Table.Briefing: Research

Forschungszulage legt zu + Flugtaxis heben nicht ab + Russwurm fordert demokratischen Konsens

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Streit um das Wachstumschancengesetz ist beigelegt, damit rücken einzelne Bestandteile des BMF-Entwurfs wieder in den Blick. So ist – ohne größere Diskussion – ein deutlicher Anstieg der Steuerlichen Forschungsförderung im öffentlichen Entwurf vermerkt. Die Verdreifachung der Bemessungsgrundlage ab Januar 2024 wird insbesondere Industrieverbände freuen, die mehr finanzielle Anreize gefordert hatten, schreibt Tim Gabel.

Experten halten die Erhöhung für ein Geschenk an Großunternehmen. Eigentlich sollten mit der Forschungszulage besonders KMU gefördert werden – die könnten aber mittelbar profitieren. In den Hintergrund geraten dabei Maßnahmen, die die Steuerliche Forschungsförderung bekannter machen und entbürokratisieren.

In der breiten Öffentlichkeit gedanklich längst verabschiedet, arbeitet das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) weiterhin am Projekt Flugtaxi. Ein Sprecher bestätigt gegenüber Table.Media, es sei das Ziel, Advanced Air Mobility (AAM) als eines der ersten Länder weltweit einzuführen. Deutschland solle ein Leitmarkt für Drohnen und Flugtaxis werden

Auch Wissenschaftler des DLR in Braunschweig sind überzeugt, dass die Fortbewegung per Flugtaxi schon in wenigen Jahren zumindest in Städten ganz normal sein wird. Sozialwissenschaftler sind allerdings mehr als skeptisch. Markus Weisskopf hat die Details.

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Nicola Kuhrt
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Analyse

Forschungszulage: Klientelpolitik ohne Kontroverse

Wenn am Mittwoch in Meseberg der Streit von Christian Lindner und Lisa Paus offiziell beigelegt wird, ist der Weg für deutliche Steuererleichterungen für die deutsche Industrie frei. Der Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums (BMF) zum “Wachstumschancengesetz”, mit dem Unternehmenssteuern gesenkt werden sollen, sieht auch einen deutlichen Anstieg der Steuerlichen Forschungsförderung ab dem nächsten Jahr vor. Nach Informationen von Table.Media besteht darüber weitgehende Einigkeit in der Koalition.

Nachdem die Bescheinigungsstelle Forschungszulage bislang förderfähige Aufwendungen von bis zu vier Millionen Euro F&E-Ausgaben pro Jahr berücksichtigen durfte, sollen nun entstandene förderfähige Aufwendungen in Höhe von 12 Millionen Euro die Bemessungsgrundlage für ein Wirtschaftsjahr sein. Das soll ab dem 1. Januar 2024 gelten. Diese Verdreifachung der Bemessungsgrundlage dürfte vor allem Industrieverbände freuen, die mehr finanzielle Anreize für Unternehmen gefordert hatten.

Neben Personal- bald auch Sachkosten absetzbar

Eine weitere Änderung, die bereits im Referentenentwurf steht, erhöht zudem die daraus resultierenden ansetzbaren Aufwendungen von Unternehmen. Bei der Forschungszulage sind bisher Personalkosten und Kosten für Fremdaufträge absetzbar. Geht es nach dem Referentenentwurf, steigt dieser Satz von 60 auf 70 Prozent. Neu wäre zudem die Aufnahme einer weiteren Kostengruppe: Abschreibungen für im Projekt genutzt Anlagen, also Sachkosten. Auf die Summe der anrechenbaren Kosten bezieht sich der Fördersatz von derzeit 25 Prozent. Laut Referentenentwurf soll dieser für KMU ab dem nächsten Jahr auf 35 Prozent steigen. Eine deutliche Ausweitung des Instruments, das Unternehmen unabhängig von Größe, Rechtsform und Branche bekommen.

Aus informierten Kreisen erfuhr Table.Media zudem, dass auf der letzten Ressortabstimmung zum Thema Steuerliche Forschungsförderung auch die eigentliche Höhe der Forschungszulage noch einmal Gesprächsthema war. Demnach sollen Unternehmen künftig nicht wie bisher nur 25 Prozent der absetzbaren Aufwendungen per Steuerentlastung erstattet bekommen, sondern 50 Prozent oder sogar noch darüber hinaus – abhängig von der Unternehmensform. Das ist nach der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) möglich. Nach europäischem Zuwendungsrecht kann industrielle Forschung mit bis zu 50 Prozent der beihilfefähigen Kosten subventioniert werden. Bei kleinen und mittleren Unternehmen dürfen die Sätze sogar noch höher sein.

Anpassungen an der FZulG-Passage bis Mittwoch möglich

Bislang steht diese Änderung noch nicht im Referentenentwurf des BMF. Sie könnte aber bis Mittwoch noch nachgetragen werden oder sich im daraus resultierenden Kabinettsentwurf wiederfinden. Wie Table.Media aus Kreisen des Forschungs- und Haushaltsausschusses erfuhr, gibt es wenig kontroverse Debatten über die vom Finanzminister initiierten Änderungsvorschläge bei der Forschungszulage. Das liegt einerseits daran, dass zwei der drei federführenden Ministerien – BMF und BMBF – von der FDP geführt werden.

Zudem hat das grüne BMWK zwar eine etwas andere Akzentuierung, will sich aber an der Stelle mutmaßlich nicht verkämpfen und – erst recht nach der Paus-Blockade – einem Koalitionskrach aus dem Weg gehen. Die BMWK-Start-up-Beauftragte Anna Christmann hatte im Juni im Alleingang eine Bestandsaufnahme der Forschungszulage mit Verbänden, Forschungsinstituten und der Bescheinigungsstelle organisiert. Grund dafür waren zwei Evaluationsstudien, die der Forschungszulage antragsseitig einen Stolperstart diagnostiziert hatten. Auf diesem Termin war von Verbandsseite auch eine finanzielle Ausweitung der Steuerlichen Forschungsförderung gefordert worden.

Grüne: Nicht überzeugt, aber auch nicht angriffslustig

Anna Christmann hatte damals aber eher zurückhaltend darauf reagiert: Man sei am Anfang der politischen Debatte, wie Forschung und Entwicklung in Deutschland durch die Steuerliche Forschungsförderung noch weiter gestärkt und die Maßnahme zu einem noch wirkungsvolleren Instrument ausgestaltet werden könnten, sagte die Grünen-Politikerin damals auf Anfrage von Table.Media.

Und im Juli, als die Pläne des BMF, die Zulage auszuweiten, bekannt wurden, ergänzte sie: “Im Bundeshaushalt muss Spielraum für kluge Innovationsförderung sein. Die Forschungszulage ist ein wichtiges Instrument für den forschenden Mittelstand. Es ist gut, wenn wir die Debatte jetzt intensivieren, wie wir sie klug weiterentwickeln, damit sie gezielter bei innovativen KMUs und Start-Ups ankommt. Der erste Schritt wäre eine einfachere Beantragung, schnelle Auszahlung und größere Bekanntheit.”

Experten: Statt größerer Gießkanne besser die drei B

Auch in Expertenkreisen ist die einhellige Meinung, dass man mit mehr finanziellen Mitteln “nichts falsch machen kann”, es aber eigentlich andere Maßnahmen bräuchte, um die Forschungszulage vor allem bei KMU noch schneller zu einem Erfolg zu machen. Eine Ausweitung der Bemessungsgrundlage von 12 Millionen Euro sei vor allem für Großunternehmen attraktiv, heißt es. KMU würden aber mittelbar profitieren, wenn die Verbände dadurch die Forschungszulage in Zukunft breiter vermarkten und bekannter machen.

Genau am Bekanntheitsgrad hapere es derzeit noch, hatten zum Jahreswechsel Befragungen des Leibniz-Zentrums für Wirtschaftsforschung (ZEW) und der DIHK ergeben. Die Experten hatten der Regierung als Handlungsempfehlungen Bekanntheit erhöhen, Bürokratie abbauen und mehr Beratung ermöglichen verordnet. Außer einem neuen BSFZ-Siegel waren daraus bislang aber keine erkennbar neuen Maßnahmen abgeleitet worden.

Immer mehr Unternehmen nutzen die Forschungszulage

Trotzdem erlebt die Forschungszulage einen Aufschwung. War für 2021 noch ein Fördervolumen von etwa 20 Millionen Euro ausgewiesen worden – davon neun Millionen Euro zulasten des Bundes – sind für dieses Jahr allein für den Bund 522 Millionen Euro vorgesehen. Das geht aus einem Policy Paper des Stifterverbands hervor. Final lassen sich die Summen aber erst in einigen Jahren ausweisen, da Unternehmen die Forschungszulage auch rückwirkend beantragen können. Ursprünglich hatte der Bund über dieses Instrument bis zu 2,5 Milliarden Euro jährlich für forschende Unternehmen vorgesehen.

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Flugtaxis: Bedenken bei Sicherheit und Akzeptanz 

Airbus Flugtaxi CITYAIRBUS.

Beim DLR in Braunschweig kann man in der Mixed Reality bereits im Flugtaxi mitfliegen. Die Wissenschaftler sind überzeugt, dass diese Art der Fortbewegung in wenigen Jahren die städtische Mobilität bereichern wird. Der Aufbau dort ist Teil des Projekts Horizon UAM (Urban Air Mobility), das die Voraussetzungen für die Nutzung von Drohnen und Flugtaxis in urbanen Räumen untersucht hat. Rund 200 Städte wurden weltweit identifiziert, die “UAM-geeignet” wären. Neben Metropolen wie New York und Tokio ist darunter auch Hamburg. Dort hat man die Strecke vom Flughafen zur Binnenalster im Blick. Wichtige Kriterien waren dabei unter anderem die Bevölkerungszahl, die Ausdehnung der Stadt sowie das Bruttoinlandsprodukt. 

Die Politik sieht Deutschland als Vorreiter 

Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) bestätigt gegenüber Table.Media: das Ziel sei Advanced Air Mobility (AAM) als eines der ersten Länder weltweit einzuführen. Deutschland solle ein Leitmarkt für Drohnen und Flugtaxis werden. Weiter heißt es: “Das Forschungsprojekt Horizon UAM bringt uns diesem Ziel einen großen Schritt näher, denn es beantwortet viele wichtige Fragen im Zusammenhang mit der Einführung der neuen Verkehrsträger. Besonders relevant sind dabei die sichere Integration von Flugtaxis in bestehende Luftraumstrukturen, eine gute Akzeptanz in der Bevölkerung und die Gestaltung von Start- und Landepunkten (Vertiports).” 

Derzeit wird im BMDV mit einer Expertengruppe eine Advanced-Air-Mobility-Strategie erarbeitet. Damit möchte man einen entscheidenden Schritt zur Einführung der AAM in Deutschland gehen. Im Bereich des Passagiertransports sei zu erwarten, dass in den nächsten Jahren die ersten kommerziell betriebenen eVTOL (electric Vertical Take-Off and Landing aircraft) als Flugtaxis abheben werden. Deutsche Firmen haben laut dem Verband Unbemannte Luftfahrt (VUL) gute Aussichten darauf, als erste die Serienzulassung zu erhalten.

Expertengruppe berät BMDV bei Gesetzentwurf 

Die Ergebnisse der Expertengruppe des BMDV fließen in das geplante “U-Space-Gesetz” ein. Dieses dient der Anpassung der nationalen Regelungen an die Durchführungsverordnung 2021/664 der EU-Kommission vom 22. April 2021 über einen Rechtsrahmen für den U-Space. U-Spaces sind abgegrenzte Bereiche im unteren Luftraum, die von Dienstleistern betrieben werden, die eine ähnliche Rolle wie die Flugsicherung einnehmen. Das Gesetz befindet sich zurzeit in der hausinternen Abstimmung. Ein Entwurf wird in den kommenden Wochen erwartet. 

Im Rahmen des UAM-Projekts des DLR wurde auch eine repräsentative Bevölkerungsbefragung zur Akzeptanz von Flugtaxis durchgeführt. Bürger sind demnach den Flugtaxis gegenüber skeptischer als gegenüber unbemannten Drohnen, heißt es in einer Mitteilung des DLR. Dahinter verbirgt sich eine Ablehnung von Flugtaxis: 54 Prozent der Befragten haben eine eher negative oder sehr negative Einstellung gegenüber den bemannten Flugobjekten. Eine frühere Studie des vom BMBF geförderten Projekts “Sky Limits” zeigte sogar eine Ablehnung von 62 Prozent gegenüber Flugtaxis und 55 Prozent gegenüber Lieferdrohnen. Lediglich der Einsatz für medizinische Notfälle findet eine deutliche Mehrheit an Befürwortern. 

Über gute Kommunikation wird nicht nachgedacht 

Beim BMDV hält man sich daran fest, dass die Akzeptanz kommen wird, sobald erste Drohnen nutzbar sind: “Wir sind zuversichtlich, dass die Offenheit und Akzeptanz für neue Mobilitätsformen weiter steigen werden, je mehr konkrete Anwendungen sichtbar und erlebbar werden.” Dass mehr Kommunikation und Partizipation zu diesem Thema nötig sein könnten, sieht man allerdings nicht unbedingt. Lapidar heißt es: “Gute und leicht zugängliche Informationen für die Öffentlichkeit über Flugtaxis” seien wichtig. Maßnahmen, um diese zu erreichen, werden keine erwähnt. Der VUL immerhin fordert “weitere Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit seitens der Branche und der Politik”.

Sozialwissenschaftler halten es allerdings für fragwürdig, ob die Technologie im Einsatz eine Mehrheit überzeugen würde. Tobias Biehle von der TU Berlin verweist darauf, dass der Transport einiger weniger Menschen in eVTOLs zu einer erheblichen Menge an Flügen im öffentlichen Raum beitragen wird. “Damit einher gehen Verkehrsfolgekosten für die Allgemeinheit. Dazu zählen Sicherheitsrisiken, Lärm oder steigende Flächenverbräuche für Bodeninfrastrukturen.”

Flugtaxis als Champagner unter den Transporten 

Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin verweist auf die Zwickmühle, die eine Ablehnung der Technologie hervorruft. “Der Export von bemannten Drohnen wird nur funktionieren, wenn man die Technologie im eigenen Land glaubhaft einsetzt – siehe Transrapid”, sagt er Table.Media. Auch aus der Industrie heißt es, dass im Leitmarkt nicht nur entwickelt, sondern auch angewendet werden muss. Wenn man innovative Technologie “Made in Germany” weltweit verkaufen will, muss man also eine breitere Akzeptanz schaffen. Das geht aber nicht, solange die Flugtaxis “sozusagen der Champagner unter den Transporten sind”, wie Andreas Knie meint.  

Aber: “Selbst, wenn es die Akzeptanz bei der Bevölkerung gäbe, die Sicherheitsprobleme scheinen – zumindest, wenn wir urbane Räume in Deutschland anschauen – kaum lösbar“, sagt Knie. Jonas Rex-Quincke vom Branchenverband Zivile Drohnen sieht die Integration großer Zahlen von Flugtaxis in den Luftraum eher als große Herausforderung, ebenso wie rechtliche Aspekte. Kleinere Reallabore könnten vielleicht in den nächsten Jahren entstehen, eine Anwendung im gesamten Bundesgebiet werde wohl noch dauern.

Und er verweist auf eine weitere, noch offene Frage: Wo und für welchen Zweck sind Flugtaxis wirtschaftlich zu betreiben? Zwischen den großen Flughäfen von New York könnte das Sinn ergeben, sagt er. Zwischen dem Hamburger Flughafen und der Binnenalster eher weniger. Hier braucht das Taxi laut Google-Maps 20, die S-Bahn 30 Minuten. Die Zeitersparnis dürfte also gering sein – bei hohen Kosten.

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Termine

4./5. September 2023, Haus der Unternehmer, Duisburg
Tagung Science for Society? Arbeits- und Organisationsformen der Zukunft Mehr

6. September 2023, Allianz Forum, Pariser Platz 6, Berlin
Preisverleihung Unipreneurs: Die besten Professorinnen und Professoren für Startups Mehr

11.-13. September 2023, Osnabrück
18. Jahrestagung der Gesellschaft für Hochschulforschung Das Zusammenspiel von Hochschulforschung und Hochschulentwicklung: Empirie, Transfer und Wirkungen Mehr

27.-29. September 2023, Freie Universität Berlin
Gemeinsame Konferenz der Berliner Hochschulen Open-Access-Tage 2023 “Visionen gestalten” Mehr

28. September 2023, 18-21.30 Uhr, Medizinhistorisches Museum Berlin
Diskussionsveranstaltung der Arbeitsgruppe “Hochschulen als MINT-Innovationsmotor” im Nationalen MINT Forum Any other subject: Wie die Erweiterung des MINT-Begriffs neue Zielgruppen erschließt Mehr

1.-10. November 2023, Berlin
Wissenschaftsfestival Berlin Science Week Mehr

7.-9. November 2023, Berlin
Konferenz Falling Walls Science Summit 2023 Mehr

16. November 2023, Wilhelm Büchner Hochschule, Darmstadt
Tagung WBH Wissenschaftsforum 2023 – “Transformation gestalten” Mehr

News

PFI: Drei Prozent Aufwuchs für Forschungsorganisationen für die nächsten Jahre sicher

Die CDU-Fraktion wollte in Sachen Pakt für Forschung und Innovation (PFI) offenbar auf Nummer sicher gehen. Man vermisste im Regierungsentwurf des Haushalts für 2024 jedenfalls ein klares Bekenntnis in Prozenten – und fragte nach (Kleine Anfrage, 20/8028). Zwar heißt es in dem vorläufigen Antwort-Papier, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) “ein zuverlässiger Partner von Bildung, Wissenschaft und Forschung” bleibe und nachhaltig die Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschaftsstandorts Deutschland stärke. Und auch weiter, dass dazu “maßgeblich” der PFI sowie der Zukunftsvertrag Studium und Lehre beitragen würden und auch, dass “beide dynamisiert sind und damit jährlichen Aufwuchs gewähren”.

Dennoch vermissten die Christdemokraten um Thomas Jarzombek offenbar die genaue Angabe in Prozent, also wie hoch der jährliche Aufwuchs sein soll. Dies stand in den CDU-Haushalten 2020 und 2021 genau drin. In der Antwort auf die Kleine Anfrage bleibt nun keine Frage mehr offen: “Die Bundesregierung leistet die vereinbarten PFI-Aufwüchse trotz der bereits in der 19. Legislaturperiode (2017 bis 2021, die Red.) absehbaren finanziellen Herausforderungen. Die in der 19. Legislaturperiode vorgelegte Finanzplanung hatte einen niedrigeren Plafond vorgesehen, als dies unter den nun weitaus schwierigeren Rahmenbedingungen der Fall ist.” Nebenbei also ein kleiner Seitenhieb des BMBF, das die Antwort formulierte, in Richtung der christdemokratischen Fragesteller: Als noch die CDU in Regierung war, hatte diese weniger Mittel eingeplant, als es nun geben wird. Auch das kann jetzt jeder nochmal nachlesen. nik

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BDI-Präsident Russwurm kritisiert europäisches Bürokratie-Dickicht

Um dem US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) in Europa etwas entgegenzusetzen, sei nicht unbedingt mehr Geld erforderlich, sagt Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) im Interview mit Table.Media. “Wenn ich alle Programme zusammennehme, die die EU aufgelegt hat, sind wir bei einer vergleichbaren Größenordnung.”

Er bemängelt vielmehr die Bürokratie und Unübersichtlichkeit wirtschaftlicher Förderung in der EU: “Beim IRA kann ich sehr leicht ausrechnen, was ich als Unternehmen für eine Förderung bekomme und mich darauf verlassen, dass es auch schnell geht”, sagt er. In Brüssel dagegen stehe man einem “Dickicht unterschiedlicher Programme, Fördertöpfe und Antragsbedingungen” gegenüber.

Ziele für Souveränität klar benennen

In der Diskussion um strategische Souveränität in Europa vermisst der BDI-Chef ein “Gesamtbild” mit konkreten Zielen und Zahlen. “Wir sollten sagen, welche Technologien wir in Europa haben wollen und wie umfänglich. Dann können wir als Industrievertreter konkrete Preisschilder dahinter setzen und ermitteln, was das kostet.”

Als Beispiel nennt er das Ziel einer europäischen Solarindustrie, für das definiert werden müsste, wie viel Prozent der Solarmodule man in Europa produzieren will. “Dann muss man klären: Was muss dafür alles passieren? Wir müssten mit Experten sprechen und beziffern, welche Kapazitäten wir brauchen und wie wir diese so aufbauen, dass sie global wettbewerbsfähig sind.”

Grundkonsens für Transformationsprozesse

Für massive Transformationsprozesse wie die Dekarbonisierung und Digitalisierung wünscht sich Russwurm “dass es einen Grundkonsens der demokratischen Parteien mit einer breiten Akzeptanz in Wirtschaft und Gesellschaft gibt für diese Prozesse, auf den über längere Laufzeit als eine Legislaturperiode Verlass ist”.

Die China-Strategie der Bundesregierung bezeichnet Russwurm als “ziemlich ausgewogen”. Einige Fakten würden jedoch in der öffentlichen Diskussion noch zu wenig reflektiert. Er weist darauf hin, dass die Investitionen deutscher Unternehmen in China in der Summe vollständig aus dem Gewinn des Geschäfts in China finanziert werden. “Aus Makro-Perspektive fließt also kein Geld aus Deutschland nach China. Das sollten auch jene im Blick behalten, die fragen, wie es denn sein könne, dass die Unternehmen dort noch immer so viel investieren”, sagt er.

Für wissenschaftliche Zusammenarbeit mit China

Um die Abhängigkeit einzelner Unternehmen von China zu reduzieren, wünscht sich Russwurm, “dass die Bundesregierung jetzt das Deutschland-Tempo auch bei der Rohstoffversorgung aufbringt”. Prüfungen chinesischer Investitionen in Deutschland hält Russwurm nur für “scharf abgegrenzte sicherheitsrelevante Bereiche, auf die bestimmte Länder keinen Zugriff bekommen sollen” erforderlich.

Im Bereich Wissenschaft plädiert Russwurm klar für Zusammenarbeit. “Es gibt ein paar ziemlich fundamentale Fragen, die wir zum Beispiel ohne China weltweit nicht lösen können”, sagt er. Aber er könne gut nachvollziehen, “dass eine deutsche Universität sagt: Wenn ein Promotionsstipendiat von einer ganz bestimmten staatlichen Organisation eines Landes mit offenkundigen Absichten zu 100 Prozent finanziert wird, dann möchten wir diesen lieber nicht in die Herzkammer unserer Innovation lassen”. sb/th

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Nordamerika-Reise: Memorandum of Understanding mit SSHRC unterzeichnet

DFG-Präsidentin Katja Becker hat auf einer Reise zu Forschungsinstituten in Kanada und Nordamerika neben dem NSERC in Ottawa, den Canadian Institutes of Health Research (CIHR) auch das Social Sciences and Humanities Research Council (SSHRC) besucht. Mit SSHRC-Präsident Ted Hewitt unterzeichnete sie ein Memorandum of Understanding. Das Interesse an vertiefter Kooperation in den Geistes- und Sozialwissenschaften zwischen Kanada und Deutschland sei groß, sagt Becker. Geplant sei, die Antragstellung auf beiden Seiten und die Kooperation nun gezielt zu unterstützen.

Bereits wenige Tage nach dessen Amtsantritt traf Becker mit Andreas Michaelis den neuen deutschen Botschafter in Washington. Aktuelle Themen wie Künstliche Intelligenz, Sicherheitsforschung, Biomedizin und Quantentechnologie sollen und können gemeinsam von Deutschland und Nordamerika bearbeitet werden, sagt Becker. Diskutiert wurden auch Aspekte des Dual-Use, der Forschungssicherheit allgemein sowie der Schutz von geistigem Eigentum. Dabei wurden die verschiedenen Herangehensweisen der einzelnen Länder beleuchtet und was dies für die internationale Kooperation bedeutet. Einigkeit herrschte, dass eine erhöhte Aufmerksamkeit bei allen am Forschungsprozess beteiligten Institutionen und Individuen notwendig ist. “Risiken und Nutzen von Forschungsprojekten müssen jeweils sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.” nik

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Heads

Paula Piechotta: “Politik muss es den Menschen so einfach wie möglich machen”

Paula Piechotta (Grüne) sitzt im Gesundheits-, Forschungs- und Haushaltsausschuss des Bundestags.

Paula Piechotta ist kein Mensch, der gern verschwendet. Nicht natürliche Ressourcen für Profit, nicht die Energie von Ärzten für Bilanzen. Gespräche beginnt sie nie mit Smalltalk, große Worte und Gefühle überlässt sie anderen. “Sagen wir mal so: Ich bin keine Claudia Roth.” Fokussiert und “sehr outcome-orientiert” betreibe sie Politik, seit sie 2021 für die Grünen in den Bundestag gezogen ist. “Wenn ich denke, dass ein Treffen wenig bringt, dauert es sicher nicht lange. Ich lege wenig Wert auf Sommerfeste von Verbänden.”

Undenkbar viel in wenig Zeit zu schaffen, kennt die Radiologin aus der Uniklinik Leipzig. “Ich habe eine hohe Motivation, weil viele Angehörige vom System verschlissen wurden – als Patient:innen oder Angestellte”, sagt Piechotta. “Ich möchte das System verbessern.” Paula Piechotta sitzt im Gesundheits-, Forschungs- und Haushaltsausschuss. “Gesundheitspolitik ist das Unangenehmste, was man in Berlin machen kann”, sagt sie. Wegen des Umgangs mit Lobbyorganisationen, des schneidenden Tons. “Apothekerverbände versuchen durchaus mal, Personen zu beschädigen.”

Nur Ärztinnen bekommen in der Politik nicht weniger Schlaf

Ihr Beruf habe sie auf die Politik vorbereitet, sie in Belastbarkeit trainiert. Arbeit nachts, an Wochenenden, die Verteilung unberechenbar. “Mal gab es an einem Wochenende keinen Patienten, mal vier Schwerverletzte auf einmal, weil es einen Unfall gegeben hat.” Ähnlich ist es in der Politik; in Zeiten großer Krisen vielleicht noch etwas mehr. Unter der Woche sei es in der Klinik besser gewesen, am Wochenende schob Piechotta immer wieder 14-Stunden-Schichten. “Die einzigen, die mit dem Wechsel in die Politik nicht weniger Schlaf bekommen, sind die Ärzte.”

Als Wurf ins kalte Wasser habe sie den Start der Legislatur nicht empfunden. “Beeindruckend war für mich, dass sich so schnell so große Fragen gestellt haben. Man merkt: Es sind besonders krasse Zeiten.” Die Sondersitzung zum Kriegsbeginn in der Ukraine sei die belastendste Situation als Abgeordnete gewesen, “wegen des Gefühls, dass sich hier gerade etwas sehr Grundlegendes ändert”. Bei Abgeordneten anderer Fraktionen, auch ihrer Koalition, habe Piechotta beobachtet, dass sie erst jahrelang zusehen, ehe sie selbst viel bewirken könnten. “Das war bei mir ganz anders. Wir sehen es im direkten Vergleich beim Haushalt.”

Einsatz für wissenschaftsbasierte Politik und gegen Extremismus

Den verwalten zu lassen, trauen die Grünen auch jüngeren, kürzer gedienten Abgeordneten zu – anders als die anderen Fraktionen. Neben Klimaschutz und Gesundheitspolitik seien der Kampf gegen Rechtsextremismus und für eine wissenschaftsbasierte Politik ihre Ziele. Ihre Rolle, ihre Aufgabe sieht Piechotta auch darin, Ostdeutsche in der Fraktion zu repräsentieren. Piechotta ist im thüringischen Gera geboren, lebt in Leipzig, das als progressive Insel Sachsens gilt, als “safe space” für Menschen, die vor der Dominanz rechten Gedankenguts in Teilen des ländlichen Raums flüchten. “Wenn du dich in Ostdeutschland politisch engagieren, aber keinen Hundekot im Briefkasten willst, ziehst du nach Leipzig.”

Berührungspunkte mit der AfD kennt Piechotta aus nächstem Familienumfeld, bei Feiern würden sich einige nicht mehr an den gleichen Tisch setzen – eine Erfahrung, die einige Grüne aus ostdeutschen Bundesländern teilen. Eine Grüne hätte vor dem letzten Parteitag ihrer Familie erzählt, sie fahre nur zu einer Weiterbildung. Konfrontationen mit Rechtsaußen kennt Piechotta seit ihrer Kindheit, in der sechsten Klasse wechselte sie Schule – “die Nazis waren damals schon ein Problem.” Ihre Studienzeit verbringt Piechotta in Jena, das zugleich thüringisch und sehr studentisch ist.

Nicht hinnehmbar, dass “Autoritarismus-Sehnsucht” weiter zunimmt

Für ihre Facharztweiterbildung zieht Piechotta nach Heidelberg. Nach ein paar Jahren kehrt sie in den Osten zurück. “Weil man als Ostdeutsche nur zu 100 Prozent ankommt, wenn man seine Herkunft um 120 Prozent verschleiert. Da hatte ich keine Lust mehr drauf.” Dass die AfD sich auch in Westdeutschland, in Niedersachsen bei der Landtagswahl 2022 fast verdoppeln konnte, sei die größte politische Enttäuschung seit ihrem Einzug in den Bundestag gewesen, sagt Piechotta. Gewöhnlicherweise könne sie abends gut abschalten.

Eine Wohnung in Berlin hat sie nicht; abgesehen von einzelnen Ausnahmen fährt sie immer zurück nach Leipzig, da fühle sich Berlin “sehr weit weg” an. Wenn sie abends doch über Politik nachdenken müsse, wanderten ihre Gedanken oft zur nächsten Bundestagswahl. Zur AfD. “Es ist gut belegt, dass die Autoritarismus-Sehnsucht bei Krisen zunimmt. Das dürfen wir nicht einfach hinnehmen. Die Politik muss es der Bevölkerung so einfach wie möglich machen.” Reformen: ja. Aber weiter runtergebrochen, konkreter erzählt. Zugewandter.

“Wir müssen lernen, ordentlich zu erklären”

Paula Piechotta sagt, dass die Koalition in der zweiten Hälfte der Legislatur besser kommunizieren müsse. “Das Tempo, was wir erstmal vorgelegt haben, hätte man nicht halten können. Wir müssen jetzt mal runterschalten. Wir müssen lernen, ordentlich zu erklären.” Die Krankenhausreform sei ihr sehr wichtig. “Wir brauchen unbedingt eine bessere Qualität. Das kann nur passieren, wenn das Personal nicht mehr so verheizt wird, was nicht mal den Patienten hilft, sondern den Bilanzen.”

Den Kontakt zur Klinik hält Piechotta, schiebt weiterhin zwei monatliche Schichten. So bleibe sie auch unabhängig von der Politik. Ob sie 2024 wieder kandidieren will? “Würde es in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode so weitergehen wie in der ersten, käme man an körperliche Grenzen”, sagt Piechotta. “Dann müsste man sich ehrlich gesagt fragen: Kann ich das noch?” Franziska Klemenz

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Dessert

Die Geschmacksrezeptoren von Katzen sind genetisch ungewöhnlich. Das erklärt, warum sie so gerne Thunfisch fressen.

Endlich hat die Wissenschaft eines der großen Rätsel gelöst, vor denen die Menschheit steht: Britische Forscher haben herausgefunden, warum Katzen so gerne Thunfisch fressen. Und zwar liegt das daran, dass ihre Rezeptoren für würzig-fleischige Geschmacksrichtungen, auch als umami bekannt, anders ausgeprägt sind als zum Beispiel beim Menschen. Die in den Geschmacksknospen auf der Zunge sitzenden Sinneszellen sprechen bei Katzen besonders gut auf das Nukleotid Inosinmonophosphat und die Aminosäure L-Histidin an. Beide Moleküle sind in Thunfisch in hoher Konzentration enthalten. Die Umami-Rezeptoren des Menschen hingegen reagieren besonders stark auf Glutaminsäure oder Asparaginsäure und Nukleotide.

Katzen schmecken nichts Süßes

Offenbar ist der Unterschied durch Mutationen an zwei Stellen der Rezeptorproteine Tas1r1 and Tas1r3 zu erklären, berichtet das Team um Scott McGrane des Waltham Petcare Science Institute, das zum Tierfutterhersteller Mars Petcare UK gehört. Mit ihrer im Fachmagazin Chemical Senses veröffentlichten Arbeit sind die Forscher auch die ersten, die nachgewiesen haben, dass Katzen über diese beiden Komponenten des Umami-Rezeptors verfügen. Dass sie das Gen für Tas1r3 haben, war bereits bekannt. Nun ist auch klar, dass Katzen auch ein Tas1r1-Gen besitzen. Nützlich seien die Erkenntnisse etwa, um Medikamente für Katzen schmackhafter zu machen oder um gesünderes Futter zu entwickeln, kommentiert in einem Science-Beitrag ein Geschmacksforscher, der nicht an der Industriestudie beteiligt war.

Dass die Geschmacksvorlieben von Katzen besonders sind, wusste man schon vorher. Anders als etwa bei Hunden fehlt Katzen der Geschmackssinn für Süßes – ein Gendefekt. All diese Besonderheiten sind evolutionär zu erklären. Weiterentwicklung ist derweil auch für den Werbeslogan “Katzen würden Whiskas kaufen” angesagt, den es bereits seit 1962 gibt. Er müsste Thunfisch-spezifischer formuliert werden. Die Beratungen darüber können firmenintern ablaufen: Die Marke Whiskas gehört ebenso wie das Waltham Petcare Science Institute zum Mars-Konzern. Anne Brüning

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Research.Table Redaktion

RESEARCH.TABLE REDAKTION

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    der Streit um das Wachstumschancengesetz ist beigelegt, damit rücken einzelne Bestandteile des BMF-Entwurfs wieder in den Blick. So ist – ohne größere Diskussion – ein deutlicher Anstieg der Steuerlichen Forschungsförderung im öffentlichen Entwurf vermerkt. Die Verdreifachung der Bemessungsgrundlage ab Januar 2024 wird insbesondere Industrieverbände freuen, die mehr finanzielle Anreize gefordert hatten, schreibt Tim Gabel.

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    Nicola Kuhrt
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    Wenn am Mittwoch in Meseberg der Streit von Christian Lindner und Lisa Paus offiziell beigelegt wird, ist der Weg für deutliche Steuererleichterungen für die deutsche Industrie frei. Der Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums (BMF) zum “Wachstumschancengesetz”, mit dem Unternehmenssteuern gesenkt werden sollen, sieht auch einen deutlichen Anstieg der Steuerlichen Forschungsförderung ab dem nächsten Jahr vor. Nach Informationen von Table.Media besteht darüber weitgehende Einigkeit in der Koalition.

    Nachdem die Bescheinigungsstelle Forschungszulage bislang förderfähige Aufwendungen von bis zu vier Millionen Euro F&E-Ausgaben pro Jahr berücksichtigen durfte, sollen nun entstandene förderfähige Aufwendungen in Höhe von 12 Millionen Euro die Bemessungsgrundlage für ein Wirtschaftsjahr sein. Das soll ab dem 1. Januar 2024 gelten. Diese Verdreifachung der Bemessungsgrundlage dürfte vor allem Industrieverbände freuen, die mehr finanzielle Anreize für Unternehmen gefordert hatten.

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    Eine weitere Änderung, die bereits im Referentenentwurf steht, erhöht zudem die daraus resultierenden ansetzbaren Aufwendungen von Unternehmen. Bei der Forschungszulage sind bisher Personalkosten und Kosten für Fremdaufträge absetzbar. Geht es nach dem Referentenentwurf, steigt dieser Satz von 60 auf 70 Prozent. Neu wäre zudem die Aufnahme einer weiteren Kostengruppe: Abschreibungen für im Projekt genutzt Anlagen, also Sachkosten. Auf die Summe der anrechenbaren Kosten bezieht sich der Fördersatz von derzeit 25 Prozent. Laut Referentenentwurf soll dieser für KMU ab dem nächsten Jahr auf 35 Prozent steigen. Eine deutliche Ausweitung des Instruments, das Unternehmen unabhängig von Größe, Rechtsform und Branche bekommen.

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    Anpassungen an der FZulG-Passage bis Mittwoch möglich

    Bislang steht diese Änderung noch nicht im Referentenentwurf des BMF. Sie könnte aber bis Mittwoch noch nachgetragen werden oder sich im daraus resultierenden Kabinettsentwurf wiederfinden. Wie Table.Media aus Kreisen des Forschungs- und Haushaltsausschusses erfuhr, gibt es wenig kontroverse Debatten über die vom Finanzminister initiierten Änderungsvorschläge bei der Forschungszulage. Das liegt einerseits daran, dass zwei der drei federführenden Ministerien – BMF und BMBF – von der FDP geführt werden.

    Zudem hat das grüne BMWK zwar eine etwas andere Akzentuierung, will sich aber an der Stelle mutmaßlich nicht verkämpfen und – erst recht nach der Paus-Blockade – einem Koalitionskrach aus dem Weg gehen. Die BMWK-Start-up-Beauftragte Anna Christmann hatte im Juni im Alleingang eine Bestandsaufnahme der Forschungszulage mit Verbänden, Forschungsinstituten und der Bescheinigungsstelle organisiert. Grund dafür waren zwei Evaluationsstudien, die der Forschungszulage antragsseitig einen Stolperstart diagnostiziert hatten. Auf diesem Termin war von Verbandsseite auch eine finanzielle Ausweitung der Steuerlichen Forschungsförderung gefordert worden.

    Grüne: Nicht überzeugt, aber auch nicht angriffslustig

    Anna Christmann hatte damals aber eher zurückhaltend darauf reagiert: Man sei am Anfang der politischen Debatte, wie Forschung und Entwicklung in Deutschland durch die Steuerliche Forschungsförderung noch weiter gestärkt und die Maßnahme zu einem noch wirkungsvolleren Instrument ausgestaltet werden könnten, sagte die Grünen-Politikerin damals auf Anfrage von Table.Media.

    Und im Juli, als die Pläne des BMF, die Zulage auszuweiten, bekannt wurden, ergänzte sie: “Im Bundeshaushalt muss Spielraum für kluge Innovationsförderung sein. Die Forschungszulage ist ein wichtiges Instrument für den forschenden Mittelstand. Es ist gut, wenn wir die Debatte jetzt intensivieren, wie wir sie klug weiterentwickeln, damit sie gezielter bei innovativen KMUs und Start-Ups ankommt. Der erste Schritt wäre eine einfachere Beantragung, schnelle Auszahlung und größere Bekanntheit.”

    Experten: Statt größerer Gießkanne besser die drei B

    Auch in Expertenkreisen ist die einhellige Meinung, dass man mit mehr finanziellen Mitteln “nichts falsch machen kann”, es aber eigentlich andere Maßnahmen bräuchte, um die Forschungszulage vor allem bei KMU noch schneller zu einem Erfolg zu machen. Eine Ausweitung der Bemessungsgrundlage von 12 Millionen Euro sei vor allem für Großunternehmen attraktiv, heißt es. KMU würden aber mittelbar profitieren, wenn die Verbände dadurch die Forschungszulage in Zukunft breiter vermarkten und bekannter machen.

    Genau am Bekanntheitsgrad hapere es derzeit noch, hatten zum Jahreswechsel Befragungen des Leibniz-Zentrums für Wirtschaftsforschung (ZEW) und der DIHK ergeben. Die Experten hatten der Regierung als Handlungsempfehlungen Bekanntheit erhöhen, Bürokratie abbauen und mehr Beratung ermöglichen verordnet. Außer einem neuen BSFZ-Siegel waren daraus bislang aber keine erkennbar neuen Maßnahmen abgeleitet worden.

    Immer mehr Unternehmen nutzen die Forschungszulage

    Trotzdem erlebt die Forschungszulage einen Aufschwung. War für 2021 noch ein Fördervolumen von etwa 20 Millionen Euro ausgewiesen worden – davon neun Millionen Euro zulasten des Bundes – sind für dieses Jahr allein für den Bund 522 Millionen Euro vorgesehen. Das geht aus einem Policy Paper des Stifterverbands hervor. Final lassen sich die Summen aber erst in einigen Jahren ausweisen, da Unternehmen die Forschungszulage auch rückwirkend beantragen können. Ursprünglich hatte der Bund über dieses Instrument bis zu 2,5 Milliarden Euro jährlich für forschende Unternehmen vorgesehen.

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    Flugtaxis: Bedenken bei Sicherheit und Akzeptanz 

    Airbus Flugtaxi CITYAIRBUS.

    Beim DLR in Braunschweig kann man in der Mixed Reality bereits im Flugtaxi mitfliegen. Die Wissenschaftler sind überzeugt, dass diese Art der Fortbewegung in wenigen Jahren die städtische Mobilität bereichern wird. Der Aufbau dort ist Teil des Projekts Horizon UAM (Urban Air Mobility), das die Voraussetzungen für die Nutzung von Drohnen und Flugtaxis in urbanen Räumen untersucht hat. Rund 200 Städte wurden weltweit identifiziert, die “UAM-geeignet” wären. Neben Metropolen wie New York und Tokio ist darunter auch Hamburg. Dort hat man die Strecke vom Flughafen zur Binnenalster im Blick. Wichtige Kriterien waren dabei unter anderem die Bevölkerungszahl, die Ausdehnung der Stadt sowie das Bruttoinlandsprodukt. 

    Die Politik sieht Deutschland als Vorreiter 

    Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) bestätigt gegenüber Table.Media: das Ziel sei Advanced Air Mobility (AAM) als eines der ersten Länder weltweit einzuführen. Deutschland solle ein Leitmarkt für Drohnen und Flugtaxis werden. Weiter heißt es: “Das Forschungsprojekt Horizon UAM bringt uns diesem Ziel einen großen Schritt näher, denn es beantwortet viele wichtige Fragen im Zusammenhang mit der Einführung der neuen Verkehrsträger. Besonders relevant sind dabei die sichere Integration von Flugtaxis in bestehende Luftraumstrukturen, eine gute Akzeptanz in der Bevölkerung und die Gestaltung von Start- und Landepunkten (Vertiports).” 

    Derzeit wird im BMDV mit einer Expertengruppe eine Advanced-Air-Mobility-Strategie erarbeitet. Damit möchte man einen entscheidenden Schritt zur Einführung der AAM in Deutschland gehen. Im Bereich des Passagiertransports sei zu erwarten, dass in den nächsten Jahren die ersten kommerziell betriebenen eVTOL (electric Vertical Take-Off and Landing aircraft) als Flugtaxis abheben werden. Deutsche Firmen haben laut dem Verband Unbemannte Luftfahrt (VUL) gute Aussichten darauf, als erste die Serienzulassung zu erhalten.

    Expertengruppe berät BMDV bei Gesetzentwurf 

    Die Ergebnisse der Expertengruppe des BMDV fließen in das geplante “U-Space-Gesetz” ein. Dieses dient der Anpassung der nationalen Regelungen an die Durchführungsverordnung 2021/664 der EU-Kommission vom 22. April 2021 über einen Rechtsrahmen für den U-Space. U-Spaces sind abgegrenzte Bereiche im unteren Luftraum, die von Dienstleistern betrieben werden, die eine ähnliche Rolle wie die Flugsicherung einnehmen. Das Gesetz befindet sich zurzeit in der hausinternen Abstimmung. Ein Entwurf wird in den kommenden Wochen erwartet. 

    Im Rahmen des UAM-Projekts des DLR wurde auch eine repräsentative Bevölkerungsbefragung zur Akzeptanz von Flugtaxis durchgeführt. Bürger sind demnach den Flugtaxis gegenüber skeptischer als gegenüber unbemannten Drohnen, heißt es in einer Mitteilung des DLR. Dahinter verbirgt sich eine Ablehnung von Flugtaxis: 54 Prozent der Befragten haben eine eher negative oder sehr negative Einstellung gegenüber den bemannten Flugobjekten. Eine frühere Studie des vom BMBF geförderten Projekts “Sky Limits” zeigte sogar eine Ablehnung von 62 Prozent gegenüber Flugtaxis und 55 Prozent gegenüber Lieferdrohnen. Lediglich der Einsatz für medizinische Notfälle findet eine deutliche Mehrheit an Befürwortern. 

    Über gute Kommunikation wird nicht nachgedacht 

    Beim BMDV hält man sich daran fest, dass die Akzeptanz kommen wird, sobald erste Drohnen nutzbar sind: “Wir sind zuversichtlich, dass die Offenheit und Akzeptanz für neue Mobilitätsformen weiter steigen werden, je mehr konkrete Anwendungen sichtbar und erlebbar werden.” Dass mehr Kommunikation und Partizipation zu diesem Thema nötig sein könnten, sieht man allerdings nicht unbedingt. Lapidar heißt es: “Gute und leicht zugängliche Informationen für die Öffentlichkeit über Flugtaxis” seien wichtig. Maßnahmen, um diese zu erreichen, werden keine erwähnt. Der VUL immerhin fordert “weitere Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit seitens der Branche und der Politik”.

    Sozialwissenschaftler halten es allerdings für fragwürdig, ob die Technologie im Einsatz eine Mehrheit überzeugen würde. Tobias Biehle von der TU Berlin verweist darauf, dass der Transport einiger weniger Menschen in eVTOLs zu einer erheblichen Menge an Flügen im öffentlichen Raum beitragen wird. “Damit einher gehen Verkehrsfolgekosten für die Allgemeinheit. Dazu zählen Sicherheitsrisiken, Lärm oder steigende Flächenverbräuche für Bodeninfrastrukturen.”

    Flugtaxis als Champagner unter den Transporten 

    Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin verweist auf die Zwickmühle, die eine Ablehnung der Technologie hervorruft. “Der Export von bemannten Drohnen wird nur funktionieren, wenn man die Technologie im eigenen Land glaubhaft einsetzt – siehe Transrapid”, sagt er Table.Media. Auch aus der Industrie heißt es, dass im Leitmarkt nicht nur entwickelt, sondern auch angewendet werden muss. Wenn man innovative Technologie “Made in Germany” weltweit verkaufen will, muss man also eine breitere Akzeptanz schaffen. Das geht aber nicht, solange die Flugtaxis “sozusagen der Champagner unter den Transporten sind”, wie Andreas Knie meint.  

    Aber: “Selbst, wenn es die Akzeptanz bei der Bevölkerung gäbe, die Sicherheitsprobleme scheinen – zumindest, wenn wir urbane Räume in Deutschland anschauen – kaum lösbar“, sagt Knie. Jonas Rex-Quincke vom Branchenverband Zivile Drohnen sieht die Integration großer Zahlen von Flugtaxis in den Luftraum eher als große Herausforderung, ebenso wie rechtliche Aspekte. Kleinere Reallabore könnten vielleicht in den nächsten Jahren entstehen, eine Anwendung im gesamten Bundesgebiet werde wohl noch dauern.

    Und er verweist auf eine weitere, noch offene Frage: Wo und für welchen Zweck sind Flugtaxis wirtschaftlich zu betreiben? Zwischen den großen Flughäfen von New York könnte das Sinn ergeben, sagt er. Zwischen dem Hamburger Flughafen und der Binnenalster eher weniger. Hier braucht das Taxi laut Google-Maps 20, die S-Bahn 30 Minuten. Die Zeitersparnis dürfte also gering sein – bei hohen Kosten.

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    Termine

    4./5. September 2023, Haus der Unternehmer, Duisburg
    Tagung Science for Society? Arbeits- und Organisationsformen der Zukunft Mehr

    6. September 2023, Allianz Forum, Pariser Platz 6, Berlin
    Preisverleihung Unipreneurs: Die besten Professorinnen und Professoren für Startups Mehr

    11.-13. September 2023, Osnabrück
    18. Jahrestagung der Gesellschaft für Hochschulforschung Das Zusammenspiel von Hochschulforschung und Hochschulentwicklung: Empirie, Transfer und Wirkungen Mehr

    27.-29. September 2023, Freie Universität Berlin
    Gemeinsame Konferenz der Berliner Hochschulen Open-Access-Tage 2023 “Visionen gestalten” Mehr

    28. September 2023, 18-21.30 Uhr, Medizinhistorisches Museum Berlin
    Diskussionsveranstaltung der Arbeitsgruppe “Hochschulen als MINT-Innovationsmotor” im Nationalen MINT Forum Any other subject: Wie die Erweiterung des MINT-Begriffs neue Zielgruppen erschließt Mehr

    1.-10. November 2023, Berlin
    Wissenschaftsfestival Berlin Science Week Mehr

    7.-9. November 2023, Berlin
    Konferenz Falling Walls Science Summit 2023 Mehr

    16. November 2023, Wilhelm Büchner Hochschule, Darmstadt
    Tagung WBH Wissenschaftsforum 2023 – “Transformation gestalten” Mehr

    News

    PFI: Drei Prozent Aufwuchs für Forschungsorganisationen für die nächsten Jahre sicher

    Die CDU-Fraktion wollte in Sachen Pakt für Forschung und Innovation (PFI) offenbar auf Nummer sicher gehen. Man vermisste im Regierungsentwurf des Haushalts für 2024 jedenfalls ein klares Bekenntnis in Prozenten – und fragte nach (Kleine Anfrage, 20/8028). Zwar heißt es in dem vorläufigen Antwort-Papier, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) “ein zuverlässiger Partner von Bildung, Wissenschaft und Forschung” bleibe und nachhaltig die Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschaftsstandorts Deutschland stärke. Und auch weiter, dass dazu “maßgeblich” der PFI sowie der Zukunftsvertrag Studium und Lehre beitragen würden und auch, dass “beide dynamisiert sind und damit jährlichen Aufwuchs gewähren”.

    Dennoch vermissten die Christdemokraten um Thomas Jarzombek offenbar die genaue Angabe in Prozent, also wie hoch der jährliche Aufwuchs sein soll. Dies stand in den CDU-Haushalten 2020 und 2021 genau drin. In der Antwort auf die Kleine Anfrage bleibt nun keine Frage mehr offen: “Die Bundesregierung leistet die vereinbarten PFI-Aufwüchse trotz der bereits in der 19. Legislaturperiode (2017 bis 2021, die Red.) absehbaren finanziellen Herausforderungen. Die in der 19. Legislaturperiode vorgelegte Finanzplanung hatte einen niedrigeren Plafond vorgesehen, als dies unter den nun weitaus schwierigeren Rahmenbedingungen der Fall ist.” Nebenbei also ein kleiner Seitenhieb des BMBF, das die Antwort formulierte, in Richtung der christdemokratischen Fragesteller: Als noch die CDU in Regierung war, hatte diese weniger Mittel eingeplant, als es nun geben wird. Auch das kann jetzt jeder nochmal nachlesen. nik

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    BDI-Präsident Russwurm kritisiert europäisches Bürokratie-Dickicht

    Um dem US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) in Europa etwas entgegenzusetzen, sei nicht unbedingt mehr Geld erforderlich, sagt Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) im Interview mit Table.Media. “Wenn ich alle Programme zusammennehme, die die EU aufgelegt hat, sind wir bei einer vergleichbaren Größenordnung.”

    Er bemängelt vielmehr die Bürokratie und Unübersichtlichkeit wirtschaftlicher Förderung in der EU: “Beim IRA kann ich sehr leicht ausrechnen, was ich als Unternehmen für eine Förderung bekomme und mich darauf verlassen, dass es auch schnell geht”, sagt er. In Brüssel dagegen stehe man einem “Dickicht unterschiedlicher Programme, Fördertöpfe und Antragsbedingungen” gegenüber.

    Ziele für Souveränität klar benennen

    In der Diskussion um strategische Souveränität in Europa vermisst der BDI-Chef ein “Gesamtbild” mit konkreten Zielen und Zahlen. “Wir sollten sagen, welche Technologien wir in Europa haben wollen und wie umfänglich. Dann können wir als Industrievertreter konkrete Preisschilder dahinter setzen und ermitteln, was das kostet.”

    Als Beispiel nennt er das Ziel einer europäischen Solarindustrie, für das definiert werden müsste, wie viel Prozent der Solarmodule man in Europa produzieren will. “Dann muss man klären: Was muss dafür alles passieren? Wir müssten mit Experten sprechen und beziffern, welche Kapazitäten wir brauchen und wie wir diese so aufbauen, dass sie global wettbewerbsfähig sind.”

    Grundkonsens für Transformationsprozesse

    Für massive Transformationsprozesse wie die Dekarbonisierung und Digitalisierung wünscht sich Russwurm “dass es einen Grundkonsens der demokratischen Parteien mit einer breiten Akzeptanz in Wirtschaft und Gesellschaft gibt für diese Prozesse, auf den über längere Laufzeit als eine Legislaturperiode Verlass ist”.

    Die China-Strategie der Bundesregierung bezeichnet Russwurm als “ziemlich ausgewogen”. Einige Fakten würden jedoch in der öffentlichen Diskussion noch zu wenig reflektiert. Er weist darauf hin, dass die Investitionen deutscher Unternehmen in China in der Summe vollständig aus dem Gewinn des Geschäfts in China finanziert werden. “Aus Makro-Perspektive fließt also kein Geld aus Deutschland nach China. Das sollten auch jene im Blick behalten, die fragen, wie es denn sein könne, dass die Unternehmen dort noch immer so viel investieren”, sagt er.

    Für wissenschaftliche Zusammenarbeit mit China

    Um die Abhängigkeit einzelner Unternehmen von China zu reduzieren, wünscht sich Russwurm, “dass die Bundesregierung jetzt das Deutschland-Tempo auch bei der Rohstoffversorgung aufbringt”. Prüfungen chinesischer Investitionen in Deutschland hält Russwurm nur für “scharf abgegrenzte sicherheitsrelevante Bereiche, auf die bestimmte Länder keinen Zugriff bekommen sollen” erforderlich.

    Im Bereich Wissenschaft plädiert Russwurm klar für Zusammenarbeit. “Es gibt ein paar ziemlich fundamentale Fragen, die wir zum Beispiel ohne China weltweit nicht lösen können”, sagt er. Aber er könne gut nachvollziehen, “dass eine deutsche Universität sagt: Wenn ein Promotionsstipendiat von einer ganz bestimmten staatlichen Organisation eines Landes mit offenkundigen Absichten zu 100 Prozent finanziert wird, dann möchten wir diesen lieber nicht in die Herzkammer unserer Innovation lassen”. sb/th

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    Nordamerika-Reise: Memorandum of Understanding mit SSHRC unterzeichnet

    DFG-Präsidentin Katja Becker hat auf einer Reise zu Forschungsinstituten in Kanada und Nordamerika neben dem NSERC in Ottawa, den Canadian Institutes of Health Research (CIHR) auch das Social Sciences and Humanities Research Council (SSHRC) besucht. Mit SSHRC-Präsident Ted Hewitt unterzeichnete sie ein Memorandum of Understanding. Das Interesse an vertiefter Kooperation in den Geistes- und Sozialwissenschaften zwischen Kanada und Deutschland sei groß, sagt Becker. Geplant sei, die Antragstellung auf beiden Seiten und die Kooperation nun gezielt zu unterstützen.

    Bereits wenige Tage nach dessen Amtsantritt traf Becker mit Andreas Michaelis den neuen deutschen Botschafter in Washington. Aktuelle Themen wie Künstliche Intelligenz, Sicherheitsforschung, Biomedizin und Quantentechnologie sollen und können gemeinsam von Deutschland und Nordamerika bearbeitet werden, sagt Becker. Diskutiert wurden auch Aspekte des Dual-Use, der Forschungssicherheit allgemein sowie der Schutz von geistigem Eigentum. Dabei wurden die verschiedenen Herangehensweisen der einzelnen Länder beleuchtet und was dies für die internationale Kooperation bedeutet. Einigkeit herrschte, dass eine erhöhte Aufmerksamkeit bei allen am Forschungsprozess beteiligten Institutionen und Individuen notwendig ist. “Risiken und Nutzen von Forschungsprojekten müssen jeweils sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.” nik

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    Heads

    Paula Piechotta: “Politik muss es den Menschen so einfach wie möglich machen”

    Paula Piechotta (Grüne) sitzt im Gesundheits-, Forschungs- und Haushaltsausschuss des Bundestags.

    Paula Piechotta ist kein Mensch, der gern verschwendet. Nicht natürliche Ressourcen für Profit, nicht die Energie von Ärzten für Bilanzen. Gespräche beginnt sie nie mit Smalltalk, große Worte und Gefühle überlässt sie anderen. “Sagen wir mal so: Ich bin keine Claudia Roth.” Fokussiert und “sehr outcome-orientiert” betreibe sie Politik, seit sie 2021 für die Grünen in den Bundestag gezogen ist. “Wenn ich denke, dass ein Treffen wenig bringt, dauert es sicher nicht lange. Ich lege wenig Wert auf Sommerfeste von Verbänden.”

    Undenkbar viel in wenig Zeit zu schaffen, kennt die Radiologin aus der Uniklinik Leipzig. “Ich habe eine hohe Motivation, weil viele Angehörige vom System verschlissen wurden – als Patient:innen oder Angestellte”, sagt Piechotta. “Ich möchte das System verbessern.” Paula Piechotta sitzt im Gesundheits-, Forschungs- und Haushaltsausschuss. “Gesundheitspolitik ist das Unangenehmste, was man in Berlin machen kann”, sagt sie. Wegen des Umgangs mit Lobbyorganisationen, des schneidenden Tons. “Apothekerverbände versuchen durchaus mal, Personen zu beschädigen.”

    Nur Ärztinnen bekommen in der Politik nicht weniger Schlaf

    Ihr Beruf habe sie auf die Politik vorbereitet, sie in Belastbarkeit trainiert. Arbeit nachts, an Wochenenden, die Verteilung unberechenbar. “Mal gab es an einem Wochenende keinen Patienten, mal vier Schwerverletzte auf einmal, weil es einen Unfall gegeben hat.” Ähnlich ist es in der Politik; in Zeiten großer Krisen vielleicht noch etwas mehr. Unter der Woche sei es in der Klinik besser gewesen, am Wochenende schob Piechotta immer wieder 14-Stunden-Schichten. “Die einzigen, die mit dem Wechsel in die Politik nicht weniger Schlaf bekommen, sind die Ärzte.”

    Als Wurf ins kalte Wasser habe sie den Start der Legislatur nicht empfunden. “Beeindruckend war für mich, dass sich so schnell so große Fragen gestellt haben. Man merkt: Es sind besonders krasse Zeiten.” Die Sondersitzung zum Kriegsbeginn in der Ukraine sei die belastendste Situation als Abgeordnete gewesen, “wegen des Gefühls, dass sich hier gerade etwas sehr Grundlegendes ändert”. Bei Abgeordneten anderer Fraktionen, auch ihrer Koalition, habe Piechotta beobachtet, dass sie erst jahrelang zusehen, ehe sie selbst viel bewirken könnten. “Das war bei mir ganz anders. Wir sehen es im direkten Vergleich beim Haushalt.”

    Einsatz für wissenschaftsbasierte Politik und gegen Extremismus

    Den verwalten zu lassen, trauen die Grünen auch jüngeren, kürzer gedienten Abgeordneten zu – anders als die anderen Fraktionen. Neben Klimaschutz und Gesundheitspolitik seien der Kampf gegen Rechtsextremismus und für eine wissenschaftsbasierte Politik ihre Ziele. Ihre Rolle, ihre Aufgabe sieht Piechotta auch darin, Ostdeutsche in der Fraktion zu repräsentieren. Piechotta ist im thüringischen Gera geboren, lebt in Leipzig, das als progressive Insel Sachsens gilt, als “safe space” für Menschen, die vor der Dominanz rechten Gedankenguts in Teilen des ländlichen Raums flüchten. “Wenn du dich in Ostdeutschland politisch engagieren, aber keinen Hundekot im Briefkasten willst, ziehst du nach Leipzig.”

    Berührungspunkte mit der AfD kennt Piechotta aus nächstem Familienumfeld, bei Feiern würden sich einige nicht mehr an den gleichen Tisch setzen – eine Erfahrung, die einige Grüne aus ostdeutschen Bundesländern teilen. Eine Grüne hätte vor dem letzten Parteitag ihrer Familie erzählt, sie fahre nur zu einer Weiterbildung. Konfrontationen mit Rechtsaußen kennt Piechotta seit ihrer Kindheit, in der sechsten Klasse wechselte sie Schule – “die Nazis waren damals schon ein Problem.” Ihre Studienzeit verbringt Piechotta in Jena, das zugleich thüringisch und sehr studentisch ist.

    Nicht hinnehmbar, dass “Autoritarismus-Sehnsucht” weiter zunimmt

    Für ihre Facharztweiterbildung zieht Piechotta nach Heidelberg. Nach ein paar Jahren kehrt sie in den Osten zurück. “Weil man als Ostdeutsche nur zu 100 Prozent ankommt, wenn man seine Herkunft um 120 Prozent verschleiert. Da hatte ich keine Lust mehr drauf.” Dass die AfD sich auch in Westdeutschland, in Niedersachsen bei der Landtagswahl 2022 fast verdoppeln konnte, sei die größte politische Enttäuschung seit ihrem Einzug in den Bundestag gewesen, sagt Piechotta. Gewöhnlicherweise könne sie abends gut abschalten.

    Eine Wohnung in Berlin hat sie nicht; abgesehen von einzelnen Ausnahmen fährt sie immer zurück nach Leipzig, da fühle sich Berlin “sehr weit weg” an. Wenn sie abends doch über Politik nachdenken müsse, wanderten ihre Gedanken oft zur nächsten Bundestagswahl. Zur AfD. “Es ist gut belegt, dass die Autoritarismus-Sehnsucht bei Krisen zunimmt. Das dürfen wir nicht einfach hinnehmen. Die Politik muss es der Bevölkerung so einfach wie möglich machen.” Reformen: ja. Aber weiter runtergebrochen, konkreter erzählt. Zugewandter.

    “Wir müssen lernen, ordentlich zu erklären”

    Paula Piechotta sagt, dass die Koalition in der zweiten Hälfte der Legislatur besser kommunizieren müsse. “Das Tempo, was wir erstmal vorgelegt haben, hätte man nicht halten können. Wir müssen jetzt mal runterschalten. Wir müssen lernen, ordentlich zu erklären.” Die Krankenhausreform sei ihr sehr wichtig. “Wir brauchen unbedingt eine bessere Qualität. Das kann nur passieren, wenn das Personal nicht mehr so verheizt wird, was nicht mal den Patienten hilft, sondern den Bilanzen.”

    Den Kontakt zur Klinik hält Piechotta, schiebt weiterhin zwei monatliche Schichten. So bleibe sie auch unabhängig von der Politik. Ob sie 2024 wieder kandidieren will? “Würde es in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode so weitergehen wie in der ersten, käme man an körperliche Grenzen”, sagt Piechotta. “Dann müsste man sich ehrlich gesagt fragen: Kann ich das noch?” Franziska Klemenz

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    • Gesundheit

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    Dessert

    Die Geschmacksrezeptoren von Katzen sind genetisch ungewöhnlich. Das erklärt, warum sie so gerne Thunfisch fressen.

    Endlich hat die Wissenschaft eines der großen Rätsel gelöst, vor denen die Menschheit steht: Britische Forscher haben herausgefunden, warum Katzen so gerne Thunfisch fressen. Und zwar liegt das daran, dass ihre Rezeptoren für würzig-fleischige Geschmacksrichtungen, auch als umami bekannt, anders ausgeprägt sind als zum Beispiel beim Menschen. Die in den Geschmacksknospen auf der Zunge sitzenden Sinneszellen sprechen bei Katzen besonders gut auf das Nukleotid Inosinmonophosphat und die Aminosäure L-Histidin an. Beide Moleküle sind in Thunfisch in hoher Konzentration enthalten. Die Umami-Rezeptoren des Menschen hingegen reagieren besonders stark auf Glutaminsäure oder Asparaginsäure und Nukleotide.

    Katzen schmecken nichts Süßes

    Offenbar ist der Unterschied durch Mutationen an zwei Stellen der Rezeptorproteine Tas1r1 and Tas1r3 zu erklären, berichtet das Team um Scott McGrane des Waltham Petcare Science Institute, das zum Tierfutterhersteller Mars Petcare UK gehört. Mit ihrer im Fachmagazin Chemical Senses veröffentlichten Arbeit sind die Forscher auch die ersten, die nachgewiesen haben, dass Katzen über diese beiden Komponenten des Umami-Rezeptors verfügen. Dass sie das Gen für Tas1r3 haben, war bereits bekannt. Nun ist auch klar, dass Katzen auch ein Tas1r1-Gen besitzen. Nützlich seien die Erkenntnisse etwa, um Medikamente für Katzen schmackhafter zu machen oder um gesünderes Futter zu entwickeln, kommentiert in einem Science-Beitrag ein Geschmacksforscher, der nicht an der Industriestudie beteiligt war.

    Dass die Geschmacksvorlieben von Katzen besonders sind, wusste man schon vorher. Anders als etwa bei Hunden fehlt Katzen der Geschmackssinn für Süßes – ein Gendefekt. All diese Besonderheiten sind evolutionär zu erklären. Weiterentwicklung ist derweil auch für den Werbeslogan “Katzen würden Whiskas kaufen” angesagt, den es bereits seit 1962 gibt. Er müsste Thunfisch-spezifischer formuliert werden. Die Beratungen darüber können firmenintern ablaufen: Die Marke Whiskas gehört ebenso wie das Waltham Petcare Science Institute zum Mars-Konzern. Anne Brüning

    • Forschung

    Research.Table Redaktion

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