Table.Briefing: Research

Rüstungsindustrie erfreut über BMBF-Pläne + Chipindustrie droht Fachkräftemangel + Kölner Unirektor Mukherjee in der Kritik

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Universität zu Köln hat die Debatte um eine Cancel Culture in der Wissenschaft um eine Facette bereichert: Nicht mehr nur “wer darf reden” wird jetzt diskutiert, sondern auch “wer darf einen Preis oder eine Ehrung bekommen?”. Hintergrund ist die Ausladung der US-Philosophin Nancy Fraser, die im Rahmen der von der Uni vergebenen Albertus-Magnus-Professur sprechen sollte.  

Allerdings hatte sie im November einen Brief unterzeichnet, der unter anderem zum Boykott wissenschaftlicher Institutionen in Israel aufrief. Für Kölns Rektor Joybrato Mukherjee, der auch DAAD-Präsident ist, offensichtlich ein Grund, diese besondere Ehrung zurückzuziehen. Ob damit nun ein Präzedenzfall geschaffen ist und künftig akademische Ehrungen und Preise nur noch nach sorgfältiger Prüfung der politischen Ansichten vergeben werden, ist Gegenstand einer heftigen Debatte. Die Details lesen Sie heute in unserer News zu dem Thema. 

Auch an anderer Stelle sind Diskussionen in den Hochschulen zu erwarten. In einem Positionspapier zur Forschungssicherheit hält das BMBF fest, dass “ergebnisoffen” diskutiert werden solle, ob die Zivilklauseln an den Hochschulen “angesichts der veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen noch angemessen sind”. Nicola Kuhrt berichtet, dass immerhin die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie diesen Punkt gut findet. 

Eine ausgewogene Lektüre wünscht, 

Ihr
Markus Weisskopf
Bild von Markus  Weisskopf

Analyse

Zeitenwende: Rüstungsindustrie begrüßt BMBF-Positionspapier 

“Wir erleben eine Zeitenwende, die weite Bereiche unseres Lebens erfasst. Maßgeblich dafür ist u. a. der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine mit seinen gravierenden Folgen”, heißt es im Positionspapier Forschungssicherheit des Bundesforschungsministeriums (BMBF), veröffentlicht am 15. März. “Gleichzeitig müssen wir die technologische Souveränität Deutschlands und Europas stärken.” Ein “umfassender Prozess” müsse das Ziel verfolgen, die Wissenschaftsfreiheit zu schützen, Risiken zu minimieren und Spielräume für die Kooperation zwischen ziviler und militärischer Forschung zu eröffnen, erklärt eine BMBF-Sprecherin.

Rüstungsindustrie nennt Positionspapier verdienstvollen Schritt 

Das BMBF befinde sich in einem “intensiven Austausch mit einschlägigen Akteuren des Wissenschaftssystems”, so habe es im Juli 2023 einen Workshop gegeben, bei dem “zahlreiche Impulse aufgenommen” wurden. Ein weiterer wichtiger Schritt sei ein Austausch mit der Allianz der Wissenschaftsorganisationen über Standards, Strukturen, Verfahren und Bewusstseinsbildung zum Thema Forschungssicherheit im März 2024 gewesen. Dieser Dialogprozess werde fortgesetzt. “Weitere Gespräche mit relevanten staatlichen Stellen, denen wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorgreifen können, sind bereits avisiert.” 

In dem Positionspapier heißt es:  

  • Die teilweise strikte Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung in Deutschland soll hinterfragt werden. Das hätten die Münchener Sicherheitskonferenz in diesem Jahr sowie das Jahresgutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation deutlich gemacht. 
  • Das BMBF will prüfen, inwieweit Förderanreize für die verstärkte Kooperation zwischen ziviler und militärischer Forschung in geeigneten Bereichen sinnvoll sind. Eine Förderung von zielgerichteter militärischer Forschung sei aber nicht geplant.
  • Spitzenforschung sei zwar ohne internationale Zusammenarbeit nicht mehr denkbar, doch Maßnahmen zum Schutz der Forschungssicherheit müssen gesetzt werden – dabei aber in einem angemessenen Verhältnis zu den Gefahren stehen.
  • Im Wissenschaftssystem soll ein breiteres Bewusstsein und Wissen für die Risiken, denen Forschung zunehmend ausgesetzt ist, geschaffen und verankert werden. Das BMBF wird die Überprüfung und (Weiter-)Entwicklung entsprechender Leitlinien und Instrumente durch die Wissenschaft aktiv begleiten.  
  • Das BMBF schlägt eine zentrale Informationsplattform zur Forschungssicherheit und eine Clearingstelle vor, die wissenschaftliches Personal und Wissenschaftseinrichtungen beim Risikomanagement sicherheitskritischer Technologien in internationalen Forschungskooperationen unterstützt.  
  • Es soll ergebnisoffen diskutiert werden, ob die unterschiedlich ausgestalteten Zivilklauseln angesichts der veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen noch angemessen sind und wie
    Zivilklauseln zweckmäßig ausgestaltet werden können.

BDSV: Zivilklauseln de facto Verbote rüstungsbezogener Forschung 

Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) sieht den Vorstoß des BMBF im Lichte der “Zeitenwende” als absolut verdienstvoll an. Dies habe nicht zuletzt damit zu tun, dass man als Industrie – der BDSV hat rund 200 Mitgliedsunternehmen wie Airbus, Diehl Defence oder Heckler und Koch – darauf angewiesen ist, dass Forschungseinrichtungen, mit denen man zusammenarbeite, ihrerseits dieselben Sicherheitsstandards anwenden, wie man dies als Industrie tue.  

“Insbesondere begrüßen wir die klare Aussage des BMBF-Positionspapiers, wonach die immer noch an über 70 deutschen Hochschulen praktizierten sogenannten Zivilklauseln, hinter denen sich de facto Verbote militär- oder rüstungsbezogener Forschung verbergen, mit dem veränderten geopolitischen Rahmen um uns herum nicht mehr kompatibel sind”, sagt Atzpodien. 

Aus Sicht des BDSV seien diese Verbote Ausdruck eines vergangenen Zeitgeistes, der mit dem Ruf des Verteidigungsministers nach einer kriegstüchtigen Bundeswehr und der gesamtgesellschaftlichen Notwendigkeit, Resilienz als umfassende Aufgabe anzunehmen, nicht mehr vereinbar ist.  

Allianz diskutiert das Papier, acatech fühlt sich bestätigt 

“Das Positionspapier ist Gegenstand der Diskussion in der Allianz”, erklärt Christina Beck, Leiterin der Kommunikation der Max-Planck-Gesellschaft. Die MPG hat momentan den Vorsitz der Vereinigung der Forschungseinrichtungen inne. In allen Organisationen gebe es derzeit Überlegungen, wie sich mehr Forschungssicherheit erreichen lässt, ohne die Forschung an sich zu stark einzuschränken. Alle Maßnahmen müssen daher wohlüberlegt und schließlich auch alltagstauglich umsetzbar sein. “Die Allianz ist im Austausch mit dem BMBF.” 

Seitens der acatech wird der Vorstoß des BMBF begrüßt. Der Vorschlag ziele insgesamt auf eine Intensivierung der Debatte innerhalb der wissenschaftlichen Selbstverwaltung, erklärt ein Sprecher. Diesen Bedarf an Reflexion und Selbstregulierung habe acatech im Impuls “Sicherheit, Resilienz, Nachhaltigkeit” im Juni 2022 deutlich gemacht, “eine stärkere Zusammenarbeit der vielen forschenden Einrichtungen in diesen komplexen Fragen wäre begrüßenswert, damit aus vielen verschiedenen Ansätzen ein lernendes System entstehen kann. Generell gehört die Neuaushandlung von Prioritäten in diesem Bereich in die wissenschaftliche Selbstverwaltung.” 

  • Acatech
  • Allianz der Wissenschaftsorganisationen
  • Bettina Stark-Watzinger
  • BMBF
  • Forschungspolitik
  • Forschungssicherheit
  • Max-Planck-Gesellschaft
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Gentechnik: Deutschland fehlt es an Fachberatern

Die medizinische Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen oder mit Krebsdiagnosen soll durch die Sequenzierung des Erbguts der Patienten verbessert werden. Die Betroffenen bekommen durch die umfassende Genanalytik im besten Fall schnellere Diagnosen, bessere Therapien und präzisere Prognosen für ihre Krankheit. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) will in den nächsten Monaten das Modellvorhaben Genomsequenzierung starten, das die Einbeziehung von genetischer Diagnostik als normale Kassenleistung der Gesundheitsversorgung vorbereiten soll. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung personalisierte Medizin. In der fünfjährigen Erprobungsphase sollen die Durchführung, Qualitätssicherung und Datenverarbeitung für genetische Untersuchungen im medizinischen Alltag getestet werden.

Doch der hohe Anspruch des BMG droht am fehlenden Personal für die Beratung der Betroffenen zu scheitern. Denn in Deutschland gibt es nur etwa 400 praktizierende Fachärzte für Humangenetik. Diese Spezialisten sollen nicht nur in die Diagnostik eingebunden sein und die Aufklärungsarbeit vor der Untersuchung leisten. Zu ihrem Aufgabenfeld gehört auch die zeitaufwändige humangenetische Beratung von Patienten und ihren Familien vor und nach der Diagnose. Sie sollen die Fragen von anderen Ratsuchenden beantworten und zudem die in der Gesundheitsversorgung tätigen Ärztinnen und Ärzte beraten, wenn sie genetische Diagnostik einsetzen wollen oder von ihren Patienten danach gefragt werden.

Schon heute zu wenig Beratungskapazitäten

Die geringe Zahl der Fachärzte wird kaum ausreichen, um die durch das Modellvorhaben anstehenden Aufgaben zu erfüllen. “Schon heute können wir in Deutschland dem Bedarf an genetischer Aufklärung und Beratung unserer Patienten nicht gerecht werden”, sagt Christian Schaaf, Direktor des Instituts für Humangenetik am Universitätsklinikum Heidelberg. “In den genetischen Polikliniken in Deutschland ist es nicht leicht, einen Termin zu bekommen, und auch bei den niedergelassenen Kollegen gibt es erhebliche Wartezeiten”, sagt er. Trotzdem befürwortet er das Modellvorhaben als “den richtigen Weg”. “Wir sind das den Patienten schuldig”, sagt Schaaf im Gespräch mit Table.Briefings.

Das Personalproblem könnte gelindert werden, wenn in Deutschland eine Tätigkeit anerkannt würde, die in vielen anderen Ländern seit Jahrzehnten fester Bestandteil des Gesundheitswesens ist: der Beruf des genetischen Fachberaters. “Die Anforderungen dieses Berufsbilds sind in Europa in einem international anerkannten Curriculum des European Board of Medical Genetics (EBMG) auf Ebene eines Masterstudiengangs festgelegt”, sagt Gunda Schwaninger von der Uni Innsbruck. Sie leitet den einzigen deutschsprachigen Studiengang für Genetic Counsellors. Er kombiniert evidenzbasiertes Wissen im Bereich der Genetik, Genomik und Gendiagnostik mit den nötigen Fähigkeiten zur Kommunikation schwieriger Themen und teils trauriger Nachrichten.

Berufsbegleitendes Studium

Die Studierenden lernen berufsbegleitend in fünf Semestern Dokumentation, Aufklärung, Informationsweitergabe und psychosoziale Beratungsaspekte im individuellen Kontext der Ratsuchenden. Diese Beratung umfasst häufig nicht nur den erkrankten Patienten, sondern oft die gesamte Familie, die mit den Konsequenzen eines Gendefekts im Erbgut klarkommen muss.

“Viele der Studierenden sind bereits vor dem Studium in anderen Funktionen in einer Einrichtung für Humangenetik oder seltene Erkrankungen beschäftigt und werden von ihren Arbeitgebern bei der Zusatzausbildung zum Genetic Counsellor unterstützt”, sagt Schwaninger im Gespräch mit Table.Briefings. Die Motivation dieser Einrichtungen sei der stetig wachsende Bedarf an spezialisiert qualifizierten Personen, die in der genetischen Sprechstunde benötigt würden. Die Absolventen arbeiten unter Leitung von Fachärztinnen und -ärzten für Humangenetik in medizinisch-genetischen Teams und übernehmen dort Aufgaben in der Beratung zu erblichen Erkrankungen.

Schwaninger wurde in Großbritannien ausgebildet, wo das Masterstudium bereits seit 1992 etabliert ist. Genetische Fachberater sind in 18 europäischen Ländern anerkannt. In Innsbruck gibt es die Ausbildung seit 2019. Deutsche Universitäten bieten diesen Abschluss aber nicht an.

Ethikrat empfahl Prüfung bereits 2013

Dabei wird das neu zu schaffende Berufsbild auch hierzulande schon länger diskutiert. Der deutsche Ethikrat hat bereits 2013 in einer Stellungnahme zur Zukunft der genetischen Diagnostik gefordert, dass “die Erfahrungen anderer Staaten mit dem Berufsbild des genetischen Beraters ausgewertet werden, um zu prüfen, ob ein entsprechender Beruf auch in Deutschland eingeführt werden sollte”. Das Gremium befürchtete schon damals, dass angesichts der Flut von Informationen und der Häufigkeit der Anwendung die umfassende Beratung allein durch Hausärzte oder Fachärzte nicht mehr ohne Weiteres erwartet werden könne. “Erklärt man die jetzige Form der ärztlichen Beratung für allein maßgeblich, lässt man die offensichtlich zunehmende Zahl von Menschen, die Gentests nachfragen, mit oftmals unseriösen Internetangeboten allein”, hieß es damals.

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Termine

10. / 11. April 2024, GenoHotel Karlsruhe, Am Rüppurrer Schloss 40, Karlsruhe
Konferenz “Digitalisierung weiterdenken – Künstliche Intelligenz in Lehrorganisation und Hochschulverwaltung” Mehr

22. April 2024, 10:30 bis 16:15 Uhr, Hannover Messe
Gipfel für Forschung und Innovation 2024 “Innovationen in Europa – Katalysatoren, Kompetenzen und Kooperationen am Beispiel von KI” Mehr

24. April 2024 , 19 Uhr, Berliner Sparkasse Alexanderplatz 2, Berlin
Gespräch Junge Akademie: Irritieren Sie mich – Geld aus dem Nichts Mehr

29. April 2024, 18 Uhr, Akademiegebäude am Gendarmenmarkt, Leibniz-Saal, Markgrafenstraße 38, 10117 Berlin
Podiumsdiskussion “Zum Stand der Wissenschaftsfreiheit in Europa” Mehr

6. Mai 2024, 11:30 – 19:30 Uhr, Säälchen, Holzmarktstraße 25, 10243 Berlin
RWTH: Next Generation University: Knowledge Sharing Event “Transformation – Transfer – Impact” Mehr

15./16. Mai 2024, Katholische Akademie in Bayern, Mandlstraße 23, 80802 München
XVII. Hochschulsymposium der Schleyer-Stiftung in Kooperation mit Heinz Nixdorf Stiftung und TU München “Nachhaltigkeit in der Wissenschaft: Notwendigkeiten neuer Formen der Zusammenarbeit” Mehr

27./28. Mai 2024, Dresden/International Congress Center Conference
Konferenz “Building Bridges for a Net Zero Future” Mehr

News

Neue Chip-Fabriken: Bund bestätigt drohenden und großen Fachkräftemangel 

In Deutschland zeichnet sich ein deutlicher Fachkräftemangel in den Bereichen IT und Elektrotechnik ab. Derzeit sind 445.000 IT-Fachkräfte in der Branche tätig, darunter 6.000 Beschäftigte in der Mikrosystemtechnik. Bis zum Jahr 2027 wird ein signifikanter Rückgang erwartet: 65.000 Beschäftigte werden in Rente gehen, weitere 29.000 das Berufsfeld verlassen.  

Demgegenüber stehen lediglich 89.000 Absolventen in den relevanten Fachgebieten, die den Bedarf bei weitem nicht decken können. Das schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort (20/10844) auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion (20/10588). 

Nach Informationen der Bundesregierung wird der Fachkräftebedarf im Bereich Mikroelektronik in der EU in den Jahren 2022 bis 2030 um insgesamt 200.000 Menschen steigen. 

Auch Deutschland sei mit dieser Entwicklung konfrontiert. Der Wirtschafts- und Investitionsstandort Deutschland stehe durch die Ausbauten und Neuansiedlung von Chip-Fabriken vor großen Herausforderungen. 

Fachkräftemangel in der IT: Bund sieht alle Akteure in der Pflicht 

Mit dem Important Project of Common European Interest (IPCEI) unterstützte man deutsche Unternehmen mit insgesamt rund einer Milliarde Euro Fördermitteln, es sollen insgesamt 3.200 direkte neue Arbeitsplätze in Deutschland entstehen, heißt es in der Antwort der Bundesregierung weiter. Darüber hinaus plane man Großinvestitionen im Rahmen des European Chips Act, etwa Intel in Magdeburg, das Joint Venture von TSMC (LINK) mit NXP Deutschland, Infineon Technologies und Bosch sowie von Infineon in Dresden. (LINK) 

Derzeit prüfe der Bund die Entwicklung einer Halbleiter-Forschungs- und Weiterbildungsstrategie, “wo weitere Impulse gesetzt werden können”. Aber: Aus Sicht der Bundesregierung bedürfe es eines “synergetischen Wirkens aller Akteure, um den Herausforderungen des Fachkräftebedarfs in der Mikroelektronik zu begegnen.” 

CDU: Subvention der Mikroelektronik ohne strategische Verzahnung “hochriskant” 

Die CDU-Fraktion hatte sich in ihrer KA im März nach dem Fachkräftebedarf im Bereich Mikroelektronik erkundigt. Deutschland investiere im Rahmen des European Chips Act mit rund 48 Milliarden Euro “in erheblicher Weise und wie kein zweites Land in der Europäischen Union” in den Ausbau von Fertigungskapazitäten. Limitierender Faktor sei der weltweite Fachkräfteengpass. 

Der von der Regierung verfolgte Ansatz von milliardenschweren Subventionen in Fabriken ohne eine strategische Verzahnung mit einer großangelegten Fachkräfteinitiative im Bereich Mikroelektronik erscheine als “hochriskant”, kritisieren die CDU/CSU-Abgeordneten. Und das sehen nicht nur die CDU-Politiker so. 

Haushaltsausschuss verlangt Strategie für mehr Fachkräfte in der Chipindustrie

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) war durch den Haushaltsausschuss dazu aufgefordert worden, ein Konzept für eine Fachkräftestrategie vorzulegen sowie “Weiterbildungsmaßnahmen und die Nachwuchsförderung im Bereich der Chipproduktion und des Chipdesigns langfristig zu sichern und zu stärken”. Im Bundeshaushalt 2024 wurden dazu 4,2 Millionen Euro sowie Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 5 Millionen Euro fest eingestellt.  

In Sachen Strategie müsse das BMBF dringend mehr tun und schneller agieren, sagt Thomas Jarzombek (CDU) Table.Briefings. “Es hilft sonst gar nicht, dass der Wirtschaftsminister die Branche mit Milliarden fördert, die Forschungsministerin aber die wichtigsten Schritte verschläft.” Das Ministerium wisse noch nicht einmal exakt, wie viele Fachkräfte gebraucht werden, noch wo es konkret ansetzen müsse. Es brauche dabei nicht nur Akademiker, sondern auch gut ausgebildete Fachkräfte. Die Ausbildung müsse eigentlich nach den Ferien beginnen. nik 

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Modellvorhaben Genomsequenzierung verzögert sich

Der Start des Modellvorhabens Genomsequenzierung verzögert sich weiter. Nachdem der – bereits verschobene – Starttermin zum 1. Januar 2024 nicht gehalten werden konnte, fehlten auch zum 1. April noch wesentliche Komponenten für den Beginn des Vorhabens. 

Rechtsverordnung zum Gesetz fehlt noch 

Die für die Umsetzung des Modellvorhabens seitens des Gesundheitsministeriums erforderlichen gesetzlichen Anpassungen traten am 31. März 2024 in Kraft. Allerdings fehlt noch die zugehörige Rechtsverordnung. Zu dieser können noch bis zum 10. April Stellungnahmen eingereicht werden. Nach einer Überarbeitung bedarf es dann noch der Zustimmung des Bundesrats. Damit wird die Verordnung wohl frühestens kurz vor der Sommerpause in Kraft treten. Daran hängt auch die Finalisierung des Vertrags zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV) und den teilnahmeberechtigten Universitätskliniken, in dem es insbesondere um die Abrechnung der Leistungen geht.  

Ziel ist die Zusammenführung klinischer und genomischer Daten 

Grundlage des Modellvorhabens ist die umfangreiche Sequenzierung von Patientengenomen. Um das zu erreichen, werden diese Erbgutanalysen in die Regelversorgung überführt und zur Kassenleistung. Die gewonnenen klinischen und genomischen Daten werden in einer Dateninfrastruktur zusammengeführt. Diese erleichtert eine Analyse der gewonnenen Daten zur Verbesserung der medizinischen Versorgung. Aber auch die Forschung und Entwicklung soll von dem Aufbau eines sicheren Datenbanksystems profitieren. Unter anderem Biontech hatte im vergangenen Jahr kritisiert, dass in Deutschland diese Verknüpfung von klinischen und genomischen Daten bisher nicht möglich sei und ein Forschungszentrum zur Entwicklung personalisierter mRNA-Krebsimmuntherapien in Großbritannien aufgebaut

Die im Modellvorhaben entwickelte Dateninfrastruktur und die Datensätze sollen dabei auch mit dem Europäischen Gesundheitsdatenraum und mit der 1+ Million Genomes-Initiative kompatibel und interoperabel sein. Doch gerade auch der Aufbau der technischen Infrastruktur beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist von den Verzögerungen betroffen. Hier können anscheinend ohne die verbindliche Rechtsverordnung keine externen Aufträge ausgelöst werden.

Schrittweiser Start denkbar 

Viele der beteiligten Akteure hoffen, dass bereits vor der Fertigstellung der kompletten Dateninfrastruktur Patienten mit onkologischen und seltenen Erkrankungen vom Modellversuch profitieren können. Dann brauche es allerdings eine Übergangslösung für die Vergütung, denn diese hängt an der Zulieferung der Daten. Wie schnell dann auch Fachpersonal zur Beratung der Patienten zur Verfügung steht, bleibt abzuwarten. mw

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Kölner Unirektor Mukherjee wegen Absage an Nancy Fraser in der Kritik 

US-Philosophin Nancy Fraser 2015 in Lüttich.
US-Philosophin Nancy Fraser 2015 in Lüttich.

Nancy Fraser wird an der Universität zu Köln keine Vorträge im Rahmen einer Albertus-Magnus-Gastprofessur halten. Das entschied Rektor Joybrato Mukherjee. Der Grund: Nancy Fraser hatte den offenen Brief “Philosophy for Palestine” im November 2023 unterzeichnet. In diesem Brief werde “das Existenzrecht Israels als ‘ethno-suprematistischer Staat’ seit seiner Gründung 1948 faktisch infrage gestellt”, heißt es in der Stellungnahme der Universität

BMBF-Staatssekretärin begrüßt die Entscheidung der Uni 

Für die einen ist der Vorgang ein Debakel, für andere ganz normal. Sabine Döring, Staatssekretärin im BMBF, sieht in der Entscheidung der Universität kein Canceln. Sie und auch andere Kommentatoren folgen der Argumentation Mukherjees; eine Person, die zum Boykott wissenschaftlicher Einrichtungen in Israel aufrufe, könne keine besondere Ehrung der Universität bekommen. 

Auf der anderen Seite stehen die Reaktionen vieler Wissenschaftler, aber auch von Nancy Fraser selbst sowie der New School for Social Research, an der Fraser beheimatet ist. Von einem “nicht akzeptablen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit” schreibt die New School. Fraser selbst beklagt in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau einen “philosemitischen McCarthyismus” in Deutschland. Dieser sei “eine Möglichkeit, Leute zum Schweigen zu bringen, unter dem Vorwand, dass man sich angeblich für Juden einsetzt”. 

Uni Köln: Kollegen können Fraser einladen 

Die Kölner Universität betont hingegen, dass es ihr nicht darum gehe, öffentliche Vorträge von Fraser in Deutschland zu verhindern. Auch in Köln sei sie willkommen und könne “auf Einladung einer Kollegin oder eines Kollegen grundsätzlich eine Vorlesung halten und auch ihre Positionen deutlich machen”. Es gehe hier darum, dass eine besondere Ehrung im Rahmen der Albertus-Magnus-Professur nicht vereinbar sei mit den besonderen Beziehungen der Uni zu israelischen Partnerinstitutionen und der aktuellen Situation im Nahen Osten. 

Akademische Ehrungen: Wo sind die Grenzen des Sagbaren? 

Aus der deutschen Wissenschaftscommunity gibt es teilweise Verständnis. Schließlich nutze Faser ihre Position und Prominenz für ihre politischen Statements. Damit seien diese keine privaten Meinungsäußerungen und müssten dann eben auch in eine Bewertung einfließen, wenn es um Ehrungen gehe. 

Es gibt aber auch kritische Stimmen. Wo sei denn die Grenze des Sagbaren, wenn man sich nicht für akademische Ehrungen disqualifizieren wolle, heißt es. Müsse man in Zukunft auch die Leibniz-Preisträger durchchecken? Und wäre das dann nicht eine Gesinnungsprüfung? Auch die Frage, wann derartige Statements verjährt seien oder wie hochrangig ein Preis sein müsse, damit der Preisträger bestimmte, zusätzliche Kriterien erfüllen solle, treibt die Akteure um. Einige fordern, dass DFG oder HRK eine Orientierung geben sollten, damit nicht jeder neue Fall die gleiche Grundsatzdiskussion entzündet. mw 

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Nobelpreisträger Thomas Südhof reagiert mit Transparenz-Offensive auf Vorwürfe von Plagiatsjägern

Als Medizinnobelpreisträger wurde Thomas Südhof vor gut zehn Jahren bekannt. Nun hat der aus Deutschland stammende, an der Stanford University in Kalifornien forschende Neurowissenschaftler mit negativen Schlagzeilen zu kämpfen. In mehreren seiner Publikationen wurden Fehler entdeckt, es geht vor allem um duplizierte Abbildungen. Offenbar handelt es sich eher um Flüchtigkeitsfehler, dennoch lässt der Vorgang viele Wissenschaftler aufhorchen.

Die Plagiatsjägerin Elisabeth Bik hat auf die Fehler aufmerksam gemacht. Die niederländische Mikrobiologin ist bekannt – und anerkannt – für das Aufdecken von wissenschaftlichem Fehlverhalten. Sie ist spezialisiert auf das Erkennen von Bildmanipulationen und postet ihre Ergebnisse auf der Plattform PubPeer. Bik hat Südhofs Veröffentlichungen schon länger im Visier, die ersten Vorwürfe wurden 2018 öffentlich. Insgesamt stehen bei PubPeer inzwischen 23 seiner Paper unter Verdacht, drei davon, wie das Magazin Transmitter berichtet, erst seit Kurzem.

Südhof nennt Fehlerquote erstaunlich gering

Biks Recherchen, für die sie zunehmend auch KI-Methoden nutzt, hatten bereits Konsequenzen. Anfang März hatten Südhof und sein Team eine im Jahr 2023 im Fachmagazin PNAS erschienene Publikation zurückgezogen, weil bei einer Neuanalyse “unlösbare Unterschiede” zwischen den Rohdaten und der veröffentlichten Datenquelldatei entdeckt worden waren. Zudem wurden im vergangenen Jahr bereits fünf andere Veröffentlichungen korrigiert.

Auf einer auf seiner Lab-Homepage eingerichteten Unterseite zum Thema Integrität räumt Südhof einerseits Fehler ein, bezeichnet sie aber als zumeist klein und bestreitet, dass es ein systematisches Problem gebe. Wenn bei einer intensiven, teils mithilfe von KI vorgenommenen Prüfung von mehr als 600 Arbeiten mit mehr als 10.000 Bildern nur rund 20 Fehler festgestellt werden, sei das eine erstaunlich geringe Fehlerquote und eher ein Zeichen dafür, wie gut Wissenschaft funktioniere. Südhof hat offenbar die jeweiligen Zeitschriften über die Fehler informiert – und auch darüber, dass sie sich nicht auf die Ergebnisse der Arbeiten auswirken.

Ulrich Dirnagl lobt Aufarbeitung auf der Website als vorbildlich

Lob für den Umgang mit den Vorwürfen erhält Südhof von Ulrich Dirnagl, Leiter des Quest Center for Responsible Research am Berlin Institute of Health. Südhof sei ein Vorreiter solider Wissenschaft und diesem Anspruch auch im Umgang mit den Vorwürfen gerecht geworden, sagt Dirnagl auf Anfrage von Table.Briefings. “Alle PubPeer-Kommentare wurden immer zeitnah und ernsthaft, also wissenschaftlich, beantwortet. Viele der Kritikpunkte konnten so entkräftet werden.” Dort, wo Fehler gefunden wurden, habe Südhof diese zugegeben und korrigiert. “Die Aufarbeitung auf seiner Website ist vorbildlich.”

Dirnagl ordnet die Fehler als “honest errors” ein. “Betrügereien sind für mich nicht erkennbar.” Wissenschaft und ihre Methoden sind komplex, Fehler werden gemacht, sagt er. “Es kommt aber darauf an, sie zu minimieren, und aus den Fehlern, die wir machen, zu lernen.” Deshalb seien Plattformen wie PubPeer eine tolle Sache. “Der normale Peer-Review-Prozess versagt als Qualitätskontrolle.” Zugleich sieht Dirnagl “die große Gefahr, dass trotz der zumeist guten Intentionen derer, die sich die Mühe machen, mögliche Fehler auf PubPeer aufzuzeigen und damit Wissenschaft zu verbessern, statt Fehlerkultur eine denunziatorische Atmosphäre entsteht”. abg

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Personalien

Reinhard Zimmermann, von 2011 bis 2023 Präsident der Studienstiftung, erhält das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse.

Viola Priesemann hat den Young Scientist Award for Socio- and Econophysics der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) erhalten. Die Physikerin forscht am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation und der Universität Göttingen. Der Preis ist mit 7.500 Euro dotiert und würdigt ihre Arbeiten zu Ausbreitungsprozessen in komplexen Systemen.

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Dessert

Weil es den Briten so schwerfällt, fremde Sprachen zu erlernen, haben sie sich im Zuge des Brexits auch aus dem EU-Austauschprogramm für Studierende Erasmus+ ausgeklinkt. Diese traurig-komische Erklärung lieferte der britische Diplomat Nick Leake in der vergangenen Woche auf einer Sitzung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses in Brüssel, wie Politico Europe berichtet.

Leake argumentierte so: Das Vereinigte Königreich habe sich nicht an dem Programm beteiligt, weil es ein Ungleichgewicht gebe. Und zwar zwischen der Unfähigkeit, Sprachen sehr gut zu beherrschen und die Mobilitätsmöglichkeiten im Ausland zu nutzen, und dem Nutzen für diejenigen, die ins Vereinigte Königreich kommen wollen. In Zahlen: London hätte bei dem Programm fast 300 Millionen Euro pro Jahr draufgezahlt.  

Diese Argumentation könnte man einen Zirkelschluss nennen. Oder in Großmutters weisen Worten: “Von nichts kommt nichts.” Anne Brüning

Research.Table Redaktion

RESEARCH.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Universität zu Köln hat die Debatte um eine Cancel Culture in der Wissenschaft um eine Facette bereichert: Nicht mehr nur “wer darf reden” wird jetzt diskutiert, sondern auch “wer darf einen Preis oder eine Ehrung bekommen?”. Hintergrund ist die Ausladung der US-Philosophin Nancy Fraser, die im Rahmen der von der Uni vergebenen Albertus-Magnus-Professur sprechen sollte.  

    Allerdings hatte sie im November einen Brief unterzeichnet, der unter anderem zum Boykott wissenschaftlicher Institutionen in Israel aufrief. Für Kölns Rektor Joybrato Mukherjee, der auch DAAD-Präsident ist, offensichtlich ein Grund, diese besondere Ehrung zurückzuziehen. Ob damit nun ein Präzedenzfall geschaffen ist und künftig akademische Ehrungen und Preise nur noch nach sorgfältiger Prüfung der politischen Ansichten vergeben werden, ist Gegenstand einer heftigen Debatte. Die Details lesen Sie heute in unserer News zu dem Thema. 

    Auch an anderer Stelle sind Diskussionen in den Hochschulen zu erwarten. In einem Positionspapier zur Forschungssicherheit hält das BMBF fest, dass “ergebnisoffen” diskutiert werden solle, ob die Zivilklauseln an den Hochschulen “angesichts der veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen noch angemessen sind”. Nicola Kuhrt berichtet, dass immerhin die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie diesen Punkt gut findet. 

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    Analyse

    Zeitenwende: Rüstungsindustrie begrüßt BMBF-Positionspapier 

    “Wir erleben eine Zeitenwende, die weite Bereiche unseres Lebens erfasst. Maßgeblich dafür ist u. a. der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine mit seinen gravierenden Folgen”, heißt es im Positionspapier Forschungssicherheit des Bundesforschungsministeriums (BMBF), veröffentlicht am 15. März. “Gleichzeitig müssen wir die technologische Souveränität Deutschlands und Europas stärken.” Ein “umfassender Prozess” müsse das Ziel verfolgen, die Wissenschaftsfreiheit zu schützen, Risiken zu minimieren und Spielräume für die Kooperation zwischen ziviler und militärischer Forschung zu eröffnen, erklärt eine BMBF-Sprecherin.

    Rüstungsindustrie nennt Positionspapier verdienstvollen Schritt 

    Das BMBF befinde sich in einem “intensiven Austausch mit einschlägigen Akteuren des Wissenschaftssystems”, so habe es im Juli 2023 einen Workshop gegeben, bei dem “zahlreiche Impulse aufgenommen” wurden. Ein weiterer wichtiger Schritt sei ein Austausch mit der Allianz der Wissenschaftsorganisationen über Standards, Strukturen, Verfahren und Bewusstseinsbildung zum Thema Forschungssicherheit im März 2024 gewesen. Dieser Dialogprozess werde fortgesetzt. “Weitere Gespräche mit relevanten staatlichen Stellen, denen wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorgreifen können, sind bereits avisiert.” 

    In dem Positionspapier heißt es:  

    • Die teilweise strikte Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung in Deutschland soll hinterfragt werden. Das hätten die Münchener Sicherheitskonferenz in diesem Jahr sowie das Jahresgutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation deutlich gemacht. 
    • Das BMBF will prüfen, inwieweit Förderanreize für die verstärkte Kooperation zwischen ziviler und militärischer Forschung in geeigneten Bereichen sinnvoll sind. Eine Förderung von zielgerichteter militärischer Forschung sei aber nicht geplant.
    • Spitzenforschung sei zwar ohne internationale Zusammenarbeit nicht mehr denkbar, doch Maßnahmen zum Schutz der Forschungssicherheit müssen gesetzt werden – dabei aber in einem angemessenen Verhältnis zu den Gefahren stehen.
    • Im Wissenschaftssystem soll ein breiteres Bewusstsein und Wissen für die Risiken, denen Forschung zunehmend ausgesetzt ist, geschaffen und verankert werden. Das BMBF wird die Überprüfung und (Weiter-)Entwicklung entsprechender Leitlinien und Instrumente durch die Wissenschaft aktiv begleiten.  
    • Das BMBF schlägt eine zentrale Informationsplattform zur Forschungssicherheit und eine Clearingstelle vor, die wissenschaftliches Personal und Wissenschaftseinrichtungen beim Risikomanagement sicherheitskritischer Technologien in internationalen Forschungskooperationen unterstützt.  
    • Es soll ergebnisoffen diskutiert werden, ob die unterschiedlich ausgestalteten Zivilklauseln angesichts der veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen noch angemessen sind und wie
      Zivilklauseln zweckmäßig ausgestaltet werden können.

    BDSV: Zivilklauseln de facto Verbote rüstungsbezogener Forschung 

    Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) sieht den Vorstoß des BMBF im Lichte der “Zeitenwende” als absolut verdienstvoll an. Dies habe nicht zuletzt damit zu tun, dass man als Industrie – der BDSV hat rund 200 Mitgliedsunternehmen wie Airbus, Diehl Defence oder Heckler und Koch – darauf angewiesen ist, dass Forschungseinrichtungen, mit denen man zusammenarbeite, ihrerseits dieselben Sicherheitsstandards anwenden, wie man dies als Industrie tue.  

    “Insbesondere begrüßen wir die klare Aussage des BMBF-Positionspapiers, wonach die immer noch an über 70 deutschen Hochschulen praktizierten sogenannten Zivilklauseln, hinter denen sich de facto Verbote militär- oder rüstungsbezogener Forschung verbergen, mit dem veränderten geopolitischen Rahmen um uns herum nicht mehr kompatibel sind”, sagt Atzpodien. 

    Aus Sicht des BDSV seien diese Verbote Ausdruck eines vergangenen Zeitgeistes, der mit dem Ruf des Verteidigungsministers nach einer kriegstüchtigen Bundeswehr und der gesamtgesellschaftlichen Notwendigkeit, Resilienz als umfassende Aufgabe anzunehmen, nicht mehr vereinbar ist.  

    Allianz diskutiert das Papier, acatech fühlt sich bestätigt 

    “Das Positionspapier ist Gegenstand der Diskussion in der Allianz”, erklärt Christina Beck, Leiterin der Kommunikation der Max-Planck-Gesellschaft. Die MPG hat momentan den Vorsitz der Vereinigung der Forschungseinrichtungen inne. In allen Organisationen gebe es derzeit Überlegungen, wie sich mehr Forschungssicherheit erreichen lässt, ohne die Forschung an sich zu stark einzuschränken. Alle Maßnahmen müssen daher wohlüberlegt und schließlich auch alltagstauglich umsetzbar sein. “Die Allianz ist im Austausch mit dem BMBF.” 

    Seitens der acatech wird der Vorstoß des BMBF begrüßt. Der Vorschlag ziele insgesamt auf eine Intensivierung der Debatte innerhalb der wissenschaftlichen Selbstverwaltung, erklärt ein Sprecher. Diesen Bedarf an Reflexion und Selbstregulierung habe acatech im Impuls “Sicherheit, Resilienz, Nachhaltigkeit” im Juni 2022 deutlich gemacht, “eine stärkere Zusammenarbeit der vielen forschenden Einrichtungen in diesen komplexen Fragen wäre begrüßenswert, damit aus vielen verschiedenen Ansätzen ein lernendes System entstehen kann. Generell gehört die Neuaushandlung von Prioritäten in diesem Bereich in die wissenschaftliche Selbstverwaltung.” 

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    Gentechnik: Deutschland fehlt es an Fachberatern

    Die medizinische Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen oder mit Krebsdiagnosen soll durch die Sequenzierung des Erbguts der Patienten verbessert werden. Die Betroffenen bekommen durch die umfassende Genanalytik im besten Fall schnellere Diagnosen, bessere Therapien und präzisere Prognosen für ihre Krankheit. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) will in den nächsten Monaten das Modellvorhaben Genomsequenzierung starten, das die Einbeziehung von genetischer Diagnostik als normale Kassenleistung der Gesundheitsversorgung vorbereiten soll. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung personalisierte Medizin. In der fünfjährigen Erprobungsphase sollen die Durchführung, Qualitätssicherung und Datenverarbeitung für genetische Untersuchungen im medizinischen Alltag getestet werden.

    Doch der hohe Anspruch des BMG droht am fehlenden Personal für die Beratung der Betroffenen zu scheitern. Denn in Deutschland gibt es nur etwa 400 praktizierende Fachärzte für Humangenetik. Diese Spezialisten sollen nicht nur in die Diagnostik eingebunden sein und die Aufklärungsarbeit vor der Untersuchung leisten. Zu ihrem Aufgabenfeld gehört auch die zeitaufwändige humangenetische Beratung von Patienten und ihren Familien vor und nach der Diagnose. Sie sollen die Fragen von anderen Ratsuchenden beantworten und zudem die in der Gesundheitsversorgung tätigen Ärztinnen und Ärzte beraten, wenn sie genetische Diagnostik einsetzen wollen oder von ihren Patienten danach gefragt werden.

    Schon heute zu wenig Beratungskapazitäten

    Die geringe Zahl der Fachärzte wird kaum ausreichen, um die durch das Modellvorhaben anstehenden Aufgaben zu erfüllen. “Schon heute können wir in Deutschland dem Bedarf an genetischer Aufklärung und Beratung unserer Patienten nicht gerecht werden”, sagt Christian Schaaf, Direktor des Instituts für Humangenetik am Universitätsklinikum Heidelberg. “In den genetischen Polikliniken in Deutschland ist es nicht leicht, einen Termin zu bekommen, und auch bei den niedergelassenen Kollegen gibt es erhebliche Wartezeiten”, sagt er. Trotzdem befürwortet er das Modellvorhaben als “den richtigen Weg”. “Wir sind das den Patienten schuldig”, sagt Schaaf im Gespräch mit Table.Briefings.

    Das Personalproblem könnte gelindert werden, wenn in Deutschland eine Tätigkeit anerkannt würde, die in vielen anderen Ländern seit Jahrzehnten fester Bestandteil des Gesundheitswesens ist: der Beruf des genetischen Fachberaters. “Die Anforderungen dieses Berufsbilds sind in Europa in einem international anerkannten Curriculum des European Board of Medical Genetics (EBMG) auf Ebene eines Masterstudiengangs festgelegt”, sagt Gunda Schwaninger von der Uni Innsbruck. Sie leitet den einzigen deutschsprachigen Studiengang für Genetic Counsellors. Er kombiniert evidenzbasiertes Wissen im Bereich der Genetik, Genomik und Gendiagnostik mit den nötigen Fähigkeiten zur Kommunikation schwieriger Themen und teils trauriger Nachrichten.

    Berufsbegleitendes Studium

    Die Studierenden lernen berufsbegleitend in fünf Semestern Dokumentation, Aufklärung, Informationsweitergabe und psychosoziale Beratungsaspekte im individuellen Kontext der Ratsuchenden. Diese Beratung umfasst häufig nicht nur den erkrankten Patienten, sondern oft die gesamte Familie, die mit den Konsequenzen eines Gendefekts im Erbgut klarkommen muss.

    “Viele der Studierenden sind bereits vor dem Studium in anderen Funktionen in einer Einrichtung für Humangenetik oder seltene Erkrankungen beschäftigt und werden von ihren Arbeitgebern bei der Zusatzausbildung zum Genetic Counsellor unterstützt”, sagt Schwaninger im Gespräch mit Table.Briefings. Die Motivation dieser Einrichtungen sei der stetig wachsende Bedarf an spezialisiert qualifizierten Personen, die in der genetischen Sprechstunde benötigt würden. Die Absolventen arbeiten unter Leitung von Fachärztinnen und -ärzten für Humangenetik in medizinisch-genetischen Teams und übernehmen dort Aufgaben in der Beratung zu erblichen Erkrankungen.

    Schwaninger wurde in Großbritannien ausgebildet, wo das Masterstudium bereits seit 1992 etabliert ist. Genetische Fachberater sind in 18 europäischen Ländern anerkannt. In Innsbruck gibt es die Ausbildung seit 2019. Deutsche Universitäten bieten diesen Abschluss aber nicht an.

    Ethikrat empfahl Prüfung bereits 2013

    Dabei wird das neu zu schaffende Berufsbild auch hierzulande schon länger diskutiert. Der deutsche Ethikrat hat bereits 2013 in einer Stellungnahme zur Zukunft der genetischen Diagnostik gefordert, dass “die Erfahrungen anderer Staaten mit dem Berufsbild des genetischen Beraters ausgewertet werden, um zu prüfen, ob ein entsprechender Beruf auch in Deutschland eingeführt werden sollte”. Das Gremium befürchtete schon damals, dass angesichts der Flut von Informationen und der Häufigkeit der Anwendung die umfassende Beratung allein durch Hausärzte oder Fachärzte nicht mehr ohne Weiteres erwartet werden könne. “Erklärt man die jetzige Form der ärztlichen Beratung für allein maßgeblich, lässt man die offensichtlich zunehmende Zahl von Menschen, die Gentests nachfragen, mit oftmals unseriösen Internetangeboten allein”, hieß es damals.

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    Termine

    10. / 11. April 2024, GenoHotel Karlsruhe, Am Rüppurrer Schloss 40, Karlsruhe
    Konferenz “Digitalisierung weiterdenken – Künstliche Intelligenz in Lehrorganisation und Hochschulverwaltung” Mehr

    22. April 2024, 10:30 bis 16:15 Uhr, Hannover Messe
    Gipfel für Forschung und Innovation 2024 “Innovationen in Europa – Katalysatoren, Kompetenzen und Kooperationen am Beispiel von KI” Mehr

    24. April 2024 , 19 Uhr, Berliner Sparkasse Alexanderplatz 2, Berlin
    Gespräch Junge Akademie: Irritieren Sie mich – Geld aus dem Nichts Mehr

    29. April 2024, 18 Uhr, Akademiegebäude am Gendarmenmarkt, Leibniz-Saal, Markgrafenstraße 38, 10117 Berlin
    Podiumsdiskussion “Zum Stand der Wissenschaftsfreiheit in Europa” Mehr

    6. Mai 2024, 11:30 – 19:30 Uhr, Säälchen, Holzmarktstraße 25, 10243 Berlin
    RWTH: Next Generation University: Knowledge Sharing Event “Transformation – Transfer – Impact” Mehr

    15./16. Mai 2024, Katholische Akademie in Bayern, Mandlstraße 23, 80802 München
    XVII. Hochschulsymposium der Schleyer-Stiftung in Kooperation mit Heinz Nixdorf Stiftung und TU München “Nachhaltigkeit in der Wissenschaft: Notwendigkeiten neuer Formen der Zusammenarbeit” Mehr

    27./28. Mai 2024, Dresden/International Congress Center Conference
    Konferenz “Building Bridges for a Net Zero Future” Mehr

    News

    Neue Chip-Fabriken: Bund bestätigt drohenden und großen Fachkräftemangel 

    In Deutschland zeichnet sich ein deutlicher Fachkräftemangel in den Bereichen IT und Elektrotechnik ab. Derzeit sind 445.000 IT-Fachkräfte in der Branche tätig, darunter 6.000 Beschäftigte in der Mikrosystemtechnik. Bis zum Jahr 2027 wird ein signifikanter Rückgang erwartet: 65.000 Beschäftigte werden in Rente gehen, weitere 29.000 das Berufsfeld verlassen.  

    Demgegenüber stehen lediglich 89.000 Absolventen in den relevanten Fachgebieten, die den Bedarf bei weitem nicht decken können. Das schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort (20/10844) auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion (20/10588). 

    Nach Informationen der Bundesregierung wird der Fachkräftebedarf im Bereich Mikroelektronik in der EU in den Jahren 2022 bis 2030 um insgesamt 200.000 Menschen steigen. 

    Auch Deutschland sei mit dieser Entwicklung konfrontiert. Der Wirtschafts- und Investitionsstandort Deutschland stehe durch die Ausbauten und Neuansiedlung von Chip-Fabriken vor großen Herausforderungen. 

    Fachkräftemangel in der IT: Bund sieht alle Akteure in der Pflicht 

    Mit dem Important Project of Common European Interest (IPCEI) unterstützte man deutsche Unternehmen mit insgesamt rund einer Milliarde Euro Fördermitteln, es sollen insgesamt 3.200 direkte neue Arbeitsplätze in Deutschland entstehen, heißt es in der Antwort der Bundesregierung weiter. Darüber hinaus plane man Großinvestitionen im Rahmen des European Chips Act, etwa Intel in Magdeburg, das Joint Venture von TSMC (LINK) mit NXP Deutschland, Infineon Technologies und Bosch sowie von Infineon in Dresden. (LINK) 

    Derzeit prüfe der Bund die Entwicklung einer Halbleiter-Forschungs- und Weiterbildungsstrategie, “wo weitere Impulse gesetzt werden können”. Aber: Aus Sicht der Bundesregierung bedürfe es eines “synergetischen Wirkens aller Akteure, um den Herausforderungen des Fachkräftebedarfs in der Mikroelektronik zu begegnen.” 

    CDU: Subvention der Mikroelektronik ohne strategische Verzahnung “hochriskant” 

    Die CDU-Fraktion hatte sich in ihrer KA im März nach dem Fachkräftebedarf im Bereich Mikroelektronik erkundigt. Deutschland investiere im Rahmen des European Chips Act mit rund 48 Milliarden Euro “in erheblicher Weise und wie kein zweites Land in der Europäischen Union” in den Ausbau von Fertigungskapazitäten. Limitierender Faktor sei der weltweite Fachkräfteengpass. 

    Der von der Regierung verfolgte Ansatz von milliardenschweren Subventionen in Fabriken ohne eine strategische Verzahnung mit einer großangelegten Fachkräfteinitiative im Bereich Mikroelektronik erscheine als “hochriskant”, kritisieren die CDU/CSU-Abgeordneten. Und das sehen nicht nur die CDU-Politiker so. 

    Haushaltsausschuss verlangt Strategie für mehr Fachkräfte in der Chipindustrie

    Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) war durch den Haushaltsausschuss dazu aufgefordert worden, ein Konzept für eine Fachkräftestrategie vorzulegen sowie “Weiterbildungsmaßnahmen und die Nachwuchsförderung im Bereich der Chipproduktion und des Chipdesigns langfristig zu sichern und zu stärken”. Im Bundeshaushalt 2024 wurden dazu 4,2 Millionen Euro sowie Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 5 Millionen Euro fest eingestellt.  

    In Sachen Strategie müsse das BMBF dringend mehr tun und schneller agieren, sagt Thomas Jarzombek (CDU) Table.Briefings. “Es hilft sonst gar nicht, dass der Wirtschaftsminister die Branche mit Milliarden fördert, die Forschungsministerin aber die wichtigsten Schritte verschläft.” Das Ministerium wisse noch nicht einmal exakt, wie viele Fachkräfte gebraucht werden, noch wo es konkret ansetzen müsse. Es brauche dabei nicht nur Akademiker, sondern auch gut ausgebildete Fachkräfte. Die Ausbildung müsse eigentlich nach den Ferien beginnen. nik 

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    Modellvorhaben Genomsequenzierung verzögert sich

    Der Start des Modellvorhabens Genomsequenzierung verzögert sich weiter. Nachdem der – bereits verschobene – Starttermin zum 1. Januar 2024 nicht gehalten werden konnte, fehlten auch zum 1. April noch wesentliche Komponenten für den Beginn des Vorhabens. 

    Rechtsverordnung zum Gesetz fehlt noch 

    Die für die Umsetzung des Modellvorhabens seitens des Gesundheitsministeriums erforderlichen gesetzlichen Anpassungen traten am 31. März 2024 in Kraft. Allerdings fehlt noch die zugehörige Rechtsverordnung. Zu dieser können noch bis zum 10. April Stellungnahmen eingereicht werden. Nach einer Überarbeitung bedarf es dann noch der Zustimmung des Bundesrats. Damit wird die Verordnung wohl frühestens kurz vor der Sommerpause in Kraft treten. Daran hängt auch die Finalisierung des Vertrags zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV) und den teilnahmeberechtigten Universitätskliniken, in dem es insbesondere um die Abrechnung der Leistungen geht.  

    Ziel ist die Zusammenführung klinischer und genomischer Daten 

    Grundlage des Modellvorhabens ist die umfangreiche Sequenzierung von Patientengenomen. Um das zu erreichen, werden diese Erbgutanalysen in die Regelversorgung überführt und zur Kassenleistung. Die gewonnenen klinischen und genomischen Daten werden in einer Dateninfrastruktur zusammengeführt. Diese erleichtert eine Analyse der gewonnenen Daten zur Verbesserung der medizinischen Versorgung. Aber auch die Forschung und Entwicklung soll von dem Aufbau eines sicheren Datenbanksystems profitieren. Unter anderem Biontech hatte im vergangenen Jahr kritisiert, dass in Deutschland diese Verknüpfung von klinischen und genomischen Daten bisher nicht möglich sei und ein Forschungszentrum zur Entwicklung personalisierter mRNA-Krebsimmuntherapien in Großbritannien aufgebaut

    Die im Modellvorhaben entwickelte Dateninfrastruktur und die Datensätze sollen dabei auch mit dem Europäischen Gesundheitsdatenraum und mit der 1+ Million Genomes-Initiative kompatibel und interoperabel sein. Doch gerade auch der Aufbau der technischen Infrastruktur beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist von den Verzögerungen betroffen. Hier können anscheinend ohne die verbindliche Rechtsverordnung keine externen Aufträge ausgelöst werden.

    Schrittweiser Start denkbar 

    Viele der beteiligten Akteure hoffen, dass bereits vor der Fertigstellung der kompletten Dateninfrastruktur Patienten mit onkologischen und seltenen Erkrankungen vom Modellversuch profitieren können. Dann brauche es allerdings eine Übergangslösung für die Vergütung, denn diese hängt an der Zulieferung der Daten. Wie schnell dann auch Fachpersonal zur Beratung der Patienten zur Verfügung steht, bleibt abzuwarten. mw

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    Kölner Unirektor Mukherjee wegen Absage an Nancy Fraser in der Kritik 

    US-Philosophin Nancy Fraser 2015 in Lüttich.
    US-Philosophin Nancy Fraser 2015 in Lüttich.

    Nancy Fraser wird an der Universität zu Köln keine Vorträge im Rahmen einer Albertus-Magnus-Gastprofessur halten. Das entschied Rektor Joybrato Mukherjee. Der Grund: Nancy Fraser hatte den offenen Brief “Philosophy for Palestine” im November 2023 unterzeichnet. In diesem Brief werde “das Existenzrecht Israels als ‘ethno-suprematistischer Staat’ seit seiner Gründung 1948 faktisch infrage gestellt”, heißt es in der Stellungnahme der Universität

    BMBF-Staatssekretärin begrüßt die Entscheidung der Uni 

    Für die einen ist der Vorgang ein Debakel, für andere ganz normal. Sabine Döring, Staatssekretärin im BMBF, sieht in der Entscheidung der Universität kein Canceln. Sie und auch andere Kommentatoren folgen der Argumentation Mukherjees; eine Person, die zum Boykott wissenschaftlicher Einrichtungen in Israel aufrufe, könne keine besondere Ehrung der Universität bekommen. 

    Auf der anderen Seite stehen die Reaktionen vieler Wissenschaftler, aber auch von Nancy Fraser selbst sowie der New School for Social Research, an der Fraser beheimatet ist. Von einem “nicht akzeptablen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit” schreibt die New School. Fraser selbst beklagt in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau einen “philosemitischen McCarthyismus” in Deutschland. Dieser sei “eine Möglichkeit, Leute zum Schweigen zu bringen, unter dem Vorwand, dass man sich angeblich für Juden einsetzt”. 

    Uni Köln: Kollegen können Fraser einladen 

    Die Kölner Universität betont hingegen, dass es ihr nicht darum gehe, öffentliche Vorträge von Fraser in Deutschland zu verhindern. Auch in Köln sei sie willkommen und könne “auf Einladung einer Kollegin oder eines Kollegen grundsätzlich eine Vorlesung halten und auch ihre Positionen deutlich machen”. Es gehe hier darum, dass eine besondere Ehrung im Rahmen der Albertus-Magnus-Professur nicht vereinbar sei mit den besonderen Beziehungen der Uni zu israelischen Partnerinstitutionen und der aktuellen Situation im Nahen Osten. 

    Akademische Ehrungen: Wo sind die Grenzen des Sagbaren? 

    Aus der deutschen Wissenschaftscommunity gibt es teilweise Verständnis. Schließlich nutze Faser ihre Position und Prominenz für ihre politischen Statements. Damit seien diese keine privaten Meinungsäußerungen und müssten dann eben auch in eine Bewertung einfließen, wenn es um Ehrungen gehe. 

    Es gibt aber auch kritische Stimmen. Wo sei denn die Grenze des Sagbaren, wenn man sich nicht für akademische Ehrungen disqualifizieren wolle, heißt es. Müsse man in Zukunft auch die Leibniz-Preisträger durchchecken? Und wäre das dann nicht eine Gesinnungsprüfung? Auch die Frage, wann derartige Statements verjährt seien oder wie hochrangig ein Preis sein müsse, damit der Preisträger bestimmte, zusätzliche Kriterien erfüllen solle, treibt die Akteure um. Einige fordern, dass DFG oder HRK eine Orientierung geben sollten, damit nicht jeder neue Fall die gleiche Grundsatzdiskussion entzündet. mw 

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    Nobelpreisträger Thomas Südhof reagiert mit Transparenz-Offensive auf Vorwürfe von Plagiatsjägern

    Als Medizinnobelpreisträger wurde Thomas Südhof vor gut zehn Jahren bekannt. Nun hat der aus Deutschland stammende, an der Stanford University in Kalifornien forschende Neurowissenschaftler mit negativen Schlagzeilen zu kämpfen. In mehreren seiner Publikationen wurden Fehler entdeckt, es geht vor allem um duplizierte Abbildungen. Offenbar handelt es sich eher um Flüchtigkeitsfehler, dennoch lässt der Vorgang viele Wissenschaftler aufhorchen.

    Die Plagiatsjägerin Elisabeth Bik hat auf die Fehler aufmerksam gemacht. Die niederländische Mikrobiologin ist bekannt – und anerkannt – für das Aufdecken von wissenschaftlichem Fehlverhalten. Sie ist spezialisiert auf das Erkennen von Bildmanipulationen und postet ihre Ergebnisse auf der Plattform PubPeer. Bik hat Südhofs Veröffentlichungen schon länger im Visier, die ersten Vorwürfe wurden 2018 öffentlich. Insgesamt stehen bei PubPeer inzwischen 23 seiner Paper unter Verdacht, drei davon, wie das Magazin Transmitter berichtet, erst seit Kurzem.

    Südhof nennt Fehlerquote erstaunlich gering

    Biks Recherchen, für die sie zunehmend auch KI-Methoden nutzt, hatten bereits Konsequenzen. Anfang März hatten Südhof und sein Team eine im Jahr 2023 im Fachmagazin PNAS erschienene Publikation zurückgezogen, weil bei einer Neuanalyse “unlösbare Unterschiede” zwischen den Rohdaten und der veröffentlichten Datenquelldatei entdeckt worden waren. Zudem wurden im vergangenen Jahr bereits fünf andere Veröffentlichungen korrigiert.

    Auf einer auf seiner Lab-Homepage eingerichteten Unterseite zum Thema Integrität räumt Südhof einerseits Fehler ein, bezeichnet sie aber als zumeist klein und bestreitet, dass es ein systematisches Problem gebe. Wenn bei einer intensiven, teils mithilfe von KI vorgenommenen Prüfung von mehr als 600 Arbeiten mit mehr als 10.000 Bildern nur rund 20 Fehler festgestellt werden, sei das eine erstaunlich geringe Fehlerquote und eher ein Zeichen dafür, wie gut Wissenschaft funktioniere. Südhof hat offenbar die jeweiligen Zeitschriften über die Fehler informiert – und auch darüber, dass sie sich nicht auf die Ergebnisse der Arbeiten auswirken.

    Ulrich Dirnagl lobt Aufarbeitung auf der Website als vorbildlich

    Lob für den Umgang mit den Vorwürfen erhält Südhof von Ulrich Dirnagl, Leiter des Quest Center for Responsible Research am Berlin Institute of Health. Südhof sei ein Vorreiter solider Wissenschaft und diesem Anspruch auch im Umgang mit den Vorwürfen gerecht geworden, sagt Dirnagl auf Anfrage von Table.Briefings. “Alle PubPeer-Kommentare wurden immer zeitnah und ernsthaft, also wissenschaftlich, beantwortet. Viele der Kritikpunkte konnten so entkräftet werden.” Dort, wo Fehler gefunden wurden, habe Südhof diese zugegeben und korrigiert. “Die Aufarbeitung auf seiner Website ist vorbildlich.”

    Dirnagl ordnet die Fehler als “honest errors” ein. “Betrügereien sind für mich nicht erkennbar.” Wissenschaft und ihre Methoden sind komplex, Fehler werden gemacht, sagt er. “Es kommt aber darauf an, sie zu minimieren, und aus den Fehlern, die wir machen, zu lernen.” Deshalb seien Plattformen wie PubPeer eine tolle Sache. “Der normale Peer-Review-Prozess versagt als Qualitätskontrolle.” Zugleich sieht Dirnagl “die große Gefahr, dass trotz der zumeist guten Intentionen derer, die sich die Mühe machen, mögliche Fehler auf PubPeer aufzuzeigen und damit Wissenschaft zu verbessern, statt Fehlerkultur eine denunziatorische Atmosphäre entsteht”. abg

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    Personalien

    Reinhard Zimmermann, von 2011 bis 2023 Präsident der Studienstiftung, erhält das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse.

    Viola Priesemann hat den Young Scientist Award for Socio- and Econophysics der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) erhalten. Die Physikerin forscht am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation und der Universität Göttingen. Der Preis ist mit 7.500 Euro dotiert und würdigt ihre Arbeiten zu Ausbreitungsprozessen in komplexen Systemen.

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    Bildung.Table. Neue KI-Chatbots speziell für Bildungssektor. Die Weiterbildungsplattform Fobizz hat eine neue Infrastruktur entwickelt, mit der sich Lehrkräfte individuelle KI-Chatbots für die Schule anlegen können. Die Assistenten können mit den Bildungsplänen der jeweiligen Länder gefüttert werden. Mehr

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    Dessert

    Weil es den Briten so schwerfällt, fremde Sprachen zu erlernen, haben sie sich im Zuge des Brexits auch aus dem EU-Austauschprogramm für Studierende Erasmus+ ausgeklinkt. Diese traurig-komische Erklärung lieferte der britische Diplomat Nick Leake in der vergangenen Woche auf einer Sitzung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses in Brüssel, wie Politico Europe berichtet.

    Leake argumentierte so: Das Vereinigte Königreich habe sich nicht an dem Programm beteiligt, weil es ein Ungleichgewicht gebe. Und zwar zwischen der Unfähigkeit, Sprachen sehr gut zu beherrschen und die Mobilitätsmöglichkeiten im Ausland zu nutzen, und dem Nutzen für diejenigen, die ins Vereinigte Königreich kommen wollen. In Zahlen: London hätte bei dem Programm fast 300 Millionen Euro pro Jahr draufgezahlt.  

    Diese Argumentation könnte man einen Zirkelschluss nennen. Oder in Großmutters weisen Worten: “Von nichts kommt nichts.” Anne Brüning

    Research.Table Redaktion

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