Zeit zum Durchatmen bleibt Boris Pistorius keine. Heute Nachmittag ehrt er auf dem niedersächsischen Fliegerhorst Wunstorf die deutschen Minusma-Soldaten, die dem letzten Kontingent des 2013 gestarteten Engagements angehörten. Dem Ende des Mali-Einsatzes folgt keine 48 Stunden später der Auftakt zum nächsten Auslandsabenteuer – in Vilnius steht die Unterzeichnung der Road Map für die Litauen-Brigade der Bundeswehr an.
Bis zu 4.000 deutsche Soldaten und ihre Familien werden ab 2024 in Rukla stationiert sein, Deutschlands Beitrag zur Bündnissolidarität bei der Verteidigung der Nato-Nordostflanke. Welche Schritte die nächsten sind, klärt Pistorius am Montag bei militärpolitischen Gesprächen in der litauischen Hauptstadt.
Nana Brink und Thomas Wiegold haben den Potsdamer Militärhistoriker Sönke Neitzel gebeten, einen Blick zurückzuwerfen auf das Jahr 1993, als die Bundeswehr in Somalia an ihrem ersten Auslandseinsatz teilnahm. Strategisch in einer wichtigen Fähigkeit blank sei die Armeeführung bis heute, beklagt Neitzel – trotz der Einsätze auf dem Balkan, in Afghanistan und Mali: “Es ging dreißig Jahre lang nicht ums Kämpfen, zumindest nicht primär.” Stattdessen habe man sich auf eine “regelkonforme Einhaltung von Prozessen” konzentriert – es sei höchste Zeit, das zu ändern.
Der Krieg im Gazastreifen geht in seine zehnte Woche, Millionen Menschen leiden Not, mehr als 20.000 sind seit dem 7. Oktober getötet worden. Ich habe Israels Botschafter Ron Prosor seitdem öfter bei Auftritten in Berlin erlebt, lesen Sie heute mein Porträt.
Eine aufschlussreiche Lektüre wünscht
Herr Neitzel, welches Start-Datum nehmen wir, wenn wir von Auslandseinsätzen der Bundeswehr sprechen?
Meines Erachtens sollte man 1993 wählen, also den Beginn des Somalia-Einsatzes, den ersten bewaffneten Auslandseinsatz der Bundeswehr. Das sind ja fast auf den Tag genau dreißig Jahre, von 1993 bis 2023.
Dieser Einsatz endete unglücklich. Nicht primär für die Bundeswehr, sondern vor allem für die USA. Stichwort: “Die Schlacht von Mogadischu”, bekannt geworden durch den Film “Black Hawk Down”, zwischen US-Soldaten, Soldaten der UN-Mission und somalischen Milizionären. Bilanz: 1000 Tote auf Seiten der Somalier, 19 auf der anderen Seite. Hat Deutschland da einfach Glück gehabt?
Tja, Glück? Ich meine, die Deutschen haben alles getan, um das zu vermeiden. Man hat sich bewusst dafür entschieden, die Sanitäter zu stellen. In einer Region, die weitgehend ungefährlich war. Die Bundeswehr-Soldaten sollten eigentlich die indische Brigade unterstützen, die war aber in einer zu gefährlichen Region stationiert, darauf wollten man sich nicht einlassen. Und dann ist immer auch ein bisschen Glück dabei. Natürlich hätte auch etwas schiefgehen können. Die Deutschen selber haben aber den Einsatz positiv bewertet. Man hat sich eingespielt, wie solche Auslandseinsätze ablaufen. Wir orientieren uns aber immer in der Mitte oder ganz hinten, also 1993 noch ganz hinten, dann vielleicht mal auch in der Mitte, aber nie als Speerspitze und vor allem nie da, wo es wirklich gefährlich ist.
Aber 1999 – der Krieg gegen Serbien -, da waren deutsche Tornados zur Ausschaltung der serbischen Flugabwehr im Einsatz. Also doch eher an der vorderen Spitze?
Die Deutschen haben, glaube ich, insgesamt drei Prozent der Einsätze geflogen. Das war vor allem ein amerikanischer Einsatz. Der entscheidende Punkt ist jedoch: Die Deutschen haben keine Bomben geworfen, im klassischen Sinne. Und wenn wir uns mal erinnern, welche Bilder haben wir von dem deutschen Einsatz, dann ist das dieser fröhlich winkende Oberst, der Geschwader-Commodore und startende Tornados.
Das war so gewollt ….
Das ist die Logik der Deutschen gewesen, eigentlich immer in dieser Zeit, in diesen 30 Jahren. Wir sind dabei, machen aber nicht mit. Wir sind in Afghanistan der drittgrößte Truppensteller, wichtig hinter den Briten und Amerikanern. Also nicht der zweitgrößte, nicht der viertgrößte, der drittgrößte. Aber wir wollen auf gar keinen Fall Verluste, möglichst nicht ans scharfe Ende. Also nicht wie die Niederländer, die vom Norden in den Süden gegangen sind, um zu kämpfen. Das haben die Deutschen so lange hinausgezögert, wie es nur irgend ging. Und als der Krieg dann in den Norden kam, konnten sie nicht weg und mussten den Kampf notgedrungen annehmen.
Diese Aussage werden viele nicht mögen. Allein 35 deutsche Soldaten sind gefallen.
Das ist richtig. Aber wenn wir das vergleichen mit der Zahl der amerikanischen Toten, den britischen Toten, dann sieht man, dass andere Länder ein viel stärkeres Ausmaß an Gefechten gehabt haben. Wenn man sich den Dokumentarfilm “Restrepo” anschaut über die amerikanischen Luftlandekräfte in der Korengal-Schlucht, – solche Gefechte hat die Bundeswehr nie erlebt. Und wir müssen bei allem Respekt vor den Leuten – ich kenne viele, die da im Kampf waren – auch sagen: Sie haben einzelne Gefechte erlebt, aber natürlich keine Schlachten. Das war schlimm für die, die da waren. Und die Bundeswehr hat auch gezeigt, dass sie zu kämpfen versteht. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bundesregierung bewusst den Norden Afghanistans ausgewählt hat, um Kämpfe möglichst zu vermeiden. Und das ist mein Argument: Die Bundeswehr ist mitgegangen, aber sie hat sich am Ende in der Mitte des Nato-Konvois orientiert und nicht am Anfang.
Wie haben die Einsätze die Bundeswehr verändert?
Die Bundeswehr ist durch diese Einsätze erwachsen geworden. Besonders durch Afghanistan. Was meine ich damit? Man musste sich mit PTBS beschäftigen, man musste sich mit Soldaten im Krieg beschäftigen.
Aber im Vordergrund stand: retten, schützen, helfen.
Genau. Und es gibt diese Bruchlinien über die Identität, die bis heute in der Bundeswehr zu sehen sind und die auch nicht wirklich ausgetragen worden sind. Was ist unsere Identität? Was ist unsere Tradition? Das schien mit 1990 gelöst zu sein. Es ist Frieden, es sind Friedenseinsätze, die Tradition der Wehrmacht ist weg. Und dies kam alles wieder hoch mit den Kämpfen in Afghanistan. Die Bundeswehr ist ja seit ihrer Gründung auf der Suche nach sich selbst und sie glaubte mit den Auslandseinsätzen ihre Rolle gefunden zu haben.
Wie hat denn die Gesellschaft diese dreißig Jahre wahrgenommen? Hat das auch das Verhältnis der Gesellschaft zur Bundeswehr verändert?
Die Bundeswehr wurde beliebter als Institution, aber nicht unbedingt die Auslandseinsätze und damit auch nicht unbedingt die Politik, die die Auslandseinsätze befohlen hat. Wir müssen das trennen. Einerseits: Wir brauchen als souveräner Staat diese Institution. Andererseits: die Frage nach dem Sinn solcher Einsätze. Und da hat die Politik in 30 Jahren versäumt, klar zu argumentieren. Warum machen wir das? Diese Frage wurde nie ehrlich beantwortet. Das ist eine traurige Bilanz, die wir von diesen 30 Jahren ziehen müssen. Erfolgreiche Einsätze waren sicherlich jener im Kosovo und in Bosnien, zumindest militärisch. Inwieweit war das politisch erfolgreich? Wir haben ja immer die Erwartung gehabt, mit KFOR, mit SFOR oder ISAF: Wir bringen hier den Frieden. Und so einfach ist das eben nicht. Am allerwenigsten in Afghanistan. Wenn man sich noch die Reden, zum Beispiel die von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 2017 in Masar-e Sharif anhört – ich empfehle das noch mal zur Lektüre – da redet er von der Verteidigung der Werte des Grundgesetzes. Wie viele unendlich hohle Phrasen wurden da gedroschen.
Aber die Freiheit sollte doch am Hindukusch verteidigt werden?
Dieses Argument hat ja sogar zum Teil was für sich, wenn es darum geht, die Terrorcamps von Al-Qaida zu eliminieren. Das ist ja auch erreicht worden. Ob man dafür 130.000 Soldaten brauchte, ist die große Frage. Ich glaube, die Lehre, die die Politik ziehen muss, ist: Ich muss mir mehr strategische Gedanken um Auslandseinsätze machen. Wir Historiker sind ja erst ganz am Anfang der Aufarbeitung. Ich bin gespannt.
Sie sagen, die Bundeswehr ist in den Einsätzen erwachsen geworden, heißt aber, sie hat eigentlich ihre Identität noch nicht gefunden?
Es bleibt die Frage: Warum hat man Streitkräfte? Eigentlich müsste man sagen: Es geht um Androhung und Anwendung militärischer Gewalt. Deswegen haben wir Panzer und Kriegsschiffe und Eurofighter. Doch stattdessen ging es seit 1993 um Brunnen bohren und Wiederaufbauhilfe. Es ging 30 Jahre lang nicht ums Kämpfen, zumindest nicht primär. Und das hat, glaube ich, diese Bundeswehr extrem geprägt. Die Zeit hat sie, wie das ein Stabsoffizier neulich mal in einem Hintergrundgespräch sagte, zu einer vollendeten Karikatur des deutschen Bürokratismus gemacht. Warum? Die Bundeswehr hatte in diesen Jahrzehnten ihren eigentlichen Zweck verloren und es ging bald nur noch um regelkonforme Einhaltung von Prozessen. Jetzt ist es die große Aufgabe, das zu ändern.
In der Nationalen Sicherheitsstrategie steht zwar als Schwerpunkt die Landes- und Bündnisverteidigung, aber auch weiterhin Einsätze zum Internationalen Krisenmanagement. Was heißt das?
Meines Erachtens ist es klar: Es muss im Schwerpunkt um die Bereitstellung einer Heeresdivision im Rahmen der neuen Nato-Planung für das Jahr 2025 gehen. Einen Einsatz wie Afghanistan wird die Bundeswehr zugleich nicht mehr stemmen können. Aber: Internationales Krisenmanagement bleibt eine Aufgabe und dafür gibt es ja auch noch Kräfte. Doch bevor man die wieder in größerem Stil losschickt, sollte sich die Bundeswehr fragen, was sind eigentlich unseren Schlussfolgerungen aus 30 Jahren Auslandseinsätze?
Sönke Neitzel ist Professor für Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam.
Die Einigung der Ampel-Koalition auf die Regelungen für den Haushalt 2024 hat direkte Auswirkungen auf die Beschaffungen der Bundeswehr. Zwar wird der Verteidigungshaushalt wie bisher geplant auf 51,8 Milliarden Euro erhöht. Aber die Ersatzbeschaffungen für Waffensysteme und Gerät, das die Truppe aus ihren Beständen an die Ukraine abgibt, sollen künftig aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr finanziert werden.
Nach einer Übersicht aus dem Bundesfinanzministerium werden dafür im kommenden Jahr voraussichtlich 520 Millionen Euro fällig. Bislang war neues Gerät als Ersatz für bislang abgegebene Systeme wie zum Beispiel Panzerhaubitzen oder Kampfpanzer aus dem Etat der Allgemeinen Finanzverwaltung bezahlt worden.
Auf diesem Weg soll auch weiterhin der Hauptteil der militärischen Unterstützungsleistungen für die Ukraine, also Bestellungen bei der Industrie, finanziert werden. Dafür wird der sogenannte Ertüchtigungstitel von bislang vier auf acht Milliarden Euro verdoppelt. Diese Zahlungen werden auch auf die Quote von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigungsausgaben angerechnet.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte zudem angekündigt, dass für die Unterstützung der Ukraine möglicherweise die Schuldenbremse im nächsten Jahr erneut ausgesetzt werden könnte: Die Bundesregierung bereite sich auf eine Haushaltsnotlage vor, wenn Deutschland einspringen müsse, weil die Situation an der Front im Krieg gegen die russische Invasion drastisch schlechter werde oder wenn andere Nationen ihre bisherige Unterstützung zurückzögen. Vor allem in den USA zeichnet sich ab, dass die bislang größte Gebernation ihre Hilfe für die Ukraine zurückfährt. tw
Der Vertrag für die Maschinen vom Typ H145M, der bereits bei den Spezialkräften und als Rettungshubschrauber genutzt wird, sieht vorerst nur 24 sogenannte Rüstsätze mit der nötigen Bewaffnung vor. Eine angestrebte vollständige Ausstattung mit 82 dieser Hubschrauber und 72 Rüstsätzen hängt noch von den vorhandenen Mitteln ab.
Nachdem der Haushaltsausschuss des Bundestages in dieser Woche die gut 2,6 Milliarden Euro für die Beschaffung freigegeben hatte, schloss das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) am Donnerstag den Vertrag mit Airbus. Die 62 Helikopter und eine Option auf 20 weitere sollen zum Teil aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr und ab 2028 aus dem regulären Verteidigungshaushalt finanziert werden. Die Auslieferung der ersten Maschinen ist bereits für kommendes Jahr geplant.
Die H145M sind keine klassischen Kampfhubschrauber wie der Tiger oder das US-Modell Apache. Sie sollen deshalb aus Sicht der Bundeswehr die “Brückenlösung” sein für die langfristige Ausstattung, bei der voraussichtlich auch bewaffnete Drohnen das Einsatzspektrum eines Kampfhubschraubers abdecken können, zum Beispiel den Einsatz gegen gepanzerte Ziele am Boden.
“Kampfdrohnen und ‘Loitering Ammunition’ sowie weitreichendes Präzisionsfeuer der Artillerie werden den klassischen Kampfhubschrauber möglicherweise ersetzen”, erläuterte Heeresinspekteur Alfons Mais im Gespräch mit Table.Media. “Das heißt aber nicht, dass wir keine bewaffneten Hubschrauber mehr brauchen: Hubschrauber behalten eine wichtige Rolle, um vorn eingesetzte Truppe im Kampf zu unterstützen oder in Stabilisierungsoperationen Schutz aus der Luft zu geben. Wir brauchen beides, und zwar schnell: Fortschritte bei der Beschaffung von Drohnen und, parallel zur zeitlich befristeten Weiternutzung des Kampfhubschraubers Tiger bis in die 30er Jahre, eine leichtere bewaffnete Plattform.”
In der Planung des Heeres für Kampfhubschrauber spielen dabei auch zunehmend Erkenntnisse aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine eine Rolle. Der Einsatz über gegnerischem Gebiet und die damit verbundene Gefährdung der Besatzung soll zunehmend von unbemannten Systemen übernommen werden. Darauf setzt die Bundeswehr auch bei ihrer Zusage an die Nato, bis Mitte kommenden Jahrzehnts rund 100 Kampfhubschrauber für Einsätze zur Verfügung zu stellen – oder eben Drohnen mit den gleichen Fähigkeiten. tw
Im Nahen Osten lebte vergangenes Jahr jedes dritte Kind in einem Konfliktgebiet, 468 Millionen Kinder waren es insgesamt weltweit 2022. Zudem seien in diesem Zeitraum 27.638 Verbrechen an Kindern verübt worden, schreibt die Kinderhilfsorganisation Save the Children in ihrem Jahresbericht – die höchste Zahl seit Beginn der Erfassung im Jahr 2005. Laut dem neuen Bericht “Krieg gegen Kinder: Kinder brauchen Frieden” waren die drei gefährlichsten Konfliktländer für Kinder die Demokratische Republik Kongo, Mali und Myanmar.
Die Zahlen dürften durch aktuelle Ereignisse wie die Kämpfe im Sudan und im Gazastreifen weiter steigen, sagte Florian Westphal, Geschäftsführer von Save the Children, am Donnerstag. Er forderte: “Kinder in Konflikten müssen vor Verbrechen geschützt werden und ihre Perspektiven und Stimmen müssen in Entscheidungen einbezogen werden.” Die internationale Gemeinschaft dürfe nicht zulassen, “dass diesen Kindern die Zukunft geraubt wird”.
Afrika war dem Save the Children-Bericht zufolge der Kontinent, auf dem 2022 in absoluten Zahlen die meisten Kinder lebten, die von einem bewaffneten Konflikt betroffen waren (183 Millionen). Es folgten Asien (145 Millionen), Amerika (69 Millionen), der Nahe Osten (63 Millionen) und Europa (9 Millionen). Im Verhältnis ist der Anteil der von Konflikten betroffenen Kinder im Nahen Osten am höchsten: Hier lebte 2022 jedes dritte Kind in einem Konfliktgebiet.
Pro Tag wurden 2023 durchschnittlich 76 Verbrechen an Kindern dokumentiert, was einem Anstieg von 13 Prozent gegenüber 2021 entspricht. Die Länder, in denen die meisten dieser Verbrechen nachgewiesen wurden, waren die Demokratische Republik Kongo, die Palästinensischen Gebiete, Somalia, Syrien, die Ukraine, Afghanistan und der Jemen.
Die häufigsten Verbrechen an Kindern im Jahr 2022 waren die Tötung und Verstümmelung mit 8.647 dokumentierten Fällen. Die höchsten Opferzahlen stammen aus der Ukraine – dort wurden 477 Kinder getötet und 909 Kinder verstümmelt. mrb
Die Entscheider in Deutschland erwarten von der Bundesregierung in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode besondere Anstrengungen in der Digitalpolitik – attestieren ihr aber zugleich kaum ausreichende Expertise dafür. Ähnlich hohe Erwartungen haben sie an die Energie- und Klimapolitik. Hier sprechen sie ihr allerdings die höchste Kompetenz zu und rechnen auch mit einer tatsächlichen Umsetzung.
Das geht aus einer exklusiven Umfrage des digitalen Medienhauses Table.Media hervor, an der über 3000 hochrangige Interessensvertreter teilgenommen haben. Sie sind im Transparenzregister des Deutschen Bundestags registriert und kommen zum überwiegenden Teil aus Unternehmen, Verbänden sowie Nichtregierungsorganisationen oder aus der Wissenschaft und der Verwaltung. Sie verteilen sich auf Branchen wie den Automobil- oder Energiesektor, die Bau- oder Digitalwirtschaft sowie Gewerkschaften und Umweltverbände.
Für knapp 82 Prozent der Befragten haben besondere Anstrengungen der Bundesregierung bei der Klima- und Energiepolitik eine eher hohe oder sogar hohe Bedeutung. Rund 85 Prozent gehen auch davon aus, dass es in den nächsten zwei Jahren tatsächlich zu einer Schwerpunktsetzung in der Energiepolitik kommen wird. Doch nur knapp 20 Prozent prognostizieren dies für die KI- und Datenpolitik.
Generell sprechen die Entscheiderinnen und Entscheider der Bundesregierung eher mittelmäßige Noten aus. Aber: Den vergleichsweise besten Wert erreicht die Ampel bei der Kompetenz in der Klima- und Energiepolitik. Hier wird ihr immerhin von rund 37 Prozent der Befragten eine hohe oder eher hohe Lösungskompetenz zugestanden. Beim Digitalausbau sind das gerade einmal noch 7,4 Prozent insgesamt. Eine hohe Kompetenz sehen sogar nur 0,6 Prozent.
Konkret schlägt sich diese Einschätzung zudem nieder in einem Lob für die Arbeit des Bundesministers für Wirtschaft und Klima, Robert Habeck, sowie deutlicher Kritik am Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Volker Wissing. Der Grünen-Politiker hat – trotz der Debatte über das Heizungsgesetz und die sogenannte Trauzeugenaffäre seines ehemaligen Staatssekretärs Patrick Graichen – die Erwartungen an seine Leistung in der ersten Hälfte der Legislaturperiode von rund 42 Prozent übertroffen oder eher übertroffen.
Er landet damit auf Platz vier der Ministerriege. Die schlechteste Note erhält der FDP-Politiker Wissing: Mehr als 69 Prozent finden seine Leistung in den ersten zwei Jahren enttäuschend oder eher enttäuschend. Bei der Frage, welche Bundesministerien durch besonders große Professionalität in der Sacharbeit auffallen, führt Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) die Liste an.
Die Opposition in Deutschland sehen die Befragten personell aktuell weniger gut aufgestellt: Lediglich knapp 13 Prozent halten es für wirklich realistisch, dass die Union mit dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz an der nächsten Bundesregierung beteiligt sein wird. löh
Financial Times: Guyana vows to defend itself ‘by all and any means’ from Venezuela threat. Der venezolanische Diktator Nicolás Maduro erhebt Anspruch auf die rohstoffreiche guyanische Region Essequibo. Für Guyana ist die Unterstützung von Verbündeten, einschließlich der USA, nun wichtiger denn je. Gerade einmal 4.070 aktiven Soldaten und Reservisten stehen den 351.000 Mann starken, von Russland unterstützten Streitkräften Venezuelas gegenüber.
Ukraine-Analysen: Der Blick aus dem Süden – Lateinamerikanische Perspektiven auf Russlands Angriffskrieg. Dass zahlreiche lateinamerikanische Staaten sich nicht eindeutiger und vehementer auf die Seite der Ukraine stellen, hat wohl interne Ursachen, arbeitet der Autor dieser Analyse heraus. Ein wichtiger Grund ist die Angst vor der schwindenden Aufmerksamkeit für eigene Probleme in der internationalen Diplomatie.
Das Politikteil: “Diese Menschen können nirgendwohin” – Hat Gaza eine Zukunft? In diesem Podcast spricht der Nahostexperte Daniel Gerlach über die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, einen Plan für die Zukunft Gazas zu entwickeln. Ihm schwebt ein Szenario vor, in dem die Region unter ein multinationales, arabisches Mandat gestellt wird.
Zenith: China profitiert vom Nahostkonflikt. China nutzt den Krieg in Gaza, um seine Rolle als außenpolitischer Rivale der USA zu konsolidieren. Das Engagement Pekings beschränkt sich vor allem auf Mitwirkung in den UN-Gremien und Kritik am Westen. Die humanitäre Hilfe fällt dagegen sehr gering aus.
Der Großvater des deutschen Botschafters in Israel war der Reichswehr-Offizier Berthold Proskauer. Im Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 verließ er Berlin mit seiner Familie in Richtung des damals britisch kontrollierten Palästinas. Dort ließ er den Nachnamen in Prosor ändern.
“Wer hätte gedacht, dass ich, der Enkel des stolzen Preußen Berthold Proskauer, einmal als Botschafter den Staat Israel in Deutschland vertreten werde”, sagte Ron Prosor im August 2022, als er sein Amt antrat; dadurch schließe sich für ihn “ein persönlicher Kreis”.
Nur ein gutes Jahr später gilt das umso mehr. Der Massenmord an mehr als 1.200 Israelis durch die Terrororganisation Hamas am 7. Oktober hat Prosor zum vielerorts gefragten Redner in Deutschland gemacht. Auf Kundgebungen wie am Sonntag vor dem Brandenburger Tor, in Talkshows und Interviews fordert der 1958 in Kfar Saba bei Tel Aviv geborene Diplomat unermüdlich Solidarität mit Israel – und eine unzweideutige Verurteilung des Terrors der Hamas.
Dass er politische Gegner dabei schonmal robuster angeht, entspricht dem diplomatischen Selbstverständnis des Vaters von drei Kindern, der zunächst eine Laufbahn in den israelischen Streitkräften einschlug und im Artilleriekorps der Israel Defence Forces (IDF) den Rang eines Majors erreichte: Prosors betreibt Public Diplomacy im Sinn der Hasbara (hebräisch für Erklärung) – offensive Öffentlichkeitsarbeit mit dem Ziel, eine positive Berichterstattung über Israel und seine politischen Anliegen zu erreichen. Angesichts des “diplomatischen Kriegs”, dem Israel ausgesetzt sei, sei jede Botschaft seines Landes ein “Kommandozentrum an der Front”, sagte Prosor vor zwei Jahren der israelischen Tageszeitung Israel HaYom.
Die Wendezeit erlebte Prosor zwischen 1988 und 1992 als Sprecher der israelischen Botschaft in Bonn, ehe er unter anderem als Botschafter nach London (2007-2011) und als Ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen nach New York (2011-2015) entsandt wurde. Im Außenministerium in Jerusalem selbst war er drei Jahre lang als Generaldirektor tätig.
Dass Prosor dabei bisweilen einem recht grobkörnigen Freund-/Feindschema folgt, bekamen in seinen 16 Monaten als Botschafter in Berlin schon einige zu spüren. Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) etwa wurde auf dem X-Account der Botschaft vorgehalten, “Antisemitismus im pseudoakademischen Milieu” und “Israel-Bashing” zu betreiben. Dem jüdischen Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, warf Prosor vor, Personen zu verteidigen, “die antisemitische Judenstereotype fördern”.
Am Mittwochabend lud Prosor mit seiner Frau Hadas zum Chanukka-Empfang ins Hotel Pullmann Schweizerhof am Zoologischen Garten in Berlin-Tiergarten. “Solidarität mit Israel” war der Abend betitelt – Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, die Ministerpräsidenten Hendrik Wüst und Dietmar Woidke sowie der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Michael Roth, waren unter den Gästen. “In der Zäsur des 7. Oktober zeigt sich, wer die wahren Freunde Israels sind, und in Deutschland haben wir wahre Freunde”, sagte Prosor und dankte der Bundesregierung für ihre Unterstützung.
Zeit zum Durchatmen bleibt Boris Pistorius keine. Heute Nachmittag ehrt er auf dem niedersächsischen Fliegerhorst Wunstorf die deutschen Minusma-Soldaten, die dem letzten Kontingent des 2013 gestarteten Engagements angehörten. Dem Ende des Mali-Einsatzes folgt keine 48 Stunden später der Auftakt zum nächsten Auslandsabenteuer – in Vilnius steht die Unterzeichnung der Road Map für die Litauen-Brigade der Bundeswehr an.
Bis zu 4.000 deutsche Soldaten und ihre Familien werden ab 2024 in Rukla stationiert sein, Deutschlands Beitrag zur Bündnissolidarität bei der Verteidigung der Nato-Nordostflanke. Welche Schritte die nächsten sind, klärt Pistorius am Montag bei militärpolitischen Gesprächen in der litauischen Hauptstadt.
Nana Brink und Thomas Wiegold haben den Potsdamer Militärhistoriker Sönke Neitzel gebeten, einen Blick zurückzuwerfen auf das Jahr 1993, als die Bundeswehr in Somalia an ihrem ersten Auslandseinsatz teilnahm. Strategisch in einer wichtigen Fähigkeit blank sei die Armeeführung bis heute, beklagt Neitzel – trotz der Einsätze auf dem Balkan, in Afghanistan und Mali: “Es ging dreißig Jahre lang nicht ums Kämpfen, zumindest nicht primär.” Stattdessen habe man sich auf eine “regelkonforme Einhaltung von Prozessen” konzentriert – es sei höchste Zeit, das zu ändern.
Der Krieg im Gazastreifen geht in seine zehnte Woche, Millionen Menschen leiden Not, mehr als 20.000 sind seit dem 7. Oktober getötet worden. Ich habe Israels Botschafter Ron Prosor seitdem öfter bei Auftritten in Berlin erlebt, lesen Sie heute mein Porträt.
Eine aufschlussreiche Lektüre wünscht
Herr Neitzel, welches Start-Datum nehmen wir, wenn wir von Auslandseinsätzen der Bundeswehr sprechen?
Meines Erachtens sollte man 1993 wählen, also den Beginn des Somalia-Einsatzes, den ersten bewaffneten Auslandseinsatz der Bundeswehr. Das sind ja fast auf den Tag genau dreißig Jahre, von 1993 bis 2023.
Dieser Einsatz endete unglücklich. Nicht primär für die Bundeswehr, sondern vor allem für die USA. Stichwort: “Die Schlacht von Mogadischu”, bekannt geworden durch den Film “Black Hawk Down”, zwischen US-Soldaten, Soldaten der UN-Mission und somalischen Milizionären. Bilanz: 1000 Tote auf Seiten der Somalier, 19 auf der anderen Seite. Hat Deutschland da einfach Glück gehabt?
Tja, Glück? Ich meine, die Deutschen haben alles getan, um das zu vermeiden. Man hat sich bewusst dafür entschieden, die Sanitäter zu stellen. In einer Region, die weitgehend ungefährlich war. Die Bundeswehr-Soldaten sollten eigentlich die indische Brigade unterstützen, die war aber in einer zu gefährlichen Region stationiert, darauf wollten man sich nicht einlassen. Und dann ist immer auch ein bisschen Glück dabei. Natürlich hätte auch etwas schiefgehen können. Die Deutschen selber haben aber den Einsatz positiv bewertet. Man hat sich eingespielt, wie solche Auslandseinsätze ablaufen. Wir orientieren uns aber immer in der Mitte oder ganz hinten, also 1993 noch ganz hinten, dann vielleicht mal auch in der Mitte, aber nie als Speerspitze und vor allem nie da, wo es wirklich gefährlich ist.
Aber 1999 – der Krieg gegen Serbien -, da waren deutsche Tornados zur Ausschaltung der serbischen Flugabwehr im Einsatz. Also doch eher an der vorderen Spitze?
Die Deutschen haben, glaube ich, insgesamt drei Prozent der Einsätze geflogen. Das war vor allem ein amerikanischer Einsatz. Der entscheidende Punkt ist jedoch: Die Deutschen haben keine Bomben geworfen, im klassischen Sinne. Und wenn wir uns mal erinnern, welche Bilder haben wir von dem deutschen Einsatz, dann ist das dieser fröhlich winkende Oberst, der Geschwader-Commodore und startende Tornados.
Das war so gewollt ….
Das ist die Logik der Deutschen gewesen, eigentlich immer in dieser Zeit, in diesen 30 Jahren. Wir sind dabei, machen aber nicht mit. Wir sind in Afghanistan der drittgrößte Truppensteller, wichtig hinter den Briten und Amerikanern. Also nicht der zweitgrößte, nicht der viertgrößte, der drittgrößte. Aber wir wollen auf gar keinen Fall Verluste, möglichst nicht ans scharfe Ende. Also nicht wie die Niederländer, die vom Norden in den Süden gegangen sind, um zu kämpfen. Das haben die Deutschen so lange hinausgezögert, wie es nur irgend ging. Und als der Krieg dann in den Norden kam, konnten sie nicht weg und mussten den Kampf notgedrungen annehmen.
Diese Aussage werden viele nicht mögen. Allein 35 deutsche Soldaten sind gefallen.
Das ist richtig. Aber wenn wir das vergleichen mit der Zahl der amerikanischen Toten, den britischen Toten, dann sieht man, dass andere Länder ein viel stärkeres Ausmaß an Gefechten gehabt haben. Wenn man sich den Dokumentarfilm “Restrepo” anschaut über die amerikanischen Luftlandekräfte in der Korengal-Schlucht, – solche Gefechte hat die Bundeswehr nie erlebt. Und wir müssen bei allem Respekt vor den Leuten – ich kenne viele, die da im Kampf waren – auch sagen: Sie haben einzelne Gefechte erlebt, aber natürlich keine Schlachten. Das war schlimm für die, die da waren. Und die Bundeswehr hat auch gezeigt, dass sie zu kämpfen versteht. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bundesregierung bewusst den Norden Afghanistans ausgewählt hat, um Kämpfe möglichst zu vermeiden. Und das ist mein Argument: Die Bundeswehr ist mitgegangen, aber sie hat sich am Ende in der Mitte des Nato-Konvois orientiert und nicht am Anfang.
Wie haben die Einsätze die Bundeswehr verändert?
Die Bundeswehr ist durch diese Einsätze erwachsen geworden. Besonders durch Afghanistan. Was meine ich damit? Man musste sich mit PTBS beschäftigen, man musste sich mit Soldaten im Krieg beschäftigen.
Aber im Vordergrund stand: retten, schützen, helfen.
Genau. Und es gibt diese Bruchlinien über die Identität, die bis heute in der Bundeswehr zu sehen sind und die auch nicht wirklich ausgetragen worden sind. Was ist unsere Identität? Was ist unsere Tradition? Das schien mit 1990 gelöst zu sein. Es ist Frieden, es sind Friedenseinsätze, die Tradition der Wehrmacht ist weg. Und dies kam alles wieder hoch mit den Kämpfen in Afghanistan. Die Bundeswehr ist ja seit ihrer Gründung auf der Suche nach sich selbst und sie glaubte mit den Auslandseinsätzen ihre Rolle gefunden zu haben.
Wie hat denn die Gesellschaft diese dreißig Jahre wahrgenommen? Hat das auch das Verhältnis der Gesellschaft zur Bundeswehr verändert?
Die Bundeswehr wurde beliebter als Institution, aber nicht unbedingt die Auslandseinsätze und damit auch nicht unbedingt die Politik, die die Auslandseinsätze befohlen hat. Wir müssen das trennen. Einerseits: Wir brauchen als souveräner Staat diese Institution. Andererseits: die Frage nach dem Sinn solcher Einsätze. Und da hat die Politik in 30 Jahren versäumt, klar zu argumentieren. Warum machen wir das? Diese Frage wurde nie ehrlich beantwortet. Das ist eine traurige Bilanz, die wir von diesen 30 Jahren ziehen müssen. Erfolgreiche Einsätze waren sicherlich jener im Kosovo und in Bosnien, zumindest militärisch. Inwieweit war das politisch erfolgreich? Wir haben ja immer die Erwartung gehabt, mit KFOR, mit SFOR oder ISAF: Wir bringen hier den Frieden. Und so einfach ist das eben nicht. Am allerwenigsten in Afghanistan. Wenn man sich noch die Reden, zum Beispiel die von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 2017 in Masar-e Sharif anhört – ich empfehle das noch mal zur Lektüre – da redet er von der Verteidigung der Werte des Grundgesetzes. Wie viele unendlich hohle Phrasen wurden da gedroschen.
Aber die Freiheit sollte doch am Hindukusch verteidigt werden?
Dieses Argument hat ja sogar zum Teil was für sich, wenn es darum geht, die Terrorcamps von Al-Qaida zu eliminieren. Das ist ja auch erreicht worden. Ob man dafür 130.000 Soldaten brauchte, ist die große Frage. Ich glaube, die Lehre, die die Politik ziehen muss, ist: Ich muss mir mehr strategische Gedanken um Auslandseinsätze machen. Wir Historiker sind ja erst ganz am Anfang der Aufarbeitung. Ich bin gespannt.
Sie sagen, die Bundeswehr ist in den Einsätzen erwachsen geworden, heißt aber, sie hat eigentlich ihre Identität noch nicht gefunden?
Es bleibt die Frage: Warum hat man Streitkräfte? Eigentlich müsste man sagen: Es geht um Androhung und Anwendung militärischer Gewalt. Deswegen haben wir Panzer und Kriegsschiffe und Eurofighter. Doch stattdessen ging es seit 1993 um Brunnen bohren und Wiederaufbauhilfe. Es ging 30 Jahre lang nicht ums Kämpfen, zumindest nicht primär. Und das hat, glaube ich, diese Bundeswehr extrem geprägt. Die Zeit hat sie, wie das ein Stabsoffizier neulich mal in einem Hintergrundgespräch sagte, zu einer vollendeten Karikatur des deutschen Bürokratismus gemacht. Warum? Die Bundeswehr hatte in diesen Jahrzehnten ihren eigentlichen Zweck verloren und es ging bald nur noch um regelkonforme Einhaltung von Prozessen. Jetzt ist es die große Aufgabe, das zu ändern.
In der Nationalen Sicherheitsstrategie steht zwar als Schwerpunkt die Landes- und Bündnisverteidigung, aber auch weiterhin Einsätze zum Internationalen Krisenmanagement. Was heißt das?
Meines Erachtens ist es klar: Es muss im Schwerpunkt um die Bereitstellung einer Heeresdivision im Rahmen der neuen Nato-Planung für das Jahr 2025 gehen. Einen Einsatz wie Afghanistan wird die Bundeswehr zugleich nicht mehr stemmen können. Aber: Internationales Krisenmanagement bleibt eine Aufgabe und dafür gibt es ja auch noch Kräfte. Doch bevor man die wieder in größerem Stil losschickt, sollte sich die Bundeswehr fragen, was sind eigentlich unseren Schlussfolgerungen aus 30 Jahren Auslandseinsätze?
Sönke Neitzel ist Professor für Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam.
Die Einigung der Ampel-Koalition auf die Regelungen für den Haushalt 2024 hat direkte Auswirkungen auf die Beschaffungen der Bundeswehr. Zwar wird der Verteidigungshaushalt wie bisher geplant auf 51,8 Milliarden Euro erhöht. Aber die Ersatzbeschaffungen für Waffensysteme und Gerät, das die Truppe aus ihren Beständen an die Ukraine abgibt, sollen künftig aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr finanziert werden.
Nach einer Übersicht aus dem Bundesfinanzministerium werden dafür im kommenden Jahr voraussichtlich 520 Millionen Euro fällig. Bislang war neues Gerät als Ersatz für bislang abgegebene Systeme wie zum Beispiel Panzerhaubitzen oder Kampfpanzer aus dem Etat der Allgemeinen Finanzverwaltung bezahlt worden.
Auf diesem Weg soll auch weiterhin der Hauptteil der militärischen Unterstützungsleistungen für die Ukraine, also Bestellungen bei der Industrie, finanziert werden. Dafür wird der sogenannte Ertüchtigungstitel von bislang vier auf acht Milliarden Euro verdoppelt. Diese Zahlungen werden auch auf die Quote von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigungsausgaben angerechnet.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte zudem angekündigt, dass für die Unterstützung der Ukraine möglicherweise die Schuldenbremse im nächsten Jahr erneut ausgesetzt werden könnte: Die Bundesregierung bereite sich auf eine Haushaltsnotlage vor, wenn Deutschland einspringen müsse, weil die Situation an der Front im Krieg gegen die russische Invasion drastisch schlechter werde oder wenn andere Nationen ihre bisherige Unterstützung zurückzögen. Vor allem in den USA zeichnet sich ab, dass die bislang größte Gebernation ihre Hilfe für die Ukraine zurückfährt. tw
Der Vertrag für die Maschinen vom Typ H145M, der bereits bei den Spezialkräften und als Rettungshubschrauber genutzt wird, sieht vorerst nur 24 sogenannte Rüstsätze mit der nötigen Bewaffnung vor. Eine angestrebte vollständige Ausstattung mit 82 dieser Hubschrauber und 72 Rüstsätzen hängt noch von den vorhandenen Mitteln ab.
Nachdem der Haushaltsausschuss des Bundestages in dieser Woche die gut 2,6 Milliarden Euro für die Beschaffung freigegeben hatte, schloss das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) am Donnerstag den Vertrag mit Airbus. Die 62 Helikopter und eine Option auf 20 weitere sollen zum Teil aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr und ab 2028 aus dem regulären Verteidigungshaushalt finanziert werden. Die Auslieferung der ersten Maschinen ist bereits für kommendes Jahr geplant.
Die H145M sind keine klassischen Kampfhubschrauber wie der Tiger oder das US-Modell Apache. Sie sollen deshalb aus Sicht der Bundeswehr die “Brückenlösung” sein für die langfristige Ausstattung, bei der voraussichtlich auch bewaffnete Drohnen das Einsatzspektrum eines Kampfhubschraubers abdecken können, zum Beispiel den Einsatz gegen gepanzerte Ziele am Boden.
“Kampfdrohnen und ‘Loitering Ammunition’ sowie weitreichendes Präzisionsfeuer der Artillerie werden den klassischen Kampfhubschrauber möglicherweise ersetzen”, erläuterte Heeresinspekteur Alfons Mais im Gespräch mit Table.Media. “Das heißt aber nicht, dass wir keine bewaffneten Hubschrauber mehr brauchen: Hubschrauber behalten eine wichtige Rolle, um vorn eingesetzte Truppe im Kampf zu unterstützen oder in Stabilisierungsoperationen Schutz aus der Luft zu geben. Wir brauchen beides, und zwar schnell: Fortschritte bei der Beschaffung von Drohnen und, parallel zur zeitlich befristeten Weiternutzung des Kampfhubschraubers Tiger bis in die 30er Jahre, eine leichtere bewaffnete Plattform.”
In der Planung des Heeres für Kampfhubschrauber spielen dabei auch zunehmend Erkenntnisse aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine eine Rolle. Der Einsatz über gegnerischem Gebiet und die damit verbundene Gefährdung der Besatzung soll zunehmend von unbemannten Systemen übernommen werden. Darauf setzt die Bundeswehr auch bei ihrer Zusage an die Nato, bis Mitte kommenden Jahrzehnts rund 100 Kampfhubschrauber für Einsätze zur Verfügung zu stellen – oder eben Drohnen mit den gleichen Fähigkeiten. tw
Im Nahen Osten lebte vergangenes Jahr jedes dritte Kind in einem Konfliktgebiet, 468 Millionen Kinder waren es insgesamt weltweit 2022. Zudem seien in diesem Zeitraum 27.638 Verbrechen an Kindern verübt worden, schreibt die Kinderhilfsorganisation Save the Children in ihrem Jahresbericht – die höchste Zahl seit Beginn der Erfassung im Jahr 2005. Laut dem neuen Bericht “Krieg gegen Kinder: Kinder brauchen Frieden” waren die drei gefährlichsten Konfliktländer für Kinder die Demokratische Republik Kongo, Mali und Myanmar.
Die Zahlen dürften durch aktuelle Ereignisse wie die Kämpfe im Sudan und im Gazastreifen weiter steigen, sagte Florian Westphal, Geschäftsführer von Save the Children, am Donnerstag. Er forderte: “Kinder in Konflikten müssen vor Verbrechen geschützt werden und ihre Perspektiven und Stimmen müssen in Entscheidungen einbezogen werden.” Die internationale Gemeinschaft dürfe nicht zulassen, “dass diesen Kindern die Zukunft geraubt wird”.
Afrika war dem Save the Children-Bericht zufolge der Kontinent, auf dem 2022 in absoluten Zahlen die meisten Kinder lebten, die von einem bewaffneten Konflikt betroffen waren (183 Millionen). Es folgten Asien (145 Millionen), Amerika (69 Millionen), der Nahe Osten (63 Millionen) und Europa (9 Millionen). Im Verhältnis ist der Anteil der von Konflikten betroffenen Kinder im Nahen Osten am höchsten: Hier lebte 2022 jedes dritte Kind in einem Konfliktgebiet.
Pro Tag wurden 2023 durchschnittlich 76 Verbrechen an Kindern dokumentiert, was einem Anstieg von 13 Prozent gegenüber 2021 entspricht. Die Länder, in denen die meisten dieser Verbrechen nachgewiesen wurden, waren die Demokratische Republik Kongo, die Palästinensischen Gebiete, Somalia, Syrien, die Ukraine, Afghanistan und der Jemen.
Die häufigsten Verbrechen an Kindern im Jahr 2022 waren die Tötung und Verstümmelung mit 8.647 dokumentierten Fällen. Die höchsten Opferzahlen stammen aus der Ukraine – dort wurden 477 Kinder getötet und 909 Kinder verstümmelt. mrb
Die Entscheider in Deutschland erwarten von der Bundesregierung in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode besondere Anstrengungen in der Digitalpolitik – attestieren ihr aber zugleich kaum ausreichende Expertise dafür. Ähnlich hohe Erwartungen haben sie an die Energie- und Klimapolitik. Hier sprechen sie ihr allerdings die höchste Kompetenz zu und rechnen auch mit einer tatsächlichen Umsetzung.
Das geht aus einer exklusiven Umfrage des digitalen Medienhauses Table.Media hervor, an der über 3000 hochrangige Interessensvertreter teilgenommen haben. Sie sind im Transparenzregister des Deutschen Bundestags registriert und kommen zum überwiegenden Teil aus Unternehmen, Verbänden sowie Nichtregierungsorganisationen oder aus der Wissenschaft und der Verwaltung. Sie verteilen sich auf Branchen wie den Automobil- oder Energiesektor, die Bau- oder Digitalwirtschaft sowie Gewerkschaften und Umweltverbände.
Für knapp 82 Prozent der Befragten haben besondere Anstrengungen der Bundesregierung bei der Klima- und Energiepolitik eine eher hohe oder sogar hohe Bedeutung. Rund 85 Prozent gehen auch davon aus, dass es in den nächsten zwei Jahren tatsächlich zu einer Schwerpunktsetzung in der Energiepolitik kommen wird. Doch nur knapp 20 Prozent prognostizieren dies für die KI- und Datenpolitik.
Generell sprechen die Entscheiderinnen und Entscheider der Bundesregierung eher mittelmäßige Noten aus. Aber: Den vergleichsweise besten Wert erreicht die Ampel bei der Kompetenz in der Klima- und Energiepolitik. Hier wird ihr immerhin von rund 37 Prozent der Befragten eine hohe oder eher hohe Lösungskompetenz zugestanden. Beim Digitalausbau sind das gerade einmal noch 7,4 Prozent insgesamt. Eine hohe Kompetenz sehen sogar nur 0,6 Prozent.
Konkret schlägt sich diese Einschätzung zudem nieder in einem Lob für die Arbeit des Bundesministers für Wirtschaft und Klima, Robert Habeck, sowie deutlicher Kritik am Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Volker Wissing. Der Grünen-Politiker hat – trotz der Debatte über das Heizungsgesetz und die sogenannte Trauzeugenaffäre seines ehemaligen Staatssekretärs Patrick Graichen – die Erwartungen an seine Leistung in der ersten Hälfte der Legislaturperiode von rund 42 Prozent übertroffen oder eher übertroffen.
Er landet damit auf Platz vier der Ministerriege. Die schlechteste Note erhält der FDP-Politiker Wissing: Mehr als 69 Prozent finden seine Leistung in den ersten zwei Jahren enttäuschend oder eher enttäuschend. Bei der Frage, welche Bundesministerien durch besonders große Professionalität in der Sacharbeit auffallen, führt Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) die Liste an.
Die Opposition in Deutschland sehen die Befragten personell aktuell weniger gut aufgestellt: Lediglich knapp 13 Prozent halten es für wirklich realistisch, dass die Union mit dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz an der nächsten Bundesregierung beteiligt sein wird. löh
Financial Times: Guyana vows to defend itself ‘by all and any means’ from Venezuela threat. Der venezolanische Diktator Nicolás Maduro erhebt Anspruch auf die rohstoffreiche guyanische Region Essequibo. Für Guyana ist die Unterstützung von Verbündeten, einschließlich der USA, nun wichtiger denn je. Gerade einmal 4.070 aktiven Soldaten und Reservisten stehen den 351.000 Mann starken, von Russland unterstützten Streitkräften Venezuelas gegenüber.
Ukraine-Analysen: Der Blick aus dem Süden – Lateinamerikanische Perspektiven auf Russlands Angriffskrieg. Dass zahlreiche lateinamerikanische Staaten sich nicht eindeutiger und vehementer auf die Seite der Ukraine stellen, hat wohl interne Ursachen, arbeitet der Autor dieser Analyse heraus. Ein wichtiger Grund ist die Angst vor der schwindenden Aufmerksamkeit für eigene Probleme in der internationalen Diplomatie.
Das Politikteil: “Diese Menschen können nirgendwohin” – Hat Gaza eine Zukunft? In diesem Podcast spricht der Nahostexperte Daniel Gerlach über die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, einen Plan für die Zukunft Gazas zu entwickeln. Ihm schwebt ein Szenario vor, in dem die Region unter ein multinationales, arabisches Mandat gestellt wird.
Zenith: China profitiert vom Nahostkonflikt. China nutzt den Krieg in Gaza, um seine Rolle als außenpolitischer Rivale der USA zu konsolidieren. Das Engagement Pekings beschränkt sich vor allem auf Mitwirkung in den UN-Gremien und Kritik am Westen. Die humanitäre Hilfe fällt dagegen sehr gering aus.
Der Großvater des deutschen Botschafters in Israel war der Reichswehr-Offizier Berthold Proskauer. Im Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 verließ er Berlin mit seiner Familie in Richtung des damals britisch kontrollierten Palästinas. Dort ließ er den Nachnamen in Prosor ändern.
“Wer hätte gedacht, dass ich, der Enkel des stolzen Preußen Berthold Proskauer, einmal als Botschafter den Staat Israel in Deutschland vertreten werde”, sagte Ron Prosor im August 2022, als er sein Amt antrat; dadurch schließe sich für ihn “ein persönlicher Kreis”.
Nur ein gutes Jahr später gilt das umso mehr. Der Massenmord an mehr als 1.200 Israelis durch die Terrororganisation Hamas am 7. Oktober hat Prosor zum vielerorts gefragten Redner in Deutschland gemacht. Auf Kundgebungen wie am Sonntag vor dem Brandenburger Tor, in Talkshows und Interviews fordert der 1958 in Kfar Saba bei Tel Aviv geborene Diplomat unermüdlich Solidarität mit Israel – und eine unzweideutige Verurteilung des Terrors der Hamas.
Dass er politische Gegner dabei schonmal robuster angeht, entspricht dem diplomatischen Selbstverständnis des Vaters von drei Kindern, der zunächst eine Laufbahn in den israelischen Streitkräften einschlug und im Artilleriekorps der Israel Defence Forces (IDF) den Rang eines Majors erreichte: Prosors betreibt Public Diplomacy im Sinn der Hasbara (hebräisch für Erklärung) – offensive Öffentlichkeitsarbeit mit dem Ziel, eine positive Berichterstattung über Israel und seine politischen Anliegen zu erreichen. Angesichts des “diplomatischen Kriegs”, dem Israel ausgesetzt sei, sei jede Botschaft seines Landes ein “Kommandozentrum an der Front”, sagte Prosor vor zwei Jahren der israelischen Tageszeitung Israel HaYom.
Die Wendezeit erlebte Prosor zwischen 1988 und 1992 als Sprecher der israelischen Botschaft in Bonn, ehe er unter anderem als Botschafter nach London (2007-2011) und als Ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen nach New York (2011-2015) entsandt wurde. Im Außenministerium in Jerusalem selbst war er drei Jahre lang als Generaldirektor tätig.
Dass Prosor dabei bisweilen einem recht grobkörnigen Freund-/Feindschema folgt, bekamen in seinen 16 Monaten als Botschafter in Berlin schon einige zu spüren. Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) etwa wurde auf dem X-Account der Botschaft vorgehalten, “Antisemitismus im pseudoakademischen Milieu” und “Israel-Bashing” zu betreiben. Dem jüdischen Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, warf Prosor vor, Personen zu verteidigen, “die antisemitische Judenstereotype fördern”.
Am Mittwochabend lud Prosor mit seiner Frau Hadas zum Chanukka-Empfang ins Hotel Pullmann Schweizerhof am Zoologischen Garten in Berlin-Tiergarten. “Solidarität mit Israel” war der Abend betitelt – Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, die Ministerpräsidenten Hendrik Wüst und Dietmar Woidke sowie der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Michael Roth, waren unter den Gästen. “In der Zäsur des 7. Oktober zeigt sich, wer die wahren Freunde Israels sind, und in Deutschland haben wir wahre Freunde”, sagte Prosor und dankte der Bundesregierung für ihre Unterstützung.