Table.Briefing: Security

Berlin Pulse der Körber-Stiftung: Deutsche wollen keine internationale Führungsrolle + Innere Sicherheit unter Druck

Liebe Leserin, lieber Leser,

gemeinsam gegen Putin vorgehen, das ist der russischen Opposition bislang nicht gelungen. Die Regimegegner sind intern gespalten. Einer von ihnen, der Exil-Oppositionelle Andrej  Piwowarow, war zu Besuch im Table Café. Er zeigte sich dennoch hoffnungsvoll und vor allem voller Tatendrang. Im Interview mit Viktor Funk und Jonathan Lehrer von der Körber-Stiftung erklärt er, wie er die russische Zivilbevölkerung aus der Ferne zu stillem Protest bewegen will.

Das ist nicht die einzige Kooperation mit der Körber-Stiftung diese Woche: Markus Bickel hat vorab die wichtigsten Ergebnisse ihrer jährlichen Umfrage “The Berlin Pulse”, eine Befragung der Deutschen zu außen- und sicherheitspolitischen Themen, die heute erscheint. Am Mittwoch findet in unserem Haus die offizielle Vorstellung der Studie statt, inklusive Diskussion unter anderem mit Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Katja Keul, und FDP-Außenpolitiker Michael Link. Jetzt noch schnell anmelden.

Lisa-Martina Klein hat den Sammelband “Stresstest für die Innere Sicherheit Deutschlands” der Konrad-Adenauer-Stiftung gelesen, der heute erscheint. Er zeigt: Die Situation ist auf allen Ebenen angespannt, das Bedrohungsbild wird für die Sicherheitsbehörden immer komplexer.

Einen guten Start in die Woche.

Ihre
Wilhelmine Preußen
Bild von Wilhelmine  Preußen

Analyse

Russischer Aktivist: “Viele in der russischen Opposition sind deprimiert”

Andrej Piwowarow, 43, ist überzeugt, dass viele Russen den Krieg ablehnen.

Es gibt erste Gespräche zwischen dem russischen Machthaber Wladimir Putin und dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump. Doch Putin hat erst vor wenigen Tagen deutlich gemacht, dass er von seinen Kriegszielen nicht abrückt. Ein Grund für seine Selbstsicherheit ist auch ein Fehlen von Opposition in Russland. Der ehemalige politische Häftling Andrej Piwowarow will das nicht hinnehmen. 

Herr Piwowarow, im August wurden Sie und 15 weitere politische Gefangene im Rahmen eines Gefangenenaustauschs zwischen Deutschland, den USA und Russland nach Deutschland gebracht. Sie verbrachten über drei Jahre in einem russischen Gefängnis. Wie ist es für Sie, sich frei durch Europa zu bewegen? 

Ich bin Bundeskanzler Olaf Scholz sehr dankbar, dass er mich aus Putins Gefängnis herausgeholt hat. Ich betrachte meinen Aufenthalt hier aber nur als vorübergehend. Ich möchte wieder in Russland arbeiten und die Situation im Land verändern. Jetzt versuche ich, ein neues Team zusammenzustellen und Mittel für meine Arbeit zu sammeln. Ich treffe mich mit vielen Menschen aus der russischen Diaspora hier in Berlin und anderen europäischen Städten. Ich bin entschlossen, in Russland etwas zu bewegen, auch wenn ich es von außen tun muss. Ich hoffe, dass Putin diesen Austausch bereuen wird. 

Was ist Ihr Eindruck von den russischen Oppositionellen in Europa? 

Viele scheinen deprimiert zu sein. Fast alle Aktivisten wollen zurück nach Russland, weil sie wirklich etwas verändern wollen. Wenn sie hier in Europa etwas unternehmen, scheint das nichts zu bewegen. Während ich in Karelien inhaftiert war …  

… im Nordosten Russlands … 

… steckten sie mich in eine Einzelzelle. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken. Ich kam zu dem Schluss, dass es nur zwei politische Vorgehensweisen gibt. Die eine wäre: “Lasst uns warten, bis Putin stirbt.”  Aber dieses Abwarten ist keine Strategie. Die andere Idee ist, dass alle Russen auf die Straße gehen, die Polizei angreifen und für die russische Freiheit kämpfen. Doch über diese schöne Idee lässt sich vor allem leicht reden, wenn man in Berlin in seiner Komfortzone sitzt. Es muss eine dritte Option geben. 

Und welche bieten Sie an? 

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In meinem Gefängnis gab es einen Wärter. Er hatte eine junge Familie und war auf sein Gehalt angewiesen. Also fragte ich mich, was dieser Mann gegen das Regime tun kann. Meine Vorstellung ist es, Menschen wie ihm ein ausgeklügeltes Informationssystem zur Verfügung zu stellen, das ihm Beispiele aufzeigt, was er tun kann, ohne seinen Arbeitsplatz oder seine Sicherheit zu riskieren. 

Bitte erklären Sie das. 

Angesichts schwerer Repressionen und härterer Strafen für abweichende Ansichten sind viele Russen unsicher, wie sie ihre Meinung äußern sollen. Aus Angst vor Verfolgung schweigen viele, auch wenn sie gegen den Krieg und Putins Politik sind. Schweigen ist jedoch nicht gleichbedeutend mit Gleichgültigkeit. Die Menschen wollen handeln, sehen aber keinen sicheren Weg, das zu tun. Ich möchte sichere Formen des Protests für diejenigen anbieten, die gegen den Krieg und das Regime sind, aber Angst haben, sich direkt und öffentlich als Opposition zu engagieren. Wir wollen den Russen helfen, ihre Haltung zum Ausdruck zu bringen, ohne Verfolgung zu riskieren. Gleichzeitig wollen wir ein Gefühl der Solidarität fördern. Unser Ziel ist es, die Menschen dazu zu bringen, sich nicht an staatlichen Programmen und Zielen zu beteiligen, etwa Propagandaveranstaltungen zu meiden. 

Wie soll das helfen? 

Es bedeutet nicht, dass Putin bald verschwindet und der Krieg schnell aufhört. Aber es kann eine gewisse Veränderung bewirken, wenn der Staat etwa Mittel für eine nicht wirksame Propaganda aufwendet und das Geld nicht in Panzerbau fließt. Meine Idee ist es, die Methoden der “Nichtbeteiligung” auszuweiten, immer mehr Menschen einzubeziehen und eine aktive Zivilgesellschaft aufzubauen, die bereit ist, mehr gegen das Regime zu tun. 

Es sieht im Moment eher so aus, als ob Putins Macht stabil ist. Glauben Sie wirklich, dass Sie ihn herausfordern können? 

Die Zeiten haben sich geändert. Wir haben jetzt YouTube, Telegram und das russische Netzwerk VKontakte. Wir sind mit den Menschen in Kontakt, die gegen das System sind. Ich hoffe, ich kann die Verbindung zu Russland aufrechterhalten und vielleicht kann ich die Stimme der Russen werden. Es gibt Mutige, die aus Protest gegen den Krieg etwa Regionalbüros des Militärs in Brand gesetzt haben. Aber solche Taten sind etwas für Helden. Helden sind zwar großartig, aber wir müssen die einfachen Menschen erreichen, die so etwas nicht tun, aber trotzdem gegen den Krieg sind. 

Ist es ein Problem, dass die westlichen Sanktionen auch die einfachen Russen treffen? 

Die Sanktionen funktionieren, und sie sind gut. Das Problem ist, dass viele Sanktionen auch Russen treffen, die gegen den Krieg sind. Zum Beispiel ist es für Studenten fast unmöglich geworden, im Ausland zu studieren. Apple sperrt VPNs [virtuelle private Netzwerke] aus seinem Store, was den Zugang zu unabhängigen Medien noch schwieriger macht. Dennoch muss der Westen bei der Durchsetzung von Sanktionen gegen das Militär stärker vorgehen.  

Wie stehen Sie zu der Vollinvasion in die Ukraine? 

Der Krieg muss aufhören. Die Grenze von 1991 muss wiederhergestellt werden, und nur die ukrainische Regierung kann entscheiden, wann und wie der Krieg endet. Die Ukrainer tun mir unendlich leid. Sie werden bombardiert und getötet. Und ich bin auch traurig über die Zivilgesellschaft in Russland. Verstehen Sie mich nicht falsch, das ist nicht das Gleiche. Aber auch die russischen Bürger sind Opfer des Putin-Regimes. 

Sind Sie der Meinung, dass Deutschland und andere europäische Länder der Ukraine helfen sollten, indem sie Langstreckenraketen liefern, die auch russisches Gebiet erreichen können?  

Man muss alle Ideen der Ukrainer unterstützen, ihr Land zu verteidigen. Ich bin nicht auf militärische Fragen spezialisiert, aber der Westen und Deutschland müssen alles und noch mehr tun, um die Ukraine zu unterstützen. Natürlich ist es falsch, wenn diese Langstreckenraketen zivile Objekte treffen. Aber ich verstehe, dass es sich um Krieg handelt. 

Interview: Viktor Funk, Jonathan Lehrer

  • Diaspora
  • Russland
  • Ukraine
  • Ukraine-Krieg
  • Wladimir Putin
Translation missing.

Extremismus in Deutschland: Sicherheitsbehörden stehen vor immer komplexerer Lage

Deutschlands innere Sicherheit steht unter Druck: Russische Desinformationskampagnen prägen nachweislich die Narrative von Parteien wie AfD oder BSW und nehmen so Einfluss auf die Wahlen in Ostdeutschland. Immer wieder werden Spionagefälle unter Beteiligung russischer und chinesischer Agenten bekannt und Sabotageversuche vereitelt, die teils eindeutig auf russische Akteure zurückzuführen sind.

Die Sicherheitsbehörden im Land stehen noch vor einer weiteren Herausforderung: Eigentlich bekannte, anti-demokratischen Strömungen innerhalb des rechts- und linksextremistischen Spektrums nehmen neue Formen an und neue Netzwerke der Gewalt kommen hinzu.

Grenzen zwischen Gruppierungen weichen auf

Konkret beobachtet Felix Neumann, Referent für Extremismus- und Terrorismusbekämpfung bei der Konrad-Adenauer-Stiftung und Herausgeber des neu erschienenen Sammelbands “Stresstest für die Innere Sicherheit Deutschlands”, mehrere Trends:

Die Grenzen zwischen rechtsextremistischen Gruppierungen, Querdenkern/Verschwörungsideologen, und Reichsbürgern mit ihren Umsturzphantasien verschwimmen zusehends und die Gruppierungen beeinflussen sich gegenseitig. Gemeinsam ist allen drei Gruppen eine fundamentale Ablehnung des bestehenden politischen Systems und staatlicher Autoritäten. Aber: Die Vermischung mache es den Sicherheitsbehörden schwer, eindeutig festzustellen, wer zu welcher Gruppierung gehöre, sagt Neumann.

Linksextremisten zunehmend antisemitischer

Im April 2021, als sich auf den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung eine immer diffusere Mischung an Gesinnungsgruppierungen zeigte, führte der Verfassungsschutz deshalb eine neue Beobachtungskategorie der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates, sogenannte Delegitimierer, ein, die auch Linksextremisten umfasst.

Denn auch im Bereich des Linksextremismus sind die Verhältnisse nicht mehr so klar. Aktuell zerbrächen Gruppierungen vor allem an ihrer Positionierung zum Nahostkonflikt. Es formiere sich eine “Querfront der Linksextremisten mit dem Salafismus/Islamismus mit der Gemeinsamkeit des Antisemitismus”, erklärt Neumann. Andererseits gäbe es starke pro-israelische Gruppierungen, die sogenannten Anti-Deutschen.

PKK und nigerianische Mafia Gefahr für innere Sicherheit

Kein neues Phänomen, aber eine weiterhin potenzielle Gefahr für die innere Sicherheit Deutschlands, besonders bei geopolitischen Krisen wie dem Nahostkonflikt, bleiben die Aktivitäten der hierzulande verbotenen Partîya Karkerên Kurdistanê, die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Es besteht die Sorge, dass der Konflikt aus der Türkei nach Deutschland getragen wird. Die PKK nutzt Deutschland als Rückzugsraum und zur logistischen und finanziellen Unterstützung der großen Anhängerschaft und der internen Kommandostruktur.

Eine weitere Herausforderung ist die erstarkende nigerianische Mafia in Deutschland. Gruppierungen wie die nigerianische Bruderschaft “Black Axe” sind schon länger im Visier der Sicherheitsbehörden. Aber bei Gesetzgebungen und dem Informationsaustausch im Bereich des international organisierten Menschenhandels, Zwangsprostitution, Cyberkriminalität, Love Scam, Drogenhandel, Fälschungskriminalität und vor allem Geldwäsche hinkt Deutschland teilweise noch hinterher. Neue Behörden und Gesetze sind zwar geplant, aber ihre Wirksamkeit ist umstritten. Stattdessen, so heißt es in dem Sammelband, brauche es eine klare Kompetenzverteilung zwischen Behörden und Ministerien.

Präventionsarbeit teilweise schwach

“Wir sehen, dass alle Phänomenbereiche wachsen, in qualitativer sowie quantitativer Natur”, sagt Neumann. Auch die jährliche Statistik der politisch motivierten Straftaten des Bundesinnenministeriums zeigt diese Tendenz:

Zwar seien die Behörden bei der Präventionsarbeit im Bereich des Rechtsextremismus aufgrund der deutschen Geschichte gut aufgestellt. “Aber wenn wir uns andere Phänomenbereiche anschauen, sieht es eher schwach aus. Im Bereich Linksextremismus gibt es sehr, sehr wenig”, sagt Neumann. Auch bei den neueren Phänomenen der Delegitimierer, der Reichsbürgern und Querdenker, gäbe es noch wenig Handhabe und Erfahrung.

Täter häufig noch minderjährig

Und: Die Täterinnen und Täter werden immer jünger, immer häufig sind sie minderjährig. Damit hängt zusammen, dass die Radikalisierung zunehmen online stattfindet. Ein nützliches Werkzeug hier stellt die Künstliche Intelligenz (KI) dar. Nur KI ist in der Lage, tausende Kommentare zu überwachen, zu filtern, zu melden und Trends zu erkennen. “Das Problem ist die Gesetzeslage, die den Sicherheitsbehörden Handschellen anlegt, was den Einsatz von künstlicher Intelligenz angeht”, sagt Neumann. 

Bund und Länder sollten, so steht es in den Handlungsempfehlungen des Sammelbandes, “in den jeweiligen Gesetzen die rechtliche Grundlage für den sicherheitsbehördlichen Einsatz von KI schaffen. Diese Grundlagen sollten umreißen, welche Art von Daten in welchem Umfang erhoben und welche Datenverarbeitungsmethoden zu welchem Zweck genutzt werden dürfen.” 

  • Daten
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  • Rechtsextremismus

News

25-Millionen-Euro-Vorlagen: Wie die FDP die rot-grüne Minderheitsregierung weiter unterstützt

Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags, Marcus Faber (FDP), schließt ein neues Sondervermögen für die Bundeswehr aus. Da keine Notlage bestehe, würde eine solche Ausnahme von der Schuldenbremse gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2023 verstoßen, sagte er im Gespräch mit Table.Briefings. Gesprächsbereit hingegen zeigte sich Faber für die Verabschiedung weiterer 25-Millionen-Euro-Vorlagen für Neubeschaffungen der Bundeswehr durch den Haushaltsausschuss – auch über das Datum der Vertrauensfrage von Bundeskanzler Olaf Scholz hinaus.

Dafür setzt sich auch der Berichterstatter der Grünen-Bundestagsfraktion für den Wehretat im Haushaltsausschuss, Sebastian Schäfer, ein. Weil nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die Rüstungsindustrie Planungssicherheit brauche, sei “ein pragmatisches Modell” notwendig, “um die beschlussreifen Beschaffungen rasch vorzunehmen, etwa bei den 25-Millionen-Vorlagen im Haushaltsausschuss”, so Schäfer. “Das setzt eine Verständigung über Fraktionsgrenzen voraus.” Am Tag nach dem Ampel-Aus waren bereits zwei solcher Vorlagen verabschiedet worden; laut Faber könnten in den kommenden Wochen weitere zwei Dutzend genehmigt werden.

BDSV und BDLI: 25-Millionen-Euro-Vorlagen rasch verabschieden

Am Montag forderten auch der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) sowie der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI), “die konkret anstehenden und für die Bundeswehr-Beschaffung wichtigen 25-Millionen-Vorlagen noch vor einer möglichen Bundestags-Auflösung passieren zu lassen”. BDSV-Hauptgeschäftsführer Hans Christoph Atzpodien sagte: “Unsere mehr als 240 Mitgliedsunternehmen – Systemhäuser wie Mittelständler – stehen bereit, um sofort ihre Kapazitäten weiter hochzufahren, sobald die angekündigten Budget- und Beschaffungs-Entscheidungen eine ausreichende Planbarkeit zulassen.”

Anders als die FDP zeigen sich Haushaltspolitiker von SPD und Grünen bereit, ein neues Sondervermögen für die Bundeswehr noch vor der Neuwahl des Bundestags zu verabschieden – mit Unterstützung der Unionsfraktion. “Wir könnten damit ein klares Signal an die Bevölkerung senden, dass die demokratische Mitte zusammensteht, wenn es existenziell wird”, sagte Schäfer. “Die Größenordnung müsste allerdings eine ganz andere sein als die des ersten Sondervermögens von 2022.” Damals hatte der Bundestag fraktionsübergreifend zugestimmt, hundert Milliarden Euro für die Ausstattung der Bundeswehr zur Verfügung zu stellen.

SPD-Haushälter Schwarz fordert drei Prozent BIP für Verteidigung

Auch Andreas Schwarz, Berichterstatter für den Wehretat der SPD-Bundestagsfraktion, unterstützt Überlegungen über ein neues Sondervermögen, selbst wenn er eine Aufstockung des Verteidigungsetats präferiert. “Ich bin mir sicher, dass wir die Zeitenwende gemeinsam weiterentwickeln und über die Schuldenbremse, vielleicht auch über ein Sondervermögen sprechen müssen”, sagte er im Interview mit Table.Briefings. Was derzeit für Verteidigung zur Verfügung stehe, reiche jedenfalls nicht aus, “um der Bedrohungslage gerecht zu werden”. Die von der Nato vorgegebenen zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben nennt Schwarz “die Untergrenze”; die Ausgaben müssten sich eher “um die drei Prozent” bewegen. 

Die Rechnung haben Grüne und SPD allerdings ohne die Union gemacht. “Unsere Erfahrungen mit der Ampel-Koalition in der Zeit nach der gemeinsamen Einrichtung des Sondervermögens Bundeswehr sind mir nicht in guter Erinnerung geblieben”, so der CSU-Verteidigungspolitiker Reinhard Brandl zu Table.Briefings. “Die ursprünglich vereinbarte Intention einer Finanzierung großer Rüstungsvorhaben zusätzlich zum normalen Verteidigungshaushalt” sei durch die Ampel nicht erfüllt worden, was allein für das Jahr 2028 für ein Loch von dreißig Milliarden Euro im Verteidigungsetat sorge: “Die Bundeswehr steuert deshalb auf ein Finanzierungsdesaster zu.” Planungssicherheit und eine langfristig stabile Finanzierung könne es “nur mit Neuwahlen” geben, so Brandl. “Der Bundeskanzler sollte daher lieber schnell die Vertrauensfrage stellen und die Ausstattung der Bundeswehr einer neuen, voll handlungsfähigen Bundesregierung überlassen.”mrb/bub

  • Bundeswehr
  • Haushalt
  • Nato
  • Rüstungsindustrie

Umfrage der Körber-Stiftung: Deutsche lehnen internationale Führungsrolle ab

73 Prozent der Deutschen sind nach den US-Wahlen und dem Aus der Ampel-Regierung der Meinung, dass Deutschland mehr in die europäische Sicherheit investieren sollte. Dennoch sprechen sich 58 Prozent dagegen aus, dass Deutschland eine westliche Führungsrolle übernimmt, sollten sich die USA international zurückziehen. Das ist das Ergebnis der jährlichen repräsentativen Umfrage The Berlin Pulse der Körber-Stiftung, die im September vom Meinungsforschungsinstitut Verian durchgeführt und nach dem Sieg des Republikaners Donald Trump vergangene Woche um eine Zusatzbefragung ergänzt wurde.

65 Prozent der Befragten sprechen sich außerdem dezidiert gegen eine militärische Führungsrolle Deutschlands in Europa aus. 2023 waren dies noch 71 Prozent. Auch wenn es um ein stärkeres Engagement in internationalen Krisen insgesamt geht, sind die Deutschen gespalten: 46 Prozent sprachen sich im September dafür aus. Das ist der höchste Wert seit Umfragebeginn 2017. Gleichzeitig lehnen 44 Prozent ein stärkeres internationales Engagement weiterhin ab. 

Rückhalt für Unterstützung der Ukraine schwindet

“Das Wahlergebnis in den USA und der Bruch der Ampelkoalition sind für Europa ein echter Stresstest”, kommentierte Nora Müller, Leiterin des Bereichs Internationale Politik der Körber-Stiftung, die Umfrageergebnisse. “Dass eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung der Meinung ist, Deutschland solle mehr Geld in die europäische Sicherheit investieren, sollte unabhängig von der Frage, wer zukünftig die Bundesregierung stellt, als Votum verstanden werden, die ‘Zeitenwende’ konsequent umzusetzen.”

Zweieinhalb Jahre nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine spricht sich weiterhin eine Mehrheit von 57 Prozent der Deutschen für eine militärische Unterstützung der Ukraine aus. Im Vergleich zum Vorjahr (66 Prozent) ist dieser Anteil jedoch gesunken. Besonders gering ist die Zustimmung in Ostdeutschland, wo nur 40 Prozent die anhaltende militärische Unterstützung befürworten. Auf die Frage nach der größten außenpolitischen Kompetenz nannten nach dem Koalitionsbruch 28 Prozent der Befragten Friedrich Merz, der damit den höchsten Zuspruch erhielt. mrb

  • Außenpolitik
  • Donald Trump
  • Sicherheitspolitik
  • USA
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Must-Reads

New York Times: Missing in Europe: A Strong Leader for a New Trump Era. Frankreich und Deutschland sind die natürlichen Führungsmächte der Europäischen Union. Doch beide Staaten werden von innenpolitischen Konflikten gelähmt. Dass ihr Verhältnis zueinander in der Krise steckt, macht es für Europa noch schwerer, auf die möglichen Auswirkungen von Trumps Wahl zum US-Präsidenten zu reagieren.

Foreign Policy: Why Ukraine Is Ready to Gamble on Trump. Donald Trump will Russlands Krieg gegen die Ukraine beenden. Aber je nachdem, wie der “Deal”, den er während seines Wahlkampfs versprochen hat, aussehen wird, könnte er dazu führen, dass die Kämpfe nur vorübergehend aufhören, um in ein paar Jahren wieder aufzuflammen.

CEPA: The Trump Ukraine Victory Fund: A Proposal. Trumps Sieg ist für die Ukraine und Europa eine Herausforderung. Niemand weiß, wie der Frieden aussehen wird, den Trump vermitteln will. Und es ist auch vollkommen unklar, wer in einem solchen Fall den Wiederaufbau der Ukraine zahlen wird.

The Bell: What a Trump presidency means for the Russian economy. Die Wahl wird keine unmittelbaren Auswirkungen auf die russische Wirtschaft haben. Die russischen Märkte sind durch westliche Sanktionen und minimale Wirtschaftsbeziehungen weitgehend vor internationalen Turbulenzen geschützt.

Greenpeace-Studie: Vergleich der militärischen Potentiale der Nato und Russlands. Eine im Auftrag von Greenpeace durchgeführte Studie von Friedensforschern zeigt, dass die Nato Russland in nahezu allen militärischen Schlüsselparametern überlegen ist; sei es beim Militärbudget, der Truppenstärke oder den Großwaffensystemen. Die Studie verdeutlicht, dass die fortdauernde Aufrüstungsrhetorik in Deutschland nicht mit dem tatsächlichen militärischen Kräfteverhältnis übereinstimmt.

Standpunkt

Die Verschleppung der Bundestagswahl schadet der Sicherheit Deutschlands

Von Jürgen Fischer
Jürgen Fischer ist Chefredakteur der Fachzeitschrift Europäische Sicherheit und Technik.

Mit jeder weiteren Verschiebung des Bundestagswahltermins wächst die Sorge, dass Deutschland nicht nur seine eigene Sicherheit aufs Spiel setzt, sondern auch die europäische Stabilität gefährdet. Der anhaltende Investitionsrückstand bei der Bundeswehr ist besorgniserregend und zeigt bereits jetzt deutliche Schwächen. Die Liste der dringend notwendigen Beschaffungsprojekte für die Bundeswehr ist lang. Dennoch droht ein lähmender Stillstand, der die Schlagkraft und Einsatzbereitschaft Deutschlands in einer ohnehin instabilen geopolitischen Lage zunehmend gefährdet.

Die Entscheidung des Kanzlers, den Wahltermin um mehr als zwei Monate in den März des nächsten Jahres zu schieben, ist dabei nichts anderes als Verzögerungstaktik, die vor allem Präsident Putin und dem Kreml direkt in die Hände spielt. Während Deutschland auf Entscheidungen und finanzielle Stabilität wartet, verschiebt sich das Kräftegleichgewicht zu Russlands Vorteil. Das Nato-Ziel, zwei Prozent des BIP in Verteidigung zu investieren, droht an interner Blockade und politischer Trägheit zu scheitern. Notwendige Bundeswehr-Modernisierungen und die Unterstützung der Ukraine verlieren so zunehmend an Priorität.

Jahrelanger Stillstand bei Rüstungsbeschaffung droht

Besonders zynisch erscheinen die an den Haaren herbeigezogenen Argumente, die eine Wahl im Januar angeblich wegen fehlendem Papier oder etwaiger zukünftiger Weihnachtswahltermine verhindert sehen wollen. Man fragt sich, ob Kanzler Scholz und seine Parteigenossen wirklich glauben, dass die deutsche Bevölkerung solche fadenscheinigen Begründungen akzeptiert. Hier zeigt sich eine arglistige Verzögerungstaktik, die suggerieren will, es lägen unüberwindbare administrative Hindernisse vor, wo doch nur ein Mangel an politischem Willen herrscht.

Mit jedem Tag, der ohne eine funktionsfähige Regierung und ohne handlungsfähiges Parlament vergeht, verschiebt sich der Realisierungszeitpunkt wichtiger Rüstungsinvestitionen weiter. Selbst prominente Stimmen aus der deutschen Verteidigungsindustrie warnen davor, dass ohne rasches Handeln ab 2025 ein jahrelanger Stillstand bei den Rüstungsbeschaffungen droht, der neue Vertragsabschlüsse und die Wehrfähigkeit des Landes schwer beeinträchtigen könnte.

Deutschland verspielt internationales Vertrauen

Zusätzlich zu diesen sicherheitspolitischen Implikationen steht Deutschland vor einer weiteren Herausforderung: Der Bundestagswahltermin im Januar 2025 wäre vor allem deshalb von immenser Bedeutung, weil Deutschland dadurch noch rechtzeitig eine Regierung erhalten könnte, bevor Donald Trump in den USA wieder ins Amt tritt. Schaffen wir das nicht, droht das führungslose Deutschland in politische Unbedeutsamkeit abzurutschen und auch den kläglichen Rest internationalen Vertrauens zu verspielen.

Es ist höchste Zeit, dass der Bundeskanzler den Weg für Neuwahlen freigibt, statt sich weiter hinter bürokratischen Hürden und fadenscheinigen Ausreden zu verstecken. Jeder Tag ohne eine solide und verlässliche Haushaltsführung schwächt die Sicherheit unseres Landes – ein Zustand, der alles andere ist als das, was Olaf Scholz in seinem Amtseid versprochen hat: “Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.” Hoffen wir, dass eine neue Regierung dieser Verantwortung gerecht wird.

Jürgen Fischer ist seit 2023 Chefredakteur der Europäischen Sicherheit & Technik. Er ist ehemaliger Berufssoldat und Offizier und hat unter anderem viele Jahre als Pressesprecher bei der Bundeswehr gearbeitet.

  • Bundeswehr
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Rechtsnationalist Yechiel Leiter wird neuer israelischer Botschafter in Washington

Yechiel Leiter wird neuer israelischer Botschafter in Washington. Der 1959 in den USA geborene Rechtsnationalist sei ein “äußerst fähiger Diplomat, ein eloquenter Redner und verfügt über ein tiefes Verständnis der amerikanischen Kultur und Politik”, sagte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu am vergangenen Freitag. Leiter wanderte 1978 nach Israel aus, kämpfte 1982 im Ersten Libanon-Krieg und war Kabinettschef Netanjahus in dessen Zeit als Finanzminister von 2003 bis 2005; zuletzt arbeitete er als Beamter im Finanz- und Bildungsministerium. Sein Sohn Moshe starb vergangenes Jahr als israelischer Soldat bei Kämpfen im Gazastreifen, Leiter selbst lebt mit seiner Familie in einer Siedlung im Westjordanland.

Politische Beobachter werten die Ernennung des dem Likud Netanjahus angehörenden rechten Vordenkers zum neuen Botschafter in den USA als Versuch Netanjahus, auf die Nahostpolitik Donald Trumps Einfluss zu nehmen – und einer Annexion der völkerrechtswidrigen Siedlungen im Westjordanland durch Israel zuzustimmen. Die Amtszeit des jetzigen Botschafters in den USA, Michael Herzog, endet am 20. Januar 2025. Er ist der ältere Bruder von Staatspräsident Yitzach Herzog. mrb

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  • Donald Trump
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Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

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    gemeinsam gegen Putin vorgehen, das ist der russischen Opposition bislang nicht gelungen. Die Regimegegner sind intern gespalten. Einer von ihnen, der Exil-Oppositionelle Andrej  Piwowarow, war zu Besuch im Table Café. Er zeigte sich dennoch hoffnungsvoll und vor allem voller Tatendrang. Im Interview mit Viktor Funk und Jonathan Lehrer von der Körber-Stiftung erklärt er, wie er die russische Zivilbevölkerung aus der Ferne zu stillem Protest bewegen will.

    Das ist nicht die einzige Kooperation mit der Körber-Stiftung diese Woche: Markus Bickel hat vorab die wichtigsten Ergebnisse ihrer jährlichen Umfrage “The Berlin Pulse”, eine Befragung der Deutschen zu außen- und sicherheitspolitischen Themen, die heute erscheint. Am Mittwoch findet in unserem Haus die offizielle Vorstellung der Studie statt, inklusive Diskussion unter anderem mit Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Katja Keul, und FDP-Außenpolitiker Michael Link. Jetzt noch schnell anmelden.

    Lisa-Martina Klein hat den Sammelband “Stresstest für die Innere Sicherheit Deutschlands” der Konrad-Adenauer-Stiftung gelesen, der heute erscheint. Er zeigt: Die Situation ist auf allen Ebenen angespannt, das Bedrohungsbild wird für die Sicherheitsbehörden immer komplexer.

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    Analyse

    Russischer Aktivist: “Viele in der russischen Opposition sind deprimiert”

    Andrej Piwowarow, 43, ist überzeugt, dass viele Russen den Krieg ablehnen.

    Es gibt erste Gespräche zwischen dem russischen Machthaber Wladimir Putin und dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump. Doch Putin hat erst vor wenigen Tagen deutlich gemacht, dass er von seinen Kriegszielen nicht abrückt. Ein Grund für seine Selbstsicherheit ist auch ein Fehlen von Opposition in Russland. Der ehemalige politische Häftling Andrej Piwowarow will das nicht hinnehmen. 

    Herr Piwowarow, im August wurden Sie und 15 weitere politische Gefangene im Rahmen eines Gefangenenaustauschs zwischen Deutschland, den USA und Russland nach Deutschland gebracht. Sie verbrachten über drei Jahre in einem russischen Gefängnis. Wie ist es für Sie, sich frei durch Europa zu bewegen? 

    Ich bin Bundeskanzler Olaf Scholz sehr dankbar, dass er mich aus Putins Gefängnis herausgeholt hat. Ich betrachte meinen Aufenthalt hier aber nur als vorübergehend. Ich möchte wieder in Russland arbeiten und die Situation im Land verändern. Jetzt versuche ich, ein neues Team zusammenzustellen und Mittel für meine Arbeit zu sammeln. Ich treffe mich mit vielen Menschen aus der russischen Diaspora hier in Berlin und anderen europäischen Städten. Ich bin entschlossen, in Russland etwas zu bewegen, auch wenn ich es von außen tun muss. Ich hoffe, dass Putin diesen Austausch bereuen wird. 

    Was ist Ihr Eindruck von den russischen Oppositionellen in Europa? 

    Viele scheinen deprimiert zu sein. Fast alle Aktivisten wollen zurück nach Russland, weil sie wirklich etwas verändern wollen. Wenn sie hier in Europa etwas unternehmen, scheint das nichts zu bewegen. Während ich in Karelien inhaftiert war …  

    … im Nordosten Russlands … 

    … steckten sie mich in eine Einzelzelle. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken. Ich kam zu dem Schluss, dass es nur zwei politische Vorgehensweisen gibt. Die eine wäre: “Lasst uns warten, bis Putin stirbt.”  Aber dieses Abwarten ist keine Strategie. Die andere Idee ist, dass alle Russen auf die Straße gehen, die Polizei angreifen und für die russische Freiheit kämpfen. Doch über diese schöne Idee lässt sich vor allem leicht reden, wenn man in Berlin in seiner Komfortzone sitzt. Es muss eine dritte Option geben. 

    Und welche bieten Sie an? 

    Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In meinem Gefängnis gab es einen Wärter. Er hatte eine junge Familie und war auf sein Gehalt angewiesen. Also fragte ich mich, was dieser Mann gegen das Regime tun kann. Meine Vorstellung ist es, Menschen wie ihm ein ausgeklügeltes Informationssystem zur Verfügung zu stellen, das ihm Beispiele aufzeigt, was er tun kann, ohne seinen Arbeitsplatz oder seine Sicherheit zu riskieren. 

    Bitte erklären Sie das. 

    Angesichts schwerer Repressionen und härterer Strafen für abweichende Ansichten sind viele Russen unsicher, wie sie ihre Meinung äußern sollen. Aus Angst vor Verfolgung schweigen viele, auch wenn sie gegen den Krieg und Putins Politik sind. Schweigen ist jedoch nicht gleichbedeutend mit Gleichgültigkeit. Die Menschen wollen handeln, sehen aber keinen sicheren Weg, das zu tun. Ich möchte sichere Formen des Protests für diejenigen anbieten, die gegen den Krieg und das Regime sind, aber Angst haben, sich direkt und öffentlich als Opposition zu engagieren. Wir wollen den Russen helfen, ihre Haltung zum Ausdruck zu bringen, ohne Verfolgung zu riskieren. Gleichzeitig wollen wir ein Gefühl der Solidarität fördern. Unser Ziel ist es, die Menschen dazu zu bringen, sich nicht an staatlichen Programmen und Zielen zu beteiligen, etwa Propagandaveranstaltungen zu meiden. 

    Wie soll das helfen? 

    Es bedeutet nicht, dass Putin bald verschwindet und der Krieg schnell aufhört. Aber es kann eine gewisse Veränderung bewirken, wenn der Staat etwa Mittel für eine nicht wirksame Propaganda aufwendet und das Geld nicht in Panzerbau fließt. Meine Idee ist es, die Methoden der “Nichtbeteiligung” auszuweiten, immer mehr Menschen einzubeziehen und eine aktive Zivilgesellschaft aufzubauen, die bereit ist, mehr gegen das Regime zu tun. 

    Es sieht im Moment eher so aus, als ob Putins Macht stabil ist. Glauben Sie wirklich, dass Sie ihn herausfordern können? 

    Die Zeiten haben sich geändert. Wir haben jetzt YouTube, Telegram und das russische Netzwerk VKontakte. Wir sind mit den Menschen in Kontakt, die gegen das System sind. Ich hoffe, ich kann die Verbindung zu Russland aufrechterhalten und vielleicht kann ich die Stimme der Russen werden. Es gibt Mutige, die aus Protest gegen den Krieg etwa Regionalbüros des Militärs in Brand gesetzt haben. Aber solche Taten sind etwas für Helden. Helden sind zwar großartig, aber wir müssen die einfachen Menschen erreichen, die so etwas nicht tun, aber trotzdem gegen den Krieg sind. 

    Ist es ein Problem, dass die westlichen Sanktionen auch die einfachen Russen treffen? 

    Die Sanktionen funktionieren, und sie sind gut. Das Problem ist, dass viele Sanktionen auch Russen treffen, die gegen den Krieg sind. Zum Beispiel ist es für Studenten fast unmöglich geworden, im Ausland zu studieren. Apple sperrt VPNs [virtuelle private Netzwerke] aus seinem Store, was den Zugang zu unabhängigen Medien noch schwieriger macht. Dennoch muss der Westen bei der Durchsetzung von Sanktionen gegen das Militär stärker vorgehen.  

    Wie stehen Sie zu der Vollinvasion in die Ukraine? 

    Der Krieg muss aufhören. Die Grenze von 1991 muss wiederhergestellt werden, und nur die ukrainische Regierung kann entscheiden, wann und wie der Krieg endet. Die Ukrainer tun mir unendlich leid. Sie werden bombardiert und getötet. Und ich bin auch traurig über die Zivilgesellschaft in Russland. Verstehen Sie mich nicht falsch, das ist nicht das Gleiche. Aber auch die russischen Bürger sind Opfer des Putin-Regimes. 

    Sind Sie der Meinung, dass Deutschland und andere europäische Länder der Ukraine helfen sollten, indem sie Langstreckenraketen liefern, die auch russisches Gebiet erreichen können?  

    Man muss alle Ideen der Ukrainer unterstützen, ihr Land zu verteidigen. Ich bin nicht auf militärische Fragen spezialisiert, aber der Westen und Deutschland müssen alles und noch mehr tun, um die Ukraine zu unterstützen. Natürlich ist es falsch, wenn diese Langstreckenraketen zivile Objekte treffen. Aber ich verstehe, dass es sich um Krieg handelt. 

    Interview: Viktor Funk, Jonathan Lehrer

    • Diaspora
    • Russland
    • Ukraine
    • Ukraine-Krieg
    • Wladimir Putin
    Translation missing.

    Extremismus in Deutschland: Sicherheitsbehörden stehen vor immer komplexerer Lage

    Deutschlands innere Sicherheit steht unter Druck: Russische Desinformationskampagnen prägen nachweislich die Narrative von Parteien wie AfD oder BSW und nehmen so Einfluss auf die Wahlen in Ostdeutschland. Immer wieder werden Spionagefälle unter Beteiligung russischer und chinesischer Agenten bekannt und Sabotageversuche vereitelt, die teils eindeutig auf russische Akteure zurückzuführen sind.

    Die Sicherheitsbehörden im Land stehen noch vor einer weiteren Herausforderung: Eigentlich bekannte, anti-demokratischen Strömungen innerhalb des rechts- und linksextremistischen Spektrums nehmen neue Formen an und neue Netzwerke der Gewalt kommen hinzu.

    Grenzen zwischen Gruppierungen weichen auf

    Konkret beobachtet Felix Neumann, Referent für Extremismus- und Terrorismusbekämpfung bei der Konrad-Adenauer-Stiftung und Herausgeber des neu erschienenen Sammelbands “Stresstest für die Innere Sicherheit Deutschlands”, mehrere Trends:

    Die Grenzen zwischen rechtsextremistischen Gruppierungen, Querdenkern/Verschwörungsideologen, und Reichsbürgern mit ihren Umsturzphantasien verschwimmen zusehends und die Gruppierungen beeinflussen sich gegenseitig. Gemeinsam ist allen drei Gruppen eine fundamentale Ablehnung des bestehenden politischen Systems und staatlicher Autoritäten. Aber: Die Vermischung mache es den Sicherheitsbehörden schwer, eindeutig festzustellen, wer zu welcher Gruppierung gehöre, sagt Neumann.

    Linksextremisten zunehmend antisemitischer

    Im April 2021, als sich auf den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung eine immer diffusere Mischung an Gesinnungsgruppierungen zeigte, führte der Verfassungsschutz deshalb eine neue Beobachtungskategorie der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates, sogenannte Delegitimierer, ein, die auch Linksextremisten umfasst.

    Denn auch im Bereich des Linksextremismus sind die Verhältnisse nicht mehr so klar. Aktuell zerbrächen Gruppierungen vor allem an ihrer Positionierung zum Nahostkonflikt. Es formiere sich eine “Querfront der Linksextremisten mit dem Salafismus/Islamismus mit der Gemeinsamkeit des Antisemitismus”, erklärt Neumann. Andererseits gäbe es starke pro-israelische Gruppierungen, die sogenannten Anti-Deutschen.

    PKK und nigerianische Mafia Gefahr für innere Sicherheit

    Kein neues Phänomen, aber eine weiterhin potenzielle Gefahr für die innere Sicherheit Deutschlands, besonders bei geopolitischen Krisen wie dem Nahostkonflikt, bleiben die Aktivitäten der hierzulande verbotenen Partîya Karkerên Kurdistanê, die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Es besteht die Sorge, dass der Konflikt aus der Türkei nach Deutschland getragen wird. Die PKK nutzt Deutschland als Rückzugsraum und zur logistischen und finanziellen Unterstützung der großen Anhängerschaft und der internen Kommandostruktur.

    Eine weitere Herausforderung ist die erstarkende nigerianische Mafia in Deutschland. Gruppierungen wie die nigerianische Bruderschaft “Black Axe” sind schon länger im Visier der Sicherheitsbehörden. Aber bei Gesetzgebungen und dem Informationsaustausch im Bereich des international organisierten Menschenhandels, Zwangsprostitution, Cyberkriminalität, Love Scam, Drogenhandel, Fälschungskriminalität und vor allem Geldwäsche hinkt Deutschland teilweise noch hinterher. Neue Behörden und Gesetze sind zwar geplant, aber ihre Wirksamkeit ist umstritten. Stattdessen, so heißt es in dem Sammelband, brauche es eine klare Kompetenzverteilung zwischen Behörden und Ministerien.

    Präventionsarbeit teilweise schwach

    “Wir sehen, dass alle Phänomenbereiche wachsen, in qualitativer sowie quantitativer Natur”, sagt Neumann. Auch die jährliche Statistik der politisch motivierten Straftaten des Bundesinnenministeriums zeigt diese Tendenz:

    Zwar seien die Behörden bei der Präventionsarbeit im Bereich des Rechtsextremismus aufgrund der deutschen Geschichte gut aufgestellt. “Aber wenn wir uns andere Phänomenbereiche anschauen, sieht es eher schwach aus. Im Bereich Linksextremismus gibt es sehr, sehr wenig”, sagt Neumann. Auch bei den neueren Phänomenen der Delegitimierer, der Reichsbürgern und Querdenker, gäbe es noch wenig Handhabe und Erfahrung.

    Täter häufig noch minderjährig

    Und: Die Täterinnen und Täter werden immer jünger, immer häufig sind sie minderjährig. Damit hängt zusammen, dass die Radikalisierung zunehmen online stattfindet. Ein nützliches Werkzeug hier stellt die Künstliche Intelligenz (KI) dar. Nur KI ist in der Lage, tausende Kommentare zu überwachen, zu filtern, zu melden und Trends zu erkennen. “Das Problem ist die Gesetzeslage, die den Sicherheitsbehörden Handschellen anlegt, was den Einsatz von künstlicher Intelligenz angeht”, sagt Neumann. 

    Bund und Länder sollten, so steht es in den Handlungsempfehlungen des Sammelbandes, “in den jeweiligen Gesetzen die rechtliche Grundlage für den sicherheitsbehördlichen Einsatz von KI schaffen. Diese Grundlagen sollten umreißen, welche Art von Daten in welchem Umfang erhoben und welche Datenverarbeitungsmethoden zu welchem Zweck genutzt werden dürfen.” 

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    News

    25-Millionen-Euro-Vorlagen: Wie die FDP die rot-grüne Minderheitsregierung weiter unterstützt

    Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags, Marcus Faber (FDP), schließt ein neues Sondervermögen für die Bundeswehr aus. Da keine Notlage bestehe, würde eine solche Ausnahme von der Schuldenbremse gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2023 verstoßen, sagte er im Gespräch mit Table.Briefings. Gesprächsbereit hingegen zeigte sich Faber für die Verabschiedung weiterer 25-Millionen-Euro-Vorlagen für Neubeschaffungen der Bundeswehr durch den Haushaltsausschuss – auch über das Datum der Vertrauensfrage von Bundeskanzler Olaf Scholz hinaus.

    Dafür setzt sich auch der Berichterstatter der Grünen-Bundestagsfraktion für den Wehretat im Haushaltsausschuss, Sebastian Schäfer, ein. Weil nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die Rüstungsindustrie Planungssicherheit brauche, sei “ein pragmatisches Modell” notwendig, “um die beschlussreifen Beschaffungen rasch vorzunehmen, etwa bei den 25-Millionen-Vorlagen im Haushaltsausschuss”, so Schäfer. “Das setzt eine Verständigung über Fraktionsgrenzen voraus.” Am Tag nach dem Ampel-Aus waren bereits zwei solcher Vorlagen verabschiedet worden; laut Faber könnten in den kommenden Wochen weitere zwei Dutzend genehmigt werden.

    BDSV und BDLI: 25-Millionen-Euro-Vorlagen rasch verabschieden

    Am Montag forderten auch der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) sowie der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI), “die konkret anstehenden und für die Bundeswehr-Beschaffung wichtigen 25-Millionen-Vorlagen noch vor einer möglichen Bundestags-Auflösung passieren zu lassen”. BDSV-Hauptgeschäftsführer Hans Christoph Atzpodien sagte: “Unsere mehr als 240 Mitgliedsunternehmen – Systemhäuser wie Mittelständler – stehen bereit, um sofort ihre Kapazitäten weiter hochzufahren, sobald die angekündigten Budget- und Beschaffungs-Entscheidungen eine ausreichende Planbarkeit zulassen.”

    Anders als die FDP zeigen sich Haushaltspolitiker von SPD und Grünen bereit, ein neues Sondervermögen für die Bundeswehr noch vor der Neuwahl des Bundestags zu verabschieden – mit Unterstützung der Unionsfraktion. “Wir könnten damit ein klares Signal an die Bevölkerung senden, dass die demokratische Mitte zusammensteht, wenn es existenziell wird”, sagte Schäfer. “Die Größenordnung müsste allerdings eine ganz andere sein als die des ersten Sondervermögens von 2022.” Damals hatte der Bundestag fraktionsübergreifend zugestimmt, hundert Milliarden Euro für die Ausstattung der Bundeswehr zur Verfügung zu stellen.

    SPD-Haushälter Schwarz fordert drei Prozent BIP für Verteidigung

    Auch Andreas Schwarz, Berichterstatter für den Wehretat der SPD-Bundestagsfraktion, unterstützt Überlegungen über ein neues Sondervermögen, selbst wenn er eine Aufstockung des Verteidigungsetats präferiert. “Ich bin mir sicher, dass wir die Zeitenwende gemeinsam weiterentwickeln und über die Schuldenbremse, vielleicht auch über ein Sondervermögen sprechen müssen”, sagte er im Interview mit Table.Briefings. Was derzeit für Verteidigung zur Verfügung stehe, reiche jedenfalls nicht aus, “um der Bedrohungslage gerecht zu werden”. Die von der Nato vorgegebenen zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben nennt Schwarz “die Untergrenze”; die Ausgaben müssten sich eher “um die drei Prozent” bewegen. 

    Die Rechnung haben Grüne und SPD allerdings ohne die Union gemacht. “Unsere Erfahrungen mit der Ampel-Koalition in der Zeit nach der gemeinsamen Einrichtung des Sondervermögens Bundeswehr sind mir nicht in guter Erinnerung geblieben”, so der CSU-Verteidigungspolitiker Reinhard Brandl zu Table.Briefings. “Die ursprünglich vereinbarte Intention einer Finanzierung großer Rüstungsvorhaben zusätzlich zum normalen Verteidigungshaushalt” sei durch die Ampel nicht erfüllt worden, was allein für das Jahr 2028 für ein Loch von dreißig Milliarden Euro im Verteidigungsetat sorge: “Die Bundeswehr steuert deshalb auf ein Finanzierungsdesaster zu.” Planungssicherheit und eine langfristig stabile Finanzierung könne es “nur mit Neuwahlen” geben, so Brandl. “Der Bundeskanzler sollte daher lieber schnell die Vertrauensfrage stellen und die Ausstattung der Bundeswehr einer neuen, voll handlungsfähigen Bundesregierung überlassen.”mrb/bub

    • Bundeswehr
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    • Rüstungsindustrie

    Umfrage der Körber-Stiftung: Deutsche lehnen internationale Führungsrolle ab

    73 Prozent der Deutschen sind nach den US-Wahlen und dem Aus der Ampel-Regierung der Meinung, dass Deutschland mehr in die europäische Sicherheit investieren sollte. Dennoch sprechen sich 58 Prozent dagegen aus, dass Deutschland eine westliche Führungsrolle übernimmt, sollten sich die USA international zurückziehen. Das ist das Ergebnis der jährlichen repräsentativen Umfrage The Berlin Pulse der Körber-Stiftung, die im September vom Meinungsforschungsinstitut Verian durchgeführt und nach dem Sieg des Republikaners Donald Trump vergangene Woche um eine Zusatzbefragung ergänzt wurde.

    65 Prozent der Befragten sprechen sich außerdem dezidiert gegen eine militärische Führungsrolle Deutschlands in Europa aus. 2023 waren dies noch 71 Prozent. Auch wenn es um ein stärkeres Engagement in internationalen Krisen insgesamt geht, sind die Deutschen gespalten: 46 Prozent sprachen sich im September dafür aus. Das ist der höchste Wert seit Umfragebeginn 2017. Gleichzeitig lehnen 44 Prozent ein stärkeres internationales Engagement weiterhin ab. 

    Rückhalt für Unterstützung der Ukraine schwindet

    “Das Wahlergebnis in den USA und der Bruch der Ampelkoalition sind für Europa ein echter Stresstest”, kommentierte Nora Müller, Leiterin des Bereichs Internationale Politik der Körber-Stiftung, die Umfrageergebnisse. “Dass eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung der Meinung ist, Deutschland solle mehr Geld in die europäische Sicherheit investieren, sollte unabhängig von der Frage, wer zukünftig die Bundesregierung stellt, als Votum verstanden werden, die ‘Zeitenwende’ konsequent umzusetzen.”

    Zweieinhalb Jahre nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine spricht sich weiterhin eine Mehrheit von 57 Prozent der Deutschen für eine militärische Unterstützung der Ukraine aus. Im Vergleich zum Vorjahr (66 Prozent) ist dieser Anteil jedoch gesunken. Besonders gering ist die Zustimmung in Ostdeutschland, wo nur 40 Prozent die anhaltende militärische Unterstützung befürworten. Auf die Frage nach der größten außenpolitischen Kompetenz nannten nach dem Koalitionsbruch 28 Prozent der Befragten Friedrich Merz, der damit den höchsten Zuspruch erhielt. mrb

    • Außenpolitik
    • Donald Trump
    • Sicherheitspolitik
    • USA
    Translation missing.

    Must-Reads

    New York Times: Missing in Europe: A Strong Leader for a New Trump Era. Frankreich und Deutschland sind die natürlichen Führungsmächte der Europäischen Union. Doch beide Staaten werden von innenpolitischen Konflikten gelähmt. Dass ihr Verhältnis zueinander in der Krise steckt, macht es für Europa noch schwerer, auf die möglichen Auswirkungen von Trumps Wahl zum US-Präsidenten zu reagieren.

    Foreign Policy: Why Ukraine Is Ready to Gamble on Trump. Donald Trump will Russlands Krieg gegen die Ukraine beenden. Aber je nachdem, wie der “Deal”, den er während seines Wahlkampfs versprochen hat, aussehen wird, könnte er dazu führen, dass die Kämpfe nur vorübergehend aufhören, um in ein paar Jahren wieder aufzuflammen.

    CEPA: The Trump Ukraine Victory Fund: A Proposal. Trumps Sieg ist für die Ukraine und Europa eine Herausforderung. Niemand weiß, wie der Frieden aussehen wird, den Trump vermitteln will. Und es ist auch vollkommen unklar, wer in einem solchen Fall den Wiederaufbau der Ukraine zahlen wird.

    The Bell: What a Trump presidency means for the Russian economy. Die Wahl wird keine unmittelbaren Auswirkungen auf die russische Wirtschaft haben. Die russischen Märkte sind durch westliche Sanktionen und minimale Wirtschaftsbeziehungen weitgehend vor internationalen Turbulenzen geschützt.

    Greenpeace-Studie: Vergleich der militärischen Potentiale der Nato und Russlands. Eine im Auftrag von Greenpeace durchgeführte Studie von Friedensforschern zeigt, dass die Nato Russland in nahezu allen militärischen Schlüsselparametern überlegen ist; sei es beim Militärbudget, der Truppenstärke oder den Großwaffensystemen. Die Studie verdeutlicht, dass die fortdauernde Aufrüstungsrhetorik in Deutschland nicht mit dem tatsächlichen militärischen Kräfteverhältnis übereinstimmt.

    Standpunkt

    Die Verschleppung der Bundestagswahl schadet der Sicherheit Deutschlands

    Von Jürgen Fischer
    Jürgen Fischer ist Chefredakteur der Fachzeitschrift Europäische Sicherheit und Technik.

    Mit jeder weiteren Verschiebung des Bundestagswahltermins wächst die Sorge, dass Deutschland nicht nur seine eigene Sicherheit aufs Spiel setzt, sondern auch die europäische Stabilität gefährdet. Der anhaltende Investitionsrückstand bei der Bundeswehr ist besorgniserregend und zeigt bereits jetzt deutliche Schwächen. Die Liste der dringend notwendigen Beschaffungsprojekte für die Bundeswehr ist lang. Dennoch droht ein lähmender Stillstand, der die Schlagkraft und Einsatzbereitschaft Deutschlands in einer ohnehin instabilen geopolitischen Lage zunehmend gefährdet.

    Die Entscheidung des Kanzlers, den Wahltermin um mehr als zwei Monate in den März des nächsten Jahres zu schieben, ist dabei nichts anderes als Verzögerungstaktik, die vor allem Präsident Putin und dem Kreml direkt in die Hände spielt. Während Deutschland auf Entscheidungen und finanzielle Stabilität wartet, verschiebt sich das Kräftegleichgewicht zu Russlands Vorteil. Das Nato-Ziel, zwei Prozent des BIP in Verteidigung zu investieren, droht an interner Blockade und politischer Trägheit zu scheitern. Notwendige Bundeswehr-Modernisierungen und die Unterstützung der Ukraine verlieren so zunehmend an Priorität.

    Jahrelanger Stillstand bei Rüstungsbeschaffung droht

    Besonders zynisch erscheinen die an den Haaren herbeigezogenen Argumente, die eine Wahl im Januar angeblich wegen fehlendem Papier oder etwaiger zukünftiger Weihnachtswahltermine verhindert sehen wollen. Man fragt sich, ob Kanzler Scholz und seine Parteigenossen wirklich glauben, dass die deutsche Bevölkerung solche fadenscheinigen Begründungen akzeptiert. Hier zeigt sich eine arglistige Verzögerungstaktik, die suggerieren will, es lägen unüberwindbare administrative Hindernisse vor, wo doch nur ein Mangel an politischem Willen herrscht.

    Mit jedem Tag, der ohne eine funktionsfähige Regierung und ohne handlungsfähiges Parlament vergeht, verschiebt sich der Realisierungszeitpunkt wichtiger Rüstungsinvestitionen weiter. Selbst prominente Stimmen aus der deutschen Verteidigungsindustrie warnen davor, dass ohne rasches Handeln ab 2025 ein jahrelanger Stillstand bei den Rüstungsbeschaffungen droht, der neue Vertragsabschlüsse und die Wehrfähigkeit des Landes schwer beeinträchtigen könnte.

    Deutschland verspielt internationales Vertrauen

    Zusätzlich zu diesen sicherheitspolitischen Implikationen steht Deutschland vor einer weiteren Herausforderung: Der Bundestagswahltermin im Januar 2025 wäre vor allem deshalb von immenser Bedeutung, weil Deutschland dadurch noch rechtzeitig eine Regierung erhalten könnte, bevor Donald Trump in den USA wieder ins Amt tritt. Schaffen wir das nicht, droht das führungslose Deutschland in politische Unbedeutsamkeit abzurutschen und auch den kläglichen Rest internationalen Vertrauens zu verspielen.

    Es ist höchste Zeit, dass der Bundeskanzler den Weg für Neuwahlen freigibt, statt sich weiter hinter bürokratischen Hürden und fadenscheinigen Ausreden zu verstecken. Jeder Tag ohne eine solide und verlässliche Haushaltsführung schwächt die Sicherheit unseres Landes – ein Zustand, der alles andere ist als das, was Olaf Scholz in seinem Amtseid versprochen hat: “Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.” Hoffen wir, dass eine neue Regierung dieser Verantwortung gerecht wird.

    Jürgen Fischer ist seit 2023 Chefredakteur der Europäischen Sicherheit & Technik. Er ist ehemaliger Berufssoldat und Offizier und hat unter anderem viele Jahre als Pressesprecher bei der Bundeswehr gearbeitet.

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    Rechtsnationalist Yechiel Leiter wird neuer israelischer Botschafter in Washington

    Yechiel Leiter wird neuer israelischer Botschafter in Washington. Der 1959 in den USA geborene Rechtsnationalist sei ein “äußerst fähiger Diplomat, ein eloquenter Redner und verfügt über ein tiefes Verständnis der amerikanischen Kultur und Politik”, sagte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu am vergangenen Freitag. Leiter wanderte 1978 nach Israel aus, kämpfte 1982 im Ersten Libanon-Krieg und war Kabinettschef Netanjahus in dessen Zeit als Finanzminister von 2003 bis 2005; zuletzt arbeitete er als Beamter im Finanz- und Bildungsministerium. Sein Sohn Moshe starb vergangenes Jahr als israelischer Soldat bei Kämpfen im Gazastreifen, Leiter selbst lebt mit seiner Familie in einer Siedlung im Westjordanland.

    Politische Beobachter werten die Ernennung des dem Likud Netanjahus angehörenden rechten Vordenkers zum neuen Botschafter in den USA als Versuch Netanjahus, auf die Nahostpolitik Donald Trumps Einfluss zu nehmen – und einer Annexion der völkerrechtswidrigen Siedlungen im Westjordanland durch Israel zuzustimmen. Die Amtszeit des jetzigen Botschafters in den USA, Michael Herzog, endet am 20. Januar 2025. Er ist der ältere Bruder von Staatspräsident Yitzach Herzog. mrb

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    • Israel
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    Security.Table Redaktion

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