mehrere Professoren haben am Dienstag in der Bundespressekonferenz für eine bessere Debattenkultur und einen offeneren Umgang mit Protestcamps an Universitäten geworben. “Wir denken in zwei Lagern und spielen die einen gegen die anderen aus”, sagte Miriam Rürup, Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums und Professorin für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam. Anstatt die Camps zu skandalisieren, sollten Regeln und geschützte Räume für Diskussionen geschaffen werden, erklärte Rürup. Wer das Protestrecht unterstützt, setze sich für die Grundrechte ein.
Studierende haben das Recht zu demonstrieren, erklärte auch Michael Wildt, emeritierter Professor für Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt Nationalsozialismus an der HU Berlin. Natürlich sei an Universitäten kein Platz für Antisemitismus und Rassismus, aber durch die Polizei werde Antisemitismus nicht abgeschafft, dies sei eine gesellschaftliche Aufgabe. Wildt hat den offenen Brief von Lehrenden an Berliner Universitäten unterzeichnet. Und wundert sich, dass Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger diesen in der Bild-Zeitung kritisierte. Sie habe mit keinem der Unterzeichner im Vorfeld gesprochen. Er hofft, dass es vielleicht eine Entschuldigung gibt.
Wie aber verhält es sich denn nun mit Protesten an Hochschulen? Meine Kollegin Anne Brüning hat mit Markus Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität Köln, gesprochen. Der sagt: Hochschulleitungen stünden bei Protestaktionen vor schwierigen Abwägungsfragen. Entscheidend sei es, genau hinzuschauen.
Eine aufschlussreiche Lektüre wünscht,
Nach dem erneuten Sinneswandel der FDP mit Blick auf eine vorgeschlagene Höchstbefristungsdauer für promovierte Nachwuchswissenschaftler sehen sich Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger und ihre Partei Kritik und Häme ausgesetzt.
Beschäftigten-Initiativen und Nachwuchswissenschaftler werfen der Ministerin und ihrer Partei eine taktische Blockadehaltung und vergiftete Kompromissvorschläge vor. Die Liberalen unterstützten Anfang der Woche eine Stellungnahme des Bundesrats, in der die Länder fordern, die Höchstbefristungsdauer für Postdocs wie gehabt bei sechs Jahren zu belassen. Im Gesetzesentwurf hatte das BMBF noch im April eine “4 + 2-Regelung” mit Anschlusszusage vorgesehen.
Angesprochen darauf, wie sie die Kompetenz der Forschungsministerin einschätzt, sagte Medizinnobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard, dem Spiegel in dieser Woche, dass sie Stark-Watzinger für “forschungsfremd” hält.
Die Diskussionen über die Zeitvertragsregelungen hätten ihre “Unkenntnis der Realitäten” gezeigt. “Die angedachten Regeln hätten dazu geführt, dass viele sehr verdiente Forscher zu früh hinausgeworfen worden wären”, sagte Nüsslein-Volhard mit Blick auf den bereits im vergangenen Jahr getätigten Vorschlag des Ministeriums für die ‘3 + 3-Regelung’ in der Postdoc-Phase, den das BMBF nach einem Wochenende selbst wieder verworfen hatte.
2 + 4, 3 + 3, 4 + 2 oder jetzt doch weiter 6? In der Debatte fordern die Grünen nun ein Ende der Zahlenspiele. “Wenn wir jetzt alle rote Linien ziehen und einzelne Zahlen in den Raum stellen, bringt uns das nicht weiter”, sagt Berichterstatterin Laura Kraft im Gespräch mit Table.Briefings. Vielmehr müssten die Verhandlungspartner die Postdoc-Phase insgesamt betrachten. “Da spielt die Höchstbefristung eine wichtige Rolle, aber auch die Öffnung der Tarifsperre und eine klarere Definition des Qualifizierungsbegriffs.”
Kraft reagierte damit auch auf Kritik von #IchbinHanna, GEW und dem neu gegründeten Professoren-Verbund “Netzwerk Nachhaltige Wissenschaft” (NNW). Im Gespräch mit Table.Briefings hatte Tilman Reitz, Soziologieprofessor und NWW-Mitglied mehr Mut von SPD und Grünen in der Diskussion gefordert. “Alle längeren Fristen als eine ein- bis zweijährige Bewährung in der Postdoc-Phase sind einfach eine Entschuldigung dafür, hochkompetente Arbeitskräfte nur auf Abruf einzustellen.”
Für den Fall, dass sich die FDP bei der Postdoc-Befristung durchsetzt, sollten substanzielle Veränderungen an anderer Stelle gefordert werden, sagte GEW-Vize Andreas Keller Table.Briefings. “Das könnten längere Mindestvertragslaufzeiten, eine präzise Definition des Qualifizierungsbegriffs, der sachgrundlose Befristungen ausschließt, oder eben eine ersatzlose Streichung der Tarifsperre sein.” Die Streichung der Tarifsperre wäre aus Kellers Sicht plausibel, “weil die Koalitionspartner damit ausdrücken könnten: ,Wir konnten uns nicht auf eine Reform einigen, nun sollen Gewerkschaften und Arbeitgeber zeigen, ob sie es besser können’”.
Eine “Zersplitterung” des Wissenschaftssystems und einen Flickenteppich an Regelungen erwartet Keller bei einer Öffnung der Tarifsperre nicht. “Die GEW hat überhaupt kein Interesse daran, die Flächentarifverträge für den öffentlichen Dienst infrage zu stellen. Ob weitere Länder aus der TdL ausscheren könnten, ist Spekulation.” Weniger optimistisch ist in diesem Punkt Wissenschaftsmanagerin Sabine Kunst. “Überall dort, wo es keine Tarifsperre gibt, klinken sich früher oder später einzelne Länder aus, wie es etwa Berlin beim Tarifvertrag für studentisch Beschäftigte getan hat.” Die ehemalige Hochschulpräsidentin und brandenburgische Wissenschaftsministerin hält den Einspruch der Länder für richtig.
Zu einer möglichen Kompromisslinie oder Positionierung in der Debatte wollte sich das BMBF auf Anfrage von Table.Briefings nicht äußern. Allerdings kündigte eine Sprecherin des Ministeriums an, dass das Bundeskabinett “zeitnah eine Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Befristungsrechts für die Wissenschaft beschließen will”. Über Inhalt und Zeitpunkt des Erscheinens machte die Sprecherin keine weiteren Angaben.
Und auch an anderer Stelle ist das BMBF bald gefordert. “Das BMBF muss endlich vorankommen bei der Ausarbeitung des Bund-Länder-Programms für mehr Dauerstellen, zu dem es vom Bundestag aufgefordert wurde. Das ist nicht Teil des WissZeitVG, sollte aber die Einführung der Reform flankieren. Dazu erwarte ich zeitnah ein Konzept aus dem BMBF”, fordert Laura Kraft. Auch dazu hält sich das Ministerium bedeckt. Möglicherweise will man das Positionspapier des Wissenschaftsrats abwarten, das voraussichtlich im Juli erscheint.
Einen Vorgeschmack darauf hatte der Vorsitzende Wolfgang Wick im Interview mit Forschung & Lehre bereits Ende April gegeben: Er forderte dort “mehr Beweglichkeit und weniger Struktur-Konservativismus” im System und konkret die Einführung von zwei Stellenkategorien neben der Professur: “Lecturer” und “Senior Scientist”. In Verbindung mit einem enger gefassten Qualifizierungsbegriff und einer von den Ländern vorgeschlagenen konkreten Definition der Anschlusszusage könnte darin ein gesichtswahrender Kompromiss für die Koalition stecken.
Ein Scheitern des Gesetzesvorhabens kann sich derweil keine der drei Regierungsparteien leisten. Während SPD und Grüne ihre Wahlversprechen einlösen wollen, können auch die Verantwortlichen im FDP-geführten BMBF nach drei Jahren der Analyse, Stakeholder-Dialoge und Diskussion keinen Totalausfall mehr unbeschadet überstehen. Auf Anfrage von Table.Briefings wiesen dann auch alle drei Berichterstatter, namentlich Laura Kraft (Grüne), Carolin Wagner (SPD) und Stephan Seiter (FDP) auf die konstruktive Atmosphäre der Gespräche hin und darauf, dass von einem Scheitern des Gesetzesvorhabens derzeit nicht auszugehen sei.
Studierende, die sich an propalästinensischen Protesten an Hochschulen beteiligen, können sich grundsätzlich auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit berufen. “Wird beispielsweise eine Demonstration auf einer universitären Außenfläche frühzeitig bei der Versammlungsbehörde angezeigt und sind keine allzu großen Störungen zu erwarten, muss die Hochschulleitung diese Personen grundsätzlich gewähren lassen”, sagt Markus Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität zu Köln, im Gespräch mit Table.Briefings.
Etwas anderes gelte bei Besetzungen – insbesondere in Innenräumen -, durch die der Universitätsbetrieb “teils enorm und mit dieser Intention blockiert” werde. “Hier darf die Universität die Grundrechte der Demonstrierenden weniger stark gewichten und ist deshalb befugt, auch Hausverbote auszusprechen”, sagt Ogorek. Werde diesen nicht gefolgt und teile die Versammlungsbehörde die Auffassung der Hochschulleitung, könne die Polizei im Wege der Amtshilfe als ultima ratio auch zur Räumung herangezogen werden.
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger weise demnach zu Recht darauf hin, dass auch den Hochschulleitungen das Hausrecht zusteht, um den geordneten Betrieb sicherzustellen. “Sie sind teilweise sogar verpflichtet, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen – etwa dann, wenn ansonsten die gegenüber der Universität bestehenden Grundrechte von Professorinnen und Professoren oder auch von Studierenden über Gebühr eingeschränkt werden.”
Allerdings rechtfertige nicht jede Störung auf dem Campus hausrechtliche Maßnahmen. Als öffentlich-rechtliche Einrichtungen seien die staatlichen Universitäten grundrechtsgebunden, müssen also grundsätzlich die Ausübung des Versammlungsrechts auf ihrem Gelände zulassen. “Anders als Private, die nur in Ausnahmefällen hierzu verpflichtet werden können, dürfen die Universitäten Proteste lediglich dann abweisen beziehungsweise beenden, wenn eine Abwägung ergibt, dass die Grundrechte der Betroffenen weniger schwer wiegen als die Beeinträchtigung des Universitätsbetriebs”, sagt Juraprofessor Ogorek.
Aus seiner Sicht handelt es sich bei den propalästinensischen Protesten nicht selten um bewusste Störaktionen, die teils ausdrücklich Veranstaltungen von Trägern der Wissenschaftsfreiheit innerhalb der Universitäten blockieren wollen. “Das muss sich eine Hochschulleitung nicht gefallen lassen – und hier kann sie Hausverbote gegebenenfalls auch durch eigene oder polizeiliche Kräfte konsequent durchsetzen.”
Entscheidend sei es, genau hinzuschauen – also ob die Proteste versammlungsrechtlich angezeigt wurden, ob eventuelle Auflagen befolgt wurden und ob sie mit einer Beeinträchtigung des Universitätsbetriebs einhergehen. “Erst wenn diese Fragen geklärt wurden, lässt sich im Einzelfall beantworten, ob hausrechtliche Maßnahmen zulässig oder sogar geboten sind.”
Die Regierung des Staates Israel und ihre Politik zu kritisieren, sei von der Meinungsfreiheit umfasst, und zwar auch dann, wenn die Kritik in scharfen Worten erfolge. “Der Begriff ,Israelkritik’ taugt aus meiner Sicht aber nicht zur Abgrenzung – denn teils verstehen Menschen darunter eine Ablehnung des jüdischen Staates in seiner Gänze, die den dort lebenden Menschen faktisch ihr Existenzrecht abspricht”, sagt Ogorek. Unzulässig sei es ferner, antisemitische Ressentiments zu schüren, bei denen die Politik der israelischen Regierung gleichsam als Projektionsfläche herhalten müsse.
Die Abgrenzung im Einzelfall falle naturgemäß nicht leicht, wie die Parole “from the river to the sea” zeige. “Wer diesen Ausruf verwendet, wird im Regelfall eine Vernichtung Israels fordern wollen, zumal sie auch in der Verfügung des Bundesinnenministeriums zum Verbot der Hamas ausdrücklich als deren Kennzeichen aufgeführt ist.” Doch grundrechtlich sei die für den Betroffenen günstigste Auslegung anzuwenden. Nur deshalb kämen einige Gerichte zu dem Schluss, die Parole sei gerade noch erlaubt. Ogorek: “Die Hochschulleitungen stehen bei Protestaktionen, die seitens der Veranstalter nicht versammlungsrechtlich angezeigt wurden, vor schwierigen Abwägungsfragen. Genau dafür gibt es im Zweifel aber den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz.”
Der Argumentation des offenen Briefs von Berliner Hochschullehrenden, die Polizeieinsätze an ihren Universitäten gegen Protestierende kritisieren und sich dabei auf die Versammlungs- und Meinungsfreiheit berufen, will der Kölner Verwaltungsrechtler nicht folgen. “Unterzeichner des offenen Briefs haben in den Medien vor allem mit der historischen Entwicklung argumentiert – dass also Besetzungen in Ordnung seien, weil es sie namentlich zu Zeiten der Studentenproteste in den 60er- und 70-er Jahren ebenfalls gegeben habe.” Das halte er für ein schwaches Argument. “Und es verfängt rechtlich auch nicht.”
Die Universitäten seien keine menschenleeren Orte, sondern dort entfalteten Trägerinnen und Träger der Wissenschaftsfreiheit jeden Tag eine Vielzahl von Aktivitäten. “Wenn eine Besetzung dazu führt, dass bestimmte Gäste nicht mehr empfangen oder Inhalte gelehrt werden können, ist das eine starke Beeinträchtigung der Wissenschaftsfreiheit – und die Hochschulleitung sind unter Umständen sogar zum Einschreiten verpflichtet.”
Die “politische Zuspitzung”, dass die Unterzeichner nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, teilt Ogorek jedoch nicht. “Es gibt sicherlich vieles, was an dem offenen Brief zu kritisieren ist. Aber gerade für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sieht das Grundgesetz einen breiten Meinungskorridor vor, dessen Grenzen ich im Brief nicht überschritten sehe.”
Das komplette Interview mit Markus Ogorek, in dem er auch darauf eingeht, inwieweit sich Hochschulleitungen an ministerielle Weisungen zu halten haben, lesen Sie hier.
27./28. Mai 2024, Dresden/International Congress Center Conference
Konferenz “Building Bridges for a Net Zero Future” Mehr
28. Mai 2024, 18:00-20:00 Uhr, Hans-Böckler-Haus, Keithstraße 1, 10787 Berlin, Ingeborg-Tönnesen-Saal und online
Veranstaltungsreihe über Grundfinanzierung statt Projektwettbewerb, u.a. von GEW und NGAWiss “Projektfinanzierung und/oder Wissenschaftsfreiheit?” Mehr
30. Mai 2024, 19:00 Uhr, BBAW, Akademiegebäude am Gendarmenmarkt, Leibniz-Saal, Markgrafenstraße 38, 10117 Berlin
Gedenkveranstaltung Würdigung der Person und des Wirkens von Gert G. Wagner für Wissenschaft, Dateninfrastruktur, Politikberatung und Wissenstransfer – Evidence Based Policy Mehr
3. Juni 2024, 18:00 bis 19:45 Uhr, Leopoldina, Jägerberg 1, 06108 Halle (Saale)
Dialogveranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) Europas Populisten im Aufwind: Ökonomische Ursachen und demokratische Herausforderungen Mehr
5. bis 7. Juni 2024, Berlin und online
Veranstaltung zur (digitalen) Zukunft der akademischen Bildung. University Future Festival: “Tales of Tomorrow” Mehr
7. Juni 2024, 9:30 bis 18:00 Uhr, Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund, Luisenstraße 18, 10117 Berlin
Workshop der Leopoldina Überregulierung der Wissenschaft Mehr
15. Juni 2024, Konzerthaus Berlin am Gendarmenmarkt, 10117 Berlin
Leibniztag 2024 Festsitzung Mehr
Die TUD lädt am Samstag gemeinsam mit rund 60 Organisationen aus Wissenschaft und Kultur zu dem Event “Gemeinsam für Demokratie” ein. Auch sonst gibt es in diesem Jahr zahlreiche Aktivitäten zum Schutz der Demokratie, weil Sie – laut eigener Aussage – fundamentale Werte wie Freiheitsrechte, Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit in Gefahr sehen. Wie kommen Sie zu der Diagnose?
Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten gesehen, wie verfassungsfeindliche und antisemitische Bestrebungen immer offener zutage getreten sind – bis hin zu gewalttätigen Übergriffen. Zu dem darin zum Ausdruck gebrachten menschenverachtenden Reden und Handeln können und wollen wir nicht schweigen, denn wir sehen hier in der Tat die Gefahr, dass durch diese Bestrebungen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und universelle Menschenrechte zersetzt werden.
Sie sind selbst Psychologin. Kann man aus psychologischer oder soziologischer Sicht begründen, warum in Europa rechtspopulistische und verfassungsfeindliche Tendenzen auf dem Vormarsch sind?
Ich würde hier zunächst auf die Demokratieforschung verweisen, die gezeigt hat, dass die Demokratie als Regierungsform weltweit bedroht ist, nicht nur in Europa. Das gilt ganz besonders auch für die USA, wo ich viele Jahre gelebt habe. Dies geschieht in einer Zeit des sehr schnellen Wandels unseres Alltags durch technologischen Fortschritt. Hinzu kommen umwälzende Kriege und extreme Umweltereignisse aufgrund der Klimakrise. So geraten Gewohnheiten ins Wanken und die Unübersichtlichkeit des Lebens wächst – damit auch Ängste und Verunsicherung. Einfache Antworten, wie sie von populistischen und verfassungsfeindlichen Stimmen angeboten werden, scheinen dann die Lösung.
Was kann die Wissenschaft mit Blick auf die Forschung zum Erkennen, zur Prophylaxe und zum Bekämpfen von antidemokratischen Tendenzen tun? Woran wird mit Blick darauf in Dresden geforscht?
An der TU Dresden gibt es hier sehr vielfältige Anknüpfungspunkte. Um nur zwei Beispiele zu nennen, die aufgrund ihrer Forschungsgegenstände auch eine besonders große Aktualität haben: Da gibt es zum einen die John-Dewey-Forschungsstelle für die Didaktik der Demokratie, die von Professorin Anja Besand geleitet wird. Hier geht es ganz konkret darum, wie Lehrerinnen und Lehrer auf zum Beispiel rassistische und antidemokratische Vorfälle reagieren können. Oder am Mercator Forum Migration und Demokratie – MIDEM unter der Leitung von Professor Hans Vorländer, hier wird zu den Wechselbeziehungen zwischen Migration und demokratischer Gesellschaft geforscht. So hat das MIDEM erst jüngst eine repräsentative Studie zur Einstellung der Deutschen zum Grundgesetz mit beachtenswerten Befunden vorgelegt. tg
Staat, Wirtschaft und Hochschulen haben im Jahr 2022 zusammen insgesamt 121,4 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung (FuE) investiert. Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Ausgaben um 8,2 Milliarden Euro (7,3 Prozent) und erreichen damit einen neuen Höchststand. Das geht aus dem Bundesbericht Forschung und Innovation (BuFI) 2024 des BMBF hervor, den das Bundeskabinett am gestrigen Mittwoch beschlossen hat.
Die vorläufige FuE-Quote für das Jahr 2022 liegt bei 3,13 Prozent. Man halte an dem ambitionierten Ziel fest, den Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt bis 2025 auf 3,5 Prozent steigern zu wollen, sagte Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger bei der Vorstellung des Berichts.
“Mit dem Wachstumschancengesetz, der Zukunftsstrategie Forschung und Innovation und dem Sprind–Freiheitsgesetz haben wir bereits einiges umgesetzt, was jetzt seine volle Wirkung entfalten wird”, betonte die Ministerin. Und mit der Gründung der Dati stehe bereits das nächste Instrument in den Startlöchern, um insbesondere den Transfer zu stärken.
Der BuFI enthält auf rund 500 Seiten plus 100 Seiten Anhang mit Daten und Fakten einen Überblick über die Aktivitäten des Bundes und der Länder zu Forschung und Innovation. Er richtet sich vor allem an ein Fachpublikum – etwa an Hochschulen, Forschungseinrichtungen, in Verbänden und Unternehmen.
Geo- und sicherheitspolitische Veränderungen haben neue Rahmenbedingungen für Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft geschaffen, heißt es in dem Bericht. Vor diesem Hintergrund bleibe die Sicherung der technologischen und digitalen Souveränität zur Vermeidung einseitiger Abhängigkeiten und die Technologieentwicklung im Einklang mit europäischen Werten ein wichtiges Ziel deutscher Forschungs- und Innovationspolitik. Die verstärkte Forschungstätigkeit im Bereich der sich rasant entwickelnden Schlüsseltechnologien komme dabei eine hohe Bedeutung zu. red
Bis dato stocken die Verhandlungen der EU-Mitgliedstaaten zur Deregulierung neuer biotechnologischer Verfahren in der Pflanzenzüchtung. Nun unternimmt die belgische Ratspräsidentschaft noch einmal einen Einigungsversuch. Im Vorschlag der Belgier, der Table.Briefings vorliegt, geht es vor allem darum, den Patentschutz zu regeln und gentechnisch verändertes Pflanzenmaterial für Züchter und Landwirte zugänglich zu machen. Regeln für Pflanzen der Kategorie NGT-1 sollen demnach nur gelockert werden dürfen, wenn nicht gleichzeitig Patentschutz angemeldet wird. Durch diese Einschränkung versuchen die Belgier offenbar Anreize zu schaffen, auf Patente zu verzichten. Andernfalls sollen strenge Regeln, wie Risikoprüfung und Kennzeichnungspflicht, weiterhin gelten. Im Vorschlag der Belgier umfasst dies auch Pflanzenteile und genetisches Material. Am Mittwoch und Donnerstag sollen die Vertreter der EU-Mitgliedstaaten darüber diskutieren.
Die Sorge einiger Länder, allen voran Polen, um eine mögliche Patentierbarkeit gentechnisch veränderter Pflanzen steht einer Einigung im Rat entgegen. Neben Polen gilt auch Rumänien als Wackelkandidat, zumal dort Ende des Jahres Parlamentswahlen anstehen. Deutschland muss sich wegen Uneinigkeit in der Ampel enthalten – daran dürfte sich absehbar nichts ändern.
Das Europäische Parlament, das seine Position im Februar annahm und Ende April bestätigte, spricht sich dafür aus, Patente auf gentechnisch veränderte Pflanzen grundsätzlich zu verbieten. Ein solches explizites Verbot steht aus Expertensicht aber im Konflikt zum Europäischen Patentübereinkommen. jd
Von angesehenen Experten für Künstliche Intelligenz kommt eine neue, eindringliche Warnung vor Gefahren der Technologie. “Ohne ausreichende Vorsicht könnten wir unwiederbringlich die Kontrolle über autonome KI-Systeme verlieren”, schreiben die Forscher im Magazin Science. Mögliche KI-Risiken seien Cyberattacken in großem Maßstab, gesellschaftliche Manipulation, allgegenwärtige Überwachung und sogar die “Auslöschung der Menschheit”. Unter den Autoren sind Wissenschaftler wie Geoffrey Hinton, Andrew Yao und Dawn Song, die zu den führenden Köpfen der KI-Forschung gehören.
Den Autoren des Textes im Science Magazine machen speziell autonome KI-Systeme Sorgen, die zum Beispiel selbstständig Computer nutzen können, um die ihnen gestellten Ziele zu erreichen. Die Fachleute argumentieren, dass es auch bei Programmen mit guten Absichten unvorhergesehene Nebeneffekte geben könne. Denn so, wie das Training von KI-Software laufe, halte sie sich zwar eng an ihre Spezifikationen – habe aber kein Verständnis dafür, welches Ergebnis dabei herauskommen soll. “Sobald autonome KI-Systeme unerwünschte Ziele verfolgen, könnten wir nicht mehr in der Lage sein, sie unter Kontrolle zu behalten”, heißt es in dem Text.
Ähnlich dramatische Warnungen gab es schon mehrfach, auch bereits im vergangenen Jahr. Diesmal passt die Veröffentlichung zeitlich zum KI-Gipfel in Seoul. Zum Auftakt des zweitägigen Treffens am Dienstag sicherten unter anderem US-Konzerne wie Google, Meta und Microsoft einen verantwortungsvollen Umgang mit der Technologie zu, entsprechende Erklärungen wurden verabschiedet.
Die Frage, ob die ChatGPT-Entwicklerfirma OpenAI als Vorreiter bei KI-Technologie verantwortungsvoll genug vorgeht, war am Wochenende nochmal stärker in den Fokus gerückt. Der Entwickler Jan Leike, der bei OpenAI dafür zuständig war, KI-Software sicher für Menschen zu machen, kritisierte nach seinem Rücktritt Gegenwind aus der Chefetage. In den vergangenen Jahren seien glitzernde Produkte der Sicherheit vorgezogen worden, schrieb Leike bei X. Dabei sei “Software zu entwickeln, die schlauer als Menschen ist, eine von Natur aus gefährliche Unternehmung”, warnte er. OpenAI-Chef Sam Altman versicherte danach, seine Firma fühle sich verpflichtet, mehr für die Sicherheit von KI-Software zu tun. dpa
Die Bundesregierung hat das Deutsche Diskussionspapier für die Vorbereitung des 10. EU-Rahmenprogramms für Forschung und Innovation veröffentlicht. Am Donnerstag übergibt es Staatssekretärin Sabine Döring in Brüssel. Man wolle deutlich hervorheben, welche große Bedeutung ein leistungsstarkes und anpassungsfähiges Forschungs- und Innovationssystems für Europa hat, um die globalen Herausforderungen und die jüngsten Krisen zu meistern und gesellschaftliche Transformationsprozesse wissensbasiert zu gestalten.
Forschung und Innovation sind der Schlüssel für den Erhalt und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas, sagt Bettina Stark-Watzinger gegenüber Table.Briefings. Mit dem Diskussionspapier setze man frühzeitig und aktiv Impulse für die Ausgestaltung des nächsten 10. EU-Rahmenprogramms. “Denn wir brauchen eine gezielte Förderung gerade von kritischen Schlüsseltechnologien. Gleichzeitig bleibt exzellente, themen- und auch technologieoffene Forschung als Grundlage für zukunftsweisende Innovationen unverzichtbar”, erklärt die Forschungsministerin.
In der aktuellen Situation sei die europäische Zusammenarbeit in Forschung und Innovation wichtiger denn je, um die Wettbewerbsfähigkeit und die Sicherheit Europas zu stärken, heißt es in dem Papier. Mit dem FP10 soll ein klarer Fokus auf die Stärkung der Grundlagenforschung, die Förderung der Schlüsseltechnologien und eine Beschleunigung des Transfers gelegt werden.
Dem Subsidiaritätsprinzip folgend sollte FP10 nur Maßnahmen beinhalten, deren Durchführung einen erheblichen europäischen Mehrwert bietet. Das Programm ist kein Ersatz für nationale Anstrengungen. Die Erreichung des 3-Prozent-Ziels für F&I-Ausgaben in der EU bleibe essenziell.
Im Angesicht der Zeitenwende und der zunehmenden geopolitischen Spannungen, die einhergehen mit hybriden Bedrohungen, Angriffen auf kritischen Infrastrukturen und dem Erstarken des Extremismus solle FP10 die F&I-Potenziale für die Stärkung der europäischen Sicherheit noch effektiver heben. Um Sicherheit holistisch zu denken, müssten zivile und militärische Forschung komplementär gefördert werden. Ziel sei es, Synergien zwischen militärischer und ziviler Forschung zu heben. Dabei bleibe das Nebeneinander von FP10 und rein militärischer Forschung wichtig.
Ein themen- und technologieoffener F&I-Ansatz sei unverzichtbar für die Entwicklung von Resilienzen auch gegenüber unvorhergesehenen zukünftigen Herausforderungen.
Diese Punkte werden in dem Papier unter anderem herausgearbeitet und gefordert:
Die Arbeiten am Nachfolger des noch bis 2027 laufenden neunten EU-Forschungsrahmenprogramms Horizont Europa haben bereits 2023 begonnen. Vor einem Jahr veröffentlichte die Europäische Kommission die Ergebnisse einer Konsultation zum zehnten Rahmenprogramm für Forschung und Innovation. Darin findet sich der Appell der Forschungscommunity, das Programm mit einer klaren Vision und einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Grundlagen- und angewandter Wissenschaft auszubauen.
Innerhalb der EU-Kommission wurde bereits eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die Generaldirektionen mit Bezug zur Forschung, einschließlich Gesundheit, Verkehr und Digitales, zusammenbringt. Die Kommission sammelt Positionspapiere, Daten und Analysen für die Zwischenbewertung von Horizont Europa, die Anfang 2025 fertiggestellt und veröffentlicht werden soll. nik
Spiegel. “Wer kommt auf so eine Idee? Die haben einen Knall”. Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard spricht im Interview über Forschungsfreiheit (“Nicht so frei, wie ich sie gern hätte. Es gibt einen Haufen unvernünftiger, überregulierender Gesetze, die Wissenschaftler einschränken.”) und die größten Feinde der Wissenschaft: ungebildete Politiker. Die 81-Jährige kritisiert die bürokratischen Regeln des Tierschutzgesetzes, moniert, dass Landwirtschaftsminister Özdemir sich nicht mit Landwirtschaft auskennt und bezeichnet Forschungsministerin Stark-Watzinger als “forschungsfremd”: “Sie wirkt, als kenne sie die Uni von innen kaum und schon gar keine Labore. Sie hat Volkswirtschaft studiert, das ist aber keine Wissenschaft, und sie hat nie selbst geforscht.” Zum Artikel
Spiegel. Die Furcht vor Anlage 6.4a. Das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) des BMWK soll Neuentwicklungen kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) fördern, die oft mit Risiken verbunden sind. Doch es ist nicht mehr so niedrigschwellig wie früher. Zum Antrag gehört neuerdings die gefürchtete Anlage 6.4a. Darin werden diverse Posten abgefragt: Ausgaben für Geräte und Mieten, Reisekosten und Weiterbildung, die Wertminderung genutzter Gebäude. Für einige Unternehmen bedeutet das zu viel bürokratische Last und sie verzichten auf die Förderung. Tatsächlich ist die Zahl der Anträge offenbar rückläufig. Das BMWK führt das auf Wirtschaftslage und Fachkräftemangel zurück. Und für die Anlage 6.4a sei die EU-Kommission verantwortlich. Eine neue Verordnung regelt erstmals, welche Ausgaben die Mitgliedstaaten in Form von Pauschalen fördern dürfen. Zum Artikel
Zeit. “Das ist eine radikale Verzerrung der Wirklichkeit”. Was wir bei den Studentenprotesten gerade sehen, nun auch an deutschen Hochschulen, sei Ausdruck einer beispiellosen Radikalisierung postkolonialistischen Denkens, sagt der Philosoph Ingo Elbe im Interview. Das Problem der postkolonialen Theorie sei, dass man von Anfang an die Idee der rassistischen, kolonialen Ausgrenzung des sogenannten Globalen Südens zu einer Art Universalschlüssel für die Erkenntnis von mehr oder weniger allem gemacht hat, postuliert der Privatdozent von der Universität Oldenburg. Die Themen Judentum, Zionismus, Holocaust und Antisemitismus würden durch die Brille der Kolonialität gedeutet. Das führe zu eklatanten Verkürzungen. Zum Artikel
Nature. Pay researchers to spot errors in published papers. Viele Branchen geben hohe Summen dafür aus, Anreize für das Auffinden und Melden von Fehlern und Pannen zu schaffen. Auch die Wissenschaft sollte die Entdeckung und Korrektur von Fehlern in der wissenschaftlichen Literatur belohnen, schreibt Malte Elson von der Universität Bern, der sich dem Projekt “Estimating the Reliability and Robustness of Research (ERROR)” angeschlossen hat. Im Rahmen des Projekts werden Spezialisten dafür bezahlt, viel zitierte Veröffentlichungen zu überprüfen. Gutachter erhalten einen Basissatz von bis zu 1.000 Schweizer Franken für jede Arbeit, die sie prüfen, sowie einen Bonus für jeden gefundenen Fehler. Je größer der Fehler, desto höher die Belohnung. Er hoffe, dass das Projekt den Wert systematischer Verfahren zur Aufdeckung von Fehlern in veröffentlichten Forschungsarbeiten aufzeigen wird. “Ich bin überzeugt, dass solche Systeme notwendig sind, weil die derzeitigen Kontrollen unzureichend sind.” Zum Artikel
Sebastian Brand und Michael Kögel vom Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS sind mit dem “Outstanding Researchers Award 2023” des Chipkonzerns Intel prämiert worden. Das Fraunhofer IMWS und die Universität Oslo sind die einzigen Einrichtungen in Europa, die in diesem Jahr ausgezeichnet wurden.
Paweł Rowiński von der polnischen Akademie der Wissenschaften ist neuer Präsident der European Federation of Academies of Sciences and Humanities, ALLEA. Er löst Antonio Loprieno ab, der ALLEA seit 2018 eitete. Dem neuen zehnköpfigen Vorstand gehören aus Deutschland Annette Grüters-Kieslich (Leopoldina/Akademienunion) und von der Jungen Akademie Lara Keuck, ab Juli 2025 als Nachfolgerin von Kerstin Pahl.
Joachim Wambsganß von der Universität Heidelberg und Andrzej Udalski von der Universität Warschau erhalten den diesjährigen Copernicus-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Stiftung für die polnische Wissenschaft. Gewürdigt werden ihre mehr als zwei Jahrzehnte andauernde grenzüberschreitende Kooperation und ihre gemeinsamen Erfolge bei der Suche nach und der Charakterisierung von Exoplaneten. Die Auszeichnung ist mit 200.000 Euro dotiert und wird alle zwei Jahre vergeben.
Janet Yellen, US-Finanzministerin, hat die Ehrendoktorwürde der Frankfurt School of Finance & Management erhalten. Laudatoren waren unter anderem Bundesfinanzminister Christian Lindner sowie Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank.
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!
Bildung.Table. Startchancen-Stichtag: Welche Debatten das Schulprogramm in den Ländern auslöst. Bis zum 1. Juni müssen die ersten 1.000 Schulen benannt sein, die den Anfang im Startchancen-Programm machen. Alle ausgewählt nach einem Sozialindex. Bundesweit treibt das die Bildungspolitik um. Und auch die Frage, ob alle ausgewählten Schulen überhaupt im Programm sein wollen. Mehr
Bildung.Table. Bildungsplattform: BMBF kooperiert mit der Agentur SPRIND. Die Bildungsplattform “Mein Bildungsraum” geht in die nächste Phase. Dafür kooperiert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit der Agentur für Sprunginnovationen “SPRIND”. Die Agentur soll “Mein Bildungsraum” zukunftsorientiert aufstellen und die Entwicklung einer Betreiberstruktur übernehmen. Das geht aus einem Schreiben des BMBF hervor, welches Table.Briefings exklusiv vorliegt. Mehr
China.Table. China etabliert sich als Exporteur von Recht. In dem Maße, in dem China sich auf dem Weltmarkt für transnationales und internationales Recht als Exportnation etabliert, dürfte es für den Exportweltmeister Deutschland auch im Wettbewerb der Rechtsordnungen enger werden, schreibt Thomas Duve, Direktor am Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie in Frankfurt am Main in einem Standpunkt-Beitrag. Chinakompetenz auch im Bereich des Rechts sei umso wichtiger. Mehr
Climate.Table. Klimaschutz: Warum die jüngsten Urteile auch nach der KSG-Novelle relevant bleiben. Erneut hat ein Gericht die Klimapolitik der Bundesregierung als unzureichend beurteilt. Nach Ansicht von Experten wird das Konsequenzen haben müssen – trotz der gerade beschlossenen Abschwächung des Klimaschutzgesetzes. Mehr
Europe.Table. Wie Mittelmäßigkeit das europäische Projekt gefährdet. Seit sechzehn Jahren, seit dem Vertrag von Lissabon, trete die EU auf der Stelle, schreiben Michael Zürn und Steffen Huck vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung in einem Standpunkt-Beitrag. Die Krisen der 2000er führten zwar de facto auch zu einer Stärkung der europäischen Institutionen, aber sie befeuerten nicht mehr das europäische Projekt als solches. Dabei Krisen könnten helfen, Hürden zu nehmen, die im Normalzustand nicht überspringbar sind. Mehr
In zwei Tagen ist ein Jahr vergangen, seit Holger Hanselka vom Senat der Fraunhofer-Gesellschaft zum neuen Präsidenten gewählt wurde. Zeit, um eine Zwischenbilanz zu ziehen. Am 31. Mai 2023 erschien meine Kolumne “Fraunhofer – Der Spuk hat sein Ende – jetzt müssen Reformen beginnen”. Verschiedene Handlungsfelder, die ich nannte, möchte ich jetzt einer ersten konstruktiv-kritischen Zwischenbilanz unterziehen. Eine Fortsetzung in einer zweiten Zwischenbilanz erscheint in meiner nächsten Kolumne.
Richtig ist, dass zwei Vorstandsmitglieder, Reimund Neugebauer und Alexander Kurz, gehen mussten. Viele irritiert jedoch, dass die dritte im Bunde, die Vorständin für Personal, Unternehmenskultur und Recht, Elisabeth Ewen, nach wie vor an Bord ist. Unter dem ehemaligen Personalvorstand Kurz war sie die operative Personalchefin, bevor dieser Vorstand für Innovation, Transfer und Verwertung und sie Personalvorständin wurde.
Rechtlich bestens bewandert trugen Verträge, die Alexander Kurz unterschrieb, ihre Handschrift. Und die Reisestelle, die die luxuriösen Spesen der Vorstände abrechnete, lagen in ihrer Zuständigkeit. Als operative Personalchefin war sie zudem mitverantwortlich für die damalige desaströse Kulturarbeit. Whistleblower äußern die Vermutung, dass sie “Kronzeugin” gegen Kurz geworden ist und dafür im Job verbleiben durfte.
Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob jemand, der die alte Kultur der Autokratie und Verschwendung an der Spitze zumindest tolerierte, nach Aufnahme der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen noch als Vorstand tragbar bleibt.
Übrigens gilt dieses grundsätzliche Argument auch für die personelle Zusammensetzung des Senats, der in Kenntnis der Vorwürfe diese “geschlossen… als durchweg haltlos” bezeichnete. Mir ist nicht bekannt, dass sich der Senat mit seiner eigenen unwürdigen Rolle je befasst hätte oder diese untersucht worden wäre. Auch ist nicht bekannt, ob der damalige Senatsvorsitzende Jörg Fuhrmann wegen Verletzung der Aufsichtspflicht belangt wurde. Immerhin hat er sich direkt nach seiner Ernennung zum Senatsvorsitzenden gegen den schon damals wirkungslosen Widerstand des BMBF eine Directors and Officers (D&O-)-Versicherung gegen grob fahrlässiges Fehlverhalten finanzieren lassen. Er wusste wohl, was auf ihn zukommt.
Dazu kommt, dass sich Senatsmitglieder unter Neugebauers Ägide als seine Handlanger betätigt haben. Auch liegen bis heute keine öffentlich transparenten Berichte der mit unterschiedlichen Sachverhalten der Aufklärung beauftragten Kanzleien Nörr, Heussen und Knauer sowie des Senatsausschusses unter Leitung der jetzigen Senatsvorsitzenden Hildegard Müller (zugleich Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, VDA) vor.
Wen wundert es dann noch, dass bis heute – auch unter neuer Führungsspitze – keine Befragung der 30.000 skandalgeschädigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfolgt ist. Wie sehen diese die Qualität der Aufarbeitung des Skandals, die Zukunft der Gesellschaft und das Involvement der Mitarbeiterschaft? Das hat schon Reimund Neugebauer so gehalten. Als er bei einer ersten Mitarbeiterbefragung vor einem guten Jahrzehnt schlechteste Ergebnisse witterte, blieb alles unter Verschluss. Er hat nie wieder eine Befragung durchführen lassen.
Die feine Gesellschaft hat sich von zwei Verantwortlichen gesäubert, Neugebauer & Co. sind weg, das System Neugebauer im Gestrüpp ist nicht angetastet. Die Rolle der TU Chemnitz und fragliche Ehrendoktorwürden für Vorstandsriegen der Automobilbranche ist nicht beleuchtet. Die Unternehmensrevision und die Compliance-Systeme ebenso nicht. Auch die politische Instrumentalisierung bei der Entscheidung zu Forschungsstandorten ist so ein Tabuthema.
Neugebauer hat in seiner Zeit die Zahl der Fraunhofer-Institute von 64 auf 76 erhöht. Der Bundesrechnungshof forderte daraufhin in seinem zweiten aktuellen Prüfbericht: “Um….Risiken für den Bundeshaushalt durch ein überproportionales institutionelles Wachstum der FhG zu vermeiden, sollte das BMBF die Anzahl der Fraunhofer-Institute limitieren”.
Eine harsche Ansage, auf die Holger Hanselka bis heute keine strategische Richtung bzw. Antworten gibt. Er selbst weiß bestens, dass ‘scientific concentration’ das Gebot der Stunde wäre, also die Schließung von Instituten oder ihre Fusionierung an einem Ort. Hinter der nüchternen Ansage des Bundesrechnungshofes steckt zudem eine bittere Vermutung. Wurden Fraunhofer-Institute oder Zweigstellen aus Gefälligkeit Politikern gegenüber gegründet? Zumindest gibt es auffällige “Zufälle”.
Die Forschungsfabrik Batterie in Münster mit einer Recycling-Fabrik in Ibbenbüren etwa ist prominentestes Beispiel, liegt letztere doch im Wahlkreis der damaligen Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU). Fraunhofer war damals schon als Betreiberin der Forschungsfabrik gesetzt und ist es heute auch. Doch sie war compliancewidrig auch gleichzeitig Gutachterin, Mitglied der Gründungskommission – und Mitbewerberin. Ministerin Karliczek kam wegen der Begünstigung ihres Wahlkreises und wegen des Entscheidungsprozesses so unter Druck, dass sie sich öffentlich entschuldigen musste. Im politischen Berlin von heute ein höchst ungewöhnlicher Vorgang.
Weitere Beispiele sind:
Das ” Neue Lausitz Briefing #73″ vom 6. Juni 2023 kommentiert denn auch launig, dass Fraunhofer nicht nur eine Forschungsgemeinschaft, sondern auch eine schnelle Ausbautruppe in strukturschwachen Regionen sei. “Die Standortzuteilung sei in vielen Fällen nur politisch zu erklären, die Kleinteiligkeit sei ein Risiko für den Erfolg der Einrichtungen…Je kleinteiliger, je weiter abgelegen, desto schwieriger wird es, gute Leute zu bekommen. Das gilt auch für staatliche Forschungseinrichtungen.”
Hanselka müsste eigentlich rasch aufräumen, stattdessen betreibt er noch Symbolpolitik: Am Fraunhofer-Zentrum für Internationales Management und Wissensökonomie IMW gibt es eine Teilbetriebsschließung. Die verbleibenden Abteilungen werden in das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI integriert. Zudem soll das Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT in das Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE integriert werden.
Pillepalle! Offen bleibt zudem, ob das nur ein virtuelles Schauspiel oder durch örtliche Zusammenlegung erfolgt.
Seit Jahr und Tag gibt es das Fraunhofersche Quadranten-System mit der Koordinate ‘schwacher oder starker Bezug zur Industrie’ sowie der Koordinate ,Unwirtschaftlichkeit oder Wirtschaftlichkeit des Geschäftsmodells’ inklusive des berüchtigten roten Quadranten ‘unwirtschaftlich und industriefern’ , in welchem sich 20 oder mehr Fraunhofer Standorte befinden müssten. Eigentlich wäre Hanselka gefordert, viel härter durchzugreifen, adressierte er doch wiederholt die Systemrelevanz Fraunhofers besonders für den Mittelstand, der über keine eigenen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten verfügt. Sollte er je die präzisen Zahlen zu den Industrieerträgen aus diesem Segment des Mittelstands erhalten, wäre er erstaunt ob deren Winzigkeit.
Fraunhofer wird allemal finanziell unter Druck geraten, wenn es sich nicht schnellstens strategisch repositioniert. Die alte Maxime “Ein Drittel Grundfinanzierung, ein Drittel öffentliches Projektgeschäft und ein Drittel Industrie-Erträge” wackelt heute schon. Das dreiprozentige Wachstum der Grundfinanzierung wird mehr als aufgefressen durch Energiekosten, Vergütungssteigerung und Inflation. Der Marktplatz öffentlichen Projektgeschäftes wird nicht nur enger, sondern er ist auch nicht finanziell verstetigt. Nach Auslauf der Projektförderung liegen die finanziellen Lasten bei Fraunhofer.
Um Fraunhofer wetterfest aufzustellen, muss eigentlich ein Modell her, das eine signifikante Steigerung der Industrie-Erträge vorsieht. Beispielsweise 30 Prozent Grundfinanzierung, 30 Prozent öffentliches Projektgeschäft und 40 Prozent Industrie-Erträge. Das wäre nicht nur klug, um den Transferdruck auf die einzelnen Institute zu erhöhen, sondern würde auch der unique selling proposition (USP) der gesamten Forschungsgesellschaft gut tun.
Jetzt wird sich zeigen, ob Sie bei echter Restrukturierung oder nur im Sonnenschein führen können. Jetzt wird es nicht nur um die Steigerung der Industrie-Erträge, sondern erst recht um die inhaltliche wie strukturelle Konsolidierung der Zentren gehen: 26 Institute sind ” irgendwie” in der Batterieforschung tätig, zehn Institute machen “irgendetwas” in Sensorik. Und keines ist weltweit in der Spitzengruppe. Die kleinteiligen Institute und Institutsteile der Ära Neugebauer kommen dazu. Und die Zentren im berühmt-berüchtigten roten Quadranten”! Jede Menge an Aufräumarbeit.
mehrere Professoren haben am Dienstag in der Bundespressekonferenz für eine bessere Debattenkultur und einen offeneren Umgang mit Protestcamps an Universitäten geworben. “Wir denken in zwei Lagern und spielen die einen gegen die anderen aus”, sagte Miriam Rürup, Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums und Professorin für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam. Anstatt die Camps zu skandalisieren, sollten Regeln und geschützte Räume für Diskussionen geschaffen werden, erklärte Rürup. Wer das Protestrecht unterstützt, setze sich für die Grundrechte ein.
Studierende haben das Recht zu demonstrieren, erklärte auch Michael Wildt, emeritierter Professor für Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt Nationalsozialismus an der HU Berlin. Natürlich sei an Universitäten kein Platz für Antisemitismus und Rassismus, aber durch die Polizei werde Antisemitismus nicht abgeschafft, dies sei eine gesellschaftliche Aufgabe. Wildt hat den offenen Brief von Lehrenden an Berliner Universitäten unterzeichnet. Und wundert sich, dass Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger diesen in der Bild-Zeitung kritisierte. Sie habe mit keinem der Unterzeichner im Vorfeld gesprochen. Er hofft, dass es vielleicht eine Entschuldigung gibt.
Wie aber verhält es sich denn nun mit Protesten an Hochschulen? Meine Kollegin Anne Brüning hat mit Markus Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität Köln, gesprochen. Der sagt: Hochschulleitungen stünden bei Protestaktionen vor schwierigen Abwägungsfragen. Entscheidend sei es, genau hinzuschauen.
Eine aufschlussreiche Lektüre wünscht,
Nach dem erneuten Sinneswandel der FDP mit Blick auf eine vorgeschlagene Höchstbefristungsdauer für promovierte Nachwuchswissenschaftler sehen sich Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger und ihre Partei Kritik und Häme ausgesetzt.
Beschäftigten-Initiativen und Nachwuchswissenschaftler werfen der Ministerin und ihrer Partei eine taktische Blockadehaltung und vergiftete Kompromissvorschläge vor. Die Liberalen unterstützten Anfang der Woche eine Stellungnahme des Bundesrats, in der die Länder fordern, die Höchstbefristungsdauer für Postdocs wie gehabt bei sechs Jahren zu belassen. Im Gesetzesentwurf hatte das BMBF noch im April eine “4 + 2-Regelung” mit Anschlusszusage vorgesehen.
Angesprochen darauf, wie sie die Kompetenz der Forschungsministerin einschätzt, sagte Medizinnobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard, dem Spiegel in dieser Woche, dass sie Stark-Watzinger für “forschungsfremd” hält.
Die Diskussionen über die Zeitvertragsregelungen hätten ihre “Unkenntnis der Realitäten” gezeigt. “Die angedachten Regeln hätten dazu geführt, dass viele sehr verdiente Forscher zu früh hinausgeworfen worden wären”, sagte Nüsslein-Volhard mit Blick auf den bereits im vergangenen Jahr getätigten Vorschlag des Ministeriums für die ‘3 + 3-Regelung’ in der Postdoc-Phase, den das BMBF nach einem Wochenende selbst wieder verworfen hatte.
2 + 4, 3 + 3, 4 + 2 oder jetzt doch weiter 6? In der Debatte fordern die Grünen nun ein Ende der Zahlenspiele. “Wenn wir jetzt alle rote Linien ziehen und einzelne Zahlen in den Raum stellen, bringt uns das nicht weiter”, sagt Berichterstatterin Laura Kraft im Gespräch mit Table.Briefings. Vielmehr müssten die Verhandlungspartner die Postdoc-Phase insgesamt betrachten. “Da spielt die Höchstbefristung eine wichtige Rolle, aber auch die Öffnung der Tarifsperre und eine klarere Definition des Qualifizierungsbegriffs.”
Kraft reagierte damit auch auf Kritik von #IchbinHanna, GEW und dem neu gegründeten Professoren-Verbund “Netzwerk Nachhaltige Wissenschaft” (NNW). Im Gespräch mit Table.Briefings hatte Tilman Reitz, Soziologieprofessor und NWW-Mitglied mehr Mut von SPD und Grünen in der Diskussion gefordert. “Alle längeren Fristen als eine ein- bis zweijährige Bewährung in der Postdoc-Phase sind einfach eine Entschuldigung dafür, hochkompetente Arbeitskräfte nur auf Abruf einzustellen.”
Für den Fall, dass sich die FDP bei der Postdoc-Befristung durchsetzt, sollten substanzielle Veränderungen an anderer Stelle gefordert werden, sagte GEW-Vize Andreas Keller Table.Briefings. “Das könnten längere Mindestvertragslaufzeiten, eine präzise Definition des Qualifizierungsbegriffs, der sachgrundlose Befristungen ausschließt, oder eben eine ersatzlose Streichung der Tarifsperre sein.” Die Streichung der Tarifsperre wäre aus Kellers Sicht plausibel, “weil die Koalitionspartner damit ausdrücken könnten: ,Wir konnten uns nicht auf eine Reform einigen, nun sollen Gewerkschaften und Arbeitgeber zeigen, ob sie es besser können’”.
Eine “Zersplitterung” des Wissenschaftssystems und einen Flickenteppich an Regelungen erwartet Keller bei einer Öffnung der Tarifsperre nicht. “Die GEW hat überhaupt kein Interesse daran, die Flächentarifverträge für den öffentlichen Dienst infrage zu stellen. Ob weitere Länder aus der TdL ausscheren könnten, ist Spekulation.” Weniger optimistisch ist in diesem Punkt Wissenschaftsmanagerin Sabine Kunst. “Überall dort, wo es keine Tarifsperre gibt, klinken sich früher oder später einzelne Länder aus, wie es etwa Berlin beim Tarifvertrag für studentisch Beschäftigte getan hat.” Die ehemalige Hochschulpräsidentin und brandenburgische Wissenschaftsministerin hält den Einspruch der Länder für richtig.
Zu einer möglichen Kompromisslinie oder Positionierung in der Debatte wollte sich das BMBF auf Anfrage von Table.Briefings nicht äußern. Allerdings kündigte eine Sprecherin des Ministeriums an, dass das Bundeskabinett “zeitnah eine Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Befristungsrechts für die Wissenschaft beschließen will”. Über Inhalt und Zeitpunkt des Erscheinens machte die Sprecherin keine weiteren Angaben.
Und auch an anderer Stelle ist das BMBF bald gefordert. “Das BMBF muss endlich vorankommen bei der Ausarbeitung des Bund-Länder-Programms für mehr Dauerstellen, zu dem es vom Bundestag aufgefordert wurde. Das ist nicht Teil des WissZeitVG, sollte aber die Einführung der Reform flankieren. Dazu erwarte ich zeitnah ein Konzept aus dem BMBF”, fordert Laura Kraft. Auch dazu hält sich das Ministerium bedeckt. Möglicherweise will man das Positionspapier des Wissenschaftsrats abwarten, das voraussichtlich im Juli erscheint.
Einen Vorgeschmack darauf hatte der Vorsitzende Wolfgang Wick im Interview mit Forschung & Lehre bereits Ende April gegeben: Er forderte dort “mehr Beweglichkeit und weniger Struktur-Konservativismus” im System und konkret die Einführung von zwei Stellenkategorien neben der Professur: “Lecturer” und “Senior Scientist”. In Verbindung mit einem enger gefassten Qualifizierungsbegriff und einer von den Ländern vorgeschlagenen konkreten Definition der Anschlusszusage könnte darin ein gesichtswahrender Kompromiss für die Koalition stecken.
Ein Scheitern des Gesetzesvorhabens kann sich derweil keine der drei Regierungsparteien leisten. Während SPD und Grüne ihre Wahlversprechen einlösen wollen, können auch die Verantwortlichen im FDP-geführten BMBF nach drei Jahren der Analyse, Stakeholder-Dialoge und Diskussion keinen Totalausfall mehr unbeschadet überstehen. Auf Anfrage von Table.Briefings wiesen dann auch alle drei Berichterstatter, namentlich Laura Kraft (Grüne), Carolin Wagner (SPD) und Stephan Seiter (FDP) auf die konstruktive Atmosphäre der Gespräche hin und darauf, dass von einem Scheitern des Gesetzesvorhabens derzeit nicht auszugehen sei.
Studierende, die sich an propalästinensischen Protesten an Hochschulen beteiligen, können sich grundsätzlich auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit berufen. “Wird beispielsweise eine Demonstration auf einer universitären Außenfläche frühzeitig bei der Versammlungsbehörde angezeigt und sind keine allzu großen Störungen zu erwarten, muss die Hochschulleitung diese Personen grundsätzlich gewähren lassen”, sagt Markus Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität zu Köln, im Gespräch mit Table.Briefings.
Etwas anderes gelte bei Besetzungen – insbesondere in Innenräumen -, durch die der Universitätsbetrieb “teils enorm und mit dieser Intention blockiert” werde. “Hier darf die Universität die Grundrechte der Demonstrierenden weniger stark gewichten und ist deshalb befugt, auch Hausverbote auszusprechen”, sagt Ogorek. Werde diesen nicht gefolgt und teile die Versammlungsbehörde die Auffassung der Hochschulleitung, könne die Polizei im Wege der Amtshilfe als ultima ratio auch zur Räumung herangezogen werden.
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger weise demnach zu Recht darauf hin, dass auch den Hochschulleitungen das Hausrecht zusteht, um den geordneten Betrieb sicherzustellen. “Sie sind teilweise sogar verpflichtet, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen – etwa dann, wenn ansonsten die gegenüber der Universität bestehenden Grundrechte von Professorinnen und Professoren oder auch von Studierenden über Gebühr eingeschränkt werden.”
Allerdings rechtfertige nicht jede Störung auf dem Campus hausrechtliche Maßnahmen. Als öffentlich-rechtliche Einrichtungen seien die staatlichen Universitäten grundrechtsgebunden, müssen also grundsätzlich die Ausübung des Versammlungsrechts auf ihrem Gelände zulassen. “Anders als Private, die nur in Ausnahmefällen hierzu verpflichtet werden können, dürfen die Universitäten Proteste lediglich dann abweisen beziehungsweise beenden, wenn eine Abwägung ergibt, dass die Grundrechte der Betroffenen weniger schwer wiegen als die Beeinträchtigung des Universitätsbetriebs”, sagt Juraprofessor Ogorek.
Aus seiner Sicht handelt es sich bei den propalästinensischen Protesten nicht selten um bewusste Störaktionen, die teils ausdrücklich Veranstaltungen von Trägern der Wissenschaftsfreiheit innerhalb der Universitäten blockieren wollen. “Das muss sich eine Hochschulleitung nicht gefallen lassen – und hier kann sie Hausverbote gegebenenfalls auch durch eigene oder polizeiliche Kräfte konsequent durchsetzen.”
Entscheidend sei es, genau hinzuschauen – also ob die Proteste versammlungsrechtlich angezeigt wurden, ob eventuelle Auflagen befolgt wurden und ob sie mit einer Beeinträchtigung des Universitätsbetriebs einhergehen. “Erst wenn diese Fragen geklärt wurden, lässt sich im Einzelfall beantworten, ob hausrechtliche Maßnahmen zulässig oder sogar geboten sind.”
Die Regierung des Staates Israel und ihre Politik zu kritisieren, sei von der Meinungsfreiheit umfasst, und zwar auch dann, wenn die Kritik in scharfen Worten erfolge. “Der Begriff ,Israelkritik’ taugt aus meiner Sicht aber nicht zur Abgrenzung – denn teils verstehen Menschen darunter eine Ablehnung des jüdischen Staates in seiner Gänze, die den dort lebenden Menschen faktisch ihr Existenzrecht abspricht”, sagt Ogorek. Unzulässig sei es ferner, antisemitische Ressentiments zu schüren, bei denen die Politik der israelischen Regierung gleichsam als Projektionsfläche herhalten müsse.
Die Abgrenzung im Einzelfall falle naturgemäß nicht leicht, wie die Parole “from the river to the sea” zeige. “Wer diesen Ausruf verwendet, wird im Regelfall eine Vernichtung Israels fordern wollen, zumal sie auch in der Verfügung des Bundesinnenministeriums zum Verbot der Hamas ausdrücklich als deren Kennzeichen aufgeführt ist.” Doch grundrechtlich sei die für den Betroffenen günstigste Auslegung anzuwenden. Nur deshalb kämen einige Gerichte zu dem Schluss, die Parole sei gerade noch erlaubt. Ogorek: “Die Hochschulleitungen stehen bei Protestaktionen, die seitens der Veranstalter nicht versammlungsrechtlich angezeigt wurden, vor schwierigen Abwägungsfragen. Genau dafür gibt es im Zweifel aber den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz.”
Der Argumentation des offenen Briefs von Berliner Hochschullehrenden, die Polizeieinsätze an ihren Universitäten gegen Protestierende kritisieren und sich dabei auf die Versammlungs- und Meinungsfreiheit berufen, will der Kölner Verwaltungsrechtler nicht folgen. “Unterzeichner des offenen Briefs haben in den Medien vor allem mit der historischen Entwicklung argumentiert – dass also Besetzungen in Ordnung seien, weil es sie namentlich zu Zeiten der Studentenproteste in den 60er- und 70-er Jahren ebenfalls gegeben habe.” Das halte er für ein schwaches Argument. “Und es verfängt rechtlich auch nicht.”
Die Universitäten seien keine menschenleeren Orte, sondern dort entfalteten Trägerinnen und Träger der Wissenschaftsfreiheit jeden Tag eine Vielzahl von Aktivitäten. “Wenn eine Besetzung dazu führt, dass bestimmte Gäste nicht mehr empfangen oder Inhalte gelehrt werden können, ist das eine starke Beeinträchtigung der Wissenschaftsfreiheit – und die Hochschulleitung sind unter Umständen sogar zum Einschreiten verpflichtet.”
Die “politische Zuspitzung”, dass die Unterzeichner nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, teilt Ogorek jedoch nicht. “Es gibt sicherlich vieles, was an dem offenen Brief zu kritisieren ist. Aber gerade für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sieht das Grundgesetz einen breiten Meinungskorridor vor, dessen Grenzen ich im Brief nicht überschritten sehe.”
Das komplette Interview mit Markus Ogorek, in dem er auch darauf eingeht, inwieweit sich Hochschulleitungen an ministerielle Weisungen zu halten haben, lesen Sie hier.
27./28. Mai 2024, Dresden/International Congress Center Conference
Konferenz “Building Bridges for a Net Zero Future” Mehr
28. Mai 2024, 18:00-20:00 Uhr, Hans-Böckler-Haus, Keithstraße 1, 10787 Berlin, Ingeborg-Tönnesen-Saal und online
Veranstaltungsreihe über Grundfinanzierung statt Projektwettbewerb, u.a. von GEW und NGAWiss “Projektfinanzierung und/oder Wissenschaftsfreiheit?” Mehr
30. Mai 2024, 19:00 Uhr, BBAW, Akademiegebäude am Gendarmenmarkt, Leibniz-Saal, Markgrafenstraße 38, 10117 Berlin
Gedenkveranstaltung Würdigung der Person und des Wirkens von Gert G. Wagner für Wissenschaft, Dateninfrastruktur, Politikberatung und Wissenstransfer – Evidence Based Policy Mehr
3. Juni 2024, 18:00 bis 19:45 Uhr, Leopoldina, Jägerberg 1, 06108 Halle (Saale)
Dialogveranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) Europas Populisten im Aufwind: Ökonomische Ursachen und demokratische Herausforderungen Mehr
5. bis 7. Juni 2024, Berlin und online
Veranstaltung zur (digitalen) Zukunft der akademischen Bildung. University Future Festival: “Tales of Tomorrow” Mehr
7. Juni 2024, 9:30 bis 18:00 Uhr, Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund, Luisenstraße 18, 10117 Berlin
Workshop der Leopoldina Überregulierung der Wissenschaft Mehr
15. Juni 2024, Konzerthaus Berlin am Gendarmenmarkt, 10117 Berlin
Leibniztag 2024 Festsitzung Mehr
Die TUD lädt am Samstag gemeinsam mit rund 60 Organisationen aus Wissenschaft und Kultur zu dem Event “Gemeinsam für Demokratie” ein. Auch sonst gibt es in diesem Jahr zahlreiche Aktivitäten zum Schutz der Demokratie, weil Sie – laut eigener Aussage – fundamentale Werte wie Freiheitsrechte, Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit in Gefahr sehen. Wie kommen Sie zu der Diagnose?
Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten gesehen, wie verfassungsfeindliche und antisemitische Bestrebungen immer offener zutage getreten sind – bis hin zu gewalttätigen Übergriffen. Zu dem darin zum Ausdruck gebrachten menschenverachtenden Reden und Handeln können und wollen wir nicht schweigen, denn wir sehen hier in der Tat die Gefahr, dass durch diese Bestrebungen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und universelle Menschenrechte zersetzt werden.
Sie sind selbst Psychologin. Kann man aus psychologischer oder soziologischer Sicht begründen, warum in Europa rechtspopulistische und verfassungsfeindliche Tendenzen auf dem Vormarsch sind?
Ich würde hier zunächst auf die Demokratieforschung verweisen, die gezeigt hat, dass die Demokratie als Regierungsform weltweit bedroht ist, nicht nur in Europa. Das gilt ganz besonders auch für die USA, wo ich viele Jahre gelebt habe. Dies geschieht in einer Zeit des sehr schnellen Wandels unseres Alltags durch technologischen Fortschritt. Hinzu kommen umwälzende Kriege und extreme Umweltereignisse aufgrund der Klimakrise. So geraten Gewohnheiten ins Wanken und die Unübersichtlichkeit des Lebens wächst – damit auch Ängste und Verunsicherung. Einfache Antworten, wie sie von populistischen und verfassungsfeindlichen Stimmen angeboten werden, scheinen dann die Lösung.
Was kann die Wissenschaft mit Blick auf die Forschung zum Erkennen, zur Prophylaxe und zum Bekämpfen von antidemokratischen Tendenzen tun? Woran wird mit Blick darauf in Dresden geforscht?
An der TU Dresden gibt es hier sehr vielfältige Anknüpfungspunkte. Um nur zwei Beispiele zu nennen, die aufgrund ihrer Forschungsgegenstände auch eine besonders große Aktualität haben: Da gibt es zum einen die John-Dewey-Forschungsstelle für die Didaktik der Demokratie, die von Professorin Anja Besand geleitet wird. Hier geht es ganz konkret darum, wie Lehrerinnen und Lehrer auf zum Beispiel rassistische und antidemokratische Vorfälle reagieren können. Oder am Mercator Forum Migration und Demokratie – MIDEM unter der Leitung von Professor Hans Vorländer, hier wird zu den Wechselbeziehungen zwischen Migration und demokratischer Gesellschaft geforscht. So hat das MIDEM erst jüngst eine repräsentative Studie zur Einstellung der Deutschen zum Grundgesetz mit beachtenswerten Befunden vorgelegt. tg
Staat, Wirtschaft und Hochschulen haben im Jahr 2022 zusammen insgesamt 121,4 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung (FuE) investiert. Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Ausgaben um 8,2 Milliarden Euro (7,3 Prozent) und erreichen damit einen neuen Höchststand. Das geht aus dem Bundesbericht Forschung und Innovation (BuFI) 2024 des BMBF hervor, den das Bundeskabinett am gestrigen Mittwoch beschlossen hat.
Die vorläufige FuE-Quote für das Jahr 2022 liegt bei 3,13 Prozent. Man halte an dem ambitionierten Ziel fest, den Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt bis 2025 auf 3,5 Prozent steigern zu wollen, sagte Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger bei der Vorstellung des Berichts.
“Mit dem Wachstumschancengesetz, der Zukunftsstrategie Forschung und Innovation und dem Sprind–Freiheitsgesetz haben wir bereits einiges umgesetzt, was jetzt seine volle Wirkung entfalten wird”, betonte die Ministerin. Und mit der Gründung der Dati stehe bereits das nächste Instrument in den Startlöchern, um insbesondere den Transfer zu stärken.
Der BuFI enthält auf rund 500 Seiten plus 100 Seiten Anhang mit Daten und Fakten einen Überblick über die Aktivitäten des Bundes und der Länder zu Forschung und Innovation. Er richtet sich vor allem an ein Fachpublikum – etwa an Hochschulen, Forschungseinrichtungen, in Verbänden und Unternehmen.
Geo- und sicherheitspolitische Veränderungen haben neue Rahmenbedingungen für Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft geschaffen, heißt es in dem Bericht. Vor diesem Hintergrund bleibe die Sicherung der technologischen und digitalen Souveränität zur Vermeidung einseitiger Abhängigkeiten und die Technologieentwicklung im Einklang mit europäischen Werten ein wichtiges Ziel deutscher Forschungs- und Innovationspolitik. Die verstärkte Forschungstätigkeit im Bereich der sich rasant entwickelnden Schlüsseltechnologien komme dabei eine hohe Bedeutung zu. red
Bis dato stocken die Verhandlungen der EU-Mitgliedstaaten zur Deregulierung neuer biotechnologischer Verfahren in der Pflanzenzüchtung. Nun unternimmt die belgische Ratspräsidentschaft noch einmal einen Einigungsversuch. Im Vorschlag der Belgier, der Table.Briefings vorliegt, geht es vor allem darum, den Patentschutz zu regeln und gentechnisch verändertes Pflanzenmaterial für Züchter und Landwirte zugänglich zu machen. Regeln für Pflanzen der Kategorie NGT-1 sollen demnach nur gelockert werden dürfen, wenn nicht gleichzeitig Patentschutz angemeldet wird. Durch diese Einschränkung versuchen die Belgier offenbar Anreize zu schaffen, auf Patente zu verzichten. Andernfalls sollen strenge Regeln, wie Risikoprüfung und Kennzeichnungspflicht, weiterhin gelten. Im Vorschlag der Belgier umfasst dies auch Pflanzenteile und genetisches Material. Am Mittwoch und Donnerstag sollen die Vertreter der EU-Mitgliedstaaten darüber diskutieren.
Die Sorge einiger Länder, allen voran Polen, um eine mögliche Patentierbarkeit gentechnisch veränderter Pflanzen steht einer Einigung im Rat entgegen. Neben Polen gilt auch Rumänien als Wackelkandidat, zumal dort Ende des Jahres Parlamentswahlen anstehen. Deutschland muss sich wegen Uneinigkeit in der Ampel enthalten – daran dürfte sich absehbar nichts ändern.
Das Europäische Parlament, das seine Position im Februar annahm und Ende April bestätigte, spricht sich dafür aus, Patente auf gentechnisch veränderte Pflanzen grundsätzlich zu verbieten. Ein solches explizites Verbot steht aus Expertensicht aber im Konflikt zum Europäischen Patentübereinkommen. jd
Von angesehenen Experten für Künstliche Intelligenz kommt eine neue, eindringliche Warnung vor Gefahren der Technologie. “Ohne ausreichende Vorsicht könnten wir unwiederbringlich die Kontrolle über autonome KI-Systeme verlieren”, schreiben die Forscher im Magazin Science. Mögliche KI-Risiken seien Cyberattacken in großem Maßstab, gesellschaftliche Manipulation, allgegenwärtige Überwachung und sogar die “Auslöschung der Menschheit”. Unter den Autoren sind Wissenschaftler wie Geoffrey Hinton, Andrew Yao und Dawn Song, die zu den führenden Köpfen der KI-Forschung gehören.
Den Autoren des Textes im Science Magazine machen speziell autonome KI-Systeme Sorgen, die zum Beispiel selbstständig Computer nutzen können, um die ihnen gestellten Ziele zu erreichen. Die Fachleute argumentieren, dass es auch bei Programmen mit guten Absichten unvorhergesehene Nebeneffekte geben könne. Denn so, wie das Training von KI-Software laufe, halte sie sich zwar eng an ihre Spezifikationen – habe aber kein Verständnis dafür, welches Ergebnis dabei herauskommen soll. “Sobald autonome KI-Systeme unerwünschte Ziele verfolgen, könnten wir nicht mehr in der Lage sein, sie unter Kontrolle zu behalten”, heißt es in dem Text.
Ähnlich dramatische Warnungen gab es schon mehrfach, auch bereits im vergangenen Jahr. Diesmal passt die Veröffentlichung zeitlich zum KI-Gipfel in Seoul. Zum Auftakt des zweitägigen Treffens am Dienstag sicherten unter anderem US-Konzerne wie Google, Meta und Microsoft einen verantwortungsvollen Umgang mit der Technologie zu, entsprechende Erklärungen wurden verabschiedet.
Die Frage, ob die ChatGPT-Entwicklerfirma OpenAI als Vorreiter bei KI-Technologie verantwortungsvoll genug vorgeht, war am Wochenende nochmal stärker in den Fokus gerückt. Der Entwickler Jan Leike, der bei OpenAI dafür zuständig war, KI-Software sicher für Menschen zu machen, kritisierte nach seinem Rücktritt Gegenwind aus der Chefetage. In den vergangenen Jahren seien glitzernde Produkte der Sicherheit vorgezogen worden, schrieb Leike bei X. Dabei sei “Software zu entwickeln, die schlauer als Menschen ist, eine von Natur aus gefährliche Unternehmung”, warnte er. OpenAI-Chef Sam Altman versicherte danach, seine Firma fühle sich verpflichtet, mehr für die Sicherheit von KI-Software zu tun. dpa
Die Bundesregierung hat das Deutsche Diskussionspapier für die Vorbereitung des 10. EU-Rahmenprogramms für Forschung und Innovation veröffentlicht. Am Donnerstag übergibt es Staatssekretärin Sabine Döring in Brüssel. Man wolle deutlich hervorheben, welche große Bedeutung ein leistungsstarkes und anpassungsfähiges Forschungs- und Innovationssystems für Europa hat, um die globalen Herausforderungen und die jüngsten Krisen zu meistern und gesellschaftliche Transformationsprozesse wissensbasiert zu gestalten.
Forschung und Innovation sind der Schlüssel für den Erhalt und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas, sagt Bettina Stark-Watzinger gegenüber Table.Briefings. Mit dem Diskussionspapier setze man frühzeitig und aktiv Impulse für die Ausgestaltung des nächsten 10. EU-Rahmenprogramms. “Denn wir brauchen eine gezielte Förderung gerade von kritischen Schlüsseltechnologien. Gleichzeitig bleibt exzellente, themen- und auch technologieoffene Forschung als Grundlage für zukunftsweisende Innovationen unverzichtbar”, erklärt die Forschungsministerin.
In der aktuellen Situation sei die europäische Zusammenarbeit in Forschung und Innovation wichtiger denn je, um die Wettbewerbsfähigkeit und die Sicherheit Europas zu stärken, heißt es in dem Papier. Mit dem FP10 soll ein klarer Fokus auf die Stärkung der Grundlagenforschung, die Förderung der Schlüsseltechnologien und eine Beschleunigung des Transfers gelegt werden.
Dem Subsidiaritätsprinzip folgend sollte FP10 nur Maßnahmen beinhalten, deren Durchführung einen erheblichen europäischen Mehrwert bietet. Das Programm ist kein Ersatz für nationale Anstrengungen. Die Erreichung des 3-Prozent-Ziels für F&I-Ausgaben in der EU bleibe essenziell.
Im Angesicht der Zeitenwende und der zunehmenden geopolitischen Spannungen, die einhergehen mit hybriden Bedrohungen, Angriffen auf kritischen Infrastrukturen und dem Erstarken des Extremismus solle FP10 die F&I-Potenziale für die Stärkung der europäischen Sicherheit noch effektiver heben. Um Sicherheit holistisch zu denken, müssten zivile und militärische Forschung komplementär gefördert werden. Ziel sei es, Synergien zwischen militärischer und ziviler Forschung zu heben. Dabei bleibe das Nebeneinander von FP10 und rein militärischer Forschung wichtig.
Ein themen- und technologieoffener F&I-Ansatz sei unverzichtbar für die Entwicklung von Resilienzen auch gegenüber unvorhergesehenen zukünftigen Herausforderungen.
Diese Punkte werden in dem Papier unter anderem herausgearbeitet und gefordert:
Die Arbeiten am Nachfolger des noch bis 2027 laufenden neunten EU-Forschungsrahmenprogramms Horizont Europa haben bereits 2023 begonnen. Vor einem Jahr veröffentlichte die Europäische Kommission die Ergebnisse einer Konsultation zum zehnten Rahmenprogramm für Forschung und Innovation. Darin findet sich der Appell der Forschungscommunity, das Programm mit einer klaren Vision und einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Grundlagen- und angewandter Wissenschaft auszubauen.
Innerhalb der EU-Kommission wurde bereits eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die Generaldirektionen mit Bezug zur Forschung, einschließlich Gesundheit, Verkehr und Digitales, zusammenbringt. Die Kommission sammelt Positionspapiere, Daten und Analysen für die Zwischenbewertung von Horizont Europa, die Anfang 2025 fertiggestellt und veröffentlicht werden soll. nik
Spiegel. “Wer kommt auf so eine Idee? Die haben einen Knall”. Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard spricht im Interview über Forschungsfreiheit (“Nicht so frei, wie ich sie gern hätte. Es gibt einen Haufen unvernünftiger, überregulierender Gesetze, die Wissenschaftler einschränken.”) und die größten Feinde der Wissenschaft: ungebildete Politiker. Die 81-Jährige kritisiert die bürokratischen Regeln des Tierschutzgesetzes, moniert, dass Landwirtschaftsminister Özdemir sich nicht mit Landwirtschaft auskennt und bezeichnet Forschungsministerin Stark-Watzinger als “forschungsfremd”: “Sie wirkt, als kenne sie die Uni von innen kaum und schon gar keine Labore. Sie hat Volkswirtschaft studiert, das ist aber keine Wissenschaft, und sie hat nie selbst geforscht.” Zum Artikel
Spiegel. Die Furcht vor Anlage 6.4a. Das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) des BMWK soll Neuentwicklungen kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) fördern, die oft mit Risiken verbunden sind. Doch es ist nicht mehr so niedrigschwellig wie früher. Zum Antrag gehört neuerdings die gefürchtete Anlage 6.4a. Darin werden diverse Posten abgefragt: Ausgaben für Geräte und Mieten, Reisekosten und Weiterbildung, die Wertminderung genutzter Gebäude. Für einige Unternehmen bedeutet das zu viel bürokratische Last und sie verzichten auf die Förderung. Tatsächlich ist die Zahl der Anträge offenbar rückläufig. Das BMWK führt das auf Wirtschaftslage und Fachkräftemangel zurück. Und für die Anlage 6.4a sei die EU-Kommission verantwortlich. Eine neue Verordnung regelt erstmals, welche Ausgaben die Mitgliedstaaten in Form von Pauschalen fördern dürfen. Zum Artikel
Zeit. “Das ist eine radikale Verzerrung der Wirklichkeit”. Was wir bei den Studentenprotesten gerade sehen, nun auch an deutschen Hochschulen, sei Ausdruck einer beispiellosen Radikalisierung postkolonialistischen Denkens, sagt der Philosoph Ingo Elbe im Interview. Das Problem der postkolonialen Theorie sei, dass man von Anfang an die Idee der rassistischen, kolonialen Ausgrenzung des sogenannten Globalen Südens zu einer Art Universalschlüssel für die Erkenntnis von mehr oder weniger allem gemacht hat, postuliert der Privatdozent von der Universität Oldenburg. Die Themen Judentum, Zionismus, Holocaust und Antisemitismus würden durch die Brille der Kolonialität gedeutet. Das führe zu eklatanten Verkürzungen. Zum Artikel
Nature. Pay researchers to spot errors in published papers. Viele Branchen geben hohe Summen dafür aus, Anreize für das Auffinden und Melden von Fehlern und Pannen zu schaffen. Auch die Wissenschaft sollte die Entdeckung und Korrektur von Fehlern in der wissenschaftlichen Literatur belohnen, schreibt Malte Elson von der Universität Bern, der sich dem Projekt “Estimating the Reliability and Robustness of Research (ERROR)” angeschlossen hat. Im Rahmen des Projekts werden Spezialisten dafür bezahlt, viel zitierte Veröffentlichungen zu überprüfen. Gutachter erhalten einen Basissatz von bis zu 1.000 Schweizer Franken für jede Arbeit, die sie prüfen, sowie einen Bonus für jeden gefundenen Fehler. Je größer der Fehler, desto höher die Belohnung. Er hoffe, dass das Projekt den Wert systematischer Verfahren zur Aufdeckung von Fehlern in veröffentlichten Forschungsarbeiten aufzeigen wird. “Ich bin überzeugt, dass solche Systeme notwendig sind, weil die derzeitigen Kontrollen unzureichend sind.” Zum Artikel
Sebastian Brand und Michael Kögel vom Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS sind mit dem “Outstanding Researchers Award 2023” des Chipkonzerns Intel prämiert worden. Das Fraunhofer IMWS und die Universität Oslo sind die einzigen Einrichtungen in Europa, die in diesem Jahr ausgezeichnet wurden.
Paweł Rowiński von der polnischen Akademie der Wissenschaften ist neuer Präsident der European Federation of Academies of Sciences and Humanities, ALLEA. Er löst Antonio Loprieno ab, der ALLEA seit 2018 eitete. Dem neuen zehnköpfigen Vorstand gehören aus Deutschland Annette Grüters-Kieslich (Leopoldina/Akademienunion) und von der Jungen Akademie Lara Keuck, ab Juli 2025 als Nachfolgerin von Kerstin Pahl.
Joachim Wambsganß von der Universität Heidelberg und Andrzej Udalski von der Universität Warschau erhalten den diesjährigen Copernicus-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Stiftung für die polnische Wissenschaft. Gewürdigt werden ihre mehr als zwei Jahrzehnte andauernde grenzüberschreitende Kooperation und ihre gemeinsamen Erfolge bei der Suche nach und der Charakterisierung von Exoplaneten. Die Auszeichnung ist mit 200.000 Euro dotiert und wird alle zwei Jahre vergeben.
Janet Yellen, US-Finanzministerin, hat die Ehrendoktorwürde der Frankfurt School of Finance & Management erhalten. Laudatoren waren unter anderem Bundesfinanzminister Christian Lindner sowie Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank.
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!
Bildung.Table. Startchancen-Stichtag: Welche Debatten das Schulprogramm in den Ländern auslöst. Bis zum 1. Juni müssen die ersten 1.000 Schulen benannt sein, die den Anfang im Startchancen-Programm machen. Alle ausgewählt nach einem Sozialindex. Bundesweit treibt das die Bildungspolitik um. Und auch die Frage, ob alle ausgewählten Schulen überhaupt im Programm sein wollen. Mehr
Bildung.Table. Bildungsplattform: BMBF kooperiert mit der Agentur SPRIND. Die Bildungsplattform “Mein Bildungsraum” geht in die nächste Phase. Dafür kooperiert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit der Agentur für Sprunginnovationen “SPRIND”. Die Agentur soll “Mein Bildungsraum” zukunftsorientiert aufstellen und die Entwicklung einer Betreiberstruktur übernehmen. Das geht aus einem Schreiben des BMBF hervor, welches Table.Briefings exklusiv vorliegt. Mehr
China.Table. China etabliert sich als Exporteur von Recht. In dem Maße, in dem China sich auf dem Weltmarkt für transnationales und internationales Recht als Exportnation etabliert, dürfte es für den Exportweltmeister Deutschland auch im Wettbewerb der Rechtsordnungen enger werden, schreibt Thomas Duve, Direktor am Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie in Frankfurt am Main in einem Standpunkt-Beitrag. Chinakompetenz auch im Bereich des Rechts sei umso wichtiger. Mehr
Climate.Table. Klimaschutz: Warum die jüngsten Urteile auch nach der KSG-Novelle relevant bleiben. Erneut hat ein Gericht die Klimapolitik der Bundesregierung als unzureichend beurteilt. Nach Ansicht von Experten wird das Konsequenzen haben müssen – trotz der gerade beschlossenen Abschwächung des Klimaschutzgesetzes. Mehr
Europe.Table. Wie Mittelmäßigkeit das europäische Projekt gefährdet. Seit sechzehn Jahren, seit dem Vertrag von Lissabon, trete die EU auf der Stelle, schreiben Michael Zürn und Steffen Huck vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung in einem Standpunkt-Beitrag. Die Krisen der 2000er führten zwar de facto auch zu einer Stärkung der europäischen Institutionen, aber sie befeuerten nicht mehr das europäische Projekt als solches. Dabei Krisen könnten helfen, Hürden zu nehmen, die im Normalzustand nicht überspringbar sind. Mehr
In zwei Tagen ist ein Jahr vergangen, seit Holger Hanselka vom Senat der Fraunhofer-Gesellschaft zum neuen Präsidenten gewählt wurde. Zeit, um eine Zwischenbilanz zu ziehen. Am 31. Mai 2023 erschien meine Kolumne “Fraunhofer – Der Spuk hat sein Ende – jetzt müssen Reformen beginnen”. Verschiedene Handlungsfelder, die ich nannte, möchte ich jetzt einer ersten konstruktiv-kritischen Zwischenbilanz unterziehen. Eine Fortsetzung in einer zweiten Zwischenbilanz erscheint in meiner nächsten Kolumne.
Richtig ist, dass zwei Vorstandsmitglieder, Reimund Neugebauer und Alexander Kurz, gehen mussten. Viele irritiert jedoch, dass die dritte im Bunde, die Vorständin für Personal, Unternehmenskultur und Recht, Elisabeth Ewen, nach wie vor an Bord ist. Unter dem ehemaligen Personalvorstand Kurz war sie die operative Personalchefin, bevor dieser Vorstand für Innovation, Transfer und Verwertung und sie Personalvorständin wurde.
Rechtlich bestens bewandert trugen Verträge, die Alexander Kurz unterschrieb, ihre Handschrift. Und die Reisestelle, die die luxuriösen Spesen der Vorstände abrechnete, lagen in ihrer Zuständigkeit. Als operative Personalchefin war sie zudem mitverantwortlich für die damalige desaströse Kulturarbeit. Whistleblower äußern die Vermutung, dass sie “Kronzeugin” gegen Kurz geworden ist und dafür im Job verbleiben durfte.
Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob jemand, der die alte Kultur der Autokratie und Verschwendung an der Spitze zumindest tolerierte, nach Aufnahme der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen noch als Vorstand tragbar bleibt.
Übrigens gilt dieses grundsätzliche Argument auch für die personelle Zusammensetzung des Senats, der in Kenntnis der Vorwürfe diese “geschlossen… als durchweg haltlos” bezeichnete. Mir ist nicht bekannt, dass sich der Senat mit seiner eigenen unwürdigen Rolle je befasst hätte oder diese untersucht worden wäre. Auch ist nicht bekannt, ob der damalige Senatsvorsitzende Jörg Fuhrmann wegen Verletzung der Aufsichtspflicht belangt wurde. Immerhin hat er sich direkt nach seiner Ernennung zum Senatsvorsitzenden gegen den schon damals wirkungslosen Widerstand des BMBF eine Directors and Officers (D&O-)-Versicherung gegen grob fahrlässiges Fehlverhalten finanzieren lassen. Er wusste wohl, was auf ihn zukommt.
Dazu kommt, dass sich Senatsmitglieder unter Neugebauers Ägide als seine Handlanger betätigt haben. Auch liegen bis heute keine öffentlich transparenten Berichte der mit unterschiedlichen Sachverhalten der Aufklärung beauftragten Kanzleien Nörr, Heussen und Knauer sowie des Senatsausschusses unter Leitung der jetzigen Senatsvorsitzenden Hildegard Müller (zugleich Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, VDA) vor.
Wen wundert es dann noch, dass bis heute – auch unter neuer Führungsspitze – keine Befragung der 30.000 skandalgeschädigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfolgt ist. Wie sehen diese die Qualität der Aufarbeitung des Skandals, die Zukunft der Gesellschaft und das Involvement der Mitarbeiterschaft? Das hat schon Reimund Neugebauer so gehalten. Als er bei einer ersten Mitarbeiterbefragung vor einem guten Jahrzehnt schlechteste Ergebnisse witterte, blieb alles unter Verschluss. Er hat nie wieder eine Befragung durchführen lassen.
Die feine Gesellschaft hat sich von zwei Verantwortlichen gesäubert, Neugebauer & Co. sind weg, das System Neugebauer im Gestrüpp ist nicht angetastet. Die Rolle der TU Chemnitz und fragliche Ehrendoktorwürden für Vorstandsriegen der Automobilbranche ist nicht beleuchtet. Die Unternehmensrevision und die Compliance-Systeme ebenso nicht. Auch die politische Instrumentalisierung bei der Entscheidung zu Forschungsstandorten ist so ein Tabuthema.
Neugebauer hat in seiner Zeit die Zahl der Fraunhofer-Institute von 64 auf 76 erhöht. Der Bundesrechnungshof forderte daraufhin in seinem zweiten aktuellen Prüfbericht: “Um….Risiken für den Bundeshaushalt durch ein überproportionales institutionelles Wachstum der FhG zu vermeiden, sollte das BMBF die Anzahl der Fraunhofer-Institute limitieren”.
Eine harsche Ansage, auf die Holger Hanselka bis heute keine strategische Richtung bzw. Antworten gibt. Er selbst weiß bestens, dass ‘scientific concentration’ das Gebot der Stunde wäre, also die Schließung von Instituten oder ihre Fusionierung an einem Ort. Hinter der nüchternen Ansage des Bundesrechnungshofes steckt zudem eine bittere Vermutung. Wurden Fraunhofer-Institute oder Zweigstellen aus Gefälligkeit Politikern gegenüber gegründet? Zumindest gibt es auffällige “Zufälle”.
Die Forschungsfabrik Batterie in Münster mit einer Recycling-Fabrik in Ibbenbüren etwa ist prominentestes Beispiel, liegt letztere doch im Wahlkreis der damaligen Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU). Fraunhofer war damals schon als Betreiberin der Forschungsfabrik gesetzt und ist es heute auch. Doch sie war compliancewidrig auch gleichzeitig Gutachterin, Mitglied der Gründungskommission – und Mitbewerberin. Ministerin Karliczek kam wegen der Begünstigung ihres Wahlkreises und wegen des Entscheidungsprozesses so unter Druck, dass sie sich öffentlich entschuldigen musste. Im politischen Berlin von heute ein höchst ungewöhnlicher Vorgang.
Weitere Beispiele sind:
Das ” Neue Lausitz Briefing #73″ vom 6. Juni 2023 kommentiert denn auch launig, dass Fraunhofer nicht nur eine Forschungsgemeinschaft, sondern auch eine schnelle Ausbautruppe in strukturschwachen Regionen sei. “Die Standortzuteilung sei in vielen Fällen nur politisch zu erklären, die Kleinteiligkeit sei ein Risiko für den Erfolg der Einrichtungen…Je kleinteiliger, je weiter abgelegen, desto schwieriger wird es, gute Leute zu bekommen. Das gilt auch für staatliche Forschungseinrichtungen.”
Hanselka müsste eigentlich rasch aufräumen, stattdessen betreibt er noch Symbolpolitik: Am Fraunhofer-Zentrum für Internationales Management und Wissensökonomie IMW gibt es eine Teilbetriebsschließung. Die verbleibenden Abteilungen werden in das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI integriert. Zudem soll das Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT in das Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE integriert werden.
Pillepalle! Offen bleibt zudem, ob das nur ein virtuelles Schauspiel oder durch örtliche Zusammenlegung erfolgt.
Seit Jahr und Tag gibt es das Fraunhofersche Quadranten-System mit der Koordinate ‘schwacher oder starker Bezug zur Industrie’ sowie der Koordinate ,Unwirtschaftlichkeit oder Wirtschaftlichkeit des Geschäftsmodells’ inklusive des berüchtigten roten Quadranten ‘unwirtschaftlich und industriefern’ , in welchem sich 20 oder mehr Fraunhofer Standorte befinden müssten. Eigentlich wäre Hanselka gefordert, viel härter durchzugreifen, adressierte er doch wiederholt die Systemrelevanz Fraunhofers besonders für den Mittelstand, der über keine eigenen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten verfügt. Sollte er je die präzisen Zahlen zu den Industrieerträgen aus diesem Segment des Mittelstands erhalten, wäre er erstaunt ob deren Winzigkeit.
Fraunhofer wird allemal finanziell unter Druck geraten, wenn es sich nicht schnellstens strategisch repositioniert. Die alte Maxime “Ein Drittel Grundfinanzierung, ein Drittel öffentliches Projektgeschäft und ein Drittel Industrie-Erträge” wackelt heute schon. Das dreiprozentige Wachstum der Grundfinanzierung wird mehr als aufgefressen durch Energiekosten, Vergütungssteigerung und Inflation. Der Marktplatz öffentlichen Projektgeschäftes wird nicht nur enger, sondern er ist auch nicht finanziell verstetigt. Nach Auslauf der Projektförderung liegen die finanziellen Lasten bei Fraunhofer.
Um Fraunhofer wetterfest aufzustellen, muss eigentlich ein Modell her, das eine signifikante Steigerung der Industrie-Erträge vorsieht. Beispielsweise 30 Prozent Grundfinanzierung, 30 Prozent öffentliches Projektgeschäft und 40 Prozent Industrie-Erträge. Das wäre nicht nur klug, um den Transferdruck auf die einzelnen Institute zu erhöhen, sondern würde auch der unique selling proposition (USP) der gesamten Forschungsgesellschaft gut tun.
Jetzt wird sich zeigen, ob Sie bei echter Restrukturierung oder nur im Sonnenschein führen können. Jetzt wird es nicht nur um die Steigerung der Industrie-Erträge, sondern erst recht um die inhaltliche wie strukturelle Konsolidierung der Zentren gehen: 26 Institute sind ” irgendwie” in der Batterieforschung tätig, zehn Institute machen “irgendetwas” in Sensorik. Und keines ist weltweit in der Spitzengruppe. Die kleinteiligen Institute und Institutsteile der Ära Neugebauer kommen dazu. Und die Zentren im berühmt-berüchtigten roten Quadranten”! Jede Menge an Aufräumarbeit.