auch formal eine der größten Herausforderungen für die deutschen Streitkräfte.

    Bundeskanzler Olaf Scholz und der litauische Präsident Gitanas Nausėda hatten bereits im Juni 2022 vereinbart, dass sich die Bundeswehr auf den Einsatz einer kompletten Kampfbrigade in dem baltischen Land an der Nordostflanke der Nato vorbereitet. Es geht darum, die Abschreckung gegen einen möglichen Angriff Russlands auf das Baltikum zu verstärken. Zunächst war allerdings geplant, nur Teile des Verbandes in Litauen zu stationieren und den Großteil der Truppen nur bei Bedarf oder für Übungen zu verlegen. Im Juni vergangenen Jahres hatte Pistorius überraschend angekündigt, dass die Bundeswehr die komplette Brigade dort aufstellen und stationieren werde. Für sie wurde der neue Name Panzerbrigade 45 gewählt, um deutlich zu machen, dass es sich um einen neu aufgestellten Verband handelt und nicht um die Verlegung einer bestehenden Brigade nach Litauen.

    Nachdem im Dezember vergangenen Jahres beide Staaten eine Roadmap mit dem Zeitplan für die Stationierung vereinbart hatten, folgte nun die Verlegung des Vorkommandos für den Aufstellungsstab als erster Schritt. “Mir ist bewusst: Es gibt noch viel zu tun”, sagte Pistorius bei der Verabschiedung der 21 Soldaten am Flughafen in Berlin. Zugleich versprach er: “Wir werden alles dafür tun, die Brigade von Anfang an so auszustatten, wie sie ausgestattet werden muss und die Lücken, die das bei uns dann verursacht, zu schließen.” Die entsprechenden Arbeitsaufträge seien seit “geraumer Zeit” erteilt.

    Materialmangel der Bundeswehr wird kurzfristig verstärkt

    Heeresinspekteur Alfons Mais, der das Vorkommando nach Litauen begleitete, hatte bereits bei der Stationierungsentscheidung gefordert, dass die neu aufzustellende Brigade nicht mit dem bestehenden Material des Heeres, sondern mit neuem Gerät ausgestattet werden müsse. Zwar ist bereits entschieden, dass das Panzerbataillon 203 aus Augustdorf und das Panzergrenadierbataillon 122 aus Oberviechtach verlegt und den Kern der Panzerbrigade 45 bilden sollen. Aber “die großen Fragen, wo kommt das Material her, wo kommt das Personal her, wo kommen die Strukturen her, werden jetzt nach und nach abgearbeitet”, sagte Mais Table.Briefings an Bord des Transportflugzeugs A400M auf dem Weg nach Vilnius. Die erste wichtige Entscheidung sei gewesen, dass das Material neu beschafft werde.

    Allerdings könne diese Beschaffung bis zu fünf Jahren dauern, warnte der Heeresinspekteur. In der Zwischenzeit müsse Material aus den vorhandenen Beständen genutzt werden – damit würden sieben bis acht Prozent des vorhandenen Geräts des Heeres für diese Brigade aufgewendet werden müssen. Zugleich müsse aber auch für die anderen Einheiten das Ziel der Vollausstattung der Truppe weiter verfolgt werden.

    Freiwilligkeit könnte bei Spezialisten ein Ende haben

    Für das Personal in Litauen, am Ende rund 4.800 Soldaten und Soldatinnen sowie 200 zivile Mitarbeiter, setze die Bundeswehr bislang auf Freiwilligkeit. “Ich will nicht ausschließen, dass wir einen Teil von Spezialisten haben, den wir überzeugen müssen, und wenn das nicht reicht, dann werden wir dort Leute hinbefehlen”, sagte Mais. Zahlen zu den bereits vorliegenden freiwilligen Meldungen wollte er nicht nennen, sie seien aber “relativ groß”. Für die nächste Welle im Oktober gebe es mehrere Tausend freiwillige Anmeldungen, allerdings seien das nicht immer genau die Dienstposten, die gebraucht werden.

    Die neue Brigade soll spätestens ab Ende 2027 an den Standorten Rukla in der Mitte Litauens und Rūdninkai nahe der Grenze zu Belarus voll einsatzfähig sein. Bereits Ende 2024 soll der erste Kommandeur an der Spitze des Aufstellungsstabs den weiteren Aufwuchs organisieren. Wer die Führung der Brigade übernehmen solle, sei entschieden, sagte der Heeresinspekteur. Den Namen wollte er noch nicht nennen, aber fest stehe, dass ein wichtiger Faktor für die Personalentscheidung Landeskenntnisse gewesen seien und die Bereitschaft, auch mit Familie mit in diesen Einsatz zu gehen.

    Finanzierung der zivilen Infrastruktur wird noch verhandelt

    “Wir wollen ein Signal senden, dass sich unterscheidet von den Rotationseinsätzen. Das ist uns als Signal an die Litauer wichtig: Wir nehmen auch die Familien mit”, betonte Mais. Bereits seit 2017 führt die Bundeswehr eine Kampfgruppe der Nato in Litauen, wie auch die Briten in Estland und die Kanadier in Lettland. Allerdings rotieren die dort eingesetzten Soldaten im Halbjahresrhythmus. Mit der dauerhaften Stationierung der Brigade sollen auch Anreize für den Umzug der Familienangehörigen gegeben werden. Dafür muss aber neben der militärischen Infrastruktur auch entsprechende zivile Infrastruktur wie Wohnungen, Kindergärten oder Schulen geschaffen werden. Bislang ist offen, wie viele Familien zu diesem Umzug bereit sein werden.

    Das Vorkommando wird von Oberst André Hastenrath geführt, dem stellvertretenden Kommandeur der Panzerbrigade 21, aus der auch das zu verlegende Panzerbataillon 203 kommt. Hastenrath sagte gegenüber Table.Briefings, dass “bis zum Sommer” auch Fragen zu den sogenannten Enablern wie dem Logistikbataillon geklärt werden sollten. Noch steht nicht fest, woher hier das Personal und Material kommen soll. Hastenrath war 2022 bereits als deutscher Kontingentführer in Litauen im Einsatz – damals allerdings noch im Rahmen der Planung, nur Teile der Brigade im Land zu stationieren und den Großteil der Einheiten in Deutschland zu lassen.

    Beim Empfang des Vorkommandos in Vilnius versprach der neue litauische Verteidigungsminister Laurynas Kasčiūnas, der seine Ansprache symbolträchtig auf Deutsch begann, alle Unterstützung seines Landes, um die Einsatzbereitschaft der Brigade 2017 sicherzustellen. Dafür sehe das kleine baltische Land rund 800 Millionen Euro aus seinem Haushalt vor, hatte er zuvor als Zahl im litauischen Rundfunk genannt. Zugleich würdigte er den offiziellen Stationierungsbeginn mit dem Vorkommando als Zeichen der Geschlossenheit der Allianz: “Für uns bedeutet dies eine noch wirksamere Abschreckung und Sicherheit und ist ein Beispiel für außergewöhnliche Führungsstärke und Engagement, wenn wir tatsächlich sehen können, dass die kollektive Verteidigung und Einheit der Nato funktioniert” und er ergänzte, dass das Projekt auch Vorbildeffekt haben könnte für weitere dauerhafte Nato-Präsenzen in der baltischen Region.

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    Generalarzt Most: “Bei der Reform der Notfallversorgung müssen jetzt resiliente Strukturen für den Verteidigungsfall mitbedacht werden”

    Im Verteidigungsfall muss die Notfallversorgung durch Sanitäter gesichert sein, sagt Moss.

    Gesundheitsminister Karl Lauterbach sagte kürzlich, das Gesundheitswesen müsse auf mögliche militärische Konflikte vorbereitet werden. Was bedeutet das unterm Strich?

    Ich war positiv angetan, dass er in großer Deutlichkeit gesagt hat, dass auch das Gesundheitssystem verteidigungsfähig und resilient sein muss. Bei der Reform der Notfallversorgung und der Krankenhausreform müssen jetzt von vornherein resiliente Strukturen für Krisen und vor allem den Verteidigungsfall mitbedacht werden.

    Gesamtverteidigung muss schlussendlich auf kommunaler Ebene umgesetzt werden. Was bedeuten “resiliente Strukturen” ganz konkret?

    Nicht erst auf kommunaler Ebene. Es ist entscheidend, dass ressortübergreifend, etwa zwischen Innen-, Verteidigungs- und Gesundheitsministerium zusammengearbeitet wird. Ein Beispiel: Die Ausbildung zum Rettungssanitäter dauert drei Monate. Jetzt denkt man darüber nach, diese Ausbildung auf ein Jahr zu erhöhen. Da stelle ich mir die Frage: Woher um Gottes willen soll ein Ehrenamtler die Zeit nehmen, für ein Jahr lang als Rettungssanitäter ausgebildet zu werden? Das ist für mich kein gemeinsames Denken zwischen Qualität in der Notfallversorgung und Durchhaltefähigkeit in der Gesamtverteidigung. Es ist entscheidend, dass wir gerade im Gesundheitssystem aus einem Guss denken.

    Sie fangen beim Rettungsdienst an, warum?

    Die wichtigsten Partner für den Sanitätsdienst der Bundeswehr, aber auch die Zivilbevölkerung, sind unsere sanitätsdienstlichen Hilfsorganisationen, sprich DRK, Malteser Hilfsdienst, Johanniter Unfallhilfe, Arbeiter-Samariter-Bund. In einem Bündnisfall sind wir auf sie angewiesen, denn unsere Rettungskette würde im Inland auf zivilen Transportmitteln beruhen und in zivilen Krankenhäusern enden. Wir kalkulieren mit 1.000 und mehr verwundeten deutschen Soldatinnen und Soldaten, Bündniskameraden gar nicht eingerechnet. Diese Partner sind im Augenblick hinsichtlich ihrer Ressourcen nicht auf die Größenordnungen der Landes- und Bündnisverteidigung eingestellt.

    Überlastung entsteht, wenn es zu wenig Personal gibt, das Problem haben viele. Wie kann das System entlastet und resilienter werden?

    Ein entscheidender Attraktivitätsmoment für das Ehrenamt ist die sogenannte Helfergleichstellung. Feuerwehrleute etwa wissen genau: Wenn dieses Land sie braucht, können sie sofort in Dienst treten, ihr Arbeitgeber wird entsprechend finanziell abgegolten. Das haben die Mitarbeiter von DRK, Johanniter, Malteser, ASB nicht. Am Ende ist das ein entscheidender Punkt: Wo werde ich ehrenamtlich tätig? Ich kann es nicht nachvollziehen, warum wir seit Jahren um diesen Punkt herumeiern. Es ist ein kleiner gesetzlicher Schritt mit großer Wirkung hin zur Resilienz des Gesundheitssystems. Dies würde auch helfen, das DRK-Gesetz, nach dem DRK, Johanniter und die Malteser den Sanitätsdienst der Bundeswehr in internationalen Konflikten – also bei Kriegseinsätzen nach Genfer Konvention – unterstützen, mit Substanz zu füllen.

    Wenn es zum Konflikt im Baltikum kommt und Soldatinnen und Soldaten aus den Bundeswehrkrankenhäusern dort unterstützen, wer hält im Inland das System am Laufen?

    Ich denke, es ist weniger die Frage: Wie fetten wir die Bundeswehrkrankenhäuser wieder an? Sondern: Mit welchen Koordinationsmechanismen verteilen wir die Verwundeten im zivilen System? Das muss eine Art Kleeblatt 2.0 werden, mit dem letztendlich verschiedenste dafür geeignete Krankenhäuser in Deutschland angesteuert werden können. Für uns wird es ganz entscheidend sein, dass wir uns in der Krankenhausversorgung auf zivile Krankenhäuser abstützen können.

    Generalarzt Bruno Most.

    Übrigens: Wir brauchen auch geeigneten Transportkapazitäten, um aus den Kriegsgebieten heraus eine große Zahl von Verletzten überhaupt nach Deutschland zu bringen. Hier führt kein Weg an Lazarettzügen vorbei, das sehen wir an der Ukraine. Wir brauchen zeitnahe Lösungen für die Umrüstung von zivilen Zügen auf Lazarettzüge.

    Noch einmal zur Kernfrage: Ist denn unser Gesundheitssystem ausgelegt auf den Verteidigungsfall?

    Mit den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken (BG Kliniken) haben wir einen Kooperationsvertrag. Diese Kliniken sind spezialisiert darauf, schwerstverletzte, anbehandelte Soldatinnen und Soldaten aufzunehmen. Insgesamt brauchen wir aber auch für den Zivilschutz resiliente Krankenhausstrukturen in der Fläche und wir brauchen zwingend ein Gesundheitssicherstellungs- und -vorsorgesetz. Das gäbe uns Möglichkeiten, in Krise und Krieg Schwerpunkte zu setzen. Dann könnten beispielsweise Operationen, die geschoben werden können, auch geschoben werden, um zusätzliche OP-Möglichkeiten, zusätzliche Krankenhausbetten, freizugeben. Das geht nur mit einem Gesetz, das letztendlich dem Bund die Eingriffsmöglichkeiten gibt. Das hat absolute Dringlichkeit. Unsere Gesundheitsstrukturen sind im Augenblick nicht resilient.

    Die Bundeswehr erarbeitet den Operationsplan Deutschland. Welche Punkte müssen da mit Bezug zur Gesundheit berücksichtigt werden?

    Gesundheitliche Versorgungsstrukturen und -prozesse sind für den OPLAN Deutschland ein entscheidender Faktor. Deshalb ist es wichtig, dass wir schon auf der Kreisebene anfangen, für diese Situation zu sensibilisieren. Was bedeutet es, wenn in einem Kreiskrankenhaus der amerikanische, französische, englische Soldat aufschlägt? Was bedeutet das, etwa hinsichtlich Sprachmittler und Prozeduren? Welche Aufgaben hat die Leitstelle bei der Verteilung zu erfüllen?

    Das meinte ich, dass die Gesamtverteidigung auf der untersten Ebene umgesetzt werden muss …

    Es beginnt oben, aber natürlich hat die Kreisebene entscheidende Ressourcen für die Resilienz Deutschlands und eine wichtige Steuerungs- und Lenkfunktion. Wir haben mit dem territorialen Verbindungssystem, den Kreisverbindungskommandos, ein seit Jahren etabliertes System. Die Reservisten dort sind Schlüsselpositionen der Resilienz, das sind unsere Augen und Ohren auf der Kreisebene. Diese Reservistinnen und Reservisten sind die Voraussetzung, um mit den zivilen Partnern interagieren zu können. Wir haben dort im Augenblick rund 60 Prozent der sanitätsdienstlichen Stellen besetzt und streben die Gesamtbesetzung an. Natürlich haben wir auch hier das Problem der Überalterung und der Gewinnung neuer Kräfte. Deshalb ist die Gewinnung dieses Personals oberste Priorität für die Reserve im Sanitätsdienst.

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    Vučić für Rafale-Kampfjets und EU-Mitgliedschaft in Paris

    Serbiens Präsident Aleksandar Vučić ist am Montagabend mit einer teuren Wunschliste nach Paris gereist, um den französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu besuchen. Macron empfing Vučić dann auch zunächst mit Lob für die “klaren Entscheidungen”, die Serbien im “geopolitischen Rahmen” getroffen hat. “Serbien spielt eine wichtige Rolle, um die europäische strategische Autonomie zu stärken”, sagte Macron. Forderte aber weitere Schritte in der Normalisierung der serbischen Beziehungen zum Kosovo.

    Vučić erhofft sich von dem Treffen, das heute fortgesetzt wird, neben Unterstützung zu einer serbischen EU-Mitgliedschaft Fortschritte bei Serbiens Plänen zur Beschaffung von zwölf Rafale-Kampfjets. Im vergangenen Jahr hatte Vučić noch gesagt, dass Serbien bereit wäre, 3 Milliarden Euro dafür auszugeben. Am Donnerstag bekräftigte er seine Ambitionen dazu in einer öffentlichen Regierungssitzung. Vučić sagte außerdem, er wolle die Kooperation mit Airbus Helicopters vertiefen, von dem es bereits einige H125M-Hubschrauber besitzt.

    Der Elysée hatte vor dem Treffen erklären lassen, dass die Präsidenten unter anderem über eine Vertiefung der bilateralen Kooperation in der Verteidigung sprechen wollen.

    Bis zu Russlands Vollinvasion der Ukraine im Februar 2022 waren Serbiens Streitkräfte noch stark von russischen Waffenlieferungen abhängig. Die serbische Luftwaffe besteht zu großen Teilen aus sowjetischen MiG-29 Kampfjets und Mi-35 Kampfhubschraubern. Der serbische Sicherheitsexperte Daniel Šunter hatte Serbiens Pläne, sich von russischer Technologie unabhängig zu machen, als “große Langzeitherausforderung” bezeichnet.

    Vor dem Treffen hatte der Elysée Serbien seine Unterstützung bei der europäischen Integration zugesichert, aber bekräftigt, dass “die Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo integraler Bestandteil des Beitrittsprozesses sind”. Insbesondere im Norden des Kosovo, dessen Unabhängigkeit Serbien nicht anerkennt, kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen der serbischen Minderheit und kosovarischen Behörden. Die kosovarische Regierung wirft der serbischen vor, die Konflikte zu schüren. Seit Januar hat sich das Verhältnis weiter verschlechtert, nachdem das Kosovo die Nutzung der serbischen Währung Dinar im Norden des Kosovo verboten hat. bub

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    Nicaragua-Klage strahlt auf Globalen Süden aus

    Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag hat Deutschland heute zwei Stunden Zeit, Nicaraguas Klage wegen Beihilfe zu Genozid zu entkräften – das Plädoyer hält Tania von Uslar-Gleichen, Leiterin der Rechtsabteilung und Völkerrechtsberaterin des Auswärtigen Amts, unterstützt von weiteren Vertretern des Auswärtigen Amts. Die Entscheidung des auch als Weltgerichts bezeichneten IGH könnte juristisch wegweisend werden – wegen der völkerrechtlichen Autorität der Einrichtung und weil es wegen des Gaza-Kriegs starke Aufmerksamkeit erzeugt.

    Der Vorwurf, den Nicaraguas Rechtsvertreter, Carlos José Arguello Gómez, am Montag in seinem Plädoyer gegen die Bundesregierung darlegte, ist, mehr oder weniger, wissentlich und willentlich Genozid in Gaza zugelassen zu haben – durch Waffenlieferungen, finanzielle wie politische Unterstützung Israels. Ein harter Vorwurf, der im Auswärtigen Amt juristisch sehr ernst genommen wird. Genozid gilt als Verbrechen der Verbrechen; zudem hat Nicaragua eine lange Tradition vor dem IGH, das die Bundesregierung ausdrücklich als rechtliches Schlüsselorgan einer wertebasierten internationalen Ordnung achtet.

    Die Achse Moskau-Managua

    Signalwirkung hätte ein Entscheid, der Deutschland in die Pflicht nähme, aber auch langfristig. Ein Erfolg Nicaraguas, das ohne direkten Bezug zur Situation in Israel Klage eingereicht hat, könnte eine Welle von Anhörungen lostreten, mit starker Unterstützung aus Russland oder Venezuela.

    Diese Autoritäre Achse ist wie den 1980ern antiisraelisch und propalästinensich. 2014 war Daniel Ortega einer der ersten Staatschefs, die die Annexion der Krim durch Russland anerkannten. Noch im selben Jahr besuchte Wladimir Putin Nicaragua. Die Achse Moskau-Managua endete mit dem Ende der Sowjetunion 1990, und dadurch auch die Unterstützung von Ortegas Sandinisten durch die KPdSU.

    1988 zählte Nicaragua zu rund siebzig Staaten, die Palästina als unabhängigen Staat international anerkannten. Die vom gestürzten Somoza-Clan mit CIA-Hilfe aufgebauten Contra-Konterrebellen in Nicaragua erhielten neben US-Waffen auch Lieferungen aus Israel – während die Sandinisten auf Waffenbrüderschaft mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO setzten. Während des Contra-Kriegs gegen die Sandinisten belieferte Israel die Paramiliärs des Somoza-Clans mit zahlreichen Waffen.

    Beim Verfahren in Den Haag kommt hinzu, dass Deutschland als grundsätzlich völkerrechtsfreundliches Land am Pranger steht – in einer Allianz, die weder unter Ortega noch unter Putin jenen Ansprüchen genügt, die Nicaragua nun in Den Haag anprangert. mrb

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    Wie sich Norwegens Militär konsequent für zukünftige Bedrohungen rüstet

    Mit dem langfristigen Verteidigungsplan, den die norwegische Regierung ihrem Parlament am Freitag vorgelegt hat, reagiert das Land auf das gestiegene Risiko eines militärischen Konflikts. Und macht der Rüstungsindustrie Hoffnung auf eine weitere deutsch-norwegische Kooperation: Mindestens fünf Fregatten will Norwegen zusammen mit einem “engen Verbündeten” beschaffen und betreiben, heißt es in dem Strategiepapier. Außerdem empfiehlt die Regierung dem Parlament die Beschaffung von mindestens einem weiteren U-Boot des Typs 212 CD.

    Im März hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius bei einem Besuch bei seinem Amtskollegen Björn Arild Gram gesagt, er könne sich eine Kooperation mit Norwegen auch beim Bau der Fregatte 127 vorstellen. Laut dem Fachmagazin Hartpunkt ist auch eine Kooperation bei der Fregatte 126 denkbar. Oslo ist für Berlin bereits ein wichtiger Rüstungspartner: Die beiden Länder lassen bei Thyssen Krupp Marine Systems baugleiche U-Boote der Klasse 212 CD bauen. Norwegen hat vier, Deutschland bislang zwei bestellt. Das Land, das zwar nur eine kurze direkte Grenze zu Russland, dafür eine etwa 104.600-Kilometer-lange Küste hat, investiert traditionell viel in seine Marine.

    Für die Jahre 2025 bis 2036 schlägt die Regierung zudem eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben um 600 Milliarden Norwegische Kronen (ca. 51,7 Milliarden Euro) vor, heißt es in dem 16-seitigen Dokument. Bereits dieses Jahr erreicht Norwegen das Zweiprozentziel für seine Verteidigungsausgaben. 2022 lagen die Ausgaben bei 1,64 Prozent des BIP. 

    Neben den Beschaffungen für die Marine plant Norwegen die Stärkung seiner Fähigkeiten:

    • Lagebild: Dafür sieht die Regierung unter anderem die Beschaffung von Drohnen mit großer Reichweite und Satelliten zur Aufklärung und Kommunikation vor. 
    • Luftverteidigung: Es sollen vier NASAMS-Luftverteidigungssysteme des norwegischen Herstellers Kongsberg Defence & Aerospace zur Abwehr von Raketen mit kurzer bis mittlerer Reichweite beschafft werden. Die Regierung empfiehlt außerdem den Kauf eines Systems zur Abwehr von Langstreckenraketen.
    • Heer und Reserve: Das Heer soll aus drei Kampfbrigaden bestehen (Nord, Süd und Finnmark). Die Reserve soll außerdem Ausstattung für ihre “erweiterte nationale Verantwortung” bekommen. Das Heer und die Reserve sollen ausgebaut werden. Während die Zahl der Beschäftigten und Wehrpflichtigen bis 2036 um etwas mehr als 4.000 steigen soll, soll die Zahl der Reservisten um 14.000 Personen steigen. Insgesamt sollen die norwegischen Streitkräfte bis 2036 auf 45.000 Personen anwachsen. In 2024 liegt die Zahl laut Military Balance bei 25.400.

    Zudem will die Regierung gezielt Schwächen des Militärs angehen:

    • Die Lager für Munition, Ersatzteile, Treibstoff und Ausstattung sollen gefüllt werden. 
    • Die IT-Infrastruktur soll gestärkt, die Digitalisierung vorangetrieben und vereinheitlicht werden. 
    • Die Kapazitäten für den Host Nation Support für Alliierte sollen erhöht werden. klm
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    Japan soll sich Aukus anschließen

    Australien, Großbritannien und die USA erwägen eine Erweiterung ihres Militärbündnisses Aukus (Akronym für Australia, UK, US) um Japan. Das teilten die Verteidigungsminister der drei Länder am Montag in einer gemeinsamen Erklärung mit. Die Kooperation mit Japan solle unter Säule 2 des Bündnisses – auf Ebene der industriellen Zusammenarbeit und Innovation – stattfinden, erklärten die Verteidigungsminister.

    Hoffnungen um eine vertiefte Kooperation können sich auch die Philippinen machen. Das britische Verteidigungsministerium erklärte kurz nach der Ankündigung, dass Konsultationen “mit anderen Ländern, einschließlich Japan, als potenzielle Partner” noch dieses Jahr beginnen sollen.

    Am Donnerstag halten US-Präsident Joe Biden, der philippinische Präsident Ferdinand Marcos sowie der japanische Ministerpräsident Fumio Kishida ein trilaterales Treffen in Washington ab. Bereits am Mittwoch empfängt Biden Kishida. Die beiden Staatschefs sollen das größte Upgrade zu ihrem Sicherheitsabkommen seit 1960 präsentieren, berichtet die Financial Times. Demnach hätten auch vor allem die USA auf eine Erweiterung um Japan gedrängt hätten. Allerdings sähen die Vereinigten Staaten bei Japan noch Nachholbedarf. So müsse das Land bei der Cyber-Sicherheit und dem Schutz von Geheiminformationen besser werden. Vize-Außenminister Kurt Campbell sagte: “Japan hat einige Schritte übernommen, aber nicht alle.”

    Säule 1, die von der Erweiterung nicht betroffen wäre, beinhaltet den Verkauf von nuklear betriebenen U-Booten an Australien. Die 2021 gegründete Allianz gilt auch als Schutz für Taiwan, das China als abtrünnige Republik ansieht und wo seit längerem eine Invasion befürchtet wird. bub/rtr

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    Presseschau

    Forensis: German Arms Exports to Israel 2003-2023 Deutschland ist nicht nur politisch ein enger Partner Israels, sondern auch militärisch: Dieser Report von Forensis, der deutschen Schwesterorganisation der britischen Rechercheagentur Forensic Architecture, schlüsselt auf, wie Deutschland zum zweitgrößten Waffenlieferanten Israels wurde.

    The Guardian: “The machine did it coldly”: Israel used AI to identify 37,000 Hamas targets. Ein KI-System namens Lavender soll Israel angeblich helfen, Palästinenser mit Verbindungen zur Hamas zu identifizieren. Geheimdienstler machen drastische Aussagen zum Einsatz, das Militär widerspricht.

    CSIS: The U.S.-Japan Alliance in 2024: Toward an Integrated Alliance. Die USA und Japan müssen ihre Zusammenarbeit im militärischen und wirtschaftlichen Bereich weiter ausbauen und enger miteinander verzahnen, so die Autoren der amerikanischen Denkfabrik Center for Strategic and International Studies. Das beinhaltet auch die gemeinsame Entwicklung von Technologien und gegenseitige Öffnung der Verteidigungsindustrie. Es gehe um die Wahrung der freien internationalen Ordnung im Angesicht von verschiedenen Krisenherden weltweit und dem strategischen Wettbewerb mit China.

    ARD: Putins Helfer. Deutsche Unternehmen in Mariupol. Der russische Präsident Wladimir Putin lässt Gebäude, Schulen und Theater der ukrainischen Stadt Mariupol wieder aufbauen, nachdem er sie flächendeckend zerstören ließ. Der Wiederaufbau ist Prestigeprojekt der russischen Kriegspropaganda. Monitor-Recherchen enthüllen, dass auch deutsche Firmen hier profitieren.

    Standpunkt

    Ludescher warnt vor Desinteresse westlicher Medien an Krisen im Globalen Süden

    Von Ladislaus Ludescher

    Die militärischen Auseinandersetzungen im Jemen, die schon fast zehn Jahre alt sind, dringen zunehmend in die westlichen Nachrichten. Doch bis vor den Angriffen der Huthi auf Handelsschiffe, die das Rote Meer durchquerten, spielte das Land in den westlichen Medien kaum eine Rolle – obwohl die Vereinten Nationen die Lage im Jemen jahrelang als “schlimmste humanitäre Krise weltweit” bezeichnet haben.

    2017 wurde der Jemen von der größten jemals gemessenen Cholera-Epidemie heimgesucht, UN-Schätzungen zufolge starben in Folge des Bürgerkriegs alleine bis Ende 2021 rund 377.000 Menschen. Bis heute sind laut Unicef drei Viertel der Bevölkerung auf humanitäre Unterstützung angewiesen. Über eine halbe Million Kinder unter fünf Jahren sind lebensbedrohlich mangelernährt.

    Krisen im Globalen Süden werden medial oft ignoriert

    Leider stellt die langjährige mediale Vernachlässigung des Jemen keine Ausnahme dar. Als “tödlichster Krieg des 21. Jahrhunderts” gilt der Bürgerkrieg in der nordäthiopischen Region Tigray, in den auch Eritrea verwickelt war und der zwischen 2020 und 2022 schätzungsweise bis zu 600.000 Menschenleben forderte. Amnesty International konstatierte schwerste Menschenrechtsverletzungen wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnische Säuberungen.

    Der Bürgerkrieg im Sudan, die Kämpfe in Myanmar zwischen Rebellen und der antidemokratischen Militärjunta, der Bandenterror in Haiti, dessen Hauptstadt Port-au-Prince zu etwa 80 Prozent von rivalisierenden Banden beherrscht wird und wo im vergangenen Jahr circa 4.000 Menschen ermordet wurden: Die Liste der medial vernachlässigten Krisen, Kriege und Katastrophen ließe sich leicht verlängern. Allen gemeinsam ist, dass sie im Globalen Süden liegen und in den Medien und von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden.

    Offensichtlich haben das Leid und die humanitären Katastrophen in diesen Krisengebieten nicht ausgereicht, um medial ernsthaft thematisiert zu werden. Tigray und der Jemen kamen in den Nachrichten praktisch nicht vor. Das gilt für führende in- und ausländische Nachrichtensendungen wie die deutsche und Schweizer Tagesschau, die österreichische Zeit im Bild (ZIB) 1 oder die US-amerikanischen ABC World News Tonight. Das gilt aber auch für die wichtigsten politischen Talkshows und die meisten führenden Printmedien. Insgesamt wurden mehr als 40 Medien ausgewertet und für alle gilt, dass die Krisenregionen im Globalen Süden in der Berichterstattung der vergangenen Jahre fast vollständig übergangen wurden.

    Der Autor: Ladislaus Ludescher.

    Über Jahre hinweg durchgeführte Langzeituntersuchungen des Autors, zu denen beispielsweise die Auswertung von circa 6.000 Ausgaben der Tagesschau gehören, zeigen, dass der Globale Süden in den Nachrichten allgemein eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Im Durchschnitt beschäftigen sich Nachrichtenmedien in lediglich etwa zehn Prozent ihrer Sendezeit oder Beitragsseiten mit den Ländern des Globalen Südens, obwohl dort etwa 85 Prozent der Weltbevölkerung lebt. (Eine große Ausnahme stellt das ARTE Journal dar, das einen beträchtlichen Teil seiner Beiträge soziopolitischen Entwicklungen in der genannten Region widmet.)

    Am Beispiel Jemen zeigt sich ein sehr großes allgemeines Problem der Berichterstattung. Pointiert gesagt: Berichtet wird anscheinend erst, wenn Menschen oder Interessen des Globalen Nordens in irgendeiner Form direkt betroffen sind. Vor dem Hintergrund der menschlichen Dimensionen der vergessenen Krisen und Konflikte ist das sehr erschreckend. Vor dem Hintergrund der globalen sicherheitspolitischen Dimensionen ist das sehr unklug und kurzsichtig.

    UN-Abstimmungen verdeutlichen das Problem

    Aktuelle UN-Abstimmungen zeigen divergierende geopolitische Vorstellungen des Globalen Nordens und Südens und irritieren den “Westen”, der sich teilweise uninformiert über die sicherheitspolitischen Interessen des Globalen Südens zeigt. Eine konsequente Berichterstattung über die Länder des Globalen Südens ist wichtig, um dortige politische Prozesse verstehen und ihnen adäquat begegnen zu können.

    Eine Vernachlässigung des Globalen Südens und ein Vakuum an politischem Interesse und Engagement kann dazu führen, dass andere, nicht- oder sogar antidemokratische Akteure diese Lücken nach ihren politischen Interessen und Vorstellungen füllen. Erst zu handeln, wenn die Probleme den “Westen”, Europa oder Deutschland unmittelbar erreicht haben, ist zu spät. In einer sich zunehmend globalisierenden Welt kann es sich der Globale Norden nicht leisten, eine Mauer des medialen Desinteresses aufrechtzuerhalten und über die politischen Zustände und Entwicklungen des Globalen Südens uninformiert zu bleiben.

    Ladislaus Ludescher ist Literaturwissenschaftler mit einem besonderen Interesse an der medialen Berichterstattung von Krisen und Konflikten. Aktuell habilitiert er an der Goethe-Universität Frankfurt über die Rezeption der US-amerikanischen Präsidenten.

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