Table.Briefing: Research

Koalition will Wissenschaftskommunikation stärken + Neue WZB-Chefin steht wohl fest + Antisemitismus: Exmatrikulation genügt nicht

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Angriff auf einen jüdischen Studierenden der Freien Universität hatte in Berlin den Ruf nach einer Rückkehr des Landes zum Ordnungsrecht ausgelöst, damit Exmatrikulationen dort – wie in den anderen Bundesländern – wieder möglich werden. Experten wie der Rechtswissenschaftler Klaus Herrmann zweifeln allerdings daran, dass das angesichts “der hohen gesetzlichen Anforderungen” und “praktischer Herausforderungen” ausreichen wird, um auf gewalttätige Übergriffe “schnell und leicht” reagieren zu können.

Derweil warnen in Berlin die TU-Präsidentin Geraldine Rauch und der FU-Präsident Günter M. Ziegler vor einer “Universitäts-Justiz ohne juristische Legitimität” und kritisieren – zumindest in Teilen – die Pläne des Senats. Hochschulforscher Nicolas Eisentraut begrüßt das Ordnungsrecht grundsätzlich. In seinem Standpunkt für den Research.Table beschreibt er, wie eine Regelung – nicht nur in Berlin – aussehen müsste, die nicht “verschlimmbessert”, sondern den Diskursraum schützt und Studierende nicht unnötig kriminalisiert.

Ein Thema, das spätestens seit der Covid-Pandemie ein Relevanz-Revival in der Community feiert, ist der Stellenwert der Kommunikation von Forschung und Wissenschaft. Während die Koalition mit einem gemeinsamen Antrag – der am gestrigen Mittwoch im Bundestag debattiert wurde – die Wissenschaftskommunikation stärken will, sehen Experten die Baustellen vielmehr woanders. Statt die “Sender-Perspektive” zu betonen, müsse Wissenschaft eher dort präsent sein, wo über sie gesprochen wird und sich in den Dialog begeben, meint etwa Kommunikationswissenschaftler Mike Schäfer. Markus Weisskopf fasst die Debatte für Sie zusammen.

Ich wünsche Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre,

Ihr
Tim Gabel
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Analyse

Forschungsausschuss will Wissenschaftskommunikation im Kampf gegen Fake News stärken

Viele gemeinsame Anträge der Ampelkoalition zu Wissenschaftsthemen gab es bisher nicht im Forschungsausschuss. Das Thema Wissenschaftskommunikation scheint den Koalitionären also wichtig zu sein. Am gestrigen Mittwochabend wurde deren Antrag im Bundestag debattiert. Dort herrschte dann parteiübergreifende Einigkeit, bis hin zu Union und der Linken, dass Wissenschaftskommunikation gestärkt werden solle. 

Dass im Antrag wenig Neues zu finden sei, monierte Katrin Staffler von der CSU. Sie verwies darauf, dass viele der Maßnahmenvorschläge noch aus der FactoryWisskomm stammen. Dieser Prozess, in dem 150 Experten Handlungsempfehlungen für die Weiterentwicklung der Wissenschaftskommunikation erarbeiteten, wurde noch von CDU-Forschungsministerin Anja Karliczek angestoßen.

Ziel: Vertrauen in Wissenschaft stärken 

Als Mittel im Kampf gegen Fake News wurde Wissenschaftskommunikation in der Bundestagsdebatte immer wieder bezeichnet. Und auch im Antrag findet sich dieses Ziel wieder: Wissenschaftskommunikation ermögliche evidenzbasierte Entscheidungen und wirke gegen Fake News und Desinformationen, heißt es dort. Gesamtgesellschaftlich fördere sie Resilienz, Zukunftsfähigkeit und Innovationsbereitschaft und stärke das Vertrauen in Wissenschaft.

Kommunikation im Wissenschaftssystem verankern 

Insgesamt 17 Forderungen an die Bundesregierung formuliert der Antrag – “vorbehaltlich der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel”. Dabei liegt der Fokus klar auf der Absicherung beziehungsweise dem Ausbau bereits etablierter Institutionen und Aktivitäten. Wir haben die wichtigsten Punkte zusammengefasst: 

  • Verankerung im System: Wissenschaftskommunikation soll “systematisch auf allen wissenschaftlichen Karrierestufen” integriert werden. Daneben soll sie konsequent Bestandteil in allen Fördermaßnahmen des BMBF werden. Dieser Punkt befindet sich laut BMBF bereits in der Umsetzung. Generell sei es sinnvoll, “Kommunikation und Vermittlung stärker als Profilelement und in der Leistungsbewertung von Forschenden und wissenschaftliche Institutionen anzuerkennen”. Zur stärkeren Wertschätzung soll ein “gut dotierter Preis” für Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsjournalismus eingeführt werden. 
  • Kompetenzentwicklung: Ein “Sonderprogramm Kompetenzaufbau Wissenschaftskommunikation” soll für Wissenschaftler und professionelle Kommunikatoren eingerichtet werden. Damit ist wohl die Etablierung einer entsprechenden Förderrichtlinie gemeint. 
  • Forschung zu Wissenschaftskommunikation: Die Koalition fordert, das Wissenschaftsbarometer auszubauen und die Wirksamkeit von aktuellen Formaten intensiver zu untersuchen. 
  • Bürgerwissenschaften: Allein fünf der 17 Punkte sind der Partizipation gewidmet. Die Förderlinie Citizen Science sowie die Plattform “Bürger schaffen Wissen” sollen gestärkt werden. Und: Im Nachgang zum “Wissenschaftsjahr 2022 – Nachgefragt!” sollen Möglichkeiten der Bürger zur Partizipation an Forschungspolitik geschaffen werden. 

Wissenschaftsjournalismus soll staatsfern unterstützt werden  

  • Die Koalition möchte den Wissenschaftsjournalismus durch “unabhängige und staatsferne Strukturen nachhaltig unterstützen”. Möglich wäre dies beispielsweise durch eine neue Stiftung oder die Skalierung bestehender Aktivitäten, wie dem Innovationsfonds Wissenschaftsjournalismus.  

Johannes Vogel: “Die Kraft liegt nicht im Bewahren” 

“Eine ganzheitliche Betrachtung” biete das Papier, “viele wichtige und richtige Dinge stehen drin”, heißt es aus der Community. Gerade die sogenannten intermediären Organisationen wie das Science Media Center oder Wissenschaft im Dialog werden als unterstützenswert genannt, aber auch Plattformen wie “Bürger schaffen Wissen” oder der Scicomm Support. Es sei durchaus sinnvoll, das bereits Erreichte zu konsolidieren, meint auch Johannes Vogel, Direktor des Naturkundemuseums in Berlin. Er betont jedoch: “Es passiert vieles bottom-up – auf diese Dynamik muss eingegangen werden. Die Kraft liegt nicht im Bewahren, sondern im Innovativen.”  

Doch für neue Initiativen gibt es kaum Ressourcen. Während das Budget der eigenen Aktivitäten des BMBF im Rahmen der Wissenschaftsjahre deutlich gestiegen ist (siehe Grafik), stagnieren die Mittel für die Projektförderung in den Wissenschaftsjahren seit 2016. Gerade diese ist jedoch für viele Akteure oft die einzige Möglichkeit, Mittel auch für neue und experimentelle Formate zu beantragen.

Sender-Perspektive dominiert

Mike Schäfer begrüßt ebenfalls die breite Perspektive auf das Feld der Wissenschaftskommunikation. Allerdings: “Das Ganze ist sehr aus der Sender-Perspektive formuliert” sagt der Kommunikationswissenschaftler von der Uni Zürich. Der Raum, in dem über Wissenschaft und nicht aus der Wissenschaft heraus gesprochen werde, komme wenig vor. So würden zum Beispiel Social Media und die Rolle der Tech-Plattformen oder auch neuere Entwicklungen wie die Entwicklung generativer KI kaum berücksichtigt. Auch Hans Peter Peters, Editor der Zeitschrift “Public Understanding of Science”, stimmt in diese Kritik ein: “Man versucht neue Arenen zu kreieren, ohne sich zu fragen, in welchen Arenen Wissenschaft bereits verhandelt wird.”  

Rollenklärung ist für alle wichtig 

Rainer Bromme von der Universität Münster bewertete den Antrag insgesamt als sehr nützlich. Es gebe aber eine Schwachstelle. Es gehe nicht nur um ein Mehr an Wissenschaftskommunikation. Beim Kompetenzaufbau für Wissenschaftskommunikation gehe es auch darum, Wissenschaftler zu ermutigen und zu befähigen, über ihre Rolle im Diskurs zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien zu reflektieren. Das sei auch für jene relevant, die sich nicht aktiv in der Wissenschaftskommunikation engagieren wollen – was man auch akzeptieren müsse. 

Dagegen wünscht sich Katja Bär, Chief Communications Officer der Uni Jena und Vorsitzende des Bundesverbands Hochschulkommunikation, sehr wohl Unterstützung auch bei der Vermittlung der grundlegenden Kommunikationsfähigkeiten. Gerade um Nachwuchswissenschaftlern Weiterbildung anzubieten, fehlten häufig die Mittel. 

Außenbeobachtung leistet nur der Journalismus 

Mehr und bessere Wissenschaftskommunikation könne aber nicht den Journalismus ersetzen, betont Peters, der auch Honorarprofessor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin ist. Nur unabhängiger Journalismus könne eine Außenbeobachtung leisten. Das sei vielen – auch in der Wissenschaft – immer noch nicht klar. Daher freue er sich, dass im Antrag die Stellung des Wissenschaftsjournalismus hervorgehoben werde. Holger Mann, in der SPD-Fraktion Berichterstatter zur Wissenschaftskommunikation, betont den Willen der Koalition, hier Unterstützung zu leisten. Er macht aber auch klar, dass diese die Unabhängigkeit des Journalismus nicht berühren dürfe. 

Bleibt am Ende die Frage der Finanzierung. Man hoffe, einige der geforderten Maßnahmen in den Haushalt 2025 einbringen zu können, heißt es aus Kreisen der Koalition. Zu Prioritäten wollte man sich nicht äußern. 

Transparenzhinweis: Markus Weisskopf war bis 2022 Geschäftsführer von Wissenschaft im Dialog, Research-Redaktionsleiterin Nicola Kuhrt ist aktuell Vorsitzende der Wissenschaftspressekonferenz (WPK).

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Chevron-Doktrin: Interessengruppen wollen die Exekutive schwächen

Auf den ersten Blick ist es ein wenig bedeutsamer Streit, der vor dem Obersten Gerichtshof der USA verhandelt wird: Zwei Fischereibetriebe klagen dagegen, dass sie auf ihren Ausfahrten nicht nur einen Inspekteur der nationalen Aufsichtsbehörde mitnehmen müssen, der ihren Fang überwacht. Sie sollen dafür auch noch 700 US-Dollar pro Tag bezahlen. Diese Inspektionen sind gesetzlich vorgeschrieben, aber die Gebühr hat die Behörde selbst festgelegt. Und dazu, so die Kläger, habe sie kein Recht.

Aber die Verhandlung vor dem Supreme Court, der seine Entscheidung wohl vor Juni fällen wird, genießt eine große Aufmerksamkeit, weil sie Auswirkungen weit über die konkreten Fälle hinaus haben wird. Schlägt sich das Gericht auf die Seite der Kläger, dann hebt es damit eine Entscheidung auf, die es im Jahr 1984 gefällt hat: die sogenannte “Chevron Deference“. Damals ging es um die Auslegung eines Gesetzes über Schadstoffemissionen, und die Verfassungsrichter sagten: Wenn das Gesetz, das dem Handeln einer Behörde zugrunde liegt, unklar, mehrdeutig oder lückenhaft ist, dann sollen nicht Gerichte über die Interpretation entscheiden, sondern die Regierungsbehörden, die mit der Anwendung der Gesetze betraut sind – solange diese Interpretation “vernünftig” und “zulässig” ist. Diese Doktrin ist seit jeher vor allem großen Industriefirmen ein Dorn im Auge. Ohne Chevron wäre es leichter, jede behördliche Entscheidung, zum Beispiel über Emissions-Grenzwerte, vor Gericht anzufechten.

USA: Große Abneigung gegenüber Regierungsinstitutionen

Überall auf der Welt gibt es ein Dilemma zwischen der gesetzgeberischen Kompetenz der Parlamente und der komplexen Wirklichkeit. Kein Gesetz kann jeden möglichen Einzelfall vorhersehen, daher müssen Behörden es mit Inhalt füllen, indem sie Bestimmungen erlassen. Zumal sich die Wirklichkeit ständig ändert, neue Giftstoffe identifiziert werden oder Pandemien ausbrechen. Eine funktionierende Exekutive muss handeln können, ohne dass jedes Mal der Gesetzgeber erneut in Aktion treten muss.

Überall auf der Welt gibt es deshalb auch Vorbehalte gegen einen wachsenden bürokratischen Apparat, der seine eigenen Regeln schreibt und immer mehr Kompetenzen an sich reißt. In der Europäischen Union wird gern über den Brüsseler Amtsschimmel geklagt, der den Krümmungsgrad von Gurken oder die Zusammensetzung des Glühweins auf dem Weihnachtsmarkt regelt. Aber wohl nirgendwo ist die Abneigung gegen Regierungsinstitutionen so stark wie in den USA.

“Es geht um das Narrativ, dass die Regierungsbürokratie, der Deep State’, den Kleinen Mann unterdrückt”, sagt Jody Freeman, Professorin für Umweltrecht an der Harvard-Universität, im Interview mit Table.Briefings. Freeman war Beraterin für Energie- und Klimafragen unter Präsident Obama und gehört zu den angesehensten Umweltrechtsexperten der USA. “Das zweite Narrativ, das vor allem von einigen Supreme-Court-Richtern vorgebracht wird: Die Exekutive maßt sich zu viel Macht an, die eigentlich dem Kongress zukommt, und das Gericht soll die Balance wiederherstellen.” In Wirklichkeit gehe es aber weder um hehre Verfassungsprinzipien noch um die armen Fischer. Konservative Juristen würden diesen Fall mit viel Geld unterstützen, unter anderem von den berüchtigten Koch Industries, um die Legitimität der Regierungsinstitutionen infrage zu stellen und sie letztlich zu schwächen.

Keine Stabilität: Trump stieg aus dem Pariser Klimaabkommen aus, Biden wieder ein

Insbesondere das Argument, die Macht müsse von den Bürokraten hin zu den gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertretern verschoben werden, fiel bei der ersten dreieinhalbstündigen Vorverhandlung im Supreme Court auf fruchtbaren Boden. Zumindest bei den konservativen Richtern, die dort eine Mehrheit von sechs zu drei haben. So wetterte der von Präsident Trump eingesetzte Richter Brett Kavanaugh nicht ausdrücklich gegen die Regierungsbehörden, sondern vor allem gegen das Phänomen, dass die Präsidenten zunehmend per Erlass regieren würden, ohne sich eine Kongressmehrheit für ihr Handeln suchen zu müssen. Präsident Trump steigt aus dem Pariser Klimaabkommen aus, sein Nachfolger Biden tritt wieder bei. Auch ein großer Teil der Klimaschutzmaßnahmen der Biden-Regierung basiert auf präsidialen Erlassen. “Alle vier oder acht Jahre, wenn eine neue Regierung antritt, wird das System erschüttert”, sagte Kavanaugh, egal, ob es sich um Wettbewerbsrecht oder Umweltrecht handele. “Das ist keine Stabilität.”

Dem hält die Juristin Freeman entgegen, dass der Kongress durchaus die Freiheit habe, neue Gesetze zu beschließen und die Interpretationsfreiheit der Behörden zu beschränken. “Der Kongress hat viele Möglichkeiten, sich die Macht zurückzunehmen, wenn er das will.” Nur sei das US-Parlament ein völlig dysfunktionaler Gesetzgeber, der nicht einmal einen Haushalt beschließen könne. “Die Vorstellung, dass der Kongress Gesetze zum Umweltschutz, zur Regulierung von Lebens- und Arzneimitteln, zu Aktienmärkten und Verbraucherschutz regelmäßig aktualisieren kann, wenn ein neues Problem auftaucht – das ist ein Hirngespinst. So funktionieren eine moderne Wirtschaft und eine moderne Gesellschaft nicht.”

In diese Richtung argumentierte auch die liberale Verfassungsrichterin Elena Kagan in der Verhandlung. Sie brachte das Beispiel der Künstlichen Intelligenz – gerade auf dem Gebiet der Regulierung von Tech-Unternehmen tun sich die US-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier schwer. “Der Kongress kann bei diesem Thema kaum eine Woche in die Zukunft sehen, geschweige denn ein Jahr oder ein Jahrzehnt”, sagte sie. “Will der Kongress, dass dieses Gericht über die politikrelevanten Fragen der KI entscheidet?”

Chevron Deference wird vielleicht nicht komplett kassiert

Damit sprach Kagan eine wahrscheinliche Konsequenz der höchstrichterlichen Entscheidung an: Sollten die Richter die Chevron-Doktrin kippen, wird nicht etwa das Parlament eine Serie neuer Umwelt- und Verbraucherschutzgesetze erlassen. Stattdessen werden viele Streitfälle zunächst vor lokalen Bundesrichtern, dann vor Appellationsgerichten und schließlich beim Supreme Court landen. Die nicht direkt legitimierten Richterinnen und Richter würden zu Entscheidern in politischen Fragen. “Das wird sehr chaotisch werden”, sagt Freeman, “aber unter dem Strich wird Regulierung erschwert und die Agenturen werden außer Gefecht gesetzt – und darum geht es ihnen.”

Wenn die Chevron-Doktrin fällt, dann haben die insgesamt 850 Bundesrichter im ganzen Land das Sagen in Streitfällen etwa zum Umweltrecht – und je nach deren politischer Ausrichtung werden die Urteile sehr unterschiedlich ausfallen. Die oberste Umweltbehörde EPA ist zuständig für die Umsetzung und Konkretisierung von mehr als 40 wichtigen Gesetzen, vom Clean Water Act bis zum Atomic Energy Act. Manche Expertinnen und Experten befürchten, dass große Firmen sogar alte Verfahren wieder aufrollen könnten, um industriefreundlichere Urteile zu bekommen. Und auch der Inflation Reduction Act (IRA) könnte verwässert werden: Denn ob seine Umsetzung wirkliche Effekte hat, hängt von den Details der Ausführungsbestimmungen ab.

Allerdings wird das Verfahren kein einfacher Durchmarsch der Kläger werden. Zwei der sechs konservativen Richterinnen und Richter sind noch nicht davon überzeugt, das Präzedenzurteil von 1984 zu revidieren – so wie es das aktuelle Gericht bei den jüngsten Entscheidungen über Abtreibung und Affirmative Action getan hat. “Wie sehr stellt sich diese Frage tatsächlich vor Ort?”, fragte der vorsitzende Richter John Roberts. Und Amy Coney Barrett, eine ebenfalls von Trump eingesetzte Richterin, befürchtet eine Flut von Gerichtsverfahren, falls auch Entscheidungen aus der Vergangenheit wieder aufgerollt werden sollten.

Statt Demut: Wirft der Supreme Court alle Bescheidenheit über Bord?

Manche Experten halten es für vorstellbar, dass das oberste Gericht die Chevron Deference nicht komplett kassiert, sondern strengere Vorgaben für die Richter macht, die Entscheidungen an die Behörden delegieren. Schon jetzt müssen die Gerichte vor einem solchen Beschluss prüfen, ob das Gesetz tatsächlich einen Interpretationsspielraum bietet und ob die Auslegung der Behörden nachvollziehbar ist. Wie eine solche schwächere Form von Chevron aussehen könnte, ist noch unklar.

Die ursprüngliche Chevron-Doktrin von 1984 sei auch keine wirkliche rechtliche Regel, sagt Freeman, sondern eher Ausdruck einer grundsätzlichen Haltung. “Die sagt den Behörden im Prinzip: Wir respektieren euch und überlassen euch die tagtäglichen Entscheidungen. Das setzt einen Ton der Demut für die unteren Gerichte. Jetzt ist der Supreme Court bereit, jegliche Bescheidenheit über Bord zu werfen und zu sagen: Alle Rechtsfragen sind unsere Sache.”

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Termine

19. März 2024, 18:00 Uhr, Akademiegebäude am Gendarmenmarkt, Einstein-Saal, Jägerstraße 22/23, 10117 Berlin
Podiumsdiskussion Wissenschaft und Verlagswesen in der DDR Mehr

20. März, 13:00 bis 18:30 Uhr, Landesvertretung Sachsen-Anhalts beim Bund, Luisenstraße 18, 10117 Berlin
10. “Human Rights and Science”-Symposium – Leopoldina in Kooperation mit der Norwegian Academy of Science and Letters Menschenrechte und Wissenschaftsfreiheit Mehr

22. April 2024, 10:30 bis 16:15 Uhr, Hannover Messe
Gipfel für Forschung und Innovation 2024 “Innovationen in Europa – Katalysatoren, Kompetenzen und Kooperationen am Beispiel von KI” Mehr

News

Fusion: Neues BMBF-Förderprogramm soll Grundstein für Fusionskraftwerk legen

Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger stellt in Berlin das Förderprogramm “Fusion 2040 – Forschung auf dem Weg zum Fusionskraftwerk vor”.

Mit einem Förderprogramm für die Fusionsforschung will Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger den Grundstein dafür legen, “dass wir in Deutschland unter den Ersten dabei sind, die ein Fusionskraftwerk bauen”, sagte sie am Mittwoch bei der Vorstellung des Fachprogramms in Berlin. Den Bau eines solchen Kraftwerks erwartet das BMBF laut Papier noch vor der “Mitte dieses Jahrhunderts”. Das Programm hatte man erstmals im Positionspapier Fusionsforschung im Juni 2023 angekündigt und es war bereits im vergangenen Jahr mit zwei Förderlinien gestartet.

Demnach waren die Eckdaten schon längere Zeit bekannt: Das BMBF gibt bis zum Jahr 2028 für das Programm zusätzlich zur bestehenden institutionellen Förderung 370 Millionen Euro für die Fusionsforschung aus. Insgesamt sollen in den nächsten fünf Jahren nun rund eine Milliarde Euro in die Fusionsforschung fließen. Wirtschaftsanalysten von PWC hatten in ihrer Analyse die Strategie und Förderung der Bundesregierung trotzdem als nicht weitreichend genug bewertet.

Klassische Projektförderung ergänzt durch Testeinrichtungen

Das Förderprogramm “Fusion 2040 – Forschung auf dem Weg zum Fusionskraftwerk”, das Table.Briefings vorliegt, beschreibt jetzt konkret Förderstrategie und -ziele des BMBF sowie die Handlungsfelder und Maßnahmen. In dem Papier unterteilt das BMBF den Handlungsbedarf nach einerseits wissenschaftlich-technischen Fragen, an denen in Förderprojekten geforscht werden soll und andererseits nach Maßnahmen, die dabei helfen sollen, ein deutsches Ökosystem im Bereich der Fusionsenergie aufzubauen

Um damit den Bau eines Fusionskraftwerks zu erreichen, “ist das Programm im Kern auf anwendungsorientierte Verbundforschung als eine Form einer Public-Private-Partnership (PPP) angelegt”, heißt es in der Mitteilung des BMBF. Dahinter verbirgt sich allerdings nichts anderes als die vorwettbewerbliche Projektförderung von Wissenschaft und Industrie, die das BMBF standardmäßig in nahezu jedem Förderprogramm vorsieht. Der EFI-Vorsitzende Uwe Cantner hatte das bereits bei der Vorstellung der Eckpunkte kritisiert und dem BMBF vorgeworfen, dass es “förderstrategisch an der Oberfläche” bleibe.

Die klassischen Verbundprojekte sollen “je nach Bedarf durch gemeinsame Testeinrichtungen ergänzt werden können”, heißt es jetzt in dem Programm. Diese sogenannten vom BMBF geförderten Hubs sollen in einer späteren Phase zu Leitprojekten mit noch stärkerer Industriebeteiligung ausgebaut werden können. Eine neue Leitstelle Fusionsforschung, die vermutlich unter den einschlägigen Projektträgern vergeben wird, soll als erste Anlaufstelle für Unternehmen dienen, beraten und vernetzten.

Fusions-Start-ups fordern Führungsrolle für sich ein

Im Dialog mit den Ländern will das BMBF dazu anregen, Nachwuchsgruppen an Hochschulen, Doktoranden und Postdocs gezielt zu fördern, um den Aufbau von Forschungskapazitäten zu forcieren und Studierende frühzeitig für das Thema zu interessieren. Zudem soll ein jährlicher Innovationspreis durch das BMBF vergeben werden. Die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften, die Aufklärung der Öffentlichkeit und die Gestaltung passfähiger Regularien sind weitere Aufgaben, die das BMBF als relevant erachtet und unterstützen möchte.

Ob das Ministerium mit seinem neuen Förderprogramm Begeisterungsstürme unter den vier deutschen Fusions-Start-ups auslösen wird, ist zumindest fragwürdig. Im Interview mit Table.Briefings hatten die Unternehmer Marcus Roth und Milena Roveda Anfang des Jahres einen Paradigmenwechsel in der Fusionsforschung gefordert: Die Industrie müsse demnach die Führungsrolle übernehmen können, wenn Deutschland seinen Wettbewerbsvorteil in der Kernfusion nicht verspielen wolle. tg

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Unesco-Studie: Wiederaufbau der Wissenschaft in der Ukraine kostet Milliarden

Der Wiederaufbau der vom russischen Angriffskrieg zerstörten wissenschaftlichen Infrastruktur in der Ukraine wird nach Ansicht der UN-Kulturorganisation Unesco eine Milliardensumme kosten. In einer aktuellen Studie schätzt die Organisation die Kosten auf mehr als 1,26 Milliarden US-Dollar. Den Angaben zufolge wurden mehr als 1.400 Gebäude und Labore in mehr als 177 Einrichtungen zerstört.

“Da die Situation für die wissenschaftliche Gemeinschaft immer kritischer wird, müssen wir ihre Forschungsarbeit in der Ukraine schützen und unterstützen”, sagte die Generaldirektorin der Unesco, Audrey Azoulay. Wissenschaftler, Ingenieure und andere Experten seien für den Wiederaufbau des Landes von entscheidender Bedeutung.

Fast 30 Prozent der Wissenschaftler müssen aus der Ferne arbeiten

Besonders betroffen sei die wissenschaftliche Infrastruktur in der Region Charkiw. Außerdem müssten 750 wissenschaftliche oder technische Geräte ganz oder teilweise ersetzt werden, was allein rund 46 Millionen Dollar kosten werde.

Besorgniserregend sei die Situation rund um das Institut für Sicherheitsprobleme von Kernkraftwerken bei Saporischja. Hier seien wesentliche Instrumente für die Überwachung der Atomindustrie gestohlen oder zerstört worden. Das stelle eine große Bedrohung für die Sicherheit in der Region dar, so die Unesco.

Auch die teilweise Besetzung durch die russische Armee habe schwerwiegende Folgen im gesamten Land: 18 wissenschaftliche Institute mussten demnach verlegt werden, wobei einige Studien nicht fortgesetzt werden konnten. Fast 30 Prozent der Wissenschaftler seien inzwischen gezwungen, aus der Ferne zu arbeiten; entweder aus dem Ausland oder sie mussten innerhalb der Ukraine fliehen. dpa

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Allmendinger-Nachfolge: Nicola Fuchs-Schündeln wird voraussichtlich WZB-Präsidentin

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Nicola Fuchs-Schündeln wird vermutlich neue Präsident des WZB. Das Foto wurde bei der Leibniz-Preisverleihung 2018 aufgenommen.

Wenn Ende August die Soziologin Jutta Allmendinger in den Ruhestand tritt, wird höchstwahrscheinlich die Wirtschaftswissenschaftlerin Nicola Fuchs-Schündeln die neue Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB). Die ebenfalls als Kandidatin gehandelte Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff bestätigte auf Anfrage von Table.Briefings mit im Verfahren gewesen zu sein. “Das WZB hat sich dann für eine andere, sehr gute Kollegin entschieden, Nicola Fuchs-Schündeln”, sagte Deitelhoff, die das Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung leitet.

Das WZB bestätigte die Personalie nicht. “Die Verhandlungen zur Nachfolge von Frau Allmendinger laufen und sind auf einem guten Weg; haben Sie bitte Verständnis, dass wir erst mit deren Abschluss den Namen bekannt geben können”, sagte eine Sprecherin. Die Amtsübergabe sei für September geplant.

Ausgezeichnet mit ERC-Grants, Leibniz-Preis und Leopoldina-Mitgliedschaft

Nicola Fuchs-Schündeln ist seit 2009 Professorin für Makroökonomie und Entwicklung an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, zuvor war sie fünf Jahre lang Assistenzprofessorin an der Harvard University. Sie erforscht Arbeits- und Konsumentscheidungen privater Haushalte. Im Jahr 2010 erhielt sie einen Starting Grant des European Research Council, 2018 einen Consolidator Grant. Ebenfalls 2018 wurde sie mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet. Seit 2021 ist sie Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die sie im vergangenen Jahr mit dem Carus-Preis ehrte.

Medial wurde Fuchs-Schündeln zuletzt vor allem mit ihrer Kritik am Ehegattensplitting zitiert, das ihrer Ansicht nach ein Anreiz für eine Alleinverdiener-Ehe ist. Auch die amtierende WZB-Präsidentin Allmendinger ist bekannt für ihre kritische Position gegenüber dem Ehegattensplitting oder der Witwenrente, die Frauen ausbremsen, die eigene Karriere zu verfolgen. abg

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Kaum noch Chancen auf eine Einigung über den EU-Gentechnikvorschlag vor der Europawahl

Das Zeitfenster schließt sich: Am heutigen Donnerstag wird feststehen, ob der EU-Vorschlag zur Deregulierung neuer Züchtungstechniken noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Dann läuft die Frist für Trilogeinigungen zwischen Rat und Parlament ab, um Gesetzestexte bis zur letzten Sitzungswoche im April finalisieren zu können. Bisher sind sich nicht einmal die Mitgliedstaaten untereinander einig.

Dass wohl nach der Wahl weiterverhandelt werden muss, könnte neben Verzögerungen auch inhaltlich einen Unterschied machen. Denn Voraussetzung für die Wiederaufnahme von Gesetzgebungsverfahren sind Beschlüsse von neu besetzter Kommission und Parlament. Die Abgeordneten, die mit Abstrichen bereits für den Vorschlag gestimmt haben, hätten Gelegenheit, ihre Meinung noch einmal zu ändern.

Neues EFSA-Gutachten bis Juli

Beeinflussen könnte das ein neues Gutachten, das die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bis Juli vorlegen will, wie ein Sprecher bestätigt. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola hatte die EFSA Ende Februar in einem Brief, der Table.Briefings vorliegt, aufgefordert, Stellung zur Kritik der französischen Behörde ANSES an dem Vorschlag zu nehmen.

Die Initiative geht zurück auf den Vorsitzenden des Umweltausschusses, Pascal Canfin (Renew). Anders als viele Liberale gilt er als Gentechnik-Skeptiker. Die Deadline im Juli – pünktlich zur neuen Legislaturperiode und vor der erneuten Parlamentsentscheidung – dürfte bewusst gewählt sein.

Papier wurde wochenlang zurückgehalten

ANSES hatte in einem Gutachten im November den Ansatz infrage gestellt, gentechnisch veränderte Pflanzen zu deregulieren, die auch auf herkömmliche Weise hätten entstehen können (Kategorie 1). Es brauche für alle Organismen aus neuen Züchtungstechniken weiter Risikoprüfungen, bekräftigt die Behörde in einem Papier von Januar, das sie erst vergangene Woche veröffentlichte. Nach Recherchen der französischen Zeitung Le Monde hatte ANSES es wegen “politischen Drucks” zurückgehalten.

Aus Sicht von Nicolaus von Wirén, wissenschaftlicher Direktor beim Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK), trägt jedoch die Stellungnahme “nichts Neues zur Diskussion bei“. Mit den Argumenten hätten sich Kommission und Parlament bei der Kompromissfindung bereits ausführlich auseinandergesetzt. Das Papier spreche “von Risiken, ohne sie benennen zu können“, und ignoriere die Tatsache, dass viele der Mutationen in Kategorie 1 “bereits so in der Natur existieren und damit deren Auswirkungen bekannt sind“. jd

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Besuch in Großbritannien: Kooperation in KI, Batterieforschung, Quanten- und Fusionsforschung sowie Forschungssicherheit vereinbart

Großbritannien und Deutschland wollen ihre Beziehungen in Forschung und Wissenschaft weiter intensivieren. Eine entsprechende Vereinbarung wurde am Dienstag von der britischen Ministerin für Wissenschaft und Technologie, Michelle Donelan, und Bundesforschungsministerin, Bettina Stark-Watzinger, in London unterzeichnet. Die Kooperation erstreckt sich auf wichtige Schlüsseltechnologien, wie Künstliche Intelligenz, Batterieforschung, Quanten- und Fusionsforschung, sowie Forschungssicherheit.

Beide Regierungen wollen eine “Strategische Arbeitsgruppe einrichten, um sicherzustellen, dass diese ehrgeizigen Ziele mit konkreten Plänen zur Umsetzung verbunden werden”, heißt es in einer Pressemitteilung des Londoner Wissenschaftsministeriums.

Stark-Watzinger: Assoziierung Großbritanniens “wichtiger Schritt”

Nach dem Ministertreffen besichtigte Stark-Watzinger im Rahmen ihrer eintägigen Reise nach Großbritannien auch die Fusionsanlagen JET und MAST-U sowie das Zentrum für Automatisierung in Extremsituationen (RACE) auf dem Forschungscampus CCFE in Culham. Einem Besuch des AI Safety Institute in London schloss sich am Nachmittag der Deutsch-Britische Forschungsdialog am Imperial College London an, den die deutsche Ministerin mit einer Rede eröffnete. An der Veranstaltung nahmen die Leitungen mehrerer deutscher und britischer Hochschul- und Wissenschaftsorganisationen sowie Mitglieder der Wissenschaftsgemeinschaft aus beiden Ländern teil.

“Deutschland ist der zweitgrößte Handelspartner des Vereinigten Königreichs und durch Projekte wie Horizon Europe und CERN auch ein wichtiger Partner in Wissenschaft und Forschung. Um daraus Nutzen zu ziehen, müssen wir unsere gemeinsamen Stärken in Wissenschaft und Technologie zusammenbringen”, erklärte die britische Ministerin Michelle Donelan.

Erste Global Innovation Fellowships vergeben

Die Assoziierung des Vereinigten Königreichs mit dem EU-Forschungsrahmenprogramm “Horizon Europe” bezeichnete Stark-Watzinger als “wichtigen Schritt” für die wissenschaftliche Kooperation, die aber zugleich bilateral untersetzt werden solle.

Im Rahmen der Veranstaltung im Imperial College wurden auch die ersten beiden Global Innovation Fellowships, vergeben, die von der British Academy und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) ausgelobt werden. Die einjährigen Stipendien finden am Sitz der DGAP in Berlin statt.

Gemeinsam mit der deutschen Alexander-von-Humboldt-Stiftung veranstaltet die British Academy im Juni das deutsch-britische Symposium “Knowledge Frontiers“. Damit beginnt eine Serie von weiteren Konferenzen in den nächsten drei Jahren, die Nachwuchswissenschaftler*innen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften zusammenbringen sollen. mr

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Presseschau

Zeit. Sabine Döring: Sokrates gegen SUV-Fahrer. Sabine Döring ist in den Maschinenraum der Politik hinabgestiegen. Die Zeit wollte wissen, wie sie ihr Leben als Staatssekretärin erlebt und stellt fest: Döring ist keine gewöhnliche Politikerin. Sie komme ja aus der Theorie, aus der Philosophie. 15 Jahre lang war sie Professorin in Tübingen, bevor sie in die Politik wechselte. In einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen von der Politik abwenden, suche sie nun nach Antworten: Wie kann Politik besser werden? Wie kann man das Vertrauen in die staatlichen Institutionen zurückgewinnen? Dörings selbst erklärt, ihr Ansatz sei es, Theorie und Praxis zu verbinden. Sie nutze ihre philosophischen Kenntnisse, um aktuelle Probleme zu lösen und den Dialog zwischen den verschiedenen Akteuren zu fördern. Mehr

Riffreporter. Geologie: Unterlegene Forscher fechten Entscheidung gegen Anthropozän an. Die Weltgemeinschaft steht an der Schwelle eines neuen Zeitalters – des Anthropozäns. Klimawandel, Artenschwund, die Verbreitung von Plastik und Beton – diese beispiellosen Veränderungen hinterlassen Spuren, die für Hunderttausende Jahre in der Erdgeschichte sichtbar sein werden. 2016 befürwortete eine Arbeitsgruppe die Ausrufung des Anthropozäns als neue Epoche. 2023 wurde der Crawford Lake als Referenzort bestimmt. Doch die Entscheidung liegt aber nicht allein bei der Arbeitsgruppe. Drei weitere Gremien und die Weltorganisation der Geologie müssen zustimmen, bevor das Anthropozän offiziell eingeführt wird. Ein Gremium, welches die Einteilung der Erdgeschichte überwacht, hat mit deutlicher Mehrheit gegen die Einführung des Anthropozäns als neue Epoche gestimmt. Sie würde den Einfluss des Menschen auf den Planeten geologisch kennzeichnen. Die Befürworter des Anthropozäns akzeptieren diese Entscheidung nicht. Sie fordern eine Annullierung des Votums. Mehr

Standpunkt

Die “Exmatrikulationskeule” allein genügt nicht

Von Nicolas Eisentraut
Nicolas Eisentraut hat die gemeinsame Juniorprofessur für Öffentliches Recht der Leibniz Universität Hannover und des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) inne.

Die Hochschulen waren von Beginn der bundesdeutschen Geschichte an Austragungsort politischer Konflikte. Ihre große Stärke liegt darin, ein Forum für die Versachlichung, wissenschaftliche Vertiefung und Reflexion dieser Konflikte zu bieten.

Konflikte wie die Coronakrise, die Kontroverse um Genderforschung oder die Klimadebatte haben in den letzten Jahren jedoch plastisch gemacht: Dieses Ideal eines wissenschaftlichen Forums ist kein Selbstläufer, sondern bedarf Steuerungsleistungen aller Organe der Hochschulen und nimmt häufig auch Präsidien und Rektorate in die Pflicht, Auseinandersetzungen zu begleiten, zu gestalten und ultima ratio auch Grenzen zu setzen.

Nun forciert der Krieg in Gaza und der ihn auslösende Überfall auf Israel durch die Hamas Konfliktlinien, die das Forum Hochschule neuerlich herausfordern. Im Zuge antisemitischer Vorfälle an verschiedenen Hochschulen ist eine Debatte darüber eröffnet worden, welche ordnungsrechtlichen Mittel den Hochschulen zur Verfügung stehen sollten, um den Diskursraum Hochschule zu schützen.

Governance zum Schutz der Wissenschafts- und Studierfreiheit

Das wertpluralistische Mit- und Nebeneinander hochschulischer Vielfalt erfordert dafür eine Governancestruktur, die es nicht allen notwendig recht macht, aber die größtmöglichen Freiräume im Sinne der grundgesetzlich verbürgten Wissenschafts- und Studierfreiheit erhält und diese zugleich als “Safe Spaces” vor diskursunterdrückender Gewalt schützt.

Maßstab für den Diskursraum begrenzende Maßnahmen sind Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG bzw. Art. 12 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Studierfreiheit, außerdem die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Im Sinne der Verhältnismäßigkeit geboten erscheint ein abgestuftes Governancekonzept. Hier können die Hochschulen einerseits auf niedrigschwellige Maßnahmen der Information, des Austauschs und der Kommunikation setzen.

Weitergehend können Hochschulleitungen die persönliche Teilhabe und -nahme am Diskursraum Hochschule in der Regel auf Grundlage des Hausrechts der Hochschulen verhindern. Als ultima ratio stehen für Studierende die Exmatrikulation, für Hochschullehrende die Entfernung aus dem Beamten- beziehungsweise Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis zur Verfügung.

Hochschulgesetz: Diskursraumschutz versus Kriminalisierungsgefahr

Ein solchermaßen verstandenes und angesichts der grundrechtlichen Wertungen ausgestaltetes Ordnungsrecht verdient es durchaus, in den Hochschulgesetzen positiviert zu werden. Dennoch hat der Berliner Gesetzgeber das Ordnungsrecht über die Studierenden im Jahr 2021 in Berlin stark abgeschwächt. Möglich sind seither nur noch auf höchstens drei Monate befristete Maßnahmen des Präsidiums gegen Störungen des geordneten Hochschulbetriebs durch Studierende.

Eine Exmatrikulation scheidet gänzlich aus, ungeachtet der Dimension der studentischen Verfehlung. Dieser Umstand überrascht insofern, als alle übrigen 15 Bundesländer jedenfalls die Möglichkeit einer Exmatrikulation vorsehen, häufig geknüpft an eine hochschulrelevante Straftat gegen das Leben, die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit oder die persönliche Freiheit.

Der Berliner Sonderweg fällt dem Bundesland jetzt medial auf die Füße, weil die Freie Universität Berlin in Anbetracht eines mutmaßlich antisemitischen gewalttätigen Übergriffs auch dann noch handlungsunfähig wirkt, wenn der mögliche “Strafrahmen” des dreimonatigen Hausverbots ausgereizt wird.

Rückkehr zum Ordnungsrecht sollte nicht verschlimmbessern

Schon wird eine neuerliche Reform des BerlHG und eine Rückkehr des Ordnungsrechts mit Möglichkeit zur Exmatrikulation in Aussicht gestellt. Dieser Aktionismus sollte aber nicht dazu führen, die grundrechtlichen Wertungen aus den Augen zu verlieren und den status quo zu “verschlimmbessern”. Das Ordnungsrecht über die Studierenden ist in der rechtspolitischen Debatte auch deshalb nicht unumstritten, weil unter anderem Studierendenvertretungen befürchten, dass über einen generalklauselartig gehaltenen Begriff des Ordnungsverstoßes legitime Formen des hochschulischen Diskurses “kriminalisiert” werden könnten.

Für Hardliner etwa stellte sich womöglich die Frage, ob Hörsaalbesetzungen im Zuge der Klimadebatte nicht auch generalpräventiv mit gezielten Exmatrikulationen daran beteiligter Studierender begegnet werden könnte. Dieses Damoklesschwert hochschulischen Engagements kann nur eine grundrechtschonende und hinreichend bestimmte Fassung ordnungsrechtlicher Normen in den Landeshochschulgesetzen verhindern.

Die Exmatrikulation konsequent an eine strafrechtliche Verurteilung zu knüpfen, erscheint insofern überzeugend, als sie die Hochschulen von der strafrechtlichen Bewertung entlastet, an ein rechtsstaatlich austariertes Verfahren anknüpft und damit die Studierfreiheit der Studierenden nicht über Gebühr beeinträchtigt.

Es braucht Normen für eine Reaktion jenseits der Strafverfolgung

Im Übrigen sollte der Berliner Senat eine klare normative Grundlage dafür schaffen, wie auf strafrechtlich nicht relevantes oder jedenfalls noch nicht abschließend beurteiltes Verhalten, das den Diskursraum Hochschule beschädigt oder zu beschädigen droht, adäquat reagiert werden kann. Eine Regelung wie aktuell in § 16 Abs. 2 BerlHG, die von nicht näher gefassten “Störungen des geordneten Hochschulbetriebs durch Studierende” spricht, ist genau das Gegenteil.

Auf Rechtsfolgenseite sollte als Ordnungsmaßnahme neben der Androhung auch die zeitweise Ausschließung von hochschulischen Veranstaltungen oder dem Studienbetrieb in Gänze möglich sein. Hochschulen sind, dem überzeugenden Diskurs in der Rechtswissenschaft nach, keine polizeifreien Räume, sodass die Hochschule entsprechende Anordnungen auch durchsetzen lassen kann.

Die Eröffnung des Rechtswegs ermöglicht eine abschließende Kontrolle und auch Korrektur zu scharfer hochschulischer Maßnahmen durch die Verwaltungsgerichte. So urteilte das VG Köln zuletzt, dass ein anlässlich des Besuchs des israelischen Botschafters Ron Prosor ausgesprochenes Hausverbot gegen drei Studierende rechtswidrig war, obwohl diese auf Instagram einen Aufruf zum Boykott der Veranstaltung geliked beziehungsweise die Parole “From the River to the Sea” verbreitet haben sollen.

Hochschulen benötigen differenzierte Schutzkonzepte

Dem Gericht genügten jedoch die Umstände nicht, um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer konkreten Störung des Hausfriedens durch den Studierenden anzunehmen (VG Köln, Beschl. v. 12.01.2024, Az. 9 L 67/24; folgend OVG NRW, Az. 15 B 39/24). Das Gericht verlangt von der Hochschule vielmehr ein differenziertes Schutzkonzept für die Veranstaltung, das einerseits dem Recht des Studierenden auf Teilnahme gerecht wird, andererseits ein erforderlichenfalls notwendiges Unterbinden von Störungen möglich macht.

Es ist zu wünschen, dass der Berliner Landesgesetzgeber nun einen Rahmen schafft, der adäquate Governance-Konzepte der Hochschulen anregt, anstatt nur die Exmatrikulationskeule zu schwingen. Dazu gehört zuvorderst die Stärkung präventiver Mechanismen, aber auch eine differenzierte Regelung, um maßvoll darauf reagieren zu können, wenn der Diskursraum Hochschule nachhaltig beschädigt zu werden droht.

Nicolas Eisentraut ist Inhaber der gemeinsamen Juniorprofessur für Öffentliches Recht der Leibniz Universität Hannover und des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW). Der vorliegende Text ist eine gekürzte und aktualisierte Version seines Debattenbeitrags “Diskursraumschutz durch hochschulisches Ordnungsrecht”, der zuerst auf der Open-Source-Plattform “Verfassungsblog” erschienen ist.

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Personalien

Thomas Hesse, stellvertretender Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung, übernimmt übergangsweise die Leitung der Stiftung. Der langjährige Generalsekretär der AvH Enno Aufderheide tritt im April in den Ruhestand. Er hat das Amt seit 2010 inne.

Monika Landgraf übernimmt ab 1. Mai die Leitung des Bereichs Wissenschaftskommunikation der Fraunhofer-Gesellschaft und wird Sprecherin des Fraunhofer-Präsidenten. Die Diplom-Journalistin war seit 2010 Pressesprecherin des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Als Chief Communication Officer und Leiterin der Gesamtkommunikation verantwortete sie die interne und externe Kommunikation des KIT.

Lina Seitzl (SPD) ist am Mittwoch zur stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung gewählt worden. Sie folgt auf Petra Sitte (Linke), die das Amt aufgrund der Auflösung ihrer Fraktion abgeben musste. Neu in dem Bundestagsgremium ist die Grünen-Politikerin Franziska Krumwiede-Steiner, die nachgerückt ist, nachdem ihre Parteikollegin Nina Stahr aus dem Bundestag ausgeschieden ist. Neues stellvertretendes Mitglied des Ausschusses vonseiten der SPD ist Saskia Esken.

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Dessert

Viel cooler hier: Der bayerische Staatsminister für Wissenschaft und Kunst Markus Blume sprach bei der Verleihung der Leibniz-Preise ein Grußwort.

Den Bayern wird nachgesagt, mit der Berliner Lebensart zu fremdeln. Bei der Verleihung der diesjährigen Leibniz-Preise der Deutschen Forschungsgemeinschaft am Mittwoch war davon keine Spur zu bemerken. Zumindest der Gast aus Bayern fühlte sich in den Räumen der in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften sichtlich wohl: Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU). Sogar im Vergleich mit der Nobelpreisverleihung in Stockholm, zu der im Dezember den bayrisch-ungarischen Physiker Ferenc Krausz begleiten durfte, fand er nichts zu meckern.

Im Gegenteil: “Die Kleidung, die Kinder, es ist viel cooler hier”, sagte Blume, der nach Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger in seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz ein Grußwort sprach.

Leibniz-Kinder: Die Talente von morgen

Vor allem die etwa zehn Kinder im Saal (die zehn Preisträger waren inklusive Familien eingeladen, während der Grußworte waren immer mal wieder Kinderstimmen zu vernehmen), begeisterten Blume sichtlich. “Da geht einem als Wissenschaftsminister das Herz auf, wenn die Talente von morgen schon in wissenschaftlicher Umgebung sozialisiert werden.” Anne Brüning und Markus Weisskopf

Research.Table Redaktion

RESEARCH.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    der Angriff auf einen jüdischen Studierenden der Freien Universität hatte in Berlin den Ruf nach einer Rückkehr des Landes zum Ordnungsrecht ausgelöst, damit Exmatrikulationen dort – wie in den anderen Bundesländern – wieder möglich werden. Experten wie der Rechtswissenschaftler Klaus Herrmann zweifeln allerdings daran, dass das angesichts “der hohen gesetzlichen Anforderungen” und “praktischer Herausforderungen” ausreichen wird, um auf gewalttätige Übergriffe “schnell und leicht” reagieren zu können.

    Derweil warnen in Berlin die TU-Präsidentin Geraldine Rauch und der FU-Präsident Günter M. Ziegler vor einer “Universitäts-Justiz ohne juristische Legitimität” und kritisieren – zumindest in Teilen – die Pläne des Senats. Hochschulforscher Nicolas Eisentraut begrüßt das Ordnungsrecht grundsätzlich. In seinem Standpunkt für den Research.Table beschreibt er, wie eine Regelung – nicht nur in Berlin – aussehen müsste, die nicht “verschlimmbessert”, sondern den Diskursraum schützt und Studierende nicht unnötig kriminalisiert.

    Ein Thema, das spätestens seit der Covid-Pandemie ein Relevanz-Revival in der Community feiert, ist der Stellenwert der Kommunikation von Forschung und Wissenschaft. Während die Koalition mit einem gemeinsamen Antrag – der am gestrigen Mittwoch im Bundestag debattiert wurde – die Wissenschaftskommunikation stärken will, sehen Experten die Baustellen vielmehr woanders. Statt die “Sender-Perspektive” zu betonen, müsse Wissenschaft eher dort präsent sein, wo über sie gesprochen wird und sich in den Dialog begeben, meint etwa Kommunikationswissenschaftler Mike Schäfer. Markus Weisskopf fasst die Debatte für Sie zusammen.

    Ich wünsche Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre,

    Ihr
    Tim Gabel
    Bild von Tim  Gabel

    Analyse

    Forschungsausschuss will Wissenschaftskommunikation im Kampf gegen Fake News stärken

    Viele gemeinsame Anträge der Ampelkoalition zu Wissenschaftsthemen gab es bisher nicht im Forschungsausschuss. Das Thema Wissenschaftskommunikation scheint den Koalitionären also wichtig zu sein. Am gestrigen Mittwochabend wurde deren Antrag im Bundestag debattiert. Dort herrschte dann parteiübergreifende Einigkeit, bis hin zu Union und der Linken, dass Wissenschaftskommunikation gestärkt werden solle. 

    Dass im Antrag wenig Neues zu finden sei, monierte Katrin Staffler von der CSU. Sie verwies darauf, dass viele der Maßnahmenvorschläge noch aus der FactoryWisskomm stammen. Dieser Prozess, in dem 150 Experten Handlungsempfehlungen für die Weiterentwicklung der Wissenschaftskommunikation erarbeiteten, wurde noch von CDU-Forschungsministerin Anja Karliczek angestoßen.

    Ziel: Vertrauen in Wissenschaft stärken 

    Als Mittel im Kampf gegen Fake News wurde Wissenschaftskommunikation in der Bundestagsdebatte immer wieder bezeichnet. Und auch im Antrag findet sich dieses Ziel wieder: Wissenschaftskommunikation ermögliche evidenzbasierte Entscheidungen und wirke gegen Fake News und Desinformationen, heißt es dort. Gesamtgesellschaftlich fördere sie Resilienz, Zukunftsfähigkeit und Innovationsbereitschaft und stärke das Vertrauen in Wissenschaft.

    Kommunikation im Wissenschaftssystem verankern 

    Insgesamt 17 Forderungen an die Bundesregierung formuliert der Antrag – “vorbehaltlich der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel”. Dabei liegt der Fokus klar auf der Absicherung beziehungsweise dem Ausbau bereits etablierter Institutionen und Aktivitäten. Wir haben die wichtigsten Punkte zusammengefasst: 

    • Verankerung im System: Wissenschaftskommunikation soll “systematisch auf allen wissenschaftlichen Karrierestufen” integriert werden. Daneben soll sie konsequent Bestandteil in allen Fördermaßnahmen des BMBF werden. Dieser Punkt befindet sich laut BMBF bereits in der Umsetzung. Generell sei es sinnvoll, “Kommunikation und Vermittlung stärker als Profilelement und in der Leistungsbewertung von Forschenden und wissenschaftliche Institutionen anzuerkennen”. Zur stärkeren Wertschätzung soll ein “gut dotierter Preis” für Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsjournalismus eingeführt werden. 
    • Kompetenzentwicklung: Ein “Sonderprogramm Kompetenzaufbau Wissenschaftskommunikation” soll für Wissenschaftler und professionelle Kommunikatoren eingerichtet werden. Damit ist wohl die Etablierung einer entsprechenden Förderrichtlinie gemeint. 
    • Forschung zu Wissenschaftskommunikation: Die Koalition fordert, das Wissenschaftsbarometer auszubauen und die Wirksamkeit von aktuellen Formaten intensiver zu untersuchen. 
    • Bürgerwissenschaften: Allein fünf der 17 Punkte sind der Partizipation gewidmet. Die Förderlinie Citizen Science sowie die Plattform “Bürger schaffen Wissen” sollen gestärkt werden. Und: Im Nachgang zum “Wissenschaftsjahr 2022 – Nachgefragt!” sollen Möglichkeiten der Bürger zur Partizipation an Forschungspolitik geschaffen werden. 

    Wissenschaftsjournalismus soll staatsfern unterstützt werden  

    • Die Koalition möchte den Wissenschaftsjournalismus durch “unabhängige und staatsferne Strukturen nachhaltig unterstützen”. Möglich wäre dies beispielsweise durch eine neue Stiftung oder die Skalierung bestehender Aktivitäten, wie dem Innovationsfonds Wissenschaftsjournalismus.  

    Johannes Vogel: “Die Kraft liegt nicht im Bewahren” 

    “Eine ganzheitliche Betrachtung” biete das Papier, “viele wichtige und richtige Dinge stehen drin”, heißt es aus der Community. Gerade die sogenannten intermediären Organisationen wie das Science Media Center oder Wissenschaft im Dialog werden als unterstützenswert genannt, aber auch Plattformen wie “Bürger schaffen Wissen” oder der Scicomm Support. Es sei durchaus sinnvoll, das bereits Erreichte zu konsolidieren, meint auch Johannes Vogel, Direktor des Naturkundemuseums in Berlin. Er betont jedoch: “Es passiert vieles bottom-up – auf diese Dynamik muss eingegangen werden. Die Kraft liegt nicht im Bewahren, sondern im Innovativen.”  

    Doch für neue Initiativen gibt es kaum Ressourcen. Während das Budget der eigenen Aktivitäten des BMBF im Rahmen der Wissenschaftsjahre deutlich gestiegen ist (siehe Grafik), stagnieren die Mittel für die Projektförderung in den Wissenschaftsjahren seit 2016. Gerade diese ist jedoch für viele Akteure oft die einzige Möglichkeit, Mittel auch für neue und experimentelle Formate zu beantragen.

    Sender-Perspektive dominiert

    Mike Schäfer begrüßt ebenfalls die breite Perspektive auf das Feld der Wissenschaftskommunikation. Allerdings: “Das Ganze ist sehr aus der Sender-Perspektive formuliert” sagt der Kommunikationswissenschaftler von der Uni Zürich. Der Raum, in dem über Wissenschaft und nicht aus der Wissenschaft heraus gesprochen werde, komme wenig vor. So würden zum Beispiel Social Media und die Rolle der Tech-Plattformen oder auch neuere Entwicklungen wie die Entwicklung generativer KI kaum berücksichtigt. Auch Hans Peter Peters, Editor der Zeitschrift “Public Understanding of Science”, stimmt in diese Kritik ein: “Man versucht neue Arenen zu kreieren, ohne sich zu fragen, in welchen Arenen Wissenschaft bereits verhandelt wird.”  

    Rollenklärung ist für alle wichtig 

    Rainer Bromme von der Universität Münster bewertete den Antrag insgesamt als sehr nützlich. Es gebe aber eine Schwachstelle. Es gehe nicht nur um ein Mehr an Wissenschaftskommunikation. Beim Kompetenzaufbau für Wissenschaftskommunikation gehe es auch darum, Wissenschaftler zu ermutigen und zu befähigen, über ihre Rolle im Diskurs zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien zu reflektieren. Das sei auch für jene relevant, die sich nicht aktiv in der Wissenschaftskommunikation engagieren wollen – was man auch akzeptieren müsse. 

    Dagegen wünscht sich Katja Bär, Chief Communications Officer der Uni Jena und Vorsitzende des Bundesverbands Hochschulkommunikation, sehr wohl Unterstützung auch bei der Vermittlung der grundlegenden Kommunikationsfähigkeiten. Gerade um Nachwuchswissenschaftlern Weiterbildung anzubieten, fehlten häufig die Mittel. 

    Außenbeobachtung leistet nur der Journalismus 

    Mehr und bessere Wissenschaftskommunikation könne aber nicht den Journalismus ersetzen, betont Peters, der auch Honorarprofessor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin ist. Nur unabhängiger Journalismus könne eine Außenbeobachtung leisten. Das sei vielen – auch in der Wissenschaft – immer noch nicht klar. Daher freue er sich, dass im Antrag die Stellung des Wissenschaftsjournalismus hervorgehoben werde. Holger Mann, in der SPD-Fraktion Berichterstatter zur Wissenschaftskommunikation, betont den Willen der Koalition, hier Unterstützung zu leisten. Er macht aber auch klar, dass diese die Unabhängigkeit des Journalismus nicht berühren dürfe. 

    Bleibt am Ende die Frage der Finanzierung. Man hoffe, einige der geforderten Maßnahmen in den Haushalt 2025 einbringen zu können, heißt es aus Kreisen der Koalition. Zu Prioritäten wollte man sich nicht äußern. 

    Transparenzhinweis: Markus Weisskopf war bis 2022 Geschäftsführer von Wissenschaft im Dialog, Research-Redaktionsleiterin Nicola Kuhrt ist aktuell Vorsitzende der Wissenschaftspressekonferenz (WPK).

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    Chevron-Doktrin: Interessengruppen wollen die Exekutive schwächen

    Auf den ersten Blick ist es ein wenig bedeutsamer Streit, der vor dem Obersten Gerichtshof der USA verhandelt wird: Zwei Fischereibetriebe klagen dagegen, dass sie auf ihren Ausfahrten nicht nur einen Inspekteur der nationalen Aufsichtsbehörde mitnehmen müssen, der ihren Fang überwacht. Sie sollen dafür auch noch 700 US-Dollar pro Tag bezahlen. Diese Inspektionen sind gesetzlich vorgeschrieben, aber die Gebühr hat die Behörde selbst festgelegt. Und dazu, so die Kläger, habe sie kein Recht.

    Aber die Verhandlung vor dem Supreme Court, der seine Entscheidung wohl vor Juni fällen wird, genießt eine große Aufmerksamkeit, weil sie Auswirkungen weit über die konkreten Fälle hinaus haben wird. Schlägt sich das Gericht auf die Seite der Kläger, dann hebt es damit eine Entscheidung auf, die es im Jahr 1984 gefällt hat: die sogenannte “Chevron Deference“. Damals ging es um die Auslegung eines Gesetzes über Schadstoffemissionen, und die Verfassungsrichter sagten: Wenn das Gesetz, das dem Handeln einer Behörde zugrunde liegt, unklar, mehrdeutig oder lückenhaft ist, dann sollen nicht Gerichte über die Interpretation entscheiden, sondern die Regierungsbehörden, die mit der Anwendung der Gesetze betraut sind – solange diese Interpretation “vernünftig” und “zulässig” ist. Diese Doktrin ist seit jeher vor allem großen Industriefirmen ein Dorn im Auge. Ohne Chevron wäre es leichter, jede behördliche Entscheidung, zum Beispiel über Emissions-Grenzwerte, vor Gericht anzufechten.

    USA: Große Abneigung gegenüber Regierungsinstitutionen

    Überall auf der Welt gibt es ein Dilemma zwischen der gesetzgeberischen Kompetenz der Parlamente und der komplexen Wirklichkeit. Kein Gesetz kann jeden möglichen Einzelfall vorhersehen, daher müssen Behörden es mit Inhalt füllen, indem sie Bestimmungen erlassen. Zumal sich die Wirklichkeit ständig ändert, neue Giftstoffe identifiziert werden oder Pandemien ausbrechen. Eine funktionierende Exekutive muss handeln können, ohne dass jedes Mal der Gesetzgeber erneut in Aktion treten muss.

    Überall auf der Welt gibt es deshalb auch Vorbehalte gegen einen wachsenden bürokratischen Apparat, der seine eigenen Regeln schreibt und immer mehr Kompetenzen an sich reißt. In der Europäischen Union wird gern über den Brüsseler Amtsschimmel geklagt, der den Krümmungsgrad von Gurken oder die Zusammensetzung des Glühweins auf dem Weihnachtsmarkt regelt. Aber wohl nirgendwo ist die Abneigung gegen Regierungsinstitutionen so stark wie in den USA.

    “Es geht um das Narrativ, dass die Regierungsbürokratie, der Deep State’, den Kleinen Mann unterdrückt”, sagt Jody Freeman, Professorin für Umweltrecht an der Harvard-Universität, im Interview mit Table.Briefings. Freeman war Beraterin für Energie- und Klimafragen unter Präsident Obama und gehört zu den angesehensten Umweltrechtsexperten der USA. “Das zweite Narrativ, das vor allem von einigen Supreme-Court-Richtern vorgebracht wird: Die Exekutive maßt sich zu viel Macht an, die eigentlich dem Kongress zukommt, und das Gericht soll die Balance wiederherstellen.” In Wirklichkeit gehe es aber weder um hehre Verfassungsprinzipien noch um die armen Fischer. Konservative Juristen würden diesen Fall mit viel Geld unterstützen, unter anderem von den berüchtigten Koch Industries, um die Legitimität der Regierungsinstitutionen infrage zu stellen und sie letztlich zu schwächen.

    Keine Stabilität: Trump stieg aus dem Pariser Klimaabkommen aus, Biden wieder ein

    Insbesondere das Argument, die Macht müsse von den Bürokraten hin zu den gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertretern verschoben werden, fiel bei der ersten dreieinhalbstündigen Vorverhandlung im Supreme Court auf fruchtbaren Boden. Zumindest bei den konservativen Richtern, die dort eine Mehrheit von sechs zu drei haben. So wetterte der von Präsident Trump eingesetzte Richter Brett Kavanaugh nicht ausdrücklich gegen die Regierungsbehörden, sondern vor allem gegen das Phänomen, dass die Präsidenten zunehmend per Erlass regieren würden, ohne sich eine Kongressmehrheit für ihr Handeln suchen zu müssen. Präsident Trump steigt aus dem Pariser Klimaabkommen aus, sein Nachfolger Biden tritt wieder bei. Auch ein großer Teil der Klimaschutzmaßnahmen der Biden-Regierung basiert auf präsidialen Erlassen. “Alle vier oder acht Jahre, wenn eine neue Regierung antritt, wird das System erschüttert”, sagte Kavanaugh, egal, ob es sich um Wettbewerbsrecht oder Umweltrecht handele. “Das ist keine Stabilität.”

    Dem hält die Juristin Freeman entgegen, dass der Kongress durchaus die Freiheit habe, neue Gesetze zu beschließen und die Interpretationsfreiheit der Behörden zu beschränken. “Der Kongress hat viele Möglichkeiten, sich die Macht zurückzunehmen, wenn er das will.” Nur sei das US-Parlament ein völlig dysfunktionaler Gesetzgeber, der nicht einmal einen Haushalt beschließen könne. “Die Vorstellung, dass der Kongress Gesetze zum Umweltschutz, zur Regulierung von Lebens- und Arzneimitteln, zu Aktienmärkten und Verbraucherschutz regelmäßig aktualisieren kann, wenn ein neues Problem auftaucht – das ist ein Hirngespinst. So funktionieren eine moderne Wirtschaft und eine moderne Gesellschaft nicht.”

    In diese Richtung argumentierte auch die liberale Verfassungsrichterin Elena Kagan in der Verhandlung. Sie brachte das Beispiel der Künstlichen Intelligenz – gerade auf dem Gebiet der Regulierung von Tech-Unternehmen tun sich die US-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier schwer. “Der Kongress kann bei diesem Thema kaum eine Woche in die Zukunft sehen, geschweige denn ein Jahr oder ein Jahrzehnt”, sagte sie. “Will der Kongress, dass dieses Gericht über die politikrelevanten Fragen der KI entscheidet?”

    Chevron Deference wird vielleicht nicht komplett kassiert

    Damit sprach Kagan eine wahrscheinliche Konsequenz der höchstrichterlichen Entscheidung an: Sollten die Richter die Chevron-Doktrin kippen, wird nicht etwa das Parlament eine Serie neuer Umwelt- und Verbraucherschutzgesetze erlassen. Stattdessen werden viele Streitfälle zunächst vor lokalen Bundesrichtern, dann vor Appellationsgerichten und schließlich beim Supreme Court landen. Die nicht direkt legitimierten Richterinnen und Richter würden zu Entscheidern in politischen Fragen. “Das wird sehr chaotisch werden”, sagt Freeman, “aber unter dem Strich wird Regulierung erschwert und die Agenturen werden außer Gefecht gesetzt – und darum geht es ihnen.”

    Wenn die Chevron-Doktrin fällt, dann haben die insgesamt 850 Bundesrichter im ganzen Land das Sagen in Streitfällen etwa zum Umweltrecht – und je nach deren politischer Ausrichtung werden die Urteile sehr unterschiedlich ausfallen. Die oberste Umweltbehörde EPA ist zuständig für die Umsetzung und Konkretisierung von mehr als 40 wichtigen Gesetzen, vom Clean Water Act bis zum Atomic Energy Act. Manche Expertinnen und Experten befürchten, dass große Firmen sogar alte Verfahren wieder aufrollen könnten, um industriefreundlichere Urteile zu bekommen. Und auch der Inflation Reduction Act (IRA) könnte verwässert werden: Denn ob seine Umsetzung wirkliche Effekte hat, hängt von den Details der Ausführungsbestimmungen ab.

    Allerdings wird das Verfahren kein einfacher Durchmarsch der Kläger werden. Zwei der sechs konservativen Richterinnen und Richter sind noch nicht davon überzeugt, das Präzedenzurteil von 1984 zu revidieren – so wie es das aktuelle Gericht bei den jüngsten Entscheidungen über Abtreibung und Affirmative Action getan hat. “Wie sehr stellt sich diese Frage tatsächlich vor Ort?”, fragte der vorsitzende Richter John Roberts. Und Amy Coney Barrett, eine ebenfalls von Trump eingesetzte Richterin, befürchtet eine Flut von Gerichtsverfahren, falls auch Entscheidungen aus der Vergangenheit wieder aufgerollt werden sollten.

    Statt Demut: Wirft der Supreme Court alle Bescheidenheit über Bord?

    Manche Experten halten es für vorstellbar, dass das oberste Gericht die Chevron Deference nicht komplett kassiert, sondern strengere Vorgaben für die Richter macht, die Entscheidungen an die Behörden delegieren. Schon jetzt müssen die Gerichte vor einem solchen Beschluss prüfen, ob das Gesetz tatsächlich einen Interpretationsspielraum bietet und ob die Auslegung der Behörden nachvollziehbar ist. Wie eine solche schwächere Form von Chevron aussehen könnte, ist noch unklar.

    Die ursprüngliche Chevron-Doktrin von 1984 sei auch keine wirkliche rechtliche Regel, sagt Freeman, sondern eher Ausdruck einer grundsätzlichen Haltung. “Die sagt den Behörden im Prinzip: Wir respektieren euch und überlassen euch die tagtäglichen Entscheidungen. Das setzt einen Ton der Demut für die unteren Gerichte. Jetzt ist der Supreme Court bereit, jegliche Bescheidenheit über Bord zu werfen und zu sagen: Alle Rechtsfragen sind unsere Sache.”

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    Termine

    19. März 2024, 18:00 Uhr, Akademiegebäude am Gendarmenmarkt, Einstein-Saal, Jägerstraße 22/23, 10117 Berlin
    Podiumsdiskussion Wissenschaft und Verlagswesen in der DDR Mehr

    20. März, 13:00 bis 18:30 Uhr, Landesvertretung Sachsen-Anhalts beim Bund, Luisenstraße 18, 10117 Berlin
    10. “Human Rights and Science”-Symposium – Leopoldina in Kooperation mit der Norwegian Academy of Science and Letters Menschenrechte und Wissenschaftsfreiheit Mehr

    22. April 2024, 10:30 bis 16:15 Uhr, Hannover Messe
    Gipfel für Forschung und Innovation 2024 “Innovationen in Europa – Katalysatoren, Kompetenzen und Kooperationen am Beispiel von KI” Mehr

    News

    Fusion: Neues BMBF-Förderprogramm soll Grundstein für Fusionskraftwerk legen

    Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger stellt in Berlin das Förderprogramm “Fusion 2040 – Forschung auf dem Weg zum Fusionskraftwerk vor”.

    Mit einem Förderprogramm für die Fusionsforschung will Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger den Grundstein dafür legen, “dass wir in Deutschland unter den Ersten dabei sind, die ein Fusionskraftwerk bauen”, sagte sie am Mittwoch bei der Vorstellung des Fachprogramms in Berlin. Den Bau eines solchen Kraftwerks erwartet das BMBF laut Papier noch vor der “Mitte dieses Jahrhunderts”. Das Programm hatte man erstmals im Positionspapier Fusionsforschung im Juni 2023 angekündigt und es war bereits im vergangenen Jahr mit zwei Förderlinien gestartet.

    Demnach waren die Eckdaten schon längere Zeit bekannt: Das BMBF gibt bis zum Jahr 2028 für das Programm zusätzlich zur bestehenden institutionellen Förderung 370 Millionen Euro für die Fusionsforschung aus. Insgesamt sollen in den nächsten fünf Jahren nun rund eine Milliarde Euro in die Fusionsforschung fließen. Wirtschaftsanalysten von PWC hatten in ihrer Analyse die Strategie und Förderung der Bundesregierung trotzdem als nicht weitreichend genug bewertet.

    Klassische Projektförderung ergänzt durch Testeinrichtungen

    Das Förderprogramm “Fusion 2040 – Forschung auf dem Weg zum Fusionskraftwerk”, das Table.Briefings vorliegt, beschreibt jetzt konkret Förderstrategie und -ziele des BMBF sowie die Handlungsfelder und Maßnahmen. In dem Papier unterteilt das BMBF den Handlungsbedarf nach einerseits wissenschaftlich-technischen Fragen, an denen in Förderprojekten geforscht werden soll und andererseits nach Maßnahmen, die dabei helfen sollen, ein deutsches Ökosystem im Bereich der Fusionsenergie aufzubauen

    Um damit den Bau eines Fusionskraftwerks zu erreichen, “ist das Programm im Kern auf anwendungsorientierte Verbundforschung als eine Form einer Public-Private-Partnership (PPP) angelegt”, heißt es in der Mitteilung des BMBF. Dahinter verbirgt sich allerdings nichts anderes als die vorwettbewerbliche Projektförderung von Wissenschaft und Industrie, die das BMBF standardmäßig in nahezu jedem Förderprogramm vorsieht. Der EFI-Vorsitzende Uwe Cantner hatte das bereits bei der Vorstellung der Eckpunkte kritisiert und dem BMBF vorgeworfen, dass es “förderstrategisch an der Oberfläche” bleibe.

    Die klassischen Verbundprojekte sollen “je nach Bedarf durch gemeinsame Testeinrichtungen ergänzt werden können”, heißt es jetzt in dem Programm. Diese sogenannten vom BMBF geförderten Hubs sollen in einer späteren Phase zu Leitprojekten mit noch stärkerer Industriebeteiligung ausgebaut werden können. Eine neue Leitstelle Fusionsforschung, die vermutlich unter den einschlägigen Projektträgern vergeben wird, soll als erste Anlaufstelle für Unternehmen dienen, beraten und vernetzten.

    Fusions-Start-ups fordern Führungsrolle für sich ein

    Im Dialog mit den Ländern will das BMBF dazu anregen, Nachwuchsgruppen an Hochschulen, Doktoranden und Postdocs gezielt zu fördern, um den Aufbau von Forschungskapazitäten zu forcieren und Studierende frühzeitig für das Thema zu interessieren. Zudem soll ein jährlicher Innovationspreis durch das BMBF vergeben werden. Die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften, die Aufklärung der Öffentlichkeit und die Gestaltung passfähiger Regularien sind weitere Aufgaben, die das BMBF als relevant erachtet und unterstützen möchte.

    Ob das Ministerium mit seinem neuen Förderprogramm Begeisterungsstürme unter den vier deutschen Fusions-Start-ups auslösen wird, ist zumindest fragwürdig. Im Interview mit Table.Briefings hatten die Unternehmer Marcus Roth und Milena Roveda Anfang des Jahres einen Paradigmenwechsel in der Fusionsforschung gefordert: Die Industrie müsse demnach die Führungsrolle übernehmen können, wenn Deutschland seinen Wettbewerbsvorteil in der Kernfusion nicht verspielen wolle. tg

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    Unesco-Studie: Wiederaufbau der Wissenschaft in der Ukraine kostet Milliarden

    Der Wiederaufbau der vom russischen Angriffskrieg zerstörten wissenschaftlichen Infrastruktur in der Ukraine wird nach Ansicht der UN-Kulturorganisation Unesco eine Milliardensumme kosten. In einer aktuellen Studie schätzt die Organisation die Kosten auf mehr als 1,26 Milliarden US-Dollar. Den Angaben zufolge wurden mehr als 1.400 Gebäude und Labore in mehr als 177 Einrichtungen zerstört.

    “Da die Situation für die wissenschaftliche Gemeinschaft immer kritischer wird, müssen wir ihre Forschungsarbeit in der Ukraine schützen und unterstützen”, sagte die Generaldirektorin der Unesco, Audrey Azoulay. Wissenschaftler, Ingenieure und andere Experten seien für den Wiederaufbau des Landes von entscheidender Bedeutung.

    Fast 30 Prozent der Wissenschaftler müssen aus der Ferne arbeiten

    Besonders betroffen sei die wissenschaftliche Infrastruktur in der Region Charkiw. Außerdem müssten 750 wissenschaftliche oder technische Geräte ganz oder teilweise ersetzt werden, was allein rund 46 Millionen Dollar kosten werde.

    Besorgniserregend sei die Situation rund um das Institut für Sicherheitsprobleme von Kernkraftwerken bei Saporischja. Hier seien wesentliche Instrumente für die Überwachung der Atomindustrie gestohlen oder zerstört worden. Das stelle eine große Bedrohung für die Sicherheit in der Region dar, so die Unesco.

    Auch die teilweise Besetzung durch die russische Armee habe schwerwiegende Folgen im gesamten Land: 18 wissenschaftliche Institute mussten demnach verlegt werden, wobei einige Studien nicht fortgesetzt werden konnten. Fast 30 Prozent der Wissenschaftler seien inzwischen gezwungen, aus der Ferne zu arbeiten; entweder aus dem Ausland oder sie mussten innerhalb der Ukraine fliehen. dpa

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    Allmendinger-Nachfolge: Nicola Fuchs-Schündeln wird voraussichtlich WZB-Präsidentin

    Die Wirtschaftswissenschaftlerin Nicola Fuchs-Schündeln wird vermutlich neue Präsident des WZB. Das Foto wurde bei der Leibniz-Preisverleihung 2018 aufgenommen.

    Wenn Ende August die Soziologin Jutta Allmendinger in den Ruhestand tritt, wird höchstwahrscheinlich die Wirtschaftswissenschaftlerin Nicola Fuchs-Schündeln die neue Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB). Die ebenfalls als Kandidatin gehandelte Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff bestätigte auf Anfrage von Table.Briefings mit im Verfahren gewesen zu sein. “Das WZB hat sich dann für eine andere, sehr gute Kollegin entschieden, Nicola Fuchs-Schündeln”, sagte Deitelhoff, die das Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung leitet.

    Das WZB bestätigte die Personalie nicht. “Die Verhandlungen zur Nachfolge von Frau Allmendinger laufen und sind auf einem guten Weg; haben Sie bitte Verständnis, dass wir erst mit deren Abschluss den Namen bekannt geben können”, sagte eine Sprecherin. Die Amtsübergabe sei für September geplant.

    Ausgezeichnet mit ERC-Grants, Leibniz-Preis und Leopoldina-Mitgliedschaft

    Nicola Fuchs-Schündeln ist seit 2009 Professorin für Makroökonomie und Entwicklung an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, zuvor war sie fünf Jahre lang Assistenzprofessorin an der Harvard University. Sie erforscht Arbeits- und Konsumentscheidungen privater Haushalte. Im Jahr 2010 erhielt sie einen Starting Grant des European Research Council, 2018 einen Consolidator Grant. Ebenfalls 2018 wurde sie mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet. Seit 2021 ist sie Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die sie im vergangenen Jahr mit dem Carus-Preis ehrte.

    Medial wurde Fuchs-Schündeln zuletzt vor allem mit ihrer Kritik am Ehegattensplitting zitiert, das ihrer Ansicht nach ein Anreiz für eine Alleinverdiener-Ehe ist. Auch die amtierende WZB-Präsidentin Allmendinger ist bekannt für ihre kritische Position gegenüber dem Ehegattensplitting oder der Witwenrente, die Frauen ausbremsen, die eigene Karriere zu verfolgen. abg

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    Kaum noch Chancen auf eine Einigung über den EU-Gentechnikvorschlag vor der Europawahl

    Das Zeitfenster schließt sich: Am heutigen Donnerstag wird feststehen, ob der EU-Vorschlag zur Deregulierung neuer Züchtungstechniken noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Dann läuft die Frist für Trilogeinigungen zwischen Rat und Parlament ab, um Gesetzestexte bis zur letzten Sitzungswoche im April finalisieren zu können. Bisher sind sich nicht einmal die Mitgliedstaaten untereinander einig.

    Dass wohl nach der Wahl weiterverhandelt werden muss, könnte neben Verzögerungen auch inhaltlich einen Unterschied machen. Denn Voraussetzung für die Wiederaufnahme von Gesetzgebungsverfahren sind Beschlüsse von neu besetzter Kommission und Parlament. Die Abgeordneten, die mit Abstrichen bereits für den Vorschlag gestimmt haben, hätten Gelegenheit, ihre Meinung noch einmal zu ändern.

    Neues EFSA-Gutachten bis Juli

    Beeinflussen könnte das ein neues Gutachten, das die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bis Juli vorlegen will, wie ein Sprecher bestätigt. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola hatte die EFSA Ende Februar in einem Brief, der Table.Briefings vorliegt, aufgefordert, Stellung zur Kritik der französischen Behörde ANSES an dem Vorschlag zu nehmen.

    Die Initiative geht zurück auf den Vorsitzenden des Umweltausschusses, Pascal Canfin (Renew). Anders als viele Liberale gilt er als Gentechnik-Skeptiker. Die Deadline im Juli – pünktlich zur neuen Legislaturperiode und vor der erneuten Parlamentsentscheidung – dürfte bewusst gewählt sein.

    Papier wurde wochenlang zurückgehalten

    ANSES hatte in einem Gutachten im November den Ansatz infrage gestellt, gentechnisch veränderte Pflanzen zu deregulieren, die auch auf herkömmliche Weise hätten entstehen können (Kategorie 1). Es brauche für alle Organismen aus neuen Züchtungstechniken weiter Risikoprüfungen, bekräftigt die Behörde in einem Papier von Januar, das sie erst vergangene Woche veröffentlichte. Nach Recherchen der französischen Zeitung Le Monde hatte ANSES es wegen “politischen Drucks” zurückgehalten.

    Aus Sicht von Nicolaus von Wirén, wissenschaftlicher Direktor beim Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK), trägt jedoch die Stellungnahme “nichts Neues zur Diskussion bei“. Mit den Argumenten hätten sich Kommission und Parlament bei der Kompromissfindung bereits ausführlich auseinandergesetzt. Das Papier spreche “von Risiken, ohne sie benennen zu können“, und ignoriere die Tatsache, dass viele der Mutationen in Kategorie 1 “bereits so in der Natur existieren und damit deren Auswirkungen bekannt sind“. jd

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    Besuch in Großbritannien: Kooperation in KI, Batterieforschung, Quanten- und Fusionsforschung sowie Forschungssicherheit vereinbart

    Großbritannien und Deutschland wollen ihre Beziehungen in Forschung und Wissenschaft weiter intensivieren. Eine entsprechende Vereinbarung wurde am Dienstag von der britischen Ministerin für Wissenschaft und Technologie, Michelle Donelan, und Bundesforschungsministerin, Bettina Stark-Watzinger, in London unterzeichnet. Die Kooperation erstreckt sich auf wichtige Schlüsseltechnologien, wie Künstliche Intelligenz, Batterieforschung, Quanten- und Fusionsforschung, sowie Forschungssicherheit.

    Beide Regierungen wollen eine “Strategische Arbeitsgruppe einrichten, um sicherzustellen, dass diese ehrgeizigen Ziele mit konkreten Plänen zur Umsetzung verbunden werden”, heißt es in einer Pressemitteilung des Londoner Wissenschaftsministeriums.

    Stark-Watzinger: Assoziierung Großbritanniens “wichtiger Schritt”

    Nach dem Ministertreffen besichtigte Stark-Watzinger im Rahmen ihrer eintägigen Reise nach Großbritannien auch die Fusionsanlagen JET und MAST-U sowie das Zentrum für Automatisierung in Extremsituationen (RACE) auf dem Forschungscampus CCFE in Culham. Einem Besuch des AI Safety Institute in London schloss sich am Nachmittag der Deutsch-Britische Forschungsdialog am Imperial College London an, den die deutsche Ministerin mit einer Rede eröffnete. An der Veranstaltung nahmen die Leitungen mehrerer deutscher und britischer Hochschul- und Wissenschaftsorganisationen sowie Mitglieder der Wissenschaftsgemeinschaft aus beiden Ländern teil.

    “Deutschland ist der zweitgrößte Handelspartner des Vereinigten Königreichs und durch Projekte wie Horizon Europe und CERN auch ein wichtiger Partner in Wissenschaft und Forschung. Um daraus Nutzen zu ziehen, müssen wir unsere gemeinsamen Stärken in Wissenschaft und Technologie zusammenbringen”, erklärte die britische Ministerin Michelle Donelan.

    Erste Global Innovation Fellowships vergeben

    Die Assoziierung des Vereinigten Königreichs mit dem EU-Forschungsrahmenprogramm “Horizon Europe” bezeichnete Stark-Watzinger als “wichtigen Schritt” für die wissenschaftliche Kooperation, die aber zugleich bilateral untersetzt werden solle.

    Im Rahmen der Veranstaltung im Imperial College wurden auch die ersten beiden Global Innovation Fellowships, vergeben, die von der British Academy und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) ausgelobt werden. Die einjährigen Stipendien finden am Sitz der DGAP in Berlin statt.

    Gemeinsam mit der deutschen Alexander-von-Humboldt-Stiftung veranstaltet die British Academy im Juni das deutsch-britische Symposium “Knowledge Frontiers“. Damit beginnt eine Serie von weiteren Konferenzen in den nächsten drei Jahren, die Nachwuchswissenschaftler*innen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften zusammenbringen sollen. mr

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    Presseschau

    Zeit. Sabine Döring: Sokrates gegen SUV-Fahrer. Sabine Döring ist in den Maschinenraum der Politik hinabgestiegen. Die Zeit wollte wissen, wie sie ihr Leben als Staatssekretärin erlebt und stellt fest: Döring ist keine gewöhnliche Politikerin. Sie komme ja aus der Theorie, aus der Philosophie. 15 Jahre lang war sie Professorin in Tübingen, bevor sie in die Politik wechselte. In einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen von der Politik abwenden, suche sie nun nach Antworten: Wie kann Politik besser werden? Wie kann man das Vertrauen in die staatlichen Institutionen zurückgewinnen? Dörings selbst erklärt, ihr Ansatz sei es, Theorie und Praxis zu verbinden. Sie nutze ihre philosophischen Kenntnisse, um aktuelle Probleme zu lösen und den Dialog zwischen den verschiedenen Akteuren zu fördern. Mehr

    Riffreporter. Geologie: Unterlegene Forscher fechten Entscheidung gegen Anthropozän an. Die Weltgemeinschaft steht an der Schwelle eines neuen Zeitalters – des Anthropozäns. Klimawandel, Artenschwund, die Verbreitung von Plastik und Beton – diese beispiellosen Veränderungen hinterlassen Spuren, die für Hunderttausende Jahre in der Erdgeschichte sichtbar sein werden. 2016 befürwortete eine Arbeitsgruppe die Ausrufung des Anthropozäns als neue Epoche. 2023 wurde der Crawford Lake als Referenzort bestimmt. Doch die Entscheidung liegt aber nicht allein bei der Arbeitsgruppe. Drei weitere Gremien und die Weltorganisation der Geologie müssen zustimmen, bevor das Anthropozän offiziell eingeführt wird. Ein Gremium, welches die Einteilung der Erdgeschichte überwacht, hat mit deutlicher Mehrheit gegen die Einführung des Anthropozäns als neue Epoche gestimmt. Sie würde den Einfluss des Menschen auf den Planeten geologisch kennzeichnen. Die Befürworter des Anthropozäns akzeptieren diese Entscheidung nicht. Sie fordern eine Annullierung des Votums. Mehr

    Standpunkt

    Die “Exmatrikulationskeule” allein genügt nicht

    Von Nicolas Eisentraut
    Nicolas Eisentraut hat die gemeinsame Juniorprofessur für Öffentliches Recht der Leibniz Universität Hannover und des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) inne.

    Die Hochschulen waren von Beginn der bundesdeutschen Geschichte an Austragungsort politischer Konflikte. Ihre große Stärke liegt darin, ein Forum für die Versachlichung, wissenschaftliche Vertiefung und Reflexion dieser Konflikte zu bieten.

    Konflikte wie die Coronakrise, die Kontroverse um Genderforschung oder die Klimadebatte haben in den letzten Jahren jedoch plastisch gemacht: Dieses Ideal eines wissenschaftlichen Forums ist kein Selbstläufer, sondern bedarf Steuerungsleistungen aller Organe der Hochschulen und nimmt häufig auch Präsidien und Rektorate in die Pflicht, Auseinandersetzungen zu begleiten, zu gestalten und ultima ratio auch Grenzen zu setzen.

    Nun forciert der Krieg in Gaza und der ihn auslösende Überfall auf Israel durch die Hamas Konfliktlinien, die das Forum Hochschule neuerlich herausfordern. Im Zuge antisemitischer Vorfälle an verschiedenen Hochschulen ist eine Debatte darüber eröffnet worden, welche ordnungsrechtlichen Mittel den Hochschulen zur Verfügung stehen sollten, um den Diskursraum Hochschule zu schützen.

    Governance zum Schutz der Wissenschafts- und Studierfreiheit

    Das wertpluralistische Mit- und Nebeneinander hochschulischer Vielfalt erfordert dafür eine Governancestruktur, die es nicht allen notwendig recht macht, aber die größtmöglichen Freiräume im Sinne der grundgesetzlich verbürgten Wissenschafts- und Studierfreiheit erhält und diese zugleich als “Safe Spaces” vor diskursunterdrückender Gewalt schützt.

    Maßstab für den Diskursraum begrenzende Maßnahmen sind Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG bzw. Art. 12 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Studierfreiheit, außerdem die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Im Sinne der Verhältnismäßigkeit geboten erscheint ein abgestuftes Governancekonzept. Hier können die Hochschulen einerseits auf niedrigschwellige Maßnahmen der Information, des Austauschs und der Kommunikation setzen.

    Weitergehend können Hochschulleitungen die persönliche Teilhabe und -nahme am Diskursraum Hochschule in der Regel auf Grundlage des Hausrechts der Hochschulen verhindern. Als ultima ratio stehen für Studierende die Exmatrikulation, für Hochschullehrende die Entfernung aus dem Beamten- beziehungsweise Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis zur Verfügung.

    Hochschulgesetz: Diskursraumschutz versus Kriminalisierungsgefahr

    Ein solchermaßen verstandenes und angesichts der grundrechtlichen Wertungen ausgestaltetes Ordnungsrecht verdient es durchaus, in den Hochschulgesetzen positiviert zu werden. Dennoch hat der Berliner Gesetzgeber das Ordnungsrecht über die Studierenden im Jahr 2021 in Berlin stark abgeschwächt. Möglich sind seither nur noch auf höchstens drei Monate befristete Maßnahmen des Präsidiums gegen Störungen des geordneten Hochschulbetriebs durch Studierende.

    Eine Exmatrikulation scheidet gänzlich aus, ungeachtet der Dimension der studentischen Verfehlung. Dieser Umstand überrascht insofern, als alle übrigen 15 Bundesländer jedenfalls die Möglichkeit einer Exmatrikulation vorsehen, häufig geknüpft an eine hochschulrelevante Straftat gegen das Leben, die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit oder die persönliche Freiheit.

    Der Berliner Sonderweg fällt dem Bundesland jetzt medial auf die Füße, weil die Freie Universität Berlin in Anbetracht eines mutmaßlich antisemitischen gewalttätigen Übergriffs auch dann noch handlungsunfähig wirkt, wenn der mögliche “Strafrahmen” des dreimonatigen Hausverbots ausgereizt wird.

    Rückkehr zum Ordnungsrecht sollte nicht verschlimmbessern

    Schon wird eine neuerliche Reform des BerlHG und eine Rückkehr des Ordnungsrechts mit Möglichkeit zur Exmatrikulation in Aussicht gestellt. Dieser Aktionismus sollte aber nicht dazu führen, die grundrechtlichen Wertungen aus den Augen zu verlieren und den status quo zu “verschlimmbessern”. Das Ordnungsrecht über die Studierenden ist in der rechtspolitischen Debatte auch deshalb nicht unumstritten, weil unter anderem Studierendenvertretungen befürchten, dass über einen generalklauselartig gehaltenen Begriff des Ordnungsverstoßes legitime Formen des hochschulischen Diskurses “kriminalisiert” werden könnten.

    Für Hardliner etwa stellte sich womöglich die Frage, ob Hörsaalbesetzungen im Zuge der Klimadebatte nicht auch generalpräventiv mit gezielten Exmatrikulationen daran beteiligter Studierender begegnet werden könnte. Dieses Damoklesschwert hochschulischen Engagements kann nur eine grundrechtschonende und hinreichend bestimmte Fassung ordnungsrechtlicher Normen in den Landeshochschulgesetzen verhindern.

    Die Exmatrikulation konsequent an eine strafrechtliche Verurteilung zu knüpfen, erscheint insofern überzeugend, als sie die Hochschulen von der strafrechtlichen Bewertung entlastet, an ein rechtsstaatlich austariertes Verfahren anknüpft und damit die Studierfreiheit der Studierenden nicht über Gebühr beeinträchtigt.

    Es braucht Normen für eine Reaktion jenseits der Strafverfolgung

    Im Übrigen sollte der Berliner Senat eine klare normative Grundlage dafür schaffen, wie auf strafrechtlich nicht relevantes oder jedenfalls noch nicht abschließend beurteiltes Verhalten, das den Diskursraum Hochschule beschädigt oder zu beschädigen droht, adäquat reagiert werden kann. Eine Regelung wie aktuell in § 16 Abs. 2 BerlHG, die von nicht näher gefassten “Störungen des geordneten Hochschulbetriebs durch Studierende” spricht, ist genau das Gegenteil.

    Auf Rechtsfolgenseite sollte als Ordnungsmaßnahme neben der Androhung auch die zeitweise Ausschließung von hochschulischen Veranstaltungen oder dem Studienbetrieb in Gänze möglich sein. Hochschulen sind, dem überzeugenden Diskurs in der Rechtswissenschaft nach, keine polizeifreien Räume, sodass die Hochschule entsprechende Anordnungen auch durchsetzen lassen kann.

    Die Eröffnung des Rechtswegs ermöglicht eine abschließende Kontrolle und auch Korrektur zu scharfer hochschulischer Maßnahmen durch die Verwaltungsgerichte. So urteilte das VG Köln zuletzt, dass ein anlässlich des Besuchs des israelischen Botschafters Ron Prosor ausgesprochenes Hausverbot gegen drei Studierende rechtswidrig war, obwohl diese auf Instagram einen Aufruf zum Boykott der Veranstaltung geliked beziehungsweise die Parole “From the River to the Sea” verbreitet haben sollen.

    Hochschulen benötigen differenzierte Schutzkonzepte

    Dem Gericht genügten jedoch die Umstände nicht, um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer konkreten Störung des Hausfriedens durch den Studierenden anzunehmen (VG Köln, Beschl. v. 12.01.2024, Az. 9 L 67/24; folgend OVG NRW, Az. 15 B 39/24). Das Gericht verlangt von der Hochschule vielmehr ein differenziertes Schutzkonzept für die Veranstaltung, das einerseits dem Recht des Studierenden auf Teilnahme gerecht wird, andererseits ein erforderlichenfalls notwendiges Unterbinden von Störungen möglich macht.

    Es ist zu wünschen, dass der Berliner Landesgesetzgeber nun einen Rahmen schafft, der adäquate Governance-Konzepte der Hochschulen anregt, anstatt nur die Exmatrikulationskeule zu schwingen. Dazu gehört zuvorderst die Stärkung präventiver Mechanismen, aber auch eine differenzierte Regelung, um maßvoll darauf reagieren zu können, wenn der Diskursraum Hochschule nachhaltig beschädigt zu werden droht.

    Nicolas Eisentraut ist Inhaber der gemeinsamen Juniorprofessur für Öffentliches Recht der Leibniz Universität Hannover und des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW). Der vorliegende Text ist eine gekürzte und aktualisierte Version seines Debattenbeitrags “Diskursraumschutz durch hochschulisches Ordnungsrecht”, der zuerst auf der Open-Source-Plattform “Verfassungsblog” erschienen ist.

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    Personalien

    Thomas Hesse, stellvertretender Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung, übernimmt übergangsweise die Leitung der Stiftung. Der langjährige Generalsekretär der AvH Enno Aufderheide tritt im April in den Ruhestand. Er hat das Amt seit 2010 inne.

    Monika Landgraf übernimmt ab 1. Mai die Leitung des Bereichs Wissenschaftskommunikation der Fraunhofer-Gesellschaft und wird Sprecherin des Fraunhofer-Präsidenten. Die Diplom-Journalistin war seit 2010 Pressesprecherin des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Als Chief Communication Officer und Leiterin der Gesamtkommunikation verantwortete sie die interne und externe Kommunikation des KIT.

    Lina Seitzl (SPD) ist am Mittwoch zur stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung gewählt worden. Sie folgt auf Petra Sitte (Linke), die das Amt aufgrund der Auflösung ihrer Fraktion abgeben musste. Neu in dem Bundestagsgremium ist die Grünen-Politikerin Franziska Krumwiede-Steiner, die nachgerückt ist, nachdem ihre Parteikollegin Nina Stahr aus dem Bundestag ausgeschieden ist. Neues stellvertretendes Mitglied des Ausschusses vonseiten der SPD ist Saskia Esken.

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    Mehr von Table.Media

    Berlin.Table. Bürokratieabbau: Nur wenige Vorschläge aufgegriffen. Einem Kabinettsentwurf zufolge ist für das Bürokratieentlastungsgesetz eine höhere Summe eingeplant. Eine Verabschiedung ist aber dennoch nicht in Sicht. Mehr

    Bildung.Table. Digitalpakt: Prien fürchtet Hinhaltetaktik, weil BMBF die Mittel fehlen. Vor der Kultusministerkonferenz am Donnerstag ist das Bund-Länder-Ringen um den Digitalpakt erneut in den Mittelpunkt gerückt. Ein Interview mit Bettina Stark-Watzinger schlägt hohe Wellen. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien vermutet Kalkül. Mehr

    China.Table.Speed-Dating im Kanzleramt: Warum Olaf Scholz die südostasiatischen Staatschefs umgarnt. Olaf Scholz trifft diese Woche die Staats- und Regierungschefs von Malaysia, den Philippinen und Thailand. Es geht um den Ausbau der Beziehungen nach Südostasien. Zudem will der Kanzler Deutschlands Abhängigkeit von China verringern. Mehr

    Climate.Table. Rekord-Investitionen in Erneuerbare in Deutschland. Mit 36,6 Milliarden Euro waren die Investitionen in erneuerbare Energien in Deutschland im vergangenen Jahr so hoch wie nie zuvor. Neben Solaranlagen hatten Wärmepumpen daran einen großen Anteil. Und auch im Verkehr wächst der Anteil der Erneuerbaren. Mehr

    Dessert

    Viel cooler hier: Der bayerische Staatsminister für Wissenschaft und Kunst Markus Blume sprach bei der Verleihung der Leibniz-Preise ein Grußwort.

    Den Bayern wird nachgesagt, mit der Berliner Lebensart zu fremdeln. Bei der Verleihung der diesjährigen Leibniz-Preise der Deutschen Forschungsgemeinschaft am Mittwoch war davon keine Spur zu bemerken. Zumindest der Gast aus Bayern fühlte sich in den Räumen der in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften sichtlich wohl: Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU). Sogar im Vergleich mit der Nobelpreisverleihung in Stockholm, zu der im Dezember den bayrisch-ungarischen Physiker Ferenc Krausz begleiten durfte, fand er nichts zu meckern.

    Im Gegenteil: “Die Kleidung, die Kinder, es ist viel cooler hier”, sagte Blume, der nach Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger in seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz ein Grußwort sprach.

    Leibniz-Kinder: Die Talente von morgen

    Vor allem die etwa zehn Kinder im Saal (die zehn Preisträger waren inklusive Familien eingeladen, während der Grußworte waren immer mal wieder Kinderstimmen zu vernehmen), begeisterten Blume sichtlich. “Da geht einem als Wissenschaftsminister das Herz auf, wenn die Talente von morgen schon in wissenschaftlicher Umgebung sozialisiert werden.” Anne Brüning und Markus Weisskopf

    Research.Table Redaktion

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