Table.Briefing: Research

Hochschulen: Was den Boom der Privaten auslöst + Wofür die Leibnizpreisträger prämiert werden + Was die neue AI Factory in Stuttgart leisten soll

Liebe Leserin, lieber Leser,

in den vergangenen 20 Jahren haben sich die Studierendenzahlen an privaten Hochschulen in Deutschland nahezu verachtfacht. Fast 400.000 Studierende zahlen heute teils hohe Gebühren, um die vielfach flexibleren und praxisnahen Angebote zu nutzen. Worin sich der Boom genau begründet und welche Kehrseite er für Forschung und Arbeitsbedingungen hat, hat unser Autor Martin Renz zusammengetragen. Seine Analyse sollte auch ein Denkanstoß für staatliche Hochschulen und Universitäten sein.

Am gestrigen Mittwoch haben meine Kollegen Nicola Kuhrt und Markus Weisskopf exklusiv über neue, erstmals ungeschwärzte Dokumente zur Fördermittelaffäre im BMBF berichtet. Aus der E-Mail-Kommunikation der Leitungsebene, die auf Mai dieses Jahres datiert, wird ersichtlich: Mehrere Abteilungsleiter waren frühzeitig in die Ereignisse eingebunden.

Der BMBF-interne Austausch legt noch einmal nahe, dass die damalige Staatssekretärin Sabine Döring den Prüfauftrag angestoßen hat – jedenfalls schreiben dies drei Referatsleiter in einer E-Mail an die Zentralabteilung des Hauses. Massive Zweifel an der Prüfung werden lediglich vom zuständigen Projektträger formuliert. 

Wegen Schwärzungen ließen sich die Vorgänge bisher nur lückenhaft nachvollziehen. Bruchstückhaft waren Inhalte zur Kommunikation im BMBF bereits bekannt geworden. Vor allem durch die Anfragen der Initiative FragDenStaat bot sich ein erstes Bild zu den Vorgängen. Was die nun vorliegenden Dokumente über die Beteiligung von Ministerin Bettina Stark-Watzinger und weiterer Leitungsakteure aussagen, können Sie hier nachlesen.

Ihr
Tim Gabel
Bild von Tim  Gabel

Analyse

Hochschulen: Was der Boom der Privaten zu bedeuten hat 

Laut Statistischem Bundesamt waren 1995 circa 16.000 Studierende an privaten Hochschulen eingeschrieben, 2005 stieg die Zahl auf 54.000 und im Jahr 2023 auf 373.000. Anders ausgedrückt: 13 Prozent aller Studierenden in Deutschland haben sich für eine private Hochschule entschieden. 

Selbst die Coronapandemie und der demografisch bedingte Rückgang Studienberechtigter konnten den Anstieg der Studierendenzahlen an privaten Hochschulen nur verlangsamen. Zurückzuführen ist der Boom der Privaten vorwiegend auf das starke Wachstum privater Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW). 

Erfolg durch flexible Teilzeitstudiengänge 

Private HAWs konzentrieren sich in besonderem Maße auf “nicht-traditionelle” Zielgruppen, erläutert Sigrun Nickel, Leiterin für Hochschulforschung am Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Gemeint sind vor allem Berufstätige mit und ohne Abitur. Letztere haben sich über den beruflichen Weg für ein Studium qualifiziert, also ohne schulisch erworbene Hochschulzugangsberechtigung.  

Laut einem Datenmonitoring des CHE seien sieben der zehn am stärksten nachgefragten Hochschulen beim Studium ohne Abitur in privater Trägerschaft. Aber auch generell seien berufserfahrene Studierende sehr an Praxisnähe und zeitlicher Flexibilität interessiert, um Studium, Beruf und familiäre Verpflichtungen miteinander zu vereinbaren, erläutert Nickel.  

Trend: enge Verbindung zwischen Theorie und Praxis

Diese Bedürfnisse könnten staatliche HAWs und Universitäten in den letzten Jahren nicht zur Genüge abdecken, sagt Nickel. In diese Lücke stoßen die privaten Hochschulen. Dafür nehmen Studierende, etwa an der privaten International University (IU), für einen Bachelor oder Masterstudiengang Studiengebühren von 10.000 bis knapp 20.000 Euro in Kauf. Die können aber häufig von der Steuer abgesetzt werden oder werden bei berufsbegleitenden Modellen vom Arbeitgeber finanziert.  

CHE-Expertin Nickel zufolge geht der Trend bei Studieninteressierten allgemein stark in Richtung einer engen Verbindung von Theorie und Praxis: “Die Krux in Deutschland ist, dass die größte Zahl der Studienplätze an den forschungsorientierten Unis ist, obwohl das Gros der Leute studiert, um sich für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren”.  

Erhöhter Personalbedarf in der Lehre 

Das schnelle Wachstum privater HAWs führt auch zu einem erhöhten Bedarf an Lehrkräften. Die private IU schreibt beispielsweise regelmäßig Professuren aus. “Es wird in einigen Fächern händeringend geeignetes Personal für Professuren gesucht”, erläutert Hochschulforscher René Krempkow, der sowohl an der IU als auch an der staatlichen HTW Berlin lehrt. Für HAWs sei es gar nicht so leicht, gutes Personal zu finden. Zum einen konkurrieren sie in technischen und unternehmerischen Fächern mit der Wirtschaft. Zum anderen verlangt eine Anstellung an einer HAW drei bis fünf Jahre Berufserfahrung sowie einen starken Hang zur Lehre. 

Denn sowohl an staatlichen als auch an privaten HAWs ist ein Lehrdeputat von 16 bis 19 Semesterwochenstunden vorgesehen, also in etwa doppelt so viel wie an staatlichen Universitäten. Hinzu komme bei privaten HAW die finanzielle Abhängigkeit von den Studiengebühren, welche noch mal mehr die Lehre in den Vordergrund rücke, sagt Krempkow. 

Wenig Fokus auf Forschung 

Für Forschung bleibt neben der Lehre deshalb deutlich weniger Platz als an staatlichen Hochschulen. Ein Minimum muss aber aufrechterhalten werden, um die institutionelle Akkreditierung zu gewährleisten, betont Ralf Bläser, Leiter der Abteilung Hochschulinvestitionen und Akkreditierung des Wissenschaftsrats in einem Podcast.  

Die IU erprobt sich auch hier an flexiblen Modellen, erklärt René Krempkow. Beispielsweise indem sie kooperative Forschungscluster anfinanziere, um die Erfolgschancen von Drittmittelforschungsanträgen zu fördern. Eine andere Möglichkeit sei auch die Reduktion der Stundenanzahl oder ein Sabbatical. 

Diese Verlagerung der Forschung in die Freizeit ist für Krempkow aber “zweischneidig”. An staatlichen Hochschulen sei es selbstverständlich, dass überwiegend in der Arbeitszeit geforscht werde. “Da sehe ich schon strukturelle Nachteile bei den Fachhochschulen insgesamt, aber noch mehr bei den Privaten, weil der Druck durch die Studierendenorientierung schon noch mal höher ist.” 

Andere Arbeitsbedingungen und ausbleibende Beteiligung 

Ein weiterer Nachteil gegenüber staatlichen Einrichtungen sind die Arbeitsbedingungen. Nur auf den ersten Blick seien die Bedingungen an privaten HAW gerade auch wegen der unbefristeten Verträge besser, erklärt GEW-Vize Andreas Keller. Auf den zweiten Blick zeige sich, dass der Kündigungsschutz nicht besonders gut ausgeprägt ist, die Gehälter tendenziell schlechter und es gebe im Unterschied zu staatlichen Hochschulen häufig weder gewählte Interessenvertretungen noch Betriebsräte. 

Das sei auch problematisch, weil Beteiligungsstrukturen häufig als eine Art Frühwarnsystem fungieren, erklärt Keller. Exemplarisch zeige sich das am Fall eines Architekturstudiengangs der IU, über den die Hessenschau berichtet. Dieser wurde als berufsführend beworben, war aber nicht kammerfähig. Man konnte also gar nicht offiziell Architekt werden. Nun kommt es zu einer Klagewelle.  

So etwas sei bedingt durch Profitorientierung und könne durch aktive Studierendenvertretungen früher ans Licht kommen und angegangen werden, sagt Keller, der auch Mitglied des für die Zulassung von Studiengängen zuständigen Akkreditierungsrats ist. “Es kommt natürlich auch vor, dass staatliche Hochschulen einen Fehler machen, aber so ein Fall ist mir noch nicht untergekommen.” 

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Termine

12. Dezember 2024, 10:30 bis 18:00 Uhr. Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund, Luisenstraße 18, 10117 Berlin
Symposium der Leopoldina 10 Jahre Politikevaluierung in der Bundesregierung – Wo stehen wir heute? Ein Blick aus Wissenschaft und Politik Mehr

13. Dezember 2024, Leopoldina, Festsaal, Jägerberg 1, 06108 Halle (Saale)
Leopoldina-Weihnachtsvorlesung Über die Neandertaler und wie sie in uns weiterleben Mehr

18. Dezember 2024, WZB Berlin Social Science Center, Reichpietschufer 50, 10785 Berlin
Diskussion Islamismus und die politische Linke Mehr

14. Januar 2025, Deutsche Physikalische Gesellschaft, Humboldt-Universität zu Berlin, Invalidenstraße 42, 10115 Berlin
Festveranstaltung Eröffnung des Quantenjahres 2025 Mehr

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News

Leibniz-Preise 2025: Wer die Auszeichnung erhält

Die Biochemikerin Ana Pombo vom Max Delbrück Center ist eine von zehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2025 ausgezeichnet werden.
Eine von zehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2025 ausgezeichnet werden: die Biochemikerin Ana Pombo vom Max Delbrück Center in Berlin.

Seit 1986 zeichnet die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) jährlich Spitzenforscher mit dem “Förderpreis im Gottfried Wilhelm Leibniz-Programm” aus und fördert ihre Forschung mit jeweils bis zu 2,5 Millionen Euro. Im Jubiläumsjahr des bereits 1985 gegründeten Programms geht die Auszeichnung an zehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sie werden für ihre herausragende Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Geistes- und Sozialwissenschaften sowie der Lebenswissenschaften, Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften geehrt. 

Austausch mit ehemaligen Preisträgern 

Verliehen werden die Preise im März 2025 im Rahmen einer großen Jubiläumsveranstaltung in Berlin, zu der auch zahlreiche ehemalige Preisträger erwartet werden. 

Das sind die aktuellen Preisträger: 

  • Volker Haucke (Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie, Berlin) erhält den Preis für seine Arbeiten zum molekularen Verständnis des Lipidsignalings und der Signalübertragung an den Synapsen des Nervensystems. 
  • Hannes Leitgeb (LMU München) wird ausgezeichnet für seine Arbeiten in der mathematisch-analytischen Philosophie, die wesentliche Debatten in der Philosophie nachhaltig geprägt haben. 
  • Bettina Valeska Lotsch (Max-Planck-Institut für Festkörperforschung, Stuttgart) wird geehrt für ihre Arbeiten in der Festkörperchemie zwischen grundlagenorientierter Materialsynthese und der Entwicklung neuer Materialien. 
  • Wolfram Pernice (Universität Heidelberg) erhält den Preis für seine Arbeiten auf dem Gebiet des neuromorphen photonischen Rechnens, das physikalische Datenverarbeitung mit Künstlicher Intelligenz verbindet. 
  • Ana Pombo (Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, Berlin) für ihre Arbeiten zur 3D-Organisation von chromosomaler DNA im Zellkern. 
  • Daniel Rückert (TU München) wird ausgezeichnet für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz und des Maschinellen Lernens und deren Anwendungen in der Medizin. 
  • Angkana Rüland (Universität Bonn) für ihre Arbeiten in der Mathematischen Analysis, vor allem zu Modellen für Mikrostrukturen bei Phasenübergängen in Festkörpern und Inversen Problemen mit nichtlokalen Operatoren. 
  • Michael Seewald (Universität Münster) ist Preisträger für seine Arbeiten in der Systematischen Theologie, insbesondere der Dogmengeschichte und der Dogmenhermeneutik. 
  • Maria-Elena Torres-Padilla (Helmholtz Zentrum München) für ihre Arbeiten zur epigenetischen Plastizität und Reprogrammierung der Stammzellen in der Embryonalentwicklung von Säugetieren. 
  • Robert Zeiser (Universitätsklinikum Freiburg) für seine Arbeiten zur Erforschung und Behandlung von Blutkrebs, insbesondere zur Transplantatabstoßung und zur immunologischen “Tarnung” von Tumoren. 

Zu den bislang mehr als 400 Vorgängern der Ausgezeichneten gehörten unter anderem die Mediziner Christiane Nüsslein-Volhard und Svante Pääbo, der Chemiker Gerhard Ertl sowie die Physiker Reinhard Genzel und Ferenc Krausz. Sie alle erhielten später auch einen Nobelpreis. al 

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Zuschlag für AI Factory: HLRS Stuttgart ist dabei

Die Europäische Hochleistungsrechnen-Initiative EuroHPC JU hat sieben Standorte ausgewählt, an denen die von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigten AI Factorys eingerichtet werden sollen. Die Kommission betrachtet das als einen wichtigen Meilenstein beim Aufbau eines florierenden Ökosystems für das Training fortgeschrittener KI-Modelle und die Entwicklung von KI-Lösungen. Die AI Factorys sollen vor allem Start-ups sowie KMU den Zugang zu Hochleistungsrechenkapazitäten ermöglichen.

Hinter den AI Factorys steckt ein 1,5-Milliarden-Euro-Projekt, das die Ressourcen der Mitgliedstaaten und der EU bündelt. Ziel ist es, KI-Anwendungen in Schlüsselbereichen wie Gesundheit, Klimaschutz und Cybersicherheit voranzutreiben. Die Einrichtungen sollen als “One-Stop-Shops” fungieren, die Zugang zu KI-optimierten Supercomputern, Trainingsangeboten und technischer Expertise bieten.

Kombination von High-Performance-Computing- und KI-Anwendungen

Folgende sieben Standorte in der EU sind dabei:

  • Deutschland (HammerHAI): In Stuttgart entsteht eine flexible Plattform für Forschung und Industrie. Besonderes Augenmerk liegt auf der Kombination von High-Performance-Computing- und KI-Anwendungen. Nutzer erhalten Zugang zu vortrainierten Modellen, Workflow-Vorlagen und Schulungen.
  • Spanien (BSC AI Factory): In Barcelona wird das bestehende MareNostrum-5-System um KI-Funktionalitäten erweitert, einschließlich experimenteller Plattformen zur Erprobung neuer Technologien.
  • Finnland (LUMI AIF): In Kajaani wird das LUMI-Ökosystem um KI-optimierte Features erweitert, mit Fokus auf Datenzugänglichkeit und grenzüberschreitender Zusammenarbeit.
  • Italien (IT4LIA): Bologna plant eine leistungsstarke KI-Infrastruktur, die speziell für Anwendungen in Agrarwirtschaft, Cybersicherheit und Fertigung optimiert ist.
  • Luxemburg (Meluxina-AI): Der Schwerpunkt liegt auf KI für Finanzwesen, Raumfahrt, Cybersicherheit und grüne Technologien.
  • Schweden (MIMER): In Linköping stehen KI-Anwendungen in den Bereichen Life Sciences und Gaming im Vordergrund.
  • Griechenland (Pharos): Athen entwickelt eine Plattform, die ethische und rechtssichere KI-Produkte gemäß der EU-AI-Verordnung fördert.

Das Konsortium HammerHAI wird vom Höchstleistungsrechenzentrum der Universität Stuttgart (HLRS) koordiniert. Es soll den dringenden Bedarf an mehr künstlicher Intelligenz in der akademischen Forschung, aber auch bei Start-ups, KMU und der europäischen Industrie sowie im öffentlichen Sektor decken. “HammerHAI wird eine AI Factory einrichten, die eine sichere, für KI optimierte Supercomputing-Infrastruktur bietet, fachkundigen Service und Support bereitstellt sowie Lösungen entwickelt, die den Zugang zu leistungsstarken KI-Technologien und deren Nutzung erleichtern”, teilte das HLRS mit. vis

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OECD-Bildungsstudie: Fähigkeiten von Erwachsenen driften auseinander

Die Lese-, Schreib- und Rechenkenntnisse von Erwachsenen sind in Europa in den vergangenen zehn Jahren vor allem zurückgegangen oder stagnieren. Unterschiede sind vor allem bei der Lesekompetenz größer geworden. Das geht aus der zweiten internationalen Erhebung über die Kompetenzen von Erwachsenen (PIAAC) hervor, die am Dienstag von der OECD veröffentlicht und von der Europäischen Kommission mitfinanziert wurde.

Unter den verglichenen 31 Industriestaaten schnitt Finnland sowohl bei der Lese-, Rechen- als auch bei der Problemlösungskompetenz in der Erhebung am besten ab. Das Land erreichte auf einer Skala bis 500 mehr als 290 Punkte bei der durchschnittlichen Lese- und Rechenfähigkeit; 276 beim Problemlösen. 500 stellt den besten Wert in der Studie dar, 0 den schlechtesten. Auch die anderen nordischen Staaten Schweden, Dänemark und Norwegen schnitten überdurchschnittlich ab, obwohl sie sich im Vergleich zur früheren Untersuchung teils deutlich verschlechtert haben.

Deutschland landet mit einem Score von 266 bei der Lesekompetenz von Erwachsenen, 273 in Mathematik sowie 261 beim Problemlösen im oberen Mittelfeld. Länder wie Frankreich oder Spanien schnitten unterdurchschnittlich über die Kategorien hinweg ab.

In Deutschland ist das Elternhaus entscheidend

Allerdings: In fast keinem anderen Land gehen die Ergebnisse von Teilnehmern aus Elternhäusern mit geringer und hoher Bildung derart stark auseinander wie in Deutschland. Es sind laut Studie hierzulande immerhin mehr als 70 Punkte Unterschied bei der Lese- und Rechenkompetenz. Ähnliche Unterschiede weise unter den Industriestaaten sonst nur die Schweiz auf, schreiben die Autoren.

Generell warnt die OECD, dass der Anteil der Erwachsenen mit einer sehr geringen Lesekompetenz gestiegen ist – ein Trend, der nach den Ergebnissen der Studie immerhin in der Hälfte der Industriestaaten zu beobachten sei. In einem Drittel der Länder und Volkswirtschaften stieg außerdem der Anteil der Erwachsenen mit den niedrigsten Rechenkenntnissen.

Ein weiterer Punkt, der in der Studie kritisch hervorgehoben wird: Es gibt in vielen Ländern eine wachsende Diskrepanz bei den Fähigkeiten, insbesondere beim Leseverständnis. Auch in Deutschland. Hier sei der Anteil derjenigen mit sehr geringer Lese- und Schreibkompetenz zwar in etwa gleichgeblieben, während gleichzeitig mehr Erwachsene überdurchschnittlich oder exzellent lesen können (Stufen 4 und 5 in der Studie). Für die Erhebung wurden 2022 und 2023 in 31 Ländern mehr als 160.000 Menschen zwischen 16 und 65 getestet. lei

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Geo-Engineering: EU-Forscher sehen Risiken und fordern globales Abkommen

Wissenschaftler warnen vor gravierenden ökologischen, sozialen und geopolitischen Risiken von Sonnenstrahlungsmodifikation (Solar Radiation Modification/SRM). Die Group of Chief Scientific Advisors (GCSA), das zentrale wissenschaftliche Beratungsgremium der EU-Kommission, veröffentlichte am Montag einen Bericht zur Bewertung von SRM inklusive Politikempfehlungen. SRM bekämpfe die Symptome statt der Ursachen des Klimawandels, schreiben sie. Die Technologie würde die Erwärmung bestenfalls vorübergehend und auf lokaler Ebene verringern, während die Treibhausgaskonzentrationen und die Versauerung der Ozeane weiter zunehmen.

Durch SRM soll durch gezielte Reflexion von Sonnenlicht – beispielsweise durch Injektion stratosphärischer Aerosole, Wolkenaufhellung und -ausdünnung oder Weltraumspiegel – die globale Erwärmung temporär reduziert werden. Die Technologie ist jedoch hochumstritten.

Globales Governance-System für SRM

Die EU-Experten empfehlen, SRM-Einsätze vorerst zu verbieten und stattdessen proaktiv internationale Regulierungen voranzutreiben. Eine verantwortungsvolle Forschung solle mögliche Auswirkungen und ethische Fragen in regelmäßigen Abständen umfassend beleuchten, ohne andere Klimaschutzmaßnahmen zu verdrängen. Der Bericht könne dazu beitragen, “dringend benötigte transparente und verantwortliche Forschung” zu gewährleisten, kommentiert Matthias Honegger, Direktor für Klimainterventionen beim Centre for Future Generations.

Umweltorganisationen sehen SRM als Ablenkung von dringend notwendigen Emissionsreduktionen und fürchten die Legitimation von Geo-Engineering, sollte über einen internationalen Regulierungsrahmen verhandelt werden. Die EU solle sich stattdessen gemeinsam mit Regierungen aus Afrika und dem Pazifikraum für eine klare und robuste internationale Nichtnutzungsvereinbarung einsetzen, fordert Linda Schneider, Referentin für Internationale Klima- und Energiepolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung. luk

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Raumfahrt: Wer vom neuen Accelerator der Esa in München profitieren soll

Die Europäische Weltraumagentur (Esa) und UnternehmerTUM, das Gründungszentrum der TU München, starten gemeinsam mit dem Kapitalgeber Acitoflux den Esa Business Accelerator Germany. Das Programm soll stark wachsende Unternehmen aus der deutschen Raumfahrtbranche in den Bereichen Geschäftsmodellentwicklung, Marktdurchdringung und Finanzierung unterstützen. Das Programm startet ab sofort in München und soll auch in Stuttgart und Hamburg vertreten sein.

Der Esa Business Accelerator Germany baut auf dem Esa Business Incubator auf – der Gründungen in früheren Phasen unterstützt – und fokussiert sich auf das starke Wachstum und die Marktdurchdringung der teilnehmenden Unternehmen. Es ist europaweit das erste Programm dieser Art. Die Unternehmen sollen Zugang zu einem breiten Netzwerk aus Investorenschaft, Industriepartnern, öffentlichen Stakeholdern und Raumfahrtexperten erhalten.

Deutschland kann bei Raumfahrt-Patenten international mithalten

Selbst formuliertes Ziel ist es laut einer Mitteilung der UnternehmerTUM, damit auch den Aufbau einer Community innovativer Raumfahrtunternehmen innerhalb Deutschlands zu unterstützen und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Raumfahrtindustrie insgesamt zu stärken. Auf dem Esa Investor Forum 2024 wurde der Esa Business Accelerator Germany am Dienstag in Frankfurt vorgestellt. Scale-ups und interessierte Branchenakteure können sich ab sofort dem Programm anschließen.

Deutschland kann bei den Raumfahrt-Patenten mit großen Akteuren wie den USA oder Frankreich mithalten. Das hatte das 2023er-Gutachten der Expertenkommission für Forschung und Innovation ergeben. In eben diesem forderten die Berater der Bundesregierung allerdings auch, ein deutsches Weltraumgesetz, um Start-ups in dem Bereich Rechtssicherheit zu bieten. Nach dem Ampel-Aus wird der Entwurf der jetzigen Regierung dazu allerdings höchstwahrscheinlich nicht mehr in die Tat umgesetzt. tg

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Must Reads

Handelsblatt: Mehr, doch nicht genug. Im Jahr 2023 sind die gesamtwirtschaftlichen Investitionen Deutschlands in Forschung und Entwicklung stark gestiegen. Dennoch nahmen die Investitionen in anderen europäischen Ländern noch stärker zu. (“Verliert Deutschland bei der Forschung den Anschluss?”)

Tagesschau: Nobelpreisträger warnen vor Kennedy. 77 Nobelpreisträger warnen davor, Robert F. Kennedy Jr. zum US-Gesundheitsminister zu machen. Kennedy habe sich in der Vergangenheit als Gegner lebensrettender Impfstoffe hervorgetan, verbreite Verschwörungstheorien und sei ein scharfer Kritiker der ihm künftig unterstellten Behörden, wie der US-Arzneimittelbehörde. (“Nobelpreisträger warnen vor Kennedy als Minister”)

t3n: Gute Noten dank KI. Eine Studie zeigt, dass von KI erstellte Texte an Universitäten meist unentdeckt bleiben und den Studierenden sogar bessere Noten einbringen. Daher planen Professoren, künftig verstärkt auf mündliche Prüfungen zu setzen. (“Erfolg an der Uni: KI bleibt meist unentdeckt und bringt bessere Noten – laut Studie”)

Tagesspiegel: Ausstellung über Pogrome abgesagt. Die Freie Universität Berlin hat beschlossen, eine Ausstellung über Pogrome an Juden nicht zu zeigen. Solche öffentlichen und nicht unmittelbar betreuten Ausstellungen könnten starke Emotionen wecken und vor Ort intensive Debatten auslösen, die als unangemessen empfunden werden könnten. (“Nach ‘sorgfältiger Prüfung’: Freie Universität entscheidet sich gegen Pogrom-Ausstellung”)

Kieler Nachrichten: Weiter Streit in Kiel. Drei Wochen nach der Wahl von Insa Theesfeld zur neuen Präsidentin herrscht weiterhin Unruhe an der Kieler Christian-Albrechts-Universität (CAU). Der ehemalige Präsident Lutz Kipp, der sich erneut um das Spitzenamt beworben hatte, hat eine Konkurrentenklage eingereicht, wodurch das gesamte Verfahren überprüft werden muss. (“Uni Kiel kommt nicht zur Ruhe: Ex-Präsident reicht Konkurrentenklage ein”)

Forschung & Lehre: Mehr Geld. Thüringens Hochschulen erwarten durch den Koalitionsvertrag von CDU, BSW und SPD künftig mehr finanziellen Spielraum. Laut Kai-Uwe Sattler, Vorsitzender der Landespräsidentenkonferenz, ist darin vorgesehen, dass das Land die Pensionsrückstellungen übernimmt, die bisher von den Hochschulen selbst getragen werden mussten. Auch Kostensteigerungen durch Tarifabschlüsse oder Energiekosten sollen leichter berücksichtigt werden. (“Hochschulen hoffen auf mehr finanziellen Spielraum”)

Heads

Jürgen Zimmerer – Kolonialhistoriker und Eurozentrismus-Kritiker

Prof. Dr. Jürgen Zimmerer lehrt an der Universität Hamburg.

Jürgen Zimmerer zählt zu den profiliertesten Vertretern der antikolonialen Debatte in Deutschland. Doch seine kritische Haltung hatte der in Hamburg lehrende Historiker keineswegs schon immer, wie er im Gespräch mit Table.Briefings berichtet. “Ich habe in der Schule die zweifelhafte Ehre gehabt, einen der letzten waschechten Nazis im bayerischen Schuldienst als Geschichtslehrer zu haben”, erzählt Zimmerer. “Von ihm haben wir gelernt, der deutsche Kolonialismus war eine tolle Sache. Schlimm waren die Briten und die Franzosen.”

Zimmerer fand das als junger Schüler plausibel. “Diese ganze koloniale Nostalgie war überzeugend. Man fällt darauf sehr leicht herein”, sagt er. Erst während des Studiums habe er festgestellt, dass sein Geschichtsunterricht von Unwahrheiten geprägt war. Zimmerer studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Germanistik, zunächst an der Universität Regensburg, dann kam er mit einem Stipendium nach Oxford. Unter dem renommierten Kolonialhistoriker Terence Ranger schrieb Zimmerer 1991 seine Abschlussarbeit über die deutsche Kolonialherrschaft in Namibia, das ein Jahr zuvor unabhängig geworden war.

Kontinuitäten zwischen Kolonialismus und NS-Verbrechen

“Da habe ich festgestellt, alles, was ich in der Schule gelernt habe, war eine Lüge”, sagt Zimmerer. “Das hat mich sehr erschüttert.” Seither habe ihn das Thema nicht mehr losgelassen. So befasste er sich dann auch im Rahmen seiner Promotion an der Universität Freiburg mit der deutschen Kolonialpolitik in Deutsch-Südwestafrika (heutiges Namibia). Anschließend begann er Bücher zu schreiben, etwa über die Kontinuitäten zwischen der deutschen Kolonialpolitik und der Ostpolitik der Nationalsozialisten. “Mir fiel auf, dass vieles, was ich über den Nationalsozialismus und die Ostbesetzung im Studium lernte, mich sehr daran erinnerte, was ich aus Namibia von den Deutschen kannte”, beschreibt Zimmerer die Entstehungsgeschichte seines Buches “Von Windhuk nach Auschwitz?”.

Wenn man sich die deutsche Geschichte anschaut, dann sieht man im Abstand von 40 Jahren zweimal einen Genozid“, erklärt Zimmerer. “Es gab zweimal den Versuch, einen rassistischen Vernichtungskrieg zu führen, und es gab zweimal den Versuch, einen Rassenstaat zu errichten, mit allem, was dazugehört, etwa Rassentrennungsgesetze. Einmal im Kaiserreich, in Südwestafrika, einmal im NS-Regime, in Osteuropa.” Diese seien im Grunde von der gleichen Elite verübt worden, im Abstand von nur einer Generation. “Das ist ein sehr geringer Abstand. Es wäre schon sehr erstaunlich, wenn es hier keine Beziehung gäbe“, meint Zimmerer. Die drei tragenden Säulen dieser Verbrechen, Bürokratie, Wissenschaft und Militär, seien zudem stark von Lehrer-Schüler-Verhältnissen geprägt.

Renommierter Genozidforscher

“Der Ostkrieg, damit meine ich die Periode zwischen 1939 und 1945, war also im Grunde ein gigantischer Kolonialkrieg“, so Zimmerer. “Hier wurde eigentlich ein zweiter Versuch unternommen, ein deutsches Kolonialreich zu gründen.” Das sei auch durch Zitate von Hitler gut belegt, etwa: “Russland ist unser Indien.” Zimmerer betont aber, er wolle keine kausale Verbindung herstellen. “Es ist eher so, als die Nazis ’33 den Militärs und den Wissenschaftlern und den Bürokraten sagten, es gibt keine Bremsen mehr, da entfaltete sich wieder ein Denken, wie man es auch im Kolonialismus hat.”

Zimmerer ist auch Genozidforscher und einer der Mitgründer des International Network of Genocide Scholars. Von 2005 bis 2017 amtierte er als Gründungspräsident des Netzwerks. “Wir haben den Verband ziemlich genau 100 Jahre nach dem Genozid in Namibia gegründet”, sagt Zimmerer. Damals habe der deutsche Staat von dessen Aufarbeitung noch nichts wissen wollen. “Wir haben dann beschlossen, wenn Deutschland kein steinernes Denkmal baut, dann bauen wir quasi ein menschliches Denkmal, einen internationalen Verband, der den Genozid an den Herero und Nama zum Anlass nahm, um die Erforschung von Genozid international zu fördern. Und gleichzeitig damit das Verdrängen des Völkermordes in Deutschland zu unterlaufen. Und jetzt hat der Verband weltweit Mitglieder und führt alle zwei Jahre internationale Tagungen durch, ob in San Francisco, Kapstadt oder Jerusalem.”

Europa darf sich nicht einmauern

Doch der Wissenschaftler befasst sich nicht nur mit historischen Debatten. Auch mit Blick auf das aktuelle Verhältnis Europas zu Afrika äußert Zimmerer immer wieder scharfe Kritik. “Europa ist dabei, sich mental und physisch einzumauern“, sagt er. “Das wird verheerend sein, weil Europa historisch gesprochen ja nur Europa werden konnte, indem es in den Austausch mit der Welt trat. Das war oft gewaltsam, aber zugleich auch kultureller und intellektueller Natur.” Europa sei ein Kontinent, der sich nicht einmauern dürfe, ohne sein Wesen zu verraten.

Angesichts der historischen Zeitenwende und der wachsenden Rolle Afrikas kann Zimmerer nicht verstehen, warum Programme des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, das Budget der Goethe-Institute oder Humboldt Fellowships gekürzt werden: “Deutschland kürzt die Programme, mit denen man in Austausch mit anderen Ländern geht. Das ist völlig unverständlich.” Auch seine eigene Forschungsstelle an der Universität Hamburg soll nicht fortgeführt werden. Er verstehe nicht, was die Stadt Hamburg dazu bewogen habe, eine international anerkannte Forschungseinrichtung “gegen alle Zusagen zu zerschlagen”, schrieb er kürzlich auf X.

Verweis auf Menschenrechte in Afrika kaum glaubwürdig

“Ich glaube, dass Europa, und Deutschland ganz besonders, noch nicht gemerkt hat, dass das koloniale Zeitalter vorüber ist“, so Zimmerer zu Table.Briefings. “Wir sind jetzt im Übergang zur postkolonialen Globalisierung.” Diese zeichne sich durch eine radikale Dezentrierung Europas aus, sowohl militärisch und ökonomisch als auch intellektuell. Afrika hingegen sei ein Kontinent der Zukunft. “Das heißt, wir sind in Europa eigentlich das kleinere Anhängsel eines gigantischen Kontinents mit unglaublichem Potenzial“, meint Zimmerer. “Wir müssten alles tun, um mit Afrika in eine gleichberechtigte Kooperation zu kommen. Das tun wir nicht. Wir sind arrogant.”

Er verweist etwa auf das europäische Unverständnis über die Haltung afrikanischer Staaten zu Gaza und der Ukraine. “Die sind nicht per se auf der Seite des Westens. Wieso sind sie nicht auf der Seite des Westens? Wir sind doch die Guten, wir verteidigen doch die Menschenrechte.” Aus afrikanischer Perspektive sei das jedoch heuchlerisch. “Die Afrikaner haben die letzten 300 Jahre immer die Europäer erlebt, die sagen: Wir verteidigen die Menschenrechte. Und eigentlich waren sie immer der Gelackmeierte dabei. Die Glaubwürdigkeit Europas in puncto Menschenrechte ist in weiten Teilen Afrikas also ziemlich gering.”

Afrika, der prodemokratische Kontinent

Deutschland verspiele derzeit die letzten Reste seiner Glaubwürdigkeit, findet er. Unabhängig von den deutschen Absichten, der Ukraine zu helfen, oder aber der historischen Verpflichtung aus dem Holocaust nachzukommen, sei die Art und Weise, wie dies geschehe – die Außenwirkung – verheerend. Man müsse auch die Position der Anderen ernst nehmen. “Wir müssten das, was wir für uns beanspruchen, auch den Anderen zugestehen, etwa aus geschichtlichen Erfahrungen heraus zu agieren, und wir kämen ins Gespräch”, so Zimmerer.

“Ja, in Afrika gibt es autoritäre Elemente”, räumt er ein. Das sei aber nicht “typisch afrikanisch”, sondern ein globales Phänomen, sagt er mit Verweis auf Donald Trump und Viktor Orbán. “Zugleich gibt es in Afrika starke prodemokratische Bewegungen, während in Deutschland offenbar Teile der Gesellschaft die Demokratie abschaffen wollen.” Arne Schütte

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Mathias Berger, Mitbegründer der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT), ist von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN) mit der Wilhelm-Griesinger-Medaille ausgezeichnet worden. Der DGPPN-Preis zur Erforschung von psychischen Erkrankungen geht Juan Carlos Baldermann-Weiß von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg, Isabella Schneider von der Klinik für Allgemeine Psychiatrie am Universitätsklinikum Heidelberg und Elias Wagner von der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Universität Augsburg. Den DGPPN-Preis für Wissenschaftsjournalismus teilen sich Christopher Bonnen für einen Beitrag im GEO Magazin, Norbert Siegmund (ARD Kontraste) und Jochen Paulus (SWR2 Wissen). 

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Dessert

Eine junge Frau in Damaskus am Tag nach dem Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad.

Zum guten Schluss ist uns heute der Blick nach Syrien wichtig. Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, was die syrische Wissenschaftlerin Miryam Naddaf in einem Beitrag in Nature schreibt. “Ich zog 2013 nach Großbritannien, nachdem meine Geburts- und Heimatstadt Homs bis zur Unkenntlichkeit zerbombt worden war.” Wie sie sich am 8. Dezember gefühlt habe, dem Tag, an dem Assad gestürzt wurde, sei schwer in Worte zu fassen. “Ich habe die syrische Gemeinschaft in London noch nie so freudig erlebt.” Man habe sich auf dem Trafalgar Square in London versammelt, Fahnen geschwenkten, getanzt und Befreiungslieder gesungen.

Schulen und Universitäten wurden bombardiert

Auf Syriens Wissenschaftler komme jede Menge Arbeit zu. Zum einen für die Aufarbeitung: Angesichts der bereits entdeckten Massengräber und Gefängnisse würden zum Beispiel Gerichtsmediziner gebraucht, um die Verstorbenen und auch die Überlebenden zu identifizieren. Auch würden geografische Analysen erforderlich sein, um die als Gefängnisse genutzten Stätten sowie die Orte, an denen die Menschen begraben sind, zu lokalisieren.

Zum anderen stehe ihr Heimatland vor der riesigen Aufgabe, die syrischen Universitäten und Forschungseinrichtungen wiederaufzubauen. Denn nach dem arabischen Frühling im Jahr 2011 habe das syrische Regime auch Schulen und Universitäten bombardiert. “Meine eigene Grundschule wurde als Begräbnisstätte genutzt”, schreibt Naddaf.

Beim Wiederaufbau des Wissenschaftssystem helfen

Sie setzt auf die große Community syrischer Wissenschaftler, die im Ausland leben und arbeiten. “Viele haben gute Verbindungen zur internationalen Forschungsgemeinschaft und werden gebraucht, um die wissenschaftliche Ausbildung, Forschung und Infrastruktur wiederzubeleben.”

Der Sturz des Assad-Regimes sei das Ende einer Ära. Und der Beginn der Hoffnung, auch wenn ein langer und schwieriger Weg vor den Syrerinnen und Syrern liege. “Die vom Krieg zerrüttete Bildungs- und Wissenschaftsgemeinschaft des Landes hat die Chance, neu geboren zu werden. Dabei wird sie jede Hilfe von außen brauchen, die sie bekommen kann.” Anne Brüning

Research.Table Redaktion

RESEARCH.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    in den vergangenen 20 Jahren haben sich die Studierendenzahlen an privaten Hochschulen in Deutschland nahezu verachtfacht. Fast 400.000 Studierende zahlen heute teils hohe Gebühren, um die vielfach flexibleren und praxisnahen Angebote zu nutzen. Worin sich der Boom genau begründet und welche Kehrseite er für Forschung und Arbeitsbedingungen hat, hat unser Autor Martin Renz zusammengetragen. Seine Analyse sollte auch ein Denkanstoß für staatliche Hochschulen und Universitäten sein.

    Am gestrigen Mittwoch haben meine Kollegen Nicola Kuhrt und Markus Weisskopf exklusiv über neue, erstmals ungeschwärzte Dokumente zur Fördermittelaffäre im BMBF berichtet. Aus der E-Mail-Kommunikation der Leitungsebene, die auf Mai dieses Jahres datiert, wird ersichtlich: Mehrere Abteilungsleiter waren frühzeitig in die Ereignisse eingebunden.

    Der BMBF-interne Austausch legt noch einmal nahe, dass die damalige Staatssekretärin Sabine Döring den Prüfauftrag angestoßen hat – jedenfalls schreiben dies drei Referatsleiter in einer E-Mail an die Zentralabteilung des Hauses. Massive Zweifel an der Prüfung werden lediglich vom zuständigen Projektträger formuliert. 

    Wegen Schwärzungen ließen sich die Vorgänge bisher nur lückenhaft nachvollziehen. Bruchstückhaft waren Inhalte zur Kommunikation im BMBF bereits bekannt geworden. Vor allem durch die Anfragen der Initiative FragDenStaat bot sich ein erstes Bild zu den Vorgängen. Was die nun vorliegenden Dokumente über die Beteiligung von Ministerin Bettina Stark-Watzinger und weiterer Leitungsakteure aussagen, können Sie hier nachlesen.

    Ihr
    Tim Gabel
    Bild von Tim  Gabel

    Analyse

    Hochschulen: Was der Boom der Privaten zu bedeuten hat 

    Laut Statistischem Bundesamt waren 1995 circa 16.000 Studierende an privaten Hochschulen eingeschrieben, 2005 stieg die Zahl auf 54.000 und im Jahr 2023 auf 373.000. Anders ausgedrückt: 13 Prozent aller Studierenden in Deutschland haben sich für eine private Hochschule entschieden. 

    Selbst die Coronapandemie und der demografisch bedingte Rückgang Studienberechtigter konnten den Anstieg der Studierendenzahlen an privaten Hochschulen nur verlangsamen. Zurückzuführen ist der Boom der Privaten vorwiegend auf das starke Wachstum privater Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW). 

    Erfolg durch flexible Teilzeitstudiengänge 

    Private HAWs konzentrieren sich in besonderem Maße auf “nicht-traditionelle” Zielgruppen, erläutert Sigrun Nickel, Leiterin für Hochschulforschung am Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Gemeint sind vor allem Berufstätige mit und ohne Abitur. Letztere haben sich über den beruflichen Weg für ein Studium qualifiziert, also ohne schulisch erworbene Hochschulzugangsberechtigung.  

    Laut einem Datenmonitoring des CHE seien sieben der zehn am stärksten nachgefragten Hochschulen beim Studium ohne Abitur in privater Trägerschaft. Aber auch generell seien berufserfahrene Studierende sehr an Praxisnähe und zeitlicher Flexibilität interessiert, um Studium, Beruf und familiäre Verpflichtungen miteinander zu vereinbaren, erläutert Nickel.  

    Trend: enge Verbindung zwischen Theorie und Praxis

    Diese Bedürfnisse könnten staatliche HAWs und Universitäten in den letzten Jahren nicht zur Genüge abdecken, sagt Nickel. In diese Lücke stoßen die privaten Hochschulen. Dafür nehmen Studierende, etwa an der privaten International University (IU), für einen Bachelor oder Masterstudiengang Studiengebühren von 10.000 bis knapp 20.000 Euro in Kauf. Die können aber häufig von der Steuer abgesetzt werden oder werden bei berufsbegleitenden Modellen vom Arbeitgeber finanziert.  

    CHE-Expertin Nickel zufolge geht der Trend bei Studieninteressierten allgemein stark in Richtung einer engen Verbindung von Theorie und Praxis: “Die Krux in Deutschland ist, dass die größte Zahl der Studienplätze an den forschungsorientierten Unis ist, obwohl das Gros der Leute studiert, um sich für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren”.  

    Erhöhter Personalbedarf in der Lehre 

    Das schnelle Wachstum privater HAWs führt auch zu einem erhöhten Bedarf an Lehrkräften. Die private IU schreibt beispielsweise regelmäßig Professuren aus. “Es wird in einigen Fächern händeringend geeignetes Personal für Professuren gesucht”, erläutert Hochschulforscher René Krempkow, der sowohl an der IU als auch an der staatlichen HTW Berlin lehrt. Für HAWs sei es gar nicht so leicht, gutes Personal zu finden. Zum einen konkurrieren sie in technischen und unternehmerischen Fächern mit der Wirtschaft. Zum anderen verlangt eine Anstellung an einer HAW drei bis fünf Jahre Berufserfahrung sowie einen starken Hang zur Lehre. 

    Denn sowohl an staatlichen als auch an privaten HAWs ist ein Lehrdeputat von 16 bis 19 Semesterwochenstunden vorgesehen, also in etwa doppelt so viel wie an staatlichen Universitäten. Hinzu komme bei privaten HAW die finanzielle Abhängigkeit von den Studiengebühren, welche noch mal mehr die Lehre in den Vordergrund rücke, sagt Krempkow. 

    Wenig Fokus auf Forschung 

    Für Forschung bleibt neben der Lehre deshalb deutlich weniger Platz als an staatlichen Hochschulen. Ein Minimum muss aber aufrechterhalten werden, um die institutionelle Akkreditierung zu gewährleisten, betont Ralf Bläser, Leiter der Abteilung Hochschulinvestitionen und Akkreditierung des Wissenschaftsrats in einem Podcast.  

    Die IU erprobt sich auch hier an flexiblen Modellen, erklärt René Krempkow. Beispielsweise indem sie kooperative Forschungscluster anfinanziere, um die Erfolgschancen von Drittmittelforschungsanträgen zu fördern. Eine andere Möglichkeit sei auch die Reduktion der Stundenanzahl oder ein Sabbatical. 

    Diese Verlagerung der Forschung in die Freizeit ist für Krempkow aber “zweischneidig”. An staatlichen Hochschulen sei es selbstverständlich, dass überwiegend in der Arbeitszeit geforscht werde. “Da sehe ich schon strukturelle Nachteile bei den Fachhochschulen insgesamt, aber noch mehr bei den Privaten, weil der Druck durch die Studierendenorientierung schon noch mal höher ist.” 

    Andere Arbeitsbedingungen und ausbleibende Beteiligung 

    Ein weiterer Nachteil gegenüber staatlichen Einrichtungen sind die Arbeitsbedingungen. Nur auf den ersten Blick seien die Bedingungen an privaten HAW gerade auch wegen der unbefristeten Verträge besser, erklärt GEW-Vize Andreas Keller. Auf den zweiten Blick zeige sich, dass der Kündigungsschutz nicht besonders gut ausgeprägt ist, die Gehälter tendenziell schlechter und es gebe im Unterschied zu staatlichen Hochschulen häufig weder gewählte Interessenvertretungen noch Betriebsräte. 

    Das sei auch problematisch, weil Beteiligungsstrukturen häufig als eine Art Frühwarnsystem fungieren, erklärt Keller. Exemplarisch zeige sich das am Fall eines Architekturstudiengangs der IU, über den die Hessenschau berichtet. Dieser wurde als berufsführend beworben, war aber nicht kammerfähig. Man konnte also gar nicht offiziell Architekt werden. Nun kommt es zu einer Klagewelle.  

    So etwas sei bedingt durch Profitorientierung und könne durch aktive Studierendenvertretungen früher ans Licht kommen und angegangen werden, sagt Keller, der auch Mitglied des für die Zulassung von Studiengängen zuständigen Akkreditierungsrats ist. “Es kommt natürlich auch vor, dass staatliche Hochschulen einen Fehler machen, aber so ein Fall ist mir noch nicht untergekommen.” 

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    Termine

    12. Dezember 2024, 10:30 bis 18:00 Uhr. Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund, Luisenstraße 18, 10117 Berlin
    Symposium der Leopoldina 10 Jahre Politikevaluierung in der Bundesregierung – Wo stehen wir heute? Ein Blick aus Wissenschaft und Politik Mehr

    13. Dezember 2024, Leopoldina, Festsaal, Jägerberg 1, 06108 Halle (Saale)
    Leopoldina-Weihnachtsvorlesung Über die Neandertaler und wie sie in uns weiterleben Mehr

    18. Dezember 2024, WZB Berlin Social Science Center, Reichpietschufer 50, 10785 Berlin
    Diskussion Islamismus und die politische Linke Mehr

    14. Januar 2025, Deutsche Physikalische Gesellschaft, Humboldt-Universität zu Berlin, Invalidenstraße 42, 10115 Berlin
    Festveranstaltung Eröffnung des Quantenjahres 2025 Mehr

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    News

    Leibniz-Preise 2025: Wer die Auszeichnung erhält

    Die Biochemikerin Ana Pombo vom Max Delbrück Center ist eine von zehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2025 ausgezeichnet werden.
    Eine von zehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2025 ausgezeichnet werden: die Biochemikerin Ana Pombo vom Max Delbrück Center in Berlin.

    Seit 1986 zeichnet die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) jährlich Spitzenforscher mit dem “Förderpreis im Gottfried Wilhelm Leibniz-Programm” aus und fördert ihre Forschung mit jeweils bis zu 2,5 Millionen Euro. Im Jubiläumsjahr des bereits 1985 gegründeten Programms geht die Auszeichnung an zehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sie werden für ihre herausragende Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Geistes- und Sozialwissenschaften sowie der Lebenswissenschaften, Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften geehrt. 

    Austausch mit ehemaligen Preisträgern 

    Verliehen werden die Preise im März 2025 im Rahmen einer großen Jubiläumsveranstaltung in Berlin, zu der auch zahlreiche ehemalige Preisträger erwartet werden. 

    Das sind die aktuellen Preisträger: 

    • Volker Haucke (Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie, Berlin) erhält den Preis für seine Arbeiten zum molekularen Verständnis des Lipidsignalings und der Signalübertragung an den Synapsen des Nervensystems. 
    • Hannes Leitgeb (LMU München) wird ausgezeichnet für seine Arbeiten in der mathematisch-analytischen Philosophie, die wesentliche Debatten in der Philosophie nachhaltig geprägt haben. 
    • Bettina Valeska Lotsch (Max-Planck-Institut für Festkörperforschung, Stuttgart) wird geehrt für ihre Arbeiten in der Festkörperchemie zwischen grundlagenorientierter Materialsynthese und der Entwicklung neuer Materialien. 
    • Wolfram Pernice (Universität Heidelberg) erhält den Preis für seine Arbeiten auf dem Gebiet des neuromorphen photonischen Rechnens, das physikalische Datenverarbeitung mit Künstlicher Intelligenz verbindet. 
    • Ana Pombo (Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, Berlin) für ihre Arbeiten zur 3D-Organisation von chromosomaler DNA im Zellkern. 
    • Daniel Rückert (TU München) wird ausgezeichnet für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz und des Maschinellen Lernens und deren Anwendungen in der Medizin. 
    • Angkana Rüland (Universität Bonn) für ihre Arbeiten in der Mathematischen Analysis, vor allem zu Modellen für Mikrostrukturen bei Phasenübergängen in Festkörpern und Inversen Problemen mit nichtlokalen Operatoren. 
    • Michael Seewald (Universität Münster) ist Preisträger für seine Arbeiten in der Systematischen Theologie, insbesondere der Dogmengeschichte und der Dogmenhermeneutik. 
    • Maria-Elena Torres-Padilla (Helmholtz Zentrum München) für ihre Arbeiten zur epigenetischen Plastizität und Reprogrammierung der Stammzellen in der Embryonalentwicklung von Säugetieren. 
    • Robert Zeiser (Universitätsklinikum Freiburg) für seine Arbeiten zur Erforschung und Behandlung von Blutkrebs, insbesondere zur Transplantatabstoßung und zur immunologischen “Tarnung” von Tumoren. 

    Zu den bislang mehr als 400 Vorgängern der Ausgezeichneten gehörten unter anderem die Mediziner Christiane Nüsslein-Volhard und Svante Pääbo, der Chemiker Gerhard Ertl sowie die Physiker Reinhard Genzel und Ferenc Krausz. Sie alle erhielten später auch einen Nobelpreis. al 

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    Zuschlag für AI Factory: HLRS Stuttgart ist dabei

    Die Europäische Hochleistungsrechnen-Initiative EuroHPC JU hat sieben Standorte ausgewählt, an denen die von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigten AI Factorys eingerichtet werden sollen. Die Kommission betrachtet das als einen wichtigen Meilenstein beim Aufbau eines florierenden Ökosystems für das Training fortgeschrittener KI-Modelle und die Entwicklung von KI-Lösungen. Die AI Factorys sollen vor allem Start-ups sowie KMU den Zugang zu Hochleistungsrechenkapazitäten ermöglichen.

    Hinter den AI Factorys steckt ein 1,5-Milliarden-Euro-Projekt, das die Ressourcen der Mitgliedstaaten und der EU bündelt. Ziel ist es, KI-Anwendungen in Schlüsselbereichen wie Gesundheit, Klimaschutz und Cybersicherheit voranzutreiben. Die Einrichtungen sollen als “One-Stop-Shops” fungieren, die Zugang zu KI-optimierten Supercomputern, Trainingsangeboten und technischer Expertise bieten.

    Kombination von High-Performance-Computing- und KI-Anwendungen

    Folgende sieben Standorte in der EU sind dabei:

    • Deutschland (HammerHAI): In Stuttgart entsteht eine flexible Plattform für Forschung und Industrie. Besonderes Augenmerk liegt auf der Kombination von High-Performance-Computing- und KI-Anwendungen. Nutzer erhalten Zugang zu vortrainierten Modellen, Workflow-Vorlagen und Schulungen.
    • Spanien (BSC AI Factory): In Barcelona wird das bestehende MareNostrum-5-System um KI-Funktionalitäten erweitert, einschließlich experimenteller Plattformen zur Erprobung neuer Technologien.
    • Finnland (LUMI AIF): In Kajaani wird das LUMI-Ökosystem um KI-optimierte Features erweitert, mit Fokus auf Datenzugänglichkeit und grenzüberschreitender Zusammenarbeit.
    • Italien (IT4LIA): Bologna plant eine leistungsstarke KI-Infrastruktur, die speziell für Anwendungen in Agrarwirtschaft, Cybersicherheit und Fertigung optimiert ist.
    • Luxemburg (Meluxina-AI): Der Schwerpunkt liegt auf KI für Finanzwesen, Raumfahrt, Cybersicherheit und grüne Technologien.
    • Schweden (MIMER): In Linköping stehen KI-Anwendungen in den Bereichen Life Sciences und Gaming im Vordergrund.
    • Griechenland (Pharos): Athen entwickelt eine Plattform, die ethische und rechtssichere KI-Produkte gemäß der EU-AI-Verordnung fördert.

    Das Konsortium HammerHAI wird vom Höchstleistungsrechenzentrum der Universität Stuttgart (HLRS) koordiniert. Es soll den dringenden Bedarf an mehr künstlicher Intelligenz in der akademischen Forschung, aber auch bei Start-ups, KMU und der europäischen Industrie sowie im öffentlichen Sektor decken. “HammerHAI wird eine AI Factory einrichten, die eine sichere, für KI optimierte Supercomputing-Infrastruktur bietet, fachkundigen Service und Support bereitstellt sowie Lösungen entwickelt, die den Zugang zu leistungsstarken KI-Technologien und deren Nutzung erleichtern”, teilte das HLRS mit. vis

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    OECD-Bildungsstudie: Fähigkeiten von Erwachsenen driften auseinander

    Die Lese-, Schreib- und Rechenkenntnisse von Erwachsenen sind in Europa in den vergangenen zehn Jahren vor allem zurückgegangen oder stagnieren. Unterschiede sind vor allem bei der Lesekompetenz größer geworden. Das geht aus der zweiten internationalen Erhebung über die Kompetenzen von Erwachsenen (PIAAC) hervor, die am Dienstag von der OECD veröffentlicht und von der Europäischen Kommission mitfinanziert wurde.

    Unter den verglichenen 31 Industriestaaten schnitt Finnland sowohl bei der Lese-, Rechen- als auch bei der Problemlösungskompetenz in der Erhebung am besten ab. Das Land erreichte auf einer Skala bis 500 mehr als 290 Punkte bei der durchschnittlichen Lese- und Rechenfähigkeit; 276 beim Problemlösen. 500 stellt den besten Wert in der Studie dar, 0 den schlechtesten. Auch die anderen nordischen Staaten Schweden, Dänemark und Norwegen schnitten überdurchschnittlich ab, obwohl sie sich im Vergleich zur früheren Untersuchung teils deutlich verschlechtert haben.

    Deutschland landet mit einem Score von 266 bei der Lesekompetenz von Erwachsenen, 273 in Mathematik sowie 261 beim Problemlösen im oberen Mittelfeld. Länder wie Frankreich oder Spanien schnitten unterdurchschnittlich über die Kategorien hinweg ab.

    In Deutschland ist das Elternhaus entscheidend

    Allerdings: In fast keinem anderen Land gehen die Ergebnisse von Teilnehmern aus Elternhäusern mit geringer und hoher Bildung derart stark auseinander wie in Deutschland. Es sind laut Studie hierzulande immerhin mehr als 70 Punkte Unterschied bei der Lese- und Rechenkompetenz. Ähnliche Unterschiede weise unter den Industriestaaten sonst nur die Schweiz auf, schreiben die Autoren.

    Generell warnt die OECD, dass der Anteil der Erwachsenen mit einer sehr geringen Lesekompetenz gestiegen ist – ein Trend, der nach den Ergebnissen der Studie immerhin in der Hälfte der Industriestaaten zu beobachten sei. In einem Drittel der Länder und Volkswirtschaften stieg außerdem der Anteil der Erwachsenen mit den niedrigsten Rechenkenntnissen.

    Ein weiterer Punkt, der in der Studie kritisch hervorgehoben wird: Es gibt in vielen Ländern eine wachsende Diskrepanz bei den Fähigkeiten, insbesondere beim Leseverständnis. Auch in Deutschland. Hier sei der Anteil derjenigen mit sehr geringer Lese- und Schreibkompetenz zwar in etwa gleichgeblieben, während gleichzeitig mehr Erwachsene überdurchschnittlich oder exzellent lesen können (Stufen 4 und 5 in der Studie). Für die Erhebung wurden 2022 und 2023 in 31 Ländern mehr als 160.000 Menschen zwischen 16 und 65 getestet. lei

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    Geo-Engineering: EU-Forscher sehen Risiken und fordern globales Abkommen

    Wissenschaftler warnen vor gravierenden ökologischen, sozialen und geopolitischen Risiken von Sonnenstrahlungsmodifikation (Solar Radiation Modification/SRM). Die Group of Chief Scientific Advisors (GCSA), das zentrale wissenschaftliche Beratungsgremium der EU-Kommission, veröffentlichte am Montag einen Bericht zur Bewertung von SRM inklusive Politikempfehlungen. SRM bekämpfe die Symptome statt der Ursachen des Klimawandels, schreiben sie. Die Technologie würde die Erwärmung bestenfalls vorübergehend und auf lokaler Ebene verringern, während die Treibhausgaskonzentrationen und die Versauerung der Ozeane weiter zunehmen.

    Durch SRM soll durch gezielte Reflexion von Sonnenlicht – beispielsweise durch Injektion stratosphärischer Aerosole, Wolkenaufhellung und -ausdünnung oder Weltraumspiegel – die globale Erwärmung temporär reduziert werden. Die Technologie ist jedoch hochumstritten.

    Globales Governance-System für SRM

    Die EU-Experten empfehlen, SRM-Einsätze vorerst zu verbieten und stattdessen proaktiv internationale Regulierungen voranzutreiben. Eine verantwortungsvolle Forschung solle mögliche Auswirkungen und ethische Fragen in regelmäßigen Abständen umfassend beleuchten, ohne andere Klimaschutzmaßnahmen zu verdrängen. Der Bericht könne dazu beitragen, “dringend benötigte transparente und verantwortliche Forschung” zu gewährleisten, kommentiert Matthias Honegger, Direktor für Klimainterventionen beim Centre for Future Generations.

    Umweltorganisationen sehen SRM als Ablenkung von dringend notwendigen Emissionsreduktionen und fürchten die Legitimation von Geo-Engineering, sollte über einen internationalen Regulierungsrahmen verhandelt werden. Die EU solle sich stattdessen gemeinsam mit Regierungen aus Afrika und dem Pazifikraum für eine klare und robuste internationale Nichtnutzungsvereinbarung einsetzen, fordert Linda Schneider, Referentin für Internationale Klima- und Energiepolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung. luk

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    Raumfahrt: Wer vom neuen Accelerator der Esa in München profitieren soll

    Die Europäische Weltraumagentur (Esa) und UnternehmerTUM, das Gründungszentrum der TU München, starten gemeinsam mit dem Kapitalgeber Acitoflux den Esa Business Accelerator Germany. Das Programm soll stark wachsende Unternehmen aus der deutschen Raumfahrtbranche in den Bereichen Geschäftsmodellentwicklung, Marktdurchdringung und Finanzierung unterstützen. Das Programm startet ab sofort in München und soll auch in Stuttgart und Hamburg vertreten sein.

    Der Esa Business Accelerator Germany baut auf dem Esa Business Incubator auf – der Gründungen in früheren Phasen unterstützt – und fokussiert sich auf das starke Wachstum und die Marktdurchdringung der teilnehmenden Unternehmen. Es ist europaweit das erste Programm dieser Art. Die Unternehmen sollen Zugang zu einem breiten Netzwerk aus Investorenschaft, Industriepartnern, öffentlichen Stakeholdern und Raumfahrtexperten erhalten.

    Deutschland kann bei Raumfahrt-Patenten international mithalten

    Selbst formuliertes Ziel ist es laut einer Mitteilung der UnternehmerTUM, damit auch den Aufbau einer Community innovativer Raumfahrtunternehmen innerhalb Deutschlands zu unterstützen und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Raumfahrtindustrie insgesamt zu stärken. Auf dem Esa Investor Forum 2024 wurde der Esa Business Accelerator Germany am Dienstag in Frankfurt vorgestellt. Scale-ups und interessierte Branchenakteure können sich ab sofort dem Programm anschließen.

    Deutschland kann bei den Raumfahrt-Patenten mit großen Akteuren wie den USA oder Frankreich mithalten. Das hatte das 2023er-Gutachten der Expertenkommission für Forschung und Innovation ergeben. In eben diesem forderten die Berater der Bundesregierung allerdings auch, ein deutsches Weltraumgesetz, um Start-ups in dem Bereich Rechtssicherheit zu bieten. Nach dem Ampel-Aus wird der Entwurf der jetzigen Regierung dazu allerdings höchstwahrscheinlich nicht mehr in die Tat umgesetzt. tg

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    Must Reads

    Handelsblatt: Mehr, doch nicht genug. Im Jahr 2023 sind die gesamtwirtschaftlichen Investitionen Deutschlands in Forschung und Entwicklung stark gestiegen. Dennoch nahmen die Investitionen in anderen europäischen Ländern noch stärker zu. (“Verliert Deutschland bei der Forschung den Anschluss?”)

    Tagesschau: Nobelpreisträger warnen vor Kennedy. 77 Nobelpreisträger warnen davor, Robert F. Kennedy Jr. zum US-Gesundheitsminister zu machen. Kennedy habe sich in der Vergangenheit als Gegner lebensrettender Impfstoffe hervorgetan, verbreite Verschwörungstheorien und sei ein scharfer Kritiker der ihm künftig unterstellten Behörden, wie der US-Arzneimittelbehörde. (“Nobelpreisträger warnen vor Kennedy als Minister”)

    t3n: Gute Noten dank KI. Eine Studie zeigt, dass von KI erstellte Texte an Universitäten meist unentdeckt bleiben und den Studierenden sogar bessere Noten einbringen. Daher planen Professoren, künftig verstärkt auf mündliche Prüfungen zu setzen. (“Erfolg an der Uni: KI bleibt meist unentdeckt und bringt bessere Noten – laut Studie”)

    Tagesspiegel: Ausstellung über Pogrome abgesagt. Die Freie Universität Berlin hat beschlossen, eine Ausstellung über Pogrome an Juden nicht zu zeigen. Solche öffentlichen und nicht unmittelbar betreuten Ausstellungen könnten starke Emotionen wecken und vor Ort intensive Debatten auslösen, die als unangemessen empfunden werden könnten. (“Nach ‘sorgfältiger Prüfung’: Freie Universität entscheidet sich gegen Pogrom-Ausstellung”)

    Kieler Nachrichten: Weiter Streit in Kiel. Drei Wochen nach der Wahl von Insa Theesfeld zur neuen Präsidentin herrscht weiterhin Unruhe an der Kieler Christian-Albrechts-Universität (CAU). Der ehemalige Präsident Lutz Kipp, der sich erneut um das Spitzenamt beworben hatte, hat eine Konkurrentenklage eingereicht, wodurch das gesamte Verfahren überprüft werden muss. (“Uni Kiel kommt nicht zur Ruhe: Ex-Präsident reicht Konkurrentenklage ein”)

    Forschung & Lehre: Mehr Geld. Thüringens Hochschulen erwarten durch den Koalitionsvertrag von CDU, BSW und SPD künftig mehr finanziellen Spielraum. Laut Kai-Uwe Sattler, Vorsitzender der Landespräsidentenkonferenz, ist darin vorgesehen, dass das Land die Pensionsrückstellungen übernimmt, die bisher von den Hochschulen selbst getragen werden mussten. Auch Kostensteigerungen durch Tarifabschlüsse oder Energiekosten sollen leichter berücksichtigt werden. (“Hochschulen hoffen auf mehr finanziellen Spielraum”)

    Heads

    Jürgen Zimmerer – Kolonialhistoriker und Eurozentrismus-Kritiker

    Prof. Dr. Jürgen Zimmerer lehrt an der Universität Hamburg.

    Jürgen Zimmerer zählt zu den profiliertesten Vertretern der antikolonialen Debatte in Deutschland. Doch seine kritische Haltung hatte der in Hamburg lehrende Historiker keineswegs schon immer, wie er im Gespräch mit Table.Briefings berichtet. “Ich habe in der Schule die zweifelhafte Ehre gehabt, einen der letzten waschechten Nazis im bayerischen Schuldienst als Geschichtslehrer zu haben”, erzählt Zimmerer. “Von ihm haben wir gelernt, der deutsche Kolonialismus war eine tolle Sache. Schlimm waren die Briten und die Franzosen.”

    Zimmerer fand das als junger Schüler plausibel. “Diese ganze koloniale Nostalgie war überzeugend. Man fällt darauf sehr leicht herein”, sagt er. Erst während des Studiums habe er festgestellt, dass sein Geschichtsunterricht von Unwahrheiten geprägt war. Zimmerer studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Germanistik, zunächst an der Universität Regensburg, dann kam er mit einem Stipendium nach Oxford. Unter dem renommierten Kolonialhistoriker Terence Ranger schrieb Zimmerer 1991 seine Abschlussarbeit über die deutsche Kolonialherrschaft in Namibia, das ein Jahr zuvor unabhängig geworden war.

    Kontinuitäten zwischen Kolonialismus und NS-Verbrechen

    “Da habe ich festgestellt, alles, was ich in der Schule gelernt habe, war eine Lüge”, sagt Zimmerer. “Das hat mich sehr erschüttert.” Seither habe ihn das Thema nicht mehr losgelassen. So befasste er sich dann auch im Rahmen seiner Promotion an der Universität Freiburg mit der deutschen Kolonialpolitik in Deutsch-Südwestafrika (heutiges Namibia). Anschließend begann er Bücher zu schreiben, etwa über die Kontinuitäten zwischen der deutschen Kolonialpolitik und der Ostpolitik der Nationalsozialisten. “Mir fiel auf, dass vieles, was ich über den Nationalsozialismus und die Ostbesetzung im Studium lernte, mich sehr daran erinnerte, was ich aus Namibia von den Deutschen kannte”, beschreibt Zimmerer die Entstehungsgeschichte seines Buches “Von Windhuk nach Auschwitz?”.

    Wenn man sich die deutsche Geschichte anschaut, dann sieht man im Abstand von 40 Jahren zweimal einen Genozid“, erklärt Zimmerer. “Es gab zweimal den Versuch, einen rassistischen Vernichtungskrieg zu führen, und es gab zweimal den Versuch, einen Rassenstaat zu errichten, mit allem, was dazugehört, etwa Rassentrennungsgesetze. Einmal im Kaiserreich, in Südwestafrika, einmal im NS-Regime, in Osteuropa.” Diese seien im Grunde von der gleichen Elite verübt worden, im Abstand von nur einer Generation. “Das ist ein sehr geringer Abstand. Es wäre schon sehr erstaunlich, wenn es hier keine Beziehung gäbe“, meint Zimmerer. Die drei tragenden Säulen dieser Verbrechen, Bürokratie, Wissenschaft und Militär, seien zudem stark von Lehrer-Schüler-Verhältnissen geprägt.

    Renommierter Genozidforscher

    “Der Ostkrieg, damit meine ich die Periode zwischen 1939 und 1945, war also im Grunde ein gigantischer Kolonialkrieg“, so Zimmerer. “Hier wurde eigentlich ein zweiter Versuch unternommen, ein deutsches Kolonialreich zu gründen.” Das sei auch durch Zitate von Hitler gut belegt, etwa: “Russland ist unser Indien.” Zimmerer betont aber, er wolle keine kausale Verbindung herstellen. “Es ist eher so, als die Nazis ’33 den Militärs und den Wissenschaftlern und den Bürokraten sagten, es gibt keine Bremsen mehr, da entfaltete sich wieder ein Denken, wie man es auch im Kolonialismus hat.”

    Zimmerer ist auch Genozidforscher und einer der Mitgründer des International Network of Genocide Scholars. Von 2005 bis 2017 amtierte er als Gründungspräsident des Netzwerks. “Wir haben den Verband ziemlich genau 100 Jahre nach dem Genozid in Namibia gegründet”, sagt Zimmerer. Damals habe der deutsche Staat von dessen Aufarbeitung noch nichts wissen wollen. “Wir haben dann beschlossen, wenn Deutschland kein steinernes Denkmal baut, dann bauen wir quasi ein menschliches Denkmal, einen internationalen Verband, der den Genozid an den Herero und Nama zum Anlass nahm, um die Erforschung von Genozid international zu fördern. Und gleichzeitig damit das Verdrängen des Völkermordes in Deutschland zu unterlaufen. Und jetzt hat der Verband weltweit Mitglieder und führt alle zwei Jahre internationale Tagungen durch, ob in San Francisco, Kapstadt oder Jerusalem.”

    Europa darf sich nicht einmauern

    Doch der Wissenschaftler befasst sich nicht nur mit historischen Debatten. Auch mit Blick auf das aktuelle Verhältnis Europas zu Afrika äußert Zimmerer immer wieder scharfe Kritik. “Europa ist dabei, sich mental und physisch einzumauern“, sagt er. “Das wird verheerend sein, weil Europa historisch gesprochen ja nur Europa werden konnte, indem es in den Austausch mit der Welt trat. Das war oft gewaltsam, aber zugleich auch kultureller und intellektueller Natur.” Europa sei ein Kontinent, der sich nicht einmauern dürfe, ohne sein Wesen zu verraten.

    Angesichts der historischen Zeitenwende und der wachsenden Rolle Afrikas kann Zimmerer nicht verstehen, warum Programme des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, das Budget der Goethe-Institute oder Humboldt Fellowships gekürzt werden: “Deutschland kürzt die Programme, mit denen man in Austausch mit anderen Ländern geht. Das ist völlig unverständlich.” Auch seine eigene Forschungsstelle an der Universität Hamburg soll nicht fortgeführt werden. Er verstehe nicht, was die Stadt Hamburg dazu bewogen habe, eine international anerkannte Forschungseinrichtung “gegen alle Zusagen zu zerschlagen”, schrieb er kürzlich auf X.

    Verweis auf Menschenrechte in Afrika kaum glaubwürdig

    “Ich glaube, dass Europa, und Deutschland ganz besonders, noch nicht gemerkt hat, dass das koloniale Zeitalter vorüber ist“, so Zimmerer zu Table.Briefings. “Wir sind jetzt im Übergang zur postkolonialen Globalisierung.” Diese zeichne sich durch eine radikale Dezentrierung Europas aus, sowohl militärisch und ökonomisch als auch intellektuell. Afrika hingegen sei ein Kontinent der Zukunft. “Das heißt, wir sind in Europa eigentlich das kleinere Anhängsel eines gigantischen Kontinents mit unglaublichem Potenzial“, meint Zimmerer. “Wir müssten alles tun, um mit Afrika in eine gleichberechtigte Kooperation zu kommen. Das tun wir nicht. Wir sind arrogant.”

    Er verweist etwa auf das europäische Unverständnis über die Haltung afrikanischer Staaten zu Gaza und der Ukraine. “Die sind nicht per se auf der Seite des Westens. Wieso sind sie nicht auf der Seite des Westens? Wir sind doch die Guten, wir verteidigen doch die Menschenrechte.” Aus afrikanischer Perspektive sei das jedoch heuchlerisch. “Die Afrikaner haben die letzten 300 Jahre immer die Europäer erlebt, die sagen: Wir verteidigen die Menschenrechte. Und eigentlich waren sie immer der Gelackmeierte dabei. Die Glaubwürdigkeit Europas in puncto Menschenrechte ist in weiten Teilen Afrikas also ziemlich gering.”

    Afrika, der prodemokratische Kontinent

    Deutschland verspiele derzeit die letzten Reste seiner Glaubwürdigkeit, findet er. Unabhängig von den deutschen Absichten, der Ukraine zu helfen, oder aber der historischen Verpflichtung aus dem Holocaust nachzukommen, sei die Art und Weise, wie dies geschehe – die Außenwirkung – verheerend. Man müsse auch die Position der Anderen ernst nehmen. “Wir müssten das, was wir für uns beanspruchen, auch den Anderen zugestehen, etwa aus geschichtlichen Erfahrungen heraus zu agieren, und wir kämen ins Gespräch”, so Zimmerer.

    “Ja, in Afrika gibt es autoritäre Elemente”, räumt er ein. Das sei aber nicht “typisch afrikanisch”, sondern ein globales Phänomen, sagt er mit Verweis auf Donald Trump und Viktor Orbán. “Zugleich gibt es in Afrika starke prodemokratische Bewegungen, während in Deutschland offenbar Teile der Gesellschaft die Demokratie abschaffen wollen.” Arne Schütte

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    Mathias Berger, Mitbegründer der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT), ist von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN) mit der Wilhelm-Griesinger-Medaille ausgezeichnet worden. Der DGPPN-Preis zur Erforschung von psychischen Erkrankungen geht Juan Carlos Baldermann-Weiß von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg, Isabella Schneider von der Klinik für Allgemeine Psychiatrie am Universitätsklinikum Heidelberg und Elias Wagner von der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Universität Augsburg. Den DGPPN-Preis für Wissenschaftsjournalismus teilen sich Christopher Bonnen für einen Beitrag im GEO Magazin, Norbert Siegmund (ARD Kontraste) und Jochen Paulus (SWR2 Wissen). 

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    Eine junge Frau in Damaskus am Tag nach dem Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad.

    Zum guten Schluss ist uns heute der Blick nach Syrien wichtig. Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, was die syrische Wissenschaftlerin Miryam Naddaf in einem Beitrag in Nature schreibt. “Ich zog 2013 nach Großbritannien, nachdem meine Geburts- und Heimatstadt Homs bis zur Unkenntlichkeit zerbombt worden war.” Wie sie sich am 8. Dezember gefühlt habe, dem Tag, an dem Assad gestürzt wurde, sei schwer in Worte zu fassen. “Ich habe die syrische Gemeinschaft in London noch nie so freudig erlebt.” Man habe sich auf dem Trafalgar Square in London versammelt, Fahnen geschwenkten, getanzt und Befreiungslieder gesungen.

    Schulen und Universitäten wurden bombardiert

    Auf Syriens Wissenschaftler komme jede Menge Arbeit zu. Zum einen für die Aufarbeitung: Angesichts der bereits entdeckten Massengräber und Gefängnisse würden zum Beispiel Gerichtsmediziner gebraucht, um die Verstorbenen und auch die Überlebenden zu identifizieren. Auch würden geografische Analysen erforderlich sein, um die als Gefängnisse genutzten Stätten sowie die Orte, an denen die Menschen begraben sind, zu lokalisieren.

    Zum anderen stehe ihr Heimatland vor der riesigen Aufgabe, die syrischen Universitäten und Forschungseinrichtungen wiederaufzubauen. Denn nach dem arabischen Frühling im Jahr 2011 habe das syrische Regime auch Schulen und Universitäten bombardiert. “Meine eigene Grundschule wurde als Begräbnisstätte genutzt”, schreibt Naddaf.

    Beim Wiederaufbau des Wissenschaftssystem helfen

    Sie setzt auf die große Community syrischer Wissenschaftler, die im Ausland leben und arbeiten. “Viele haben gute Verbindungen zur internationalen Forschungsgemeinschaft und werden gebraucht, um die wissenschaftliche Ausbildung, Forschung und Infrastruktur wiederzubeleben.”

    Der Sturz des Assad-Regimes sei das Ende einer Ära. Und der Beginn der Hoffnung, auch wenn ein langer und schwieriger Weg vor den Syrerinnen und Syrern liege. “Die vom Krieg zerrüttete Bildungs- und Wissenschaftsgemeinschaft des Landes hat die Chance, neu geboren zu werden. Dabei wird sie jede Hilfe von außen brauchen, die sie bekommen kann.” Anne Brüning

    Research.Table Redaktion

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