Table.Briefing: Research

Kai Gehring: Was er in der Legisaltur noch vor hat + Stoff-Report: Wie China seine Partner täuscht + Tierversuche: Forschungsfreundliche Verordnung

Liebe Leserin, lieber Leser,

heute sende ich an dieser Stelle “best regards” aus den USA. Für die nächsten Monate darf ich für den Research.Table aus Washington D.C. berichten und die forschungspolitischen Entwicklungen in den Staaten begleiten. Immer wieder haben sich Leserinnen und Leser in Gesprächen mit uns den Blick über den nationalen Tellerrand gewünscht, vor allem Richtung USA. Das Land ist für die Forschungscommunity derzeit nicht nur aufgrund der bevorstehenden Wahl spannend.

Davon weiß auch die Delegation der German U15 zu berichten, die in meiner ersten Woche hier in D.C. war. Ich konnte Geschäftsführer Jan Wöpking während seines Aufenthalts treffen. Er war angetan und aufgewühlt von den Gesprächen mit US-Expertinnen von NSF bis NIH, von DARPA bis State Department und natürlich auch von amerikanischer Spitzenunis. Seine Takeaways hat er für uns in einem Standpunkt für diese Ausgabe zusammengefasst. Spoiler: Vieles dreht sich in den USA derzeit um das Thema Nationale Sicherheit.

In diesem Feld ist auch Jeffrey Stoff unterwegs, einst China-Analyst für die US-Regierung. Stoff hatte Anfang des vergangenen Jahres die deutsche Forschungslandschaft aufgerüttelt, als er zu deutsch-chinesischen Forschungskooperationen mit militärischem Hintergrund publizierte. Für seinen neuen Report hat er zahlreiche Einzelfälle von wissenschaftlichem Fehlverhalten chinesischer Forschungsinstitutionen gesammelt. Er hat mir berichtet, dass Methode dahinter steckt, wenn China seine Forschungspartner täuscht. Mehr dazu in der Analyse zu seinem neuen Papier.

Last but not least steht natürlich auch zu Hause in Deutschland einiges auf der Agenda. Kurz vor dem Wochenende haben wir berichtet, dass Sabine Döring sich nicht zu der Fördermittel-Affäre im BMBF äußern darf. Das zuständige Gericht hatte ihren Eilantrag zur Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht abgelehnt. Meine Kollegin Nicola Kuhrt fasst für sie alles Wichtige zusammen und hat darüber hinaus mit Kai Gehring gesprochen. Der Vorsitzende des Forschungsausschusses äußert sich zu seiner Rolle bei der Aufarbeitung der Affäre und zu den Plänen, die er in dieser Legislatur noch hat, bevor er 2025 den Bundestag verlässt.

Beste Grüße vom anderen Ende des großen Teichs: Enjoy reading, learn heaps!

Ihr
Tim Gabel
Bild von Tim  Gabel

Analyse

Forschungskooperationen: Wie China systematisch internationale Partner täuscht 

Der US-Sicherheitsexperte Jeffrey Stoff berichtet in seinem neuen Report über fragwürdige Praktiken chinesischer Forschungsinstitutionen.

Für seinen neuen Bericht “Transparency and Integrity Risks in China’s Research Ecosystem” hat der China-Analyst und Linguist Jeffrey Stoff Beispiele und Belege von wissenschaftlichem Fehlverhalten gesammelt. Sie sollen zeigen, dass und vor allem wie China – mutmaßlich als Teil seiner geopolitischen Strategie, zur weltweit führenden Wissenschaftsnation zu werden – systematisch und vorsätzlich gegen das Wertesystem bei internationalen Wissenschaftskooperationen verstößt.

“Das Einhalten von Werten wie Vertrauen, Ehrlichkeit, Transparenz, Integrität und Reziprozität werden in Bezug auf Forschungskooperationen und gemeinsame Publikationen mit China bisher nicht mit der notwendigen Sorgfalt geprüft”, sagt Jeffrey Stoff im Gespräch mit Table.Briefings. Demokratische Staaten hätten bislang zudem keinen Versuch unternommen, die Praktiken Chinas systematisch zu erheben, um sie der Wissenschaftscommunity zur besseren Sicherheitsvorsorge zur Verfügung zu stellen. 

Fragwürdige Praktiken chinesischer Forschungsinstitutionen 

Das von Stoff gegründete Center for Research Security and Integrity liefert nun – nach eigenen Angaben – einen ersten vorläufigen Katalog mit problematischen Praktiken Chinas in Bezug auf Transparenz und gute wissenschaftliche Praxis bei internationalen Kooperationen. Kern der Publikation sind Fallstudien mit konkreten Beispielen, von denen einige schon Jahre her sind und die meisten für Kenner nicht überraschend sein dürften.

Sie sollen aber in ihrer Gesamtschau ein Bild davon zeichnen, welche Methoden in der Volksrepublik angewendet werden, um etwa Verbindungen von Institutionen mit der Militärforschung für internationale Partner schwer oder gar nicht zugänglich zu machen. 

Stoff und seine Mitarbeitenden skizzieren Fälle wie die des China Aerodynamics Research and Development Centers (CARDC). Die Institution ist nach Angaben der Experten einer der Schlüsselstandorte bei der Forschung und Entwicklung von Hyperschallwaffen und Testareal der Volksbefreiungsarmee. Informationen darüber sind aber weder in jüngeren Archivversionen der Internetseite noch in internationalen Kooperationen zu finden. Von US-Standorten sei die Seite inzwischen überhaupt nicht mehr einsehbar, heißt es in dem Papier. 

Webseiten-Blockade, fehlende oder falsche Angaben, neue Namen 

Mit der Strategie scheint die Institution erfolgreich zu sein, denn nach Angaben von Stoff und seinem Team haben allein die USA (70), Großbritannien (51) und Deutschland (17) mit der dem CARDC insgesamt 138 gemeinsame Paper in den vergangenen sechs Jahren veröffentlicht. Genauere Angaben über die Art und Weise der wissenschaftlichen Zusammenarbeit liefert Stoff in seiner Publikation allerdings nicht. 

Andere Universitäten wie die Nanjing University of Science and Technology haben Inhalte, die auf militärische Verbindungen hinweisen, im Vergleich zu älteren Webseiten-Versionen gelöscht. Oder sie zeigen – wie das Chinese Academy of Sciences Dalian Institute of Chemical Physics – sensible Informationen nur auf der chinesischen Webseite an, nicht aber auf der englischsprachigen. Wieder andere Institutionen verwenden bei internationalen Kooperationen irreführende oder falsch übersetzte Namen oder benennen ihre Finanzierungsquellen um. 

Appell: Mandarin-Kenntnisse und Fachwissen aufbauen 

Chinas zunehmend restriktive Informationspolitik, selbst in Bereichen der Grundlagenforschung, stellt die Offenheit und Transparenz infrage, die wir bei internationalen Forschungskooperationen mit Partnerländern gewöhnt sind”, sagt Jeff Stoff. Auf die Frage, wie die deutsche Regierung aus seiner Sicht darauf reagieren solle, sagt Stoff, dass Mandarin-Kenntnisse und Fachwissen für eine effektive Due-Diligence-Prüfung von entscheidender Bedeutung seien. Das erfordere den Aufbau von Kapazitäten und Wissen durch die deutsche Regierung und die Forschungs-Community.  

“Auch die internationale Zusammenarbeit im Bereich Forschungssicherheit und der Informationsaustausch mit Partnerländern sind bedeutend, um die Ressourcenbelastung auf viele Schultern zu verteilen“. Eine Studie zu deutsch-chinesischen Forschungskooperationen von Jeffrey Stoff hatte Anfang des vergangenen Jahres die deutsche Forschungslandschaft aufgerüttelt. Im Interview mit Table.Briefings erklärte er zudem, wie deutsche Forschungsinstitutionen und Unternehmen mit chinesischen Einrichtungen kooperieren, die auch einen militärischen Hintergrund haben. 

Forscher lässt Aktivitäten für Überwachungstechnologie unerwähnt 

Dass China auf die Naivität oder Unkenntnis von erwünschten Kooperationspartnern setzt, legen weitere Fallbeispiele nahe, die Stoff aufführt. Etwa jenes des chinesischen Professors Tan Tieniu, der einerseits die Geschicke der Nanjing University leitet, andererseits als weltweit anerkannter KI-Spezialist für Mustererkennung und biometrische Erfassung Eigner und Geschäftsführer mehrerer chinesischer Unternehmen für Überwachungstechnologie ist, wie in dem Papier beschrieben ist. Letzteres lässt er in seinen Online-CVs und auf Webseiten aber gänzlich unerwähnt. 

“Ich bin enttäuscht darüber, dass die internationale Forschungsgemeinschaft weiterhin die Arbeit eines Wissenschaftlers aus der Volksrepublik China anerkennt, der eine entscheidende Rolle bei der Kommerzialisierung von Massenüberwachungstechnologien gespielt hat”, kommentiert Stoff den Fall. Tan habe diese Technologien speziell für Chinas öffentliche Sicherheitsorgane entwickelt, “die damit bekanntermaßen Menschenrechtsverletzungen begehen”. 

Versuche, Publikationen mit fragwürdigen Praktiken aufzuwerten 

Stoffs Studie beschränkt sich aber nicht nur auf mutmaßliches Fehlverhalten chinesischer Institutionen und Wissenschaftler im Bereich Transparenz, sondern analysiert auch Versuche, die wissenschaftliche Publikationsleistung mit fragwürdigen Methoden aufzuwerten. So berichtet Stoff darüber, dass ausländische Wissenschaftler ohne nennenswerten Input zu Co-Autoren werden, um das Renommee von Studien aufzuwerten oder zum selben Zweck Co-Autoren von namhaften ausländischen Institutionen erfunden werden. 

Interessant auch der Fall des Klimaforschers Wang Chunzai, der am National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA), einer Behörde des US-Handelsministeriums, forschte. Zur gleichen Zeit wurde er aber von einem chinesischen Talentprogramm angeworben, obwohl er in den USA eine Vollzeitstelle innehatte. Wang veröffentlichte in dieser Zeit einige seiner viel beachteten Publikationen ausschließlich für chinesische Institutionen und wurde schließlich 2018 in den USA zu einer Haftstrafe verurteilt, weil auffiel, dass er ein zweites Gehalt aus China bezogen hatte. 

Im Gespräch mit Table.Briefings gibt Stoff an, dass die meisten der Beispiele und Ergebnisse seiner Untersuchungen ihn nicht mehr überrascht hätten, weil er diese Art von Untersuchungen seit vielen Jahren durchführt. “Allerdings bin ich überrascht, dass große Nationen weiterhin mit Einrichtungen der Volksrepublik China zusammenarbeiten, die bekanntermaßen kritische Risiken für die nationale Sicherheit darstellen.”

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Entwurf der Tierschutz-Versuchstierverordnung: Forschungsfreundliche Regelung für den Umgang mit überschüssigen Tieren vorgesehen

Ein Entwurf zur Änderung des Tierschutzgesetzes aus dem BMEL sorgte zu Beginn des Jahres für Aufregung in der Forschungs-Community. Die dort vorgesehene Verschärfung des Strafmaßes wurde vor allem vor dem Hintergrund einer hohen Rechtsunsicherheit beim Umgang mit überschüssigen Tieren kritisiert. Diese Tiere sind aus verschiedenen Gründen nicht für die eigentlichen Tierversuche verwendbar und werden nach der sogenannten Kaskadenregelung anderen Verwendungen zugeführt oder, wenn dies nicht möglich ist, getötet.  

Kaskadenregelung bisher nur inoffiziell 

Das Problem: Diese Kaskadenregelungen stellen bisher lediglich unverbindliche Absprachen mit den zuständigen Behörden dar. Forschende und Verantwortliche in den Tierversuchseinrichtungen arbeiten somit unter Rechtsunsicherheit. Anzeigen von Tierschützern, die genau auf diese Tötung der überschüssigen Tiere abzielten, blieben zwar ohne eine Verfahrensaufnahme, doch Sorgen bei den Forschenden blieben. Und sie wurden mit der aktuell vorgesehenen Änderung im Tierschutzgesetz noch größer. 

“Die für die Wissenschaft bereits jetzt bestehende Rechtsunsicherheit, die von der intransparenten Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs des ,vernünftigen Grundes’ in § 17 Abs. 1 ausgeht, wird durch die Neufassung der Regelung zusätzlich und unnötig gesteigert“, schrieb die DFG damals in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf

Erstmals wird der “vernünftige Grund” spezifiziert 

Nach Gesprächen mit den Forschungseinrichtungen und dem BMBF möchte das BMEL nun anscheinend die sogenannte Tierschutz-Versuchstierverordnung ändern. In dem Entwurf, der Table.Briefings vorliegt, wird die Kaskadenregelung für überschüssige Tiere verankert. Zudem wird ein vernünftiger Grund für deren Tötung spezifiziert. Dort heißt es:  

“Kann ein Wirbeltier oder Kopffüßer, das oder der zur Verwendung in einem Tierversuch gezüchtet wurde, aufgrund individueller Eigenschaften für den Tierversuch keine wissenschaftlich begründete Verwendung finden, entscheidet ein Tierarzt oder eine andere sachkundige Person darüber, ob das Wirbeltier oder der Kopffüßer am Leben bleiben oder, wenn ein vernünftiger Grund dafür vorliegt, getötet werden soll.”  

Eine Tötung kann dann erfolgen, wenn  

  1. “die Zucht, Haltung und Verwendung des Tieres sorgfältig geplant wurde und die Einrichtung alle ihr zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um das Entstehen und die Tötung des nicht für die Zwecke nach § 7 Absatz 2 des Tierschutzgesetzes oder andere wissenschaftliche Zwecke zu verwendenden Tieres zu vermeiden und 
  2. eine weitere Verwendung des Tieres außerhalb des Tierversuchs nicht erfolgen kann.” 

Vertreter der Forschungs-Community äußerten sich positiv zu dem Entwurf. Frank Wissing, Generalsekretär des Medizinischen Fakultätentags, sagte Table.Briefings: “Die Definition des Kaskadenmodells im Referentenentwurf wäre aus Sicht der Hochschulmedizin ein wichtiger Schritt hin zu mehr Rechtssicherheit.”   

Und auch der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) begrüßt den Ansatz des BMEL. Der Regelungsansatz gehe in die richtige Richtung und werde eine gewisse Rechtssicherheit für die Forschenden herstellen, schreibt Thorsten Ruppert, Seniormanager für Grundsatzfragen bei Forschung & Entwicklung, auf Anfrage von Table.Briefings. 

“Diverse Interpretationen” der Behörden befürchtet 

Allerdings bemängelt Ruppert, dass der Verordnungstext noch einiges im Unklaren lasse. Es gebe keine Ausführungen dazu, “was genau als kaskadenkonformes Vorgehen gefordert wird und wie es zu dokumentieren ist.” Damit stehe zu befürchten, dass die Behörden “zu sehr diversen Interpretationen” hinsichtlich Umsetzung und Kontrolle kommen werden. 

Marina Greweling-Pils vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung betont ebenfalls, dass es eine “Allgemeine Verwaltungsvorschrift, in der definiert wird, was zu tun ist”, brauche. Sie sieht durchaus eine Verbesserung durch die Beschreibung eines “vernünftigen Grundes”, der zur Tötung eines Tieres führen kann. Die bestehende Rechtsunsicherheit werde aber nicht komplett beseitigt. 

Kritik übt die Leiterin des Tierhauses Greweling-Pils weiterhin an der Vorgabe, dass “ein Tierarzt oder eine andere sachkundige Person” über die Tötung entscheiden soll. “Das sind meiner Ansicht nach Aufgaben, die in der Hand der Versuchsleitung liegen müssen. Ein Tierarzt kann diese Entscheidungen nicht treffen, er hat keinen Einblick in die Versuchsplanung und die mögliche wissenschaftliche Verwendung.” 

Bundestierschutzbeauftragte übt Kritik 

An diesem Punkt setzte auch die Kritik der Bundestierschutzbeauftragten Ariane Kari an, deren Stellungnahme Table.Briefings vorliegt. Sie erachte es als “problematisch, einem Tierarzt oder einer anderen sachkundigen Person die Entscheidung allein aufzuerlegen”, ob ein vernünftiger Grund zur Tötung eines überschüssigen Tieres vorliege. Diese Frage erfordere nach ihrer Einschätzung jedoch eine “umfassende juristische – und damit für Veterinärmediziner:Innen sowie andere sachkundige Personen fachfremde – Prüfung”. Zielführend sei daher “die Gewährleistung einer juristischen und veterinärmedizinischen Prüfung, beispielsweise durch ein Expertengremium“.  

Die Bundestierschutzbeauftragte übt weitere Kritik an konkreten Formulierungen. Dass eine Einrichtung alle “ihr zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen” ergriffen haben muss, erscheint aus Sicht der Bundestierschutzbeauftragten nicht ausreichend. Damit würden Umgehungsmöglichkeiten eröffnet, die Rechtsunsicherheiten begünstigen.  

Kari fordert detailliertere Anforderungen bei der Prüfung  

Die Bundestierschutzbeauftragte fordert, dass “eine sorgfältige, nicht vorrangig an wirtschaftlichen Erwägungen ausgerichtete Prüfung ergeben hat, dass die Unterbringung und Versorgung des Tieres in den vorhandenen Haltungseinrichtungen und eine entsprechende Erweiterung dieser Haltungseinrichtungen nicht möglich und zumutbar sind”. Weiterhin sollten alle zumutbaren Versuche, das Tier an neue, geeignete Halter zu vermitteln, gescheitert sein. Dabei müssten Vermittlungsversuche insbesondere in Zusammenarbeit mit Tierschutzvereinen erfolgen und sich auf den gesamten deutschsprachigen Raum erstrecken.  

Kari kritisiert auch generell die konkrete Ausgestaltung einer Kaskadenregelung. Damit drohe “die hohe Bedeutung der einzelfallbezogenen Abwägung” in den Hintergrund zu rücken. Es sei zu befürchten, dass “die Aufnahme der sogenannten Kaskadenregelung dazu führt, dass die im Entwurf vorgesehene Prüfung lediglich übergeordnet und nicht auf das individuelle Einzeltier bzw. Tiergruppe zugeschnitten erfolgen wird”. Diese Praxis wäre mit der Staatszielbestimmung Tierschutz und der daraus resultierenden unabdingbaren Einzelfallabwägung für das Vorliegen eines vernünftigen Grundes zur Tötung nicht vereinbar.  

Aus Karis Perspektive würde die Normierung der sogenannten Kaskadenregelung nicht zu der erhofften Rechtssicherheit für Forschende beitragen. Im Gegenteil würde diese “sogar eine Prüfungsmöglichkeit suggerieren, die mit dem Tierschutzgesetz eventuell nicht vereinbar ist”. Noch bis zum 20. September können Stellungnahmen zu dem Entwurf eingereicht werden. 

  • BMBF
  • Cem Özdemir
  • Forschungspolitik
  • Tierschutzgesetz
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Interview

Forschungspolitik: Was Kai Gehring für Herbst und den Rest der Legislatur erwartet

Kai Gehring fordert Nachbesserungen für den Haushalt 2025: “Bei Bildung, Forschung und Innovation würde sich der Rotstift rächen.”

Propalästinensische Proteste an Hochschulen, die Fördermittel-Affäre; eine Forschungsministerin in der Kritik: Forschungspolitisch könnte es ein heißer Herbst werden, dessen ist sich Kai Gehring bewusst. Dennoch denkt er, dass einiges zu erreichen sein wird. Zudem habe man bereits eine ganze Menge in dieser Wahlperiode aufgegleist, erklärt er im Interview mit Table-Briefings. Über dreiviertel der bildungs- und forschungspolitischen Vorhaben des Koalitionsvertrags seien erfüllt und man habe ja noch ein Jahr Zeit.

“Wir haben die Exzellenzstrategie in dieser Wahlperiode weiterentwickelt. Wir haben alle Bund-Länder-Wissenschaftspakte abgesichert – die Dynamisierung des Zukunftsvertrags Studium und Lehre war ein weiterer großer Erfolg. Nicht mehr nur die außeruniversitäre Forschung, sondern auch die universitäre wird jetzt jedes Jahr planungssicher um drei Prozent erhöht”, listet Gehring beispielsweise auf. 500 Millionen seien für das Programm Forschung an HAW eingeplant, beschlossen wurde die missionsorientierte Zukunftsstrategie Innovation und Forschung, Sprind sei entfesselt, und die Dati-Pilotlinien erfolgreich am Start. “Für mich ein Bild, dass wir Wissenschaftspolitik auf die Höhe der Zeit bringen, das Notwendige anpacken und gleichzeitig auch Perspektivdebatten anstoßen – etwa bei der Exzellenzstrategie.”

Zeitnah die Reform des WissZeitVG umsetzen

Dass über die Zukunft der Exzellenzstrategie gerade von allen Beteiligten stark diskutiert wird, kann der Forschungspolitiker nur begrüßen. Die Frage, wie es mit der Exzellenz im Land weitergeht, sei im Kern eine wesentliche wissenschaftspolitische Debatte. “Zugleich müssen wir jetzt sehr zeitnah die Reform des WissZeitVG umsetzen. Um mehr verlässliche Karriereperspektiven zu schaffen, erwarte ich, dass es zwischen Bund und Ländern zu einem Ausbau des Tenure-Track-Programms kommt, wie im Koalitionsvertrag vereinbart.” Ebenfalls wichtig: “Dass wir beim Thema Wissenschaftskommunikation und -journalismus mehr hinkriegen, ist mir ein Anliegen. Ich favorisiere hier eine Stiftung.”

Weitere Erwartungen Gehrings: Grundlegende Entscheidungen zur Verbesserung des Wissenschaftssystems und beim Forschungsdatengesetz. “Die Eckpunkte sind aus dem Januar und wir haben jetzt September. Es braucht jetzt einen Gesetzentwurf“, kritisiert er. Auch bei der Roadmap zu den großen Forschungsinfrastrukturen steht die Priorisierung nach wie vor aus.

Haushaltsgespräche 2025: Gehring sieht, dass die Regierung nachbessern muss

Die erforderlichen Mittel für die genannten Projekte sieht er noch nicht gänzlich im kommenden Haushalt abgebildet“Wir brauchen mehr Geld für Wissenschaft und deshalb müssen wir mit dem, was beschlossen ist, einerseits trommeln und in die Diskussion gehen.” Andererseits brauche es das Grundverständnis, dass Forschungsfinanzierung elementar ist für Ideen und Innovationen und damit für künftigen Wohlstand und wirtschaftliche Entwicklung. Das fehle ihm in vielen öffentlichen Diskursen.

“Mein Anspruch für die Beratungen ist, dass wir als Parlament den BMBF-Etat erneut nachbessern, zum Beispiel bei der Wissenschaftskommunikation und Außenwissenschaftspolitik. Die Regierung hat erlebt, wie selbstbewusst und wirkungsmächtig das Parlament ist.” Solange die Schuldenbremse gelte, wie sie ist, müsse man mit ihr arbeiten – “obwohl ich eine Änderung für Zukunftsinvestitionen als unerlässlich sehe. Bei Bildung, Forschung und Innovation würde sich der Rotstift rächen. Darum erwarte ich bei Bildung und Forschung noch mehr”.

Fördermittel-Sondersitzung, die Zweite: Keine Gerichtsverhandlung

Für manche vielleicht überraschend positiv ist Gehring in Sachen Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (Dati). “Unkenrufe gibt es viele. Ich bin da optimistischer und gelassener, aber sehe natürlich auch, dass das BMBF den notwendigen Drive in den Prozess einbringen muss.” Die ein oder andere Pirouette im Prozess hätte man sich auch ersparen können.

Natürlich warten derzeit viele in der Wissenschafts-Community gespannt auf die zweite Sondersitzung zur Fördermittel-Affäre des BMBF. Kai Gehring wird sie Dienstagmorgen eröffnen – und verteidigt sich gegen die Kritik, die entlassene Staatssekretärin Sabine Döring nicht eingeladen zu haben. Weder das Beamtenrecht noch die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sind offenbar zu allen Kritikern durchgedrungen”, sagt Gehring. “Es geht nicht um Zeugen, es ist keine Gerichtsverhandlung, sondern es ist eine Sondersitzung eines Fachausschusses”, sagt Gehring. Die Sondersitzung findet am Dienstag ab 8 Uhr statt und wird live übertragen.

Was Kai Gehring über die Sondersitzung denkt und wie er die Zusammenarbeitenarbeit mit Bettina Stark-Watzinger einschätzt – etwa mit Blick auf den Digitalpakt – lesen Sie in der Langfassung des Interviews.

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Termine

12. September 2024, 18:00 Uhr, Table.Briefings, Wöhlertstr. 12-13, 10115 Berlin
Salon des Berlin Institute for Scholarly Publishing BISP Salon I: The Changing Geography of Global Research Mehr

12./13. September 2024, FU Berlin
Jah­res­ta­gung des Netz­werks Wis­sen­schafts­ma­nage­ment Für Frei­heit in Kri­sen­zei­ten. Per­spek­ti­ven aus dem Wissenschaftsmanagement Mehr

12. – 15. September 2024, Potsdam
133. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte Wissenschaft für unser Leben von morgen Mehr

18. September 2024, Alte Münze, Berlin
InnoNation Festival Scaling Solutions Mehr

19. September 2024, ab 11 Uhr, Körber-Stiftung, Hamburg
Hamburg Science Summit 2024 “Europe’s Path Towards Tech Sovereignty” Mehr

19.-21. September 2024, Bauhaus-Universität Weimar
66. Jahrestagung der Kanzlerinnen und Kanzler der deutschen Universitäten Hochschulbau trotz/t Krisen Mehr

24. September 2024, 10:30 bis 16:15 Uhr, Haus der Commerzbank, Pariser Platz 1, 10117 Berlin
Forum Hochschulräte Starke Marken, klarer Kern: Strategische Schwerpunktsetzung und Markenbildung bei Hochschulen Mehr

25. September 2024, 8:00 bis 9:15 Uhr im BASECAMP, Mittelstraße 51-53, 10117 Berlin
Frühstücks-Austausch: Gipfel für Forschung und Innovation Follow-up Innovationen in Europa – Katalysatoren, Kompetenzen und Kooperationen am Beispiel von KI: Gespräch über Umsetzungsschritte für mehr Geschwindigkeit bei Innovation und Forschung Zur Anmeldung

25. September 2024, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU)
Jahreskolloquium des Bayerischen Wissenschaftsforums Transformationskompetenz in Wissenschaft und Hochschule Mehr

26. September 2024, 12:00 bis 13:00 Uhr, Webinar
CHE talk feat. DAAD KIWi Connect Transfer und Internationalisierung – Warum ist es sinnvoll, beides gemeinsam zu denken und was braucht es hierzu? Mehr

26./27. September 2024, Leopoldina, Jägerberg 1, 06108 Halle (Saale) und Online
Jahresversammlung 2024 der Leopoldina Ursprung und Beginn des Lebens Mehr

3. /4. Oktober 2024, Universität Helsinki, Finnland
2024 EUA FUNDING FORUM Sense & sustainability: future paths for university finances Mehr

8. /9. Oktober 2024 an der TU Berlin
bundesweite Tagung zu Machtmissbrauch an Hochschulen “Our UNIverse: Empowered to speak up” Mehr

7.-9. November 2024, Berlin
Konferenz Falling Walls Science Summit 2024 Mehr

News

Gericht lehnt Eilantrag von Sabine Döring ab

Das Verwaltungsgericht Minden hebt die Verschwiegenheitspflicht der früheren Staatssekretärin Sabine Dörings nicht auf. Die 12. Kammer hat entschieden, “dass der ehemaligen Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) keine Ansprüche auf Unterlassung sowie Aussagegenehmigung gegen die Bundesrepublik Deutschland zustehen”, heißt es in einer Unterrichtung des Gerichts, die Table.Briefings vorliegt. Döring habe diese Ausnahme nach Erscheinen einer Presseerklärung des BMBF zu förderrechtlichen Konsequenzen in Bezug auf einen offenen Brief zu Protestcamps an Berliner Hochschulen geltend gemacht.

Das Gericht begründet die Ablehnung in zwei Punkten:

  • Die durch Döring kritisierte Aussage einer BMBF-Pressemitteilung ist nicht zu beanstanden: Das Gericht schreibt, es gibt keinen Anspruch auf Unterlassung der in der Presseerklärung des BMBF getätigten Aussage, denn die Aussage, die Sabine Döring kritisiert, sei gar nicht enthalten. “Aus den Formulierungen werde vielmehr deutlich, dass die Antragstellerin nicht diejenige gewesen sei, die die Prüfung förderrechtlicher Konsequenzen erbeten habe, sondern sie nur diejenige gewesen sei, die für den dieser Prüfung zugrundeliegenden Prüfauftrag – mit welchem konkreten Inhalt auch immer – verantwortlich gewesen sei und sie daraufhin erklärt habe, dass sie sich bei ihrem Auftrag der rechtlichen Prüfung offenbar missverständlich ausgedrückt habe.”
    Diese Erklärung stelle eine wahre Tatsachenbehauptung dar und verletze die Antragstellerin nicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
  • Kein Anspruch auf eine Ausnahme für die Sondersitzung am 10.9.: Die frühere Staatssekretärin könne ein berechtigtes Interesse zur Erteilung einer Aussagegenehmigung nicht geltend machen. Die Kammer verkenne dabei nicht, dass die Öffentlichkeit an der Aufklärung der Vorgänge um den “offenen Brief” vom 8. Mai 2024 und die anschließende sog. “Fördergeldaffäre” ein Interesse habe. Im vorliegenden Verfahren könne die Antragstellerin aber nur eigene Rechte, zu denen ein Interesse der Öffentlichkeit an Aufklärung gerade nicht gehöre, geltend machen.

Gegen den Beschluss kann Sabine Döring Beschwerde einlegen

Per Mail hatte die in den einstweiligen Ruhestand versetzte Staatssekretärin Döring Anfang der vergangenen Woche ihre Teilnahme an der Sondersitzung am 10. September 2024 angeboten. In der Runde, angesetzt auf Wunsch der CDU/CSU-Fraktion, soll Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger erneut zur sogenannten “Fördergeld-Affäre” befragt werden.

“Ich erkläre Ihnen hiermit meine ausdrückliche Bereitschaft, teilzunehmen. Ich leiste gern meinen Beitrag zu Aufklärung und Transparenz und erachte dies zudem als meine Pflicht als Beamtin der Bundesrepublik Deutschland”, schrieb Döring. Doch die Obleute des Forschungsausschusses entschieden am vergangenen Freitag, Döring nicht einladen zu wollen. Die Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht könne nur durch die Forschungsministerin erfolgen – und das Gericht.

Da die Richter in Minden nun gegen den Antrag Dörings entschieden haben und Bettina Stark-Watzinger sich nicht umentscheiden wird, findet die Sondersitzung am Dienstag nur mit der Forschungsministerin statt. Ab 8 Uhr muss sie sich den Mitgliedern des Forschungsausschusses stellen.

Über ihren Anwalt reagiert Sabine Döring am Montag auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Minden mit einer Mitteilung. “Kaum noch jemand aus Wissenschaft und Fachpresse glaubt, dass ich einen förderrechtlichen Prüfauftrag erteilt hätte. Nun versteht selbst das Verwaltungsgericht Minden die Pressemitteilung des BMBF so, dass ich es nicht war”, erklärt die frühzeitig entlassene Staatssekretärin darin. Sie habe sich immer nur mit der Frage beschäftigt, ob der offene Brief das Gewaltmonopol des Staates infrage stellt und ob die Wissenschaftsfreiheit auch durch politische Aktivisten eingeschränkt werden kann. “Ich habe auch nie etwas anderes gesagt. Dass es durch mein Handeln zu einem sogenannten ,Missverständnis’ gekommen ist, schließe ich aus.” nik

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Startup-Verband: Wie der Transfer verbessert werden kann 

Hochschulen sollen mehr in Ausgründungen investieren, der Staat mehr Aufträge an Start-ups vergeben: Der Startup-Verband fordert von der Bundesregierung und anderen Akteuren ein Bündel von Maßnahmen, um den Gründerstandort Deutschland zu stärken. 

Mit internationaler Spitzenforschung, herausragenden Talenten, einer starken industriellen Basis und ausreichend privatem Kapital habe Deutschland alle Zutaten, um global erfolgreich zu sein, sagte Verena Pausder, Vorstandsvorsitzende des Startup-Verbandes. Allerdings müsse die Innovationskraft gestärkt werden.  

Wagniskapitalinvestitionen bis 2030 verdreifachen 

In seiner “Innovationsagenda 2030” fordert der Verband unter anderem eine Finanzierungsoffensive für deutsche Start-ups, die es im internationalen Vergleich schwer haben, große Summen von Investoren zu bekommen. So müssten sich die Wagniskapitalinvestitionen bis 2030 verdreifachen, um die jährliche Finanzierungslücke von rund 30 Milliarden Euro hierzulande zu schließen. Dazu sei mehr privates Kapital notwendig – insbesondere von Großinvestoren wie Versicherungen. 

Der Startup-Verband sieht zudem Potenzial bei der öffentlichen Auftragsvergabe. “Fünf Prozent der öffentlichen Aufträge sollten bis zum Ende des Jahrzehnts an Start-ups gehen”, forderte Pausder. Das koste den Staat nichts, fördere aber die Digitalisierung und innovative Start-ups.  

Im Fokus: schleppender Transfer von der Spitzenforschung in die Praxis 

Eine Frage der Autoren war auch: Wie holen wir mehr aus der Spitzen-Forschung an unseren Hochschulen heraus und bringen sie in die Praxis?

Konkrete Vorschläge für eine Verbesserung des Transfers sind: 

  • INVEST, HTGF und SPRIND weiterentwickeln: Es gibt bereits viele bewährte Instrumente, um die Frühphase von Start-ups zu finanzieren. Diese müssen punktuell weiterentwickelt werden. Dazu gehöre beispielsweise die weitere Flexibilisierung der Sprind. 
  • Steuerliche Forschungszulage: Durch bessere Kommunikation soll die Nutzung erleichtert werden.  

Ein Prozent des Hochschulbudgets für Ausgründungen 

  • Stärkere Priorisierung von Ausgründungen aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen: Hier bedarf es besserer Anreizsysteme, beispielsweise um mehr unternehmerisches Denken an den Lehrstühlen zu fördern. Zudem sollte der IP-Transfer so weit wie möglich standardisiert und beschleunigt werden. Der Verband plädiert für eine Selbstverpflichtung der Hochschulen, mindestens 1 Prozent ihres Gesamtbudgets – inklusive Drittmittel – für Ausgründungen aufzuwenden. Wichtig sei zudem, den bereits begonnenen LeuchtturmwettbewerbStart-up Factories” entschlossen voranzutreiben. 
  • Zeitnah Reallabore ermöglichen: Erforderliche Experimentierklauseln sollten dafür gesetzlich verankert werden. 

Laguna, Schoenenberger und Gross-Selbeck im Autorenkreis vertreten 

Zu den Initiatoren der Agenda gehören neben der Vorstandsvorsitzenden des Startup-Verbands, Verena Pausder, etwa der Geschäftsführer der Sprind, Rafael Laguna de la Vera, Helmut Schoenenberger (UnternehmerTUM) oder Stefan Gross-Selbeck (Woltair, Vorsitzender der Gründungskommission der Dati). Im Table.Today-Podcast am Montagfrüh stellte Investorin und Startup-Verbandschefin Pausder die Agenda vor. mw 

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Draghi-Bericht: Warum die EU bis zu 800 Milliarden Euro pro Jahr mehr für Innovationen ausgeben muss

Die EU stehe vor einer “existenziellen Herausforderung”, schreibt der ehemalige italienische Ministerpräsident und EZB-Chef Mario Draghi. Er übergab am Montag einen von der Europäischen Kommission vor rund einem Jahr in Auftrag gegebenen Bericht zur Zukunft der EU-Wettbewerbsfähigkeit. Wenn die hiesige Wirtschaft nicht produktiver werde, werde man gezwungen sein, die eigenen Ansprüche etwa in Bezug auf Klimaschutz, die Entwicklung innovativer Technologien oder das eigene Sozialmodell zurückzuschrauben.

Europa stecke in einer statischen Industriestruktur fest, meint der Wirtschaftswissenschaftler. Es tauchten nur wenige neue Unternehmen auf, die die bestehenden Industrien veränderten oder neue Wachstumsmotoren entwickelten. In der EU befürchten viele, dass hiesige Unternehmen den Anschluss verlieren könnten. So hatte dieses Jahr bereits ein anderer Bericht, den die EU-Staats- und Regierungschefs in Auftrag gegeben hatten, festgehalten: Während die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung in den USA zwischen 1993 und 2022 um fast 60 Prozent gestiegen sei, habe der Anstieg der Wirtschaftsleistung in Europa weniger als 30 Prozent betragen. 

Milliardenschwere Investitionen im Technologiesektor nötig

Draghi führt dies nun vor allem auf den Technologiesektor zurück. “Europa hat die durch das Internet ausgelöste digitale Revolution und die damit verbundenen Produktivitätsgewinne weitgehend verpasst“, heißt es in seinem Bericht. Die EU sei schwach bei neuen Technologien, die das künftige Wachstum antreiben. Nur vier der 50 größten Technologieunternehmen der Welt seien europäische Unternehmen. Um den Anschluss nicht zu verlieren, seien Investitionen erforderlich, mahnt Draghi.

Als Größenordnung nennt er unter Berufung auf Zahlen der EU-Kommission einen zusätzlichen Investitionsbedarf von mindestens 750 Milliarden bis 800 Milliarden Euro jährlich. Dabei könnten unter Umständen klimafreundliche Technologien das Wachstum in der EU ankurbeln. Als weitere Herausforderung nennt der Italiener die alternde Bevölkerung: “Bis 2040 werden jährlich zwei Millionen Arbeitnehmer vom Arbeitsmarkt verschwinden.” Zudem verlangsame sich der Welthandel, und Europa habe mit Russland einen günstigen Energielieferanten verloren.

Wettbewerbsfähigkeit oben auf Tagesordnung 

Draghi spricht sich dafür aus, dass die EU-Staaten Geld in die Hand nehmen sollten, um grenzüberschreitende Projekte zu finanzieren. “Es besteht ein breiter Konsens darüber, dass dieses Thema ganz oben auf unserer Tagesordnung stehen und im Mittelpunkt unseres Handelns stehen muss”, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Vorstellung des Berichts in Brüssel. Bundesfinanzminister Christian Lindner warnte aber vor einer gemeinsamen Schuldenaufnahme. Wirtschaftsminister Robert Habeck sagte Draghi hingegen seine Unterstützung zu.

Dass die europäische Wirtschaft unter Druck steht, zeigt sich derzeit besonders klar in Deutschlands größtem Industriezweig, der Autobranche. Volkswagen – Europas größter Autobauer – hatte angekündigt, angesichts der sich zuspitzenden Lage den eingeschlagenen Sparkurs bei der Kernmarke VW noch einmal zu verschärfen. Werksschließungen und Kündigungen stehen im Raum. “Die Ankündigungen von Werksschließungen besorgen mich sehr”, sagte der scheidende Industriekommissar Thierry Breton dem “Handelsblatt”. Es müsse darum gehen, “unser Know-how, unsere Innovationskraft und unsere Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren“, forderte der französische Kommissar. tg (mit dpa)

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Nachhaltigkeit: Welche Hochschulen in der Pilotphase der neuen HRK-Initiative beraten werden

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) startet die Pilotphase für das Audit “Nachhaltigkeit an Hochschulen”. Das neue Beratungsangebot soll Hochschulen systematisch bei der Weiterentwicklung ihrer Nachhaltigkeitsstrategien, -ziele und -aktivitäten unterstützen. Laut Mitteilung der HRK sollen “passgenaue, unabhängige und freiwillige” Beratungsleistungen für Hochschulen angeboten werden.

Für die Pilotphase wurden die Technische Universität Chemnitz, die Fachhochschule Dortmund, die Universität Hamburg sowie die Philipps-Universität Marburg ausgewählt. Diese Hochschulen werden ab Herbst 2024 ein Jahr bei der Weiterentwicklung ihrer Nachhaltigkeitsstrategie und -aktivitäten begleitet. Zuvor hatten sich über 60 HRK-Mitgliedshochschulen für die Teilnahme am Audit beworben.

Großes Interesse an der Teilnahme in der Pilotphase

Die in der Pilotphase gewonnenen Erkenntnisse werden in die Weiterentwicklung des Audits einfließen, heißt es in der HRK-Mitteilung. Ab 2026 soll das Beratungsangebot schrittweise für alle HRK-Mitgliedshochschulen geöffnet werden. “Die Hochschulen sind Zukunftswerkstätten der Gesellschaft”, erklärte Dorit Schumann, HRK-Vizepräsidentin für Transfer und Nachhaltigkeit, dazu am Montag in Berlin, “insofern entwickeln und erproben sie in all ihren Handlungsbereichen innovative Lösungsansätze für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen.”

Dies gelte auch für die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen in Studium und Lehre, Forschung, Transfer sowie Betrieb und Infrastruktur. Bei diesem Prozess werde das Audit die Hochschulen systematisch unterstützen. Das große Interesse für die Teilnahme an der Pilotphase belege eindrucksvoll das Engagement der Hochschulen für eine “Kultur der Nachhaltigkeit”. Das BMBF unterstützt die Hochschulrektorenkonferenz mit der Initiative “Nachhaltigkeit in der Wissenschaft” dabei, ein Audit zu entwickeln. tg

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Must-Reads

RND: Forscher zu russisch-chinesischen Beziehungen aus China ausgewiesen. Neun Jahre hat Björn Alexander Düben an der Universität in der Provinzhauptstadt Changchun im Nordosten Chinas geforscht, dann wurde er ausgewiesen. Dass dies passieren könnte, damit habe er gerechnet, sagt er im Interview; denn er habe öfters kritische Artikel veröffentlicht oder Kommentare gegenüber der Presse gegeben. Weil sein Thema politisch sensibel ist, konnte er keine klassische Feldforschung oder Experteninterviews führen. Selbst informelle Interviews waren in den letzten Jahren kaum noch möglich. (“Professor aus China ausgewiesen: Wissenschaft am Rande der Diplomatie”)

Tagesspiegel: Bettina Stark-Watzinger im Kreuzfeuer. Am Dienstag steht “Gespräch mit Frau Bundesministerin Stark-Watzinger, MdB, zu hausinternen Prüfaufträgen zu Fördermittelstreichungen infolge eines Offenen Briefs” auf der Tagesordnung des Ausschusses; als einziger Tagesordnungspunkt. Nach Wissenschaft und Opposition sind mittlerweile auch die eigenen Koalitionspartner zunehmend kritisch. Verärgert sind die Ausschussmitglieder, weil statt ihnen interne Dokumente zugänglich machen, das BMBF lediglich Unterlagen schickte, die bereits öffentlich sind. (“Rückhalt in der Koalition für Stark-Watzinger schwindet”)

Handelsblatt: Startup-Chef beklagt fehlende Visionen. Chef des Startup Isar Aerospace Daniel Metzler könnten bald die erste private Rakete Deutschlands ins All bringen. Vor wenigen Wochen gab es zwar einen Rückschlag bei Rocket Factory Augsburg, als die erste Stufe der Rakete bei einem Motorentest explodierte; doch Metzler erklärt, für Startups wie RFA oder sein Isar Aerospace sei es normal, ins Risiko zu gehen, um zu lernen. Dies verkürze die Entwicklungszeit deutlich. Metzler beklagt, dass die Bereitschaft in Deutschland kaum verbreitet sei, sich große Ziele zu setzen und die Bereitschaft zu scheitern. (“”Entweder man jammert oder man macht””)

Der Freitag: Wissenschaft und Moral. In seinem Buch “Wissenschaftsfreiheit und Moral” verteidigt der Mainzer Philosoph Tim Henning Wissenschaft gegen allzu simple moralistische Verurteilungen. Trotzdem meint Henning, es gäbe “Kriterien der Wissenschaft, die in den Bereich der Moral hineinreichen”. Wenn die Akzeptanz einer falschen wissenschaftlichen These zu hohen Kosten für betroffene Personen führt, dann ist es sowohl aus wissenschaftlichen als auch aus moralischen Gründen abzulehnen, dass diese These überhaupt vertreten und verfolgt wird. (“Über “Irrtumskosten””)

Standpunkt

U 15 zu den US-Wahlen: “Es ist verblüffend, wie konsequent Forschung aus einer Perspektive nationaler Sicherheit gedacht wird”

Von Jan Wöpking

Es war eine Reise der Widersprüche. Hoffnung und Enthusiasmus einerseits, gerade angesichts der Nominierung von Kamala Harris – Polarisierung, Sorge um das Land und ein starker Sicherheitsfokus andererseits. Die Wahlen prägen auch den wissenschaftspolitischen Diskurs in den Vereinigten Staaten und alle Gesprächspartner betonen: Noch sei nichts entschieden, die Wahl offen, es bleibe ein Kopf-an-Kopf-Rennen bis zum Schluss.

Wir haben in Washington nach den großen wissenschaftspolitischen Trends geschaut, denn bekanntlich kommt das, was in den USA passiert, ja gern etwas später auch nach Deutschland. Wir waren im politischen Herz der USA, um mit führenden wissenschaftspolitischen Akteuren zu sprechen: von NSF bis NIH, von DARPA bis State Department. Und natürlich mit den amerikanischen Spitzenunis. Hier sind unsere fünf Take-aways:

US-Spitzenunis warnen vor Politisierung der Forschungsförderung

  • Wissenschaft: Unter Politisierungsdruck

“Universities are the Enemy” heißt der Titel eines Vortrages aus dem Jahr 2021 von JD Vance – also dem Mann, den Donald Trump zu seinem Running Mate für das Amt des Vizepräsidenten gemacht hat. Immer wieder sprechen wir über die zunehmende Politisierung von Wissenschaft, die besonders stark aus dem Trump-Lager vorangetrieben wird. Klimaforschung, Diversität und selbst Impfstoffforschung werden populistisch angegriffen. Amerikanische Spitzenunis warnen bereits öffentlich vor einer Politisierung der Forschungsförderung. Und alle treibt die Frage um: Werden die propalästinensischen Protestcamps im Herbst, mitten in der heißen Phase des Wahlkampfs, wieder aufgebaut werden? Und wenn ja: Wie verhalten sich insbesondere die Demokraten dazu?

  • Forschung: Der Sicherheitsimperativ

Aus deutscher Sicht ist verblüffend, wie konsequent Forschung in den USA aus einer Perspektive nationaler Sicherheit gedacht wird – übrigens überparteilich. Dabei geht es gleichermaßen um Sicherheit von Forschung (verhindern, dass Erkenntnisse in die falschen Hände geraten) wie um Sicherheit durch Forschung (die USA schützen). Ebenso verblüffend ist allerdings, wie weit der zugrundeliegende Sicherheitsbegriff ist. Es geht in sehr grundsätzlicher Weise darum, die eigenen Werte und Lebensweisen souverän erhalten und schützen zu können. Deshalb umfasst Sicherheit eben nicht nur Militär und Verteidigung, sondern auch technologische und ökonomische Wettbewerbsfähigkeit, selbst medizinische Forschung und Schulernährung fallen darunter. Mehrfach wurden die dual-use benefits betont, die sich daraus für die Zivilgesellschaft ergeben.

China-Kooperationen: Sorge vor erhöhtem Begründungsaufwand

  • China: Kein Decoupling, aber mehr Sicherheitskultur

Ein dominierendes Thema war der Umgang mit dem Systemrivalen China. Die politische Sorge vor einem nicht autorisierten Wissensabfluss gerade bei Zukunftstechnologien wie KI und Quanten ist groß – und wird von beiden Parteien geteilt. Sie wird bleiben, egal, wer die Wahl gewinnt. Beruhigend war: Niemand redet von Decoupling, stattdessen steht die Schaffung einer Culture of Research Security im Fokus, etwa durch verstärkte Sicherheitsschulungen.

Aus der Wissenschaft war vor allem die Sorge vor einer Überregulierung zu hören, die den Begründungsaufwand für internationale Forschungsvorhaben so erhöht, dass Forschende sich frustriert abwenden und erst gar nichts mehr beantragen. Eine viel diskutierte Entwicklung in diesem Kontext ist die Gründung des Secure-Centers, einem von der National Science Foundation (NSF) mit viel Geld gefördertem Zentrum, das als one-stop-shop die akademische Community in Forschungssicherheitsfragen unterstützen soll. Da das Zentrum erst im Aufbau ist, ist es noch zu früh für praktische Einschätzungen. Klar sei, so die amerikanischen Kollegen, dass es nicht zu einem Bürokratiemonster werden dürfe, das die Agilität der Forschung einschränke. Als positiv wurde hervorgehoben, dass die Entscheidung, mit wem man wie kooperiere, in der Wissenschaft verbleibe und nicht durch die Politik erfolge.

Talente: “missing millions” werden auch im eigenen Land gesucht     

  • Talente: Mehr heimischer Nachschub

Die USA sind der größte Talentmagnet der Welt. Kein Land ist besser darin, ambitionierte Menschen von überall aus der Welt anzuziehen. Die ausreichende Versorgung mit Talenten insbesondere im MINT-Bereich wird in den USA – wenig überraschend – als sicherheitsrelevante Frage gesehen. Interessanterweise werden daraus zwei unterschiedliche Schlüsse gezogen. Einerseits wollen die USA durch attraktive Einwanderungspolitik weiter Toptalente aus aller Welt gewinnen. Zugleich setzen sie verstärkt auf heimische Talententwicklung, um unabhängiger von geopolitischen Konflikten und der talent supply chain anderer Länder, insbesondere China, zu werden. Mit gezielten Initiativen sollen die sogenannten “missing millions” in den USA für das Wissenschaftssystem gewonnen werden. Im Bereich MINT sind das vorwiegend Frauen und andere bisher unterrepräsentierte Gruppen.

  • Deutschland: Enger Verbündeter, der mehr Eigenverantwortung übernehmen muss

Was folgt daraus für Deutschland? In allen Gesprächen wurde betont, wie wichtig Europa und besonders Deutschland als Kooperationspartner für die USA sind. Oft wurde mehr Zusammenarbeit gewünscht. Wir haben auch über Kooperationshürden, etwa beim Teilen von Forschungsdaten (hallo DSGVO!) gesprochen. Die Wissenschaft setzt also klar auf Kooperation, besonders mit like-minded countries. Die vielleicht wichtigste Botschaft ist dann auch keine genuin wissenschaftliche. Man muss davon ausgehen, dass die politische Aufmerksamkeit der USA sich weiter vom Atlantik Richtung Indopazifik verlagert. Für Europa und insbesondere Deutschland heißt das, mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit zu übernehmen, Stichwort: Zwei-Prozent-Ziel der NATO. Diese Entwicklung würde auch unter einer Präsidentin Harris stattfinden, wenn auch weniger rasant und explosiv als unter einem Präsidenten Trump. Die Folgen für Deutschland und Europa werden erheblich sein, angefangen von der Frage, woher die Milliarden für den Verteidigungshaushalt kommen sollen – und sie werden auch die Wissenschaft betreffen. Wir sollten uns darauf vorbereiten.

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Heads

Maria Leptin – Hüterin der europäischen Forschungsförderung

Maria Leptin ist seit 2021 Präsidentin des European Research Council (ERC) zur Förderung der europäischen Grundlagenforschung.

Maria Leptin ist eine Kämpferin, sagen langjährige Weggefährten. Kampfgeist wird die Präsidentin des European Research Council (ERC) brauchen, wenn in diesen Wochen die Felle in Brüssel verteilt werden. Mitte September will Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihr neues Kollegium vorstellen, darunter ihren Besetzungsvorschlag für das Wissenschaftskommissariat, dem der ERC zugeordnet ist.

Oder verliert das Kommissariat, wie manche Insider befürchten, seine Eigenständigkeit und wird mit der Wirtschaft in einem Superministerium vereinigt? Sicher ist derzeit nur: Brüssel steuert auf einen heißen Herbst zu, mit viel Gerangel um Posten, Einfluss und ein möglichst großes Stück vom EU-Budget.

Sie wirbt beständig für eine bessere Förderung des ERC

Dass die wie auch immer geartete EU-Wissenschaftsbehörde gut abschneidet, ist wichtig für Maria Leptin. Denn der ERC bezieht seine Mittel aus diesem Geschäftsbereich und dass ihr die bis 2027 vorgesehenen zwei Milliarden Euro jährlich zur Förderung europäischer Grundlagenforschung nicht genug sind, hatte Leptin bereits 2021 gesagt. Das war zu Beginn ihrer ersten Amtszeit, die im kommenden Jahr endet, und an die sich eine weitere vierjährige Amtsperiode anschließen kann. 

Seit 2021 wirbt die Wissenschaftsmanagerin in ihrer zupackend-fröhlichen Art für zwei große Ziele: mehr Verständnis für die Grundlagenforschung und eine bessere Förderung des ERC. Vor ihrer Zeit als ERC-Präsidentin war die renommierte Entwicklungsbiologin und studierte Mathematikerin zehn Jahre lang Direktorin der European Molecular Biology Organization (EMBO) in Heidelberg.

Prägende Jahre bei Fritz Melchers und Christiane Nüsslein-Volhard

Ihren hervorragenden Ruf als Wissenschaftlerin hat sie sich mit ihren Studien zur Taufliege Drosophila erworben. Seit 1994 ist sie Professorin am Institut für Genetik der Universität zu Köln. Prägend waren die Jahre als Doktorandin bei Fritz Melchers am Basel Institute for Immunology und als Forschungsgruppenleiterin bei Christiane Nüsslein-Volhard am Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie.

Ihrer Mentorin ist Leptin weiterhin verbunden, etwa im Rahmen der Christiane Nüsslein-Volhard-Stiftung zur Förderung begabter junger Wissenschaftlerinnen, die Mitte September in Berlin und im Beisein von Altkanzlerin Angela Merkel ihr 20-jähriges Bestehen feiert. Maria Leptin kennt die internationale Wissenschaftsszene, nicht zuletzt durch ihre Forschungsaufenthalte an der École Normale Supérieure in Paris und als Gastforscherin am britischen Wellcome Trust Sanger Institute. Sie ist Mitglied hochrangiger Wissenschaftsakademien, darunter die britische Royal Academy, die amerikanische National Academy of Sciences und die Leopoldina. Die heute 70-Jährige stammt aus Hamburg.

Dual Use und Umgang mit KI als neue Herausforderungen

Jetzt warten große Aufgaben auf sie. Zum einen gilt es, die wissenschaftliche Exzellenz des ERC mit seinen Starting Grants, Advanced Grants und anderen Förderprogrammen für herausragende Grundlagenforschung in Europa hochzuhalten. Das ERC ist das Herzstück des Forschungsrahmenprogramms Horizon Europe, das noch bis 2027 läuft, und dessen Nachfolgeprogramm jetzt vorbereitet werden muss. Hinzu kommen neue forschungspolitische Herausforderungen, etwa im Kontext der Dual-Use-Debatte.

Hier warnt Leptin vor Gefahren für die Wissenschaftsfreiheit: “Wenn der freie Informationsfluss eingeschränkt wird, verlangsamt sich der Fortschritt in Bereichen, die derzeit offen sind. Übertriebene Beschränkungen könnten auch die Anwerbung und Bindung von Spitzenkräften behindern, die für den technologischen Wettbewerb entscheidend sind”, sagte sie im Juli beim Treffen der G7-Forschungsminister in Bologna. Man wird hier einen vernünftigen Weg finden müssen – ebenso wie beim Umgang mit Künstlicher Intelligenz in der Wissenschaft oder im Open-Access-Streit um den Zugang zu Forschungsergebnissen.

Bald werden die Weichen für die Zukunft des ERC gestellt

Maria Leptin braucht potente Bundesgenossen, um ihre Ziele zu erreichen. Inwieweit Ursula von der Leyen, die den ERC in ihrer Bewerbungsrede für die zweite Ratspräsidentschaft nicht erwähnt hat, an ihrer Seite steht, ist noch unklar. Auf starke Unterstützung aus der deutschen Politik, wie es sie in den Anfangsjahren des ERC gab, kann Maria Leptin nicht uneingeschränkt bauen, zumindest nicht in dieser Legislatur. Aus der internationalen Wissenschaftscommunity kommt viel Anerkennung für ihren bisherigen Einsatz und ihre Initiativen. Um diese weiterhin in messbare Erfolge umzumünzen, braucht es, genau, Kampfgeist. Lilo Berg

Beim Falling Walls Science Summit in Berlin spricht ERC-Präsidentin Maria Leptin bei einem von ihrer Institution organisierten Plenary Table. Die Diskussion über Forschungsförderung und wissenschaftliche Durchbrüche findet am 8. November um 9 Uhr statt. Weitere Porträts der Table.Briefings-Serie “Breakthrough-Minds” zum Falling Walls Science Summit 2024 lesen Sie hier.

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Heads

Katrin Böhning-Gaese, Ökologin und Biodiversitätsforscherin, bekommt die Karl-Ritter-von-Frisch Medaille 2024. Sie erhält den Preis, der als bedeutendster Wissenschaftspreis der Zoologie im deutschsprachigen Raum gilt, für ihre herausragende fachliche Expertise in der Biodiversitäts- und Landnutzungsforschung. Böhning-Gaese etablierte die Makroökologie als neue Teildisziplin der Ökologie in Deutschland und ist Vordenkerin in der Biozönoseforschung.

Sabine Klauke, Chief Technology Officer von Airbus, ist mit dem Aachener Ingenieurpreis ausgezeichnet worden. Der Preis wird gemeinsam von RWTH und Stadt Aachen mit Unterstützung des VDI verliehen. Klauke bekam den Preis für ihr Engagement für den Klimaschutz und Nachhaltigkeit. 

Ulf Richter soll neuer Kanzler der Universität Duisburg-Essen werden. Die Hochschulwahlversammlung hat den Wirtschaftsjuristen einstimmig gewählt. Richter folgt auf Jens Andreas Meinen, der nach Heidelberg gegangen ist. Richter war zuletzt Kanzler der Universität Siegen. An der Universität Duisburg-Essen will er den erfolgreichen Strategieprozess UDEVerwaltung2030# mit neuen Impulsen fortzusetzen.

Tanja Schwerdtle, Lebensmittelchemikerin, ist neue Präsidentin des Max Rubner-Instituts. Sie war zuletzt Vizepräsidentin des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). Schwerdtle ist außerdem Honorarprofessorin für Lebensmitteltoxikologie an der Universität Potsdam sowie Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Gesellschaften und Gremien, darunter der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA und der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG.

Petra Terhoeven wird neue Direktorin des Deutschen Historischen Instituts (DHI) in Rom. Die Historikerin folgt am 1. Oktober 2024 auf Martin Baumeister, der das Institut zwölf Jahre lang prägte und jetzt in den Ruhestand geht. Terhoeven ist seit 2012 Professorin für Europäische Kultur- und Zeitgeschichte in Göttingen. Ihre Schwerpunkte liegen in der Erforschung der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, insbesondere der transnationalen und vergleichenden Geschichte, des italienischen Faschismus sowie der Geschichte politischer Gewalt. 

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Research.Table Redaktion

RESEARCH.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    heute sende ich an dieser Stelle “best regards” aus den USA. Für die nächsten Monate darf ich für den Research.Table aus Washington D.C. berichten und die forschungspolitischen Entwicklungen in den Staaten begleiten. Immer wieder haben sich Leserinnen und Leser in Gesprächen mit uns den Blick über den nationalen Tellerrand gewünscht, vor allem Richtung USA. Das Land ist für die Forschungscommunity derzeit nicht nur aufgrund der bevorstehenden Wahl spannend.

    Davon weiß auch die Delegation der German U15 zu berichten, die in meiner ersten Woche hier in D.C. war. Ich konnte Geschäftsführer Jan Wöpking während seines Aufenthalts treffen. Er war angetan und aufgewühlt von den Gesprächen mit US-Expertinnen von NSF bis NIH, von DARPA bis State Department und natürlich auch von amerikanischer Spitzenunis. Seine Takeaways hat er für uns in einem Standpunkt für diese Ausgabe zusammengefasst. Spoiler: Vieles dreht sich in den USA derzeit um das Thema Nationale Sicherheit.

    In diesem Feld ist auch Jeffrey Stoff unterwegs, einst China-Analyst für die US-Regierung. Stoff hatte Anfang des vergangenen Jahres die deutsche Forschungslandschaft aufgerüttelt, als er zu deutsch-chinesischen Forschungskooperationen mit militärischem Hintergrund publizierte. Für seinen neuen Report hat er zahlreiche Einzelfälle von wissenschaftlichem Fehlverhalten chinesischer Forschungsinstitutionen gesammelt. Er hat mir berichtet, dass Methode dahinter steckt, wenn China seine Forschungspartner täuscht. Mehr dazu in der Analyse zu seinem neuen Papier.

    Last but not least steht natürlich auch zu Hause in Deutschland einiges auf der Agenda. Kurz vor dem Wochenende haben wir berichtet, dass Sabine Döring sich nicht zu der Fördermittel-Affäre im BMBF äußern darf. Das zuständige Gericht hatte ihren Eilantrag zur Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht abgelehnt. Meine Kollegin Nicola Kuhrt fasst für sie alles Wichtige zusammen und hat darüber hinaus mit Kai Gehring gesprochen. Der Vorsitzende des Forschungsausschusses äußert sich zu seiner Rolle bei der Aufarbeitung der Affäre und zu den Plänen, die er in dieser Legislatur noch hat, bevor er 2025 den Bundestag verlässt.

    Beste Grüße vom anderen Ende des großen Teichs: Enjoy reading, learn heaps!

    Ihr
    Tim Gabel
    Bild von Tim  Gabel

    Analyse

    Forschungskooperationen: Wie China systematisch internationale Partner täuscht 

    Der US-Sicherheitsexperte Jeffrey Stoff berichtet in seinem neuen Report über fragwürdige Praktiken chinesischer Forschungsinstitutionen.

    Für seinen neuen Bericht “Transparency and Integrity Risks in China’s Research Ecosystem” hat der China-Analyst und Linguist Jeffrey Stoff Beispiele und Belege von wissenschaftlichem Fehlverhalten gesammelt. Sie sollen zeigen, dass und vor allem wie China – mutmaßlich als Teil seiner geopolitischen Strategie, zur weltweit führenden Wissenschaftsnation zu werden – systematisch und vorsätzlich gegen das Wertesystem bei internationalen Wissenschaftskooperationen verstößt.

    “Das Einhalten von Werten wie Vertrauen, Ehrlichkeit, Transparenz, Integrität und Reziprozität werden in Bezug auf Forschungskooperationen und gemeinsame Publikationen mit China bisher nicht mit der notwendigen Sorgfalt geprüft”, sagt Jeffrey Stoff im Gespräch mit Table.Briefings. Demokratische Staaten hätten bislang zudem keinen Versuch unternommen, die Praktiken Chinas systematisch zu erheben, um sie der Wissenschaftscommunity zur besseren Sicherheitsvorsorge zur Verfügung zu stellen. 

    Fragwürdige Praktiken chinesischer Forschungsinstitutionen 

    Das von Stoff gegründete Center for Research Security and Integrity liefert nun – nach eigenen Angaben – einen ersten vorläufigen Katalog mit problematischen Praktiken Chinas in Bezug auf Transparenz und gute wissenschaftliche Praxis bei internationalen Kooperationen. Kern der Publikation sind Fallstudien mit konkreten Beispielen, von denen einige schon Jahre her sind und die meisten für Kenner nicht überraschend sein dürften.

    Sie sollen aber in ihrer Gesamtschau ein Bild davon zeichnen, welche Methoden in der Volksrepublik angewendet werden, um etwa Verbindungen von Institutionen mit der Militärforschung für internationale Partner schwer oder gar nicht zugänglich zu machen. 

    Stoff und seine Mitarbeitenden skizzieren Fälle wie die des China Aerodynamics Research and Development Centers (CARDC). Die Institution ist nach Angaben der Experten einer der Schlüsselstandorte bei der Forschung und Entwicklung von Hyperschallwaffen und Testareal der Volksbefreiungsarmee. Informationen darüber sind aber weder in jüngeren Archivversionen der Internetseite noch in internationalen Kooperationen zu finden. Von US-Standorten sei die Seite inzwischen überhaupt nicht mehr einsehbar, heißt es in dem Papier. 

    Webseiten-Blockade, fehlende oder falsche Angaben, neue Namen 

    Mit der Strategie scheint die Institution erfolgreich zu sein, denn nach Angaben von Stoff und seinem Team haben allein die USA (70), Großbritannien (51) und Deutschland (17) mit der dem CARDC insgesamt 138 gemeinsame Paper in den vergangenen sechs Jahren veröffentlicht. Genauere Angaben über die Art und Weise der wissenschaftlichen Zusammenarbeit liefert Stoff in seiner Publikation allerdings nicht. 

    Andere Universitäten wie die Nanjing University of Science and Technology haben Inhalte, die auf militärische Verbindungen hinweisen, im Vergleich zu älteren Webseiten-Versionen gelöscht. Oder sie zeigen – wie das Chinese Academy of Sciences Dalian Institute of Chemical Physics – sensible Informationen nur auf der chinesischen Webseite an, nicht aber auf der englischsprachigen. Wieder andere Institutionen verwenden bei internationalen Kooperationen irreführende oder falsch übersetzte Namen oder benennen ihre Finanzierungsquellen um. 

    Appell: Mandarin-Kenntnisse und Fachwissen aufbauen 

    Chinas zunehmend restriktive Informationspolitik, selbst in Bereichen der Grundlagenforschung, stellt die Offenheit und Transparenz infrage, die wir bei internationalen Forschungskooperationen mit Partnerländern gewöhnt sind”, sagt Jeff Stoff. Auf die Frage, wie die deutsche Regierung aus seiner Sicht darauf reagieren solle, sagt Stoff, dass Mandarin-Kenntnisse und Fachwissen für eine effektive Due-Diligence-Prüfung von entscheidender Bedeutung seien. Das erfordere den Aufbau von Kapazitäten und Wissen durch die deutsche Regierung und die Forschungs-Community.  

    “Auch die internationale Zusammenarbeit im Bereich Forschungssicherheit und der Informationsaustausch mit Partnerländern sind bedeutend, um die Ressourcenbelastung auf viele Schultern zu verteilen“. Eine Studie zu deutsch-chinesischen Forschungskooperationen von Jeffrey Stoff hatte Anfang des vergangenen Jahres die deutsche Forschungslandschaft aufgerüttelt. Im Interview mit Table.Briefings erklärte er zudem, wie deutsche Forschungsinstitutionen und Unternehmen mit chinesischen Einrichtungen kooperieren, die auch einen militärischen Hintergrund haben. 

    Forscher lässt Aktivitäten für Überwachungstechnologie unerwähnt 

    Dass China auf die Naivität oder Unkenntnis von erwünschten Kooperationspartnern setzt, legen weitere Fallbeispiele nahe, die Stoff aufführt. Etwa jenes des chinesischen Professors Tan Tieniu, der einerseits die Geschicke der Nanjing University leitet, andererseits als weltweit anerkannter KI-Spezialist für Mustererkennung und biometrische Erfassung Eigner und Geschäftsführer mehrerer chinesischer Unternehmen für Überwachungstechnologie ist, wie in dem Papier beschrieben ist. Letzteres lässt er in seinen Online-CVs und auf Webseiten aber gänzlich unerwähnt. 

    “Ich bin enttäuscht darüber, dass die internationale Forschungsgemeinschaft weiterhin die Arbeit eines Wissenschaftlers aus der Volksrepublik China anerkennt, der eine entscheidende Rolle bei der Kommerzialisierung von Massenüberwachungstechnologien gespielt hat”, kommentiert Stoff den Fall. Tan habe diese Technologien speziell für Chinas öffentliche Sicherheitsorgane entwickelt, “die damit bekanntermaßen Menschenrechtsverletzungen begehen”. 

    Versuche, Publikationen mit fragwürdigen Praktiken aufzuwerten 

    Stoffs Studie beschränkt sich aber nicht nur auf mutmaßliches Fehlverhalten chinesischer Institutionen und Wissenschaftler im Bereich Transparenz, sondern analysiert auch Versuche, die wissenschaftliche Publikationsleistung mit fragwürdigen Methoden aufzuwerten. So berichtet Stoff darüber, dass ausländische Wissenschaftler ohne nennenswerten Input zu Co-Autoren werden, um das Renommee von Studien aufzuwerten oder zum selben Zweck Co-Autoren von namhaften ausländischen Institutionen erfunden werden. 

    Interessant auch der Fall des Klimaforschers Wang Chunzai, der am National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA), einer Behörde des US-Handelsministeriums, forschte. Zur gleichen Zeit wurde er aber von einem chinesischen Talentprogramm angeworben, obwohl er in den USA eine Vollzeitstelle innehatte. Wang veröffentlichte in dieser Zeit einige seiner viel beachteten Publikationen ausschließlich für chinesische Institutionen und wurde schließlich 2018 in den USA zu einer Haftstrafe verurteilt, weil auffiel, dass er ein zweites Gehalt aus China bezogen hatte. 

    Im Gespräch mit Table.Briefings gibt Stoff an, dass die meisten der Beispiele und Ergebnisse seiner Untersuchungen ihn nicht mehr überrascht hätten, weil er diese Art von Untersuchungen seit vielen Jahren durchführt. “Allerdings bin ich überrascht, dass große Nationen weiterhin mit Einrichtungen der Volksrepublik China zusammenarbeiten, die bekanntermaßen kritische Risiken für die nationale Sicherheit darstellen.”

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    Entwurf der Tierschutz-Versuchstierverordnung: Forschungsfreundliche Regelung für den Umgang mit überschüssigen Tieren vorgesehen

    Ein Entwurf zur Änderung des Tierschutzgesetzes aus dem BMEL sorgte zu Beginn des Jahres für Aufregung in der Forschungs-Community. Die dort vorgesehene Verschärfung des Strafmaßes wurde vor allem vor dem Hintergrund einer hohen Rechtsunsicherheit beim Umgang mit überschüssigen Tieren kritisiert. Diese Tiere sind aus verschiedenen Gründen nicht für die eigentlichen Tierversuche verwendbar und werden nach der sogenannten Kaskadenregelung anderen Verwendungen zugeführt oder, wenn dies nicht möglich ist, getötet.  

    Kaskadenregelung bisher nur inoffiziell 

    Das Problem: Diese Kaskadenregelungen stellen bisher lediglich unverbindliche Absprachen mit den zuständigen Behörden dar. Forschende und Verantwortliche in den Tierversuchseinrichtungen arbeiten somit unter Rechtsunsicherheit. Anzeigen von Tierschützern, die genau auf diese Tötung der überschüssigen Tiere abzielten, blieben zwar ohne eine Verfahrensaufnahme, doch Sorgen bei den Forschenden blieben. Und sie wurden mit der aktuell vorgesehenen Änderung im Tierschutzgesetz noch größer. 

    “Die für die Wissenschaft bereits jetzt bestehende Rechtsunsicherheit, die von der intransparenten Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs des ,vernünftigen Grundes’ in § 17 Abs. 1 ausgeht, wird durch die Neufassung der Regelung zusätzlich und unnötig gesteigert“, schrieb die DFG damals in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf

    Erstmals wird der “vernünftige Grund” spezifiziert 

    Nach Gesprächen mit den Forschungseinrichtungen und dem BMBF möchte das BMEL nun anscheinend die sogenannte Tierschutz-Versuchstierverordnung ändern. In dem Entwurf, der Table.Briefings vorliegt, wird die Kaskadenregelung für überschüssige Tiere verankert. Zudem wird ein vernünftiger Grund für deren Tötung spezifiziert. Dort heißt es:  

    “Kann ein Wirbeltier oder Kopffüßer, das oder der zur Verwendung in einem Tierversuch gezüchtet wurde, aufgrund individueller Eigenschaften für den Tierversuch keine wissenschaftlich begründete Verwendung finden, entscheidet ein Tierarzt oder eine andere sachkundige Person darüber, ob das Wirbeltier oder der Kopffüßer am Leben bleiben oder, wenn ein vernünftiger Grund dafür vorliegt, getötet werden soll.”  

    Eine Tötung kann dann erfolgen, wenn  

    1. “die Zucht, Haltung und Verwendung des Tieres sorgfältig geplant wurde und die Einrichtung alle ihr zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um das Entstehen und die Tötung des nicht für die Zwecke nach § 7 Absatz 2 des Tierschutzgesetzes oder andere wissenschaftliche Zwecke zu verwendenden Tieres zu vermeiden und 
    2. eine weitere Verwendung des Tieres außerhalb des Tierversuchs nicht erfolgen kann.” 

    Vertreter der Forschungs-Community äußerten sich positiv zu dem Entwurf. Frank Wissing, Generalsekretär des Medizinischen Fakultätentags, sagte Table.Briefings: “Die Definition des Kaskadenmodells im Referentenentwurf wäre aus Sicht der Hochschulmedizin ein wichtiger Schritt hin zu mehr Rechtssicherheit.”   

    Und auch der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) begrüßt den Ansatz des BMEL. Der Regelungsansatz gehe in die richtige Richtung und werde eine gewisse Rechtssicherheit für die Forschenden herstellen, schreibt Thorsten Ruppert, Seniormanager für Grundsatzfragen bei Forschung & Entwicklung, auf Anfrage von Table.Briefings. 

    “Diverse Interpretationen” der Behörden befürchtet 

    Allerdings bemängelt Ruppert, dass der Verordnungstext noch einiges im Unklaren lasse. Es gebe keine Ausführungen dazu, “was genau als kaskadenkonformes Vorgehen gefordert wird und wie es zu dokumentieren ist.” Damit stehe zu befürchten, dass die Behörden “zu sehr diversen Interpretationen” hinsichtlich Umsetzung und Kontrolle kommen werden. 

    Marina Greweling-Pils vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung betont ebenfalls, dass es eine “Allgemeine Verwaltungsvorschrift, in der definiert wird, was zu tun ist”, brauche. Sie sieht durchaus eine Verbesserung durch die Beschreibung eines “vernünftigen Grundes”, der zur Tötung eines Tieres führen kann. Die bestehende Rechtsunsicherheit werde aber nicht komplett beseitigt. 

    Kritik übt die Leiterin des Tierhauses Greweling-Pils weiterhin an der Vorgabe, dass “ein Tierarzt oder eine andere sachkundige Person” über die Tötung entscheiden soll. “Das sind meiner Ansicht nach Aufgaben, die in der Hand der Versuchsleitung liegen müssen. Ein Tierarzt kann diese Entscheidungen nicht treffen, er hat keinen Einblick in die Versuchsplanung und die mögliche wissenschaftliche Verwendung.” 

    Bundestierschutzbeauftragte übt Kritik 

    An diesem Punkt setzte auch die Kritik der Bundestierschutzbeauftragten Ariane Kari an, deren Stellungnahme Table.Briefings vorliegt. Sie erachte es als “problematisch, einem Tierarzt oder einer anderen sachkundigen Person die Entscheidung allein aufzuerlegen”, ob ein vernünftiger Grund zur Tötung eines überschüssigen Tieres vorliege. Diese Frage erfordere nach ihrer Einschätzung jedoch eine “umfassende juristische – und damit für Veterinärmediziner:Innen sowie andere sachkundige Personen fachfremde – Prüfung”. Zielführend sei daher “die Gewährleistung einer juristischen und veterinärmedizinischen Prüfung, beispielsweise durch ein Expertengremium“.  

    Die Bundestierschutzbeauftragte übt weitere Kritik an konkreten Formulierungen. Dass eine Einrichtung alle “ihr zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen” ergriffen haben muss, erscheint aus Sicht der Bundestierschutzbeauftragten nicht ausreichend. Damit würden Umgehungsmöglichkeiten eröffnet, die Rechtsunsicherheiten begünstigen.  

    Kari fordert detailliertere Anforderungen bei der Prüfung  

    Die Bundestierschutzbeauftragte fordert, dass “eine sorgfältige, nicht vorrangig an wirtschaftlichen Erwägungen ausgerichtete Prüfung ergeben hat, dass die Unterbringung und Versorgung des Tieres in den vorhandenen Haltungseinrichtungen und eine entsprechende Erweiterung dieser Haltungseinrichtungen nicht möglich und zumutbar sind”. Weiterhin sollten alle zumutbaren Versuche, das Tier an neue, geeignete Halter zu vermitteln, gescheitert sein. Dabei müssten Vermittlungsversuche insbesondere in Zusammenarbeit mit Tierschutzvereinen erfolgen und sich auf den gesamten deutschsprachigen Raum erstrecken.  

    Kari kritisiert auch generell die konkrete Ausgestaltung einer Kaskadenregelung. Damit drohe “die hohe Bedeutung der einzelfallbezogenen Abwägung” in den Hintergrund zu rücken. Es sei zu befürchten, dass “die Aufnahme der sogenannten Kaskadenregelung dazu führt, dass die im Entwurf vorgesehene Prüfung lediglich übergeordnet und nicht auf das individuelle Einzeltier bzw. Tiergruppe zugeschnitten erfolgen wird”. Diese Praxis wäre mit der Staatszielbestimmung Tierschutz und der daraus resultierenden unabdingbaren Einzelfallabwägung für das Vorliegen eines vernünftigen Grundes zur Tötung nicht vereinbar.  

    Aus Karis Perspektive würde die Normierung der sogenannten Kaskadenregelung nicht zu der erhofften Rechtssicherheit für Forschende beitragen. Im Gegenteil würde diese “sogar eine Prüfungsmöglichkeit suggerieren, die mit dem Tierschutzgesetz eventuell nicht vereinbar ist”. Noch bis zum 20. September können Stellungnahmen zu dem Entwurf eingereicht werden. 

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    Interview

    Forschungspolitik: Was Kai Gehring für Herbst und den Rest der Legislatur erwartet

    Kai Gehring fordert Nachbesserungen für den Haushalt 2025: “Bei Bildung, Forschung und Innovation würde sich der Rotstift rächen.”

    Propalästinensische Proteste an Hochschulen, die Fördermittel-Affäre; eine Forschungsministerin in der Kritik: Forschungspolitisch könnte es ein heißer Herbst werden, dessen ist sich Kai Gehring bewusst. Dennoch denkt er, dass einiges zu erreichen sein wird. Zudem habe man bereits eine ganze Menge in dieser Wahlperiode aufgegleist, erklärt er im Interview mit Table-Briefings. Über dreiviertel der bildungs- und forschungspolitischen Vorhaben des Koalitionsvertrags seien erfüllt und man habe ja noch ein Jahr Zeit.

    “Wir haben die Exzellenzstrategie in dieser Wahlperiode weiterentwickelt. Wir haben alle Bund-Länder-Wissenschaftspakte abgesichert – die Dynamisierung des Zukunftsvertrags Studium und Lehre war ein weiterer großer Erfolg. Nicht mehr nur die außeruniversitäre Forschung, sondern auch die universitäre wird jetzt jedes Jahr planungssicher um drei Prozent erhöht”, listet Gehring beispielsweise auf. 500 Millionen seien für das Programm Forschung an HAW eingeplant, beschlossen wurde die missionsorientierte Zukunftsstrategie Innovation und Forschung, Sprind sei entfesselt, und die Dati-Pilotlinien erfolgreich am Start. “Für mich ein Bild, dass wir Wissenschaftspolitik auf die Höhe der Zeit bringen, das Notwendige anpacken und gleichzeitig auch Perspektivdebatten anstoßen – etwa bei der Exzellenzstrategie.”

    Zeitnah die Reform des WissZeitVG umsetzen

    Dass über die Zukunft der Exzellenzstrategie gerade von allen Beteiligten stark diskutiert wird, kann der Forschungspolitiker nur begrüßen. Die Frage, wie es mit der Exzellenz im Land weitergeht, sei im Kern eine wesentliche wissenschaftspolitische Debatte. “Zugleich müssen wir jetzt sehr zeitnah die Reform des WissZeitVG umsetzen. Um mehr verlässliche Karriereperspektiven zu schaffen, erwarte ich, dass es zwischen Bund und Ländern zu einem Ausbau des Tenure-Track-Programms kommt, wie im Koalitionsvertrag vereinbart.” Ebenfalls wichtig: “Dass wir beim Thema Wissenschaftskommunikation und -journalismus mehr hinkriegen, ist mir ein Anliegen. Ich favorisiere hier eine Stiftung.”

    Weitere Erwartungen Gehrings: Grundlegende Entscheidungen zur Verbesserung des Wissenschaftssystems und beim Forschungsdatengesetz. “Die Eckpunkte sind aus dem Januar und wir haben jetzt September. Es braucht jetzt einen Gesetzentwurf“, kritisiert er. Auch bei der Roadmap zu den großen Forschungsinfrastrukturen steht die Priorisierung nach wie vor aus.

    Haushaltsgespräche 2025: Gehring sieht, dass die Regierung nachbessern muss

    Die erforderlichen Mittel für die genannten Projekte sieht er noch nicht gänzlich im kommenden Haushalt abgebildet“Wir brauchen mehr Geld für Wissenschaft und deshalb müssen wir mit dem, was beschlossen ist, einerseits trommeln und in die Diskussion gehen.” Andererseits brauche es das Grundverständnis, dass Forschungsfinanzierung elementar ist für Ideen und Innovationen und damit für künftigen Wohlstand und wirtschaftliche Entwicklung. Das fehle ihm in vielen öffentlichen Diskursen.

    “Mein Anspruch für die Beratungen ist, dass wir als Parlament den BMBF-Etat erneut nachbessern, zum Beispiel bei der Wissenschaftskommunikation und Außenwissenschaftspolitik. Die Regierung hat erlebt, wie selbstbewusst und wirkungsmächtig das Parlament ist.” Solange die Schuldenbremse gelte, wie sie ist, müsse man mit ihr arbeiten – “obwohl ich eine Änderung für Zukunftsinvestitionen als unerlässlich sehe. Bei Bildung, Forschung und Innovation würde sich der Rotstift rächen. Darum erwarte ich bei Bildung und Forschung noch mehr”.

    Fördermittel-Sondersitzung, die Zweite: Keine Gerichtsverhandlung

    Für manche vielleicht überraschend positiv ist Gehring in Sachen Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (Dati). “Unkenrufe gibt es viele. Ich bin da optimistischer und gelassener, aber sehe natürlich auch, dass das BMBF den notwendigen Drive in den Prozess einbringen muss.” Die ein oder andere Pirouette im Prozess hätte man sich auch ersparen können.

    Natürlich warten derzeit viele in der Wissenschafts-Community gespannt auf die zweite Sondersitzung zur Fördermittel-Affäre des BMBF. Kai Gehring wird sie Dienstagmorgen eröffnen – und verteidigt sich gegen die Kritik, die entlassene Staatssekretärin Sabine Döring nicht eingeladen zu haben. Weder das Beamtenrecht noch die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sind offenbar zu allen Kritikern durchgedrungen”, sagt Gehring. “Es geht nicht um Zeugen, es ist keine Gerichtsverhandlung, sondern es ist eine Sondersitzung eines Fachausschusses”, sagt Gehring. Die Sondersitzung findet am Dienstag ab 8 Uhr statt und wird live übertragen.

    Was Kai Gehring über die Sondersitzung denkt und wie er die Zusammenarbeitenarbeit mit Bettina Stark-Watzinger einschätzt – etwa mit Blick auf den Digitalpakt – lesen Sie in der Langfassung des Interviews.

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    Termine

    12. September 2024, 18:00 Uhr, Table.Briefings, Wöhlertstr. 12-13, 10115 Berlin
    Salon des Berlin Institute for Scholarly Publishing BISP Salon I: The Changing Geography of Global Research Mehr

    12./13. September 2024, FU Berlin
    Jah­res­ta­gung des Netz­werks Wis­sen­schafts­ma­nage­ment Für Frei­heit in Kri­sen­zei­ten. Per­spek­ti­ven aus dem Wissenschaftsmanagement Mehr

    12. – 15. September 2024, Potsdam
    133. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte Wissenschaft für unser Leben von morgen Mehr

    18. September 2024, Alte Münze, Berlin
    InnoNation Festival Scaling Solutions Mehr

    19. September 2024, ab 11 Uhr, Körber-Stiftung, Hamburg
    Hamburg Science Summit 2024 “Europe’s Path Towards Tech Sovereignty” Mehr

    19.-21. September 2024, Bauhaus-Universität Weimar
    66. Jahrestagung der Kanzlerinnen und Kanzler der deutschen Universitäten Hochschulbau trotz/t Krisen Mehr

    24. September 2024, 10:30 bis 16:15 Uhr, Haus der Commerzbank, Pariser Platz 1, 10117 Berlin
    Forum Hochschulräte Starke Marken, klarer Kern: Strategische Schwerpunktsetzung und Markenbildung bei Hochschulen Mehr

    25. September 2024, 8:00 bis 9:15 Uhr im BASECAMP, Mittelstraße 51-53, 10117 Berlin
    Frühstücks-Austausch: Gipfel für Forschung und Innovation Follow-up Innovationen in Europa – Katalysatoren, Kompetenzen und Kooperationen am Beispiel von KI: Gespräch über Umsetzungsschritte für mehr Geschwindigkeit bei Innovation und Forschung Zur Anmeldung

    25. September 2024, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU)
    Jahreskolloquium des Bayerischen Wissenschaftsforums Transformationskompetenz in Wissenschaft und Hochschule Mehr

    26. September 2024, 12:00 bis 13:00 Uhr, Webinar
    CHE talk feat. DAAD KIWi Connect Transfer und Internationalisierung – Warum ist es sinnvoll, beides gemeinsam zu denken und was braucht es hierzu? Mehr

    26./27. September 2024, Leopoldina, Jägerberg 1, 06108 Halle (Saale) und Online
    Jahresversammlung 2024 der Leopoldina Ursprung und Beginn des Lebens Mehr

    3. /4. Oktober 2024, Universität Helsinki, Finnland
    2024 EUA FUNDING FORUM Sense & sustainability: future paths for university finances Mehr

    8. /9. Oktober 2024 an der TU Berlin
    bundesweite Tagung zu Machtmissbrauch an Hochschulen “Our UNIverse: Empowered to speak up” Mehr

    7.-9. November 2024, Berlin
    Konferenz Falling Walls Science Summit 2024 Mehr

    News

    Gericht lehnt Eilantrag von Sabine Döring ab

    Das Verwaltungsgericht Minden hebt die Verschwiegenheitspflicht der früheren Staatssekretärin Sabine Dörings nicht auf. Die 12. Kammer hat entschieden, “dass der ehemaligen Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) keine Ansprüche auf Unterlassung sowie Aussagegenehmigung gegen die Bundesrepublik Deutschland zustehen”, heißt es in einer Unterrichtung des Gerichts, die Table.Briefings vorliegt. Döring habe diese Ausnahme nach Erscheinen einer Presseerklärung des BMBF zu förderrechtlichen Konsequenzen in Bezug auf einen offenen Brief zu Protestcamps an Berliner Hochschulen geltend gemacht.

    Das Gericht begründet die Ablehnung in zwei Punkten:

    • Die durch Döring kritisierte Aussage einer BMBF-Pressemitteilung ist nicht zu beanstanden: Das Gericht schreibt, es gibt keinen Anspruch auf Unterlassung der in der Presseerklärung des BMBF getätigten Aussage, denn die Aussage, die Sabine Döring kritisiert, sei gar nicht enthalten. “Aus den Formulierungen werde vielmehr deutlich, dass die Antragstellerin nicht diejenige gewesen sei, die die Prüfung förderrechtlicher Konsequenzen erbeten habe, sondern sie nur diejenige gewesen sei, die für den dieser Prüfung zugrundeliegenden Prüfauftrag – mit welchem konkreten Inhalt auch immer – verantwortlich gewesen sei und sie daraufhin erklärt habe, dass sie sich bei ihrem Auftrag der rechtlichen Prüfung offenbar missverständlich ausgedrückt habe.”
      Diese Erklärung stelle eine wahre Tatsachenbehauptung dar und verletze die Antragstellerin nicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
    • Kein Anspruch auf eine Ausnahme für die Sondersitzung am 10.9.: Die frühere Staatssekretärin könne ein berechtigtes Interesse zur Erteilung einer Aussagegenehmigung nicht geltend machen. Die Kammer verkenne dabei nicht, dass die Öffentlichkeit an der Aufklärung der Vorgänge um den “offenen Brief” vom 8. Mai 2024 und die anschließende sog. “Fördergeldaffäre” ein Interesse habe. Im vorliegenden Verfahren könne die Antragstellerin aber nur eigene Rechte, zu denen ein Interesse der Öffentlichkeit an Aufklärung gerade nicht gehöre, geltend machen.

    Gegen den Beschluss kann Sabine Döring Beschwerde einlegen

    Per Mail hatte die in den einstweiligen Ruhestand versetzte Staatssekretärin Döring Anfang der vergangenen Woche ihre Teilnahme an der Sondersitzung am 10. September 2024 angeboten. In der Runde, angesetzt auf Wunsch der CDU/CSU-Fraktion, soll Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger erneut zur sogenannten “Fördergeld-Affäre” befragt werden.

    “Ich erkläre Ihnen hiermit meine ausdrückliche Bereitschaft, teilzunehmen. Ich leiste gern meinen Beitrag zu Aufklärung und Transparenz und erachte dies zudem als meine Pflicht als Beamtin der Bundesrepublik Deutschland”, schrieb Döring. Doch die Obleute des Forschungsausschusses entschieden am vergangenen Freitag, Döring nicht einladen zu wollen. Die Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht könne nur durch die Forschungsministerin erfolgen – und das Gericht.

    Da die Richter in Minden nun gegen den Antrag Dörings entschieden haben und Bettina Stark-Watzinger sich nicht umentscheiden wird, findet die Sondersitzung am Dienstag nur mit der Forschungsministerin statt. Ab 8 Uhr muss sie sich den Mitgliedern des Forschungsausschusses stellen.

    Über ihren Anwalt reagiert Sabine Döring am Montag auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Minden mit einer Mitteilung. “Kaum noch jemand aus Wissenschaft und Fachpresse glaubt, dass ich einen förderrechtlichen Prüfauftrag erteilt hätte. Nun versteht selbst das Verwaltungsgericht Minden die Pressemitteilung des BMBF so, dass ich es nicht war”, erklärt die frühzeitig entlassene Staatssekretärin darin. Sie habe sich immer nur mit der Frage beschäftigt, ob der offene Brief das Gewaltmonopol des Staates infrage stellt und ob die Wissenschaftsfreiheit auch durch politische Aktivisten eingeschränkt werden kann. “Ich habe auch nie etwas anderes gesagt. Dass es durch mein Handeln zu einem sogenannten ,Missverständnis’ gekommen ist, schließe ich aus.” nik

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    Startup-Verband: Wie der Transfer verbessert werden kann 

    Hochschulen sollen mehr in Ausgründungen investieren, der Staat mehr Aufträge an Start-ups vergeben: Der Startup-Verband fordert von der Bundesregierung und anderen Akteuren ein Bündel von Maßnahmen, um den Gründerstandort Deutschland zu stärken. 

    Mit internationaler Spitzenforschung, herausragenden Talenten, einer starken industriellen Basis und ausreichend privatem Kapital habe Deutschland alle Zutaten, um global erfolgreich zu sein, sagte Verena Pausder, Vorstandsvorsitzende des Startup-Verbandes. Allerdings müsse die Innovationskraft gestärkt werden.  

    Wagniskapitalinvestitionen bis 2030 verdreifachen 

    In seiner “Innovationsagenda 2030” fordert der Verband unter anderem eine Finanzierungsoffensive für deutsche Start-ups, die es im internationalen Vergleich schwer haben, große Summen von Investoren zu bekommen. So müssten sich die Wagniskapitalinvestitionen bis 2030 verdreifachen, um die jährliche Finanzierungslücke von rund 30 Milliarden Euro hierzulande zu schließen. Dazu sei mehr privates Kapital notwendig – insbesondere von Großinvestoren wie Versicherungen. 

    Der Startup-Verband sieht zudem Potenzial bei der öffentlichen Auftragsvergabe. “Fünf Prozent der öffentlichen Aufträge sollten bis zum Ende des Jahrzehnts an Start-ups gehen”, forderte Pausder. Das koste den Staat nichts, fördere aber die Digitalisierung und innovative Start-ups.  

    Im Fokus: schleppender Transfer von der Spitzenforschung in die Praxis 

    Eine Frage der Autoren war auch: Wie holen wir mehr aus der Spitzen-Forschung an unseren Hochschulen heraus und bringen sie in die Praxis?

    Konkrete Vorschläge für eine Verbesserung des Transfers sind: 

    • INVEST, HTGF und SPRIND weiterentwickeln: Es gibt bereits viele bewährte Instrumente, um die Frühphase von Start-ups zu finanzieren. Diese müssen punktuell weiterentwickelt werden. Dazu gehöre beispielsweise die weitere Flexibilisierung der Sprind. 
    • Steuerliche Forschungszulage: Durch bessere Kommunikation soll die Nutzung erleichtert werden.  

    Ein Prozent des Hochschulbudgets für Ausgründungen 

    • Stärkere Priorisierung von Ausgründungen aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen: Hier bedarf es besserer Anreizsysteme, beispielsweise um mehr unternehmerisches Denken an den Lehrstühlen zu fördern. Zudem sollte der IP-Transfer so weit wie möglich standardisiert und beschleunigt werden. Der Verband plädiert für eine Selbstverpflichtung der Hochschulen, mindestens 1 Prozent ihres Gesamtbudgets – inklusive Drittmittel – für Ausgründungen aufzuwenden. Wichtig sei zudem, den bereits begonnenen LeuchtturmwettbewerbStart-up Factories” entschlossen voranzutreiben. 
    • Zeitnah Reallabore ermöglichen: Erforderliche Experimentierklauseln sollten dafür gesetzlich verankert werden. 

    Laguna, Schoenenberger und Gross-Selbeck im Autorenkreis vertreten 

    Zu den Initiatoren der Agenda gehören neben der Vorstandsvorsitzenden des Startup-Verbands, Verena Pausder, etwa der Geschäftsführer der Sprind, Rafael Laguna de la Vera, Helmut Schoenenberger (UnternehmerTUM) oder Stefan Gross-Selbeck (Woltair, Vorsitzender der Gründungskommission der Dati). Im Table.Today-Podcast am Montagfrüh stellte Investorin und Startup-Verbandschefin Pausder die Agenda vor. mw 

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    Draghi-Bericht: Warum die EU bis zu 800 Milliarden Euro pro Jahr mehr für Innovationen ausgeben muss

    Die EU stehe vor einer “existenziellen Herausforderung”, schreibt der ehemalige italienische Ministerpräsident und EZB-Chef Mario Draghi. Er übergab am Montag einen von der Europäischen Kommission vor rund einem Jahr in Auftrag gegebenen Bericht zur Zukunft der EU-Wettbewerbsfähigkeit. Wenn die hiesige Wirtschaft nicht produktiver werde, werde man gezwungen sein, die eigenen Ansprüche etwa in Bezug auf Klimaschutz, die Entwicklung innovativer Technologien oder das eigene Sozialmodell zurückzuschrauben.

    Europa stecke in einer statischen Industriestruktur fest, meint der Wirtschaftswissenschaftler. Es tauchten nur wenige neue Unternehmen auf, die die bestehenden Industrien veränderten oder neue Wachstumsmotoren entwickelten. In der EU befürchten viele, dass hiesige Unternehmen den Anschluss verlieren könnten. So hatte dieses Jahr bereits ein anderer Bericht, den die EU-Staats- und Regierungschefs in Auftrag gegeben hatten, festgehalten: Während die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung in den USA zwischen 1993 und 2022 um fast 60 Prozent gestiegen sei, habe der Anstieg der Wirtschaftsleistung in Europa weniger als 30 Prozent betragen. 

    Milliardenschwere Investitionen im Technologiesektor nötig

    Draghi führt dies nun vor allem auf den Technologiesektor zurück. “Europa hat die durch das Internet ausgelöste digitale Revolution und die damit verbundenen Produktivitätsgewinne weitgehend verpasst“, heißt es in seinem Bericht. Die EU sei schwach bei neuen Technologien, die das künftige Wachstum antreiben. Nur vier der 50 größten Technologieunternehmen der Welt seien europäische Unternehmen. Um den Anschluss nicht zu verlieren, seien Investitionen erforderlich, mahnt Draghi.

    Als Größenordnung nennt er unter Berufung auf Zahlen der EU-Kommission einen zusätzlichen Investitionsbedarf von mindestens 750 Milliarden bis 800 Milliarden Euro jährlich. Dabei könnten unter Umständen klimafreundliche Technologien das Wachstum in der EU ankurbeln. Als weitere Herausforderung nennt der Italiener die alternde Bevölkerung: “Bis 2040 werden jährlich zwei Millionen Arbeitnehmer vom Arbeitsmarkt verschwinden.” Zudem verlangsame sich der Welthandel, und Europa habe mit Russland einen günstigen Energielieferanten verloren.

    Wettbewerbsfähigkeit oben auf Tagesordnung 

    Draghi spricht sich dafür aus, dass die EU-Staaten Geld in die Hand nehmen sollten, um grenzüberschreitende Projekte zu finanzieren. “Es besteht ein breiter Konsens darüber, dass dieses Thema ganz oben auf unserer Tagesordnung stehen und im Mittelpunkt unseres Handelns stehen muss”, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Vorstellung des Berichts in Brüssel. Bundesfinanzminister Christian Lindner warnte aber vor einer gemeinsamen Schuldenaufnahme. Wirtschaftsminister Robert Habeck sagte Draghi hingegen seine Unterstützung zu.

    Dass die europäische Wirtschaft unter Druck steht, zeigt sich derzeit besonders klar in Deutschlands größtem Industriezweig, der Autobranche. Volkswagen – Europas größter Autobauer – hatte angekündigt, angesichts der sich zuspitzenden Lage den eingeschlagenen Sparkurs bei der Kernmarke VW noch einmal zu verschärfen. Werksschließungen und Kündigungen stehen im Raum. “Die Ankündigungen von Werksschließungen besorgen mich sehr”, sagte der scheidende Industriekommissar Thierry Breton dem “Handelsblatt”. Es müsse darum gehen, “unser Know-how, unsere Innovationskraft und unsere Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren“, forderte der französische Kommissar. tg (mit dpa)

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    Nachhaltigkeit: Welche Hochschulen in der Pilotphase der neuen HRK-Initiative beraten werden

    Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) startet die Pilotphase für das Audit “Nachhaltigkeit an Hochschulen”. Das neue Beratungsangebot soll Hochschulen systematisch bei der Weiterentwicklung ihrer Nachhaltigkeitsstrategien, -ziele und -aktivitäten unterstützen. Laut Mitteilung der HRK sollen “passgenaue, unabhängige und freiwillige” Beratungsleistungen für Hochschulen angeboten werden.

    Für die Pilotphase wurden die Technische Universität Chemnitz, die Fachhochschule Dortmund, die Universität Hamburg sowie die Philipps-Universität Marburg ausgewählt. Diese Hochschulen werden ab Herbst 2024 ein Jahr bei der Weiterentwicklung ihrer Nachhaltigkeitsstrategie und -aktivitäten begleitet. Zuvor hatten sich über 60 HRK-Mitgliedshochschulen für die Teilnahme am Audit beworben.

    Großes Interesse an der Teilnahme in der Pilotphase

    Die in der Pilotphase gewonnenen Erkenntnisse werden in die Weiterentwicklung des Audits einfließen, heißt es in der HRK-Mitteilung. Ab 2026 soll das Beratungsangebot schrittweise für alle HRK-Mitgliedshochschulen geöffnet werden. “Die Hochschulen sind Zukunftswerkstätten der Gesellschaft”, erklärte Dorit Schumann, HRK-Vizepräsidentin für Transfer und Nachhaltigkeit, dazu am Montag in Berlin, “insofern entwickeln und erproben sie in all ihren Handlungsbereichen innovative Lösungsansätze für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen.”

    Dies gelte auch für die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen in Studium und Lehre, Forschung, Transfer sowie Betrieb und Infrastruktur. Bei diesem Prozess werde das Audit die Hochschulen systematisch unterstützen. Das große Interesse für die Teilnahme an der Pilotphase belege eindrucksvoll das Engagement der Hochschulen für eine “Kultur der Nachhaltigkeit”. Das BMBF unterstützt die Hochschulrektorenkonferenz mit der Initiative “Nachhaltigkeit in der Wissenschaft” dabei, ein Audit zu entwickeln. tg

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    Must-Reads

    RND: Forscher zu russisch-chinesischen Beziehungen aus China ausgewiesen. Neun Jahre hat Björn Alexander Düben an der Universität in der Provinzhauptstadt Changchun im Nordosten Chinas geforscht, dann wurde er ausgewiesen. Dass dies passieren könnte, damit habe er gerechnet, sagt er im Interview; denn er habe öfters kritische Artikel veröffentlicht oder Kommentare gegenüber der Presse gegeben. Weil sein Thema politisch sensibel ist, konnte er keine klassische Feldforschung oder Experteninterviews führen. Selbst informelle Interviews waren in den letzten Jahren kaum noch möglich. (“Professor aus China ausgewiesen: Wissenschaft am Rande der Diplomatie”)

    Tagesspiegel: Bettina Stark-Watzinger im Kreuzfeuer. Am Dienstag steht “Gespräch mit Frau Bundesministerin Stark-Watzinger, MdB, zu hausinternen Prüfaufträgen zu Fördermittelstreichungen infolge eines Offenen Briefs” auf der Tagesordnung des Ausschusses; als einziger Tagesordnungspunkt. Nach Wissenschaft und Opposition sind mittlerweile auch die eigenen Koalitionspartner zunehmend kritisch. Verärgert sind die Ausschussmitglieder, weil statt ihnen interne Dokumente zugänglich machen, das BMBF lediglich Unterlagen schickte, die bereits öffentlich sind. (“Rückhalt in der Koalition für Stark-Watzinger schwindet”)

    Handelsblatt: Startup-Chef beklagt fehlende Visionen. Chef des Startup Isar Aerospace Daniel Metzler könnten bald die erste private Rakete Deutschlands ins All bringen. Vor wenigen Wochen gab es zwar einen Rückschlag bei Rocket Factory Augsburg, als die erste Stufe der Rakete bei einem Motorentest explodierte; doch Metzler erklärt, für Startups wie RFA oder sein Isar Aerospace sei es normal, ins Risiko zu gehen, um zu lernen. Dies verkürze die Entwicklungszeit deutlich. Metzler beklagt, dass die Bereitschaft in Deutschland kaum verbreitet sei, sich große Ziele zu setzen und die Bereitschaft zu scheitern. (“”Entweder man jammert oder man macht””)

    Der Freitag: Wissenschaft und Moral. In seinem Buch “Wissenschaftsfreiheit und Moral” verteidigt der Mainzer Philosoph Tim Henning Wissenschaft gegen allzu simple moralistische Verurteilungen. Trotzdem meint Henning, es gäbe “Kriterien der Wissenschaft, die in den Bereich der Moral hineinreichen”. Wenn die Akzeptanz einer falschen wissenschaftlichen These zu hohen Kosten für betroffene Personen führt, dann ist es sowohl aus wissenschaftlichen als auch aus moralischen Gründen abzulehnen, dass diese These überhaupt vertreten und verfolgt wird. (“Über “Irrtumskosten””)

    Standpunkt

    U 15 zu den US-Wahlen: “Es ist verblüffend, wie konsequent Forschung aus einer Perspektive nationaler Sicherheit gedacht wird”

    Von Jan Wöpking

    Es war eine Reise der Widersprüche. Hoffnung und Enthusiasmus einerseits, gerade angesichts der Nominierung von Kamala Harris – Polarisierung, Sorge um das Land und ein starker Sicherheitsfokus andererseits. Die Wahlen prägen auch den wissenschaftspolitischen Diskurs in den Vereinigten Staaten und alle Gesprächspartner betonen: Noch sei nichts entschieden, die Wahl offen, es bleibe ein Kopf-an-Kopf-Rennen bis zum Schluss.

    Wir haben in Washington nach den großen wissenschaftspolitischen Trends geschaut, denn bekanntlich kommt das, was in den USA passiert, ja gern etwas später auch nach Deutschland. Wir waren im politischen Herz der USA, um mit führenden wissenschaftspolitischen Akteuren zu sprechen: von NSF bis NIH, von DARPA bis State Department. Und natürlich mit den amerikanischen Spitzenunis. Hier sind unsere fünf Take-aways:

    US-Spitzenunis warnen vor Politisierung der Forschungsförderung

    • Wissenschaft: Unter Politisierungsdruck

    “Universities are the Enemy” heißt der Titel eines Vortrages aus dem Jahr 2021 von JD Vance – also dem Mann, den Donald Trump zu seinem Running Mate für das Amt des Vizepräsidenten gemacht hat. Immer wieder sprechen wir über die zunehmende Politisierung von Wissenschaft, die besonders stark aus dem Trump-Lager vorangetrieben wird. Klimaforschung, Diversität und selbst Impfstoffforschung werden populistisch angegriffen. Amerikanische Spitzenunis warnen bereits öffentlich vor einer Politisierung der Forschungsförderung. Und alle treibt die Frage um: Werden die propalästinensischen Protestcamps im Herbst, mitten in der heißen Phase des Wahlkampfs, wieder aufgebaut werden? Und wenn ja: Wie verhalten sich insbesondere die Demokraten dazu?

    • Forschung: Der Sicherheitsimperativ

    Aus deutscher Sicht ist verblüffend, wie konsequent Forschung in den USA aus einer Perspektive nationaler Sicherheit gedacht wird – übrigens überparteilich. Dabei geht es gleichermaßen um Sicherheit von Forschung (verhindern, dass Erkenntnisse in die falschen Hände geraten) wie um Sicherheit durch Forschung (die USA schützen). Ebenso verblüffend ist allerdings, wie weit der zugrundeliegende Sicherheitsbegriff ist. Es geht in sehr grundsätzlicher Weise darum, die eigenen Werte und Lebensweisen souverän erhalten und schützen zu können. Deshalb umfasst Sicherheit eben nicht nur Militär und Verteidigung, sondern auch technologische und ökonomische Wettbewerbsfähigkeit, selbst medizinische Forschung und Schulernährung fallen darunter. Mehrfach wurden die dual-use benefits betont, die sich daraus für die Zivilgesellschaft ergeben.

    China-Kooperationen: Sorge vor erhöhtem Begründungsaufwand

    • China: Kein Decoupling, aber mehr Sicherheitskultur

    Ein dominierendes Thema war der Umgang mit dem Systemrivalen China. Die politische Sorge vor einem nicht autorisierten Wissensabfluss gerade bei Zukunftstechnologien wie KI und Quanten ist groß – und wird von beiden Parteien geteilt. Sie wird bleiben, egal, wer die Wahl gewinnt. Beruhigend war: Niemand redet von Decoupling, stattdessen steht die Schaffung einer Culture of Research Security im Fokus, etwa durch verstärkte Sicherheitsschulungen.

    Aus der Wissenschaft war vor allem die Sorge vor einer Überregulierung zu hören, die den Begründungsaufwand für internationale Forschungsvorhaben so erhöht, dass Forschende sich frustriert abwenden und erst gar nichts mehr beantragen. Eine viel diskutierte Entwicklung in diesem Kontext ist die Gründung des Secure-Centers, einem von der National Science Foundation (NSF) mit viel Geld gefördertem Zentrum, das als one-stop-shop die akademische Community in Forschungssicherheitsfragen unterstützen soll. Da das Zentrum erst im Aufbau ist, ist es noch zu früh für praktische Einschätzungen. Klar sei, so die amerikanischen Kollegen, dass es nicht zu einem Bürokratiemonster werden dürfe, das die Agilität der Forschung einschränke. Als positiv wurde hervorgehoben, dass die Entscheidung, mit wem man wie kooperiere, in der Wissenschaft verbleibe und nicht durch die Politik erfolge.

    Talente: “missing millions” werden auch im eigenen Land gesucht     

    • Talente: Mehr heimischer Nachschub

    Die USA sind der größte Talentmagnet der Welt. Kein Land ist besser darin, ambitionierte Menschen von überall aus der Welt anzuziehen. Die ausreichende Versorgung mit Talenten insbesondere im MINT-Bereich wird in den USA – wenig überraschend – als sicherheitsrelevante Frage gesehen. Interessanterweise werden daraus zwei unterschiedliche Schlüsse gezogen. Einerseits wollen die USA durch attraktive Einwanderungspolitik weiter Toptalente aus aller Welt gewinnen. Zugleich setzen sie verstärkt auf heimische Talententwicklung, um unabhängiger von geopolitischen Konflikten und der talent supply chain anderer Länder, insbesondere China, zu werden. Mit gezielten Initiativen sollen die sogenannten “missing millions” in den USA für das Wissenschaftssystem gewonnen werden. Im Bereich MINT sind das vorwiegend Frauen und andere bisher unterrepräsentierte Gruppen.

    • Deutschland: Enger Verbündeter, der mehr Eigenverantwortung übernehmen muss

    Was folgt daraus für Deutschland? In allen Gesprächen wurde betont, wie wichtig Europa und besonders Deutschland als Kooperationspartner für die USA sind. Oft wurde mehr Zusammenarbeit gewünscht. Wir haben auch über Kooperationshürden, etwa beim Teilen von Forschungsdaten (hallo DSGVO!) gesprochen. Die Wissenschaft setzt also klar auf Kooperation, besonders mit like-minded countries. Die vielleicht wichtigste Botschaft ist dann auch keine genuin wissenschaftliche. Man muss davon ausgehen, dass die politische Aufmerksamkeit der USA sich weiter vom Atlantik Richtung Indopazifik verlagert. Für Europa und insbesondere Deutschland heißt das, mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit zu übernehmen, Stichwort: Zwei-Prozent-Ziel der NATO. Diese Entwicklung würde auch unter einer Präsidentin Harris stattfinden, wenn auch weniger rasant und explosiv als unter einem Präsidenten Trump. Die Folgen für Deutschland und Europa werden erheblich sein, angefangen von der Frage, woher die Milliarden für den Verteidigungshaushalt kommen sollen – und sie werden auch die Wissenschaft betreffen. Wir sollten uns darauf vorbereiten.

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    Heads

    Maria Leptin – Hüterin der europäischen Forschungsförderung

    Maria Leptin ist seit 2021 Präsidentin des European Research Council (ERC) zur Förderung der europäischen Grundlagenforschung.

    Maria Leptin ist eine Kämpferin, sagen langjährige Weggefährten. Kampfgeist wird die Präsidentin des European Research Council (ERC) brauchen, wenn in diesen Wochen die Felle in Brüssel verteilt werden. Mitte September will Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihr neues Kollegium vorstellen, darunter ihren Besetzungsvorschlag für das Wissenschaftskommissariat, dem der ERC zugeordnet ist.

    Oder verliert das Kommissariat, wie manche Insider befürchten, seine Eigenständigkeit und wird mit der Wirtschaft in einem Superministerium vereinigt? Sicher ist derzeit nur: Brüssel steuert auf einen heißen Herbst zu, mit viel Gerangel um Posten, Einfluss und ein möglichst großes Stück vom EU-Budget.

    Sie wirbt beständig für eine bessere Förderung des ERC

    Dass die wie auch immer geartete EU-Wissenschaftsbehörde gut abschneidet, ist wichtig für Maria Leptin. Denn der ERC bezieht seine Mittel aus diesem Geschäftsbereich und dass ihr die bis 2027 vorgesehenen zwei Milliarden Euro jährlich zur Förderung europäischer Grundlagenforschung nicht genug sind, hatte Leptin bereits 2021 gesagt. Das war zu Beginn ihrer ersten Amtszeit, die im kommenden Jahr endet, und an die sich eine weitere vierjährige Amtsperiode anschließen kann. 

    Seit 2021 wirbt die Wissenschaftsmanagerin in ihrer zupackend-fröhlichen Art für zwei große Ziele: mehr Verständnis für die Grundlagenforschung und eine bessere Förderung des ERC. Vor ihrer Zeit als ERC-Präsidentin war die renommierte Entwicklungsbiologin und studierte Mathematikerin zehn Jahre lang Direktorin der European Molecular Biology Organization (EMBO) in Heidelberg.

    Prägende Jahre bei Fritz Melchers und Christiane Nüsslein-Volhard

    Ihren hervorragenden Ruf als Wissenschaftlerin hat sie sich mit ihren Studien zur Taufliege Drosophila erworben. Seit 1994 ist sie Professorin am Institut für Genetik der Universität zu Köln. Prägend waren die Jahre als Doktorandin bei Fritz Melchers am Basel Institute for Immunology und als Forschungsgruppenleiterin bei Christiane Nüsslein-Volhard am Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie.

    Ihrer Mentorin ist Leptin weiterhin verbunden, etwa im Rahmen der Christiane Nüsslein-Volhard-Stiftung zur Förderung begabter junger Wissenschaftlerinnen, die Mitte September in Berlin und im Beisein von Altkanzlerin Angela Merkel ihr 20-jähriges Bestehen feiert. Maria Leptin kennt die internationale Wissenschaftsszene, nicht zuletzt durch ihre Forschungsaufenthalte an der École Normale Supérieure in Paris und als Gastforscherin am britischen Wellcome Trust Sanger Institute. Sie ist Mitglied hochrangiger Wissenschaftsakademien, darunter die britische Royal Academy, die amerikanische National Academy of Sciences und die Leopoldina. Die heute 70-Jährige stammt aus Hamburg.

    Dual Use und Umgang mit KI als neue Herausforderungen

    Jetzt warten große Aufgaben auf sie. Zum einen gilt es, die wissenschaftliche Exzellenz des ERC mit seinen Starting Grants, Advanced Grants und anderen Förderprogrammen für herausragende Grundlagenforschung in Europa hochzuhalten. Das ERC ist das Herzstück des Forschungsrahmenprogramms Horizon Europe, das noch bis 2027 läuft, und dessen Nachfolgeprogramm jetzt vorbereitet werden muss. Hinzu kommen neue forschungspolitische Herausforderungen, etwa im Kontext der Dual-Use-Debatte.

    Hier warnt Leptin vor Gefahren für die Wissenschaftsfreiheit: “Wenn der freie Informationsfluss eingeschränkt wird, verlangsamt sich der Fortschritt in Bereichen, die derzeit offen sind. Übertriebene Beschränkungen könnten auch die Anwerbung und Bindung von Spitzenkräften behindern, die für den technologischen Wettbewerb entscheidend sind”, sagte sie im Juli beim Treffen der G7-Forschungsminister in Bologna. Man wird hier einen vernünftigen Weg finden müssen – ebenso wie beim Umgang mit Künstlicher Intelligenz in der Wissenschaft oder im Open-Access-Streit um den Zugang zu Forschungsergebnissen.

    Bald werden die Weichen für die Zukunft des ERC gestellt

    Maria Leptin braucht potente Bundesgenossen, um ihre Ziele zu erreichen. Inwieweit Ursula von der Leyen, die den ERC in ihrer Bewerbungsrede für die zweite Ratspräsidentschaft nicht erwähnt hat, an ihrer Seite steht, ist noch unklar. Auf starke Unterstützung aus der deutschen Politik, wie es sie in den Anfangsjahren des ERC gab, kann Maria Leptin nicht uneingeschränkt bauen, zumindest nicht in dieser Legislatur. Aus der internationalen Wissenschaftscommunity kommt viel Anerkennung für ihren bisherigen Einsatz und ihre Initiativen. Um diese weiterhin in messbare Erfolge umzumünzen, braucht es, genau, Kampfgeist. Lilo Berg

    Beim Falling Walls Science Summit in Berlin spricht ERC-Präsidentin Maria Leptin bei einem von ihrer Institution organisierten Plenary Table. Die Diskussion über Forschungsförderung und wissenschaftliche Durchbrüche findet am 8. November um 9 Uhr statt. Weitere Porträts der Table.Briefings-Serie “Breakthrough-Minds” zum Falling Walls Science Summit 2024 lesen Sie hier.

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    Heads

    Katrin Böhning-Gaese, Ökologin und Biodiversitätsforscherin, bekommt die Karl-Ritter-von-Frisch Medaille 2024. Sie erhält den Preis, der als bedeutendster Wissenschaftspreis der Zoologie im deutschsprachigen Raum gilt, für ihre herausragende fachliche Expertise in der Biodiversitäts- und Landnutzungsforschung. Böhning-Gaese etablierte die Makroökologie als neue Teildisziplin der Ökologie in Deutschland und ist Vordenkerin in der Biozönoseforschung.

    Sabine Klauke, Chief Technology Officer von Airbus, ist mit dem Aachener Ingenieurpreis ausgezeichnet worden. Der Preis wird gemeinsam von RWTH und Stadt Aachen mit Unterstützung des VDI verliehen. Klauke bekam den Preis für ihr Engagement für den Klimaschutz und Nachhaltigkeit. 

    Ulf Richter soll neuer Kanzler der Universität Duisburg-Essen werden. Die Hochschulwahlversammlung hat den Wirtschaftsjuristen einstimmig gewählt. Richter folgt auf Jens Andreas Meinen, der nach Heidelberg gegangen ist. Richter war zuletzt Kanzler der Universität Siegen. An der Universität Duisburg-Essen will er den erfolgreichen Strategieprozess UDEVerwaltung2030# mit neuen Impulsen fortzusetzen.

    Tanja Schwerdtle, Lebensmittelchemikerin, ist neue Präsidentin des Max Rubner-Instituts. Sie war zuletzt Vizepräsidentin des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). Schwerdtle ist außerdem Honorarprofessorin für Lebensmitteltoxikologie an der Universität Potsdam sowie Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Gesellschaften und Gremien, darunter der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA und der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG.

    Petra Terhoeven wird neue Direktorin des Deutschen Historischen Instituts (DHI) in Rom. Die Historikerin folgt am 1. Oktober 2024 auf Martin Baumeister, der das Institut zwölf Jahre lang prägte und jetzt in den Ruhestand geht. Terhoeven ist seit 2012 Professorin für Europäische Kultur- und Zeitgeschichte in Göttingen. Ihre Schwerpunkte liegen in der Erforschung der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, insbesondere der transnationalen und vergleichenden Geschichte, des italienischen Faschismus sowie der Geschichte politischer Gewalt. 

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