Table.Briefing: Research

Table.Spezial +++ Neue Leopoldina-Präsidentin Bettina Rockenbach im Exklusiv-Interview +++

Liebe Leserin, lieber Leser,

lange hatte die Wissenschaftscommunity gerätselt, wer wohl im kommenden März die Nachfolge von Gerald Haug antreten wird. Auf der Jahresversammlung der Leopoldina in Halle (Saale) hat der Senat am Donnerstag in geheimer Wahl entschieden, dass Bettina Rockenbach die XXVIII. Präsidentschaft übernehmen wird. Eine Überraschung – und das gleich aus mehreren Gründen: Sie wird die erste Frau an der Spitze der Leopoldina sein. Und zugleich die erste Vertreterin aus der Klasse IV. Nach vielen Präsidenten mit naturwissenschaftlichem oder medizinischem Hintergrund, aktuell dem Paläoklimatologen Haug, steht nun bald eine Wirtschaftswissenschaftlerin der Nationalen Akademie der Wissenschaften vor.

Die Schwerpunkte Rockenbachs eigener Forschung sind Mechanismen zur Beförderung von Kooperation in sozialen Dilemma-Situationen und Rahmenbedingungen für sozial verantwortliches wirtschaftliches Handeln. Sie hat vor, diese Expertise auch in ihre zukünftige Arbeit für die Leopoldina einzubringen, wie sie uns im Exklusiv-Interview erzählte. Eine kluge Wahl der renommierten Akademie, die sich damit die Möglichkeit eröffnet, sich aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen noch breiter zuwenden zu können. Lesen Sie auch, was die kommende Präsidentin über Frauenfragen, die Ausrichtung der wissenschaftlichen Politikberatung und die finanziellen Perspektiven der Leopoldina denkt.

Übrigens: Die Jahresversammlung der Leopoldina steht in diesem Jahr unter dem Titel “Ursprung und Beginn des Lebens”. Für dieses Table.Spezial hat unser Autor Ralf Nestler mit Thomas Henning vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg gesprochen, der die Veranstaltung gemeinsam mit Thomas Carell wissenschaftlich koordiniert hat. Sein weiterer Gesprächspartner war der langjährige Nasa-Direktor und Festredner Thomas Zurbuchen. Beide Wissenschaftler sind sicher: Wir sind nicht allein.

Ich wünsche Ihnen eine wegweisende Lektüre,

Ihre
Nicola Kuhrt
Bild von Nicola  Kuhrt

Interview

Bettina Rockenbach: Was die erste Frau an der Spitze der Akademie plant

Prof. Dr. Bettina Rockenbach wird neue Präsidentin der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
Bettina Rockenbach ist eine deutsche Wirtschaftswissenschaftlerin – und leitet ab 1. März 2025 die Leopoldina.

Frau Rockenbach, wie wird man eigentlich Leopoldina-Präsidentin? Für so manchen in der Wissenschafts-Community sind Sie eine Überraschungskandidatin …  

Die Anfrage der Findungskommission der Leopoldina, ob ich mir vorstellen könne, das Amt der Präsidentin zu übernehmen, hat mich sehr gefreut, auch wenn sie unerwartet kam. Ich habe dann eine Nacht darüber geschlafen und ja, ich konnte und kann es mir sehr gut vorstellen. In Gesprächen mit der Findungskommission habe ich meine Ideen vorgestellt und es freut mich sehr, dass der Senat mich als Präsidentin gewählt hat.     

Können Sie von diesen Ideen schon etwas verraten?  

Ich bin die erste Präsidentin aus der Klasse IV der Geistes-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften. Die Leopoldina hat eine lange Geschichte und hat sich aus einer naturwissenschaftlich-medizinischen Akademie entwickelt. Meine Vorgänger hatten alle einen medizinischen beziehungsweise naturwissenschaftlichen Hintergrund. Mit einer Präsidentin aus den Geistes- und Sozialwissenschaften zeigt die Leopoldina, dass die Einbindung dieser Wissenschaftsgebiete in die Arbeit der Leopoldina von großer Bedeutung ist und ich werde das in meiner Arbeit sicherlich unterstreichen.      

Erste Frau an der Spitze, erste Präsidentin aus der Klasse IV

Wie erklären Sie sich diesen Schritt?   

Die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, die Herausforderungen der Gesellschaft, sind komplex, global und untereinander vernetzt. Ihre Adressierung braucht eine interdisziplinäre Betrachtung und das gilt auch für Themen, die vordergründig rein naturwissenschaftlich oder medizinisch erscheinen, wie die Klimakrise oder das Impfen. Diese Herausforderungen lassen sich nicht ohne die Einbindung der Geistes-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften angehen.  

 Wie wollen Sie diese Expertise stärker einbringen?   

Es ist der große Vorteil der Leopoldina, dass sie als Nationale Akademie der Wissenschaften sehr breit aufgestellt ist und exzellente Expertise aus nahezu allen Bereichen der Wissenschaft vereint. Die Auswahl der Themen erfolgt stets durch die Leopoldina selbst und mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen und die zukünftigen Entwicklungen: Was ist das, was uns vielleicht morgen, übermorgen oder in zehn Jahren beschäftigen wird? Und wie können wir auf solche Dinge vorbereitet sein? Diese Themen zu identifizieren, interdisziplinär zu analysieren und in Stellungnahmen und Empfehlungen umzusetzen, ist die Stärke der Leopoldina. Meine Forschungsschwerpunkte liegen im Design von Mechanismen zur Beförderung von Kooperation in sozialen Dilemma-Situationen und von Rahmenbedingungen für sozial verantwortliches wirtschaftliches Handeln und ich werde diese Expertise in die Arbeit der Leopoldina einbringen.   

Nun sind Sie nicht nur die erste Präsidentin der Leopoldina aus den Geistes-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften – Sie sind auch die erste Frau an der Spitze der Organisation. Wird dies Ihre Arbeit zusätzlich beeinflussen, etwa weil Sie für mehr Gleichberechtigung eintreten werden? 

Die Leopoldina hat in den letzten Jahren schon sehr viel in diesem Zusammenhang getan. Wenn man sich die reine Mitgliederzahl ansieht, dann lässt sich dies nicht sofort erkennen, denn es sind bisher “nur” 18 Prozent der Mitglieder weiblich. Allerdings werden die Mitglieder auf Lebenszeit in die Leopoldina gewählt, wodurch der Wandel zu mehr Geschlechterparität ein längerfristiger Prozess ist. Wenn man sich das Geschlechterverhältnis der neu aufgenommenen Mitglieder ansieht, dann zeigt sich eine deutliche Entwicklung: Rund 42 Prozent der 2023 neu aufgenommenen Mitglieder waren weiblich. Oder noch eine andere Zahl: In den letzten zehn Jahren hat sich die Anzahl der weiblichen Mitglieder der Leopoldina mehr als verdoppelt. Es gibt also keinen Reformstau, der unbedingt beseitigt werden müsste. Aber: Dass ich die erste Präsidentin sein werde, das freut mich natürlich sehr.  

Weiterentwicklung der Kommunikation in Öffentlichkeit und Politik

Die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina gibt es seit 1652, aber erst seit 2008 ist sie auch zur Nationalen Akademie der Wissenschaften ernannt. Wird sie diesem Namen bereits vollumfänglich gerecht?  

Die Leopoldina hat als Nationale Akademie der Wissenschaften zwei Aufgaben. Das eine ist die Vertretung der Wissenschaft im internationalen Kontext – und da ist sie mit intensiven Kontakten zu zahlreichen Partnerakademien sowie als Mittlerin der Wissenschaftsdiplomatie sehr gut verortet. Sie ist in internationalen Akademienetzwerken aktiv und tauscht sich regelmäßig zu den großen Themen aus. Ebenso vertritt die Leopoldina die deutsche Wissenschaft in dem Dialog der Wissenschaftsakademien, die den G7- und den G20-Beratungen vorangehen. Die Akademien übergeben der Politik dann Empfehlungen zu den globalen Herausforderungen, wie Klimawandel, Biodiversität, Künstliche Intelligenz oder Global Health. Die andere große Aufgabe ist die Beratung von Politik und Gesellschaft. Und da hat die Leopoldina durch ihre Stellungnahmen und durch ihre Beratungen in den letzten Jahren viel erreicht. Dies gilt es fortzusetzen und weiterzuentwickeln in einem fortwährenden Prozess, in dem sich die Leopoldina auch zukünftig sowohl über die Inhalte als auch über die adressatengerechten Formate Gedanken machen wird.  

An welche Formate denken Sie? Und mit welchem Ziel wollen Sie aktiv werden? 

Es gibt, wenn man sich die Social-Media-Aktivitäten der Leopoldina anschaut, ganz hervorragende Aufzeichnungen von Vorlesungen, die jedoch rund eine Stunde oder länger dauern, was vielen Menschen zu lang ist. Also braucht es kürzere Formate und zusätzlich etwa Podcasts oder Kurzvideos, sodass auch hierüber der Input der Wissenschaft in Gesellschaft sowie Politik erfolgt. Die Weiterentwicklung und Stärkung der Kommunikation in Öffentlichkeit und Politik ist eine meiner Prioritäten.  

Wissenschaftliche Politikberatung sagt der Politik bekanntlich nicht, was sie tun soll, sondern zeigt Optionen auf und trägt dazu bei, dass politische Entscheidungen auf Grundlage verlässlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen werden können. Wie hoffnungsvoll sind Sie, dass das klappt?  

Die Leopoldina formuliert auf wissenschaftlich fundierter Basis mit unabhängigen und ausgewiesenen Expertinnen und Experten Empfehlungen und Handlungsoptionen. Die Entscheidungen zur Umsetzung liegen bei der Politik, den demokratisch gewählten Akteuren. Durch einen fortwährenden Dialog mit der Politik und durch adressatengerechte und klare Kommunikation in Politik und Gesellschaft befördert und unterstützt die Leopoldina evidenzbasierte und wissenschaftlich fundierte politische Entscheidungen. 

Bisher findet die wissenschaftliche Bearbeitung und Vermittlung vor allem über Stellungnahmen statt. Dafür werden Arbeitsgruppen einberufen, die Erarbeitung zieht sich bis zu drei Jahre hin. Ist das nicht viel zu langsam?   

Bei den Stellungnahmen wird ein Thema identifiziert und dann eine Arbeitsgruppe zusammengesetzt – bestehend aus ausgewiesenen Expertinnen und Experten aus den relevanten Fachgebieten. Bis zur fertigen Stellungnahme dauert es im Schnitt zwei Jahre. Ja, das ist ein langer Prozess, aber der ist der Interdisziplinarität und der notwendigen wissenschaftlichen Sorgfalt geschuldet. Dieser Prozess ist für aktuelle drängende Probleme oft zu lang. Dieses Spannungsfeld hat mein Amtsvorgänger Gerald Haug durch die Einführung neuer Formate der wissenschaftsbasierten Beratung adressiert. Die Leopoldina hat Fokusgruppen etabliert, die kontinuierlich die Entwicklung zu aktuellen Themen beobachten und analysieren. Beispiele hierfür sind Klimawandel, Digitalisierung, Medizin oder Biodiversität. Die Fokusgruppen erlauben es, sehr kurzfristig Stellungnahmen abzugeben, ohne Abstriche bei Sorgfalt und Unabhängigkeit zu machen.    

“Die Leopoldina ist unabhängig in ihrer Themenwahl und verfasst ihre Stellungnahmen ergebnisoffen”

Unsere Redaktion hat sich im Rahmen einer Serie mit wissenschaftlicher Politikberatung befasst. Eine Erkenntnis: Es gibt hierzulande sehr viele Akteure und kaum verbindliche “Spielregeln”. Dadurch entsteht der Eindruck, dass sich die Politik nur die ihr genehmen Berater suchen muss. Was lässt sich dagegen tun? Könnte die Leopoldina eine Art Politikberatungs-Zertifizierungsstelle sein?  

Es gibt eine Reihe, oft auf bestimmte Themenbereiche spezialisierte Institute, die auch Politik und Gesellschaft beraten. Und dieser Wettbewerb der Ideen und Meinungen ist auch gut so. Denken Sie etwa an den Sachverständigenrat oder die Wirtschaftsforschungsinstitute im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich. Oder das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Das kann und will die Leopoldina nicht alles in sich vereinen. Und in vielen Fällen arbeiten diese Gremien untereinander und auch mit der Leopoldina zusammen. Wichtige “Spielregeln” sind aber die Transparenz bei der Methodik, der Auswahl der Expertinnen und Experten und potentiellen Interessenskonflikten. Es ist wichtig, dass die Gesellschaft die Einhaltung dieser Spielregeln einfordert.   

Kann die Leopoldina überhaupt unabhängig arbeiten? Sie wird zu 80 Prozent aus Mitteln des BMBF und zu 20 Prozent aus Mitteln des Landes Sachsen-Anhalt bezahlt. 

Die Aufteilung stimmt. Jedoch ist die Leopoldina unabhängig in ihrer Themenwahl und verfasst ihre Stellungnahmen ergebnisoffen. Natürlich gibt es auch Themen, die durch Politik und Gesellschaft aufkommen, etwa durch aktuelle Entwicklungen. Oder es gibt Themen, bei denen die Politik anfragt und sich Beratung wünscht. Wenn die Leopoldina dies aufnimmt, tut sie das aber immer ergebnisoffen. Bisher hat das sehr gut funktioniert und wir werden kritisch beobachten, dass es auch in Zukunft gut funktioniert. In Anbetracht der Aufgaben der Leopoldina als Nationale Akademie der Wissenschaften halte ich diese Finanzierungsquelle auch für angemessen, auch gegenüber einer privaten oder Industriefinanzierung.    

Das BMBF spart und die Leopoldina muss schon seit einiger Zeit auf Aufwüchse verzichten – wie sie andere Akteure im Wissenschaftsbereich durchaus erhalten. Mit Blick auf 2025 zeichnet sich keine Besserung ab. Wie wollen Sie damit umgehen?     

Das ist ein Problem. Die Grundfinanzierung wurde in den letzten Jahren nicht den gestiegenen Tarifen und Preisen angeglichen. Vor allen Dingen, wenn man betrachtet, dass es doch erhebliche Lohn- und Gehaltssteigerungen gab und dass erhebliche Steigerungen bei den Energiekosten zu verzeichnen sind. Die Möglichkeiten, das durch Effizienzsteigerungen zu kompensieren, sind inzwischen erschöpft. Und daher senden wir einen Appell an die Politik, auch der Leopoldina die im Koalitionsvertrag vorgesehene jährliche Budgetanpassung zu gewähren.  

Bettina Rockenbach ist Professorin für Verhaltensökonomie an der Universität zu Köln und Senior Research Fellow am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn. Sie studierte Mathematik, Volkswirtschaftslehre und Informatik an der Universität Bonn und promovierte und habilitierte sich im Fach Volkswirtschaftslehre. Von 2000 bis 2011 war Rockenbach Professorin für Mikroökonomie mit Schwerpunkt Industrieökonomie an der Universität Erfurt. 2011 folgte sie einem Ruf an die Universität zu Köln. Sie war dort acht Jahre lang Prorektorin für Forschung und Innovation. Von 2014 bis 2017 war sie Mitglied des DFG-Senats und seit 2020 ist sie Mitglied im ERC Advanced Grant Peer Review Panel.

  • BMBF
  • ERC
  • Forschung
  • Klima & Umwelt
  • Künstliche Intelligenz
  • Leopoldina
  • Politikberatung
  • Politikberatung, quo vadis?
  • Wissenschaft
  • Wissenschaftsdiplomatie

Analyse

Leben im All: Warum die Suche nach außerirdischer Intelligenz erfolgreich sein wird

China testet den Bau von Solarkraft-Werken im All, um die Erde mit Strom zu versogen. Zu sehen ist der Sonnenaufgang über der Erde aus dem All.
Biomarker in fernen Planetenatmosphären gesucht: Es gilt als extrem unwahrscheinlich, dass ausgerechnet die Erde der einzige belebte Körper ist.

Wohl jeder hat sich diese Frage schon gestellt: Sind wir allein im Universum, gibt es jenseits der Erde Leben? Astronomen müssen diese Frage oft beantworten und rechnen dann vor: Rund 100 Milliarden Sterne hat allein unsere Heimatgalaxie, die Milchstraße. Um jeden davon kreist durchschnittlich ein Gesteinsplanet. Es wäre also extrem unwahrscheinlich, dass ausgerechnet unsere Erde der einzige belebte Körper ist.

Jedoch, es wurde noch kein Leben außerhalb der Erde nachgewiesen. Forscher haben hier mit etlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Wonach sollen sie suchen, taugt das Leben auf der Erde als Referenz für die Fahndung in der Ferne? Oder ist unsere Vorstellung von Biologie zu beschränkt, sodass wir andere Lebensformen übersehen? Warum soll der Staat, sollen die Steuerzahler, diese Suche mitbezahlen?

Schlüsselfrage, auch in Religionen: Wie ist das Leben entstanden?

Wie viel genau dafür ausgegeben wird, lässt sich kaum beziffern. Es gibt keine öffentlich geförderte Mission, die explizit nach Leben sucht. Stattdessen ist es eine von vielen Fragen, die beispielsweise bei der Analyse von Daten des Weltraumteleskops “Webb” verfolgt werden. Und sie wird vorrangig in der Grundlagenforschung bearbeitet, die sich ebenso fundamentalen Teilchen oder Gravitationswellen widmet.

“Es ist eine der großen Fragen: Wie ist das Universum entstanden, wie die Erde, wie das Leben?”, argumentiert Thomas Henning vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Selbst in allen großen Religionen – außer dem Buddhismus – sei dies die Schlüsselfrage: Woher kommen wir? Grund genug also, dem Leben buchstäblich auf den Grund zu gehen, findet er. Henning ist einer der führenden Köpfe der Heidelberg Initiative for the Origins of Life, wo verschiedenste Naturwissenschaften diesbezüglich kooperieren. Zugleich ist er neben Thomas Carell (LMU München) der wissenschaftliche Koordinator für das Thema “Ursprung und Beginn des Lebens” bei der Leopoldina-Jahresversammlung.

Die frühere Vorstellung, Leben auf einem Himmelskörper sei eine große Glückssache, wird zunehmend abgelöst von dem Gedanken, dass es gewissermaßen jede Chance nutzt, die sich bietet. “Die Erde ist vor rund 4,6 Milliarden Jahren entstanden und es gibt Hinweise, dass es Leben schon seit vier Milliarden Jahren gibt”, sagt Henning. “Das heißt, die Bedingungen waren möglicherweise so gut, dass offensichtlich zwangsläufig sehr schnell Leben entstehen konnte.” Dazu passen Daten der “Rosetta“-Mission, die auf einem fernen Kometen komplexe Moleküle fand. “Experimente belegen, dass im äußeren Sonnensystem aus Kohlenstoff und Ammoniak Peptide gebildet werden können”, berichtet der Forscher. “Das zeigt, dass die Chemie selbst bei niedrigen Temperaturen Dinge zuwege bringt, die bisher fern unserer Fantasie waren.”

Empfindlicher Webb-Nachfolger könnte Beweis erbringen

Die weiteren Schritte zu einem biologischen System erscheinen kleiner. Jedoch: Gefunden wurde da draußen noch keines. Weder auf dem Mars, noch auf Eismonden des Saturn und Jupiter, noch auf einem der rund 7.000 Exoplaneten, die inzwischen entdeckt wurden. Das Problem ist eine eindeutige Signatur, etwa ein Gas in der Atmosphäre, das auf biologische Aktivität hinweist – und nicht ebenso durch geologische Prozesse entstehen kann wie Methan auf dem Mars.

“Um zu klären, was geeignete Biomarker sind, braucht es zuerst ein fundamentales Verständnis von Biologie”, sagt Henning. Das könne auch auf der Erde sehr hilfreich sein, etwa bei der Entwicklung von Impfstoffen, ist er überzeugt. “Und es wird nicht ein einziger Biomarker sein, der als Beweis für extraterrestrisches Leben genügt, sondern ein Spektrum.” Mit dem Nasa/Esa-Teleskop “Webb” wird es nicht gelingen, diese Biomarker in fernen Planetenatmosphären nachzuweisen. “Deren Gehalt ist zu gering, um erfasst zu werden.” Ein entsprechend empfindlicher Nachfolger für Webb sollte das aber schaffen; das könnte in den 2040er-Jahren sein, meint Henning.

Für Thomas Zurbuchen ist es kaum eine Frage des Ob, sondern eher des Wann. Der langjährige Wissenschaftsdirektor der Nasa, nun an der ETH Zürich verantwortlich, die Weltraumforschung und -lehre auszubauen, meint: “Leben ist viel verbreiteter, als wir denken.” Er plädiert dafür, sowohl in der kosmischen Nachbarschaft als auch der Ferne danach zu fahnden. “Die Suche nach Leben im Sonnensystem, etwa auf dem Mars oder auf Monden wie Europa, bietet den Vorteil direkter Untersuchungen durch spezialisierte Missionen”, sagt er Table.Briefings. “Dies könnte kurzfristig konkretere Hinweise liefern.”

Leben im All: Nachweis könnte bereits in den 2030er Jahren erfolgen

In den Tiefen des Universums geschehe das auf indirekte Weise. Dort ließen sich mit Teleskopen Biomarker in Atmosphären von Exoplaneten aufspüren, sagt Zurbuchen. “Während wir im Sonnensystem schneller Antworten finden könnten, bietet die Suche im Universum langfristig eine größere Vielfalt an potenziellen Lebensorten.” Beide Ansätze seien wichtig und ergänzten sich. “Falls das Entstehen von Leben sehr einfach ist, finden wir es wahrscheinlich schneller im eigenen Sonnensystem.” Der Nachweis könnte bereits in den 2030er Jahren erbracht werden, meint er. “Es könnte jedoch auch sein, dass Leben sehr selten ist und es in unserer Galaxie nur wenige Orte gibt, an denen es entsteht. In diesem Fall könnte die Suche deutlich länger dauern.”

Sofern es wirklich etwas aufzuspüren gibt, dürften es eher Mikroben oder ähnliche simple Formen sein – wie sie auch die Erde seit Jahrmilliarden bewohnen. Höhere Wesen, ähnlich unserer Spezies, anzutreffen, ist weniger wahrscheinlich. Die staatlichen Forschungsförderer haben die Suche nach außerirdischer Intelligenz jedenfalls privaten Seti-Initiativen überlassen. Immer wieder machen hier Millionen-Spenden Schlagzeilen, ein eindeutiges Signal haben sie noch nicht empfangen.

Noch ist also Zeit darüber nachzudenken: Was bedeutet es für uns, nicht länger allein hier zu sein? Oder sind wir es doch?

  • Daten
  • ETH Zürich
  • Leopoldina
  • Methan
  • Weltall
  • Wissenschaft

Heads

Gunnar Berg wurde bei der Leopoldina-Jahresversammlung 2024 für sein jahrzehntelanges ehrenamtliches Engagement für die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina mit der Verdienst-Medaille geehrt. 1999 in die Leopoldina aufgenommen, gestaltete der Physiker die Akademie entscheidend mit: von 2000 bis 2010 als Mitglied des Präsidiums und von 2010 bis 2020 als Vizepräsident der Leopoldina. Die Verdienst-Medaille wird seit 1961 in unregelmäßigen Abständen verliehen. 

Roger Goody wurde für sein wissenschaftliches Lebenswerk mit der Cothenius-Medaille ausgezeichnet. Mit der Entschlüsselung grundlegender biologischer Mechanismen bei Stoffwechselvorgängen leistete der 1944 geborene Biochemiker wichtige Beiträge zur Erforschung von Krebs-, Augen- und Hirnerkrankungen. Zuletzt war Goody bis zu seiner Emeritierung 2013 Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie in Dortmund. Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina nahm ihn 1993 als Mitglied in die Sektion Biochemie und Biophysik auf.

Georg Hochberg, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Terrestrische Mikrobiologie in Marburg, ist erster Preisträger des neuen Nachwuchspreises “ZukunftsWissen – der Early Career Award von Leopoldina und Commerzbank-Stiftung”. Ausgezeichnet wird der Biochemiker für seine Forschung auf dem Gebiet der evolutionären Biochemie, die ein tiefergehendes Verständnis der Entstehung von Proteinen ermöglicht. Der neue Preis ist mit 50.000 Euro dotiert und soll jährlich an herausragende Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler vergeben werden.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an research@table.media!

  • Forschung
  • Leopoldina

Research.Table Redaktion

RESEARCH.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    lange hatte die Wissenschaftscommunity gerätselt, wer wohl im kommenden März die Nachfolge von Gerald Haug antreten wird. Auf der Jahresversammlung der Leopoldina in Halle (Saale) hat der Senat am Donnerstag in geheimer Wahl entschieden, dass Bettina Rockenbach die XXVIII. Präsidentschaft übernehmen wird. Eine Überraschung – und das gleich aus mehreren Gründen: Sie wird die erste Frau an der Spitze der Leopoldina sein. Und zugleich die erste Vertreterin aus der Klasse IV. Nach vielen Präsidenten mit naturwissenschaftlichem oder medizinischem Hintergrund, aktuell dem Paläoklimatologen Haug, steht nun bald eine Wirtschaftswissenschaftlerin der Nationalen Akademie der Wissenschaften vor.

    Die Schwerpunkte Rockenbachs eigener Forschung sind Mechanismen zur Beförderung von Kooperation in sozialen Dilemma-Situationen und Rahmenbedingungen für sozial verantwortliches wirtschaftliches Handeln. Sie hat vor, diese Expertise auch in ihre zukünftige Arbeit für die Leopoldina einzubringen, wie sie uns im Exklusiv-Interview erzählte. Eine kluge Wahl der renommierten Akademie, die sich damit die Möglichkeit eröffnet, sich aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen noch breiter zuwenden zu können. Lesen Sie auch, was die kommende Präsidentin über Frauenfragen, die Ausrichtung der wissenschaftlichen Politikberatung und die finanziellen Perspektiven der Leopoldina denkt.

    Übrigens: Die Jahresversammlung der Leopoldina steht in diesem Jahr unter dem Titel “Ursprung und Beginn des Lebens”. Für dieses Table.Spezial hat unser Autor Ralf Nestler mit Thomas Henning vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg gesprochen, der die Veranstaltung gemeinsam mit Thomas Carell wissenschaftlich koordiniert hat. Sein weiterer Gesprächspartner war der langjährige Nasa-Direktor und Festredner Thomas Zurbuchen. Beide Wissenschaftler sind sicher: Wir sind nicht allein.

    Ich wünsche Ihnen eine wegweisende Lektüre,

    Ihre
    Nicola Kuhrt
    Bild von Nicola  Kuhrt

    Interview

    Bettina Rockenbach: Was die erste Frau an der Spitze der Akademie plant

    Prof. Dr. Bettina Rockenbach wird neue Präsidentin der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
    Bettina Rockenbach ist eine deutsche Wirtschaftswissenschaftlerin – und leitet ab 1. März 2025 die Leopoldina.

    Frau Rockenbach, wie wird man eigentlich Leopoldina-Präsidentin? Für so manchen in der Wissenschafts-Community sind Sie eine Überraschungskandidatin …  

    Die Anfrage der Findungskommission der Leopoldina, ob ich mir vorstellen könne, das Amt der Präsidentin zu übernehmen, hat mich sehr gefreut, auch wenn sie unerwartet kam. Ich habe dann eine Nacht darüber geschlafen und ja, ich konnte und kann es mir sehr gut vorstellen. In Gesprächen mit der Findungskommission habe ich meine Ideen vorgestellt und es freut mich sehr, dass der Senat mich als Präsidentin gewählt hat.     

    Können Sie von diesen Ideen schon etwas verraten?  

    Ich bin die erste Präsidentin aus der Klasse IV der Geistes-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften. Die Leopoldina hat eine lange Geschichte und hat sich aus einer naturwissenschaftlich-medizinischen Akademie entwickelt. Meine Vorgänger hatten alle einen medizinischen beziehungsweise naturwissenschaftlichen Hintergrund. Mit einer Präsidentin aus den Geistes- und Sozialwissenschaften zeigt die Leopoldina, dass die Einbindung dieser Wissenschaftsgebiete in die Arbeit der Leopoldina von großer Bedeutung ist und ich werde das in meiner Arbeit sicherlich unterstreichen.      

    Erste Frau an der Spitze, erste Präsidentin aus der Klasse IV

    Wie erklären Sie sich diesen Schritt?   

    Die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, die Herausforderungen der Gesellschaft, sind komplex, global und untereinander vernetzt. Ihre Adressierung braucht eine interdisziplinäre Betrachtung und das gilt auch für Themen, die vordergründig rein naturwissenschaftlich oder medizinisch erscheinen, wie die Klimakrise oder das Impfen. Diese Herausforderungen lassen sich nicht ohne die Einbindung der Geistes-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften angehen.  

     Wie wollen Sie diese Expertise stärker einbringen?   

    Es ist der große Vorteil der Leopoldina, dass sie als Nationale Akademie der Wissenschaften sehr breit aufgestellt ist und exzellente Expertise aus nahezu allen Bereichen der Wissenschaft vereint. Die Auswahl der Themen erfolgt stets durch die Leopoldina selbst und mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen und die zukünftigen Entwicklungen: Was ist das, was uns vielleicht morgen, übermorgen oder in zehn Jahren beschäftigen wird? Und wie können wir auf solche Dinge vorbereitet sein? Diese Themen zu identifizieren, interdisziplinär zu analysieren und in Stellungnahmen und Empfehlungen umzusetzen, ist die Stärke der Leopoldina. Meine Forschungsschwerpunkte liegen im Design von Mechanismen zur Beförderung von Kooperation in sozialen Dilemma-Situationen und von Rahmenbedingungen für sozial verantwortliches wirtschaftliches Handeln und ich werde diese Expertise in die Arbeit der Leopoldina einbringen.   

    Nun sind Sie nicht nur die erste Präsidentin der Leopoldina aus den Geistes-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften – Sie sind auch die erste Frau an der Spitze der Organisation. Wird dies Ihre Arbeit zusätzlich beeinflussen, etwa weil Sie für mehr Gleichberechtigung eintreten werden? 

    Die Leopoldina hat in den letzten Jahren schon sehr viel in diesem Zusammenhang getan. Wenn man sich die reine Mitgliederzahl ansieht, dann lässt sich dies nicht sofort erkennen, denn es sind bisher “nur” 18 Prozent der Mitglieder weiblich. Allerdings werden die Mitglieder auf Lebenszeit in die Leopoldina gewählt, wodurch der Wandel zu mehr Geschlechterparität ein längerfristiger Prozess ist. Wenn man sich das Geschlechterverhältnis der neu aufgenommenen Mitglieder ansieht, dann zeigt sich eine deutliche Entwicklung: Rund 42 Prozent der 2023 neu aufgenommenen Mitglieder waren weiblich. Oder noch eine andere Zahl: In den letzten zehn Jahren hat sich die Anzahl der weiblichen Mitglieder der Leopoldina mehr als verdoppelt. Es gibt also keinen Reformstau, der unbedingt beseitigt werden müsste. Aber: Dass ich die erste Präsidentin sein werde, das freut mich natürlich sehr.  

    Weiterentwicklung der Kommunikation in Öffentlichkeit und Politik

    Die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina gibt es seit 1652, aber erst seit 2008 ist sie auch zur Nationalen Akademie der Wissenschaften ernannt. Wird sie diesem Namen bereits vollumfänglich gerecht?  

    Die Leopoldina hat als Nationale Akademie der Wissenschaften zwei Aufgaben. Das eine ist die Vertretung der Wissenschaft im internationalen Kontext – und da ist sie mit intensiven Kontakten zu zahlreichen Partnerakademien sowie als Mittlerin der Wissenschaftsdiplomatie sehr gut verortet. Sie ist in internationalen Akademienetzwerken aktiv und tauscht sich regelmäßig zu den großen Themen aus. Ebenso vertritt die Leopoldina die deutsche Wissenschaft in dem Dialog der Wissenschaftsakademien, die den G7- und den G20-Beratungen vorangehen. Die Akademien übergeben der Politik dann Empfehlungen zu den globalen Herausforderungen, wie Klimawandel, Biodiversität, Künstliche Intelligenz oder Global Health. Die andere große Aufgabe ist die Beratung von Politik und Gesellschaft. Und da hat die Leopoldina durch ihre Stellungnahmen und durch ihre Beratungen in den letzten Jahren viel erreicht. Dies gilt es fortzusetzen und weiterzuentwickeln in einem fortwährenden Prozess, in dem sich die Leopoldina auch zukünftig sowohl über die Inhalte als auch über die adressatengerechten Formate Gedanken machen wird.  

    An welche Formate denken Sie? Und mit welchem Ziel wollen Sie aktiv werden? 

    Es gibt, wenn man sich die Social-Media-Aktivitäten der Leopoldina anschaut, ganz hervorragende Aufzeichnungen von Vorlesungen, die jedoch rund eine Stunde oder länger dauern, was vielen Menschen zu lang ist. Also braucht es kürzere Formate und zusätzlich etwa Podcasts oder Kurzvideos, sodass auch hierüber der Input der Wissenschaft in Gesellschaft sowie Politik erfolgt. Die Weiterentwicklung und Stärkung der Kommunikation in Öffentlichkeit und Politik ist eine meiner Prioritäten.  

    Wissenschaftliche Politikberatung sagt der Politik bekanntlich nicht, was sie tun soll, sondern zeigt Optionen auf und trägt dazu bei, dass politische Entscheidungen auf Grundlage verlässlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen werden können. Wie hoffnungsvoll sind Sie, dass das klappt?  

    Die Leopoldina formuliert auf wissenschaftlich fundierter Basis mit unabhängigen und ausgewiesenen Expertinnen und Experten Empfehlungen und Handlungsoptionen. Die Entscheidungen zur Umsetzung liegen bei der Politik, den demokratisch gewählten Akteuren. Durch einen fortwährenden Dialog mit der Politik und durch adressatengerechte und klare Kommunikation in Politik und Gesellschaft befördert und unterstützt die Leopoldina evidenzbasierte und wissenschaftlich fundierte politische Entscheidungen. 

    Bisher findet die wissenschaftliche Bearbeitung und Vermittlung vor allem über Stellungnahmen statt. Dafür werden Arbeitsgruppen einberufen, die Erarbeitung zieht sich bis zu drei Jahre hin. Ist das nicht viel zu langsam?   

    Bei den Stellungnahmen wird ein Thema identifiziert und dann eine Arbeitsgruppe zusammengesetzt – bestehend aus ausgewiesenen Expertinnen und Experten aus den relevanten Fachgebieten. Bis zur fertigen Stellungnahme dauert es im Schnitt zwei Jahre. Ja, das ist ein langer Prozess, aber der ist der Interdisziplinarität und der notwendigen wissenschaftlichen Sorgfalt geschuldet. Dieser Prozess ist für aktuelle drängende Probleme oft zu lang. Dieses Spannungsfeld hat mein Amtsvorgänger Gerald Haug durch die Einführung neuer Formate der wissenschaftsbasierten Beratung adressiert. Die Leopoldina hat Fokusgruppen etabliert, die kontinuierlich die Entwicklung zu aktuellen Themen beobachten und analysieren. Beispiele hierfür sind Klimawandel, Digitalisierung, Medizin oder Biodiversität. Die Fokusgruppen erlauben es, sehr kurzfristig Stellungnahmen abzugeben, ohne Abstriche bei Sorgfalt und Unabhängigkeit zu machen.    

    “Die Leopoldina ist unabhängig in ihrer Themenwahl und verfasst ihre Stellungnahmen ergebnisoffen”

    Unsere Redaktion hat sich im Rahmen einer Serie mit wissenschaftlicher Politikberatung befasst. Eine Erkenntnis: Es gibt hierzulande sehr viele Akteure und kaum verbindliche “Spielregeln”. Dadurch entsteht der Eindruck, dass sich die Politik nur die ihr genehmen Berater suchen muss. Was lässt sich dagegen tun? Könnte die Leopoldina eine Art Politikberatungs-Zertifizierungsstelle sein?  

    Es gibt eine Reihe, oft auf bestimmte Themenbereiche spezialisierte Institute, die auch Politik und Gesellschaft beraten. Und dieser Wettbewerb der Ideen und Meinungen ist auch gut so. Denken Sie etwa an den Sachverständigenrat oder die Wirtschaftsforschungsinstitute im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich. Oder das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Das kann und will die Leopoldina nicht alles in sich vereinen. Und in vielen Fällen arbeiten diese Gremien untereinander und auch mit der Leopoldina zusammen. Wichtige “Spielregeln” sind aber die Transparenz bei der Methodik, der Auswahl der Expertinnen und Experten und potentiellen Interessenskonflikten. Es ist wichtig, dass die Gesellschaft die Einhaltung dieser Spielregeln einfordert.   

    Kann die Leopoldina überhaupt unabhängig arbeiten? Sie wird zu 80 Prozent aus Mitteln des BMBF und zu 20 Prozent aus Mitteln des Landes Sachsen-Anhalt bezahlt. 

    Die Aufteilung stimmt. Jedoch ist die Leopoldina unabhängig in ihrer Themenwahl und verfasst ihre Stellungnahmen ergebnisoffen. Natürlich gibt es auch Themen, die durch Politik und Gesellschaft aufkommen, etwa durch aktuelle Entwicklungen. Oder es gibt Themen, bei denen die Politik anfragt und sich Beratung wünscht. Wenn die Leopoldina dies aufnimmt, tut sie das aber immer ergebnisoffen. Bisher hat das sehr gut funktioniert und wir werden kritisch beobachten, dass es auch in Zukunft gut funktioniert. In Anbetracht der Aufgaben der Leopoldina als Nationale Akademie der Wissenschaften halte ich diese Finanzierungsquelle auch für angemessen, auch gegenüber einer privaten oder Industriefinanzierung.    

    Das BMBF spart und die Leopoldina muss schon seit einiger Zeit auf Aufwüchse verzichten – wie sie andere Akteure im Wissenschaftsbereich durchaus erhalten. Mit Blick auf 2025 zeichnet sich keine Besserung ab. Wie wollen Sie damit umgehen?     

    Das ist ein Problem. Die Grundfinanzierung wurde in den letzten Jahren nicht den gestiegenen Tarifen und Preisen angeglichen. Vor allen Dingen, wenn man betrachtet, dass es doch erhebliche Lohn- und Gehaltssteigerungen gab und dass erhebliche Steigerungen bei den Energiekosten zu verzeichnen sind. Die Möglichkeiten, das durch Effizienzsteigerungen zu kompensieren, sind inzwischen erschöpft. Und daher senden wir einen Appell an die Politik, auch der Leopoldina die im Koalitionsvertrag vorgesehene jährliche Budgetanpassung zu gewähren.  

    Bettina Rockenbach ist Professorin für Verhaltensökonomie an der Universität zu Köln und Senior Research Fellow am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn. Sie studierte Mathematik, Volkswirtschaftslehre und Informatik an der Universität Bonn und promovierte und habilitierte sich im Fach Volkswirtschaftslehre. Von 2000 bis 2011 war Rockenbach Professorin für Mikroökonomie mit Schwerpunkt Industrieökonomie an der Universität Erfurt. 2011 folgte sie einem Ruf an die Universität zu Köln. Sie war dort acht Jahre lang Prorektorin für Forschung und Innovation. Von 2014 bis 2017 war sie Mitglied des DFG-Senats und seit 2020 ist sie Mitglied im ERC Advanced Grant Peer Review Panel.

    • BMBF
    • ERC
    • Forschung
    • Klima & Umwelt
    • Künstliche Intelligenz
    • Leopoldina
    • Politikberatung
    • Politikberatung, quo vadis?
    • Wissenschaft
    • Wissenschaftsdiplomatie

    Analyse

    Leben im All: Warum die Suche nach außerirdischer Intelligenz erfolgreich sein wird

    China testet den Bau von Solarkraft-Werken im All, um die Erde mit Strom zu versogen. Zu sehen ist der Sonnenaufgang über der Erde aus dem All.
    Biomarker in fernen Planetenatmosphären gesucht: Es gilt als extrem unwahrscheinlich, dass ausgerechnet die Erde der einzige belebte Körper ist.

    Wohl jeder hat sich diese Frage schon gestellt: Sind wir allein im Universum, gibt es jenseits der Erde Leben? Astronomen müssen diese Frage oft beantworten und rechnen dann vor: Rund 100 Milliarden Sterne hat allein unsere Heimatgalaxie, die Milchstraße. Um jeden davon kreist durchschnittlich ein Gesteinsplanet. Es wäre also extrem unwahrscheinlich, dass ausgerechnet unsere Erde der einzige belebte Körper ist.

    Jedoch, es wurde noch kein Leben außerhalb der Erde nachgewiesen. Forscher haben hier mit etlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Wonach sollen sie suchen, taugt das Leben auf der Erde als Referenz für die Fahndung in der Ferne? Oder ist unsere Vorstellung von Biologie zu beschränkt, sodass wir andere Lebensformen übersehen? Warum soll der Staat, sollen die Steuerzahler, diese Suche mitbezahlen?

    Schlüsselfrage, auch in Religionen: Wie ist das Leben entstanden?

    Wie viel genau dafür ausgegeben wird, lässt sich kaum beziffern. Es gibt keine öffentlich geförderte Mission, die explizit nach Leben sucht. Stattdessen ist es eine von vielen Fragen, die beispielsweise bei der Analyse von Daten des Weltraumteleskops “Webb” verfolgt werden. Und sie wird vorrangig in der Grundlagenforschung bearbeitet, die sich ebenso fundamentalen Teilchen oder Gravitationswellen widmet.

    “Es ist eine der großen Fragen: Wie ist das Universum entstanden, wie die Erde, wie das Leben?”, argumentiert Thomas Henning vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Selbst in allen großen Religionen – außer dem Buddhismus – sei dies die Schlüsselfrage: Woher kommen wir? Grund genug also, dem Leben buchstäblich auf den Grund zu gehen, findet er. Henning ist einer der führenden Köpfe der Heidelberg Initiative for the Origins of Life, wo verschiedenste Naturwissenschaften diesbezüglich kooperieren. Zugleich ist er neben Thomas Carell (LMU München) der wissenschaftliche Koordinator für das Thema “Ursprung und Beginn des Lebens” bei der Leopoldina-Jahresversammlung.

    Die frühere Vorstellung, Leben auf einem Himmelskörper sei eine große Glückssache, wird zunehmend abgelöst von dem Gedanken, dass es gewissermaßen jede Chance nutzt, die sich bietet. “Die Erde ist vor rund 4,6 Milliarden Jahren entstanden und es gibt Hinweise, dass es Leben schon seit vier Milliarden Jahren gibt”, sagt Henning. “Das heißt, die Bedingungen waren möglicherweise so gut, dass offensichtlich zwangsläufig sehr schnell Leben entstehen konnte.” Dazu passen Daten der “Rosetta“-Mission, die auf einem fernen Kometen komplexe Moleküle fand. “Experimente belegen, dass im äußeren Sonnensystem aus Kohlenstoff und Ammoniak Peptide gebildet werden können”, berichtet der Forscher. “Das zeigt, dass die Chemie selbst bei niedrigen Temperaturen Dinge zuwege bringt, die bisher fern unserer Fantasie waren.”

    Empfindlicher Webb-Nachfolger könnte Beweis erbringen

    Die weiteren Schritte zu einem biologischen System erscheinen kleiner. Jedoch: Gefunden wurde da draußen noch keines. Weder auf dem Mars, noch auf Eismonden des Saturn und Jupiter, noch auf einem der rund 7.000 Exoplaneten, die inzwischen entdeckt wurden. Das Problem ist eine eindeutige Signatur, etwa ein Gas in der Atmosphäre, das auf biologische Aktivität hinweist – und nicht ebenso durch geologische Prozesse entstehen kann wie Methan auf dem Mars.

    “Um zu klären, was geeignete Biomarker sind, braucht es zuerst ein fundamentales Verständnis von Biologie”, sagt Henning. Das könne auch auf der Erde sehr hilfreich sein, etwa bei der Entwicklung von Impfstoffen, ist er überzeugt. “Und es wird nicht ein einziger Biomarker sein, der als Beweis für extraterrestrisches Leben genügt, sondern ein Spektrum.” Mit dem Nasa/Esa-Teleskop “Webb” wird es nicht gelingen, diese Biomarker in fernen Planetenatmosphären nachzuweisen. “Deren Gehalt ist zu gering, um erfasst zu werden.” Ein entsprechend empfindlicher Nachfolger für Webb sollte das aber schaffen; das könnte in den 2040er-Jahren sein, meint Henning.

    Für Thomas Zurbuchen ist es kaum eine Frage des Ob, sondern eher des Wann. Der langjährige Wissenschaftsdirektor der Nasa, nun an der ETH Zürich verantwortlich, die Weltraumforschung und -lehre auszubauen, meint: “Leben ist viel verbreiteter, als wir denken.” Er plädiert dafür, sowohl in der kosmischen Nachbarschaft als auch der Ferne danach zu fahnden. “Die Suche nach Leben im Sonnensystem, etwa auf dem Mars oder auf Monden wie Europa, bietet den Vorteil direkter Untersuchungen durch spezialisierte Missionen”, sagt er Table.Briefings. “Dies könnte kurzfristig konkretere Hinweise liefern.”

    Leben im All: Nachweis könnte bereits in den 2030er Jahren erfolgen

    In den Tiefen des Universums geschehe das auf indirekte Weise. Dort ließen sich mit Teleskopen Biomarker in Atmosphären von Exoplaneten aufspüren, sagt Zurbuchen. “Während wir im Sonnensystem schneller Antworten finden könnten, bietet die Suche im Universum langfristig eine größere Vielfalt an potenziellen Lebensorten.” Beide Ansätze seien wichtig und ergänzten sich. “Falls das Entstehen von Leben sehr einfach ist, finden wir es wahrscheinlich schneller im eigenen Sonnensystem.” Der Nachweis könnte bereits in den 2030er Jahren erbracht werden, meint er. “Es könnte jedoch auch sein, dass Leben sehr selten ist und es in unserer Galaxie nur wenige Orte gibt, an denen es entsteht. In diesem Fall könnte die Suche deutlich länger dauern.”

    Sofern es wirklich etwas aufzuspüren gibt, dürften es eher Mikroben oder ähnliche simple Formen sein – wie sie auch die Erde seit Jahrmilliarden bewohnen. Höhere Wesen, ähnlich unserer Spezies, anzutreffen, ist weniger wahrscheinlich. Die staatlichen Forschungsförderer haben die Suche nach außerirdischer Intelligenz jedenfalls privaten Seti-Initiativen überlassen. Immer wieder machen hier Millionen-Spenden Schlagzeilen, ein eindeutiges Signal haben sie noch nicht empfangen.

    Noch ist also Zeit darüber nachzudenken: Was bedeutet es für uns, nicht länger allein hier zu sein? Oder sind wir es doch?

    • Daten
    • ETH Zürich
    • Leopoldina
    • Methan
    • Weltall
    • Wissenschaft

    Heads

    Gunnar Berg wurde bei der Leopoldina-Jahresversammlung 2024 für sein jahrzehntelanges ehrenamtliches Engagement für die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina mit der Verdienst-Medaille geehrt. 1999 in die Leopoldina aufgenommen, gestaltete der Physiker die Akademie entscheidend mit: von 2000 bis 2010 als Mitglied des Präsidiums und von 2010 bis 2020 als Vizepräsident der Leopoldina. Die Verdienst-Medaille wird seit 1961 in unregelmäßigen Abständen verliehen. 

    Roger Goody wurde für sein wissenschaftliches Lebenswerk mit der Cothenius-Medaille ausgezeichnet. Mit der Entschlüsselung grundlegender biologischer Mechanismen bei Stoffwechselvorgängen leistete der 1944 geborene Biochemiker wichtige Beiträge zur Erforschung von Krebs-, Augen- und Hirnerkrankungen. Zuletzt war Goody bis zu seiner Emeritierung 2013 Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie in Dortmund. Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina nahm ihn 1993 als Mitglied in die Sektion Biochemie und Biophysik auf.

    Georg Hochberg, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Terrestrische Mikrobiologie in Marburg, ist erster Preisträger des neuen Nachwuchspreises “ZukunftsWissen – der Early Career Award von Leopoldina und Commerzbank-Stiftung”. Ausgezeichnet wird der Biochemiker für seine Forschung auf dem Gebiet der evolutionären Biochemie, die ein tiefergehendes Verständnis der Entstehung von Proteinen ermöglicht. Der neue Preis ist mit 50.000 Euro dotiert und soll jährlich an herausragende Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler vergeben werden.

    Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an research@table.media!

    • Forschung
    • Leopoldina

    Research.Table Redaktion

    RESEARCH.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen