Table.Briefing: Security

Bartsch fordert Linken-Debatte zu Rüstungsexporten + Nato-Ostseeanrainer: Polen hebt Veto gegen Deutschland auf

Liebe Leserin, lieber Leser,

es ist ein kleiner Hoffnungsschimmer: Aus der Schweiz dringt die Nachricht durch, dass Russland eingebunden werden soll, wenn im Juni am Vierwaldstättersee etwa 160 Staats- und Regierungschefs über Wege zu einem Frieden in der Ukraine beraten. Der Kreml hatte bislang keine Einladung erhalten – auch wenn klar ist: Ohne Russland wird es keinen Frieden in der Ukraine geben.

Zugleich sehen offenbar sogar Teile der historisch Russland-freundlichen Partei die Linke ein: Diplomatie allein reicht nicht aus. Die Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine teilt die Partei in der Mitte. Dietmar Bartsch, der gerade für seine Fraktion Mitglied im Verteidigungsausschuss geworden ist, fordert nun ein neues Nachdenken über den Export bestimmter Waffensysteme an die Ukraine – und lobt den Einsatz von Patriot-Abwehrraketen. Markus Bickel hat mit ihm über die Ukraine, aber auch Gaza und Israel gesprochen.

Währenddessen ist Lisa-Martina Klein für Sie nach Rostock gereist und erklärt, welche Rolle Deutschland künftig an der Ostsee übernehmen wird und wie Polen dem nicht mehr im Wege steht.

Ihre
Wilhelmine Preußen
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Analyse

Dietmar Bartsch: “Die Linke kann Waffenlieferungen nicht pauschal ablehnen”

Dietmar Bartsch vertritt seit Februar die Bundestagsgruppe Die Linke im Verteidigungsausschuss.

Herr Bartsch, finden Sie es richtig, dass die Ampel von ihrem im Koalitionsvertrag festgelegten Grundsatz abgewichen ist und nun Rüstungsgüter in das Kriegsgebiet Ukraine liefert?

Nein. Aber für die Linke ist diese Frage eine der größten programmatisch-politischen Herausforderungen. So richtig unsere Forderung “keine Waffenlieferungen” grundsätzlich ist, können wir diese meines Erachtens nicht weiterhin einfach pauschal ablehnen. Jeder weiß, die Ukraine würde es ohne die Waffenlieferungen vieler Länder heute nicht mehr geben. Wenn man wie ich in Kiew und Charkiw war und gesehen hat, wie Drohnen und Raketen auf die Stadt zusteuern, dann ist man in dem Moment froh, dass es ein Patriot-Abwehrsystem gibt, das diese Drohnen in der Luft vernichtet. Wir müssen die Frage von Waffenlieferungen programmatisch und nicht emotional diskutieren.

Das heißt, die militärische Unterstützung der Ukraine durch die Bundesregierung ist richtig?

In der bundesdeutschen Linken gab es verschiedene Traditionen – ich erinnere daran, dass in den 1980er Jahren Geld für Waffen für Nicaragua und El Salvador gesammelt wurde. In den sich selbst so nennenden sozialistischen Ländern waren die Militärausgaben teilweise sehr hoch. Dennoch wird das, was die Grünen nun in der Regierung machen, nicht unsere Position sein – Kriege werden heute nicht durch mehr und schnellere Waffenlieferungen beendet, sondern durch Diplomatie.

Außenministerin Baerbock bemüht sich darum, in Nahost wie in der Ukraine.

Ich erwarte von der obersten Diplomatin Deutschlands, dass sie eben oberste Diplomatin ist und nicht als allererstes und immer wieder über die Lieferung von Waffen redet. Das ist ein Armutszeugnis. Deutschland hat sich leider als diplomatischer Player aus diesen Konflikten verabschiedet, das war übrigens schon einmal anders. Auch wenn man die Rolle, die der ehemalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei der Aushandlung der Minsker Abkommen oder bei den Konflikten in Georgien spielte, kritisieren kann, war Deutschland zumindest ein relevanter Akteur. Am Ende muss und wird es eine diplomatische Lösung dieses furchtbaren russischen Krieges in der Ukraine geben.

Dafür wirbt auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, der für seine Formulierung eines “eingefrorenen Konflikts” harsch kritisiert wurde.

Ich finde, dass Rolf Mützenich für seine Forderung, den Konflikt einzufrieren, um ihn dann zu beenden, völlig zu Unrecht aus allen Rohren beschossen worden ist. Was er gesagt hat, ist, dass man darüber nachdenken muss – das finde ich korrekt. Ich werbe seit langem für eine europäisch abgestimmte Friedensinitiative, wo vielleicht sogar Berlin ein Ort sein könnte, an dem die Konfliktparteien an einen Tisch geholt werden.

Das würde voraussetzen, dass Russland überhaupt verhandeln will. Mangelt es Ihnen und anderen, die für Verhandlungen plädieren, angesichts des Vorgehens Putins nicht an Empathie für die überfallene Ukraine?

Im Gegenteil – ich war bereits in der Ukraine, da gehörte sie noch zur Sowjetunion. Ich habe in Moskau promoviert zu einer Zeit, als es an der Akademie keine ernsthaften Konflikte zwischen Russen und Ukrainern gab. Andersherum wird ein Schuh daraus: Diejenigen, die sagen, man müsse weiter kämpfen, man müsse mehr und schwerere Waffen liefern, denen fehlt es manchmal an Empathie. Häuser und Städte kann man trotz dieser gewaltigen Zerstörungen wieder aufbauen. Die Toten eines Krieges aber kann man nicht wieder zum Leben erwecken. Die zerstörten Seelen bleiben für immer schwer gezeichnet. 

Im Baltikum und Polen teilt man diese Sicht nicht – und auch die Bundeswehr reagiert mit der Entsendung von Tausenden Soldaten nach Litauen auf die russische Aggression. Der richtige Schritt?

Ich kann die Sorge der drei baltischen Republiken und auch von Polen nachvollziehen, nicht nur aus historischen Gründen. Trotzdem setzt die Entsendung der Litauen-Brigade stark auf Symbolpolitik – wobei fraglich ist, ob sie wirklich die erwünschte Abschreckungskomponente entfalten kann.

Sind Sie mit der Arbeit von Verteidigungsminister Pistorius zufrieden, den sich manche ja sogar als Bundeskanzler wünschen?

Es standen sicherlich andere vor ihm an der Spitze dieses Ministeriums, die weniger kompetent waren. Dass Boris Pistorius nun vergleichsweise große Popularität genießt, sagt auch etwas über die gesellschaftlichen Veränderungen aus – in der Vergangenheit zählten Verteidigungsminister nicht zu den beliebtesten Ressortchefs. Die Forderung, Deutschland müsse kriegstüchtig sein, hätte im Jahre 1999 ein Verteidigungsminister sicherlich kaum gestellt, auch wenn sich die Bundeswehr damals am Kosovo-Krieg beteiligte.

Sie lehnen den Begriff ab?

Ja. Ich fordere vor allem mehr Nachdenklichkeit und in der Wortwahl mehr Vorsicht. Das Wort Kriegstüchtigkeit ist schon historisch kein gutes, auch wenn es aktuell mehrheitsfähig geworden zu sein scheint. Zu dieser Mehrheit möchte ich nicht gehören. Deutschland muss nicht kriegstüchtig sein. Wir sollten weit vorn sein, wenn es um Diplomatie und Abrüstung geht.

Aber verteidigungsfähig muss Deutschland aus Ihrer Sicht schon sein?

Ja, ich bin für eine angemessene Ausstattung der Bundeswehr, damit sie ihre im Grundgesetz verankerten Aufgaben erfüllen kann. Und gleichzeitig sehr dafür, dass die Begriffe Abrüstung und Diplomatie einen hohen Stellenwert behalten. Aber natürlich ist es absurd zu fordern, Deutschland schafft die Armee ab. Costa Rica hat das einst gemacht, aber das ist in Deutschland nicht zeitgemäß.

Seit dem Terrorüberfall der Hamas hat Deutschland Waffenlieferungen in Höhe von mehr als 300 Millionen Euro nach Israel genehmigt. Die richtige Entscheidung?

Das ist sicherlich eine der Fragen, die die Linke in Ernsthaftigkeit über ihre bisherigen Positionen diskutieren muss. Ich vertrete hier seit längerem eine Minderheitsposition in der Linken. Zugleich dürfen wir nicht ignorieren, dass Deutschland zurecht mit einer humanitären Brücke und der Lieferung von Lebensmitteln in den Gazastreifen Hilfe realisiert hat, die direkt den Menschen zugutekommt.

Bei der Abwehr des iranischen Angriffs auf Israel im April hat die Bundeswehr keine Unterstützung geleistet – trotz der viel zitierten Staatsräson.

Ich finde es gut und richtig, dass es eine breite Allianz bei der Abwehr des iranischen Angriffs gab, die von Deutschland im Rahmen der vorhandenen Mandate unterstützt wurde. Trotzdem muss das Ziel klar sein, dass es neben einem sicheren, souveränen Staat Israel auch einen souveränen, sicheren Staat Palästina geben muss. Wir haben bei dem brutalen Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 schmerzhaft zur Kenntnis nehmen müssen, dass es eingefrorene Konflikte nicht dauerhaft gibt. Es ist notwendig, politische Lösungen zu finden.

  • Die Linke
  • Rüstungsexporte
  • Sicherheitspolitik
  • Ukraine-Krieg
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Nato-Ostseeanrainer: Polen gibt Blockadehaltung gegen Deutschland auf

Lange war innerhalb der Nato die Frage offen, wer die militärische Verantwortung für die Ostsee übernehmen soll. Jetzt scheinen sich die Staaten einig geworden zu sein: Deutschland wird als Commander Task Force Baltic” (CTF Baltic) diese Führungsrolle übernehmen. Wer das Zwei-Sterne-Hauptquartier führen wird, lässt die Marine bislang offen und spricht offiziell nur von einem deutschen Konteradmiral.

Am wahrscheinlichsten ist die Besetzung des Postens mit Konteradmiral Stephan Haisch, seit 2023 Zwei-Sterne-Admiral und aktuell Kommandeur Einsatzkräfte und Abteilungsleiter Einsatz im Marinekommando Rostock (DEU MARFOR), das künftig der Nato als Ostsee-Hauptquartier dienen soll.

Polen hatte die Entscheidung für Deutschland unter der PiS-Regierung blockiert und selbst auf eine Führungsrolle gepocht. Allerdings hatte Warschau seine Absichten nie mit Taten hinterlegt. Aufgabe wird es unter anderem sein, die acht nationalen maritimen Verteidigungspläne der Ostsee-Anrainerstaaten zu einem zu vereinen und diesen in multinationalen Manövern zu trainieren.

Auch die Daueraufgabe der Unter- und Überwasser-Lagebilderstellung, etwa um verdächtiges Verhalten russischer Schiffe rund um maritime Infrastruktur schneller zu detektieren, soll mit der neuen Task Force künftig besser koordiniert werden. 

Deutschland auf Führungsrolle vorbereitet

“Das CTF Baltic wird somit eine bedeutende Rolle für die Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses in der zentralen Region Ostsee einnehmen”, sagt Richard Kesten, stellvertretender Kommandeur des multinational aufgestellten militärischen Führungsstab German Maritime Forces Staff (DEU MARFOR) in Rostock. 

Der endgültige Zeitpunkt der Entscheidung über Deutschlands Führungsrolle hängt von der laufenden Überarbeitung der Nato-Kommandostruktur ab, welche im Nordatlantikrat noch nicht abschließend gebilligt ist. Nach aktueller Nato-Planung wäre CTF Baltic eines von fünf regionalen maritimen Hauptquartieren auf taktischer Ebene und damit dem Allied Maritime Command (MARCOM) im britischen Northwood unterstellt.

Rostock soll Sitz von Kommando werden

Die Deutsche Marine hatte bereits im Herbst 2023 ihre Einsatzbereitschaft für die Führungsrolle gegenüber der Nato angezeigt. Erst unter dem neuen Ministerpräsidenten Donald Tusk gab Warschau seine Blockadehaltung dagegen auf – und bietet nun selbst eine polnische Beteiligung auch unter deutscher Führung an. Zu einem späteren Zeitpunkt erwäge Polen, die Führung selbst zu übernehmen, heißt es von Seiten der Marine. 

Aus Kreisen des Verteidigungsministeriums ist zu hören, dass man sich in der Nato darauf geeinigt habe, dass Deutschland die notwendige Infrastruktur für das neue Führungselement erst einmal nur für fünf Jahre stellen soll. So hätte Polen theoretisch weiterhin die Chance darauf, diese Führungsrolle ins eigene Land zu holen. 

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Völkerrechtswidrige Einberufung: Wenn Soldaten nur “Kanonenfutter” sind

Fällt das Wort “Kanonenfutter”, denkt man oft an den Stellungskrieg in Verdun im Ersten Weltkrieg oder die Schlacht um Stalingrad im Winter 1942/43. Das Wort steht für eine Kriegstaktik, die ohne Rücksicht auf Verluste das Leben von Soldaten riskiert. Für Saira Mohamed, Rechtsprofessorin an der University of California in Berkeley, erfährt der Begriff angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine allerdings eine Renaissance.

Auch wenn das internationale Recht diesen Begriff nicht kennt, nutzt die Juristin ihn für ihr Forschungsgebiet, das sie an der Uni in Berkeley etabliert hat: die Menschenrechte von Soldaten. Sie will das Bewusstsein dafür schärfen, so erklärt sie im Gespräch mit Table.Briefings, dass hier rechtliche Lücken klaffen. “Was sollen wir von der Tatsache halten, dass das Gesetz keinen Namen für die Personen hat, die gezwungen sind, für Russland zu kämpfen, ihre Familien zu verlassen, und gezwungen werden, für diesen Angriffskrieg zu sterben?”

Nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums sind bislang insgesamt 355.000 russische Soldaten getötet oder verwundet worden. Die BBC und die unabhängige Mediengruppe Mediazona haben die Namen von 50.000 russischen Gefallenen identifiziert.

Russland handelt bei Einberufung völkerrechtswidrig

Für Mohamed handelt der russische Staat völkerrechtswidrig, wenn er immer mehr Männer in den Kriegsdienst zwingt. Laut Völkerrecht darf ein Staat zwar seine erwachsenen Bürger zum Militärdienst einberufen. Das Recht, einen Krieg zu führen, so die Juristin, sei ein “Merkmal von Souveränität”. Allerdings zweifelt sie an, ob dies auch für einen Angriffskrieg gelte. Selbst wenn Russlands Kriegsdienst-Praxis vom internationalen Recht geächtet werden würde, könne man nicht davon ausgehen, dass dies die gängige Vorgehensweise ändern werde.

“Aber es würde der Vorstellung widersprechen, dass jemand, sobald er Soldat wird, seine Menschlichkeit verliert und sein Recht auf Schutz vor einem missbräuchlichen Staat opfert und nicht mehr darauf zählen kann, dass eine internationale Gemeinschaft diesen Missbrauch auch nur beim Namen nennt.”

Fragen zu den Menschenrechten von Soldaten betreffen laut Mohamed allerdings nicht nur Unrechtsregime wie Russland. Ihr bald erscheinendes Buch, das sie als Stipendiatin an der American Academy in Berlin geschrieben hat, hinterfragt auch die Erwartungen, die an Soldaten gestellt werden. Allen voran die nach “unbedingtem Gehorsam”. Militärische Führungskräfte, die ihre Untergebenen dazu zwingen, sich gesetzeswidrig zu verhalten, gebe es nicht nur in Unrechtsstaaten.

Soldaten müssen ihr Leben nicht immer riskieren

Das Konzept der “Inneren Führung”, das in der Bundeswehr gilt, kennt keinen “unbedingten Gehorsam”: “Die letzte Entscheidungsinstanz bleibt das Gewissen jedes Einzelnen.” Ein Soldat kann demnach einen Befehl verweigern. Ein Prinzip, das das US-amerikanische Militär nicht kennt. Und hier stelle sich die Frage, so Mohamed, wer schuldig sei, wenn ein Soldat einen Zivilisten foltert, weil ihm dies befohlen wurde. Die Juristin verweist in diesem Zusammenhang auf die “Gloves off”-Doktrin des ehemaligen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld. Er gab nachweislich die Order, bei der Befragung von Gefangenen im irakischen Abu Ghraib die “Samthandschuhe” abzulegen.

Bislang regelt das humanitäre Völkerrecht und insbesondere die vier Genfer Abkommen mit ihren Zusatzprotokollen, wie mit Zivilisten, Verwundeten und Kriegsgefangenen umzugehen ist. Rechtswissenschaftlerin Mohamed fordert, dass auch die Rechte von Soldaten dort aufgenommen werden sollten, die im Rahmen eines Angriffskrieges zu einem Kriegsdienst gezwungen werden. Dann hätte der Internationale Gerichtshof unter Umständen die Möglichkeit, diese Verletzungen der Menschenrechte von Soldaten zu verurteilen. Allerdings erkennen Staaten wie die USA, Israel, Russland und China den Gerichtshof in Den Haag nicht an.

Gerade wenn – wie aktuell in Deutschland – über die Einführung einer Dienst- oder Wehrpflicht debattiert werde, müssten auch Fragen nach der “Opferbereitschaft” von Soldaten diskutiert werden. Das Todesrisiko zu akzeptieren, gehöre zum Job eines Soldaten, erklärt Mohamed. Allerdings müssten Soldaten ihr Leben nicht um jeden Preis riskieren. Hier werde der Begriff “Opferbereitschaft” mit “Kanonenfutter” verwechselt.

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News

Migration: Libanon soll mit EU-Geld syrische Flüchtlinge zurückhalten

Die EU stellt dem Libanon über die nächsten drei Jahre Finanzhilfen in der Höhe von insgesamt einer Milliarde Euro zur Verfügung, wie Ursula von der Leyen am Donnerstag nach einem Treffen mit Premierminister Naji Mikati in Beirut bestätigte. Die Mittel sollen dazu dienen, den Libanon zu stabilisieren und die Zahl syrischer Flüchtlinge, die mit Booten nach Zypern übersetzen, zu reduzieren. Die Kommissionspräsidentin war zusammen mit Zyperns Präsident Nikos Christodoulides in den Libanon gereist.

Zwei Drittel der Mittel, beziehungsweise 736 Millionen Euro, sollen in die Steuerung der Migration und die Betreuung der syrischen Flüchtlinge fließen. Die Gelder sollen für Schulen und für das Gesundheitssystem zur Verfügung stehen. Unterstützung gibt es aber auch für Grenzbehörden und die Streitkräfte. Es gehe vor allem um die Bereitstellung von Ausrüstung und Ausbildung, sagte Ursula von der Leyen in Beirut. Teil der Vereinbarung ist auch, dass die EU legale Wege nach Europa offen hält und mithilft, Flüchtlinge aus dem Libanon in Mitgliedstaaten umzusiedeln, wie die Kommissionspräsidentin betonte.

Ähnliche Abkommen gibt es mit Tunesien und Ägypten

Ein Drittel oder 264 Millionen Euro fließen über das EU-Instrument der Nachbarschaftspolitik (NIDICI) in Programme, die zur Stabilisierung des Landes beitragen sollen. Bei der EU-Kommission wird betont, dass die Mittel nicht aus Umschichtungen stammen. Es gehe um neue Gelder, die bei der jüngsten Revision des MFR unter anderem für den Bereich der Migration reserviert worden seien. Hintergrund der Hilfen nach dem Modell ähnlicher Vereinbarungen mit Tunesien oder Ägypten ist die Tatsache, dass in den letzten Monaten fast täglich Dutzende bis Hunderte Syrer aus dem gut 160 Kilometer entfernten Libanon mit Booten in Zypern angekommen sind. Die Behörden der Inselrepublik haben seit Anfang des Jahres 4000 Migranten gezählt, ein vielfaches mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres.

“Wir können nicht einfach weiter business as usual machen”, sagte Zyperns Präsident Christodoulidis. Die Situation sei weder für den Libanon noch für Zypern akzeptabel. Libanons Regierungschef Mikati zog ebenfalls klare Grenzen. Sein Land könne nicht zum “alternativen Heimatland” für syrische Flüchtlinge werden. Behörden und Sicherheitskräfte im Libanon haben zuletzt den Druck auf Syrer massiv erhöht, in ihre Heimat zurückzukehren. Libanons Regierungschef und Zyperns Präsident forderten beide, die Lage in Syrien mit Blick auf die Sicherheitslage neu zu evaluieren, ob Flüchtlinge nicht in bestimmte Regionen zurückkehren könnten. sti

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Wehretat: Ampel-Streit um Finanzierung geht weiter

Bis Donnerstag hatten die Ressorts Zeit, dem Finanzministerium ihre Sparvorschläge für den Haushalt 2025 zu übermitteln. Während die Meldungen der meisten Ministerien noch nicht öffentlich geworden sind, läuft Boris Pistorius bereits seit Wochen mit der Forderung nach mindestens 6,5 Milliarden Euro mehr im Etat 2025 durch die deutschen Talkshows.

Dass im Verteidigungsministerium mit Blick auf die aktuelle Sicherheitslage und den maroden Zustand der Bundeswehr nicht gespart werden kann, da sind sich die meisten einig – auseinander gehen die Meinungen in der Ampel-Regierung allerdings in der Frage, wo das Geld herkommen soll.

Verteidigungsminister Boris Pistorius selbst will einen “sozialen Kahlschlag” vermeiden, der die Gesellschaft auseinandertreibe und unliebsame Parteien fördere und hat dabei die Grünen an seiner Seite. Währenddessen fordert die FDP ein Moratorium für Sozialausgaben.

FDP diskutiert intern noch

Spätestens seit dem FDP-Parteitag scheint es für die Partei wieder vor allem eine Lösung für alle Probleme zu geben: Wirtschaftswachstum. Alexander Müller, Sprecher für Verteidigungspolitik der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, sagte gegenüber Table.Briefings, dass es “mehr Spielräume” gebe, wenn Deutschland wieder eine Wachstumsrate von 1 bis 2 Prozent erreiche. Der 12-Punkte-Plan seines Parteichefs liefere dafür die richtigen Impulse.

Es gehe darum, Prioritäten zu setzen, so Müller. Derzeit werden Subventionen “nur so rausgehauen”. Damit müsse Schluss sein. Das bedeutet: Keine Subventionen für Stahlfirmen, um die grüne Transformation zu meistern. Keine Subventionen für Energiefirmen, wie North Volt, aber auch keine zusätzlichen Sozialausgaben. Auch ein weiteres Sondervermögen lehnt die Partei bislang ab.

Doch ganz abgeschlossen scheinen die Diskussionen auch in der FDP noch nicht. Mit Gyde Jensen zeigte sich zumindest eine prominente Politikerin bereits offen für ein neues Bundeswehr-Sondervermögen. Aktuell werden viele Investitionen aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen finanziert, das aber 2028 auslaufen wird. Auch die Herauslösung des Verteidigungsetats aus der Schuldenbremse wurde hinter verschlossenen Türen als Option genannt.

Die Debatten sind ein weiterer Hinweis darauf, dass die Verhandlungen hart werden, die Christian Lindner bis zur Sommerpause führen muss. Grundlage für Lindners Streichliste ist der Finanzplan 2025, der Senkungen in den vier Kernressorts innerer und äußerer Sicherheit in Milliardenhöhe vorsieht – der Verteidigungshaushalt soll weiter bei etwa 52 Milliarden Euro liegen. wp

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Rüstung: So will Hofreiter gemeinsame Beschaffungen belohnen

In der aktuellen Diskussion über Anreize für gemeinsame europäische Rüstungsbeschaffungen will der grüne Bundestags-Abgeordnete Anton Hofreiter einen zusätzlichen EU-Fonds etablieren. Dieser Fonds solle die neue “Buy European”-Strategie der EU befördern. “Wenn mehrere EU-Mitgliedstaaten eine gemeinsame Beschaffung durchführen, erhalten sie 20 Prozent der Kosten der Beschaffung aus dem Fonds erstattet”, sagte der Vorsitzende des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union Table.Briefings.

Im März ist die Europäische Strategie für die Verteidigungsindustrie (EDIS) verabschiedet worden. Die Strategie zielt darauf ab, die Defizite in der Verteidigungsbereitschaft der EU zu beheben und soll die Regierungen der Mitgliedstaaten ermuntern, Rüstungsgüter vermehrt bei europäischen Herstellern zu beschaffen, um die Abhängigkeit von den USA zu verringern. Über ein Finanzierungsprogramm stehen zwischen 2025 und 2027 rund 1,5 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt zur Verfügung. Nicht viel Geld, wenn es um Waffenproduktion geht.

Offen ließ Hofreiter, welche Kriterien für diesen 20-prozentigen Rabatt gelten müssten, um “auf leichte und unbürokratische Weise gemeinsame Beschaffungen zu fördern”. Eines der Kriterien sollte sein, “dass mindestens 80 Prozent der Beschaffungssumme in Europa verausgabt wird”. In den letzten zwei Jahren sind rund 80 Prozent der europäischen Rüstungsgüter außerhalb der EU bestellt worden, davon allein 60 Prozent in den USA.

“Made in Europe” gelingt nur mit Deutschland und Frankreich

Die EU müsse bei der Finanzierung noch aktiver werden, erklärte der Vorsitzende des Ausschusses für Europäische Angelegenheiten im Bundestag. Nur so ließen sich Länder mit so unterschiedlichen Rüstungsindustrien wie Deutschland und Frankreich auf gemeinsame Vorhaben verpflichten. “Das ist die berühmte Karotte, die man der Industrie vor die Nase halten muss.”

Der Erfolg der Strategie wird auch davon abhängen, ob die Mitgliedstaaten und ihre Verteidigungsindustrien mitziehen. Ob es ein “Made in Europe” gibt, für das der französische Präsident Emmanuel Macron Ende April bei seiner zweiten Sorbonne-Rede geworben hat, liege nicht zuletzt an der Kooperation zwischen Deutschland und Frankreich. nana

  • Rüstung

Wehrpflicht: Warum die CDU die Debatte meidet

In wenigen Wochen will Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sein favorisiertes Modell für eine mögliche Wehrpflicht vorlegen; je nach Umfrage sind zwischen 52 Prozent und 66 Prozent der Bundesbürger für deren Wiedereinführung, doch in der CDU soll das Thema auf dem kommenden Parteitag eher klein gehalten werden. Die CDU kommt vom 6. bis 8. Mai in Berlin zusammen.

Laut einem Bericht der Welt empfiehlt die Parteispitze sogar “den Parteitagsdelegierten, alle Anträge abzulehnen, in denen die Wiedereinführung der Wehrpflicht auch nur erwogen wird”. So stimme das nicht, ist aus der CDU zu hören. Es gebe mehrere Anträge zu dem Thema, auch soll eine Debatte dazu ermöglicht werden.

Mehrere Gründe gibt es, warum die CDU dieses Thema nicht zu laut kommunizieren will. Selbst wenn die Mehrheit in Deutschland für den Wehrdienst ist und es einen breiten politischen Willen gäbe – es gibt keine Logistik, keine Bürokratie und auch keine Ausrüstung, die die Wiedereinführung der Wehrpflicht zeitnah ermöglichen würde.

Und dann gibt es noch mehrere wichtige Wahlen: Europa-Wahl, drei Landtagswahlen im Herbst und die Bundestagswahl im kommenden Jahr. Vor diesem Hintergrund wird das Thema Wehrpflicht offenbar als zu heikel eingeschätzt. Dabei ist das kein Geheimnis, dass Fachpolitiker in der Partei wie etwa Johann Wadephul und auch die Junge Union für deren Wiedereinführung sind, wenn auch in einer zu früher abgewandelten Form. vf

  • Bundeswehr
  • CDU
  • Wehrpflicht

Must-Reads

The Economist: Emmanuel Macron über seinen Bodentruppen-Vorstoß. Ausführliches Interview mit dem französischen Präsidenten, in dem er über die Reaktionen auf sein Nichtausschließen des Bodentruppen-Einsatzes in der Ukraine spricht, erklärt, was er mit seiner Sorbonne-Rede gemeint hat, und warum er seine Nato-Hirntod-Aussage von 2019 nicht bereut.

Internationale Politik: Eine ruhende Nato. Die europäische Abhängigkeit von Amerika in der Nato sei nicht nur militärisch, sondern auch politisch groß. Auch ohne einen formalen Austritt der USA, mit dem Donald Trump drohte, müssen sich die Europäer auf eine “stille” Teilhabe einstellen – und entsprechend den eigenen Beitrag vor allem durch eine Stärkung der militärischen Fähigkeiten erhöhen. Im Fokus steht dabei die Verteidigungsindustrie.

Financial Times: Eleven countries to breach EU deficit rules. Einige EU-Länder, die die Grenzen der Schuldenaufnahme überschritten haben, versuchen eine entsprechende Rüge der EU-Kommission zu umgehen. Ihr Argument: Die hohen Verteidigungsausgaben. Die Kommission werde nach den EU-Wahlen entscheiden.

Frankfurter Allgemeine Zeitung: Der mächtige Iron Dome – was gegen Bedrohungen aus der Luft hilft. Viele europäische Länder wollen seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine die Lücken in ihrer Luftverteidigung schließen. Michael Lauster vom Fraunhofer-Institut erklärt in einem Gastbeitrag, wie Luftverteidigung funktioniert, welche Waffensysteme welchen Luftraum abdecken und wie sie bei Angriffen umgangen werden können.

ZDF: USA werfen Russland Chemiewaffen-Einsatz vor. Es ist nicht der erste Vorwurf dieser Art, doch die Hinweise verdichten sich, dass die russische Armee chemische Kampfmittel gegen ukrainische Soldaten einsetzt. Dabei soll es sich neben Tränengas auch um ein giftiges Pestizid handeln.

Heads

Leon Eckert – “Selbstschutz ist kein Hexenwerk”

Leon Eckert sitzt für die Grünen im Bundestag.

Natürlich setzt er sich als Grüner für Erneuerbare Energien ein. Oder für den sauberen (Flug-)Verkehr. Gerade in seinem Heimatort Eching (Landkreis Freising) ist das ein Dauerthema – direkt am Verkehrsknotenpunkt A9/A92 und nur zehn Autominuten vom Münchner Flughafen entfernt gelegen.

Aber mehr noch brennt Eckert, Jahrgang 1995, für den Bevölkerungsschutz. In der Freizeit greift er bei der Freiwilligen Feuerwehr Eching zu Schere und Spreizer, auf dem politischen Parkett muss er verbal Katastrophen verhindern.

Die große Baustelle vor allem auf Landesebene sei, so Eckert, die Frage, wie man das System aus Freiwilligen und Ehrenamtlichen im Bevölkerungsschutz am Laufen halten kann. “Wir haben eines der besten Gefahrenabwehr-Systeme der Welt mit mehr als 1,7 Millionen ehrenamtlich tätigen und gut qualifizierten Menschen in der Reserve, das verschafft uns eine gute Durchhaltefähigkeit.”

Vorbereitungen und Übungen fehlen

Insgesamt wünscht er sich beim Thema Bevölkerungsschutz aber mehr Bewegung von oben: “Auf der ganz obersten Ebene bräuchten wir einen Verständniswandel hin zu mehr Resilienz.” Man müsse wegkommen vom Silo-Denken zwischen den Ressorts: “Es darf nicht sein, dass sich die einen für die Klimafolgenanpassung und Vorsorgemaßnahmen einsetzen, andere für die Bewältigung von Krisen und wieder andere dafür, Learnings in neue Mechanismen umzusetzen. Diese Punkte müssen von den Ressorts gemeinsam angegangen werden.”

Er kritisiert, dass auf die 2016 vom Innenministerium veröffentlichte Konzeption der Zivilen Verteidigung nie die nötigen Ausführungsdokumente gefolgt seien. “Es fehlt jetzt einfach die Ausbuchstabierung der Abläufe und Vorbereitungen. Das ist in den letzten 30 Jahre untergegangen.” Auch dass die Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung seit dem Jahr 1989 nicht mehr aktualisiert worden seien, zeige die fehlende Berücksichtigung ganz oben.

Selbstschutz liegt bei den Kommunen

Bevor Eckert 2021, mit 26 Jahren und ohne je vorher ein Parteiamt bei den Grünen innegehabt zu haben, für den Wahlkreis Freising in den Bundestag einzog, studierte er Geschichte und Betriebswirtschaftslehre in München. Zu den Grünen brachte ihn die bayerische schwarz-gelbe Landesregierung zehn Jahre zuvor, als diese sich für den Wiedereinstieg in die Atomkraft entschied und das Projekt “Dritte Start- und Landebahn am Münchner Flughafen” vorantrieb. Die Münchner sprachen sich damals bei einem Volksentscheid dagegen aus, das Projekt liegt seither auf Eis. Eckert ist Mitglied unter anderem im Innenausschuss und Ausschuss der Bürgerräte und stellvertretender Vorsitzender im Rechnungsprüfungsausschuss.

Nicht nur oben hält Eckert einen “Mindset-Change” für nötig. Jede und jeder einzelne müsse in der Lage sein, die ersten 36 Stunden nach einem “Ereignis”, wie es der passionierte Bevölkerungsschützer nennt, allein zurechtzukommen. “Eine Taschenlampe, etwas Wasser, etwas Nahrung – Selbstschutz ist kein Hexenwerk.”

Um das Bewusstsein dafür in die Breite zu bringen, bräuchte es in jeder Kommune, in jedem Landkreis eine Person, die sich um das Thema Selbstschutz in der Bevölkerung kümmere. “Aus meiner Beobachtung heraus stelle ich allerdings fest, dass viele Kommunen gar nicht wissen, dass sie für das Thema Selbstschutz überhaupt zuständig sind”, klagt Eckert. Es bleibt noch viel zu tun in angespannten Zeiten. Auch die dritte Start- und Landebahn will er mit den Grünen noch endgültig beerdigen. Lisa-Martina Klein

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  • Katastrophenschutz

Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

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    es ist ein kleiner Hoffnungsschimmer: Aus der Schweiz dringt die Nachricht durch, dass Russland eingebunden werden soll, wenn im Juni am Vierwaldstättersee etwa 160 Staats- und Regierungschefs über Wege zu einem Frieden in der Ukraine beraten. Der Kreml hatte bislang keine Einladung erhalten – auch wenn klar ist: Ohne Russland wird es keinen Frieden in der Ukraine geben.

    Zugleich sehen offenbar sogar Teile der historisch Russland-freundlichen Partei die Linke ein: Diplomatie allein reicht nicht aus. Die Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine teilt die Partei in der Mitte. Dietmar Bartsch, der gerade für seine Fraktion Mitglied im Verteidigungsausschuss geworden ist, fordert nun ein neues Nachdenken über den Export bestimmter Waffensysteme an die Ukraine – und lobt den Einsatz von Patriot-Abwehrraketen. Markus Bickel hat mit ihm über die Ukraine, aber auch Gaza und Israel gesprochen.

    Währenddessen ist Lisa-Martina Klein für Sie nach Rostock gereist und erklärt, welche Rolle Deutschland künftig an der Ostsee übernehmen wird und wie Polen dem nicht mehr im Wege steht.

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    Dietmar Bartsch: “Die Linke kann Waffenlieferungen nicht pauschal ablehnen”

    Dietmar Bartsch vertritt seit Februar die Bundestagsgruppe Die Linke im Verteidigungsausschuss.

    Herr Bartsch, finden Sie es richtig, dass die Ampel von ihrem im Koalitionsvertrag festgelegten Grundsatz abgewichen ist und nun Rüstungsgüter in das Kriegsgebiet Ukraine liefert?

    Nein. Aber für die Linke ist diese Frage eine der größten programmatisch-politischen Herausforderungen. So richtig unsere Forderung “keine Waffenlieferungen” grundsätzlich ist, können wir diese meines Erachtens nicht weiterhin einfach pauschal ablehnen. Jeder weiß, die Ukraine würde es ohne die Waffenlieferungen vieler Länder heute nicht mehr geben. Wenn man wie ich in Kiew und Charkiw war und gesehen hat, wie Drohnen und Raketen auf die Stadt zusteuern, dann ist man in dem Moment froh, dass es ein Patriot-Abwehrsystem gibt, das diese Drohnen in der Luft vernichtet. Wir müssen die Frage von Waffenlieferungen programmatisch und nicht emotional diskutieren.

    Das heißt, die militärische Unterstützung der Ukraine durch die Bundesregierung ist richtig?

    In der bundesdeutschen Linken gab es verschiedene Traditionen – ich erinnere daran, dass in den 1980er Jahren Geld für Waffen für Nicaragua und El Salvador gesammelt wurde. In den sich selbst so nennenden sozialistischen Ländern waren die Militärausgaben teilweise sehr hoch. Dennoch wird das, was die Grünen nun in der Regierung machen, nicht unsere Position sein – Kriege werden heute nicht durch mehr und schnellere Waffenlieferungen beendet, sondern durch Diplomatie.

    Außenministerin Baerbock bemüht sich darum, in Nahost wie in der Ukraine.

    Ich erwarte von der obersten Diplomatin Deutschlands, dass sie eben oberste Diplomatin ist und nicht als allererstes und immer wieder über die Lieferung von Waffen redet. Das ist ein Armutszeugnis. Deutschland hat sich leider als diplomatischer Player aus diesen Konflikten verabschiedet, das war übrigens schon einmal anders. Auch wenn man die Rolle, die der ehemalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei der Aushandlung der Minsker Abkommen oder bei den Konflikten in Georgien spielte, kritisieren kann, war Deutschland zumindest ein relevanter Akteur. Am Ende muss und wird es eine diplomatische Lösung dieses furchtbaren russischen Krieges in der Ukraine geben.

    Dafür wirbt auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, der für seine Formulierung eines “eingefrorenen Konflikts” harsch kritisiert wurde.

    Ich finde, dass Rolf Mützenich für seine Forderung, den Konflikt einzufrieren, um ihn dann zu beenden, völlig zu Unrecht aus allen Rohren beschossen worden ist. Was er gesagt hat, ist, dass man darüber nachdenken muss – das finde ich korrekt. Ich werbe seit langem für eine europäisch abgestimmte Friedensinitiative, wo vielleicht sogar Berlin ein Ort sein könnte, an dem die Konfliktparteien an einen Tisch geholt werden.

    Das würde voraussetzen, dass Russland überhaupt verhandeln will. Mangelt es Ihnen und anderen, die für Verhandlungen plädieren, angesichts des Vorgehens Putins nicht an Empathie für die überfallene Ukraine?

    Im Gegenteil – ich war bereits in der Ukraine, da gehörte sie noch zur Sowjetunion. Ich habe in Moskau promoviert zu einer Zeit, als es an der Akademie keine ernsthaften Konflikte zwischen Russen und Ukrainern gab. Andersherum wird ein Schuh daraus: Diejenigen, die sagen, man müsse weiter kämpfen, man müsse mehr und schwerere Waffen liefern, denen fehlt es manchmal an Empathie. Häuser und Städte kann man trotz dieser gewaltigen Zerstörungen wieder aufbauen. Die Toten eines Krieges aber kann man nicht wieder zum Leben erwecken. Die zerstörten Seelen bleiben für immer schwer gezeichnet. 

    Im Baltikum und Polen teilt man diese Sicht nicht – und auch die Bundeswehr reagiert mit der Entsendung von Tausenden Soldaten nach Litauen auf die russische Aggression. Der richtige Schritt?

    Ich kann die Sorge der drei baltischen Republiken und auch von Polen nachvollziehen, nicht nur aus historischen Gründen. Trotzdem setzt die Entsendung der Litauen-Brigade stark auf Symbolpolitik – wobei fraglich ist, ob sie wirklich die erwünschte Abschreckungskomponente entfalten kann.

    Sind Sie mit der Arbeit von Verteidigungsminister Pistorius zufrieden, den sich manche ja sogar als Bundeskanzler wünschen?

    Es standen sicherlich andere vor ihm an der Spitze dieses Ministeriums, die weniger kompetent waren. Dass Boris Pistorius nun vergleichsweise große Popularität genießt, sagt auch etwas über die gesellschaftlichen Veränderungen aus – in der Vergangenheit zählten Verteidigungsminister nicht zu den beliebtesten Ressortchefs. Die Forderung, Deutschland müsse kriegstüchtig sein, hätte im Jahre 1999 ein Verteidigungsminister sicherlich kaum gestellt, auch wenn sich die Bundeswehr damals am Kosovo-Krieg beteiligte.

    Sie lehnen den Begriff ab?

    Ja. Ich fordere vor allem mehr Nachdenklichkeit und in der Wortwahl mehr Vorsicht. Das Wort Kriegstüchtigkeit ist schon historisch kein gutes, auch wenn es aktuell mehrheitsfähig geworden zu sein scheint. Zu dieser Mehrheit möchte ich nicht gehören. Deutschland muss nicht kriegstüchtig sein. Wir sollten weit vorn sein, wenn es um Diplomatie und Abrüstung geht.

    Aber verteidigungsfähig muss Deutschland aus Ihrer Sicht schon sein?

    Ja, ich bin für eine angemessene Ausstattung der Bundeswehr, damit sie ihre im Grundgesetz verankerten Aufgaben erfüllen kann. Und gleichzeitig sehr dafür, dass die Begriffe Abrüstung und Diplomatie einen hohen Stellenwert behalten. Aber natürlich ist es absurd zu fordern, Deutschland schafft die Armee ab. Costa Rica hat das einst gemacht, aber das ist in Deutschland nicht zeitgemäß.

    Seit dem Terrorüberfall der Hamas hat Deutschland Waffenlieferungen in Höhe von mehr als 300 Millionen Euro nach Israel genehmigt. Die richtige Entscheidung?

    Das ist sicherlich eine der Fragen, die die Linke in Ernsthaftigkeit über ihre bisherigen Positionen diskutieren muss. Ich vertrete hier seit längerem eine Minderheitsposition in der Linken. Zugleich dürfen wir nicht ignorieren, dass Deutschland zurecht mit einer humanitären Brücke und der Lieferung von Lebensmitteln in den Gazastreifen Hilfe realisiert hat, die direkt den Menschen zugutekommt.

    Bei der Abwehr des iranischen Angriffs auf Israel im April hat die Bundeswehr keine Unterstützung geleistet – trotz der viel zitierten Staatsräson.

    Ich finde es gut und richtig, dass es eine breite Allianz bei der Abwehr des iranischen Angriffs gab, die von Deutschland im Rahmen der vorhandenen Mandate unterstützt wurde. Trotzdem muss das Ziel klar sein, dass es neben einem sicheren, souveränen Staat Israel auch einen souveränen, sicheren Staat Palästina geben muss. Wir haben bei dem brutalen Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 schmerzhaft zur Kenntnis nehmen müssen, dass es eingefrorene Konflikte nicht dauerhaft gibt. Es ist notwendig, politische Lösungen zu finden.

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    Nato-Ostseeanrainer: Polen gibt Blockadehaltung gegen Deutschland auf

    Lange war innerhalb der Nato die Frage offen, wer die militärische Verantwortung für die Ostsee übernehmen soll. Jetzt scheinen sich die Staaten einig geworden zu sein: Deutschland wird als Commander Task Force Baltic” (CTF Baltic) diese Führungsrolle übernehmen. Wer das Zwei-Sterne-Hauptquartier führen wird, lässt die Marine bislang offen und spricht offiziell nur von einem deutschen Konteradmiral.

    Am wahrscheinlichsten ist die Besetzung des Postens mit Konteradmiral Stephan Haisch, seit 2023 Zwei-Sterne-Admiral und aktuell Kommandeur Einsatzkräfte und Abteilungsleiter Einsatz im Marinekommando Rostock (DEU MARFOR), das künftig der Nato als Ostsee-Hauptquartier dienen soll.

    Polen hatte die Entscheidung für Deutschland unter der PiS-Regierung blockiert und selbst auf eine Führungsrolle gepocht. Allerdings hatte Warschau seine Absichten nie mit Taten hinterlegt. Aufgabe wird es unter anderem sein, die acht nationalen maritimen Verteidigungspläne der Ostsee-Anrainerstaaten zu einem zu vereinen und diesen in multinationalen Manövern zu trainieren.

    Auch die Daueraufgabe der Unter- und Überwasser-Lagebilderstellung, etwa um verdächtiges Verhalten russischer Schiffe rund um maritime Infrastruktur schneller zu detektieren, soll mit der neuen Task Force künftig besser koordiniert werden. 

    Deutschland auf Führungsrolle vorbereitet

    “Das CTF Baltic wird somit eine bedeutende Rolle für die Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses in der zentralen Region Ostsee einnehmen”, sagt Richard Kesten, stellvertretender Kommandeur des multinational aufgestellten militärischen Führungsstab German Maritime Forces Staff (DEU MARFOR) in Rostock. 

    Der endgültige Zeitpunkt der Entscheidung über Deutschlands Führungsrolle hängt von der laufenden Überarbeitung der Nato-Kommandostruktur ab, welche im Nordatlantikrat noch nicht abschließend gebilligt ist. Nach aktueller Nato-Planung wäre CTF Baltic eines von fünf regionalen maritimen Hauptquartieren auf taktischer Ebene und damit dem Allied Maritime Command (MARCOM) im britischen Northwood unterstellt.

    Rostock soll Sitz von Kommando werden

    Die Deutsche Marine hatte bereits im Herbst 2023 ihre Einsatzbereitschaft für die Führungsrolle gegenüber der Nato angezeigt. Erst unter dem neuen Ministerpräsidenten Donald Tusk gab Warschau seine Blockadehaltung dagegen auf – und bietet nun selbst eine polnische Beteiligung auch unter deutscher Führung an. Zu einem späteren Zeitpunkt erwäge Polen, die Führung selbst zu übernehmen, heißt es von Seiten der Marine. 

    Aus Kreisen des Verteidigungsministeriums ist zu hören, dass man sich in der Nato darauf geeinigt habe, dass Deutschland die notwendige Infrastruktur für das neue Führungselement erst einmal nur für fünf Jahre stellen soll. So hätte Polen theoretisch weiterhin die Chance darauf, diese Führungsrolle ins eigene Land zu holen. 

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    Völkerrechtswidrige Einberufung: Wenn Soldaten nur “Kanonenfutter” sind

    Fällt das Wort “Kanonenfutter”, denkt man oft an den Stellungskrieg in Verdun im Ersten Weltkrieg oder die Schlacht um Stalingrad im Winter 1942/43. Das Wort steht für eine Kriegstaktik, die ohne Rücksicht auf Verluste das Leben von Soldaten riskiert. Für Saira Mohamed, Rechtsprofessorin an der University of California in Berkeley, erfährt der Begriff angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine allerdings eine Renaissance.

    Auch wenn das internationale Recht diesen Begriff nicht kennt, nutzt die Juristin ihn für ihr Forschungsgebiet, das sie an der Uni in Berkeley etabliert hat: die Menschenrechte von Soldaten. Sie will das Bewusstsein dafür schärfen, so erklärt sie im Gespräch mit Table.Briefings, dass hier rechtliche Lücken klaffen. “Was sollen wir von der Tatsache halten, dass das Gesetz keinen Namen für die Personen hat, die gezwungen sind, für Russland zu kämpfen, ihre Familien zu verlassen, und gezwungen werden, für diesen Angriffskrieg zu sterben?”

    Nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums sind bislang insgesamt 355.000 russische Soldaten getötet oder verwundet worden. Die BBC und die unabhängige Mediengruppe Mediazona haben die Namen von 50.000 russischen Gefallenen identifiziert.

    Russland handelt bei Einberufung völkerrechtswidrig

    Für Mohamed handelt der russische Staat völkerrechtswidrig, wenn er immer mehr Männer in den Kriegsdienst zwingt. Laut Völkerrecht darf ein Staat zwar seine erwachsenen Bürger zum Militärdienst einberufen. Das Recht, einen Krieg zu führen, so die Juristin, sei ein “Merkmal von Souveränität”. Allerdings zweifelt sie an, ob dies auch für einen Angriffskrieg gelte. Selbst wenn Russlands Kriegsdienst-Praxis vom internationalen Recht geächtet werden würde, könne man nicht davon ausgehen, dass dies die gängige Vorgehensweise ändern werde.

    “Aber es würde der Vorstellung widersprechen, dass jemand, sobald er Soldat wird, seine Menschlichkeit verliert und sein Recht auf Schutz vor einem missbräuchlichen Staat opfert und nicht mehr darauf zählen kann, dass eine internationale Gemeinschaft diesen Missbrauch auch nur beim Namen nennt.”

    Fragen zu den Menschenrechten von Soldaten betreffen laut Mohamed allerdings nicht nur Unrechtsregime wie Russland. Ihr bald erscheinendes Buch, das sie als Stipendiatin an der American Academy in Berlin geschrieben hat, hinterfragt auch die Erwartungen, die an Soldaten gestellt werden. Allen voran die nach “unbedingtem Gehorsam”. Militärische Führungskräfte, die ihre Untergebenen dazu zwingen, sich gesetzeswidrig zu verhalten, gebe es nicht nur in Unrechtsstaaten.

    Soldaten müssen ihr Leben nicht immer riskieren

    Das Konzept der “Inneren Führung”, das in der Bundeswehr gilt, kennt keinen “unbedingten Gehorsam”: “Die letzte Entscheidungsinstanz bleibt das Gewissen jedes Einzelnen.” Ein Soldat kann demnach einen Befehl verweigern. Ein Prinzip, das das US-amerikanische Militär nicht kennt. Und hier stelle sich die Frage, so Mohamed, wer schuldig sei, wenn ein Soldat einen Zivilisten foltert, weil ihm dies befohlen wurde. Die Juristin verweist in diesem Zusammenhang auf die “Gloves off”-Doktrin des ehemaligen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld. Er gab nachweislich die Order, bei der Befragung von Gefangenen im irakischen Abu Ghraib die “Samthandschuhe” abzulegen.

    Bislang regelt das humanitäre Völkerrecht und insbesondere die vier Genfer Abkommen mit ihren Zusatzprotokollen, wie mit Zivilisten, Verwundeten und Kriegsgefangenen umzugehen ist. Rechtswissenschaftlerin Mohamed fordert, dass auch die Rechte von Soldaten dort aufgenommen werden sollten, die im Rahmen eines Angriffskrieges zu einem Kriegsdienst gezwungen werden. Dann hätte der Internationale Gerichtshof unter Umständen die Möglichkeit, diese Verletzungen der Menschenrechte von Soldaten zu verurteilen. Allerdings erkennen Staaten wie die USA, Israel, Russland und China den Gerichtshof in Den Haag nicht an.

    Gerade wenn – wie aktuell in Deutschland – über die Einführung einer Dienst- oder Wehrpflicht debattiert werde, müssten auch Fragen nach der “Opferbereitschaft” von Soldaten diskutiert werden. Das Todesrisiko zu akzeptieren, gehöre zum Job eines Soldaten, erklärt Mohamed. Allerdings müssten Soldaten ihr Leben nicht um jeden Preis riskieren. Hier werde der Begriff “Opferbereitschaft” mit “Kanonenfutter” verwechselt.

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    Migration: Libanon soll mit EU-Geld syrische Flüchtlinge zurückhalten

    Die EU stellt dem Libanon über die nächsten drei Jahre Finanzhilfen in der Höhe von insgesamt einer Milliarde Euro zur Verfügung, wie Ursula von der Leyen am Donnerstag nach einem Treffen mit Premierminister Naji Mikati in Beirut bestätigte. Die Mittel sollen dazu dienen, den Libanon zu stabilisieren und die Zahl syrischer Flüchtlinge, die mit Booten nach Zypern übersetzen, zu reduzieren. Die Kommissionspräsidentin war zusammen mit Zyperns Präsident Nikos Christodoulides in den Libanon gereist.

    Zwei Drittel der Mittel, beziehungsweise 736 Millionen Euro, sollen in die Steuerung der Migration und die Betreuung der syrischen Flüchtlinge fließen. Die Gelder sollen für Schulen und für das Gesundheitssystem zur Verfügung stehen. Unterstützung gibt es aber auch für Grenzbehörden und die Streitkräfte. Es gehe vor allem um die Bereitstellung von Ausrüstung und Ausbildung, sagte Ursula von der Leyen in Beirut. Teil der Vereinbarung ist auch, dass die EU legale Wege nach Europa offen hält und mithilft, Flüchtlinge aus dem Libanon in Mitgliedstaaten umzusiedeln, wie die Kommissionspräsidentin betonte.

    Ähnliche Abkommen gibt es mit Tunesien und Ägypten

    Ein Drittel oder 264 Millionen Euro fließen über das EU-Instrument der Nachbarschaftspolitik (NIDICI) in Programme, die zur Stabilisierung des Landes beitragen sollen. Bei der EU-Kommission wird betont, dass die Mittel nicht aus Umschichtungen stammen. Es gehe um neue Gelder, die bei der jüngsten Revision des MFR unter anderem für den Bereich der Migration reserviert worden seien. Hintergrund der Hilfen nach dem Modell ähnlicher Vereinbarungen mit Tunesien oder Ägypten ist die Tatsache, dass in den letzten Monaten fast täglich Dutzende bis Hunderte Syrer aus dem gut 160 Kilometer entfernten Libanon mit Booten in Zypern angekommen sind. Die Behörden der Inselrepublik haben seit Anfang des Jahres 4000 Migranten gezählt, ein vielfaches mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres.

    “Wir können nicht einfach weiter business as usual machen”, sagte Zyperns Präsident Christodoulidis. Die Situation sei weder für den Libanon noch für Zypern akzeptabel. Libanons Regierungschef Mikati zog ebenfalls klare Grenzen. Sein Land könne nicht zum “alternativen Heimatland” für syrische Flüchtlinge werden. Behörden und Sicherheitskräfte im Libanon haben zuletzt den Druck auf Syrer massiv erhöht, in ihre Heimat zurückzukehren. Libanons Regierungschef und Zyperns Präsident forderten beide, die Lage in Syrien mit Blick auf die Sicherheitslage neu zu evaluieren, ob Flüchtlinge nicht in bestimmte Regionen zurückkehren könnten. sti

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    Wehretat: Ampel-Streit um Finanzierung geht weiter

    Bis Donnerstag hatten die Ressorts Zeit, dem Finanzministerium ihre Sparvorschläge für den Haushalt 2025 zu übermitteln. Während die Meldungen der meisten Ministerien noch nicht öffentlich geworden sind, läuft Boris Pistorius bereits seit Wochen mit der Forderung nach mindestens 6,5 Milliarden Euro mehr im Etat 2025 durch die deutschen Talkshows.

    Dass im Verteidigungsministerium mit Blick auf die aktuelle Sicherheitslage und den maroden Zustand der Bundeswehr nicht gespart werden kann, da sind sich die meisten einig – auseinander gehen die Meinungen in der Ampel-Regierung allerdings in der Frage, wo das Geld herkommen soll.

    Verteidigungsminister Boris Pistorius selbst will einen “sozialen Kahlschlag” vermeiden, der die Gesellschaft auseinandertreibe und unliebsame Parteien fördere und hat dabei die Grünen an seiner Seite. Währenddessen fordert die FDP ein Moratorium für Sozialausgaben.

    FDP diskutiert intern noch

    Spätestens seit dem FDP-Parteitag scheint es für die Partei wieder vor allem eine Lösung für alle Probleme zu geben: Wirtschaftswachstum. Alexander Müller, Sprecher für Verteidigungspolitik der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, sagte gegenüber Table.Briefings, dass es “mehr Spielräume” gebe, wenn Deutschland wieder eine Wachstumsrate von 1 bis 2 Prozent erreiche. Der 12-Punkte-Plan seines Parteichefs liefere dafür die richtigen Impulse.

    Es gehe darum, Prioritäten zu setzen, so Müller. Derzeit werden Subventionen “nur so rausgehauen”. Damit müsse Schluss sein. Das bedeutet: Keine Subventionen für Stahlfirmen, um die grüne Transformation zu meistern. Keine Subventionen für Energiefirmen, wie North Volt, aber auch keine zusätzlichen Sozialausgaben. Auch ein weiteres Sondervermögen lehnt die Partei bislang ab.

    Doch ganz abgeschlossen scheinen die Diskussionen auch in der FDP noch nicht. Mit Gyde Jensen zeigte sich zumindest eine prominente Politikerin bereits offen für ein neues Bundeswehr-Sondervermögen. Aktuell werden viele Investitionen aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen finanziert, das aber 2028 auslaufen wird. Auch die Herauslösung des Verteidigungsetats aus der Schuldenbremse wurde hinter verschlossenen Türen als Option genannt.

    Die Debatten sind ein weiterer Hinweis darauf, dass die Verhandlungen hart werden, die Christian Lindner bis zur Sommerpause führen muss. Grundlage für Lindners Streichliste ist der Finanzplan 2025, der Senkungen in den vier Kernressorts innerer und äußerer Sicherheit in Milliardenhöhe vorsieht – der Verteidigungshaushalt soll weiter bei etwa 52 Milliarden Euro liegen. wp

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    Rüstung: So will Hofreiter gemeinsame Beschaffungen belohnen

    In der aktuellen Diskussion über Anreize für gemeinsame europäische Rüstungsbeschaffungen will der grüne Bundestags-Abgeordnete Anton Hofreiter einen zusätzlichen EU-Fonds etablieren. Dieser Fonds solle die neue “Buy European”-Strategie der EU befördern. “Wenn mehrere EU-Mitgliedstaaten eine gemeinsame Beschaffung durchführen, erhalten sie 20 Prozent der Kosten der Beschaffung aus dem Fonds erstattet”, sagte der Vorsitzende des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union Table.Briefings.

    Im März ist die Europäische Strategie für die Verteidigungsindustrie (EDIS) verabschiedet worden. Die Strategie zielt darauf ab, die Defizite in der Verteidigungsbereitschaft der EU zu beheben und soll die Regierungen der Mitgliedstaaten ermuntern, Rüstungsgüter vermehrt bei europäischen Herstellern zu beschaffen, um die Abhängigkeit von den USA zu verringern. Über ein Finanzierungsprogramm stehen zwischen 2025 und 2027 rund 1,5 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt zur Verfügung. Nicht viel Geld, wenn es um Waffenproduktion geht.

    Offen ließ Hofreiter, welche Kriterien für diesen 20-prozentigen Rabatt gelten müssten, um “auf leichte und unbürokratische Weise gemeinsame Beschaffungen zu fördern”. Eines der Kriterien sollte sein, “dass mindestens 80 Prozent der Beschaffungssumme in Europa verausgabt wird”. In den letzten zwei Jahren sind rund 80 Prozent der europäischen Rüstungsgüter außerhalb der EU bestellt worden, davon allein 60 Prozent in den USA.

    “Made in Europe” gelingt nur mit Deutschland und Frankreich

    Die EU müsse bei der Finanzierung noch aktiver werden, erklärte der Vorsitzende des Ausschusses für Europäische Angelegenheiten im Bundestag. Nur so ließen sich Länder mit so unterschiedlichen Rüstungsindustrien wie Deutschland und Frankreich auf gemeinsame Vorhaben verpflichten. “Das ist die berühmte Karotte, die man der Industrie vor die Nase halten muss.”

    Der Erfolg der Strategie wird auch davon abhängen, ob die Mitgliedstaaten und ihre Verteidigungsindustrien mitziehen. Ob es ein “Made in Europe” gibt, für das der französische Präsident Emmanuel Macron Ende April bei seiner zweiten Sorbonne-Rede geworben hat, liege nicht zuletzt an der Kooperation zwischen Deutschland und Frankreich. nana

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    Wehrpflicht: Warum die CDU die Debatte meidet

    In wenigen Wochen will Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sein favorisiertes Modell für eine mögliche Wehrpflicht vorlegen; je nach Umfrage sind zwischen 52 Prozent und 66 Prozent der Bundesbürger für deren Wiedereinführung, doch in der CDU soll das Thema auf dem kommenden Parteitag eher klein gehalten werden. Die CDU kommt vom 6. bis 8. Mai in Berlin zusammen.

    Laut einem Bericht der Welt empfiehlt die Parteispitze sogar “den Parteitagsdelegierten, alle Anträge abzulehnen, in denen die Wiedereinführung der Wehrpflicht auch nur erwogen wird”. So stimme das nicht, ist aus der CDU zu hören. Es gebe mehrere Anträge zu dem Thema, auch soll eine Debatte dazu ermöglicht werden.

    Mehrere Gründe gibt es, warum die CDU dieses Thema nicht zu laut kommunizieren will. Selbst wenn die Mehrheit in Deutschland für den Wehrdienst ist und es einen breiten politischen Willen gäbe – es gibt keine Logistik, keine Bürokratie und auch keine Ausrüstung, die die Wiedereinführung der Wehrpflicht zeitnah ermöglichen würde.

    Und dann gibt es noch mehrere wichtige Wahlen: Europa-Wahl, drei Landtagswahlen im Herbst und die Bundestagswahl im kommenden Jahr. Vor diesem Hintergrund wird das Thema Wehrpflicht offenbar als zu heikel eingeschätzt. Dabei ist das kein Geheimnis, dass Fachpolitiker in der Partei wie etwa Johann Wadephul und auch die Junge Union für deren Wiedereinführung sind, wenn auch in einer zu früher abgewandelten Form. vf

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    Must-Reads

    The Economist: Emmanuel Macron über seinen Bodentruppen-Vorstoß. Ausführliches Interview mit dem französischen Präsidenten, in dem er über die Reaktionen auf sein Nichtausschließen des Bodentruppen-Einsatzes in der Ukraine spricht, erklärt, was er mit seiner Sorbonne-Rede gemeint hat, und warum er seine Nato-Hirntod-Aussage von 2019 nicht bereut.

    Internationale Politik: Eine ruhende Nato. Die europäische Abhängigkeit von Amerika in der Nato sei nicht nur militärisch, sondern auch politisch groß. Auch ohne einen formalen Austritt der USA, mit dem Donald Trump drohte, müssen sich die Europäer auf eine “stille” Teilhabe einstellen – und entsprechend den eigenen Beitrag vor allem durch eine Stärkung der militärischen Fähigkeiten erhöhen. Im Fokus steht dabei die Verteidigungsindustrie.

    Financial Times: Eleven countries to breach EU deficit rules. Einige EU-Länder, die die Grenzen der Schuldenaufnahme überschritten haben, versuchen eine entsprechende Rüge der EU-Kommission zu umgehen. Ihr Argument: Die hohen Verteidigungsausgaben. Die Kommission werde nach den EU-Wahlen entscheiden.

    Frankfurter Allgemeine Zeitung: Der mächtige Iron Dome – was gegen Bedrohungen aus der Luft hilft. Viele europäische Länder wollen seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine die Lücken in ihrer Luftverteidigung schließen. Michael Lauster vom Fraunhofer-Institut erklärt in einem Gastbeitrag, wie Luftverteidigung funktioniert, welche Waffensysteme welchen Luftraum abdecken und wie sie bei Angriffen umgangen werden können.

    ZDF: USA werfen Russland Chemiewaffen-Einsatz vor. Es ist nicht der erste Vorwurf dieser Art, doch die Hinweise verdichten sich, dass die russische Armee chemische Kampfmittel gegen ukrainische Soldaten einsetzt. Dabei soll es sich neben Tränengas auch um ein giftiges Pestizid handeln.

    Heads

    Leon Eckert – “Selbstschutz ist kein Hexenwerk”

    Leon Eckert sitzt für die Grünen im Bundestag.

    Natürlich setzt er sich als Grüner für Erneuerbare Energien ein. Oder für den sauberen (Flug-)Verkehr. Gerade in seinem Heimatort Eching (Landkreis Freising) ist das ein Dauerthema – direkt am Verkehrsknotenpunkt A9/A92 und nur zehn Autominuten vom Münchner Flughafen entfernt gelegen.

    Aber mehr noch brennt Eckert, Jahrgang 1995, für den Bevölkerungsschutz. In der Freizeit greift er bei der Freiwilligen Feuerwehr Eching zu Schere und Spreizer, auf dem politischen Parkett muss er verbal Katastrophen verhindern.

    Die große Baustelle vor allem auf Landesebene sei, so Eckert, die Frage, wie man das System aus Freiwilligen und Ehrenamtlichen im Bevölkerungsschutz am Laufen halten kann. “Wir haben eines der besten Gefahrenabwehr-Systeme der Welt mit mehr als 1,7 Millionen ehrenamtlich tätigen und gut qualifizierten Menschen in der Reserve, das verschafft uns eine gute Durchhaltefähigkeit.”

    Vorbereitungen und Übungen fehlen

    Insgesamt wünscht er sich beim Thema Bevölkerungsschutz aber mehr Bewegung von oben: “Auf der ganz obersten Ebene bräuchten wir einen Verständniswandel hin zu mehr Resilienz.” Man müsse wegkommen vom Silo-Denken zwischen den Ressorts: “Es darf nicht sein, dass sich die einen für die Klimafolgenanpassung und Vorsorgemaßnahmen einsetzen, andere für die Bewältigung von Krisen und wieder andere dafür, Learnings in neue Mechanismen umzusetzen. Diese Punkte müssen von den Ressorts gemeinsam angegangen werden.”

    Er kritisiert, dass auf die 2016 vom Innenministerium veröffentlichte Konzeption der Zivilen Verteidigung nie die nötigen Ausführungsdokumente gefolgt seien. “Es fehlt jetzt einfach die Ausbuchstabierung der Abläufe und Vorbereitungen. Das ist in den letzten 30 Jahre untergegangen.” Auch dass die Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung seit dem Jahr 1989 nicht mehr aktualisiert worden seien, zeige die fehlende Berücksichtigung ganz oben.

    Selbstschutz liegt bei den Kommunen

    Bevor Eckert 2021, mit 26 Jahren und ohne je vorher ein Parteiamt bei den Grünen innegehabt zu haben, für den Wahlkreis Freising in den Bundestag einzog, studierte er Geschichte und Betriebswirtschaftslehre in München. Zu den Grünen brachte ihn die bayerische schwarz-gelbe Landesregierung zehn Jahre zuvor, als diese sich für den Wiedereinstieg in die Atomkraft entschied und das Projekt “Dritte Start- und Landebahn am Münchner Flughafen” vorantrieb. Die Münchner sprachen sich damals bei einem Volksentscheid dagegen aus, das Projekt liegt seither auf Eis. Eckert ist Mitglied unter anderem im Innenausschuss und Ausschuss der Bürgerräte und stellvertretender Vorsitzender im Rechnungsprüfungsausschuss.

    Nicht nur oben hält Eckert einen “Mindset-Change” für nötig. Jede und jeder einzelne müsse in der Lage sein, die ersten 36 Stunden nach einem “Ereignis”, wie es der passionierte Bevölkerungsschützer nennt, allein zurechtzukommen. “Eine Taschenlampe, etwas Wasser, etwas Nahrung – Selbstschutz ist kein Hexenwerk.”

    Um das Bewusstsein dafür in die Breite zu bringen, bräuchte es in jeder Kommune, in jedem Landkreis eine Person, die sich um das Thema Selbstschutz in der Bevölkerung kümmere. “Aus meiner Beobachtung heraus stelle ich allerdings fest, dass viele Kommunen gar nicht wissen, dass sie für das Thema Selbstschutz überhaupt zuständig sind”, klagt Eckert. Es bleibt noch viel zu tun in angespannten Zeiten. Auch die dritte Start- und Landebahn will er mit den Grünen noch endgültig beerdigen. Lisa-Martina Klein

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    Security.Table Redaktion

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