hier sind wir wieder. Leise klopfen wir an, der (morgendliche) Alltag kehrt langsam zurück. Wahrscheinlich genießen Sie noch ein paar Ferientage, bevor Sie sich wieder an Ihren Schreibtisch begeben werden. Ein wenig noch hat die Leichtigkeit der Pause ihren Raum, spätestens nächste Woche wollen wieder Projekte besprochen und Entscheidungen getroffen werden. Doch wie wollen Sie starten?
In vielen Rückblicken auf das vergangene Jahr ging es wenig erfreulich zu: Rankings und Umfragen bescheinigen eine sinkende internationale Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Forschungssystems, dringend nötige Lösungen etwa für mehr Transfer und Innovation lassen auf sich warten. Dazu viel Aufregung, aber immer noch keine Lösung für bessere Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft, neues Misstrauen in Kooperationen mit chinesischen Forschern und (noch) wenig Strategie für die Zukunftsstrategie. Und das alles in einer krisenhaften Zeit, in der politisch das große Sparen ausgerufen wurde, der Haushalt 2024 zurückgezogen und der neue noch nicht final ist. Dazu Krieg in der Ukraine und in Israel. Ein weites und unsicheres Feld, das sich jedem Einzelnen zeigt. Wie also am besten auf die zahlreichen Herausforderungen reagieren?
Wir haben Christoph Markschies, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, gebeten, ein paar grundsätzliche Gedanken zum neuen Jahr mit uns zu teilen. Er hat einige Wünsche für die Wissenschaft notiert. Was er mit sinnvoller Prioritätensetzung meint und warum er sich das Gefühl zurückwünscht, das er direkt nach seiner ersten Corona-Impfung hatte, lesen Sie im ersten Standpunkt des neuen Jahres.
Wir wünschen Ihnen einen guten Start ins Jahr 2024 – und nun eine anregende Lektüre,
Die ersten fünfzehn Minuten nach der lang ersehnten ersten Impfung gegen das SARS-CoV-2-Virus 2021 werde ich nicht vergessen. Damals musste man, damit die unmittelbare Reaktion beobachtet werden konnte, noch diese Minuten in der Praxis unter Aufsicht warten. Ich war während dieser Zeit einfach nur außerordentlich glücklich darüber, nun besser gegen ein gefährliches Virus geschützt zu sein, beeindruckt von den Künsten der Lebenswissenschaften, die unter den Bedingungen einer Pandemie so schnell einen Impfstoff entwickelt hatten und vor allem inmitten einer schweren Krise plötzlich wieder voller Vertrauen in die Zukunft.
Die außerordentliche Intensität meiner Gefühle in diesem besonderen Augenblick werde ich sicher niemals mehr vergessen, ebenso wenig wie den Moment, als ich vor einem kleinen Fernseher am 9. November 1989 in einer Kleinstadt bei Tübingen die ersten Bilder von der Mauer am Brandenburger Tor und die tanzenden Menschen auf dem schrecklichen Bauwerk gesehen habe. Kurz vor der eigenen Impfung hatte ich die Gelegenheit, Özlem Türeci und Uğur Şahin bei einem Essen nach einer Preisverleihung persönlich kennenzulernen und war schon einmal tief beeindruckt von der bescheidenen, freundlichen, aber auch ganz auf die eigene Forschung konzentrierten Art der beiden und voller Vorfreude auf die eigene Impfung.
Dagegen habe ich in den letzten Monaten des Jahres 2023 bei vielen Kolleginnen und Kollegen aus der Wissenschaft, aber auch bei Verantwortlichen aus der Politik ganz andere Gefühle als vor drei Jahren beobachtet: Tiefe Sorge, aber auch regelrechte Angst waren Thema vieler Gespräche, der kurzen beim Buffet und der längeren beim Mittag- oder Abendessen. Und zu den Gefühlen der Sorge und Angst, von denen da zu hören war, kamen dann auch Mahnungen, es ja nur nicht zu leicht zu nehmen mit den politischen Konfliktlagen in Osteuropa und im Nahen Osten, der Haushaltslage des Bundes wie der Länder in den nächsten Jahren und der Stimmungslage insbesondere in den östlichen Bundesländern vor den Landtagswahlen des neuen Jahres.
Ich will keine einzige der hier angesprochenen Krisen aus einem noch viel breiteren Knäuel multipler, teilweise eng verflochtener Krisen bagatellisieren und verstehe alle die, die sorgenvoll oder gar ängstlich in das neue Jahr blicken, nur zu gut. Ein einziges Beispiel: Die offenkundigen Probleme bei der schulischen und universitären Bildung wird man trotz aller Haushaltsnotlagen nur mit auskömmlicher Finanzierung in den Griff bekommen – aber die Direktorin irgendeiner Berliner Schule weiß oft nicht, wo sie Lehrkräfte herbekommen und wie sie nutzbare Klassenräume herstellen soll und muss sich nun angesichts steigender Kosten auf nahezu allen Gebieten doch zugleich auf deutlich sinkende öffentliche Zuweisungen einstellen. Eine unter vielen Menschen, die sich berechtigterweise Sorgen machen und verständlicherweise Angst haben.
An einigen Stellen würde ich mir sogar mehr Sorgen bei den einschlägigen Verantwortlichen wünschen: Ist beispielsweise unser Verfassungssystem wirklich resilient genug gegenüber starken antidemokratischen Gruppen in unseren Parlamenten?
Gerade weil ich Menschen verstehe, die sorgenvoll in das neue Jahr schauen und vor der geradezu unheimlichen Verstärkung von Krisenphänomenen Angst haben, wünsche ich mir für 2024 die Gefühle der fünfzehn Minuten im Wartezimmer der Praxis 2021 zurück. Das waren ja keine naiven Stimmungslagen, sondern Empfindungen aus gutem Grund: Ich war ja durch den Impfstoff tatsächlich erheblich besser gegen ein gefährliches Virus geschützt. Und man darf auch als Geisteswissenschaftler beeindruckt sein von den Künsten der Lebenswissenschaften, die unter den Bedingungen einer Pandemie so schnell einen Impfstoff zu entwickeln in der Lage waren.
Viel zügiger, als alle Pandemie-Pläne erwartet hatten, gelang es, jahrelange Grundlagenforschung in die Anwendung zu bringen und zügig große Mengen Impfstoff zu produzieren. Die Dramatik der Krise intensivierte die Anstrengungen der Forschung, half, schneller Lösungen zu finden und die gefundenen Lösungen zügiger in die Anwendung zu bringen. Unter Druck gelingt es manchen Menschen besonders gut, in kurzer Zeit herausragende Ergebnisse zu finden. Warum sollte das eigentlich nicht auch für die multiplen Krisen unserer Tage gelten?
Natürlich möchte ich nicht zu naivem Vertrauen in die Kraft der Wissenschaft auffordern. Ein Theologe reagiert immer nervös, wenn sich Menschen mit dem Messias verwechseln und wenn der Wissenschaft die Kraft zugeschrieben wird, die Welt zu erretten. Wir wissen leider auch, dass Erfindungen der Wissenschaft die Krisen der Welt erheblich verstärken oder ihren Verlauf negativ beschleunigen können. Es kommt immer darauf an, welcher Gebrauch von wissenschaftlichen Entdeckungen gemacht wird und mit welcher inneren Einstellung die wissenschaftliche Forschung betrieben wird.
Als Ersatzreligion in Zeiten des allmählichen Verschwindens traditioneller Religion in unserem Land taugt Wissenschaft nicht. Richtig eingesetzt, verantwortlich betrieben und angemessen ausgestattet, kann sie viele Probleme lösen – und ein wenig Glück muss natürlich auch dazu kommen. Wir brauchen eine nüchterne Betrachtung der Chancen von Wissenschaft, die weder übertriebene messianische Hoffnungen in die Welt setzt noch apokalyptische Zukunftsvisionen in grellen Farben an die Wand malt.
Eine solche nüchterne Betrachtung der Chancen von Wissenschaft kann aber, wie die Entwicklung des SARS-CoV-2-Impfstoffs beispielhaft zeigt, dasjenige realistische Vertrauen in Kraft der Wissenschaft zur Folge haben, das meiner Ansicht nach deutlich mehr hilft als übertriebene Sorge und übertriebene Angst. Wenn in den öffentlichen Haushalten die Finanzmittel knapper werden, müssen wir, ohne in Schockstarre zu verfallen, nach denen Ausschau halten, die sich wie seinerzeit im Falle von BioNTech auch für langwierige, risikoreiche Grundlagenforschung mit privatem Geld zu engagieren bereit sind.
Wenn in den multiplen Krisen der Abbau der fachlichen Breite unserer Bildungseinrichtungen empfohlen wird, für die spannenden neuen Forschungsfelder kein Geld mehr da sein soll und die öffentlich finanzierte Forschung bereits im Blick auf Karrieremöglichkeiten wie Entlohnung nicht mehr konkurrenzfähig dasteht, müssen wir nach Verbündeten im politischen Raum suchen. Die gibt es gerade auch in den Haushaltsausschüssen unserer Parlamente.
Ich bin nicht nur fest davon überzeugt, dass sich die multiplen Krisen unserer Gegenwart nur mit mehr wissenschaftlicher Anstrengung lösen lassen, sondern auch davon, dass man dafür bei politischen Entscheidungsträgern und finanzkräftigen Investoren argumentieren kann. Zu einem realistischen Vertrauen gehört, sich daran zu erinnern, dass in Krisenzeiten wissenschaftliche Neugier besonders herausgefordert ist und darauf zu vertrauen, dass das erst recht für Zeiten multipler Krisen gilt.
Was wünsche ich mir also für 2024? Ich wünsche mir, dass wir dieses realistische Vertrauen auf die Chancen der Wissenschaft aus den Wartezimmern nach der Impfung 2021 wieder gewinnen, nicht in Sorge und Angst versinken, sondern unsere Aufgaben priorisieren und vertrauensvoll angehen. Realistisches Vertrauen auf die Kraft der Wissenschaft in Krisenzeiten ist ein guter Nährboden für wissenschaftliche Neugier.
Von den Geisteswissenschaften wünsche ich mir, dass wir dabei helfen, realistisches Vertrauen auf Wissenschaft in der Gesellschaft zu stärken und, wo es verloren gegangen ist, helfen, es wieder aufzubauen. Es gibt in der Wissenschaft nicht nur möglicherweise bessere und möglicherweise schlechtere Deutungen, sondern auch eindeutig richtige und eindeutig falsche Erkenntnis. Und es ist legitim, darüber nachzudenken, wie sich eindeutig richtige Erkenntnis in einer Gesellschaft durchsetzen kann. Nur dann ist das Vertrauen, dass sich die richtige Erkenntnis schon von selbst durchsetzen wird, realistisches Vertrauen.
hier sind wir wieder. Leise klopfen wir an, der (morgendliche) Alltag kehrt langsam zurück. Wahrscheinlich genießen Sie noch ein paar Ferientage, bevor Sie sich wieder an Ihren Schreibtisch begeben werden. Ein wenig noch hat die Leichtigkeit der Pause ihren Raum, spätestens nächste Woche wollen wieder Projekte besprochen und Entscheidungen getroffen werden. Doch wie wollen Sie starten?
In vielen Rückblicken auf das vergangene Jahr ging es wenig erfreulich zu: Rankings und Umfragen bescheinigen eine sinkende internationale Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Forschungssystems, dringend nötige Lösungen etwa für mehr Transfer und Innovation lassen auf sich warten. Dazu viel Aufregung, aber immer noch keine Lösung für bessere Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft, neues Misstrauen in Kooperationen mit chinesischen Forschern und (noch) wenig Strategie für die Zukunftsstrategie. Und das alles in einer krisenhaften Zeit, in der politisch das große Sparen ausgerufen wurde, der Haushalt 2024 zurückgezogen und der neue noch nicht final ist. Dazu Krieg in der Ukraine und in Israel. Ein weites und unsicheres Feld, das sich jedem Einzelnen zeigt. Wie also am besten auf die zahlreichen Herausforderungen reagieren?
Wir haben Christoph Markschies, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, gebeten, ein paar grundsätzliche Gedanken zum neuen Jahr mit uns zu teilen. Er hat einige Wünsche für die Wissenschaft notiert. Was er mit sinnvoller Prioritätensetzung meint und warum er sich das Gefühl zurückwünscht, das er direkt nach seiner ersten Corona-Impfung hatte, lesen Sie im ersten Standpunkt des neuen Jahres.
Wir wünschen Ihnen einen guten Start ins Jahr 2024 – und nun eine anregende Lektüre,
Die ersten fünfzehn Minuten nach der lang ersehnten ersten Impfung gegen das SARS-CoV-2-Virus 2021 werde ich nicht vergessen. Damals musste man, damit die unmittelbare Reaktion beobachtet werden konnte, noch diese Minuten in der Praxis unter Aufsicht warten. Ich war während dieser Zeit einfach nur außerordentlich glücklich darüber, nun besser gegen ein gefährliches Virus geschützt zu sein, beeindruckt von den Künsten der Lebenswissenschaften, die unter den Bedingungen einer Pandemie so schnell einen Impfstoff entwickelt hatten und vor allem inmitten einer schweren Krise plötzlich wieder voller Vertrauen in die Zukunft.
Die außerordentliche Intensität meiner Gefühle in diesem besonderen Augenblick werde ich sicher niemals mehr vergessen, ebenso wenig wie den Moment, als ich vor einem kleinen Fernseher am 9. November 1989 in einer Kleinstadt bei Tübingen die ersten Bilder von der Mauer am Brandenburger Tor und die tanzenden Menschen auf dem schrecklichen Bauwerk gesehen habe. Kurz vor der eigenen Impfung hatte ich die Gelegenheit, Özlem Türeci und Uğur Şahin bei einem Essen nach einer Preisverleihung persönlich kennenzulernen und war schon einmal tief beeindruckt von der bescheidenen, freundlichen, aber auch ganz auf die eigene Forschung konzentrierten Art der beiden und voller Vorfreude auf die eigene Impfung.
Dagegen habe ich in den letzten Monaten des Jahres 2023 bei vielen Kolleginnen und Kollegen aus der Wissenschaft, aber auch bei Verantwortlichen aus der Politik ganz andere Gefühle als vor drei Jahren beobachtet: Tiefe Sorge, aber auch regelrechte Angst waren Thema vieler Gespräche, der kurzen beim Buffet und der längeren beim Mittag- oder Abendessen. Und zu den Gefühlen der Sorge und Angst, von denen da zu hören war, kamen dann auch Mahnungen, es ja nur nicht zu leicht zu nehmen mit den politischen Konfliktlagen in Osteuropa und im Nahen Osten, der Haushaltslage des Bundes wie der Länder in den nächsten Jahren und der Stimmungslage insbesondere in den östlichen Bundesländern vor den Landtagswahlen des neuen Jahres.
Ich will keine einzige der hier angesprochenen Krisen aus einem noch viel breiteren Knäuel multipler, teilweise eng verflochtener Krisen bagatellisieren und verstehe alle die, die sorgenvoll oder gar ängstlich in das neue Jahr blicken, nur zu gut. Ein einziges Beispiel: Die offenkundigen Probleme bei der schulischen und universitären Bildung wird man trotz aller Haushaltsnotlagen nur mit auskömmlicher Finanzierung in den Griff bekommen – aber die Direktorin irgendeiner Berliner Schule weiß oft nicht, wo sie Lehrkräfte herbekommen und wie sie nutzbare Klassenräume herstellen soll und muss sich nun angesichts steigender Kosten auf nahezu allen Gebieten doch zugleich auf deutlich sinkende öffentliche Zuweisungen einstellen. Eine unter vielen Menschen, die sich berechtigterweise Sorgen machen und verständlicherweise Angst haben.
An einigen Stellen würde ich mir sogar mehr Sorgen bei den einschlägigen Verantwortlichen wünschen: Ist beispielsweise unser Verfassungssystem wirklich resilient genug gegenüber starken antidemokratischen Gruppen in unseren Parlamenten?
Gerade weil ich Menschen verstehe, die sorgenvoll in das neue Jahr schauen und vor der geradezu unheimlichen Verstärkung von Krisenphänomenen Angst haben, wünsche ich mir für 2024 die Gefühle der fünfzehn Minuten im Wartezimmer der Praxis 2021 zurück. Das waren ja keine naiven Stimmungslagen, sondern Empfindungen aus gutem Grund: Ich war ja durch den Impfstoff tatsächlich erheblich besser gegen ein gefährliches Virus geschützt. Und man darf auch als Geisteswissenschaftler beeindruckt sein von den Künsten der Lebenswissenschaften, die unter den Bedingungen einer Pandemie so schnell einen Impfstoff zu entwickeln in der Lage waren.
Viel zügiger, als alle Pandemie-Pläne erwartet hatten, gelang es, jahrelange Grundlagenforschung in die Anwendung zu bringen und zügig große Mengen Impfstoff zu produzieren. Die Dramatik der Krise intensivierte die Anstrengungen der Forschung, half, schneller Lösungen zu finden und die gefundenen Lösungen zügiger in die Anwendung zu bringen. Unter Druck gelingt es manchen Menschen besonders gut, in kurzer Zeit herausragende Ergebnisse zu finden. Warum sollte das eigentlich nicht auch für die multiplen Krisen unserer Tage gelten?
Natürlich möchte ich nicht zu naivem Vertrauen in die Kraft der Wissenschaft auffordern. Ein Theologe reagiert immer nervös, wenn sich Menschen mit dem Messias verwechseln und wenn der Wissenschaft die Kraft zugeschrieben wird, die Welt zu erretten. Wir wissen leider auch, dass Erfindungen der Wissenschaft die Krisen der Welt erheblich verstärken oder ihren Verlauf negativ beschleunigen können. Es kommt immer darauf an, welcher Gebrauch von wissenschaftlichen Entdeckungen gemacht wird und mit welcher inneren Einstellung die wissenschaftliche Forschung betrieben wird.
Als Ersatzreligion in Zeiten des allmählichen Verschwindens traditioneller Religion in unserem Land taugt Wissenschaft nicht. Richtig eingesetzt, verantwortlich betrieben und angemessen ausgestattet, kann sie viele Probleme lösen – und ein wenig Glück muss natürlich auch dazu kommen. Wir brauchen eine nüchterne Betrachtung der Chancen von Wissenschaft, die weder übertriebene messianische Hoffnungen in die Welt setzt noch apokalyptische Zukunftsvisionen in grellen Farben an die Wand malt.
Eine solche nüchterne Betrachtung der Chancen von Wissenschaft kann aber, wie die Entwicklung des SARS-CoV-2-Impfstoffs beispielhaft zeigt, dasjenige realistische Vertrauen in Kraft der Wissenschaft zur Folge haben, das meiner Ansicht nach deutlich mehr hilft als übertriebene Sorge und übertriebene Angst. Wenn in den öffentlichen Haushalten die Finanzmittel knapper werden, müssen wir, ohne in Schockstarre zu verfallen, nach denen Ausschau halten, die sich wie seinerzeit im Falle von BioNTech auch für langwierige, risikoreiche Grundlagenforschung mit privatem Geld zu engagieren bereit sind.
Wenn in den multiplen Krisen der Abbau der fachlichen Breite unserer Bildungseinrichtungen empfohlen wird, für die spannenden neuen Forschungsfelder kein Geld mehr da sein soll und die öffentlich finanzierte Forschung bereits im Blick auf Karrieremöglichkeiten wie Entlohnung nicht mehr konkurrenzfähig dasteht, müssen wir nach Verbündeten im politischen Raum suchen. Die gibt es gerade auch in den Haushaltsausschüssen unserer Parlamente.
Ich bin nicht nur fest davon überzeugt, dass sich die multiplen Krisen unserer Gegenwart nur mit mehr wissenschaftlicher Anstrengung lösen lassen, sondern auch davon, dass man dafür bei politischen Entscheidungsträgern und finanzkräftigen Investoren argumentieren kann. Zu einem realistischen Vertrauen gehört, sich daran zu erinnern, dass in Krisenzeiten wissenschaftliche Neugier besonders herausgefordert ist und darauf zu vertrauen, dass das erst recht für Zeiten multipler Krisen gilt.
Was wünsche ich mir also für 2024? Ich wünsche mir, dass wir dieses realistische Vertrauen auf die Chancen der Wissenschaft aus den Wartezimmern nach der Impfung 2021 wieder gewinnen, nicht in Sorge und Angst versinken, sondern unsere Aufgaben priorisieren und vertrauensvoll angehen. Realistisches Vertrauen auf die Kraft der Wissenschaft in Krisenzeiten ist ein guter Nährboden für wissenschaftliche Neugier.
Von den Geisteswissenschaften wünsche ich mir, dass wir dabei helfen, realistisches Vertrauen auf Wissenschaft in der Gesellschaft zu stärken und, wo es verloren gegangen ist, helfen, es wieder aufzubauen. Es gibt in der Wissenschaft nicht nur möglicherweise bessere und möglicherweise schlechtere Deutungen, sondern auch eindeutig richtige und eindeutig falsche Erkenntnis. Und es ist legitim, darüber nachzudenken, wie sich eindeutig richtige Erkenntnis in einer Gesellschaft durchsetzen kann. Nur dann ist das Vertrauen, dass sich die richtige Erkenntnis schon von selbst durchsetzen wird, realistisches Vertrauen.