Table.Briefing: Research

Wasserstoffplan für Deutschland + Helmholtz-Chef baut auf Gesundheitsdaten + Rutger Schlatmann fordert mehr Solar-Industrie

Liebe Leserin, lieber Leser,

das Thema Grüner Wasserstoff hat das BMBF in diesem Jahr so stark beschäftigt wie kaum ein zweites. Die Federführung für die Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie liegt allerdings nicht bei Bettina Stark-Watzinger, sondern bei Robert Habeck. Ebenjener wird das Papier am Mittwoch nach langem Warten der Öffentlichkeit präsentieren. Table.Media liegt die Strategie der Bundesregierung bereits vor und bei näherer Betrachtung ist dann auch die Handschrift der Forschungsministerin zu erkennen. Wir stellen Ihnen schon heute die Kompromisse der Koalition und die Kernaktivitäten der Strategie im Bereich Forschung und Entwicklung vor.

Nicht erst in der Pandemie hat Israel bewiesen, wie gut das Land bei der Nutzung von Gesundheitsdaten aufgestellt ist. Seit 2018 gibt es einen digitalen Gesundheitsplan, der vorsieht, die medizinischen Daten aller neun Millionen Bürger anonymisiert zu Forschungs- und Entwicklungszwecken zur Verfügung zu stellen. Helmholtz-Präsident Otmar D. Wiestler ist in der vergangenen Woche vor Ort gewesen. Im Interview spricht er mit Markus Weißkopf darüber, was Deutschland sich schleunigst abschauen sollte.

Warum es auch forschungspolitisch keine gute Idee ist, auf heimische Solarindustrie zu verzichten, erläutert im Standpunkt Rutger Schlatmann, Leiter des Bereichs Solarenergie am Helmholtz-Zentrum Berlin. Sein Appell kommt genau zu richtigen Zeit: Am Montag wurde bekannt, dass der einzige Hersteller, der noch Solarzellen industriell in Europa fertigt, den Ausbau seiner Kapazitäten in Deutschland stoppt und neue Maschinen stattdessen in die USA liefern lässt. Mehr darüber in den News.

Zu guter Letzt noch ein Hinweis in eigener Sache: Heute starten unsere Kollegen vom Agrifood.Table unter der Leitung von Henrike Schirmacher mit ihrer ersten Ausgabe. Sie berichten über die Agrar- und Ernährungspolitik auf nationaler und europäischer Ebene und analysieren die Entwicklungen für alle, die in Politik, Unternehmen oder Verwaltungen im Agrar- und Lebensmittelsektor entscheiden müssen. Hier können Sie das Angebot kostenlos testen.

Ihr
Tim Gabel
Bild von Tim  Gabel

Analyse

Wasserstoffstrategie: Kompromisse für den Markthochlauf

Wenn Robert Habeck an diesem Mittwoch in Vertretung des Kanzlers die Kabinettssitzung leitet, steht mit der “Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie” ein Thema auf der Tagesordnung, über das die Regierung lange gestritten hat. Anders als die bisherige Strategie der Groko sieht die neue Wasserstoffstrategie, die Table.Media vorab vorliegt, nicht mehr nur die Förderung von grünem Wasserstoff vor, der mit Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wird.

Zumindest während der Markthochlaufphase soll auch blauer und türkiser Wasserstoff, der mit CO₂-Abscheidung aus Erdgas hergestellt wird, sowie oranger Wasserstoff, der auf Basis von Abfällen erzeugt wird, unter bestimmten Bedingungen förderfähig sein. Diese Ausweitung, auf die vor allem die FDP gedrängt hatte, wird nach Informationen aus Regierungskreisen im Umweltministerium sehr kritisch gesehen. Nicht durchsetzen konnte sich die FDP mit der Forderung, auch roten Wasserstoff, der mit Atomstrom erzeugt wird, als förderfähig einzustufen.

Nutzung von grünem Wasserstoff zwischen Ministerien umstritten

Als politischer Erfolg wird das breitere Farbspektrum sicher auch im Bundesforschungsministerium gewertet, das die Nationale Wasserstoffstrategie vermutlich am liebsten selbst federführend betreut hätte. Grüner Wasserstoff ist neben der Kernfusion das Lieblingsthema von Bettina Stark-Watzinger. Sie hatte in diesem Jahr eifrig neue Forschungs- und Entwicklungskooperationen zum Wasserstoff-Hochlauf mit ausländischen Partnern vereinbart – unter anderem mit Australien, Kanada, Südafrika und Irland. Zudem hat sie den Parteikollegen Till Mansmann zum Innovationsbeauftragten der Bundesregierung für Wasserstoff ernannt.

Das Mantra von Stark-Watzinger und Mansmann war, wie bei so vielen anderen Innovationsthemen, die “Technologieoffenheit”. Umstritten war zwischen den Ministerien deshalb auch, welche Nutzungen in die Wasserstoffstrategie aufgenommen werden. Während unstrittig ist, dass Wasserstoff für viele Industrieprozesse, für den Luft- und Schiffsverkehr und für Backup-Kraftwerke benötigt wird, sehen viele Experten und Wissenschaftler seinen Einsatz zum Heizen und im Straßenverkehr skeptisch. Denn dort gibt es mit Wärmepumpen und Elektroautos deutlich effizientere Alternativen.

Wasserstoffbedarf für 2030 wird nun höher eingeschätzt

Trotzdem tauchen beide Anwendungen in der Strategie auf – allerdings mit Einschränkungen: Beim Straßenverkehr werden nur “schwere Nutzfahrzeuge” erwähnt und nicht die E-Fuel-betriebenen Pkws, für die Verkehrsminister Volker Wissing, aber eben auch Till Mansmann, lange gestritten hatten. Und beim Heizen stellt die Strategie klar, dass Wasserstoff – trotz des breiten Raums, den er im Streit ums Gebäudeenergiegesetz eingenommen hat – nur in “eher vereinzelten Fällen” genutzt werden dürfte.

Den Gesamt-Wasserstoffbedarf im Jahr 2030 schätzt die neue Strategie auf 95 bis 130 Terawattstunden (TWh) – und damit etwas höher als die alte, die von 90 bis 110 TWh ausgegangen war. 50 bis 70 Prozent davon sollen importiert werden, zunächst vor allem in Form von Ammoniak per Schiff. Der Rest soll in Deutschland produziert werden, allerdings nur zum kleineren Teil mittels Elektrolyseuren aus Ökostrom. Denn der Bedarf enthält die knapp 60 TWh Wasserstoff, die auch bisher schon in Deutschland produziert werden – allerdings aus Erdgas unter Freisetzung von CO₂.

Deutschland zum Leitanbieter von innovativen Technologien machen

Mit Blick auf einen schnellen Ausbau der heimischen Elektrolyseleistung und auf das Ziel der Regierung, deutsche Technologieentwickler zu globalen Leitanbietern von innovativen Wasserstoff-Technologien zu machen, sollen Forschung und Industrie “langfristig und nachhaltig” unterstützt werden, heißt es in dem Papier. Alle Maßnahmen im Bereich F&E hätten das Ziel, den Fokus auf eine möglichst rasche industrielle Umsetzung konsequent fortzuführen.

Für den Bereich Forschung und Innovation werden unter anderem folgende Kernaktivitäten angekündigt:

  • Eine Technologie- und Innovationsroadmap, die im Projekt H2Kompass entwickelt werden wird, soll strategische Maßnahmen im Forschungsbereich ableiten. Darüber hinaus soll sie Erfahrungen und Learnings aus den bisherigen Projekten und den Empfehlungen des Forschungsnetzwerks Wasserstoff sowie des Nationalen Wasserstoffrats mitberücksichtigen.
  • Im September soll das Energieforschungsprogramm der Bundesregierung fortgeschrieben werden und neue missionsorientierte Förderformate beschreiben, die Wasserstoffinnovationen vorbereiten und in den Markt bringen sollen.
  • Es werden weitere internationale Kooperationen bei der Technologieforschung und -entwicklung angestrebt, auch um deutsche Unternehmen als Marktführer bei Wasserstofftechnologien weiter international zu positionieren und zu flankieren. Ausdrücklich genannt werden die USA und Taiwan.
  • Der Wasserstofftransport per Schiff ist technisch sehr anspruchsvoll. Deshalb sollen bis 2030 größtenteils Derivate des Gases per Schiff importiert werden. Um Importe von grünem Wasserstoff so einfach und ungefährlich wie möglich zu machen, sollen Technologien erforscht werden, die sicherheitstechnische Aspekte und Umweltgefährdungen berücksichtigen.

Projekt zum Wasserstofftransport per CO₂-freiem Methan

Mit Blick auf den letztgenannten Punkt meint die Regierung vor allem ein neues Konzept des Energieunternehmens Tree Energy Solutions (TES), das ab dem kommenden Winter gemeinsam mit Eon und Engie ein schwimmendes LNG-Terminal vor Wilhelmshaven betreiben soll. TES will in Zukunft nicht mehr fossiles LNG liefern, sondern CO₂-freies synthetisches Methan. Das soll in einem “grünen Kreislauf” nach Deutschland geliefert werden.

Dazu soll in Sonne- und Wind-reichen Regionen aus erneuerbaren Energien Wasserstoff produziert werden, dann mit CO₂ in synthetisches Gas verwandelt und per Schiff nach Deutschland gebracht werden. Hier soll das Gas entweder in Wasserstoff zurückverwandelt oder ins Gasnetz eingespeist werden. Bei der Rückwandlung oder Nutzung als Gas soll das CO₂ aufgefangen und zurück in Regionen geführt werden, die reich an Erneuerbaren Energien sind, und dort wieder für die Wasserstoffproduktion eingesetzt werden. Das Konzept ist vielversprechend, ein Reality-Check steht aber noch aus.

Darüber hinaus sieht die Nationale Wasserstoffstrategie ein Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität wasserstoffnaher Berufe, die Entwicklung von Herkunftsnachweisen und Zertifizierungen zur CO₂-Bilanz und neue Fördermaßnahmen für die Industrie vor. Mit Malte Kreutzfeldt und Nico Beckert

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“Im Vergleich zu Israel oder den USA sind wir heute noch nicht wettbewerbsfähig” 

Otmar D. Wiestler
Helmholtz-Präsident Otmar D. Wiestler hofft in Deutschland auf eine neue gesetzliche Basis, die es erleichtert, Gesundheitsdaten für die Wissenschaft zu nutzen.

Herr Wiestler, Sie waren gerade mit Bettina Stark-Watzinger in Israel – was läuft dort in der biomedizinischen Forschung besser als in Deutschland? 

Die Forschung selbst läuft in Deutschland und Israel auf ähnlichem Niveau. Das macht ja gerade auch die Partnerschaften so interessant. Wir als Helmholtz-Gemeinschaft haben dort viele Kooperationen – zum Beispiel mit unserem Cancer-Trax-Programm. Das ist eine Win-win-Situation. Ich freue mich darüber, dass nun immer mehr Deutsche als Postdocs längere Zeit beim Weizmann-Institut für Wissenschaften in Israel verbringen.

In Bezug auf das Management und die Nutzung von Forschungs- und vor allem Gesundheitsdaten sind uns die Israelis aber weit voraus? 

Ja, und diese Stärke im modernen Datenmanagement ist natürlich attraktiv für uns in Deutschland. Für den Vorsprung gibt es vor allem drei Gründe: Erstens wurde dort schon vor etwa 20 Jahren begonnen, Gesundheitsdaten digital zu erfassen. Rund 60 Prozent der Bevölkerung werden in Israel von einem Versicherungsunternehmen betreut. Das versichert nicht nur, sondern betreibt auch Kliniken. Das macht vieles natürlich einfacher. Zweitens sind dort durch die großen Tech-Konzerne und zahlreichen Start-ups genügend Fachkräfte im IT-Bereich verfügbar. Und ein dritter Punkt ist entscheidend: Es gibt einen anderen Umgang mit den Gesundheitsdaten. Das bedeutet nicht, dass diese Daten nicht geschützt werden. Aber man hat früh einen Rahmen gefunden, um diese Daten in einem bestimmten Format zugänglich zu machen. Einmal für die Medizin, aber auch für die Wissenschaft.

In Deutschland fehlt eine kommerzielle elektronische Patientenakte

Haben die Gesetze, die in den kommenden Monaten aus dem Bundesgesundheitsministerium erwartet werden, das Potenzial auch in Deutschland eine effektive Datennutzung zu ermöglichen? 

Diese Gesetze, wie das Gesundheitsdatennutzungsgesetz oder das Digitalgesetz sind enorm wichtig für die Gesundheitsforschung. Ich hoffe sehr, dass die Initiativen von Karl Lauterbach jetzt erfolgreich sind. Damit hätten wir endlich eine Basis, um Gesundheitsdaten ganz anders zu nutzen, als wir das bisher konnten. Es gilt, dieses Paket jetzt durchzubringen.

Werden die neuen Gesetze ausreichen, um in der biomedizinischen Forschung einen großen Schritt nach vorne zu machen? 

Ja, aber das Gesetzespaket wird nicht alle Probleme lösen. Bei der Erfassung der Daten haben wir – im Gegensatz zu den USA – noch keine kommerziell erhältliche elektronische Patientenakte. Die Charité verhandelt hier gerade mit einem Anbieter, um modellhaft in Europa eine Anwendung zu entwickeln. Die medizinische Datenerfassung ist insgesamt ein kostenintensives Geschäft. Darauf muss sich das System vorbereiten. Wir brauchen dann auch die entsprechenden Fachkräfte im Digital Health-Bereich. Glücklicherweise sehen wir da gerade eine gute Situation beim Nachwuchs – auch bei Helmholtz.

Opt-out-Regelung wäre ein großer Fortschritt

Ist also alles auf einem guten Weg? Wo drohen noch Konflikte? 

Bei uns ist der Datenschutz im Bereich der Gesundheitsforschung eine enorme Herausforderung. Und das, obwohl die allermeisten Patienten und auch eine Mehrheit der Bevölkerung die Vorteile der Nutzung der Gesundheitsdaten sehen. Eine lautstarke Minderheit verhindert hier ein schnelleres Vorankommen. Am Anfang steht die Frage: Können wir uns auf Bedingungen für den medizinischen Datenschutz einigen? Diese müssen zum einen die berechtigten Bedenken einzelner berücksichtigen, zum anderen sicherstellen, dass wir diese Daten für die biomedizinische Forschung nutzen können.

Welche neuen gesetzlichen Regelungen im Bereich Datenschutz müssten aus ihrer Sicht für eine effektive Nutzung beschlossen werden? 

Wenn die Patienten, wie nun vorgesehen, dann über eine Opt-out-Regelung in die Nutzung ihrer Daten für Versorgung und Forschung einwilligen, wäre das ein großer Fortschritt. Und wenn es gelingt, eine Federführung einer Behörde beim Datenschutz einzuführen, damit nicht mehr alle 19 Datenschutzbeauftragte zustimmen müssen, dann würde das viele Studien sehr erleichtern und beschleunigen. Inzwischen bin ich vorsichtig optimistisch, dass das gelingen kann.

Deutschland droht, abgehängt zu werden

Sie haben die große Skepsis einiger beim Thema Datenschutz angesprochen. Wie kann man da gegensteuern? 

Hier müssen wir über Positivbeispiele die Vorteile einer modernen Nutzung von Gesundheitsdaten kommunizieren. In Israel konnte man das zum Beispiel bei der Einführung der Covid-Impfung sehr deutlich sehen. Aber diese Vorteile gibt es in vielen Bereichen, wenn sie etwa an individualisierte Medizin denken, an die Verbesserung der Diagnostik oder zum Beispiel auch an den immer wichtiger werdenden Bereich der Prävention.

Es braucht also mehr oder bessere Kommunikation? 

Ja, in der Gesetzesinitiative ist auch noch mehr Öffentlichkeitsarbeit nötig. Und das Thema Daten ist ja nicht nur im Gesundheitsbereich relevant. Schauen Sie auf die Entwicklungen in der KI. Auch da geht es wieder um eine intelligente, richtig abgestimmte Nutzung von Datensätzen. Wenn wir in Deutschland nicht schnell die Kurve bekommen, dann werden wir in Forschung und Entwicklung abgehängt. Verglichen zu den USA oder eben Israel sind wir heute noch nicht wettbewerbsfähig. Das müssen wir Entscheidungsträgern und Bürgern klarmachen.

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Nachhaltige Hochschulen: Audits sollen Standard schaffen

Nachhaltigkeit ist für die deutschen Wissenschaftseinrichtungen zu einem Rundum-Thema geworden: Über Nachhaltigkeit wird nicht nur geforscht und gelehrt, auch der Betrieb der Hochschulen und Forschungsinstitute selbst – etwa ihr Energie- und Ressourcenverbrauch – wird immer mehr nach der Sustainibility-Roadmap der UN ausgerichtet. Selbst die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat jetzt beschlossen, den Nachhaltigkeitsgedanken in ihrem DFG-Förderhandeln zu verankern.

Um das deutsche Wissenschaftssystem nachhaltiger zu gestalten, gibt es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) nun die neue Förderlinie Transformationspfade für nachhaltige Hochschulen mit einem Volumen von 16 Millionen Euro. Elf Verbünde mit insgesamt 35 Hochschulen partizipieren daran. “Zentrale Herausforderung für die klimaneutrale und nachhaltige Transformation von Hochschulen sind die Entwicklung und der Transfer innovativer Lösungen, die in der Praxis wirklich funktionieren”, erklärt ein BMBF-Sprecher auf Anfrage von Table.Media. “Diese Lösungen müssen in den kommenden Jahren schnell in die breite Anwendung gebracht und dabei zugleich passgenau auf die Spezifika der verschiedenen Hochschulen und Forschungseinrichtungen zugeschnitten sein.”

Es herrscht Aufbruchstimmung

Nach Kenntnisstand des BMBF “herrscht bei den Beteiligten ein hohes Maß an Zufriedenheit über das Förderangebot”. Das habe die Kick-off-Veranstaltung der Transformationspfade Anfang Juni in Berlin gezeigt. “Im Feedback hierzu wurde vielfach von einer Aufbruchstimmung berichtet”, sagt ein Sprecher. Positiv konnotiert wurde in den Äußerungen insbesondere, dass BMBF und Hochschulrektorenkonferenz (HRK) verstärkt für ein nachhaltiges Hochschul- und Wissenschaftssystem zusammenarbeiten.

Dies drückt sich etwa in der Entwicklung eines Nachhaltigkeitsaudits aus. Mit ihm soll ein Standard geschaffen werden, an dem sich künftig alle Hochschulen in Deutschland orientieren können, wie sie ihre Transformationsprozesse zu mehr Nachhaltigkeit zielführend gestalten können. Auch das Konsortium traNHSform der elf Verbünde wird federführend durch die HRK koordiniert.

Gesellschaften formieren sich, Projekte starten

Viele konkrete Projekte gibt es vor allem auf Hochschulebene. Ambitioniert sind die Ziele der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltigkeit an Hochschulen (DG HochN), dem Netzwerk der Nachhaltigkeits-Manager der deutschen Hochschulszene. Bei einem Treffen in Kassel formulierte deren Vorsitzender Georg Müller-Christ, Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Bremen, die Vision bis zum Jahr 2030:

  • Möglichst alle der über 2,8 Millionen Studierenden erfahren in ihrem Studium aktiv, was nachhaltige Entwicklung bedeutet.
  • Die über 400 deutschen Hochschulen unterstützen studentisches Engagement in diesem Bereich.
  • Forschungsprojekte sprechen immer auch Nachhaltigkeitsbezüge an.
  • Hochschulen werden klimaneutral betrieben.
  • In Transferveranstaltungen erkunden Wissenschaft und Gesellschaft gemeinsam Nachhaltigkeit.

Dabei geht es vor allem um die Umsetzung des Förderprogramms Transformationspfade im Rahmen der BMBF-Initiative Nachhaltigkeit in der Wissenschaft – Sustainability in Science Initiative (Sisi). Ein wichtiger Impulsgeber war in den vergangenen Jahren zudem das Dachprogramm Forschung für Nachhaltigkeit (Fona) des BMBF. Eine erste Aktivität: Das Projekt LeNa, das einen Leitfaden für das Nachhaltigkeitsmanagement außeruniversitärer Forschungseinrichtungen entwickelte. Für die Studierendenschaft wurde das sogenannte Wandercoaching-Programm gefördert, mit dem schon mehr als 100 Botschafterinnen und Botschafter für Nachhaltigkeit von der Studierendeninitiative Netzwerk N geschult wurden.

Informationsplattform HochN-Wiki geschaffen

An die Hochschulleitungen gerichtet war das erste BMBF-Förderprogramm Hoch-N, das in den Jahren 2016 bis 2021 lief, an dem zunächst elf deutsche Hochschulen unter Führerschaft der Uni Hamburg partizipierten. Um sie herum bildete sich ein wachsendes Nachhaltigkeitsnetzwerk von Hochschulen aus dem deutschsprachigen Raum, in dem sich inzwischen die Fachleute aus rund 140 Hochschulen austauschen. Ein Tool ist die Informationsplattform HochN-Wiki, auf der Akteure über ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten berichten.

Neben dem Fortsetzungsprogramm der BMBF-Förderlinie “Transformationspfade für nachhaltige Hochschulen”, das von 2023 bis 2026 läuft, wird auch der Aufbau von innerwissenschaftlichen Infrastrukturen unterstützt. Dazu zählt neben der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltigkeit an Hochschulen (DG Hoch N) auch die Gründung der Gesellschaft für transdisziplinäre und partizipative Forschung, die aus dem Projekt tdAcademy hervorgegangen ist. Sie verfolgt, wie bei ihrer Gründungsveranstaltung im vergangenen Monat in der TU Berlin verdeutlicht, einen ambitionierten Ansatz der innerwissenschaftlichen Veränderung in Kombination mit transformativen Kräften in der Gesellschaft.

“Um die Herausforderungen unserer Gegenwart nachhaltig gestalten zu können, ist die transdisziplinär und partizipativ ausgerichtete Forschung zentral”, lautet ein Kernsatz der neuen Wissenschafts-Vereinigung. Das BMBF begrüßt das Engagement: “Beide Gesellschaften wirken heute prägend für ein nachhaltiges und innovatives Wissenschaftssystem.” Zum Förderumfang teilt das Ministerium mit: “Seit 2013 hat das BMBF im Rahmen der vorgenannten Initiative Projekte im Volumen von mehr als 44 Millionen Euro bewilligt.” Manfred Ronzheimer

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Termine

6.-8. September 2023, Magdeburg
Jahrestagung des Bundesverbands Hochschulkommunikation Wissenschaft, Kommunikation, Politik: Wie neutral dürfen wir noch sein? Mehr

11.-13. September 2023, Osnabrück
18. Jahrestagung der Gesellschaft für Hochschulforschung Das Zusammenspiel von Hochschulforschung und Hochschulentwicklung: Empirie, Transfer und Wirkungen Mehr

20.-22. September 2023, Hyperion Hotel, Leipzig
Konferenz SEMANTiCS und Language Intelligence 2023 Mehr

27.-29. September 2023, Freie Universität Berlin
Gemeinsame Konferenz der Berliner Hochschulen Open-Access-Tage 2023 “Visionen gestalten” Mehr

News

Gesamtmetall fordert höhere Forschungszulage

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall hat sich hinter die Pläne von Bundesfinanzminister Christian Lindner gestellt, die steuerliche Forschungsförderung ab dem Jahr 2024 auszubauen. Um die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit deutscher Unternehmen zu unterstützen, sei die geplante Stärkung der Forschungszulage die richtige Priorität, sagte Gesamtmetall-Chefvolkswirt Lars Kroemer Table.Media. “Wichtig ist insbesondere die vorgesehene Erweiterung der förderfähigen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung. Das stärkt zielgerichtet die Innovationskraft der meist mittelständischen Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie, was für den globalen Wettbewerb von entscheidender Bedeutung ist”, sagte Kroemer.

Bisher waren bei Forschung und Entwicklung nur Personalkosten förderfähig. Dies soll nach Lindners Plänen für ein Wachstumschancengesetz ausgeweitet werden auf anteilige Investitionskosten. Insgesamt sollen künftig bis zu 70 Prozent des Auftragswerts förderfähig sein. Das würde den Angaben von Gesamtmetall zufolge den meisten M+E-Unternehmen auch mehr nutzen als beispielsweise die Projektförderung im Bereich Industrieforschung, die im Haushalt für 2024 deutlich gekürzt werden sollen.

Metall- und Elektroindustrie: 70 Milliarden F&E-Investitionen in 2021

Um die politische Forderung zu untermauern, legte der Arbeitgeberverband einen Kurzbericht vor, der die Metall- und Elektroindustrie als Branche mit den meisten privatwirtschaftlichen Aufwendungen für Forschung und Innovation in Deutschland ausweist. Der Bericht liegt Table.Media exklusiv vor. Nach dem Report, den IW Consult im Auftrag von Gesamtmetall erstellt hat, hat die M&E-Industrie im Jahr 2021 rund 70 Milliarden Euro in Forschung und Innovationen in Deutschland investiert.

Das wären in dem Jahr rund zwei Drittel der privatwirtschaftlichen und in etwa die Hälfte aller gesamtwirtschaftlichen Investitionen. Die Zahlen des Berichts stammen vor allem aus dem bereits im April erschienen turnusmäßigen Report des Stifterverbands für die deutsche Wissenschaft “Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft 2021”. Der Bericht zeigt allerdings auch, dass viele Wirtschaftsbereiche bei den FuE-Aufwendungen damals noch nicht auf Vor-Corona-Niveau lagen – etwa die Autoindustrie, aus der rund ein Drittel der internen FuE-Aufwendungen des gesamten Wirtschaftssektors stammen.

Grüne sehen andere Prioritäten für attraktivere Forschungszulage

Der Vorstoß von Christian Lindner zur Erhöhung der Forschungszulage hatte das Ziel, die steuerliche Forschungsförderung für Unternehmen attraktiver zu machen. Die Antragszahlen bewegen sich nach der Einführung im Jahr 2020 derzeit noch auf einem niedrigen Niveau. Neben Gesamtmetall hatten auch andere Wirtschaftsverbände bereits gefordert, die Forschungszulage zu erhöhen. Erhebungen weisen allerdings eher auf ein Problem mit der geringen Bekanntheit der Maßnahme hin.

Als Sprecherin für Innovations- und Technologiepolitik der Grünen hatte Anna Christmann im Juni Unternehmens- und Start-up-Verbände zu einer “Bestandsaufnahme Forschungszulage” eingeladen. Christmann hatte sich anschließend nicht für eine schnelle Erhöhung, sondern für eine ausgeruhte Evaluation ausgesprochen. Auf Anfrage von Table.Media sagte sie nun zu Lindners Plänen, dass es gut sei, die Debatte darüber zu intensivieren. Man müsse die Forschungszulage klug weiterentwickeln, damit sie gezielter bei innovativen KMUs und Start-Ups ankommt. Vor einer Erhöhung wäre der erste Schritt für die Grünen aber “eine einfachere Beantragung, schnelle Auszahlung und größere Bekanntheit“. tg

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Quanteninfrastruktur: IQM öffnet sich Firmen und Forschungseinrichtungen

Unternehmen und wissenschaftliche Einrichtungen können künftig über die Cloud auf Systeme des europäischen Marktführers im Bau supraleitender Quantencomputer IQM zugreifen. Die Quanteninfrastruktur des deutsch-finnischen Start-ups werde über T-Systems angeboten, teilte der IT-Dienstleister aus dem Telekom-Konzern am Montag in Bonn mit.

Quantencomputing ermöglicht die Berechnung von Algorithmen, die für heutige Computer zu komplex sind. Dies betrifft beispielsweise Anwendungen in den Bereichen Verschlüsselung, maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz, Sicherheit sowie Simulation. Quantencomputer können aber bislang nur von wenigen Spezialfirmen entwickelt und betrieben werden. Quantenteilchen sind sehr empfindlich und verändern bei der kleinsten Störung ihre kontrollierten Quanteneigenschaften.

Anwendungsfälle entwickeln

Vor diesem Hintergrund richtet sich auch das Angebot von T-Systems nicht auf einen Regelbetrieb von Anwendungen. Der Cloud-Service soll vor allem dem Know-how-Aufbau dienen. Kunden könnten in Zukunft Anwendungsfälle auf der Quanteninfrastruktur von IQM entwickeln und ihr Wissen erweitern.

Quantencomputer arbeiten mit sogenannten Qubits und können bestimmte Aufgaben viel schneller berechnen als klassische Computersysteme. Adel Al-Saleh, der Geschäftsführer von T-Systems, erklärte, die Quantentechnologie werde eine zentrale Rolle für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit Europas spielen. “Die Ankündigung mit IQM bedeutet, dass unsere Kunden auf eine wirklich souveräne Quantenumgebung zugreifen können, die von Europa aus aufgebaut und verwaltet wird.”

Jülicher Forscher weist auf weitere Möglichkeit für Cloudzugang hin

“Cloudzugang zu europäischen Quantencomputern ist eine rasant wachsende Realität”, sagt der Quantenphysiker Tommaso Calarco vom Forschungszentrum Jülich auf Anfrage von Table.Media. Ein Alleinstellungsmerkmal Europas in diesem Zusammenhang sei das Angebot aus öffentlichen Einrichtungen. “Neben der wichtigen Initiative von T-Systems und IQM wird es demnächst das Angebot des European Joint Undertaking for High-Performance Computing (EuroHPC) geben. Über sieben Hosting Sites werden unterschiedliche Quantencomputing-Plattformen einer breiten User-Community durch Anbindung an Supercomputer zur Verfügung gestellt.” abg mit dpa

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Universität Köln stellt Verfahren gegen Lauterbach ein

Die Universität zu Köln hat die Überprüfung einer Bewerbung ihres beurlaubten Professors Karl Lauterbach eingestellt. Lauterbach sei “kein wissenschaftliches Fehlverhalten” anzulasten. Das Rektorat folgte damit der Empfehlung ihrer internen Kommission zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis (GWP). Diese hatte die Bewerbung des Bundesgesundheitsministers an der Universität Tübingen im Jahr 1995 aufgrund einer Anzeige formell geprüft. Über die Vorwürfe hatten mehrere Medien berichtet.

Table.Media war nach eigener Recherche zu dem Ergebnis gekommen, dass diese wenig Substanz haben. Die Kommission habe zwar “Ungenauigkeiten” in der Bewerbung gesehen, erklärte die Universität. Grobe Fahrlässigkeit oder gar Vorsatz seien aber nicht feststellbar. ab

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Solarmodul-Hersteller Meyer Burger investiert erstmal in den USA statt in Bitterfeld

Das Schweizer Unternehmen Meyer Burger will künftig Hochleistungs-Solarzellen im US-Bundesstaat Colorado produzieren – und verschiebt den geplanten Ausbau in Sachsen-Anhalt. “Der beschleunigte Produktionsplan in den USA wird durch eine Umleitung von Produktionsmaschinen ermöglicht, die ursprünglich für die bereits angekündigte Erweiterung der Solarzellenfabrik am Standort Thalheim in Bitterfeld-Wolfen, vorgesehen waren”, teilte das Unternehmen am Montag mit. Diese Anlagen würden nun am Standort Colorado Springs installiert, um den geplanten Fertigstellungstermin der Zellfabrik im Jahr 2024 einzuhalten.

Mit einer anfänglichen Kapazität von zwei Gigawatt Solarzellen pro Jahr soll der neue Standort in den USA die Solarproduktion von Meyer Burger in Goodyear im Bundesstaat Arizona für den nordamerikanischen Markt beliefern. Gründe für die US-Investition seien unter anderem eine höhere staatliche Förderung, zugesagte Steuerrabatte und günstigerer Strom. Die Investition soll durch eine Steuergutschrift im Rahmen des milliardenschweren US-Förderprogramms Inflation Reduction Act (IRA) sowie durch die Unterstützung des Bundesstaates Colorado und der Stadt Colorado Springs gefördert werden.

Ausbau in Thalheim erfolgt später

Mit einem anfänglichen Produktionsvolumen von jährlich zwei Gigawatt Solarzellen und -modulen in den USA habe Meyer Burger die Möglichkeit, von Produktionsbeginn im Jahr 2024 bis Ende 2032 Steuergutschriften von bis zu 1,4 Milliarden US-Dollar zu erhalten.

Im Rahmen der erfolgreichen Bewerbung von Meyer Burger für den EU-Innovationsfonds sei zu einem späteren Zeitpunkt ein Ausbau im Multi-Gigawatt-Bereich in Thalheim geplant, teilte das Unternehmen mit. Voraussetzung für solche Investitionen seien günstige Marktbedingungen und sichere, faire Wettbewerbsbedingungen für europäische Solarhersteller in der EU. Geplant ist der Aufbau von zusätzlichen 3,5 Gigawatt Produktionskapazität für Solarzellen und Solarmodule in Deutschland und voraussichtlich in Spanien.

Europas einziger industrieller Hersteller von PV

Meyer Burger ist der einzige Hersteller überhaupt, der Solarzellen industriell in Europa fertigt. Geschäftsführer Gunter Erfurt betonte, man wolle sowohl für den Ausbau der Solarenergie in den USA als auch in Deutschland und Europa eine treibende Kraft sein. In Deutschland werde man sich deshalb am kürzlich angekündigten Interessenbekundungsverfahren der deutschen Bundesregierung für eine Renaissance der PV-Industrie beteiligen.

Erfurt hatte in den vergangenen Wochen mehrfach von Deutschland und der EU mehr Unterstützung für die Branche gefordert und wegen guter Förderbedingungen in den USA vor einer Abwanderung der Solarindustrie gewarnt. Die PV-Industrie im Land zu halten, ist auch aus Sicht hiesiger Forscher wichtig, wie Rutger Schlatmann vom Helmholtz-Zentrum Berlin in einem Standpunkt-Beitrag für Table.Media erläutert. abg

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Standpunkt

“Es wäre fatal, auf Solarindustrie zu verzichten und sich auf die Forschung zu beschränken”

Von Rutger Schlatmann
Für Technologieführerschaft braucht es Forschung und Industrie im Land, sagt Rutger Schlatmann, Leiter des Bereichs Solarenergie am Helmholtz-Zentrum Berlin.

Viele Innovationen im Bereich der Photovoltaik kommen ursprünglich aus deutschen oder europäischen Forschungseinrichtungen. Die Massenproduktion von Solarmodulen hat sich in den letzten Jahrzehnten jedoch fast vollständig nach Asien, insbesondere China, verlagert, auch weil dortige Regierungen diese Produktionsanlagen massiv gefördert haben. Aber können wir wirklich auf eine eigene Solarindustrie verzichten? Sollten wir uns in Europa darauf beschränken, zu forschen und vielleicht noch Prototypen zu entwickeln, die dann anderswo produziert werden? Ich bin davon überzeugt, dass dies fatal wäre. Nicht nur, weil es Abhängigkeiten schafft, sondern auch, weil die Abwesenheit von relevanten Industrieanlagen unsere Innovationskraft deutlich reduziert.

Denn auch wenn eine Technologie produktionsreif ist und bereits als Massenfertigung läuft, wird sie stetig weiter verbessert – oft in sehr kleinen, inkrementellen Schritten. Diese Verbesserungen können nur im engen Kontakt mit der Produktionspraxis gelingen, wo dazu Daten und Beobachtungen anfallen und ausgewertet werden. In den Laboren einer Forschungseinrichtung dagegen arbeiten Expertinnen und Experten mit sehr viel kleineren Solarzellen und anderen Verfahren, sodass sie Optimierungspotenziale im Prozessablauf einer Massenproduktion schlicht nicht erkennen können.

Kooperation mit Unternehmen für schnellen Technologietransfer

Daher ist es eine Tatsache, dass die besten Silizium-Solarzellen heute nicht im Labor von Forschungseinrichtungen produziert werden, sondern von den bekannten Unternehmen, die Siliziumtechnologien in allen Varianten perfektioniert haben. Das gilt für alle Technologien mit hohem Technology Readiness Level (TRL). Für Entwicklungen mit niedrigem TRL wie den Tandem-Solarzellen gilt dies noch nicht: Hier punkten die Forschungseinrichtungen mit neuen Materialien, Strukturen und Verfahren, mit denen sie neue Wirkungsgradrekorde erzielen können. Nur müssen solche vielversprechenden Konzepte aus der Forschung dann auch in die Anwendung kommen, und zwar schnell. Entscheidend für einen schnellen Technologietransfer sind vertrauensvolle Kooperationen mit Unternehmen, die Erfahrung in der Massenproduktion mit modernsten Anlagen besitzen.

Für die Technologieführerschaft und eine innovative, starke Wirtschaft brauchen wir also beides: Sowohl die Forschung im Labor, die neue Ideen voranbringt, als auch Forschung und Entwicklung in Unternehmen – nur so schaffen wir insgesamt eine schlagkräftige Innovationskette.

Photovoltaik-Industrie ist wichtig für die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft

Aktuell kommen fast 90 Prozent der Solarmodule aus China. Seit einiger Zeit bauen jedoch auch die USA und Indien aktiv eigene PV-Unternehmen auf, unterstützen sie mit Finanzierungsmaßnahmen und schützen sie mit Zöllen vor Konkurrenz. Denn die PV-Industrie nimmt strategisch einen entscheidenden Platz für die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft ein, das hat nicht nur China erkannt, sondern auch die USA und Indien: Eine starke PV-Industrie verringert die Abhängigkeit von fossilen Importen und ermöglicht Klimaschutz zu günstigsten Strompreisen. Denn dank großer Fortschritte durch Forschung kostet die Kilowattstunde Sonnenstrom heute im Vergleich zu anderen Energiequellen am wenigsten. Eine leistungsstarke und innovative PV-Industrie sorgt für eine starke positive Dynamik. Auf diesen Wirtschaftsmotor sollten wir in Deutschland und Europa nicht verzichten.

Rutger Schlatmann ist Vorsitzender der Europäischen Technologie- und Innovationsplattform für Photovoltaik (ETIP PV), die zu Fragen der Energiepolitik und zum Ausbau der Photovoltaik in Europa berät. Am Helmholtz-Zentrum Berlin leitet Schlatmann den Bereich Solarenergie. Zusammen mit knapp 50 weltweit renommierten Fachleuten hat der Physiker kürzlich einen Aufruf in der Fachzeitschrift Science publiziert, der den zügigen Ausbau der Photovoltaik fordert.

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China.Table: China gewinnt im Weltraum die Oberhand. Der Rüstungsforscher Niklas Schörnig warnt vor Chinas Ambitionen im All. Die neue Supermacht sei dabei, mit den USA gleichzuziehen. Sie will ihre neuen Fertigkeiten auch militärisch nutzen – beispielsweise, indem sie Satelliten anderer Länder, insbesondere Navigationssatelliten, im Orbit vernichtet. Gerade diese Möglichkeit macht die USA hochgradig nervös. Mehr

Agrifood.Table. Russland will von der Ernährungskrise profitieren. Seit dem Ende des Getreideabkommens steht die ukrainische Getreidewirtschaft massiv unter Druck. Bei großen Weizenimporteuren im Nahen Osten und in Teilen Afrika könnte Putin sich jetzt als Gönner präsentieren. Ob seine Rechnung aufgeht, ist bislang offen. Mehr

Climate.Table: Wie der Flugverkehr klimafreundlich werden muss. Fliegen ist das Privileg einer Minderheit. Obwohl in Deutschland und anderen Ländern eine Mehrheit dafür ist, den Flugverkehr fürs Klima einzuschränken, setzt die Politik gangbare Vorschläge bisher nicht um, beklagt Felix Creutzig in einem Standpunkt-Beitrag. In Zeiten der Klimakrise sei das kaum zu begreifen, findet, der Klimawissenschaftler, der am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change in Berlin forscht. Mehr

Dessert

Das neue Twitter-Logo ist ein schnödes X.

Der neueste Move des Milliardärs Elon Musk passt ins Schema. Denn dieser Mann macht immer wieder Dinge, die schwer nachvollziehbar sind. Wenigstens bietet seine Entscheidung, das Twitter-Logo mit dem zwitschernden Vögelchen durch ein schnödes X zu ersetzen, Anlass für Wortspiele: “Musk schießt den Vogel ab: Twitter soll künftig X heißen”, meldete die Deutsche Presseagentur am Montag. “Der hat doch keinen Vogel”, heißt es in der Süddeutschen Zeitung. Mit der Überschrift “Elon Musk geht dem blauen Vogel an den Kragen”, wirkt Focus-Online schon etwas weniger kreativ.

Bereits im März hatte Musk den Online-Dienst in ein neues Unternehmen mit dem Namen X Corp. eingebracht. Auf die Frage, warum Musk sich von dem ikonischen Logo trennt, gibt es bislang keine evidenzbasierte Antwort. Fest steht: Der Mann mag den Buchstaben X. Er “klatscht ihn eigentlich überall drauf, um zu sagen: Das ist meins”, informiert die Süddeutsche Zeitung. Unter X.com fungierte schon seine Online-Bank in den Neunzigern, die im Bezahldienst Paypal aufging. Seine Raketenfirma Space-X trägt den Buchstaben ebenso im Namen wie mehrere seiner Kinder.

Wer den fünfteiligen ARD-Podcast “Die Elon Musk Story” gehört hat, kennt noch einen weiteren Beweggrund. Zu Musks Masterplan für die Zukunft gehört es, die Menschheit zum Mars zu bringen. Ist doch klar, dass man dann schon mal alles Irdische abstreift. Und dazu gehören auch zwitschernde Vögel. Die gibt es auf dem Roten Planeten garantiert nicht. Anne Brüning

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    das Thema Grüner Wasserstoff hat das BMBF in diesem Jahr so stark beschäftigt wie kaum ein zweites. Die Federführung für die Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie liegt allerdings nicht bei Bettina Stark-Watzinger, sondern bei Robert Habeck. Ebenjener wird das Papier am Mittwoch nach langem Warten der Öffentlichkeit präsentieren. Table.Media liegt die Strategie der Bundesregierung bereits vor und bei näherer Betrachtung ist dann auch die Handschrift der Forschungsministerin zu erkennen. Wir stellen Ihnen schon heute die Kompromisse der Koalition und die Kernaktivitäten der Strategie im Bereich Forschung und Entwicklung vor.

    Nicht erst in der Pandemie hat Israel bewiesen, wie gut das Land bei der Nutzung von Gesundheitsdaten aufgestellt ist. Seit 2018 gibt es einen digitalen Gesundheitsplan, der vorsieht, die medizinischen Daten aller neun Millionen Bürger anonymisiert zu Forschungs- und Entwicklungszwecken zur Verfügung zu stellen. Helmholtz-Präsident Otmar D. Wiestler ist in der vergangenen Woche vor Ort gewesen. Im Interview spricht er mit Markus Weißkopf darüber, was Deutschland sich schleunigst abschauen sollte.

    Warum es auch forschungspolitisch keine gute Idee ist, auf heimische Solarindustrie zu verzichten, erläutert im Standpunkt Rutger Schlatmann, Leiter des Bereichs Solarenergie am Helmholtz-Zentrum Berlin. Sein Appell kommt genau zu richtigen Zeit: Am Montag wurde bekannt, dass der einzige Hersteller, der noch Solarzellen industriell in Europa fertigt, den Ausbau seiner Kapazitäten in Deutschland stoppt und neue Maschinen stattdessen in die USA liefern lässt. Mehr darüber in den News.

    Zu guter Letzt noch ein Hinweis in eigener Sache: Heute starten unsere Kollegen vom Agrifood.Table unter der Leitung von Henrike Schirmacher mit ihrer ersten Ausgabe. Sie berichten über die Agrar- und Ernährungspolitik auf nationaler und europäischer Ebene und analysieren die Entwicklungen für alle, die in Politik, Unternehmen oder Verwaltungen im Agrar- und Lebensmittelsektor entscheiden müssen. Hier können Sie das Angebot kostenlos testen.

    Ihr
    Tim Gabel
    Bild von Tim  Gabel

    Analyse

    Wasserstoffstrategie: Kompromisse für den Markthochlauf

    Wenn Robert Habeck an diesem Mittwoch in Vertretung des Kanzlers die Kabinettssitzung leitet, steht mit der “Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie” ein Thema auf der Tagesordnung, über das die Regierung lange gestritten hat. Anders als die bisherige Strategie der Groko sieht die neue Wasserstoffstrategie, die Table.Media vorab vorliegt, nicht mehr nur die Förderung von grünem Wasserstoff vor, der mit Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wird.

    Zumindest während der Markthochlaufphase soll auch blauer und türkiser Wasserstoff, der mit CO₂-Abscheidung aus Erdgas hergestellt wird, sowie oranger Wasserstoff, der auf Basis von Abfällen erzeugt wird, unter bestimmten Bedingungen förderfähig sein. Diese Ausweitung, auf die vor allem die FDP gedrängt hatte, wird nach Informationen aus Regierungskreisen im Umweltministerium sehr kritisch gesehen. Nicht durchsetzen konnte sich die FDP mit der Forderung, auch roten Wasserstoff, der mit Atomstrom erzeugt wird, als förderfähig einzustufen.

    Nutzung von grünem Wasserstoff zwischen Ministerien umstritten

    Als politischer Erfolg wird das breitere Farbspektrum sicher auch im Bundesforschungsministerium gewertet, das die Nationale Wasserstoffstrategie vermutlich am liebsten selbst federführend betreut hätte. Grüner Wasserstoff ist neben der Kernfusion das Lieblingsthema von Bettina Stark-Watzinger. Sie hatte in diesem Jahr eifrig neue Forschungs- und Entwicklungskooperationen zum Wasserstoff-Hochlauf mit ausländischen Partnern vereinbart – unter anderem mit Australien, Kanada, Südafrika und Irland. Zudem hat sie den Parteikollegen Till Mansmann zum Innovationsbeauftragten der Bundesregierung für Wasserstoff ernannt.

    Das Mantra von Stark-Watzinger und Mansmann war, wie bei so vielen anderen Innovationsthemen, die “Technologieoffenheit”. Umstritten war zwischen den Ministerien deshalb auch, welche Nutzungen in die Wasserstoffstrategie aufgenommen werden. Während unstrittig ist, dass Wasserstoff für viele Industrieprozesse, für den Luft- und Schiffsverkehr und für Backup-Kraftwerke benötigt wird, sehen viele Experten und Wissenschaftler seinen Einsatz zum Heizen und im Straßenverkehr skeptisch. Denn dort gibt es mit Wärmepumpen und Elektroautos deutlich effizientere Alternativen.

    Wasserstoffbedarf für 2030 wird nun höher eingeschätzt

    Trotzdem tauchen beide Anwendungen in der Strategie auf – allerdings mit Einschränkungen: Beim Straßenverkehr werden nur “schwere Nutzfahrzeuge” erwähnt und nicht die E-Fuel-betriebenen Pkws, für die Verkehrsminister Volker Wissing, aber eben auch Till Mansmann, lange gestritten hatten. Und beim Heizen stellt die Strategie klar, dass Wasserstoff – trotz des breiten Raums, den er im Streit ums Gebäudeenergiegesetz eingenommen hat – nur in “eher vereinzelten Fällen” genutzt werden dürfte.

    Den Gesamt-Wasserstoffbedarf im Jahr 2030 schätzt die neue Strategie auf 95 bis 130 Terawattstunden (TWh) – und damit etwas höher als die alte, die von 90 bis 110 TWh ausgegangen war. 50 bis 70 Prozent davon sollen importiert werden, zunächst vor allem in Form von Ammoniak per Schiff. Der Rest soll in Deutschland produziert werden, allerdings nur zum kleineren Teil mittels Elektrolyseuren aus Ökostrom. Denn der Bedarf enthält die knapp 60 TWh Wasserstoff, die auch bisher schon in Deutschland produziert werden – allerdings aus Erdgas unter Freisetzung von CO₂.

    Deutschland zum Leitanbieter von innovativen Technologien machen

    Mit Blick auf einen schnellen Ausbau der heimischen Elektrolyseleistung und auf das Ziel der Regierung, deutsche Technologieentwickler zu globalen Leitanbietern von innovativen Wasserstoff-Technologien zu machen, sollen Forschung und Industrie “langfristig und nachhaltig” unterstützt werden, heißt es in dem Papier. Alle Maßnahmen im Bereich F&E hätten das Ziel, den Fokus auf eine möglichst rasche industrielle Umsetzung konsequent fortzuführen.

    Für den Bereich Forschung und Innovation werden unter anderem folgende Kernaktivitäten angekündigt:

    • Eine Technologie- und Innovationsroadmap, die im Projekt H2Kompass entwickelt werden wird, soll strategische Maßnahmen im Forschungsbereich ableiten. Darüber hinaus soll sie Erfahrungen und Learnings aus den bisherigen Projekten und den Empfehlungen des Forschungsnetzwerks Wasserstoff sowie des Nationalen Wasserstoffrats mitberücksichtigen.
    • Im September soll das Energieforschungsprogramm der Bundesregierung fortgeschrieben werden und neue missionsorientierte Förderformate beschreiben, die Wasserstoffinnovationen vorbereiten und in den Markt bringen sollen.
    • Es werden weitere internationale Kooperationen bei der Technologieforschung und -entwicklung angestrebt, auch um deutsche Unternehmen als Marktführer bei Wasserstofftechnologien weiter international zu positionieren und zu flankieren. Ausdrücklich genannt werden die USA und Taiwan.
    • Der Wasserstofftransport per Schiff ist technisch sehr anspruchsvoll. Deshalb sollen bis 2030 größtenteils Derivate des Gases per Schiff importiert werden. Um Importe von grünem Wasserstoff so einfach und ungefährlich wie möglich zu machen, sollen Technologien erforscht werden, die sicherheitstechnische Aspekte und Umweltgefährdungen berücksichtigen.

    Projekt zum Wasserstofftransport per CO₂-freiem Methan

    Mit Blick auf den letztgenannten Punkt meint die Regierung vor allem ein neues Konzept des Energieunternehmens Tree Energy Solutions (TES), das ab dem kommenden Winter gemeinsam mit Eon und Engie ein schwimmendes LNG-Terminal vor Wilhelmshaven betreiben soll. TES will in Zukunft nicht mehr fossiles LNG liefern, sondern CO₂-freies synthetisches Methan. Das soll in einem “grünen Kreislauf” nach Deutschland geliefert werden.

    Dazu soll in Sonne- und Wind-reichen Regionen aus erneuerbaren Energien Wasserstoff produziert werden, dann mit CO₂ in synthetisches Gas verwandelt und per Schiff nach Deutschland gebracht werden. Hier soll das Gas entweder in Wasserstoff zurückverwandelt oder ins Gasnetz eingespeist werden. Bei der Rückwandlung oder Nutzung als Gas soll das CO₂ aufgefangen und zurück in Regionen geführt werden, die reich an Erneuerbaren Energien sind, und dort wieder für die Wasserstoffproduktion eingesetzt werden. Das Konzept ist vielversprechend, ein Reality-Check steht aber noch aus.

    Darüber hinaus sieht die Nationale Wasserstoffstrategie ein Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität wasserstoffnaher Berufe, die Entwicklung von Herkunftsnachweisen und Zertifizierungen zur CO₂-Bilanz und neue Fördermaßnahmen für die Industrie vor. Mit Malte Kreutzfeldt und Nico Beckert

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    “Im Vergleich zu Israel oder den USA sind wir heute noch nicht wettbewerbsfähig” 

    Otmar D. Wiestler
    Helmholtz-Präsident Otmar D. Wiestler hofft in Deutschland auf eine neue gesetzliche Basis, die es erleichtert, Gesundheitsdaten für die Wissenschaft zu nutzen.

    Herr Wiestler, Sie waren gerade mit Bettina Stark-Watzinger in Israel – was läuft dort in der biomedizinischen Forschung besser als in Deutschland? 

    Die Forschung selbst läuft in Deutschland und Israel auf ähnlichem Niveau. Das macht ja gerade auch die Partnerschaften so interessant. Wir als Helmholtz-Gemeinschaft haben dort viele Kooperationen – zum Beispiel mit unserem Cancer-Trax-Programm. Das ist eine Win-win-Situation. Ich freue mich darüber, dass nun immer mehr Deutsche als Postdocs längere Zeit beim Weizmann-Institut für Wissenschaften in Israel verbringen.

    In Bezug auf das Management und die Nutzung von Forschungs- und vor allem Gesundheitsdaten sind uns die Israelis aber weit voraus? 

    Ja, und diese Stärke im modernen Datenmanagement ist natürlich attraktiv für uns in Deutschland. Für den Vorsprung gibt es vor allem drei Gründe: Erstens wurde dort schon vor etwa 20 Jahren begonnen, Gesundheitsdaten digital zu erfassen. Rund 60 Prozent der Bevölkerung werden in Israel von einem Versicherungsunternehmen betreut. Das versichert nicht nur, sondern betreibt auch Kliniken. Das macht vieles natürlich einfacher. Zweitens sind dort durch die großen Tech-Konzerne und zahlreichen Start-ups genügend Fachkräfte im IT-Bereich verfügbar. Und ein dritter Punkt ist entscheidend: Es gibt einen anderen Umgang mit den Gesundheitsdaten. Das bedeutet nicht, dass diese Daten nicht geschützt werden. Aber man hat früh einen Rahmen gefunden, um diese Daten in einem bestimmten Format zugänglich zu machen. Einmal für die Medizin, aber auch für die Wissenschaft.

    In Deutschland fehlt eine kommerzielle elektronische Patientenakte

    Haben die Gesetze, die in den kommenden Monaten aus dem Bundesgesundheitsministerium erwartet werden, das Potenzial auch in Deutschland eine effektive Datennutzung zu ermöglichen? 

    Diese Gesetze, wie das Gesundheitsdatennutzungsgesetz oder das Digitalgesetz sind enorm wichtig für die Gesundheitsforschung. Ich hoffe sehr, dass die Initiativen von Karl Lauterbach jetzt erfolgreich sind. Damit hätten wir endlich eine Basis, um Gesundheitsdaten ganz anders zu nutzen, als wir das bisher konnten. Es gilt, dieses Paket jetzt durchzubringen.

    Werden die neuen Gesetze ausreichen, um in der biomedizinischen Forschung einen großen Schritt nach vorne zu machen? 

    Ja, aber das Gesetzespaket wird nicht alle Probleme lösen. Bei der Erfassung der Daten haben wir – im Gegensatz zu den USA – noch keine kommerziell erhältliche elektronische Patientenakte. Die Charité verhandelt hier gerade mit einem Anbieter, um modellhaft in Europa eine Anwendung zu entwickeln. Die medizinische Datenerfassung ist insgesamt ein kostenintensives Geschäft. Darauf muss sich das System vorbereiten. Wir brauchen dann auch die entsprechenden Fachkräfte im Digital Health-Bereich. Glücklicherweise sehen wir da gerade eine gute Situation beim Nachwuchs – auch bei Helmholtz.

    Opt-out-Regelung wäre ein großer Fortschritt

    Ist also alles auf einem guten Weg? Wo drohen noch Konflikte? 

    Bei uns ist der Datenschutz im Bereich der Gesundheitsforschung eine enorme Herausforderung. Und das, obwohl die allermeisten Patienten und auch eine Mehrheit der Bevölkerung die Vorteile der Nutzung der Gesundheitsdaten sehen. Eine lautstarke Minderheit verhindert hier ein schnelleres Vorankommen. Am Anfang steht die Frage: Können wir uns auf Bedingungen für den medizinischen Datenschutz einigen? Diese müssen zum einen die berechtigten Bedenken einzelner berücksichtigen, zum anderen sicherstellen, dass wir diese Daten für die biomedizinische Forschung nutzen können.

    Welche neuen gesetzlichen Regelungen im Bereich Datenschutz müssten aus ihrer Sicht für eine effektive Nutzung beschlossen werden? 

    Wenn die Patienten, wie nun vorgesehen, dann über eine Opt-out-Regelung in die Nutzung ihrer Daten für Versorgung und Forschung einwilligen, wäre das ein großer Fortschritt. Und wenn es gelingt, eine Federführung einer Behörde beim Datenschutz einzuführen, damit nicht mehr alle 19 Datenschutzbeauftragte zustimmen müssen, dann würde das viele Studien sehr erleichtern und beschleunigen. Inzwischen bin ich vorsichtig optimistisch, dass das gelingen kann.

    Deutschland droht, abgehängt zu werden

    Sie haben die große Skepsis einiger beim Thema Datenschutz angesprochen. Wie kann man da gegensteuern? 

    Hier müssen wir über Positivbeispiele die Vorteile einer modernen Nutzung von Gesundheitsdaten kommunizieren. In Israel konnte man das zum Beispiel bei der Einführung der Covid-Impfung sehr deutlich sehen. Aber diese Vorteile gibt es in vielen Bereichen, wenn sie etwa an individualisierte Medizin denken, an die Verbesserung der Diagnostik oder zum Beispiel auch an den immer wichtiger werdenden Bereich der Prävention.

    Es braucht also mehr oder bessere Kommunikation? 

    Ja, in der Gesetzesinitiative ist auch noch mehr Öffentlichkeitsarbeit nötig. Und das Thema Daten ist ja nicht nur im Gesundheitsbereich relevant. Schauen Sie auf die Entwicklungen in der KI. Auch da geht es wieder um eine intelligente, richtig abgestimmte Nutzung von Datensätzen. Wenn wir in Deutschland nicht schnell die Kurve bekommen, dann werden wir in Forschung und Entwicklung abgehängt. Verglichen zu den USA oder eben Israel sind wir heute noch nicht wettbewerbsfähig. Das müssen wir Entscheidungsträgern und Bürgern klarmachen.

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    Nachhaltige Hochschulen: Audits sollen Standard schaffen

    Nachhaltigkeit ist für die deutschen Wissenschaftseinrichtungen zu einem Rundum-Thema geworden: Über Nachhaltigkeit wird nicht nur geforscht und gelehrt, auch der Betrieb der Hochschulen und Forschungsinstitute selbst – etwa ihr Energie- und Ressourcenverbrauch – wird immer mehr nach der Sustainibility-Roadmap der UN ausgerichtet. Selbst die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat jetzt beschlossen, den Nachhaltigkeitsgedanken in ihrem DFG-Förderhandeln zu verankern.

    Um das deutsche Wissenschaftssystem nachhaltiger zu gestalten, gibt es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) nun die neue Förderlinie Transformationspfade für nachhaltige Hochschulen mit einem Volumen von 16 Millionen Euro. Elf Verbünde mit insgesamt 35 Hochschulen partizipieren daran. “Zentrale Herausforderung für die klimaneutrale und nachhaltige Transformation von Hochschulen sind die Entwicklung und der Transfer innovativer Lösungen, die in der Praxis wirklich funktionieren”, erklärt ein BMBF-Sprecher auf Anfrage von Table.Media. “Diese Lösungen müssen in den kommenden Jahren schnell in die breite Anwendung gebracht und dabei zugleich passgenau auf die Spezifika der verschiedenen Hochschulen und Forschungseinrichtungen zugeschnitten sein.”

    Es herrscht Aufbruchstimmung

    Nach Kenntnisstand des BMBF “herrscht bei den Beteiligten ein hohes Maß an Zufriedenheit über das Förderangebot”. Das habe die Kick-off-Veranstaltung der Transformationspfade Anfang Juni in Berlin gezeigt. “Im Feedback hierzu wurde vielfach von einer Aufbruchstimmung berichtet”, sagt ein Sprecher. Positiv konnotiert wurde in den Äußerungen insbesondere, dass BMBF und Hochschulrektorenkonferenz (HRK) verstärkt für ein nachhaltiges Hochschul- und Wissenschaftssystem zusammenarbeiten.

    Dies drückt sich etwa in der Entwicklung eines Nachhaltigkeitsaudits aus. Mit ihm soll ein Standard geschaffen werden, an dem sich künftig alle Hochschulen in Deutschland orientieren können, wie sie ihre Transformationsprozesse zu mehr Nachhaltigkeit zielführend gestalten können. Auch das Konsortium traNHSform der elf Verbünde wird federführend durch die HRK koordiniert.

    Gesellschaften formieren sich, Projekte starten

    Viele konkrete Projekte gibt es vor allem auf Hochschulebene. Ambitioniert sind die Ziele der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltigkeit an Hochschulen (DG HochN), dem Netzwerk der Nachhaltigkeits-Manager der deutschen Hochschulszene. Bei einem Treffen in Kassel formulierte deren Vorsitzender Georg Müller-Christ, Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Bremen, die Vision bis zum Jahr 2030:

    • Möglichst alle der über 2,8 Millionen Studierenden erfahren in ihrem Studium aktiv, was nachhaltige Entwicklung bedeutet.
    • Die über 400 deutschen Hochschulen unterstützen studentisches Engagement in diesem Bereich.
    • Forschungsprojekte sprechen immer auch Nachhaltigkeitsbezüge an.
    • Hochschulen werden klimaneutral betrieben.
    • In Transferveranstaltungen erkunden Wissenschaft und Gesellschaft gemeinsam Nachhaltigkeit.

    Dabei geht es vor allem um die Umsetzung des Förderprogramms Transformationspfade im Rahmen der BMBF-Initiative Nachhaltigkeit in der Wissenschaft – Sustainability in Science Initiative (Sisi). Ein wichtiger Impulsgeber war in den vergangenen Jahren zudem das Dachprogramm Forschung für Nachhaltigkeit (Fona) des BMBF. Eine erste Aktivität: Das Projekt LeNa, das einen Leitfaden für das Nachhaltigkeitsmanagement außeruniversitärer Forschungseinrichtungen entwickelte. Für die Studierendenschaft wurde das sogenannte Wandercoaching-Programm gefördert, mit dem schon mehr als 100 Botschafterinnen und Botschafter für Nachhaltigkeit von der Studierendeninitiative Netzwerk N geschult wurden.

    Informationsplattform HochN-Wiki geschaffen

    An die Hochschulleitungen gerichtet war das erste BMBF-Förderprogramm Hoch-N, das in den Jahren 2016 bis 2021 lief, an dem zunächst elf deutsche Hochschulen unter Führerschaft der Uni Hamburg partizipierten. Um sie herum bildete sich ein wachsendes Nachhaltigkeitsnetzwerk von Hochschulen aus dem deutschsprachigen Raum, in dem sich inzwischen die Fachleute aus rund 140 Hochschulen austauschen. Ein Tool ist die Informationsplattform HochN-Wiki, auf der Akteure über ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten berichten.

    Neben dem Fortsetzungsprogramm der BMBF-Förderlinie “Transformationspfade für nachhaltige Hochschulen”, das von 2023 bis 2026 läuft, wird auch der Aufbau von innerwissenschaftlichen Infrastrukturen unterstützt. Dazu zählt neben der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltigkeit an Hochschulen (DG Hoch N) auch die Gründung der Gesellschaft für transdisziplinäre und partizipative Forschung, die aus dem Projekt tdAcademy hervorgegangen ist. Sie verfolgt, wie bei ihrer Gründungsveranstaltung im vergangenen Monat in der TU Berlin verdeutlicht, einen ambitionierten Ansatz der innerwissenschaftlichen Veränderung in Kombination mit transformativen Kräften in der Gesellschaft.

    “Um die Herausforderungen unserer Gegenwart nachhaltig gestalten zu können, ist die transdisziplinär und partizipativ ausgerichtete Forschung zentral”, lautet ein Kernsatz der neuen Wissenschafts-Vereinigung. Das BMBF begrüßt das Engagement: “Beide Gesellschaften wirken heute prägend für ein nachhaltiges und innovatives Wissenschaftssystem.” Zum Förderumfang teilt das Ministerium mit: “Seit 2013 hat das BMBF im Rahmen der vorgenannten Initiative Projekte im Volumen von mehr als 44 Millionen Euro bewilligt.” Manfred Ronzheimer

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    Termine

    6.-8. September 2023, Magdeburg
    Jahrestagung des Bundesverbands Hochschulkommunikation Wissenschaft, Kommunikation, Politik: Wie neutral dürfen wir noch sein? Mehr

    11.-13. September 2023, Osnabrück
    18. Jahrestagung der Gesellschaft für Hochschulforschung Das Zusammenspiel von Hochschulforschung und Hochschulentwicklung: Empirie, Transfer und Wirkungen Mehr

    20.-22. September 2023, Hyperion Hotel, Leipzig
    Konferenz SEMANTiCS und Language Intelligence 2023 Mehr

    27.-29. September 2023, Freie Universität Berlin
    Gemeinsame Konferenz der Berliner Hochschulen Open-Access-Tage 2023 “Visionen gestalten” Mehr

    News

    Gesamtmetall fordert höhere Forschungszulage

    Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall hat sich hinter die Pläne von Bundesfinanzminister Christian Lindner gestellt, die steuerliche Forschungsförderung ab dem Jahr 2024 auszubauen. Um die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit deutscher Unternehmen zu unterstützen, sei die geplante Stärkung der Forschungszulage die richtige Priorität, sagte Gesamtmetall-Chefvolkswirt Lars Kroemer Table.Media. “Wichtig ist insbesondere die vorgesehene Erweiterung der förderfähigen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung. Das stärkt zielgerichtet die Innovationskraft der meist mittelständischen Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie, was für den globalen Wettbewerb von entscheidender Bedeutung ist”, sagte Kroemer.

    Bisher waren bei Forschung und Entwicklung nur Personalkosten förderfähig. Dies soll nach Lindners Plänen für ein Wachstumschancengesetz ausgeweitet werden auf anteilige Investitionskosten. Insgesamt sollen künftig bis zu 70 Prozent des Auftragswerts förderfähig sein. Das würde den Angaben von Gesamtmetall zufolge den meisten M+E-Unternehmen auch mehr nutzen als beispielsweise die Projektförderung im Bereich Industrieforschung, die im Haushalt für 2024 deutlich gekürzt werden sollen.

    Metall- und Elektroindustrie: 70 Milliarden F&E-Investitionen in 2021

    Um die politische Forderung zu untermauern, legte der Arbeitgeberverband einen Kurzbericht vor, der die Metall- und Elektroindustrie als Branche mit den meisten privatwirtschaftlichen Aufwendungen für Forschung und Innovation in Deutschland ausweist. Der Bericht liegt Table.Media exklusiv vor. Nach dem Report, den IW Consult im Auftrag von Gesamtmetall erstellt hat, hat die M&E-Industrie im Jahr 2021 rund 70 Milliarden Euro in Forschung und Innovationen in Deutschland investiert.

    Das wären in dem Jahr rund zwei Drittel der privatwirtschaftlichen und in etwa die Hälfte aller gesamtwirtschaftlichen Investitionen. Die Zahlen des Berichts stammen vor allem aus dem bereits im April erschienen turnusmäßigen Report des Stifterverbands für die deutsche Wissenschaft “Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft 2021”. Der Bericht zeigt allerdings auch, dass viele Wirtschaftsbereiche bei den FuE-Aufwendungen damals noch nicht auf Vor-Corona-Niveau lagen – etwa die Autoindustrie, aus der rund ein Drittel der internen FuE-Aufwendungen des gesamten Wirtschaftssektors stammen.

    Grüne sehen andere Prioritäten für attraktivere Forschungszulage

    Der Vorstoß von Christian Lindner zur Erhöhung der Forschungszulage hatte das Ziel, die steuerliche Forschungsförderung für Unternehmen attraktiver zu machen. Die Antragszahlen bewegen sich nach der Einführung im Jahr 2020 derzeit noch auf einem niedrigen Niveau. Neben Gesamtmetall hatten auch andere Wirtschaftsverbände bereits gefordert, die Forschungszulage zu erhöhen. Erhebungen weisen allerdings eher auf ein Problem mit der geringen Bekanntheit der Maßnahme hin.

    Als Sprecherin für Innovations- und Technologiepolitik der Grünen hatte Anna Christmann im Juni Unternehmens- und Start-up-Verbände zu einer “Bestandsaufnahme Forschungszulage” eingeladen. Christmann hatte sich anschließend nicht für eine schnelle Erhöhung, sondern für eine ausgeruhte Evaluation ausgesprochen. Auf Anfrage von Table.Media sagte sie nun zu Lindners Plänen, dass es gut sei, die Debatte darüber zu intensivieren. Man müsse die Forschungszulage klug weiterentwickeln, damit sie gezielter bei innovativen KMUs und Start-Ups ankommt. Vor einer Erhöhung wäre der erste Schritt für die Grünen aber “eine einfachere Beantragung, schnelle Auszahlung und größere Bekanntheit“. tg

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    Quanteninfrastruktur: IQM öffnet sich Firmen und Forschungseinrichtungen

    Unternehmen und wissenschaftliche Einrichtungen können künftig über die Cloud auf Systeme des europäischen Marktführers im Bau supraleitender Quantencomputer IQM zugreifen. Die Quanteninfrastruktur des deutsch-finnischen Start-ups werde über T-Systems angeboten, teilte der IT-Dienstleister aus dem Telekom-Konzern am Montag in Bonn mit.

    Quantencomputing ermöglicht die Berechnung von Algorithmen, die für heutige Computer zu komplex sind. Dies betrifft beispielsweise Anwendungen in den Bereichen Verschlüsselung, maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz, Sicherheit sowie Simulation. Quantencomputer können aber bislang nur von wenigen Spezialfirmen entwickelt und betrieben werden. Quantenteilchen sind sehr empfindlich und verändern bei der kleinsten Störung ihre kontrollierten Quanteneigenschaften.

    Anwendungsfälle entwickeln

    Vor diesem Hintergrund richtet sich auch das Angebot von T-Systems nicht auf einen Regelbetrieb von Anwendungen. Der Cloud-Service soll vor allem dem Know-how-Aufbau dienen. Kunden könnten in Zukunft Anwendungsfälle auf der Quanteninfrastruktur von IQM entwickeln und ihr Wissen erweitern.

    Quantencomputer arbeiten mit sogenannten Qubits und können bestimmte Aufgaben viel schneller berechnen als klassische Computersysteme. Adel Al-Saleh, der Geschäftsführer von T-Systems, erklärte, die Quantentechnologie werde eine zentrale Rolle für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit Europas spielen. “Die Ankündigung mit IQM bedeutet, dass unsere Kunden auf eine wirklich souveräne Quantenumgebung zugreifen können, die von Europa aus aufgebaut und verwaltet wird.”

    Jülicher Forscher weist auf weitere Möglichkeit für Cloudzugang hin

    “Cloudzugang zu europäischen Quantencomputern ist eine rasant wachsende Realität”, sagt der Quantenphysiker Tommaso Calarco vom Forschungszentrum Jülich auf Anfrage von Table.Media. Ein Alleinstellungsmerkmal Europas in diesem Zusammenhang sei das Angebot aus öffentlichen Einrichtungen. “Neben der wichtigen Initiative von T-Systems und IQM wird es demnächst das Angebot des European Joint Undertaking for High-Performance Computing (EuroHPC) geben. Über sieben Hosting Sites werden unterschiedliche Quantencomputing-Plattformen einer breiten User-Community durch Anbindung an Supercomputer zur Verfügung gestellt.” abg mit dpa

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    Universität Köln stellt Verfahren gegen Lauterbach ein

    Die Universität zu Köln hat die Überprüfung einer Bewerbung ihres beurlaubten Professors Karl Lauterbach eingestellt. Lauterbach sei “kein wissenschaftliches Fehlverhalten” anzulasten. Das Rektorat folgte damit der Empfehlung ihrer internen Kommission zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis (GWP). Diese hatte die Bewerbung des Bundesgesundheitsministers an der Universität Tübingen im Jahr 1995 aufgrund einer Anzeige formell geprüft. Über die Vorwürfe hatten mehrere Medien berichtet.

    Table.Media war nach eigener Recherche zu dem Ergebnis gekommen, dass diese wenig Substanz haben. Die Kommission habe zwar “Ungenauigkeiten” in der Bewerbung gesehen, erklärte die Universität. Grobe Fahrlässigkeit oder gar Vorsatz seien aber nicht feststellbar. ab

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    Solarmodul-Hersteller Meyer Burger investiert erstmal in den USA statt in Bitterfeld

    Das Schweizer Unternehmen Meyer Burger will künftig Hochleistungs-Solarzellen im US-Bundesstaat Colorado produzieren – und verschiebt den geplanten Ausbau in Sachsen-Anhalt. “Der beschleunigte Produktionsplan in den USA wird durch eine Umleitung von Produktionsmaschinen ermöglicht, die ursprünglich für die bereits angekündigte Erweiterung der Solarzellenfabrik am Standort Thalheim in Bitterfeld-Wolfen, vorgesehen waren”, teilte das Unternehmen am Montag mit. Diese Anlagen würden nun am Standort Colorado Springs installiert, um den geplanten Fertigstellungstermin der Zellfabrik im Jahr 2024 einzuhalten.

    Mit einer anfänglichen Kapazität von zwei Gigawatt Solarzellen pro Jahr soll der neue Standort in den USA die Solarproduktion von Meyer Burger in Goodyear im Bundesstaat Arizona für den nordamerikanischen Markt beliefern. Gründe für die US-Investition seien unter anderem eine höhere staatliche Förderung, zugesagte Steuerrabatte und günstigerer Strom. Die Investition soll durch eine Steuergutschrift im Rahmen des milliardenschweren US-Förderprogramms Inflation Reduction Act (IRA) sowie durch die Unterstützung des Bundesstaates Colorado und der Stadt Colorado Springs gefördert werden.

    Ausbau in Thalheim erfolgt später

    Mit einem anfänglichen Produktionsvolumen von jährlich zwei Gigawatt Solarzellen und -modulen in den USA habe Meyer Burger die Möglichkeit, von Produktionsbeginn im Jahr 2024 bis Ende 2032 Steuergutschriften von bis zu 1,4 Milliarden US-Dollar zu erhalten.

    Im Rahmen der erfolgreichen Bewerbung von Meyer Burger für den EU-Innovationsfonds sei zu einem späteren Zeitpunkt ein Ausbau im Multi-Gigawatt-Bereich in Thalheim geplant, teilte das Unternehmen mit. Voraussetzung für solche Investitionen seien günstige Marktbedingungen und sichere, faire Wettbewerbsbedingungen für europäische Solarhersteller in der EU. Geplant ist der Aufbau von zusätzlichen 3,5 Gigawatt Produktionskapazität für Solarzellen und Solarmodule in Deutschland und voraussichtlich in Spanien.

    Europas einziger industrieller Hersteller von PV

    Meyer Burger ist der einzige Hersteller überhaupt, der Solarzellen industriell in Europa fertigt. Geschäftsführer Gunter Erfurt betonte, man wolle sowohl für den Ausbau der Solarenergie in den USA als auch in Deutschland und Europa eine treibende Kraft sein. In Deutschland werde man sich deshalb am kürzlich angekündigten Interessenbekundungsverfahren der deutschen Bundesregierung für eine Renaissance der PV-Industrie beteiligen.

    Erfurt hatte in den vergangenen Wochen mehrfach von Deutschland und der EU mehr Unterstützung für die Branche gefordert und wegen guter Förderbedingungen in den USA vor einer Abwanderung der Solarindustrie gewarnt. Die PV-Industrie im Land zu halten, ist auch aus Sicht hiesiger Forscher wichtig, wie Rutger Schlatmann vom Helmholtz-Zentrum Berlin in einem Standpunkt-Beitrag für Table.Media erläutert. abg

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    Standpunkt

    “Es wäre fatal, auf Solarindustrie zu verzichten und sich auf die Forschung zu beschränken”

    Von Rutger Schlatmann
    Für Technologieführerschaft braucht es Forschung und Industrie im Land, sagt Rutger Schlatmann, Leiter des Bereichs Solarenergie am Helmholtz-Zentrum Berlin.

    Viele Innovationen im Bereich der Photovoltaik kommen ursprünglich aus deutschen oder europäischen Forschungseinrichtungen. Die Massenproduktion von Solarmodulen hat sich in den letzten Jahrzehnten jedoch fast vollständig nach Asien, insbesondere China, verlagert, auch weil dortige Regierungen diese Produktionsanlagen massiv gefördert haben. Aber können wir wirklich auf eine eigene Solarindustrie verzichten? Sollten wir uns in Europa darauf beschränken, zu forschen und vielleicht noch Prototypen zu entwickeln, die dann anderswo produziert werden? Ich bin davon überzeugt, dass dies fatal wäre. Nicht nur, weil es Abhängigkeiten schafft, sondern auch, weil die Abwesenheit von relevanten Industrieanlagen unsere Innovationskraft deutlich reduziert.

    Denn auch wenn eine Technologie produktionsreif ist und bereits als Massenfertigung läuft, wird sie stetig weiter verbessert – oft in sehr kleinen, inkrementellen Schritten. Diese Verbesserungen können nur im engen Kontakt mit der Produktionspraxis gelingen, wo dazu Daten und Beobachtungen anfallen und ausgewertet werden. In den Laboren einer Forschungseinrichtung dagegen arbeiten Expertinnen und Experten mit sehr viel kleineren Solarzellen und anderen Verfahren, sodass sie Optimierungspotenziale im Prozessablauf einer Massenproduktion schlicht nicht erkennen können.

    Kooperation mit Unternehmen für schnellen Technologietransfer

    Daher ist es eine Tatsache, dass die besten Silizium-Solarzellen heute nicht im Labor von Forschungseinrichtungen produziert werden, sondern von den bekannten Unternehmen, die Siliziumtechnologien in allen Varianten perfektioniert haben. Das gilt für alle Technologien mit hohem Technology Readiness Level (TRL). Für Entwicklungen mit niedrigem TRL wie den Tandem-Solarzellen gilt dies noch nicht: Hier punkten die Forschungseinrichtungen mit neuen Materialien, Strukturen und Verfahren, mit denen sie neue Wirkungsgradrekorde erzielen können. Nur müssen solche vielversprechenden Konzepte aus der Forschung dann auch in die Anwendung kommen, und zwar schnell. Entscheidend für einen schnellen Technologietransfer sind vertrauensvolle Kooperationen mit Unternehmen, die Erfahrung in der Massenproduktion mit modernsten Anlagen besitzen.

    Für die Technologieführerschaft und eine innovative, starke Wirtschaft brauchen wir also beides: Sowohl die Forschung im Labor, die neue Ideen voranbringt, als auch Forschung und Entwicklung in Unternehmen – nur so schaffen wir insgesamt eine schlagkräftige Innovationskette.

    Photovoltaik-Industrie ist wichtig für die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft

    Aktuell kommen fast 90 Prozent der Solarmodule aus China. Seit einiger Zeit bauen jedoch auch die USA und Indien aktiv eigene PV-Unternehmen auf, unterstützen sie mit Finanzierungsmaßnahmen und schützen sie mit Zöllen vor Konkurrenz. Denn die PV-Industrie nimmt strategisch einen entscheidenden Platz für die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft ein, das hat nicht nur China erkannt, sondern auch die USA und Indien: Eine starke PV-Industrie verringert die Abhängigkeit von fossilen Importen und ermöglicht Klimaschutz zu günstigsten Strompreisen. Denn dank großer Fortschritte durch Forschung kostet die Kilowattstunde Sonnenstrom heute im Vergleich zu anderen Energiequellen am wenigsten. Eine leistungsstarke und innovative PV-Industrie sorgt für eine starke positive Dynamik. Auf diesen Wirtschaftsmotor sollten wir in Deutschland und Europa nicht verzichten.

    Rutger Schlatmann ist Vorsitzender der Europäischen Technologie- und Innovationsplattform für Photovoltaik (ETIP PV), die zu Fragen der Energiepolitik und zum Ausbau der Photovoltaik in Europa berät. Am Helmholtz-Zentrum Berlin leitet Schlatmann den Bereich Solarenergie. Zusammen mit knapp 50 weltweit renommierten Fachleuten hat der Physiker kürzlich einen Aufruf in der Fachzeitschrift Science publiziert, der den zügigen Ausbau der Photovoltaik fordert.

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    Mehr von Table.Media

    China.Table: China gewinnt im Weltraum die Oberhand. Der Rüstungsforscher Niklas Schörnig warnt vor Chinas Ambitionen im All. Die neue Supermacht sei dabei, mit den USA gleichzuziehen. Sie will ihre neuen Fertigkeiten auch militärisch nutzen – beispielsweise, indem sie Satelliten anderer Länder, insbesondere Navigationssatelliten, im Orbit vernichtet. Gerade diese Möglichkeit macht die USA hochgradig nervös. Mehr

    Agrifood.Table. Russland will von der Ernährungskrise profitieren. Seit dem Ende des Getreideabkommens steht die ukrainische Getreidewirtschaft massiv unter Druck. Bei großen Weizenimporteuren im Nahen Osten und in Teilen Afrika könnte Putin sich jetzt als Gönner präsentieren. Ob seine Rechnung aufgeht, ist bislang offen. Mehr

    Climate.Table: Wie der Flugverkehr klimafreundlich werden muss. Fliegen ist das Privileg einer Minderheit. Obwohl in Deutschland und anderen Ländern eine Mehrheit dafür ist, den Flugverkehr fürs Klima einzuschränken, setzt die Politik gangbare Vorschläge bisher nicht um, beklagt Felix Creutzig in einem Standpunkt-Beitrag. In Zeiten der Klimakrise sei das kaum zu begreifen, findet, der Klimawissenschaftler, der am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change in Berlin forscht. Mehr

    Dessert

    Das neue Twitter-Logo ist ein schnödes X.

    Der neueste Move des Milliardärs Elon Musk passt ins Schema. Denn dieser Mann macht immer wieder Dinge, die schwer nachvollziehbar sind. Wenigstens bietet seine Entscheidung, das Twitter-Logo mit dem zwitschernden Vögelchen durch ein schnödes X zu ersetzen, Anlass für Wortspiele: “Musk schießt den Vogel ab: Twitter soll künftig X heißen”, meldete die Deutsche Presseagentur am Montag. “Der hat doch keinen Vogel”, heißt es in der Süddeutschen Zeitung. Mit der Überschrift “Elon Musk geht dem blauen Vogel an den Kragen”, wirkt Focus-Online schon etwas weniger kreativ.

    Bereits im März hatte Musk den Online-Dienst in ein neues Unternehmen mit dem Namen X Corp. eingebracht. Auf die Frage, warum Musk sich von dem ikonischen Logo trennt, gibt es bislang keine evidenzbasierte Antwort. Fest steht: Der Mann mag den Buchstaben X. Er “klatscht ihn eigentlich überall drauf, um zu sagen: Das ist meins”, informiert die Süddeutsche Zeitung. Unter X.com fungierte schon seine Online-Bank in den Neunzigern, die im Bezahldienst Paypal aufging. Seine Raketenfirma Space-X trägt den Buchstaben ebenso im Namen wie mehrere seiner Kinder.

    Wer den fünfteiligen ARD-Podcast “Die Elon Musk Story” gehört hat, kennt noch einen weiteren Beweggrund. Zu Musks Masterplan für die Zukunft gehört es, die Menschheit zum Mars zu bringen. Ist doch klar, dass man dann schon mal alles Irdische abstreift. Und dazu gehören auch zwitschernde Vögel. Die gibt es auf dem Roten Planeten garantiert nicht. Anne Brüning

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