am heutigen Mittwochmittag hat Uwe Cantner, Vorsitzender der EFI-Kommission, das Jahresgutachten an Bundeskanzler Olaf Scholz übergeben. Es sind knapp 200 Seiten voller Einschätzungen und Empfehlungen. Hauptthemen in diesem Jahr: Neue Technologien für eine nachhaltige Landwirtschaft, Internationale Mobilität im Wissenschafts- und Innovationssystem, Soziale Innovationen und Künstliche Intelligenz. Dazu ein Extra-Kapitel zu Evaluation und die Kommentierung der aktuellen F&I-Politik.
Dabei fällt auf: Bei aller Kritik, die Experten kommentieren äußerst höflich. Die Koalition habe ein Projekt der Superlative übernommen, heißt es da. “Transformationen dieser Art gehen in Umfang und Reichweite – insbesondere was die finanziellen Bedarfe angeht – weit über das hinaus, was Wirtschafts- und Innovationspolitik in ,normalen’ Zeiten ausmacht.” Es handele sich um eine Herkules-Aufgabe, für die es bisher keine Vorbilder und keinen erprobten Masterplan gebe.
Noch in früheren Gutachten (das erste erschien am 27. Januar 2008), war der Ton doch deutlich direkter. Etwa 2019 wurde der Bundesregierung gleich im Vorwort ein verzögerter Start attestiert, im selben Atemzug drängten die Experten, derzeit budgetierte Mittel für die Forschung unbedingt und sofort zu erhöhen.
Hätten die Hinweise also nicht auch in diesem Jahr um einiges deutlicher ausfallen müssen, in Anbetracht der drängenden Aufgaben, die vor den Politikern liegt?
Man wolle die Bundesregierung darin bestärken, sich den Anforderungen der Transformation weiterhin zu stellen und die notwendigen Maßnahmen und Reformen umzusetzen, sagt Uwe Cantner meinem Kollegen Tim Gabel. “Diese Maßnahmen mögen in Anbetracht der Größe der Herausforderungen oft geringfügig erscheinen.” Doch selbst die längste Reise beginne mit dem ersten Schritt. “Und diese Schritte sind in Zeiten multipler Krisen besonders schwer umzusetzen. Die Expertenkommission erkennt die Schwierigkeit ausdrücklich an.”
Für Debatten wird das aktuelle Gutachten dennoch sorgen, empfiehlt die Kommission etwa, die strikte Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung aufzuheben. Damit könnten sogenannte Spill over-Effekte ausgelöst und ein Dual Use gefördert werden, heißt es. Studien zeigten, dass Investitionen in militärische FuE auch solche in zivile FuE hervorrufen. Während der Übergabe an Bundeskanzler Scholz forderte Uwe Cantner zusätzlich, auch Mittel aus dem Sondervermögen der Bundeswehr für die Transformation der FuE zu benutzen.
Alle Informationen dazu und zu den vielen weiteren Empfehlungen finden Sie in unserer Sonderausgabe.
Eine aufschlussreiche Lektüre wünscht Ihnen,
Von einer Herkules-Aufgabe für die Bundesregierung spricht die EFI-Kommission in ihrem aktuellen Jahresgutachten, das am heutigen Mittwoch Bundeskanzler Scholz übergeben wurde. Sie nennt die gerade stattfindende Transformation ein Projekt der Superlative. Und sie unterstreicht dies, indem sie den aktuellen Wandel als ein Projekt der Superlative bezeichnet. “Transformationen dieser Art gehen in Umfang und Reichweite – insbesondere was die finanziellen Bedarfe angeht – weit über das hinaus, was Wirtschafts- und Innovationspolitik in ,normalen’ Zeiten ausmache.” Es handele sich um eine Herkules-Aufgabe, für die es bisher keine Vorbilder und keinen erprobten Masterplan gebe. Damit setzt sie gleich zu Beginn den Bezugsrahmen für ihre Betrachtung der derzeitigen FuE-Politik der Bundesregierung.
Doch die Ressourcen für den grundlegenden Wandel und die vielfältigen technischen und sozialen Innovationen, die es dafür braucht, sind in Gefahr. Durch den russischen Angriff auf die Ukraine, den Krieg in Gaza und die Nachwirkungen der Covid-Pandemie seien die Budgetkonkurrenzen größer geworden. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verstärke noch den Trend, einzig kurzfristig zu agieren und im Krisenmodus langfristige Ziele aus den Augen zu verlieren.
Vor diesem Hintergrund zeigen die Experten Verständnis für die teils schleppende Umsetzung transformativer FuE-Politik. Es seien mit der Einsetzung der Missionsteams für die Zukunftsstrategie oder den Transformationsteams der Nachhaltigkeitsstrategie wichtige funktionale Veränderungen vorgenommen worden. Auch die “Sprind-Befreiung” und die Pilot-Förderrichtlinien der Dati werden grundsätzlich positiv bewertet. “Mögen die Neuerungen auch kleinteilig erscheinen […] so dokumentieren sie doch einen wichtigen qualitativen Schritt”, schreiben die EFI-Autoren. Allerdings: “Als entschlossenes und koordiniertes Umlenken kann man die bisher gewählte Vorgehensweise nicht bezeichnen, eher als Schlingerkurs.”
In ihren Empfehlungen zur transformativen FuE-Politik drängt die EFI die Politik darauf, bei kurzfristigen Maßnahmen – beispielsweise sicherheitspolitischer Natur – die langfristigen Ziele mitzudenken. So sollte die Regierung bei der Förderung der Forschung zur Cybersicherheit auch die zivile Nutzung im Blick haben. Angesichts der aktuellen Budgetrestriktionen fokussiert sich die Kommission zudem auf Maßnahmen, die kein oder wenig Geld kosten. Deregulierung und Entbürokratisierung sollen vorangetrieben werden. Die Suche nach innovativen Lösungen sollte der Wirtschaft überlassen werden, um dann beispielsweise über Reallabore die gesellschaftliche Partizipation zu sichern.
Ein Augenmerk legen die EFI-Gutachter auf die Entwicklung des Humankapitals. Klar ist, dass die Transformation neue Kompetenzen erfordere. Mit Blick auf die Pisa-Ergebnisse sprechen die Autoren hier von “düsteren Aussichten”, was die Ausbildung junger Menschen angeht. Nicht nur eine grundlegende Reform des Schulwesens sei nötig – auch Hochschulen müssten sich ändern. Sie bräuchten “moderne Studienangebote und Studiengänge, ein Mehr an interdisziplinärer Verzahnung von Inhalten und einem breit angelegten Interaktionsraum mit der Gesellschaft und der Wirtschaft“. Dies müsste “mit einer auskömmlichen Grundfinanzierung und hochqualifiziertem wissenschaftlichem Personal” einhergehen.
In ihrer Analyse zur aktuellen FuE-Politik berichten die Gutachter auch über die Umsetzung der Zukunftsstrategie. An dieser Stelle kommt eine gewisse Ungeduld der Experten dann doch stärker zum Vorschein. Man müsse die Zukunftsstrategie nun umsetzen, die Missionsorientierung vorantreiben. Es brauche auch die Formulierung von kurzfristigeren Zielen, um “early wins” zu realisieren. Die Stellung der Missionsteams müsste durch mehr Kompetenzen, bis hin zu eigenen Budgets gestärkt werden. Zudem habe die Zukunftsstrategie – im Vergleich zur Nachhaltigkeitsstrategie – Schwächen auf der Strategieebene. Die mangelnde Verankerung im Kanzleramt verhindert eine Priorisierung auf höchster Ebene.
Ein Kern des EFI-Gutachtens zur aktuellen FuE-Politik sind Empfehlungen zu einer Annäherung von militärischer und ziviler FuE. Israel und die USA könnten nach Meinung der Experten hier mit Darpa und der Militäreinheit 8200 Vorbild sein. Man müsse den Umgang mit militärischer FuE neu bewerten. “Die strikte Trennung zwischen militärischer und ziviler Forschung gehört auf den Prüfstand. Deutschland vergibt hierdurch ökonomische Chancen”, sagte der EFI-Vorsitzende Uwe Cantner bei der Vorstellung des Gutachtens. Er forderte zudem, ein Teil des Sondervermögens der Bundeswehr auch für FuE-Vorhaben auszugeben. Damit könnten sogenannte Spill over-Effekte ausgelöst und ein Dual Use gefördert werden, heißt es im Papier. Studien zeigten, dass Investitionen in militärische FuE auch solche in zivile FuE hervorrufen.
Im Folgenden nimmt die EFI weitere Punkte aus der aktuellen Debatte rund um die Forschungs- und Innovationspolitik in Deutschland auf:
Ein eigenes Kapitel widmet die EFI der Frage, wie FuE-Maßnahmen zukünftig evaluiert werden sollen. Unter der Überschrift “Kausalanalyse von Maßnahmeneffekten” kritisieren die Experten, dass viele der im Auftrag der Bundesregierung durchgeführten Evaluationsstudien nicht aussagekräftig seien. Sie ließen keine Rückschlüsse darauf zu, ob beobachtete Entwicklungen auf eine politische Maßnahme zurückzuführen seien. Der sachgerechte Einsatz geeigneter Methoden für eine Kausalanalyse sei oft nicht erfüllt.
“Man könnte denken: ,Die Ministerien können es halt nicht’. Das stimmt aber nicht”, sagt EFI-Chef Cantner. Die Mitarbeitenden im BMBF und BMWK seien höchst kompetent, das Grundproblem liege woanders. Es brauche neben einer neuen Kultur vermutlich auch eine neue Struktur, bei der Evaluationsreferate stärker eingebunden werden müssen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, die nötigen Methoden in geplante Maßnahmen zu integrieren. Mitarbeit: Nicola Kuhrt
Nachhaltige Landwirtschaft bedeutet für das Gremium, verstärkt digitale und gentechnische Technologien zu nutzen. Im Bereich KI skizziert es eine partielle Aufholjagd. Bei Sozialen Innovationen beklagt es, dass diese immer noch nicht im forschungspolitischen Bewusstsein angekommen sind. Und bei der Internationalisierung ist der Brain Drain zwar gestoppt, aber trotzdem besteht Handlungsbedarf. Die vier Fachthemen des neuen Gutachtens im Überblick:
Während die Landwirtschaft selbst vom Klimawandel betroffen ist, muss sie auf schrumpfenden Flächen tendenziell größere Mengen an Nahrungsmitteln mit weniger Pflanzenschutz- und Düngemitteln produzieren. Für den Bereich Pflanzenbau sei daher ein umfassender technologischer Wandel erforderlich, schreibt die Expertenkommission. Zum einen meint sie damit die Einführung von Präzisionstechnologien, zum anderen Neue Genomische Techniken (NGT) für die Pflanzenzüchtung wie das Crispr-Verfahren. Eine von der EFI beauftragte Studie zeigt die rege Crispr-Forschungsaktivität vor allem in China im Bereich Kulturpflanzen. (siehe Grafik unten). Die wichtigsten Empfehlungen:
China und die USA sind im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) stark, Deutschland und die anderen EU-Länder drohen zurückzufallen. Dieses Problem untermauert das Gutachten mit vergleichenden Analysen der Publikations- und Patentanmeldungszahlen. Vor allem in China ist seit dem Jahr 2010 ein Boom zu verzeichnen (siehe Grafik unten). Die Schlüsseltechnologie KI sei für den Erhalt von Innovations- und Wachstumspotenzialen wichtig. Deutschland und Europa müssen in diesem Bereich ihre technologische Souveränität stärken, konstatiert die EFI und empfiehlt:
Die EFI sieht es als Nachteil an, dass der KI-Aktionsplan sich nur auf den Zuständigkeitsbereich des BMBF bezieht. Er könne dem breiten Anwendungsbereich der Schlüsseltechnologie KI nicht gerecht werden. Fällig sei eine ressortübergreifende Fortschreibung oder Neukonzeption.
Die Bundesregierung hat im vergangenen September eine Nationale Strategie für Soziale Innovation aufgesetzt und auch die EU hat in ihren neuen Missionen für Horizont Europa ihre Bedeutung hervorgehoben. Doch so richtig angekommen sind soziale Innovationen im forschungspolitischen Bewusstsein noch nicht und auch empirische Daten fehlen, so die Diagnose der EFI.
Die schlägt eine eigene Definition von sozialen Innovationen vor, in der sie diese “als neue individuelle und kollektive Verhaltensweisen sowie Organisationsformen, die zur Lösung gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Probleme beitragen und damit einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen” bezeichnet. Sie sollen zum Tragen kommen, weil technische Innovationen allein die großen Herausforderungen wie Klimawandel, demografische Alterung und Digitalisierung nicht bewältigen können.
Mit dem Kapitel über Internationale Mobilität nimmt die EFI ein Thema wieder auf, mit dem sie vor zehn Jahren für Aufsehen gesorgt hatte. In einer Untersuchung für das Jahresgutachten 2014 kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass zwischen 1996 und 2011 deutlich mehr Forschende und FuE-Beschäftigte das Land verlassen hatten, als hinzugezogen waren. Anschließend kamen größere Förderaktivitäten zum Tragen – etwa die Exzellenzinitiative, die Humboldt-Professuren oder das Emmy-Noether-Programm.
Grund genug für die EFI, eine Dekade später noch einmal genau hinzuschauen, ob diese Initiativen eine Wirkung erzielt haben. Das Ergebnis: “Die Auswertungen zeigen, dass sich die Situation seit dem Jahresgutachten 2014 deutlich geändert hat. Deutschland ist zum Nettoempfängerland für publizierende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geworden”, schreibt die Kommission in ihrem aktuellen Gutachten. Angesichts des durch die Demografie drohenden Fachkräftemangels eine gute Nachricht.
Ungetrübte Freude löst die “Kehrtwende” bei der EFI-Kommission allerdings nicht aus. Im Interview mit Table.Media weist Kommissionschef Uwe Cantner darauf hin, dass die Forscher, die weggehen, deutlich publikationsstärker sind als die, die (zurück-)kommen. Bei den patentaktiven Erfinderinnen und Erfindern ist zudem zwar ein Rückgang der Nettoabwanderung zu beobachten, der Saldo ist aber noch immer negativ. Fazit: “Das deutsche Wissenschafts- und Innovationssystem verliert in der Breite nach wie vor Humankapital.”
Die EFI verwehrt sich in ihrem Gutachten allerdings gegen die Zuspitzung auf “Brain Gain und Brain Drain”, weil Forschungsmobilität und internationaler Austausch Wissenschaftler besser mache. Damit Deutschland davon auch in Zukunft profitiert, empfiehlt die EFI:
Im vergangenen Jahr haben Sie die Bundesregierung aufgefordert, die großen Zukunftsthemen mit Missionsteams anzugehen und die Fesseln der Sprind zu lösen. Können Sie Vollzug melden?
Es ist tatsächlich etwas passiert und das ist positiv. Die Sprind hat mehr Freiheiten, auch wenn wir uns gewünscht hätten, dass das BMBF sich ganz aus der Fachaufsicht heraushält. Die Missionsteams sind ressortübergreifend aufgesetzt. Damit ist auch ein Teil unseres Governance-Vorschlags umgesetzt. Was nach wie vor fehlt, ist die strategische Leitung der Teams an einer Stelle. Außerdem halten wir es für wichtig, dass die Missionsteams einen gemeinsamen Etat haben.
Fehlt es an politischem Willen?
Jein, das liegt natürlich auch an der Haushaltsordnung, nach der keine gemeinsamen Haushalte für die Bundesministerien vorgesehen sind. Man könnte das aber sicher anders handhaben als bisher. Hierzu einen Konsens herzustellen, ist in einer Dreierkonstellation mit unterschiedlichen Ressortinteressen vermutlich nicht ganz einfach.
Ist der Eindruck richtig, dass sich gerade BMWK und BMBF bei vielen forschungspolitischen Themen beharken?
Ja, das ist schwierig. Das BMBF steht eigentlich für die vorwettbewerbliche Seite der Förderung. So richtig sauber getrennt ist das dann aber nicht. Man könnte sich durchaus vorstellen, dass es auch auf Bundesebene ein Ministerium wie in Thüringen gibt, das Wirtschaft und Wissenschaft verbindet und wo die Schnittstellen ganz nah beieinander sind. Nachdem Edmund Stoiber ein solches Superministerium auf Bundesebene geplant hatte, wurden Teile der Technologiepolitik ins Bundeswirtschaftsministerium verlegt. Und da gibt es bis heute Friktionen und schwierige Schnittstellen. Das ist ein strukturelles Problem. Es würde Sinn machen, Teile der Technologiepolitik wieder ins BMBF zurückzuverlegen.
Mit scharfer Kritik hält sich die EFI-Kommission in dem Gutachten weitestgehend zurück. Ist der konstruktive Ton rhetorisch bewusst gewählt, um den politischen Entscheidern Brücken zu bauen?
Die EFI vermeidet grundsätzlich polemische Kritik, da sie diese für nicht konstruktiv hält. Die Expertenkommission versucht stattdessen, die Bundesregierung darin zu bestärken, sich den Anforderungen der Transformation weiterhin zu stellen und die notwendigen – oft unpopulären Maßnahmen und Reformen – umzusetzen. Diese Maßnahmen mögen in Anbetracht der Größe der Herausforderungen oft geringfügig erscheinen. Allerdings gilt auch hier: Selbst die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Und diese Schritte sind in Zeiten multipler Krisen besonders schwer umzusetzen. Die Expertenkommission erkennt die Schwierigkeit ausdrücklich an. Sie hofft, mit ihrem Gutachten zu einer besseren, konsistenteren, transformationsorientierten Politik beizutragen und die Öffentlichkeit für die besonderen Schwierigkeiten einer solchen Politik zu sensibilisieren.
In Ihrem neuen Gutachten beklagen Sie einen Mangel an forschungspolitischer Evaluation. Sie schreiben: “Eine Wirkungsmessung von innovationspolitischen Maßnahmen findet nur selten statt”.
Jedes Unternehmen macht ein Controlling und überprüft, ob das, was es tut, auch zu den gewünschten Ergebnissen führt. Der Staat müsste mit seiner Politik das Gleiche tun. Dazu gibt es bestimmte Verfahren, mit denen man sicherstellen kann, dass es auch wirklich kausale Zusammenhänge gibt. Denn, wenn ich Sie heute fördere und Sie performen morgen besser, dann muss das nicht unbedingt an meiner Maßnahme liegen. Wir haben uns über 80 Evaluationsstudien vom BMBF und BMWK angeschaut und festgestellt: Nur eine einzige ist richtig gemacht worden, die anderen sind methodisch fragwürdig und die Interpretationen sind vollends fragwürdig. Und wenig überraschend ist der Grundtenor der Studienauswertung fast immer gleich: Die Förderung war wirksam. Diese durchgängigen positiven Effekte widersprechen jeder wissenschaftlichen Praxiserfahrung. Kurzum: Diese Studien taugen nichts.
Sie halten die Evaluation der Ministerien also für unglaubwürdig. Ist das eine Frage der Expertise in den Häusern?
Man könnte denken: ,Die Ministerien können es halt nicht’. Das stimmt aber nicht. Sowohl das BMWK als auch das BMBF haben ein eigenes Referat für Evaluationsstudien. Und die Leute, die da drinsitzen, sind sehr kompetent. Die könnten eine Vorlesung an der Uni zum Thema halten. Im BMWK ist vor einigen Jahren sogar eine Richtlinie erlassen worden, die ganz korrekt die richtigen Methoden und Studiendesigns vorgibt. Das Grundproblem liegt also woanders und dort muss nachgebessert werden. Da braucht es neben einer neuen Kultur vermutlich auch eine neue Struktur, bei der die Evaluationsreferate an den entscheidenden Stellen formal noch mehr eingebunden werden müssen.
In den B-Kapiteln Ihres Gutachtens blicken Sie inhaltlich auf Forschungs- und Innovationsbereiche. In diesem Jahr unter anderem auf Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Landwirtschaft. Warum diese Themen?
Die Themen des aktuellen Gutachtens werden etwa zwei Jahre vor der Übergabe festgelegt. Da muss man dann schon auch raten: Was könnte politisch in ungefähr zwei Jahren relevant sein? Manchmal landen wir Volltreffer, manchmal verschätzen wir uns auch und unsere Analysen zu bestimmten Themen finden kaum Beachtung. Wir reagieren aber auch auf aktuelle Entwicklungen: Das Thema KI wollten wir zum Beispiel nicht noch einmal anfassen, weil wir es vor zwei Jahren in unserem Kapitel Schlüsseltechnologien thematisiert hatten. Aber dann kam ChatGPT und dann haben wir gesagt, jetzt müssen wir handeln.
In Sachen KI wurde vor allem auf europäischer Ebene über die Regulierung diskutiert, gleichzeitig aber auch nach Lösungen Ausschau gehalten, wie Deutschland und Europa im Wettbewerb um KI-Innovationen mithalten können. Hat die EFI-Kommission da ein paar Tipps an Olaf Scholz?
Wir sind der Auffassung, dass Deutschland und Europa durchaus noch eine Chance haben, im Wettbewerb eine Rolle zu spielen. Wir sind nicht abgeschlagen. Möglichkeiten ergeben sich vermutlich weniger bei den Grundlagenmodellen und im generativen Bereich, dafür aber bei den Anwendungen, weil wir beispielsweise eine starke Produktionswirtschaft haben oder einen datenintensiven Gesundheitssektor. Wir können kein Google oder Amazon anbieten. Deswegen müssen wir sogenannte KI-Innovationsökosysteme aufbauen. Wir müssen um Forschungseinrichtungen wie in Tübingen, Würzburg oder Saarbrücken Ökosysteme aufbauen. Dort muss eine Start-up-Kultur entstehen und man muss versuchen, gemeinsam erfolgreich zu sein.
In Heilbronn entsteht so etwas mit der Dieter Schwarz Stiftung und Aleph Alpha bereits. Wie könnte der Staat weitere solcher Ökosysteme triggern?
Es braucht Startkapital und Kompetenz, also Humankapital. Das hat sehr viel mit Bildung und Ausbildung zu tun. Es müssen auch große Datenräume zur Verfügung stehen, mit deren Daten man die notwendigen Tests und Trainings durchführen kann. Zudem kann kein deutsches Unternehmen allein die notwendige Rechenkapazität aufbauen. Hier könnte der Staat über Public Private Partnerships unterstützen und eine Kofinanzierung übernehmen. Mit Blick auf die Datenräume erwarten wir dringend das angekündigte Forschungsdatengesetz. Aber auch außerhalb des Forschungssektors brauchen wir größere und vernetzte Datenräume, in denen die Daten auch an den Schnittstellen reibungslos fließen. Dafür müssen aber erst die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Und es braucht Datentreuhänder, eine Rolle die zum Beispiel das geplante Dateninstitut übernehmen könnte.
Ein forschungs- und agrarpolitisch wichtiges Thema ist die Neuregulierung der Grünen Gentechnik auf EU-Ebene. Was empfehlen Sie der Bundesregierung?
Erstens: Deutschland sollte aus unserer Sicht dem EU-Gesetzesvorschlag zustimmen. Der Vorschlag enthält Maßnahmen zur differenzierten Kennzeichnung von sogenannten NGT-1-Pflanzen und zur vereinfachten Zulassung von Pflanzen, die einen Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen der EU leisten können. NGT-1-Pflanzen sind gentechnisch veränderte Pflanzen, die sich aber nicht von konventionell gezüchteten Pflanzen unterscheiden lassen. Der EU-Vorschlag ist sicher nicht perfekt, aber er ist in weiten Teilen richtig. Zweitens: Wir halten es für wichtig, dass die Regulierung künftig am Endprodukt, das heißt der Pflanze, ansetzt und nicht am Züchtungsverfahren. Wenn Pflanzen schädlich sind, dürfen sie nicht verwendet werden, Punkt. Aber sie sollten nicht deshalb verboten werden, nur weil sie mit dem vermeintlich falschen Verfahren gezüchtet wurden. Zum Dritten: Es gibt die Möglichkeit, technische Verfahren zu patentieren, mit denen das Genom der Pflanzen verändert werden kann. Das führt dazu, dass diese Pflanzen patentiert werden können. Diese Möglichkeiten gibt es mit den herkömmlichen Züchtungsmethoden aber nicht. Aktuell gibt es zwei Möglichkeiten, das Schutzrecht an Pflanzen aufrecht zu erhalten: Den Sortenschutz und das Biopatentrecht. Die Abwägung zwischen den beiden ist derzeit schwierig. Die Expertenkommission empfiehlt daher, eine Evaluation beider Möglichkeiten durchzuführen und auf Grundlage des Ergebnisses eine Entscheidung zu treffen. Und der vierte Punkt: Am Ende sollte man die Entscheidung zum Konsum gentechnisch veränderter Produkte dem Verbraucher überlassen. Das setzt voraus, dass die Produkte aus Transparenz- und Informationsgründen konsequent und präzise gekennzeichnet werden.
Wäre ein fünfter Punkt nicht eine bessere Aufklärung über wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem Thema? Die Diskussion ist ideologisch geprägt.
Ja, es gibt viele Fehlinformationen und Verständnisprobleme und divergierende Interessen: Auf dem Landwirtschaftstag haben mir Bauern gesagt, dass sie keine Lust haben, ihren Betrieb umzustellen. Das ist aus persönlicher Perspektive nachzuvollziehen, aber das ist ja kein Argument in der Debatte. Auch die ökologische Landwirtschaft hat Angst, dass sie überflüssig wird, wenn man mit gentechnischen Mitteln erreichen kann, dass keine Dünger und Pestizide mehr verwendet werden müssen. Die Angst um das eigene Geschäftsmodell ist nachvollziehbar. Nicht aber die Angst vor gentechnisch veränderten Pflanzen. Bislang gibt es keine Studien, die Risiken nachgewiesen haben, die mit dem gentechnischen Züchtungsverfahren zusammenhängen. Wir müssen so fair sein und sagen, dass wir nur bei klassischer Gentechnik Erkenntnisse über Langzeitfolgen haben, nicht aber bei neuen Züchtungstechniken wie CRISPR/Cas. Denn die gibt es ja erst seit einigen wenigen Jahren. Für die Expertenkommission ist ein Punkt zentral: Ob ich mit der Genschere eine Mutation hervorrufe oder über bisher verwendete Züchtungsmethoden, wie die Behandlung der Pflanzen mit radioaktiver Strahlung oder Chemikalien, sollte keine Rolle spielen, solange das Endprodukt nicht schädlich ist.
Sie haben 2014 der Bundesregierung ein schlechtes Zeugnis beim Wettbewerb um internationale Fachkräfte ausgestellt. Jetzt haben Sie ihre Analyse zur Mobilität im Wissenschafts- und Innovationssystem wiederholt. Hat sich etwas getan?
Der Wettbewerb um internationale Fachkräfte hat noch einmal zugenommen. 2014 hatten wir einen Negativsaldo, also es sind mehr Forschende ins Ausland gegangen, als zu uns gekommen sind. Inzwischen ist der Saldo bei Wissenschaftlern positiv. Wobei das eine rein quantitative Aussage ist. Abwandernde Forscherinnen und Forscher sind insgesamt publikationsstärker als diejenigen, die nach Deutschland einwandern. Trotzdem, die Trendumkehr ist geschafft. Über Gründe lässt sich spekulieren: Die Exzellenzinitiative spielte sicher eine Rolle und die inzwischen attraktive Besoldung für Spitzenpositionen bei Fraunhofer und Max-Planck.
Sie sagen, der Wettbewerb wird härter. Wie muss sich Deutschland zukünftig aufstellen?
Es sind vor allem bürokratische Hindernisse. Um zwei Beispiele zu nennen: Wenn Sie als amerikanischer Professor an die LMU in München kommen wollen, dann werden sie gefragt: Wie alt sind Sie denn? Und wenn Sie dann Ü-50 antworten, dann ist die Verbeamtung keine Option mehr, Kompensationszahlungen aber auch nicht. Dann kommen einige nicht. Oder wenn Sie als Professorin aus Frankreich einwandern wollen, ist es unendlich schwierig, sich die bisher erworbenen Rentenanwartschaften im deutschen System anrechnen zu lassen. So viel Inflexibilität und Bürokratie sind nicht tragbar. Auch sind die Visa-Bestimmungen viel zu kompliziert. An vielen Hochschulen wird deutschsprachige Lehre verlangt. Man sollte Englisch grundsätzlich als Lehrsprache zulassen. Mit Blick auf den wissenschaftlichen Nachwuchs empfehlen wir das Bund-Länder-Programm zur Schaffung von Tenure-Track-Professuren neu aufzulegen und auch für den internationalen Nachwuchs zu öffnen.
Für das Thema ,Soziale Innovationen’ fordern Sie mehr Aufmerksamkeit. Wird der Begriff nicht viel zu oft als Buzzword benutzt?
Mit unserem Kapitel dazu wollen wir Klarheit schaffen. Denn es gibt keine eindeutige, geschweige denn einheitliche Definition von sozialer Innovation. Da haben unterschiedliche Akteure auch unterschiedliche Vorstellungen. Leider ist das empirische Wissen über derartige Innovationen und auch die Antworten auf die Frage, wie man sie stärker forcieren kann, mager und ziemlich nutzlos.
Was empfehlen Sie also den politischen Entscheidern?
Um die von der Bundesregierung Ende 2023 verabschiedete Nationale Strategie für Soziale Innovationen und Gemeinwohlorientierte Unternehmen erfolgreich umzusetzen, braucht es erstmal eine bessere Datenbasis. Aus unserer Sicht wäre es besser, keine eigenen Förderprogramme aufzusetzen, sondern soziale Innovationen in bestehende Förderprogramme für technologische Innovationen zu integrieren, weil sie oft komplementär sind. Die Förderpolitik sollte zudem auf gemeinwohlorientierte und profitorientierte Unternehmen zugeschnitten werden. Denn nur weil ein Unternehmen gewinnorientiert arbeitet, heißt das nicht, dass es keine sozialen Innovationen hervorbringt.
Können Sie ein Beispiel dafür geben?
Eine soziale Innovation entwickelt kein Erfinder in seinem Labor oder seiner Entwicklungsabteilung. Man muss Menschen motivieren und zusammenbringen. Am KIT in Karlsruhe hat man etwa die Nutzung von Erdwärme erforscht und die Befürchtung gehabt, gegen derartige Technologien könnte es gesellschaftlichen Widerstand geben. Deshalb hat man aber frühzeitig die Bevölkerung eingebunden. Man hat Bürger befragt, sie zu Messungen eingeladen, um Unterstützung gebeten. Das Learning: Wenn sich Menschen etwas zu eigen machen, dann stehen sie auch dahinter. Das trägt zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei.
am heutigen Mittwochmittag hat Uwe Cantner, Vorsitzender der EFI-Kommission, das Jahresgutachten an Bundeskanzler Olaf Scholz übergeben. Es sind knapp 200 Seiten voller Einschätzungen und Empfehlungen. Hauptthemen in diesem Jahr: Neue Technologien für eine nachhaltige Landwirtschaft, Internationale Mobilität im Wissenschafts- und Innovationssystem, Soziale Innovationen und Künstliche Intelligenz. Dazu ein Extra-Kapitel zu Evaluation und die Kommentierung der aktuellen F&I-Politik.
Dabei fällt auf: Bei aller Kritik, die Experten kommentieren äußerst höflich. Die Koalition habe ein Projekt der Superlative übernommen, heißt es da. “Transformationen dieser Art gehen in Umfang und Reichweite – insbesondere was die finanziellen Bedarfe angeht – weit über das hinaus, was Wirtschafts- und Innovationspolitik in ,normalen’ Zeiten ausmacht.” Es handele sich um eine Herkules-Aufgabe, für die es bisher keine Vorbilder und keinen erprobten Masterplan gebe.
Noch in früheren Gutachten (das erste erschien am 27. Januar 2008), war der Ton doch deutlich direkter. Etwa 2019 wurde der Bundesregierung gleich im Vorwort ein verzögerter Start attestiert, im selben Atemzug drängten die Experten, derzeit budgetierte Mittel für die Forschung unbedingt und sofort zu erhöhen.
Hätten die Hinweise also nicht auch in diesem Jahr um einiges deutlicher ausfallen müssen, in Anbetracht der drängenden Aufgaben, die vor den Politikern liegt?
Man wolle die Bundesregierung darin bestärken, sich den Anforderungen der Transformation weiterhin zu stellen und die notwendigen Maßnahmen und Reformen umzusetzen, sagt Uwe Cantner meinem Kollegen Tim Gabel. “Diese Maßnahmen mögen in Anbetracht der Größe der Herausforderungen oft geringfügig erscheinen.” Doch selbst die längste Reise beginne mit dem ersten Schritt. “Und diese Schritte sind in Zeiten multipler Krisen besonders schwer umzusetzen. Die Expertenkommission erkennt die Schwierigkeit ausdrücklich an.”
Für Debatten wird das aktuelle Gutachten dennoch sorgen, empfiehlt die Kommission etwa, die strikte Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung aufzuheben. Damit könnten sogenannte Spill over-Effekte ausgelöst und ein Dual Use gefördert werden, heißt es. Studien zeigten, dass Investitionen in militärische FuE auch solche in zivile FuE hervorrufen. Während der Übergabe an Bundeskanzler Scholz forderte Uwe Cantner zusätzlich, auch Mittel aus dem Sondervermögen der Bundeswehr für die Transformation der FuE zu benutzen.
Alle Informationen dazu und zu den vielen weiteren Empfehlungen finden Sie in unserer Sonderausgabe.
Eine aufschlussreiche Lektüre wünscht Ihnen,
Von einer Herkules-Aufgabe für die Bundesregierung spricht die EFI-Kommission in ihrem aktuellen Jahresgutachten, das am heutigen Mittwoch Bundeskanzler Scholz übergeben wurde. Sie nennt die gerade stattfindende Transformation ein Projekt der Superlative. Und sie unterstreicht dies, indem sie den aktuellen Wandel als ein Projekt der Superlative bezeichnet. “Transformationen dieser Art gehen in Umfang und Reichweite – insbesondere was die finanziellen Bedarfe angeht – weit über das hinaus, was Wirtschafts- und Innovationspolitik in ,normalen’ Zeiten ausmache.” Es handele sich um eine Herkules-Aufgabe, für die es bisher keine Vorbilder und keinen erprobten Masterplan gebe. Damit setzt sie gleich zu Beginn den Bezugsrahmen für ihre Betrachtung der derzeitigen FuE-Politik der Bundesregierung.
Doch die Ressourcen für den grundlegenden Wandel und die vielfältigen technischen und sozialen Innovationen, die es dafür braucht, sind in Gefahr. Durch den russischen Angriff auf die Ukraine, den Krieg in Gaza und die Nachwirkungen der Covid-Pandemie seien die Budgetkonkurrenzen größer geworden. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verstärke noch den Trend, einzig kurzfristig zu agieren und im Krisenmodus langfristige Ziele aus den Augen zu verlieren.
Vor diesem Hintergrund zeigen die Experten Verständnis für die teils schleppende Umsetzung transformativer FuE-Politik. Es seien mit der Einsetzung der Missionsteams für die Zukunftsstrategie oder den Transformationsteams der Nachhaltigkeitsstrategie wichtige funktionale Veränderungen vorgenommen worden. Auch die “Sprind-Befreiung” und die Pilot-Förderrichtlinien der Dati werden grundsätzlich positiv bewertet. “Mögen die Neuerungen auch kleinteilig erscheinen […] so dokumentieren sie doch einen wichtigen qualitativen Schritt”, schreiben die EFI-Autoren. Allerdings: “Als entschlossenes und koordiniertes Umlenken kann man die bisher gewählte Vorgehensweise nicht bezeichnen, eher als Schlingerkurs.”
In ihren Empfehlungen zur transformativen FuE-Politik drängt die EFI die Politik darauf, bei kurzfristigen Maßnahmen – beispielsweise sicherheitspolitischer Natur – die langfristigen Ziele mitzudenken. So sollte die Regierung bei der Förderung der Forschung zur Cybersicherheit auch die zivile Nutzung im Blick haben. Angesichts der aktuellen Budgetrestriktionen fokussiert sich die Kommission zudem auf Maßnahmen, die kein oder wenig Geld kosten. Deregulierung und Entbürokratisierung sollen vorangetrieben werden. Die Suche nach innovativen Lösungen sollte der Wirtschaft überlassen werden, um dann beispielsweise über Reallabore die gesellschaftliche Partizipation zu sichern.
Ein Augenmerk legen die EFI-Gutachter auf die Entwicklung des Humankapitals. Klar ist, dass die Transformation neue Kompetenzen erfordere. Mit Blick auf die Pisa-Ergebnisse sprechen die Autoren hier von “düsteren Aussichten”, was die Ausbildung junger Menschen angeht. Nicht nur eine grundlegende Reform des Schulwesens sei nötig – auch Hochschulen müssten sich ändern. Sie bräuchten “moderne Studienangebote und Studiengänge, ein Mehr an interdisziplinärer Verzahnung von Inhalten und einem breit angelegten Interaktionsraum mit der Gesellschaft und der Wirtschaft“. Dies müsste “mit einer auskömmlichen Grundfinanzierung und hochqualifiziertem wissenschaftlichem Personal” einhergehen.
In ihrer Analyse zur aktuellen FuE-Politik berichten die Gutachter auch über die Umsetzung der Zukunftsstrategie. An dieser Stelle kommt eine gewisse Ungeduld der Experten dann doch stärker zum Vorschein. Man müsse die Zukunftsstrategie nun umsetzen, die Missionsorientierung vorantreiben. Es brauche auch die Formulierung von kurzfristigeren Zielen, um “early wins” zu realisieren. Die Stellung der Missionsteams müsste durch mehr Kompetenzen, bis hin zu eigenen Budgets gestärkt werden. Zudem habe die Zukunftsstrategie – im Vergleich zur Nachhaltigkeitsstrategie – Schwächen auf der Strategieebene. Die mangelnde Verankerung im Kanzleramt verhindert eine Priorisierung auf höchster Ebene.
Ein Kern des EFI-Gutachtens zur aktuellen FuE-Politik sind Empfehlungen zu einer Annäherung von militärischer und ziviler FuE. Israel und die USA könnten nach Meinung der Experten hier mit Darpa und der Militäreinheit 8200 Vorbild sein. Man müsse den Umgang mit militärischer FuE neu bewerten. “Die strikte Trennung zwischen militärischer und ziviler Forschung gehört auf den Prüfstand. Deutschland vergibt hierdurch ökonomische Chancen”, sagte der EFI-Vorsitzende Uwe Cantner bei der Vorstellung des Gutachtens. Er forderte zudem, ein Teil des Sondervermögens der Bundeswehr auch für FuE-Vorhaben auszugeben. Damit könnten sogenannte Spill over-Effekte ausgelöst und ein Dual Use gefördert werden, heißt es im Papier. Studien zeigten, dass Investitionen in militärische FuE auch solche in zivile FuE hervorrufen.
Im Folgenden nimmt die EFI weitere Punkte aus der aktuellen Debatte rund um die Forschungs- und Innovationspolitik in Deutschland auf:
Ein eigenes Kapitel widmet die EFI der Frage, wie FuE-Maßnahmen zukünftig evaluiert werden sollen. Unter der Überschrift “Kausalanalyse von Maßnahmeneffekten” kritisieren die Experten, dass viele der im Auftrag der Bundesregierung durchgeführten Evaluationsstudien nicht aussagekräftig seien. Sie ließen keine Rückschlüsse darauf zu, ob beobachtete Entwicklungen auf eine politische Maßnahme zurückzuführen seien. Der sachgerechte Einsatz geeigneter Methoden für eine Kausalanalyse sei oft nicht erfüllt.
“Man könnte denken: ,Die Ministerien können es halt nicht’. Das stimmt aber nicht”, sagt EFI-Chef Cantner. Die Mitarbeitenden im BMBF und BMWK seien höchst kompetent, das Grundproblem liege woanders. Es brauche neben einer neuen Kultur vermutlich auch eine neue Struktur, bei der Evaluationsreferate stärker eingebunden werden müssen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, die nötigen Methoden in geplante Maßnahmen zu integrieren. Mitarbeit: Nicola Kuhrt
Nachhaltige Landwirtschaft bedeutet für das Gremium, verstärkt digitale und gentechnische Technologien zu nutzen. Im Bereich KI skizziert es eine partielle Aufholjagd. Bei Sozialen Innovationen beklagt es, dass diese immer noch nicht im forschungspolitischen Bewusstsein angekommen sind. Und bei der Internationalisierung ist der Brain Drain zwar gestoppt, aber trotzdem besteht Handlungsbedarf. Die vier Fachthemen des neuen Gutachtens im Überblick:
Während die Landwirtschaft selbst vom Klimawandel betroffen ist, muss sie auf schrumpfenden Flächen tendenziell größere Mengen an Nahrungsmitteln mit weniger Pflanzenschutz- und Düngemitteln produzieren. Für den Bereich Pflanzenbau sei daher ein umfassender technologischer Wandel erforderlich, schreibt die Expertenkommission. Zum einen meint sie damit die Einführung von Präzisionstechnologien, zum anderen Neue Genomische Techniken (NGT) für die Pflanzenzüchtung wie das Crispr-Verfahren. Eine von der EFI beauftragte Studie zeigt die rege Crispr-Forschungsaktivität vor allem in China im Bereich Kulturpflanzen. (siehe Grafik unten). Die wichtigsten Empfehlungen:
China und die USA sind im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) stark, Deutschland und die anderen EU-Länder drohen zurückzufallen. Dieses Problem untermauert das Gutachten mit vergleichenden Analysen der Publikations- und Patentanmeldungszahlen. Vor allem in China ist seit dem Jahr 2010 ein Boom zu verzeichnen (siehe Grafik unten). Die Schlüsseltechnologie KI sei für den Erhalt von Innovations- und Wachstumspotenzialen wichtig. Deutschland und Europa müssen in diesem Bereich ihre technologische Souveränität stärken, konstatiert die EFI und empfiehlt:
Die EFI sieht es als Nachteil an, dass der KI-Aktionsplan sich nur auf den Zuständigkeitsbereich des BMBF bezieht. Er könne dem breiten Anwendungsbereich der Schlüsseltechnologie KI nicht gerecht werden. Fällig sei eine ressortübergreifende Fortschreibung oder Neukonzeption.
Die Bundesregierung hat im vergangenen September eine Nationale Strategie für Soziale Innovation aufgesetzt und auch die EU hat in ihren neuen Missionen für Horizont Europa ihre Bedeutung hervorgehoben. Doch so richtig angekommen sind soziale Innovationen im forschungspolitischen Bewusstsein noch nicht und auch empirische Daten fehlen, so die Diagnose der EFI.
Die schlägt eine eigene Definition von sozialen Innovationen vor, in der sie diese “als neue individuelle und kollektive Verhaltensweisen sowie Organisationsformen, die zur Lösung gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Probleme beitragen und damit einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen” bezeichnet. Sie sollen zum Tragen kommen, weil technische Innovationen allein die großen Herausforderungen wie Klimawandel, demografische Alterung und Digitalisierung nicht bewältigen können.
Mit dem Kapitel über Internationale Mobilität nimmt die EFI ein Thema wieder auf, mit dem sie vor zehn Jahren für Aufsehen gesorgt hatte. In einer Untersuchung für das Jahresgutachten 2014 kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass zwischen 1996 und 2011 deutlich mehr Forschende und FuE-Beschäftigte das Land verlassen hatten, als hinzugezogen waren. Anschließend kamen größere Förderaktivitäten zum Tragen – etwa die Exzellenzinitiative, die Humboldt-Professuren oder das Emmy-Noether-Programm.
Grund genug für die EFI, eine Dekade später noch einmal genau hinzuschauen, ob diese Initiativen eine Wirkung erzielt haben. Das Ergebnis: “Die Auswertungen zeigen, dass sich die Situation seit dem Jahresgutachten 2014 deutlich geändert hat. Deutschland ist zum Nettoempfängerland für publizierende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geworden”, schreibt die Kommission in ihrem aktuellen Gutachten. Angesichts des durch die Demografie drohenden Fachkräftemangels eine gute Nachricht.
Ungetrübte Freude löst die “Kehrtwende” bei der EFI-Kommission allerdings nicht aus. Im Interview mit Table.Media weist Kommissionschef Uwe Cantner darauf hin, dass die Forscher, die weggehen, deutlich publikationsstärker sind als die, die (zurück-)kommen. Bei den patentaktiven Erfinderinnen und Erfindern ist zudem zwar ein Rückgang der Nettoabwanderung zu beobachten, der Saldo ist aber noch immer negativ. Fazit: “Das deutsche Wissenschafts- und Innovationssystem verliert in der Breite nach wie vor Humankapital.”
Die EFI verwehrt sich in ihrem Gutachten allerdings gegen die Zuspitzung auf “Brain Gain und Brain Drain”, weil Forschungsmobilität und internationaler Austausch Wissenschaftler besser mache. Damit Deutschland davon auch in Zukunft profitiert, empfiehlt die EFI:
Im vergangenen Jahr haben Sie die Bundesregierung aufgefordert, die großen Zukunftsthemen mit Missionsteams anzugehen und die Fesseln der Sprind zu lösen. Können Sie Vollzug melden?
Es ist tatsächlich etwas passiert und das ist positiv. Die Sprind hat mehr Freiheiten, auch wenn wir uns gewünscht hätten, dass das BMBF sich ganz aus der Fachaufsicht heraushält. Die Missionsteams sind ressortübergreifend aufgesetzt. Damit ist auch ein Teil unseres Governance-Vorschlags umgesetzt. Was nach wie vor fehlt, ist die strategische Leitung der Teams an einer Stelle. Außerdem halten wir es für wichtig, dass die Missionsteams einen gemeinsamen Etat haben.
Fehlt es an politischem Willen?
Jein, das liegt natürlich auch an der Haushaltsordnung, nach der keine gemeinsamen Haushalte für die Bundesministerien vorgesehen sind. Man könnte das aber sicher anders handhaben als bisher. Hierzu einen Konsens herzustellen, ist in einer Dreierkonstellation mit unterschiedlichen Ressortinteressen vermutlich nicht ganz einfach.
Ist der Eindruck richtig, dass sich gerade BMWK und BMBF bei vielen forschungspolitischen Themen beharken?
Ja, das ist schwierig. Das BMBF steht eigentlich für die vorwettbewerbliche Seite der Förderung. So richtig sauber getrennt ist das dann aber nicht. Man könnte sich durchaus vorstellen, dass es auch auf Bundesebene ein Ministerium wie in Thüringen gibt, das Wirtschaft und Wissenschaft verbindet und wo die Schnittstellen ganz nah beieinander sind. Nachdem Edmund Stoiber ein solches Superministerium auf Bundesebene geplant hatte, wurden Teile der Technologiepolitik ins Bundeswirtschaftsministerium verlegt. Und da gibt es bis heute Friktionen und schwierige Schnittstellen. Das ist ein strukturelles Problem. Es würde Sinn machen, Teile der Technologiepolitik wieder ins BMBF zurückzuverlegen.
Mit scharfer Kritik hält sich die EFI-Kommission in dem Gutachten weitestgehend zurück. Ist der konstruktive Ton rhetorisch bewusst gewählt, um den politischen Entscheidern Brücken zu bauen?
Die EFI vermeidet grundsätzlich polemische Kritik, da sie diese für nicht konstruktiv hält. Die Expertenkommission versucht stattdessen, die Bundesregierung darin zu bestärken, sich den Anforderungen der Transformation weiterhin zu stellen und die notwendigen – oft unpopulären Maßnahmen und Reformen – umzusetzen. Diese Maßnahmen mögen in Anbetracht der Größe der Herausforderungen oft geringfügig erscheinen. Allerdings gilt auch hier: Selbst die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Und diese Schritte sind in Zeiten multipler Krisen besonders schwer umzusetzen. Die Expertenkommission erkennt die Schwierigkeit ausdrücklich an. Sie hofft, mit ihrem Gutachten zu einer besseren, konsistenteren, transformationsorientierten Politik beizutragen und die Öffentlichkeit für die besonderen Schwierigkeiten einer solchen Politik zu sensibilisieren.
In Ihrem neuen Gutachten beklagen Sie einen Mangel an forschungspolitischer Evaluation. Sie schreiben: “Eine Wirkungsmessung von innovationspolitischen Maßnahmen findet nur selten statt”.
Jedes Unternehmen macht ein Controlling und überprüft, ob das, was es tut, auch zu den gewünschten Ergebnissen führt. Der Staat müsste mit seiner Politik das Gleiche tun. Dazu gibt es bestimmte Verfahren, mit denen man sicherstellen kann, dass es auch wirklich kausale Zusammenhänge gibt. Denn, wenn ich Sie heute fördere und Sie performen morgen besser, dann muss das nicht unbedingt an meiner Maßnahme liegen. Wir haben uns über 80 Evaluationsstudien vom BMBF und BMWK angeschaut und festgestellt: Nur eine einzige ist richtig gemacht worden, die anderen sind methodisch fragwürdig und die Interpretationen sind vollends fragwürdig. Und wenig überraschend ist der Grundtenor der Studienauswertung fast immer gleich: Die Förderung war wirksam. Diese durchgängigen positiven Effekte widersprechen jeder wissenschaftlichen Praxiserfahrung. Kurzum: Diese Studien taugen nichts.
Sie halten die Evaluation der Ministerien also für unglaubwürdig. Ist das eine Frage der Expertise in den Häusern?
Man könnte denken: ,Die Ministerien können es halt nicht’. Das stimmt aber nicht. Sowohl das BMWK als auch das BMBF haben ein eigenes Referat für Evaluationsstudien. Und die Leute, die da drinsitzen, sind sehr kompetent. Die könnten eine Vorlesung an der Uni zum Thema halten. Im BMWK ist vor einigen Jahren sogar eine Richtlinie erlassen worden, die ganz korrekt die richtigen Methoden und Studiendesigns vorgibt. Das Grundproblem liegt also woanders und dort muss nachgebessert werden. Da braucht es neben einer neuen Kultur vermutlich auch eine neue Struktur, bei der die Evaluationsreferate an den entscheidenden Stellen formal noch mehr eingebunden werden müssen.
In den B-Kapiteln Ihres Gutachtens blicken Sie inhaltlich auf Forschungs- und Innovationsbereiche. In diesem Jahr unter anderem auf Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Landwirtschaft. Warum diese Themen?
Die Themen des aktuellen Gutachtens werden etwa zwei Jahre vor der Übergabe festgelegt. Da muss man dann schon auch raten: Was könnte politisch in ungefähr zwei Jahren relevant sein? Manchmal landen wir Volltreffer, manchmal verschätzen wir uns auch und unsere Analysen zu bestimmten Themen finden kaum Beachtung. Wir reagieren aber auch auf aktuelle Entwicklungen: Das Thema KI wollten wir zum Beispiel nicht noch einmal anfassen, weil wir es vor zwei Jahren in unserem Kapitel Schlüsseltechnologien thematisiert hatten. Aber dann kam ChatGPT und dann haben wir gesagt, jetzt müssen wir handeln.
In Sachen KI wurde vor allem auf europäischer Ebene über die Regulierung diskutiert, gleichzeitig aber auch nach Lösungen Ausschau gehalten, wie Deutschland und Europa im Wettbewerb um KI-Innovationen mithalten können. Hat die EFI-Kommission da ein paar Tipps an Olaf Scholz?
Wir sind der Auffassung, dass Deutschland und Europa durchaus noch eine Chance haben, im Wettbewerb eine Rolle zu spielen. Wir sind nicht abgeschlagen. Möglichkeiten ergeben sich vermutlich weniger bei den Grundlagenmodellen und im generativen Bereich, dafür aber bei den Anwendungen, weil wir beispielsweise eine starke Produktionswirtschaft haben oder einen datenintensiven Gesundheitssektor. Wir können kein Google oder Amazon anbieten. Deswegen müssen wir sogenannte KI-Innovationsökosysteme aufbauen. Wir müssen um Forschungseinrichtungen wie in Tübingen, Würzburg oder Saarbrücken Ökosysteme aufbauen. Dort muss eine Start-up-Kultur entstehen und man muss versuchen, gemeinsam erfolgreich zu sein.
In Heilbronn entsteht so etwas mit der Dieter Schwarz Stiftung und Aleph Alpha bereits. Wie könnte der Staat weitere solcher Ökosysteme triggern?
Es braucht Startkapital und Kompetenz, also Humankapital. Das hat sehr viel mit Bildung und Ausbildung zu tun. Es müssen auch große Datenräume zur Verfügung stehen, mit deren Daten man die notwendigen Tests und Trainings durchführen kann. Zudem kann kein deutsches Unternehmen allein die notwendige Rechenkapazität aufbauen. Hier könnte der Staat über Public Private Partnerships unterstützen und eine Kofinanzierung übernehmen. Mit Blick auf die Datenräume erwarten wir dringend das angekündigte Forschungsdatengesetz. Aber auch außerhalb des Forschungssektors brauchen wir größere und vernetzte Datenräume, in denen die Daten auch an den Schnittstellen reibungslos fließen. Dafür müssen aber erst die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Und es braucht Datentreuhänder, eine Rolle die zum Beispiel das geplante Dateninstitut übernehmen könnte.
Ein forschungs- und agrarpolitisch wichtiges Thema ist die Neuregulierung der Grünen Gentechnik auf EU-Ebene. Was empfehlen Sie der Bundesregierung?
Erstens: Deutschland sollte aus unserer Sicht dem EU-Gesetzesvorschlag zustimmen. Der Vorschlag enthält Maßnahmen zur differenzierten Kennzeichnung von sogenannten NGT-1-Pflanzen und zur vereinfachten Zulassung von Pflanzen, die einen Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen der EU leisten können. NGT-1-Pflanzen sind gentechnisch veränderte Pflanzen, die sich aber nicht von konventionell gezüchteten Pflanzen unterscheiden lassen. Der EU-Vorschlag ist sicher nicht perfekt, aber er ist in weiten Teilen richtig. Zweitens: Wir halten es für wichtig, dass die Regulierung künftig am Endprodukt, das heißt der Pflanze, ansetzt und nicht am Züchtungsverfahren. Wenn Pflanzen schädlich sind, dürfen sie nicht verwendet werden, Punkt. Aber sie sollten nicht deshalb verboten werden, nur weil sie mit dem vermeintlich falschen Verfahren gezüchtet wurden. Zum Dritten: Es gibt die Möglichkeit, technische Verfahren zu patentieren, mit denen das Genom der Pflanzen verändert werden kann. Das führt dazu, dass diese Pflanzen patentiert werden können. Diese Möglichkeiten gibt es mit den herkömmlichen Züchtungsmethoden aber nicht. Aktuell gibt es zwei Möglichkeiten, das Schutzrecht an Pflanzen aufrecht zu erhalten: Den Sortenschutz und das Biopatentrecht. Die Abwägung zwischen den beiden ist derzeit schwierig. Die Expertenkommission empfiehlt daher, eine Evaluation beider Möglichkeiten durchzuführen und auf Grundlage des Ergebnisses eine Entscheidung zu treffen. Und der vierte Punkt: Am Ende sollte man die Entscheidung zum Konsum gentechnisch veränderter Produkte dem Verbraucher überlassen. Das setzt voraus, dass die Produkte aus Transparenz- und Informationsgründen konsequent und präzise gekennzeichnet werden.
Wäre ein fünfter Punkt nicht eine bessere Aufklärung über wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem Thema? Die Diskussion ist ideologisch geprägt.
Ja, es gibt viele Fehlinformationen und Verständnisprobleme und divergierende Interessen: Auf dem Landwirtschaftstag haben mir Bauern gesagt, dass sie keine Lust haben, ihren Betrieb umzustellen. Das ist aus persönlicher Perspektive nachzuvollziehen, aber das ist ja kein Argument in der Debatte. Auch die ökologische Landwirtschaft hat Angst, dass sie überflüssig wird, wenn man mit gentechnischen Mitteln erreichen kann, dass keine Dünger und Pestizide mehr verwendet werden müssen. Die Angst um das eigene Geschäftsmodell ist nachvollziehbar. Nicht aber die Angst vor gentechnisch veränderten Pflanzen. Bislang gibt es keine Studien, die Risiken nachgewiesen haben, die mit dem gentechnischen Züchtungsverfahren zusammenhängen. Wir müssen so fair sein und sagen, dass wir nur bei klassischer Gentechnik Erkenntnisse über Langzeitfolgen haben, nicht aber bei neuen Züchtungstechniken wie CRISPR/Cas. Denn die gibt es ja erst seit einigen wenigen Jahren. Für die Expertenkommission ist ein Punkt zentral: Ob ich mit der Genschere eine Mutation hervorrufe oder über bisher verwendete Züchtungsmethoden, wie die Behandlung der Pflanzen mit radioaktiver Strahlung oder Chemikalien, sollte keine Rolle spielen, solange das Endprodukt nicht schädlich ist.
Sie haben 2014 der Bundesregierung ein schlechtes Zeugnis beim Wettbewerb um internationale Fachkräfte ausgestellt. Jetzt haben Sie ihre Analyse zur Mobilität im Wissenschafts- und Innovationssystem wiederholt. Hat sich etwas getan?
Der Wettbewerb um internationale Fachkräfte hat noch einmal zugenommen. 2014 hatten wir einen Negativsaldo, also es sind mehr Forschende ins Ausland gegangen, als zu uns gekommen sind. Inzwischen ist der Saldo bei Wissenschaftlern positiv. Wobei das eine rein quantitative Aussage ist. Abwandernde Forscherinnen und Forscher sind insgesamt publikationsstärker als diejenigen, die nach Deutschland einwandern. Trotzdem, die Trendumkehr ist geschafft. Über Gründe lässt sich spekulieren: Die Exzellenzinitiative spielte sicher eine Rolle und die inzwischen attraktive Besoldung für Spitzenpositionen bei Fraunhofer und Max-Planck.
Sie sagen, der Wettbewerb wird härter. Wie muss sich Deutschland zukünftig aufstellen?
Es sind vor allem bürokratische Hindernisse. Um zwei Beispiele zu nennen: Wenn Sie als amerikanischer Professor an die LMU in München kommen wollen, dann werden sie gefragt: Wie alt sind Sie denn? Und wenn Sie dann Ü-50 antworten, dann ist die Verbeamtung keine Option mehr, Kompensationszahlungen aber auch nicht. Dann kommen einige nicht. Oder wenn Sie als Professorin aus Frankreich einwandern wollen, ist es unendlich schwierig, sich die bisher erworbenen Rentenanwartschaften im deutschen System anrechnen zu lassen. So viel Inflexibilität und Bürokratie sind nicht tragbar. Auch sind die Visa-Bestimmungen viel zu kompliziert. An vielen Hochschulen wird deutschsprachige Lehre verlangt. Man sollte Englisch grundsätzlich als Lehrsprache zulassen. Mit Blick auf den wissenschaftlichen Nachwuchs empfehlen wir das Bund-Länder-Programm zur Schaffung von Tenure-Track-Professuren neu aufzulegen und auch für den internationalen Nachwuchs zu öffnen.
Für das Thema ,Soziale Innovationen’ fordern Sie mehr Aufmerksamkeit. Wird der Begriff nicht viel zu oft als Buzzword benutzt?
Mit unserem Kapitel dazu wollen wir Klarheit schaffen. Denn es gibt keine eindeutige, geschweige denn einheitliche Definition von sozialer Innovation. Da haben unterschiedliche Akteure auch unterschiedliche Vorstellungen. Leider ist das empirische Wissen über derartige Innovationen und auch die Antworten auf die Frage, wie man sie stärker forcieren kann, mager und ziemlich nutzlos.
Was empfehlen Sie also den politischen Entscheidern?
Um die von der Bundesregierung Ende 2023 verabschiedete Nationale Strategie für Soziale Innovationen und Gemeinwohlorientierte Unternehmen erfolgreich umzusetzen, braucht es erstmal eine bessere Datenbasis. Aus unserer Sicht wäre es besser, keine eigenen Förderprogramme aufzusetzen, sondern soziale Innovationen in bestehende Förderprogramme für technologische Innovationen zu integrieren, weil sie oft komplementär sind. Die Förderpolitik sollte zudem auf gemeinwohlorientierte und profitorientierte Unternehmen zugeschnitten werden. Denn nur weil ein Unternehmen gewinnorientiert arbeitet, heißt das nicht, dass es keine sozialen Innovationen hervorbringt.
Können Sie ein Beispiel dafür geben?
Eine soziale Innovation entwickelt kein Erfinder in seinem Labor oder seiner Entwicklungsabteilung. Man muss Menschen motivieren und zusammenbringen. Am KIT in Karlsruhe hat man etwa die Nutzung von Erdwärme erforscht und die Befürchtung gehabt, gegen derartige Technologien könnte es gesellschaftlichen Widerstand geben. Deshalb hat man aber frühzeitig die Bevölkerung eingebunden. Man hat Bürger befragt, sie zu Messungen eingeladen, um Unterstützung gebeten. Das Learning: Wenn sich Menschen etwas zu eigen machen, dann stehen sie auch dahinter. Das trägt zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei.