Table.Briefing: Research

Richard Socher über die KI-Revolution in den Naturwissenschaften + US-Unikanzler Diermeier warnt vor Politisierung der Hochschulen

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Befürchtungen unter Forschungspolitikerinnen- und politikern wachsen. Während der Streit um den Bundeshaushalt 2025 am Dienstag in eine vorentscheidende Phase ging, – SPD- und Grünen-geführte Bundesministerien wollen zusammen 24,6 Milliarden Euro mehr ausgeben als eigentlich in der Finanzplanung des Bundesfinanzministeriums vorgesehen -, ist aus dem BMBF kein Protest zu hören. Natürlich laufen auch hier die Planungen für den Haushalt 2025 – doch wird Bettina Stark-Watzinger ihrem Parteikollegen nicht öffentlich in die Parade fahren.

Für 2024 war der BMBF-Haushalt unverändert bei 21,5 Milliarden Euro geblieben, gleichzeitig mussten im Rahmen des Maßnahmenpaketes 200 Millionen Euro über die sogenannten globalen Minderausgaben (GMA) eingespart werden. Damit sei das BMBF aber “glimpflich davongekommen”, hieß es.

Dass ihr Haus nun erneut alle Auflagen des Finanzministers mehr oder minder folgsam umsetzen wird, darf bezweifelt werden. Aus dem BMBF ist zu hören, dass Einsparungen diesmal nicht mehr einfach hingenommen werden, man sei mit den Bemühungen am Anschlag.

Noch wird verhandelt. “Der Entwurf für den Haushalt 2025 befindet sich unverändert im nicht-öffentlichen ministeriellen Abschnitt des Haushaltsaufstellungsverfahrens”, sagt Haushälterin Wiebke Esdar (SPD) gegenüber Table.Briefings. Am Dienstagnachmittag haben sich Bundeskanzler Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner zu ersten Beratungen im Kanzleramt getroffen. Über eine Annäherung wurde zunächst nichts bekannt.

Nachdem in der vergangenen Woche Studenten an der Humboldt-Universität demonstriert hatten, haben Palästina-Aktivisten am Dienstag einen Hof der FU Berlin besetzt. Die Polizei räumte ein Protest-Camp, einzelne Teilnehmer wurden festgenommen. Ebenfalls am Dienstag wurde das Audimax und der Innenhof auf dem Innenstadt-Campus der Universität Leipzig von rund 50 bis 60 Menschen besetzt. Auch hier wurde die Polizei eingeschaltet.

In der aktuellen Zeit wird von Hochschulen verstärkt gefordert, sich politisch zu erklären, sich für die eine oder andere Seite zu positionieren. Universitäten dürfen nicht zu politischen Spielfeldern werden, erklärt Daniel Diermeier von der Vanderbilt University in seinem Standpunkt. Er plädiert für ein konsequentes, institutionelles Neutralitätsgebot.

Ich wünsche Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre,

Ihre
Nicola Kuhrt
Bild von Nicola  Kuhrt

Analyse

KI-Pionier Richard Socher: “Statt Latein wäre es vermutlich sinnvoller, Python zu lernen”

Porträtfoto Richard Socher
Richard Socher ist CEO und Gründer der KI-basierten Suchmaschine you.com.

Er ist als Forscher und als Unternehmer erfolgreich. Der im Silicon Valley lebende deutsche Computerlinguist Richard Socher (40) hat neuronale Netze zur Sprachverarbeitung eingeführt und unter anderem das Prompt-Engineering erfunden, also die textbasierte Eingabe über die Befehlszeile. Seine wissenschaftlichen Arbeiten wurden mehr als 170.000-mal zitiert. Ende April war er in Deutschland, um in seiner Heimatstadt Dresden die Ehrendoktorwürde entgegenzunehmen.

Herr Socher, das Time-Magazin zählt Sie zu den 100 einflussreichsten Personen im Bereich KI, und auch sonst haben Sie schon viele Auszeichnungen erhalten. Freuen Sie sich trotzdem über die Ehrendoktorwürde der TU Dresden, die Ihnen Ende April verliehen wurde?  

Auf jeden Fall. Es ist mein erster Ehrendoktortitel. Dass er von der TU Dresden ist, freut mich als Sachse besonders. Und es bedeutet mir viel, dass meine Forschungsarbeit, mit der ich seit 2011 viele der Grundsteine für Entwicklungen wie ChatGPT gelegt habe, auf diese Weise gewürdigt wird.

Aktuell arbeiten Sie als Gründer und CEO von you.com an einer neuen Suchmaschine. Wie weit sind Sie damit?

Wenn es darum geht, korrekte Antworten zu geben, sind wir weiter als viele andere. Unser Ziel ist, eine neue Kategorie zu kreieren: KI-Assistenten, die Antwortmaschinen sind statt Suchmaschinen. Sie sollen Fragen beantworten und helfen, produktiver zu forschen, zu lernen und zu arbeiten. Man erhält keine Link-Liste als Ergebnis, sondern konkrete Antworten. Das Besondere: Es sind stets Quellenangaben dabei und es gibt keinen Knowledge Cutoff, die Suchmaschine ist also immer auf dem neuesten Stand. Dadurch ist sie sehr genau und es gibt kaum Probleme mit Halluzinationen.

Kooperationen mit Unternehmen und Universitäten geplant

Steckt hinter Ihrem KI-Assistenten ein eigenes Grundlagenmodell?

Wir haben ein eigenes Large Language Model, das auf Open-Source-Modellen basiert. Über you.com ist es aber auch möglich, auf alle großen Sprachmodelle zuzugreifen. Mit der Pro-Version sind auch GPT4 von OpenAI, Claude von Anthropics und die neuesten Versionen von Metas Llama und Googles Gemini erreichbar. Unsere Plattform ist mit allen kompatibel.   

Handelt es sich bei derzeit noch um eine Betaversion? In Deutschland zumindest ist Ihre Antwortmaschine erst wenig bekannt.

You.com ist regulär auf dem Markt. Wir haben bereits Millionen von Nutzern und machen auch schon Millionen US-Dollar Umsatz. In Deutschland werden wir bald mehr Marketing machen und zum Beispiel die Startseite auf Deutsch anpassen, dann steigt gewiss auch der Bekanntheitsgrad.

Sie bieten auch maßgeschneiderte Lösungen an. Welche Kunden haben Sie dabei im Blick?

Das können Unternehmen sein, denen wir einen Chatbot auf Basis ihrer eigenen Daten anbieten. Unter anderem kooperieren wir bereits mit Pharmafirmen und vermutlich auch bald mit Medienhäusern. In den USA sind wir auch im Gespräch mit mehreren Universitäten. Wir können spezielle Chatmodelle für Studierende anbieten, bei denen zum Beispiel definiert werden kann, auf welche Informationsquellen sie bevorzugt zurückgreifen.

“Ich wollte dorthin, wo die besten Leute arbeiten”

Wie gut ist die Ausbildung im Bereich KI in Deutschland?

Das deutsche Informatikstudium ist solide und bereitet auf viele Bereiche gut vor. Ich wollte nach meinem Master im Jahr 2008 für meine Doktorarbeit aber dorthin, wo die besten Leute arbeiten. Deshalb bin ich nach Princeton und an die Stanford University gegangen. Das war aber nicht so einfach, denn ich hatte im Grundstudium noch nicht geforscht und veröffentlicht. Das ist in den USA anders und wird vorausgesetzt.

Fühlen Sie sich mehr als Wissenschaftler oder mehr als Unternehmer?

Mittlerweile bin ich vor allem Unternehmer und Start-up-Gründer. Dabei geht es zwar auch viel um Forschungsfragen, aber vor allem im Anwendungsbereich. Ursprünglich war mein Ziel, Wissenschaftler zu werden. Ich hatte sogar schon eine Vollzeitprofessur angenommen. Aber dann hat es mich gelockt, eine Firma zu gründen. Ich habe zunächst gedacht, dass ich das nur mal ein Jahr lang mache.

Informatik als Pflichtfach in deutschen Schulen

Was wäre ein Grund für Sie, nach Deutschland zurückzukehren?

Zurzeit steht das nicht zur Debatte. Meine Frau ist Amerikanerin, mein Haus und meine Firma sind im Silicon Valley. Vielleicht wäre es irgendwann einmal, wenn ich mich wieder mehr der Forschung zuwenden möchte, eine Option.

Was müsste sich in Deutschland ändern, um der KI-Revolution gerecht zu werden?

Deutschland könnte sich sehr gut positionieren, wenn Informatik an allen Schulen Pflichtfach wäre. Und statt Latein wäre es vermutlich sinnvoller, die Programmiersprache Python zu lernen. An Hochschulen sollte Informatik vermehrt als Nebenfach angeboten werden – für alle Fächer, also auch für Juristen, Mediziner, insbesondere aber in den Naturwissenschaften. Die Biologie beispielsweise wird sich unglaublich verändern in den nächsten Jahren. Das gilt es aktiv mitzugestalten.

Wie lässt sich verhindern, dass KI-Talente abwandern?

Wichtig wäre, mal eine deutsche Uni in die Top 10-Rankings zu bekommen – im Bereich KI/ Informatik, aber auch insgesamt. Deutschland hat viele gute außeruniversitäre Forschungsinstitute, aber davon müssen die Universitäten stärker profitieren. Es ist zurzeit alles so weit verteilt, dass sich keine Top-Uni herausbilden kann.

Richard Socher mit Ursula Staudinger (li.), Rektorin der TU Dresden und Ivo F. Sbalzarini (re.), Dekan der Fakultät Informatik, bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde.
Richard Socher mit Ursula Staudinger (li.), Rektorin der TU Dresden und Ivo F. Sbalzarini (re.), Dekan der Fakultät Informatik, bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde.

Durch KI wird sich vor allem in den Naturwissenschaften viel tun

Sie haben in Dresden einen Vortrag darüber gehalten, wie KI wissenschaftliche Entdeckungen beschleunigen wird. Wird es so revolutionär, wie viele sagen?

Das Potenzial ist enorm. KI macht Forschung effizienter, schneller und hilft, auf neue Lösungen oder Ideen zu kommen. In fünf oder zehn Jahren wird vielleicht jeder Forscher einen KI-Wissenschaftler an seiner Seite haben, der keinen Schlaf braucht, sondern arbeitet und arbeitet, bis er ein bestimmtes Problem gelöst hat. Der Effekt zeigt sich bereits in ersten Anwendungen. In der Physik hat KI geholfen, das Plasma in einem Tokamak-Kernfusionsreaktor stabil zu halten. In der Chemie hat ein KI-Tool mehr als zwei Millionen neue kristalline Strukturen entdeckt, die für die Batterieforschung interessant sind. Und in der Biologie kann KI neue Proteine kreieren oder die Vorgänge in der Zelle simulieren. Vor allem in den Naturwissenschaften wird sich viel tun. Deutschland sehe ich da gut aufgestellt mit seiner starken Infrastruktur in Forschung und Lehre.

Die Helmholtz-Gemeinschaft hat im April die Helmholtz Foundation Model Initiative mit einem Budget von 23 Millionen Euro ins Leben gerufen. Es geht um Pilotprojekte in den Bereichen Medizin, Klimaforschung und Materialwissenschaften. Ist das der richtige Weg?

Das ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung, also hin zu Grundlagenmodellen für die Wissenschaft. Vielleicht wäre es irgendwann auch angebracht, in Deutschland eine neue Forschungsgesellschaft zu gründen. Und zwar eine, die nicht nach wichtigen Physikern aus dem vergangenen Jahrhundert benannt ist. Sie müsste sich auf Informatik und Computerwissenschaften mit ihren Verknüpfungen in alle anderen Bereiche konzentrieren.

Richard Socher (40) ist CEO und Gründer der KI-basierten Suchmaschine you.com. Er stammt aus Dresden, hat Computerlinguistik in Leipzig und Saarbrücken studiert. Danach forschte er in den USA an den Universitäten in Princeton und Stanford als einer der ersten über künstliche neuronale Netze für die Sprachverarbeitung. Nach seinem PhD (2014) in Stanford gründete er das Start-up MetaMind, 2016 wurde er Chief Scientist bei Salesforce. 2020 verließ er das Unternehmen, um you.com zu gründen.

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Karriere in der Wissenschaft: Wie der Tenure-Track bewusstere Karriereentscheidungen ermöglichen soll

“Drittmittel erlauben es nur sehr selten, unbefristete Stellen zu schaffen”, erklärt Michael Bölker, Vorstandsvorsitzer des Universitätsverbands zur Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses (UniWiND). Wenn also wie in den letzten Jahren die universitäre Grundmittelausstattung gleich bleibe, der Drittmittelanteil aber deutlich steigt, komme es zu einem Problem: Immer mehr Personen arbeiten auf eine universitäre Karriere hin, selbst wenn sie eher schlechte Aussichten auf eine unbefristete Stelle in der Forschung haben.

UniWind und Graduiertenzentren richten sich auch an Aussteiger

Weil diese WiMi dann häufig ohne Aussicht auf Entfristung im System verbleiben, greife mitunter auch die umstrittene Befristungsregelung des WissZeitVG und mache eine Weiteranstellung unmöglich, sagt Bölker: “Es gibt keinen Königsweg, wie man aus diesem Problem herauskommt. Es betrifft die Universitäten, Professoren und Arbeitsgruppenleiter in ihrer Gesamtverantwortung.” Auch mit der geplanten Reform des WissZeitVG wird dieses Problem wohl weiter bestehen.

Diese und andere Problemlagen zu überschauen, daran arbeitet Bölker in seiner Rolle als Vorstandsvorsitzender von UniWiND, einer Dachorganisation von 77 universitären Graduierteneinrichtungen und acht assoziierten Mitgliedern. Der Verband sei eine “bottom-up-Bewegung”, betont Bölker. Er lebe von den beteiligten Graduierteneinrichtungen, die sich in ihm vernetzen, um ihr Qualifizierungs- und Karriereberatungsangebot zu verbessern.

Zielgruppe sind hierbei explizit nicht nur diejenigen, die in der Wissenschaft bleiben möchten, denn es geht auch um die Beratung derer, die sich während oder nach der Promotion entscheiden, die Universität zu verlassen.

Tenure-Track soll bewusstere Entscheidung möglich machen

Ganz ähnlich sehen das im Gespräch auch Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) und Thomas Sommer, Gruppenleiter am Max-Delbrück-Center. Beide sitzen im Vorstand von BR50, einem Zusammenschluss außeruniversitärer Forschungseinrichtungen in Berlin. Für Promovierende und Postdocs in der frühen Karrierephase brauche es mehr Kontakt mit potenziellen Arbeitgebern außerhalb der Universität, erklärt Sommer.

Deshalb hätten sich die in BR50 zusammengeschlossenen Organisationen vorgenommen, Promovierenden durch Hospitationen in anderen Bereichen bewusstere Karriereentscheidungen zu ermöglichen.

Allmendinger ergänzt, dass es für sie gleichwertig sei, ob ihre Promovierenden in der Wissenschaft bleiben oder einen anderen Karrierepfad einschlagen möchten. “Aber diejenigen, die wir in der Postdoc-Phase haben, möchte ich nicht alle Jahre wieder befristen, um ihnen dann später keine Perspektiven in der Wissenschaft geben zu können.” Stattdessen gehe es darum, dafür zu sorgen, dass vor Eintritt in die Postdoc-Phase bewusste Entscheidungen für oder gegen einen Verbleib in der Wissenschaft gefällt werden können. Wer bleibt, dem müsse ein Mindestmaß an Sicherheit gewährleistet werden. Wichtig hierbei seien klare Kriterien zur Entfristung entsprechend einem Tenure-Track-Programm. Wer eine Tenure-Track-Stelle bekommt, für den ist von vornherein klar festgelegt, welche Leistungen in welchem Zeitraum erbracht werden müssen, um eine unbefristete Professur zu bekommen.

Allmendinger: “Entfristungen entinstitutionalieren”

An der Schaffung eines solchen Tenure-Track-Modells soll BR50 nun in Kooperation mit den Berliner Universitäten mitwirken. Die Idee dabei sei es, “Entfristungen zu entinstitutionalisieren”, sagt Allmendinger. Daueraufgaben, die an mehreren Einrichtungen anfallen, können so in einer institutionenübergreifenden Professur vereinigt werden. Eine solche Professur könnte beispielsweise die Lehre an den Universitäten unterstützen, während die Inhaber am WZB oder eine anderen wissenschaftlichen Einrichtung Grundlagenforschung betreibt.

Laut Allmendinger braucht es nicht unbedingt eine Mittelerhöhung, um den universitären Arbeitsmarkt zu stabilisieren und übersichtlicher zu machen. Stattdessen wäre eine Umsteuerung weg von kurzfristigen Projekten hin zu einer längerfristigen institutionellen Finanzierung nötig: “Der Wissenschaft muss mehr Vertrauen geschenkt werden in eine Selbstorganisation der Mittel.”

Zu viele persönliche Abhängigkeiten im deutschen Universitätssystem

Wichtig bei so einer Umsteuerung sei insbesondere auch die Schaffung alternativer Karrierewege für Personen, die aus der Wissenschaft ausscheiden, erklärt René Krempkow, Hochschulforscher an der International University for Applied Sciences in Berlin. Bedarf gäbe es etwa im entfristungsfreudigeren Wissenschaftsmanagement, wo Doktortitel und Forschungserfahrungen häufig sehr hilfreich seien.

Das zugrundeliegende Problem sei damit aber nicht gebannt, betont Krempkow: “Im internationalen Vergleich ist das deutsche Wissenschaftssystem immer noch zu unberechenbar, zu intransparent und zu sehr abhängig von den Launen einzelner Personen.” Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern und trotz der wichtigen Arbeiten von Graduierteneinrichtungen lägen in der deutschen Promotionsphase häufig Betreuung, Begutachtung und Weiterbeschäftigung in einer Hand. Das öffne Tür und Tor für Machtmissbrauch.

Berufungsverfahren an Hochschulen häufig eine “Black Box”

Auch nach der Promotion setze sich die Intransparenz über Entscheidungsprozesse an deutschen Universitäten fort, moniert Krempkow. Berufungsverfahren seien häufig nach wie vor eine “ziemliche Black Box”, bei der nicht immer klar sei, ob es wirklich die erbrachte Leistung ist, die den entscheidenden Ausschlag für eine Festanstellung gibt – und nicht etwa persönliche Bekanntschaft. “Kriterien werden im Nachhinein hingebogen, auch weil es zum Teil keine richtigen Anforderungsprofile gibt.” Das schade dem Vertrauen in das Wissenschaftssystem und dem internationalen Ruf deutscher Universitäten.

Trotzdem gebe es aber auch positive Entwicklungen. “Good Practice-Beispiele” nennt Krempkow das: Tenure Track, Graduiertenschulen, Graduiertenzentren und kooperative Promotionen. Seine Hoffnung: “Niemand will Nachzügler sein. Wenn es erst mal eine Dynamik gibt, und das sehe ich schon an vielen Stellen, dann ist es ja rufschädigend, wenn man sagt: not in my backyard.”

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Termine

13. Mai 2024, 13:00 Uhr, Online
Diskussion mit Jens Brandenburg Gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft – die Rolle des Bundes Mehr

13. Mai 2024, 19:00 Uhr, Hauptstadtrepräsentanz der Deutschen Telekom AG, Französische Str. 33a-c, 10117 Berlin und Livestream
Preisverleihung Preisverleihung der Alexander von Humboldt-Professuren Mehr

14. Mai 2024, 12:00 bis 13:00 Uhr, online
Leopoldina International Virtual Panel (LIVP) “Veränderung initiieren: Ein globaler Gesundheitsansatz im Lichte von Pandemien” Mehr

14. Mai 2024, 19:30 Uhr, Online
acatech am Dienstag Dual Use Mehr

15./16. Mai 2024, Katholische Akademie in Bayern, Mandlstraße 23, 80802 München
XVII. Hochschulsymposium der Schleyer-Stiftung in Kooperation mit Heinz Nixdorf Stiftung und TU München “Nachhaltigkeit in der Wissenschaft: Notwendigkeiten neuer Formen der Zusammenarbeit” Mehr

27./28. Mai 2024, Dresden/International Congress Center Conference
Konferenz “Building Bridges for a Net Zero Future” Mehr

28. Mai 2024, 18:00-20:00 Uhr, TU Berlin, Hauptgebäude, Straße des 17. Juni 135, Hörsaal 0107 (EG) und online
Veranstaltungsreihe über Grundfinanzierung statt Projektwettbewerb, u.a. von GEW und NGAWiss “Projektfinanzierung und/oder Wissenschaftsfreiheit?” Mehr

3. Juni 2024, 18:00-19:45 Uhr, Leopoldina, Jägerberg 1, 06108 Halle (Saale)
Dialogveranstaltung Europas Populisten im Aufwind: Ökonomische Ursachen und demokratische Herausforderungen Mehr

News

Natrium-Ionen-Batterien: Wie Deutschland den Anschluss an China schaffen will

Im Projekt “Entwicklung der Natrium-Ionen-Technologie für industriell skalierbare Energiespeicher” (Entise) will ein Konsortium aus 15 Unternehmen und Hochschulen unter der Leitung von Varta die Entwicklung von Natrium-Ionen-Batterien (NIB) als kostengünstige und umweltfreundliche Alternative zu Lithium-Ionen-Batterien vorantreiben. Das BMBF fördert das Projekt mit rund 7,5 Millionen Euro. 

Ziel des Konsortiums ist es, eine kostengünstige Zellchemie zu entwickeln und in industriell nutzbare Zellformate zu überführen – insbesondere für die Elektromobilität und Energiespeicherung. Bis Mitte 2027 will das Projekt marktfähige Natrium-Ionen-Zellen im industriellen Maßstab präsentieren. NIBs gelten als Hoffnungsträger für die Zukunft nachhaltiger und ressourcenschonender Energiespeicherung: Natrium sei leicht verfügbar, kostengünstig, sicher und könne problemlos entsorgt oder recycelt werden, schreibt Varta in seiner Pressemitteilung

Weiteres Projekt zu Natrium-Ionen-Batterien durch Haushaltskürzungen gefährdet

Insider werten die Förderung als wichtigen Schritt, um mit der internationalen Konkurrenz – vor allem aus China – Schritt zu halten. Chinesische Hersteller haben bereits erste Elektrofahrzeuge mit NIBs vorgestellt. Durch die Kürzungen in der Batterieforschung ist allerdings ein weiteres Projekt zu NIB gefährdet. Dieses Projekt mit einem noch stärkeren Fokus auf industrielle Anwendungen und einem größeren Konsortium würde zusammen mit Entise ein gut aufgestelltes Ökosystem schaffen, heißt es aus der Community. mw

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Start-ups: Wie die EU junge Tech-Firmen fördern soll

Was genau ist eigentlich ein Start-up? Nicht einmal eine genaue Definition gibt es für junge Technologiefirmen, die innovative Produkte und Dienstleistungen entwickeln. Eine europaweit einheitliche Definition sei jedoch dringend nötig, fordern der Bitkom und andere europäischen Digitalverbände. Nur mit einer gemeinsamen Datengrundlage sei ein effektives Benchmarking und eine Leistungsmessung möglich.

Im Vorfeld der Europawahlen 2024 fordern die europäischen Digitalverbände weitere tiefgreifende Reformen bei der Start-up- und Scale-up-Politik der EU. Unter dem Motto “StartupTakeoff” haben Sie dazu Leitlinien für die kommende Legislatur-Periode veröffentlicht. Zu den zentralen Forderungen der Verbände gehören neben der einheitlichen Definition auch die Schaffung einer zentralen Stelle innerhalb der EU-Institutionen, die eine einheitliche Start-up-Politik vorantreiben soll.

Deutsche Start-ups finden Förderprogramme hilfreich

“Es reicht nicht, im Vorfeld der anstehenden EU-Wahlen die Bedeutung von Start-ups für Wirtschaft und Gesellschaft zu betonen. Nach den Wahlen müssen einige wenige, aber sehr konkrete und kraftvolle Maßnahmen umgesetzt werden”, sagte Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst.

Die Mehrheit der Tech-Start-ups in Deutschland ist überzeugt, dass die EU mehr tun muss, um Start-ups in der aktuell schwierigen Konjunktur zu unterstützen. Das ergab eine Befragung von 172 Tech-Start-ups im Auftrag des Bitkom. 87 Prozent sagten, dass Ausbau und Stärkung von Förderprogrammen für ihr Start-up hilfreich wären. 84 Prozent wünschen sich eine Stärkung des Wagniskapitalangebots in Europa, etwa durch Anreize für institutionelle Investoren.

Für 81 Prozent wäre ein vereinfachter Marktzutritt zu anderen EU-Staaten hilfreich, etwa durch einen weiter harmonisierten Binnenmarkt oder eine EU-weit einheitliche Rechtsform für Start-ups. “Start-ups aus europäischen Ländern haben verglichen mit Wettbewerbern aus Asien oder den USA immer noch den Nachteil eines stark zerklüfteten Binnenmarkts“, sagte Wintergerst. Die EU verspiele mit unnötiger Bürokratie und Kleinstaaterei zu viele Chancen.

Start-ups wünschen sich einen eigenen Kommissar

Insgesamt acht Forderungen an die EU stellten die Digitalverbände auf:

  • Ernennung eines EU-Kommissars für Start-ups: Entwicklung einer einheitlichen Start-up/Scale-up-Strategie, die Finanzierung, Regulierung und Marktzugang adressiert
  • Einheitliche Startup-Definition: Schaffung einer konsistenten Datenbasis
  • Förderung des Forschungstransfers: Aufbau von Infrastruktur und Bereitstellung von Mitteln zur Schaffung eines europäischen Deeptech-Ökosystems
  • Vereinfachung von Finanzierung, Börsengängen und Exit-Strategien: Schaffung von Fonds und Bedingungen, die den Zugang zu Finanzmitteln erleichtern und Börsengänge sowie Exit-Strategien für Start-ups unterstützen
  • Staatlich garantierte Verträge für große Start-up-Erfolge: Einführung von Verträgen, die Start-ups bei der Minimierung von unternehmerischen Risiken unterstützen
  • Schaffung einer EU-weiten Rechtsform für Start-ups, um grenzüberschreitende Aktivitäten zu erleichtern und den administrativen Aufwand zu reduzieren
  • Talentakquisition und Management von Mitarbeiterbeteiligungsplänen (ESOP): Vereinfachung der Visa-Prozesse und Harmonisierung von ESOPs zur Anziehung und Bindung von Top-Talenten
  • B2G-Unterstützung: Erleichterung des Zugangs zu öffentlichen Aufträgen und Märkten für Start-ups und Förderung der Digitalisierung des öffentlichen Sektors. vis
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Technologie: So kann die EU China abhängig machen

Europa ist technisch noch nicht abgehängt – und es sollte seine verbliebenen Stärken gerade jetzt strategisch einsetzen. Das ist die Kernaussage eines neuen Reports des Forschungsverbunds Digital Power China (DPC) zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), der am Dienstag vorgestellt wurde. Es gehe darum, die technologischen Fähigkeiten Europas als politischen Hebel ins Spiel zu bringen, so die Autorinnen und Autoren.

Eine Abkopplung von China wäre im Vergleich dazu strategisch nicht sinnvoll, weil die EU dann Verhandlungsmasse verlieren würde. Vielmehr könnte es ein wirksames Instrument der Risikoverringerung (De-Risking) sein, den chinesischen Markt zu bedienen, das Technikwissen selbst aber nicht herzugeben. So könnte Europa China die Produkte oder Dienste notfalls vorenthalten. Der Report verwendet hierfür den Begriff “strategische Verstrickung”.

Beispiel für starke EU-Technologie: Computertomografen

Beispiele für starke EU-Technologien sind Belichtungsmaschinen für die Halbleiterproduktion, Medizintechnik wie Computertomografen, aber auch moderne Materialien wie Spezialmetalle. Nicht jede der Branchen, in denen EU-Firmen gut dastehen, lasse sich gleich als Druckmittel verwenden; in vielen Fällen können ihre Produkte leicht ersetzt werden. In anderen Fällen basieren die technischen Stärken aber auf exzellenter Grundlagenforschung oder dem Vorhandensein zahlreicher spezialisierter Zulieferer, deren Leistungen sich nicht kopieren lassen.

Digital Power China (DPC) ist ein loser Forschungsverbund. Dazu gehört neben der DGAP beispielsweise auch das International Institute for Strategic Studies in London (IISS), das French Institute of International Relations (ifri) in Paris, die China Macro Group (Schweiz) oder das Royal Institute of Technology in Stockholm. fin

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Presseschau

Science. A scientist for president. Sollte Claudia Sheinbaum Pardo gewählt werden, wäre sie die erste Frau und die erste Forscherin im mexikanischen Präsidentenamt. Die 61-jährige Umweltingenieurin, die bereits Bürgermeisterin und Umweltministerin von Mexiko-Stadt war, liegt in den Umfragen vor den Wahlen am 2. Juni deutlich vor ihren beiden Konkurrenten. Weil sie vom derzeitigen populistischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador protegiert wird, gibt es jedoch Bedenken. In dessen Amtszeit kam es zu Kürzungen der Forschungsausgaben und umstrittenen Umstrukturierungen der wichtigsten mexikanischen Wissenschaftsbehörde. Sheinbaum Pardo beteuert jedoch, sie werde die Wissenschaft unterstützen. Mehr

Tagesspiegel. TU Berlin: Es gibt genug Probleme, aber “Wokeism” ist keins davon. Barış Ünal, Leiter der TU-Studienberatung, geht in seiner Kolumne auf einen kürzlich in der NZZ erschienenen kritischen Artikel über TU-Präsidentin Geraldine Rauch ein. Die NZZ-Autorin mache den Willen, sich politisch zu positionieren, dafür verantwortlich, dass es bei anderen Posten wie Reisekostenabrechnungen oder Bauvorhaben weiter hapert, schreibt er. Der Beitrag erscheine ihm wie von einer Gilde, die sich weniger diversifiziert hat als der Rest der Gesellschaft. Für eine Universität – insbesondere mit der Historie der TU Berlin – sollte es aus seiner Sicht eher Selbstverständlichkeit und Qualitätsmerkmal sein, wenn sie wach, engagiert und progressiv ist. Mehr

Tagesspiegel. Mögliche Wiederwahl Trumps: Welche Folgen hätte das für die Wissenschaft? Dazu geben die Spitzen von MPG, DAAD und DFG ihre Einschätzung. Patrick Cramer macht sich mit Blick auf die anstehenden Wahlen zwar Sorgen, vertraut aber darauf, dass das Wissenschaftssystem dort hinreichend resilient ist. Joybrato Mukherjee plädiert dafür, gerade jetzt bestehende Kooperationen mit US-Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu stärken. Zudem gelte es neue Kooperationen einzugehen. Katja Becker mahnt: Wer immer nach dem 5. November ins Weiße Haus zieht, müsse weiter dafür Sorge tragen, dass Wissenschaft in Freiheit und internationalem Austausch ihren Beitrag zur Lösung der aktuellen und künftigen globalen Herausforderungen und Krisen erbringen kann. Mehr

  • DFG

Standpunkt

Warum institutionelle Neutralität für Universitäten essenziell ist

Von Daniel Diermeier
Daniel Diermeier ist seit 2020 Chancellor der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee. Der gebürtiger Berliner war Teil des Vanderbilt Project on Unity and American Democracy, einer Initiative mit dem Ziel, der Polarisierung im Land entgegenzuwirken.

Die Proteste an den Universitäten in den USA und auf der ganzen Welt wurden als Scharmützel im Kampf um die Redefreiheit auf dem Campus dargestellt. In Wirklichkeit sind sie jedoch mehr als das: Sie sind das jüngste und dramatischste Beispiel für die Politisierung unserer Hochschulen durch Akteure von allen Seiten des politischen Spektrums – und für den Druck, unter dem Universitäten stehen, Stellung zu beziehen. 

Zu beobachten ist das nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland. Universitäten sind sich uneinig darüber, inwieweit es geboten ist, Haltung beispielsweise gegenüber dem Krieg in Gaza einzunehmen. Sollten sie ihre Sichtbarkeit und ihren Einfluss nutzen, um sich für die vermeintlich gute Sache einzusetzen? Ist das nicht sogar ihre Pflicht? Wäre alles andere nicht moralisch falsch und feige?  

Die Antwort ist: Nein.  

Im Gegenteil: Es ist essenziell, zu verhindern, dass Universitäten politisiert werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass sie ihren eigentlichen Aufgaben gerecht werden können: nämlich ein offenes, freies Umfeld für Bildung und Forschung zu schaffen. Der Schlüssel dazu ist eine strikte institutionelle Neutralität – egal bei welchem Thema.  

Neutralität und Wilhelm von Humboldt 

Die Grundlage dafür legte schon Wilhelm von Humboldt im Jahr 1810 bei der Gründung der Universität zu Berlin, heute Humboldt-Universität, das Modell der modernen Forschungsuniversität. Ziel war nicht nur, Wissen zu vermitteln, sondern auch neu zu schaffen – in einer lebendigen Gemeinschaft, die die Entwicklung des vollen Selbst der Studenten förderte. Wichtige Bausteine waren ein klares Bekenntnis zur akademischen Freiheit und der Schutz vor politischer Einflussnahme durch den Staat oder andere politischen Akteure.  

Der Erfolg gab dem Ansatz recht: Die Universität wurde zur wichtigsten der Welt. So errangen ihre Lehrkräfte etwa 15 Prozent aller Nobelpreise in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Eine Leistung, die andere Universitäten inspirierte, nachzuziehen – auch in den Vereinigten Staaten. So wurden beispielsweise die Johns Hopkins University in Baltimore und die University of Chicago auf Basis des Humboldt’schen Modells gegründet; Vanderbilt University und die Ivy-League-Universitäten übernahmen es und passten sich daran an.  

Kritik von allen Seiten 

Heute aber sind Grundannahmen dieses Modells in Gefahr. Statt Neutralität als einen notwendigen Faktor für Forschung und Lehre anzusehen, wird diese von Personen auf allen Seiten des politischen Spektrums skeptisch betrachtet oder sogar komplett abgelehnt. Konservative Stimmen sehen in Universitäten Orte der linksliberalen Indoktrination, während die progressive Gegenseite Hochschulen etwa für eine angebliche Zementierung von Ungleichheit angreift. Die Inhalte dieser Debatten sind nicht zwangsläufig neu – man denke nur an die Proteste der deutschen Studentenbewegung in den 1960er Jahren – aber die aktuelle Vehemenz der Ablehnung war lange nicht mehr präsent.  

Damit steigt der Druck auf Hochschulen, zu reagieren. Aber wie?  

Die Antwort ist so simpel wie herausfordernd: Universitäten sollten den unterliegenden Daseinszweck und die Werte ihrer Institutionen glasklar kommunizieren und akademische Freiheit, freie Meinungsäußerung und zivilen Diskurs konsequent wahren – auch bei mutmaßlich guten und wichtigen Themen. Anders zu handeln hieße, ihr Potenzial für Forschung und Lehre langsam, aber stetig auszuhöhlen und Schritt für Schritt, Wort für Wort, Entscheidung für Entscheidung zu einem Spielfeld der unterschiedlichen politischen Interessen, Stimmungen und Stakeholdern zu werden. 

Selbstbeschränkung wagen 

Diejenigen, die Führungsverantwortung in der Universität innehaben, ebenso wie Leiter offizieller akademischer Fachbereiche oder Forschungszentren sowie alle anderen, die in offizieller Funktion sprechen, sollten unbedingt Äußerungen oder Handlungen vermeiden, die auf eine offizielle Position der Hochschule schließen lassen: Das ist das Gebot der institutionellen Neutralität. Für Studierende oder Lehrkräfte, die nicht in offizieller Kapazität sprechen können, gilt dies selbstverständlich nicht.  

Damit bleibt das Recht und die Möglichkeit für freie, offene, kontroverse und auch streitsame Meinungsäußerung gewahrt. Mehr noch: Institutionelle Neutralität stärkt die Freiheit der einzelnen Fakultätsmitglieder, Stellung zu beziehen und sich zu äußern, etwa wenn sie kontroverse oder abweichende Minderheitenmeinungen vertreten.  

Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung sollten Bildungseinrichtungen also die Bühne für Debatten bereiten, nicht diese schlichten. Denn am Ende steht für etwas anderes als institutionelle Neutralität zu viel auf dem Spiel: Hochschulen, die zu politischen Akteuren werden, spielen nach neuen Regeln – und häufig zu ihren Ungunsten. 

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Personalien

Diana Dudziak ist neue Direktorin des Instituts für Immunologie am Universitätsklinikum Jena. Sie hat in Bayreuth und Erlangen Biologie studiert und fertigte am Helmholtz-Zentrum München ihre Dissertation über Signalprozesse des Epstein-Barr-Virus an. Mit einem Emmy-Noether-Stipendium forschte sie an der Rockefeller University in New York und wurde danach zur Professorin für die Biologie Dendritischer Zellen in Erlangen berufen.

Wolf B. Frommer von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) wird in die National Academy of Sciences der USA aufgenommen. Der Pflanzenmolekularbiologe und Alexander von Humboldt-Professor am Institut für Molekulare Physiologie ist in diesem Jahr der einzige in Deutschland Forschende, dem diese Ehre zuteilwird.

Ayuno Nakahashi hat ein dreijähriges Stipendium des Human Frontier Science Program erhalten, das mit rund 200.000 Dollar dotiert ist. Die Neurowissenschaftlerin wird am Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung soziale Interaktionen und Entscheidungsfindung bei Rhesusaffen untersuchen.

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Befürchtungen unter Forschungspolitikerinnen- und politikern wachsen. Während der Streit um den Bundeshaushalt 2025 am Dienstag in eine vorentscheidende Phase ging, – SPD- und Grünen-geführte Bundesministerien wollen zusammen 24,6 Milliarden Euro mehr ausgeben als eigentlich in der Finanzplanung des Bundesfinanzministeriums vorgesehen -, ist aus dem BMBF kein Protest zu hören. Natürlich laufen auch hier die Planungen für den Haushalt 2025 – doch wird Bettina Stark-Watzinger ihrem Parteikollegen nicht öffentlich in die Parade fahren.

    Für 2024 war der BMBF-Haushalt unverändert bei 21,5 Milliarden Euro geblieben, gleichzeitig mussten im Rahmen des Maßnahmenpaketes 200 Millionen Euro über die sogenannten globalen Minderausgaben (GMA) eingespart werden. Damit sei das BMBF aber “glimpflich davongekommen”, hieß es.

    Dass ihr Haus nun erneut alle Auflagen des Finanzministers mehr oder minder folgsam umsetzen wird, darf bezweifelt werden. Aus dem BMBF ist zu hören, dass Einsparungen diesmal nicht mehr einfach hingenommen werden, man sei mit den Bemühungen am Anschlag.

    Noch wird verhandelt. “Der Entwurf für den Haushalt 2025 befindet sich unverändert im nicht-öffentlichen ministeriellen Abschnitt des Haushaltsaufstellungsverfahrens”, sagt Haushälterin Wiebke Esdar (SPD) gegenüber Table.Briefings. Am Dienstagnachmittag haben sich Bundeskanzler Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner zu ersten Beratungen im Kanzleramt getroffen. Über eine Annäherung wurde zunächst nichts bekannt.

    Nachdem in der vergangenen Woche Studenten an der Humboldt-Universität demonstriert hatten, haben Palästina-Aktivisten am Dienstag einen Hof der FU Berlin besetzt. Die Polizei räumte ein Protest-Camp, einzelne Teilnehmer wurden festgenommen. Ebenfalls am Dienstag wurde das Audimax und der Innenhof auf dem Innenstadt-Campus der Universität Leipzig von rund 50 bis 60 Menschen besetzt. Auch hier wurde die Polizei eingeschaltet.

    In der aktuellen Zeit wird von Hochschulen verstärkt gefordert, sich politisch zu erklären, sich für die eine oder andere Seite zu positionieren. Universitäten dürfen nicht zu politischen Spielfeldern werden, erklärt Daniel Diermeier von der Vanderbilt University in seinem Standpunkt. Er plädiert für ein konsequentes, institutionelles Neutralitätsgebot.

    Ich wünsche Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre,

    Ihre
    Nicola Kuhrt
    Bild von Nicola  Kuhrt

    Analyse

    KI-Pionier Richard Socher: “Statt Latein wäre es vermutlich sinnvoller, Python zu lernen”

    Porträtfoto Richard Socher
    Richard Socher ist CEO und Gründer der KI-basierten Suchmaschine you.com.

    Er ist als Forscher und als Unternehmer erfolgreich. Der im Silicon Valley lebende deutsche Computerlinguist Richard Socher (40) hat neuronale Netze zur Sprachverarbeitung eingeführt und unter anderem das Prompt-Engineering erfunden, also die textbasierte Eingabe über die Befehlszeile. Seine wissenschaftlichen Arbeiten wurden mehr als 170.000-mal zitiert. Ende April war er in Deutschland, um in seiner Heimatstadt Dresden die Ehrendoktorwürde entgegenzunehmen.

    Herr Socher, das Time-Magazin zählt Sie zu den 100 einflussreichsten Personen im Bereich KI, und auch sonst haben Sie schon viele Auszeichnungen erhalten. Freuen Sie sich trotzdem über die Ehrendoktorwürde der TU Dresden, die Ihnen Ende April verliehen wurde?  

    Auf jeden Fall. Es ist mein erster Ehrendoktortitel. Dass er von der TU Dresden ist, freut mich als Sachse besonders. Und es bedeutet mir viel, dass meine Forschungsarbeit, mit der ich seit 2011 viele der Grundsteine für Entwicklungen wie ChatGPT gelegt habe, auf diese Weise gewürdigt wird.

    Aktuell arbeiten Sie als Gründer und CEO von you.com an einer neuen Suchmaschine. Wie weit sind Sie damit?

    Wenn es darum geht, korrekte Antworten zu geben, sind wir weiter als viele andere. Unser Ziel ist, eine neue Kategorie zu kreieren: KI-Assistenten, die Antwortmaschinen sind statt Suchmaschinen. Sie sollen Fragen beantworten und helfen, produktiver zu forschen, zu lernen und zu arbeiten. Man erhält keine Link-Liste als Ergebnis, sondern konkrete Antworten. Das Besondere: Es sind stets Quellenangaben dabei und es gibt keinen Knowledge Cutoff, die Suchmaschine ist also immer auf dem neuesten Stand. Dadurch ist sie sehr genau und es gibt kaum Probleme mit Halluzinationen.

    Kooperationen mit Unternehmen und Universitäten geplant

    Steckt hinter Ihrem KI-Assistenten ein eigenes Grundlagenmodell?

    Wir haben ein eigenes Large Language Model, das auf Open-Source-Modellen basiert. Über you.com ist es aber auch möglich, auf alle großen Sprachmodelle zuzugreifen. Mit der Pro-Version sind auch GPT4 von OpenAI, Claude von Anthropics und die neuesten Versionen von Metas Llama und Googles Gemini erreichbar. Unsere Plattform ist mit allen kompatibel.   

    Handelt es sich bei derzeit noch um eine Betaversion? In Deutschland zumindest ist Ihre Antwortmaschine erst wenig bekannt.

    You.com ist regulär auf dem Markt. Wir haben bereits Millionen von Nutzern und machen auch schon Millionen US-Dollar Umsatz. In Deutschland werden wir bald mehr Marketing machen und zum Beispiel die Startseite auf Deutsch anpassen, dann steigt gewiss auch der Bekanntheitsgrad.

    Sie bieten auch maßgeschneiderte Lösungen an. Welche Kunden haben Sie dabei im Blick?

    Das können Unternehmen sein, denen wir einen Chatbot auf Basis ihrer eigenen Daten anbieten. Unter anderem kooperieren wir bereits mit Pharmafirmen und vermutlich auch bald mit Medienhäusern. In den USA sind wir auch im Gespräch mit mehreren Universitäten. Wir können spezielle Chatmodelle für Studierende anbieten, bei denen zum Beispiel definiert werden kann, auf welche Informationsquellen sie bevorzugt zurückgreifen.

    “Ich wollte dorthin, wo die besten Leute arbeiten”

    Wie gut ist die Ausbildung im Bereich KI in Deutschland?

    Das deutsche Informatikstudium ist solide und bereitet auf viele Bereiche gut vor. Ich wollte nach meinem Master im Jahr 2008 für meine Doktorarbeit aber dorthin, wo die besten Leute arbeiten. Deshalb bin ich nach Princeton und an die Stanford University gegangen. Das war aber nicht so einfach, denn ich hatte im Grundstudium noch nicht geforscht und veröffentlicht. Das ist in den USA anders und wird vorausgesetzt.

    Fühlen Sie sich mehr als Wissenschaftler oder mehr als Unternehmer?

    Mittlerweile bin ich vor allem Unternehmer und Start-up-Gründer. Dabei geht es zwar auch viel um Forschungsfragen, aber vor allem im Anwendungsbereich. Ursprünglich war mein Ziel, Wissenschaftler zu werden. Ich hatte sogar schon eine Vollzeitprofessur angenommen. Aber dann hat es mich gelockt, eine Firma zu gründen. Ich habe zunächst gedacht, dass ich das nur mal ein Jahr lang mache.

    Informatik als Pflichtfach in deutschen Schulen

    Was wäre ein Grund für Sie, nach Deutschland zurückzukehren?

    Zurzeit steht das nicht zur Debatte. Meine Frau ist Amerikanerin, mein Haus und meine Firma sind im Silicon Valley. Vielleicht wäre es irgendwann einmal, wenn ich mich wieder mehr der Forschung zuwenden möchte, eine Option.

    Was müsste sich in Deutschland ändern, um der KI-Revolution gerecht zu werden?

    Deutschland könnte sich sehr gut positionieren, wenn Informatik an allen Schulen Pflichtfach wäre. Und statt Latein wäre es vermutlich sinnvoller, die Programmiersprache Python zu lernen. An Hochschulen sollte Informatik vermehrt als Nebenfach angeboten werden – für alle Fächer, also auch für Juristen, Mediziner, insbesondere aber in den Naturwissenschaften. Die Biologie beispielsweise wird sich unglaublich verändern in den nächsten Jahren. Das gilt es aktiv mitzugestalten.

    Wie lässt sich verhindern, dass KI-Talente abwandern?

    Wichtig wäre, mal eine deutsche Uni in die Top 10-Rankings zu bekommen – im Bereich KI/ Informatik, aber auch insgesamt. Deutschland hat viele gute außeruniversitäre Forschungsinstitute, aber davon müssen die Universitäten stärker profitieren. Es ist zurzeit alles so weit verteilt, dass sich keine Top-Uni herausbilden kann.

    Richard Socher mit Ursula Staudinger (li.), Rektorin der TU Dresden und Ivo F. Sbalzarini (re.), Dekan der Fakultät Informatik, bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde.
    Richard Socher mit Ursula Staudinger (li.), Rektorin der TU Dresden und Ivo F. Sbalzarini (re.), Dekan der Fakultät Informatik, bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde.

    Durch KI wird sich vor allem in den Naturwissenschaften viel tun

    Sie haben in Dresden einen Vortrag darüber gehalten, wie KI wissenschaftliche Entdeckungen beschleunigen wird. Wird es so revolutionär, wie viele sagen?

    Das Potenzial ist enorm. KI macht Forschung effizienter, schneller und hilft, auf neue Lösungen oder Ideen zu kommen. In fünf oder zehn Jahren wird vielleicht jeder Forscher einen KI-Wissenschaftler an seiner Seite haben, der keinen Schlaf braucht, sondern arbeitet und arbeitet, bis er ein bestimmtes Problem gelöst hat. Der Effekt zeigt sich bereits in ersten Anwendungen. In der Physik hat KI geholfen, das Plasma in einem Tokamak-Kernfusionsreaktor stabil zu halten. In der Chemie hat ein KI-Tool mehr als zwei Millionen neue kristalline Strukturen entdeckt, die für die Batterieforschung interessant sind. Und in der Biologie kann KI neue Proteine kreieren oder die Vorgänge in der Zelle simulieren. Vor allem in den Naturwissenschaften wird sich viel tun. Deutschland sehe ich da gut aufgestellt mit seiner starken Infrastruktur in Forschung und Lehre.

    Die Helmholtz-Gemeinschaft hat im April die Helmholtz Foundation Model Initiative mit einem Budget von 23 Millionen Euro ins Leben gerufen. Es geht um Pilotprojekte in den Bereichen Medizin, Klimaforschung und Materialwissenschaften. Ist das der richtige Weg?

    Das ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung, also hin zu Grundlagenmodellen für die Wissenschaft. Vielleicht wäre es irgendwann auch angebracht, in Deutschland eine neue Forschungsgesellschaft zu gründen. Und zwar eine, die nicht nach wichtigen Physikern aus dem vergangenen Jahrhundert benannt ist. Sie müsste sich auf Informatik und Computerwissenschaften mit ihren Verknüpfungen in alle anderen Bereiche konzentrieren.

    Richard Socher (40) ist CEO und Gründer der KI-basierten Suchmaschine you.com. Er stammt aus Dresden, hat Computerlinguistik in Leipzig und Saarbrücken studiert. Danach forschte er in den USA an den Universitäten in Princeton und Stanford als einer der ersten über künstliche neuronale Netze für die Sprachverarbeitung. Nach seinem PhD (2014) in Stanford gründete er das Start-up MetaMind, 2016 wurde er Chief Scientist bei Salesforce. 2020 verließ er das Unternehmen, um you.com zu gründen.

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    Karriere in der Wissenschaft: Wie der Tenure-Track bewusstere Karriereentscheidungen ermöglichen soll

    “Drittmittel erlauben es nur sehr selten, unbefristete Stellen zu schaffen”, erklärt Michael Bölker, Vorstandsvorsitzer des Universitätsverbands zur Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses (UniWiND). Wenn also wie in den letzten Jahren die universitäre Grundmittelausstattung gleich bleibe, der Drittmittelanteil aber deutlich steigt, komme es zu einem Problem: Immer mehr Personen arbeiten auf eine universitäre Karriere hin, selbst wenn sie eher schlechte Aussichten auf eine unbefristete Stelle in der Forschung haben.

    UniWind und Graduiertenzentren richten sich auch an Aussteiger

    Weil diese WiMi dann häufig ohne Aussicht auf Entfristung im System verbleiben, greife mitunter auch die umstrittene Befristungsregelung des WissZeitVG und mache eine Weiteranstellung unmöglich, sagt Bölker: “Es gibt keinen Königsweg, wie man aus diesem Problem herauskommt. Es betrifft die Universitäten, Professoren und Arbeitsgruppenleiter in ihrer Gesamtverantwortung.” Auch mit der geplanten Reform des WissZeitVG wird dieses Problem wohl weiter bestehen.

    Diese und andere Problemlagen zu überschauen, daran arbeitet Bölker in seiner Rolle als Vorstandsvorsitzender von UniWiND, einer Dachorganisation von 77 universitären Graduierteneinrichtungen und acht assoziierten Mitgliedern. Der Verband sei eine “bottom-up-Bewegung”, betont Bölker. Er lebe von den beteiligten Graduierteneinrichtungen, die sich in ihm vernetzen, um ihr Qualifizierungs- und Karriereberatungsangebot zu verbessern.

    Zielgruppe sind hierbei explizit nicht nur diejenigen, die in der Wissenschaft bleiben möchten, denn es geht auch um die Beratung derer, die sich während oder nach der Promotion entscheiden, die Universität zu verlassen.

    Tenure-Track soll bewusstere Entscheidung möglich machen

    Ganz ähnlich sehen das im Gespräch auch Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) und Thomas Sommer, Gruppenleiter am Max-Delbrück-Center. Beide sitzen im Vorstand von BR50, einem Zusammenschluss außeruniversitärer Forschungseinrichtungen in Berlin. Für Promovierende und Postdocs in der frühen Karrierephase brauche es mehr Kontakt mit potenziellen Arbeitgebern außerhalb der Universität, erklärt Sommer.

    Deshalb hätten sich die in BR50 zusammengeschlossenen Organisationen vorgenommen, Promovierenden durch Hospitationen in anderen Bereichen bewusstere Karriereentscheidungen zu ermöglichen.

    Allmendinger ergänzt, dass es für sie gleichwertig sei, ob ihre Promovierenden in der Wissenschaft bleiben oder einen anderen Karrierepfad einschlagen möchten. “Aber diejenigen, die wir in der Postdoc-Phase haben, möchte ich nicht alle Jahre wieder befristen, um ihnen dann später keine Perspektiven in der Wissenschaft geben zu können.” Stattdessen gehe es darum, dafür zu sorgen, dass vor Eintritt in die Postdoc-Phase bewusste Entscheidungen für oder gegen einen Verbleib in der Wissenschaft gefällt werden können. Wer bleibt, dem müsse ein Mindestmaß an Sicherheit gewährleistet werden. Wichtig hierbei seien klare Kriterien zur Entfristung entsprechend einem Tenure-Track-Programm. Wer eine Tenure-Track-Stelle bekommt, für den ist von vornherein klar festgelegt, welche Leistungen in welchem Zeitraum erbracht werden müssen, um eine unbefristete Professur zu bekommen.

    Allmendinger: “Entfristungen entinstitutionalieren”

    An der Schaffung eines solchen Tenure-Track-Modells soll BR50 nun in Kooperation mit den Berliner Universitäten mitwirken. Die Idee dabei sei es, “Entfristungen zu entinstitutionalisieren”, sagt Allmendinger. Daueraufgaben, die an mehreren Einrichtungen anfallen, können so in einer institutionenübergreifenden Professur vereinigt werden. Eine solche Professur könnte beispielsweise die Lehre an den Universitäten unterstützen, während die Inhaber am WZB oder eine anderen wissenschaftlichen Einrichtung Grundlagenforschung betreibt.

    Laut Allmendinger braucht es nicht unbedingt eine Mittelerhöhung, um den universitären Arbeitsmarkt zu stabilisieren und übersichtlicher zu machen. Stattdessen wäre eine Umsteuerung weg von kurzfristigen Projekten hin zu einer längerfristigen institutionellen Finanzierung nötig: “Der Wissenschaft muss mehr Vertrauen geschenkt werden in eine Selbstorganisation der Mittel.”

    Zu viele persönliche Abhängigkeiten im deutschen Universitätssystem

    Wichtig bei so einer Umsteuerung sei insbesondere auch die Schaffung alternativer Karrierewege für Personen, die aus der Wissenschaft ausscheiden, erklärt René Krempkow, Hochschulforscher an der International University for Applied Sciences in Berlin. Bedarf gäbe es etwa im entfristungsfreudigeren Wissenschaftsmanagement, wo Doktortitel und Forschungserfahrungen häufig sehr hilfreich seien.

    Das zugrundeliegende Problem sei damit aber nicht gebannt, betont Krempkow: “Im internationalen Vergleich ist das deutsche Wissenschaftssystem immer noch zu unberechenbar, zu intransparent und zu sehr abhängig von den Launen einzelner Personen.” Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern und trotz der wichtigen Arbeiten von Graduierteneinrichtungen lägen in der deutschen Promotionsphase häufig Betreuung, Begutachtung und Weiterbeschäftigung in einer Hand. Das öffne Tür und Tor für Machtmissbrauch.

    Berufungsverfahren an Hochschulen häufig eine “Black Box”

    Auch nach der Promotion setze sich die Intransparenz über Entscheidungsprozesse an deutschen Universitäten fort, moniert Krempkow. Berufungsverfahren seien häufig nach wie vor eine “ziemliche Black Box”, bei der nicht immer klar sei, ob es wirklich die erbrachte Leistung ist, die den entscheidenden Ausschlag für eine Festanstellung gibt – und nicht etwa persönliche Bekanntschaft. “Kriterien werden im Nachhinein hingebogen, auch weil es zum Teil keine richtigen Anforderungsprofile gibt.” Das schade dem Vertrauen in das Wissenschaftssystem und dem internationalen Ruf deutscher Universitäten.

    Trotzdem gebe es aber auch positive Entwicklungen. “Good Practice-Beispiele” nennt Krempkow das: Tenure Track, Graduiertenschulen, Graduiertenzentren und kooperative Promotionen. Seine Hoffnung: “Niemand will Nachzügler sein. Wenn es erst mal eine Dynamik gibt, und das sehe ich schon an vielen Stellen, dann ist es ja rufschädigend, wenn man sagt: not in my backyard.”

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    Termine

    13. Mai 2024, 13:00 Uhr, Online
    Diskussion mit Jens Brandenburg Gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft – die Rolle des Bundes Mehr

    13. Mai 2024, 19:00 Uhr, Hauptstadtrepräsentanz der Deutschen Telekom AG, Französische Str. 33a-c, 10117 Berlin und Livestream
    Preisverleihung Preisverleihung der Alexander von Humboldt-Professuren Mehr

    14. Mai 2024, 12:00 bis 13:00 Uhr, online
    Leopoldina International Virtual Panel (LIVP) “Veränderung initiieren: Ein globaler Gesundheitsansatz im Lichte von Pandemien” Mehr

    14. Mai 2024, 19:30 Uhr, Online
    acatech am Dienstag Dual Use Mehr

    15./16. Mai 2024, Katholische Akademie in Bayern, Mandlstraße 23, 80802 München
    XVII. Hochschulsymposium der Schleyer-Stiftung in Kooperation mit Heinz Nixdorf Stiftung und TU München “Nachhaltigkeit in der Wissenschaft: Notwendigkeiten neuer Formen der Zusammenarbeit” Mehr

    27./28. Mai 2024, Dresden/International Congress Center Conference
    Konferenz “Building Bridges for a Net Zero Future” Mehr

    28. Mai 2024, 18:00-20:00 Uhr, TU Berlin, Hauptgebäude, Straße des 17. Juni 135, Hörsaal 0107 (EG) und online
    Veranstaltungsreihe über Grundfinanzierung statt Projektwettbewerb, u.a. von GEW und NGAWiss “Projektfinanzierung und/oder Wissenschaftsfreiheit?” Mehr

    3. Juni 2024, 18:00-19:45 Uhr, Leopoldina, Jägerberg 1, 06108 Halle (Saale)
    Dialogveranstaltung Europas Populisten im Aufwind: Ökonomische Ursachen und demokratische Herausforderungen Mehr

    News

    Natrium-Ionen-Batterien: Wie Deutschland den Anschluss an China schaffen will

    Im Projekt “Entwicklung der Natrium-Ionen-Technologie für industriell skalierbare Energiespeicher” (Entise) will ein Konsortium aus 15 Unternehmen und Hochschulen unter der Leitung von Varta die Entwicklung von Natrium-Ionen-Batterien (NIB) als kostengünstige und umweltfreundliche Alternative zu Lithium-Ionen-Batterien vorantreiben. Das BMBF fördert das Projekt mit rund 7,5 Millionen Euro. 

    Ziel des Konsortiums ist es, eine kostengünstige Zellchemie zu entwickeln und in industriell nutzbare Zellformate zu überführen – insbesondere für die Elektromobilität und Energiespeicherung. Bis Mitte 2027 will das Projekt marktfähige Natrium-Ionen-Zellen im industriellen Maßstab präsentieren. NIBs gelten als Hoffnungsträger für die Zukunft nachhaltiger und ressourcenschonender Energiespeicherung: Natrium sei leicht verfügbar, kostengünstig, sicher und könne problemlos entsorgt oder recycelt werden, schreibt Varta in seiner Pressemitteilung

    Weiteres Projekt zu Natrium-Ionen-Batterien durch Haushaltskürzungen gefährdet

    Insider werten die Förderung als wichtigen Schritt, um mit der internationalen Konkurrenz – vor allem aus China – Schritt zu halten. Chinesische Hersteller haben bereits erste Elektrofahrzeuge mit NIBs vorgestellt. Durch die Kürzungen in der Batterieforschung ist allerdings ein weiteres Projekt zu NIB gefährdet. Dieses Projekt mit einem noch stärkeren Fokus auf industrielle Anwendungen und einem größeren Konsortium würde zusammen mit Entise ein gut aufgestelltes Ökosystem schaffen, heißt es aus der Community. mw

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    Start-ups: Wie die EU junge Tech-Firmen fördern soll

    Was genau ist eigentlich ein Start-up? Nicht einmal eine genaue Definition gibt es für junge Technologiefirmen, die innovative Produkte und Dienstleistungen entwickeln. Eine europaweit einheitliche Definition sei jedoch dringend nötig, fordern der Bitkom und andere europäischen Digitalverbände. Nur mit einer gemeinsamen Datengrundlage sei ein effektives Benchmarking und eine Leistungsmessung möglich.

    Im Vorfeld der Europawahlen 2024 fordern die europäischen Digitalverbände weitere tiefgreifende Reformen bei der Start-up- und Scale-up-Politik der EU. Unter dem Motto “StartupTakeoff” haben Sie dazu Leitlinien für die kommende Legislatur-Periode veröffentlicht. Zu den zentralen Forderungen der Verbände gehören neben der einheitlichen Definition auch die Schaffung einer zentralen Stelle innerhalb der EU-Institutionen, die eine einheitliche Start-up-Politik vorantreiben soll.

    Deutsche Start-ups finden Förderprogramme hilfreich

    “Es reicht nicht, im Vorfeld der anstehenden EU-Wahlen die Bedeutung von Start-ups für Wirtschaft und Gesellschaft zu betonen. Nach den Wahlen müssen einige wenige, aber sehr konkrete und kraftvolle Maßnahmen umgesetzt werden”, sagte Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst.

    Die Mehrheit der Tech-Start-ups in Deutschland ist überzeugt, dass die EU mehr tun muss, um Start-ups in der aktuell schwierigen Konjunktur zu unterstützen. Das ergab eine Befragung von 172 Tech-Start-ups im Auftrag des Bitkom. 87 Prozent sagten, dass Ausbau und Stärkung von Förderprogrammen für ihr Start-up hilfreich wären. 84 Prozent wünschen sich eine Stärkung des Wagniskapitalangebots in Europa, etwa durch Anreize für institutionelle Investoren.

    Für 81 Prozent wäre ein vereinfachter Marktzutritt zu anderen EU-Staaten hilfreich, etwa durch einen weiter harmonisierten Binnenmarkt oder eine EU-weit einheitliche Rechtsform für Start-ups. “Start-ups aus europäischen Ländern haben verglichen mit Wettbewerbern aus Asien oder den USA immer noch den Nachteil eines stark zerklüfteten Binnenmarkts“, sagte Wintergerst. Die EU verspiele mit unnötiger Bürokratie und Kleinstaaterei zu viele Chancen.

    Start-ups wünschen sich einen eigenen Kommissar

    Insgesamt acht Forderungen an die EU stellten die Digitalverbände auf:

    • Ernennung eines EU-Kommissars für Start-ups: Entwicklung einer einheitlichen Start-up/Scale-up-Strategie, die Finanzierung, Regulierung und Marktzugang adressiert
    • Einheitliche Startup-Definition: Schaffung einer konsistenten Datenbasis
    • Förderung des Forschungstransfers: Aufbau von Infrastruktur und Bereitstellung von Mitteln zur Schaffung eines europäischen Deeptech-Ökosystems
    • Vereinfachung von Finanzierung, Börsengängen und Exit-Strategien: Schaffung von Fonds und Bedingungen, die den Zugang zu Finanzmitteln erleichtern und Börsengänge sowie Exit-Strategien für Start-ups unterstützen
    • Staatlich garantierte Verträge für große Start-up-Erfolge: Einführung von Verträgen, die Start-ups bei der Minimierung von unternehmerischen Risiken unterstützen
    • Schaffung einer EU-weiten Rechtsform für Start-ups, um grenzüberschreitende Aktivitäten zu erleichtern und den administrativen Aufwand zu reduzieren
    • Talentakquisition und Management von Mitarbeiterbeteiligungsplänen (ESOP): Vereinfachung der Visa-Prozesse und Harmonisierung von ESOPs zur Anziehung und Bindung von Top-Talenten
    • B2G-Unterstützung: Erleichterung des Zugangs zu öffentlichen Aufträgen und Märkten für Start-ups und Förderung der Digitalisierung des öffentlichen Sektors. vis
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    Technologie: So kann die EU China abhängig machen

    Europa ist technisch noch nicht abgehängt – und es sollte seine verbliebenen Stärken gerade jetzt strategisch einsetzen. Das ist die Kernaussage eines neuen Reports des Forschungsverbunds Digital Power China (DPC) zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), der am Dienstag vorgestellt wurde. Es gehe darum, die technologischen Fähigkeiten Europas als politischen Hebel ins Spiel zu bringen, so die Autorinnen und Autoren.

    Eine Abkopplung von China wäre im Vergleich dazu strategisch nicht sinnvoll, weil die EU dann Verhandlungsmasse verlieren würde. Vielmehr könnte es ein wirksames Instrument der Risikoverringerung (De-Risking) sein, den chinesischen Markt zu bedienen, das Technikwissen selbst aber nicht herzugeben. So könnte Europa China die Produkte oder Dienste notfalls vorenthalten. Der Report verwendet hierfür den Begriff “strategische Verstrickung”.

    Beispiel für starke EU-Technologie: Computertomografen

    Beispiele für starke EU-Technologien sind Belichtungsmaschinen für die Halbleiterproduktion, Medizintechnik wie Computertomografen, aber auch moderne Materialien wie Spezialmetalle. Nicht jede der Branchen, in denen EU-Firmen gut dastehen, lasse sich gleich als Druckmittel verwenden; in vielen Fällen können ihre Produkte leicht ersetzt werden. In anderen Fällen basieren die technischen Stärken aber auf exzellenter Grundlagenforschung oder dem Vorhandensein zahlreicher spezialisierter Zulieferer, deren Leistungen sich nicht kopieren lassen.

    Digital Power China (DPC) ist ein loser Forschungsverbund. Dazu gehört neben der DGAP beispielsweise auch das International Institute for Strategic Studies in London (IISS), das French Institute of International Relations (ifri) in Paris, die China Macro Group (Schweiz) oder das Royal Institute of Technology in Stockholm. fin

    • De-Risking
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    Presseschau

    Science. A scientist for president. Sollte Claudia Sheinbaum Pardo gewählt werden, wäre sie die erste Frau und die erste Forscherin im mexikanischen Präsidentenamt. Die 61-jährige Umweltingenieurin, die bereits Bürgermeisterin und Umweltministerin von Mexiko-Stadt war, liegt in den Umfragen vor den Wahlen am 2. Juni deutlich vor ihren beiden Konkurrenten. Weil sie vom derzeitigen populistischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador protegiert wird, gibt es jedoch Bedenken. In dessen Amtszeit kam es zu Kürzungen der Forschungsausgaben und umstrittenen Umstrukturierungen der wichtigsten mexikanischen Wissenschaftsbehörde. Sheinbaum Pardo beteuert jedoch, sie werde die Wissenschaft unterstützen. Mehr

    Tagesspiegel. TU Berlin: Es gibt genug Probleme, aber “Wokeism” ist keins davon. Barış Ünal, Leiter der TU-Studienberatung, geht in seiner Kolumne auf einen kürzlich in der NZZ erschienenen kritischen Artikel über TU-Präsidentin Geraldine Rauch ein. Die NZZ-Autorin mache den Willen, sich politisch zu positionieren, dafür verantwortlich, dass es bei anderen Posten wie Reisekostenabrechnungen oder Bauvorhaben weiter hapert, schreibt er. Der Beitrag erscheine ihm wie von einer Gilde, die sich weniger diversifiziert hat als der Rest der Gesellschaft. Für eine Universität – insbesondere mit der Historie der TU Berlin – sollte es aus seiner Sicht eher Selbstverständlichkeit und Qualitätsmerkmal sein, wenn sie wach, engagiert und progressiv ist. Mehr

    Tagesspiegel. Mögliche Wiederwahl Trumps: Welche Folgen hätte das für die Wissenschaft? Dazu geben die Spitzen von MPG, DAAD und DFG ihre Einschätzung. Patrick Cramer macht sich mit Blick auf die anstehenden Wahlen zwar Sorgen, vertraut aber darauf, dass das Wissenschaftssystem dort hinreichend resilient ist. Joybrato Mukherjee plädiert dafür, gerade jetzt bestehende Kooperationen mit US-Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu stärken. Zudem gelte es neue Kooperationen einzugehen. Katja Becker mahnt: Wer immer nach dem 5. November ins Weiße Haus zieht, müsse weiter dafür Sorge tragen, dass Wissenschaft in Freiheit und internationalem Austausch ihren Beitrag zur Lösung der aktuellen und künftigen globalen Herausforderungen und Krisen erbringen kann. Mehr

    • DFG

    Standpunkt

    Warum institutionelle Neutralität für Universitäten essenziell ist

    Von Daniel Diermeier
    Daniel Diermeier ist seit 2020 Chancellor der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee. Der gebürtiger Berliner war Teil des Vanderbilt Project on Unity and American Democracy, einer Initiative mit dem Ziel, der Polarisierung im Land entgegenzuwirken.

    Die Proteste an den Universitäten in den USA und auf der ganzen Welt wurden als Scharmützel im Kampf um die Redefreiheit auf dem Campus dargestellt. In Wirklichkeit sind sie jedoch mehr als das: Sie sind das jüngste und dramatischste Beispiel für die Politisierung unserer Hochschulen durch Akteure von allen Seiten des politischen Spektrums – und für den Druck, unter dem Universitäten stehen, Stellung zu beziehen. 

    Zu beobachten ist das nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland. Universitäten sind sich uneinig darüber, inwieweit es geboten ist, Haltung beispielsweise gegenüber dem Krieg in Gaza einzunehmen. Sollten sie ihre Sichtbarkeit und ihren Einfluss nutzen, um sich für die vermeintlich gute Sache einzusetzen? Ist das nicht sogar ihre Pflicht? Wäre alles andere nicht moralisch falsch und feige?  

    Die Antwort ist: Nein.  

    Im Gegenteil: Es ist essenziell, zu verhindern, dass Universitäten politisiert werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass sie ihren eigentlichen Aufgaben gerecht werden können: nämlich ein offenes, freies Umfeld für Bildung und Forschung zu schaffen. Der Schlüssel dazu ist eine strikte institutionelle Neutralität – egal bei welchem Thema.  

    Neutralität und Wilhelm von Humboldt 

    Die Grundlage dafür legte schon Wilhelm von Humboldt im Jahr 1810 bei der Gründung der Universität zu Berlin, heute Humboldt-Universität, das Modell der modernen Forschungsuniversität. Ziel war nicht nur, Wissen zu vermitteln, sondern auch neu zu schaffen – in einer lebendigen Gemeinschaft, die die Entwicklung des vollen Selbst der Studenten förderte. Wichtige Bausteine waren ein klares Bekenntnis zur akademischen Freiheit und der Schutz vor politischer Einflussnahme durch den Staat oder andere politischen Akteure.  

    Der Erfolg gab dem Ansatz recht: Die Universität wurde zur wichtigsten der Welt. So errangen ihre Lehrkräfte etwa 15 Prozent aller Nobelpreise in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Eine Leistung, die andere Universitäten inspirierte, nachzuziehen – auch in den Vereinigten Staaten. So wurden beispielsweise die Johns Hopkins University in Baltimore und die University of Chicago auf Basis des Humboldt’schen Modells gegründet; Vanderbilt University und die Ivy-League-Universitäten übernahmen es und passten sich daran an.  

    Kritik von allen Seiten 

    Heute aber sind Grundannahmen dieses Modells in Gefahr. Statt Neutralität als einen notwendigen Faktor für Forschung und Lehre anzusehen, wird diese von Personen auf allen Seiten des politischen Spektrums skeptisch betrachtet oder sogar komplett abgelehnt. Konservative Stimmen sehen in Universitäten Orte der linksliberalen Indoktrination, während die progressive Gegenseite Hochschulen etwa für eine angebliche Zementierung von Ungleichheit angreift. Die Inhalte dieser Debatten sind nicht zwangsläufig neu – man denke nur an die Proteste der deutschen Studentenbewegung in den 1960er Jahren – aber die aktuelle Vehemenz der Ablehnung war lange nicht mehr präsent.  

    Damit steigt der Druck auf Hochschulen, zu reagieren. Aber wie?  

    Die Antwort ist so simpel wie herausfordernd: Universitäten sollten den unterliegenden Daseinszweck und die Werte ihrer Institutionen glasklar kommunizieren und akademische Freiheit, freie Meinungsäußerung und zivilen Diskurs konsequent wahren – auch bei mutmaßlich guten und wichtigen Themen. Anders zu handeln hieße, ihr Potenzial für Forschung und Lehre langsam, aber stetig auszuhöhlen und Schritt für Schritt, Wort für Wort, Entscheidung für Entscheidung zu einem Spielfeld der unterschiedlichen politischen Interessen, Stimmungen und Stakeholdern zu werden. 

    Selbstbeschränkung wagen 

    Diejenigen, die Führungsverantwortung in der Universität innehaben, ebenso wie Leiter offizieller akademischer Fachbereiche oder Forschungszentren sowie alle anderen, die in offizieller Funktion sprechen, sollten unbedingt Äußerungen oder Handlungen vermeiden, die auf eine offizielle Position der Hochschule schließen lassen: Das ist das Gebot der institutionellen Neutralität. Für Studierende oder Lehrkräfte, die nicht in offizieller Kapazität sprechen können, gilt dies selbstverständlich nicht.  

    Damit bleibt das Recht und die Möglichkeit für freie, offene, kontroverse und auch streitsame Meinungsäußerung gewahrt. Mehr noch: Institutionelle Neutralität stärkt die Freiheit der einzelnen Fakultätsmitglieder, Stellung zu beziehen und sich zu äußern, etwa wenn sie kontroverse oder abweichende Minderheitenmeinungen vertreten.  

    Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung sollten Bildungseinrichtungen also die Bühne für Debatten bereiten, nicht diese schlichten. Denn am Ende steht für etwas anderes als institutionelle Neutralität zu viel auf dem Spiel: Hochschulen, die zu politischen Akteuren werden, spielen nach neuen Regeln – und häufig zu ihren Ungunsten. 

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    • Wissenschaftsfreiheit

    Personalien

    Diana Dudziak ist neue Direktorin des Instituts für Immunologie am Universitätsklinikum Jena. Sie hat in Bayreuth und Erlangen Biologie studiert und fertigte am Helmholtz-Zentrum München ihre Dissertation über Signalprozesse des Epstein-Barr-Virus an. Mit einem Emmy-Noether-Stipendium forschte sie an der Rockefeller University in New York und wurde danach zur Professorin für die Biologie Dendritischer Zellen in Erlangen berufen.

    Wolf B. Frommer von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) wird in die National Academy of Sciences der USA aufgenommen. Der Pflanzenmolekularbiologe und Alexander von Humboldt-Professor am Institut für Molekulare Physiologie ist in diesem Jahr der einzige in Deutschland Forschende, dem diese Ehre zuteilwird.

    Ayuno Nakahashi hat ein dreijähriges Stipendium des Human Frontier Science Program erhalten, das mit rund 200.000 Dollar dotiert ist. Die Neurowissenschaftlerin wird am Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung soziale Interaktionen und Entscheidungsfindung bei Rhesusaffen untersuchen.

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