Table.Briefing: Research

CCS: Wohin mit dem CO₂? + Very british: Neues Innovationslabor + EU: Verwirrung um Tierversuche

  • Besserstellungsverbot: Ost-Institute in Not
  • CCS in Deutschland: Wohin mit dem CO₂?
  • Rafael Laguna: Für mehr Transformationsbereitschaft
  • Innovationsagentur in UK: Aria, das Superlabor
  • Peta-Petition: EU-Parlament diskutiert Tierversuche
  • Wissenschaftsrat: Höheres Grundbudget für Hochschulen
  • Heads: Thomas Bachem, Start-upler und Uni-Kanzler
Liebe Leserin, lieber Leser,

Carbon Capture and Storage gilt als eine wichtige Lösung, um die Einhaltung der Pariser Klimaziele doch noch zu erreichen. Die Industrie fordert die Möglichkeit für CCS, Robert Habeck erwägt eine Kooperation auf seiner Reise nach Norwegen und die FDP fordert, Deutschland müsse die eigenen CCS-Potenziale nutzen. Könnten wir in Deutschland CO₂ in tiefere Gesteinsschichten pressen, ist es aus Sicht der Forschung sinnvoll und was wäre dafür nötig? Ralf Nestler berichtet.   

Rund 1,2 Millionen Unterschriften haben Tierschutzorganisationen gesammelt. Gefordert wird nicht nur eine Verschärfung des Verbots von Tierversuchen für Kosmetika, sondern auch – etwas versteckt – eine schrittweise generelle Abschaffung von Tierversuchen. Wie es in der EU mit dieser Europäischen Bürgerinitiative weitergeht, erläutert Markus Weisskopf

Eigentlich ist es ganz einfach: Man gebe “herausragenden Menschen drei Jahre lang Mittel, damit sie Revolutionäres entwickeln können. Dazu ausreichend Zeit und Vertrauen”, sagt Rafael Laguna de la Vera. Im Gespräch wünscht sich der Gründungsdirektor der Bundesagentur für Sprunginnovationen eine größere Transformationsbereitschaft in Deutschland.

Ein neues “Superlabor” ist gestartet: Die britische “Advanced Research and Invention Agency” soll – nach dem Vorbild der Darpa – transformative Wissenschaft und Technologie schnell identifizieren. Ausgeben kann Aria in den ersten vier Jahren rund 800 Millionen Pfund. Da die Auswahl der geförderten Projekte rein intern erfolgt, hat sich Aria bereits vor der offiziellen Gründung deutliche Kritik aus Politik und Wissenschaft eingehandelt. Aus Brüssel kommen derweil sehnsüchtige Töne. 

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Nicola Kuhrt
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  • CCS
  • Klimaschutz
  • Tierversuche

Analyse

Deutschlands Weg zur CCS-Nutzung

Mit rund 67.000 Tonnen versenktem CO₂ ist das Forschungsprojekt Ketzin (2008 bis 2013) das bislang größte hierzulande.

CCS-Verfahren, mit denen CO₂ abgefangen und in tiefe Erdschichten gebracht wird, sind in Deutschland bislang nicht zugelassen. Die Industrie will die Entwicklung vorantreiben und hofft, mit CCS ihre Klimabilanz zu verbessern. Selbst in der Bundesregierung öffnet man sich dieser Option zusehends, zumindest was den Export von CO₂ für CCS-Verfahren angeht. Das signalisierte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei einem Besuch in Norwegen.

FDP für Speicherung im Inland

Die FDP geht sogar noch weiter. In ihrem Präsidiumsbeschluss von letzter Woche fordern die Liberalen: “Deutschland muss auch auf diesem Feld die eigenen Potenziale nutzen und darf sich nicht nur auf andere Länder verlassen, wie zum Beispiel Norwegen. Wir Freie Demokraten wollen die Speicherung von CO₂ im industriellen Maßstab kurzfristig zulassen und sprechen uns für eine Gesetzesänderung aus.”

Die Abkürzung CCS steht für Carbon Capture und Storage, also das Abfangen von CO₂ aus dem Abgas von Chemie- oder Zementfabriken, um es anschließend tief in den Untergrund zu pressen. Das Wort “Storage”, also Speichern, ist allerdings etwas irreführend. Wer wollte das Treibhausgas da wieder hervorholen? Selbst wenn es künftig ein wertvoller Rohstoff sein sollte, ließe es sich an den genannten Industrieanlagen doch leichter und billiger gewinnen als aus dem geologischen Untergrund. Treffender wäre eher das Wort Deponie.

Andere Länder sind weiter

Norwegen, Dänemark, Großbritannien oder die Niederlande sind in Sachen CCS bereits aktiv. Dort gibt es bereits Speicher oder sie werden demnächst in Betrieb gehen.

Habeck Norwegen
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck deutete bei seiner Norwegen-Reise an, die norwegisch-deutsche Energiepartnerschaft auch um den Bereich CCS zu erweitern.

Deutsche Unternehmen – etwa Chemie- oder Zementfabriken – wollen ihr CO₂ dort loswerden, wenn die Abscheidetechnik einsatzbereit ist. “Es muss noch geklärt werden, ob die geplanten Speicher im Ausland groß genug sind, die CO₂-Mengen der Industrie aufzunehmen”, sagt Franz May von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). “Derzeit ist die Nachfrage sehr groß.”

Speicherungsgesetz anpassen und geologische Daten erheben

Der Bundesverband der Industrie (BDI) will sich nicht auf den Export allein verlassen. Auf Anfrage von Research.Table erklärt ein Sprecher des Verbands, dass es “rasch eine Strategie für den Hochlauf dieser wichtigen Technologie” brauche und ergänzt: “Die Erkundung neuer potenzieller Speicherstätten in Deutschland sollte ermöglicht werden.”

Dafür müssten:

  • zuerst das Kohlendioxid-Speicherungsgesetz (KSpG) geändert werden, das die geologische Speicherung in Deutschland derzeit untersagt.
  • geeignete Schichten im Untergrund gefunden werden. Bisher gibt es lediglich Potenzialgebiete, die als aussichtsreich gelten, etwa im Norddeutschen Becken oder im Oberrheingraben. Zudem bewertet die BGR derzeit potenzielle Speicherstrukturen in der deutschen Nordsee neu.
  • weitere geologische Daten erhoben und ausgewertet werden, seismische Untersuchungen und Grundwassermessungen erfolgen, dazu auch Bohrungen, um die Eigenschaften der mehrere hundert Meter tiefen Schichten besser einschätzen zu können.

“Je nachdem, wie viele Informationen bereits vorliegen, dauert dies zwischen drei und zehn Jahren, ehe der Speicherbetrieb starten kann”, sagt Franz May. Vorausgesetzt, die Gesteinsschichten erweisen sich auch nach detaillierter Prüfung als geeignet.

Während des Betriebs ist, insbesondere bei ersten Projekten, wissenschaftliche Begleitung nötig, sagt May. Mit rund 67.000 Tonnen versenktem CO₂ ist das Forschungsprojekt Ketzin (2008 bis 2013) das bislang größte hierzulande. Kommerzielle Speicher müssten um ein Vielfaches größer sein – insgesamt will die Industrie mehrere Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr loswerden.

Großskalige Projekte könnten beginnen

“Grundsätzlich ist das Einspeichern machbar”, sagt May. Das zeigten die Erfahrungen aus dem Ausland. “Die Extrapolation der Erkenntnisse aus Forschungsprojekten auf große Mengen in kommerziellen Speichern geht mit Unsicherheiten einher, die in Simulationen und Laborexperimenten nicht direkt abgedeckt werden können.” Die wissenschaftliche Begleitung dieser Projekte könnte dann Anpassungsbedarfe und Optimierungsmöglichkeiten zeigen sowie Anstöße für geotechnische Innovationen liefern.

Das Deutsche Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam, das die Leitung beim Projekt Ketzin innehatte, erklärt: Die verfügbaren Technologien und das akquirierte Wissen sind ausreichend, um großskalige Projekte sofort zu beginnen. “Sollte Begleitforschung in zukünftigen CCS-Industrieprojekten angefragt werden, dann wird es sich unserer Einschätzung nach vor allem um behördlich beauflagtes Monitoring von Umweltauswirkungen handeln”, sagt die wissenschaftliche Vorständin Susanne Buiter.

Auch die Abtrennung von CO₂ aus Industrieprozessen erfordert weitere Entwicklung. Zwei Technologien dominieren hier:

  • Post-Combustion Capture: Nach der Verbrennung wird CO2 aus dem Abgas geholt, beispielsweise mittels Aminwäsche.
  • Oxyfuel-Verfahren: Hier erfolgt die Verbrennung mit reinem Sauerstoff, das Abgas enthält fast nur Wasserdampf und CO₂, die sich leicht trennen lassen.

Hoffnung auf Roll-out bis 2030

Die Zementindustrie verfolgt parallel mehrere Ansätze, berichtet Jens Romeike, Leiter Energie- und Klimapolitik beim Verein Deutscher Zementwerke (vdz). Aktuell befänden sich diese auf einem Technology-Readiness-Level bei 5 bis 6 von neun möglichen Stufen. “Wir hoffen, diese bis 2030 auf Level 8 zu bekommen, um dann den Roll-out zu beginnen“, sagt Romeike.

Führend ist das CCS-Vorhaben Brevik in Norwegen, wo Heidelberg Materials (früher Heidelberg Cement) ab 2024 rund 400.000 Tonnen CO₂ jährlich an einem Zementwerk abscheiden und speichern will. In Mergelstetten (Baden-Württemberg) wird ebenfalls eine CO₂-Abscheide-Anlage gebaut, für das Forschungsprojekt “catch4climate”, das von vier Unternehmen getragen wird.

Die Fachleute haben noch einiges zu tun. Alle Verfahren erfordern einen erhöhten Energieeinsatz, weshalb der Wirkungsgrad der Anlagen sinkt.

BMWK: Carbon-Management-Strategie kommt

Innovationen tragen dazu bei, die CO₂-Abtrennung effizienter und billiger zu machen. Sie lassen sich zudem gut in andere Länder exportieren, die ebenso den Ausstoß der Industrie verringern wollen. Das macht Jens-Uwe Repke von der TU Berlin deutlich. Er forscht mit Industriepartnern an einer neuen Technologie zur Aminwäsche, die wesentlich platzsparender sein soll als das bisherige Verfahren. “Sie käme auch für andere Anwendungen infrage, beispielsweise auf Schiffen”, sagt er. Noch in diesem Jahr soll eine Pilotanlage im Holcim-Zementwerk Beckum (NRW) in Betrieb gehen.

Derzeit arbeitet die Bundesregierung an einer Carbon-Management-Strategie. Darin soll unter anderem geklärt werden, bei welchen Emittenten das CCS-Verfahren unterstützt, ob und wie CO₂ zur Speicherung exportiert wird. Mitte des Jahres soll die Strategie fertig sein, teilt das Wirtschaftsministerium (BMWK) auf Anfrage mit. Dass sich Habeck zeitnah auf eine Diskussion über die Speicherung im Inland einlässt, gilt als unwahrscheinlich. Die Grünen dürften ähnlichen Gegenwind wie beim Braunkohleabbau oder der Endlagersuche erwarten.

Bei CCS gehe es nicht nur um wissenschaftlich-technische Fragen, sondern auch um die Kosten, um den erhöhten Energiebedarf, der idealerweise von Erneuerbaren gedeckt werden sollte. Es gehe um die Umweltauswirkungen und ebenso um die Akzeptanz in der Bevölkerung, Politik und NGOs, sagt Hans-Joachim Kümpel, der bis 2016 Präsident der BGR war und anschließend eine Arbeitsgruppe der acatech zum Thema leitete. “Wenn es gelingen soll, muss man diese Aspekte unbedingt zusammenbringen, sonst droht es abermals zu scheitern.” Ralf Nestler

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Laguna fordert Staatsfonds für Deep Tech

Rafael Laguna de la Vera.

Krisenerfahren ist er eigentlich schon, sagt Rafael Laguna de la Vera. Er komme aus der digitalen Welt, kenne die Infrastrukturen verteilten Arbeitens. Mehrfach habe er bereits Unternehmen aufgebaut. Und doch, die Sprind inmitten der Corona-Pandemie zu starten, das habe schon eine deutliche Verzögerung bedeutet. Wobei: Administrative und regulatorische Vorgaben hätten die Sprind dabei stärker ausgebremst als das Virus: “Wir mussten erst ohne Personal eine Ausschreibung für eine Personalagentur machen, bevor wir diese beauftragen konnten, uns bei der Personalsuche zu unterstützen. Im Nachhinein, wenn man das geschafft hat, kommt man sich ein wenig wie Münchhausen vor, der behauptete, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen zu haben.”

Was es aber braucht, jetzt, wo man sich aus dem Sumpf gezogen hat, ist für Laguna glasklar: “Wir brauchen einen Staatsfonds, der irgendwann mal auf zehn Billionen aufwachsen muss.” Das sei die Zahl, die rauskomme, wenn man sich mit Norwegen oder Singapur vergleichen will. “In Deutschland leben 83 Millionen Menschen, in Norwegen rund 5,5 Millionen – sie haben 1,3 Billionen in ihrem Fonds.” Das gehe nicht von heute auf morgen, wäre aber nötig: Start-ups seien, wenn sie nicht Deep Tech machten und frühphasige Finanzierung suchten, mittlerweile gut versorgt. “Sehr schwierig wird es nach wie vor für Deep Tech auch im Frühphasenbereich, weil die nicht zwei Millionen, sondern eher 20 Millionen brauchen. Das bekommt man sehr schlecht. Im Spätphasenbereich sieht es dann für alle schlecht aus.”

Stimmt die Incentivierung? Fördern wir die richtigen Projekte?

Es brauche eine größere Transformationsbereitschaft in Deutschland. Wenn man die Projektförderung in Deutschland einmal von außen betrachte, dann müsse man sich schon fragen, ob Deutschland die richtigen Incentivierungssysteme habe und ob wirklich die richtigen Projekte finanziert werden.

In Deutschland forsche man eigentlich an der Zeit vorbei, sagt Laguna. Durch die langen Antrags- und Bewilligungszeiträume werden dann zwei Jahre später oft Projekte aus der Vergangenheit genehmigt, die schon lange nicht mehr aktuell sind.

Laguna plädiert eindringlich dafür, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Ruhe arbeiten zu lassen und auch mal Links- oder Rechtsschwenks zuzulassen. “Aktuell hat Deutschland zu wenig Vertrauen in die Forscher. Wir fragen zu oft die Juristen, wir haben zu viel Angst, etwa vor dem Abfluss von Knowhow nach China und sperren die Intellectual Property lieber so weg, dass keiner außerhalb der Institute mehr drankommt. Ergebnis: was die Forscherinnen und Forscher entwickeln ist dann weg, das gehört dem Institut, der Hochschule, dem Staat.” Dies mache Ausgründungen unnötig schwierig und langwierig, so entstünden keine neuen Industrien, die Wohlstand sichern.

Misstrauen schafft großen Verlust an Forschungsförderung

 “Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen für die mit Projektförderungen verbundene Verwaltungsarbeit oft 50 bis 60 Prozent ihrer Zeit aufbringen”, sagt Laguna. “Also Mittelnachweis, Evaluation und all die Verwaltungsaufgaben, die sie im Rahmen ihrer Projekte immer machen müssen. Das heißt, schon mal mindestens die Hälfte des Geldes, das wir in Forschung und Innovation investieren, ist weg – für das Misstrauen, was wir haben.”

Lagunas pragmatischer Wunsch: Aus dem Gesamtbundeskonzept einen großen Topf freimachen und damit die Vergabe der Mittel für die Forschung wesentlich personenzentrierter machen. Herausragenden Forscherinnen und Forschern könnte man drei Jahre lang Mittel geben, damit sie etwas Revolutionäres entwickeln. Das könne Grundlagenforschung sein, das könne angewandte Forschung sein. Diesen Prozess müsste man auch nur minimal steuern und eine Verlängerungsoption einbauen. Wenn es gut laufe, gebe es noch mal Geld und die Menschen könnten in dieser Zeit ihre Institute aufbauen.

“Raus kommt in jedem Fall etwas, entweder Wissen an sich oder Translation und Applikationen des Wissens. Ich würde mir wünschen, dass wir nach und nach so fast das ganze Wissenschaftssystem ausbauen und pflegen.”

Das ganze Interview lesen Sie in “Was jetzt, Forschung?”. Die Publikation enthält Impulse aus den Gesprächen u. a. mit Martina Brockmeier (Leibniz), Jan Wörner (Acatech), Heyo Kroemer (Charité), Rafael Laguna de la Vera (Sprind), Volker Meyer-Guckel (Stifterverband), Georg Schütte (VolkswagenStiftung), Otmar D. Wiestler (Helmholtz-Gemeinschaft) und Dorothea Wagner (Wissenschaftsrat). Den kostenlosen Reader erhalten Sie hier.

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Innovationsagentur Aria: Britain first

Dominic Cummings hatte als politischer Berater von Boris Johnson die Idee zur Innovationsagentur Aria.

Sie soll die Innovationskraft einer amerikanischen Darpa nach London bringen: Der britische Wissenschaftsminister George Freeman gab am Donnerstag die formelle Gründung der “Advanced Research and Invention Agency” (Aria) als unabhängige staatliche Institution bekannt. Aria soll transformative Wissenschaft und Technologie schnell identifizieren und diese dann auch finanzieren.

Aria ist mit einem Budget in Höhe von 800 Millionen Pfund für die ersten vier Jahre ausgestattet, die recht frei ausgeben werden können: Der britische Staat vertraue auf die Entscheidungen ihrer Experten, die über die Auswahl förderfähiger Projekte entscheiden, erklärte Freeman. “Während sich der globale Wettlauf um die Führung in Wissenschaft und Technologie verschärft, wollen wir unsere Position als Wissenschafts-Supermacht weiter festigen”. Man habe Aria als globales Superlabor eingerichtet. Die Agency wird als das geistige Kind des politischen Strategen und Johnson-Beraters Dominic Cummings angesehen.

Kritik: Aria von Informationsfreiheitsgesetz ausgenommen

Zahlreiche Politiker und auch britischer Wissenschaftler übten im Vorfeld deutliche Kritik am Modell Aria, das Fachmagazin Nature berichtete. Es sei nur für wenige Menschen in Großbritannien möglich, die Entscheidungen der Aria zu überprüfen, da diese von den Gesetzen zur Informationsfreiheit ausgenommen wurde. Damit wolle man “den Verwaltungsaufwand für die Mitarbeiter von Aria verringern”, sodass sie “die innovativsten Forschungsergebnisse finden und finanzieren” können, hatte hierzu ein Regierungssprecher erklärt. Die Kritik blieb bestehen, es sei Unsinn zu behaupten, dass Transparenz nicht mit Exzellenz und Kreativität vereinbar ist.

Kritiker sehen noch einen weiteren Grund in der Verschlossenheit der Aria: Wie Nature berichtete, habe ein verteidigungs- und sicherheitspolitisches Papier, das die Regierung im vergangenen März mit dem Titel Global Britain in a Competitive Age veröffentlichte, eine weitere Erklärung dafür geliefert, Aria hinter verschlossenen Türen zu halten. “Wissenschaft und Technologie werden im gesamten Dokument erwähnt. Die Regierung sieht beides als Schlüssel zur Abwehr externer Bedrohungen, beispielsweise aus Ländern, die das Vereinigte Königreich als feindselig ansieht oder die an Terrorismus oder organisierter Kriminalität beteiligt sind”, schreibt Nature.

Abkehr vom diplomatischen Ansatz

Aria werde in dem Papier als eine Komponente unter umfassenderen Reformen zur Finanzierung und Governance der Wissenschaft erwähnt. Dies sei eine Abkehr vom Ansatz früherer Regierungen (Konservative und Labour), die die Wissenschaft auch als Instrument der Diplomatie zur Bewältigung globaler Herausforderungen gesehen haben.

Ungeachtet der Kritik startet Aria nun, um “mutige Wetten einzugehen, die die Stärken des britischen Forschungssystems nutzen, um weltverändernde Durchbrüche voranzutreiben”, wie es Aria-CEO Ilan Gur jetzt zum Kick-off beschrieb. Gur ist Begründer der US-Innovationsplattform Activate Global. Eigentlich hatte man Peter Highnam zum Chef der Agency machen wollen, doch der stellvertretende Direktor der Darpa hatte im vergangenen April den Posten überraschend wieder zurückgegeben und wechselte lieber direkt ins amerikanische Verteidigungsministerium. Vorstandsvorsitzender der Aria wird Matt Clifford, Co-Gründer von Entrepreneur first. Ebenfalls im Aria-Vorstand ist der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Chemiker Professor Sir David MacMillan und Catherine Elizabeth Bingham. Die britische Biochemikerin und Wagniskapitalgeberin leitete 2020 die Covid19-Impfstoff-Taskforce der britischen Regierung und steuerte deren Beschaffung.

Die deutsche Innovationsagentur Sprind reagiert erfreut auf das britische Gründungsgeschehen. Man stehe in einem regelmäßigen losen Austausch mit verschiedenen Innovationsagenturen und -organisationen anderer Länder”, erklärt ein Sprecher. Ein gemeinsames Treffen sei geplant. Einen Konkurrenzkampf um die besten Ideen befürchtet man nicht – eher ein Zusammenwirken: “Im Idealfall schaffen mehr Innovationen den Durchbruch, die unser aller Leben besser machen.”

Kritik an Brüssel wegen fehlendem EU-Pendant

Eine Aria-ähnliche Struktur in der EU fordert André Loesekrug-Pietri, Leiter der Joint European Disruptive Initiative (Jedi) – einer stiftungsfinanzierten Non-Profit-Förderagentur nach dem Modell der staatlichen Darpa. “Es sieht so aus, als ob Großbritannien besser verstanden hat, dass die Forschungsförderung heute zielorientiert und nicht projektorientiert ausgerichtet sein muss.”

Gutes Wissenschaftsmanagement sei nicht immer eine Frage des Geldes, sondern es gehe vielmehr um regulatorische und interdisziplinäre Freiräume. Aus Sicht von Loesekrug-Pietri sollte die EU ihre Forschungsförderung – ähnlich wie Aria und Darpa – unter anderem nach folgenden Gesichtspunkten ausrichten:

  • Schwerpunkte setzen und zielorientiert fördern. Die EU müsse ihre Förderprogramme an wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Zielen ausrichten und Themenfelder fördern, statt einzelne Projekte oder Firmen.
  • Einen Teil der Förderinfrastruktur in die Hände unabhängiger Institutionen legen, die agiler sind als Förderprogramme wie Horizon oder IPCEI.
  • Bürokratie bei der Forschungsförderung abbauen und stattdessen auf mehr Evaluation setzen, um Förderprogramme auch schneller abzuwickeln oder anders auszurichten, wenn sie nicht erfolgreich sind.
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Verwirrung um Tierversuchsregulierung

Tierversuche Forschung
Maus in einer Two Choice Discrimination Versuchsanordnung im Biomedizinischem Forschungszentrum der Justus-Liebig-Universitaet Gießen.

Mit 1,2 Millionen Unterschriften hat eine Europäische Bürgerinitiative die Schwelle überschritten, die eine Befassung von EU-Kommission und -Parlament mit dem Thema Tierversuche nach sich zieht. “Save Cruelty Free Cosmetics – Commit to a Europe Without Animal Testing” fordert nicht nur eine Verschärfung des Verbots von Tierversuchen für Kosmetika, sondern auch eine schrittweise generelle Abschaffung von Tierversuchen

USA: Ende der Tierversuchspflicht

Unabhängig davon gab es Ende 2022 in den USA mit dem FDA Modernization Act einen Schritt in Richtung Reduzierung von Tierversuchen. Dort müssen neue Medikamente nun nicht mehr verpflichtend an Tieren getestet werden, um von der US-Arzneimittelbehörde (FDA) eine Zulassung zu bekommen. Für Europa sieht die zuständige Arzneimittelbehörde EMA die Zeit für einen solchen Schritt noch nicht gekommen. Gegenüber Research.Table erklärte sie, “Tierversuche können nicht plötzlich ersetzt werden”

Der Verein “Ärzte gegen Tierversuche” und amerikanische Tierschützer feiern den FDA Modernization Act als Erfolg. Sie fanden mit ihrem bekannten Argument Eingang in die Berichterstattung, dass “90 Prozent der Medikamentenkandidaten, die alle Tierversuche erfolgreich durchliefen, später während der klinischen Studien an Menschen aussortiert werden”. Dies liege oft an einer mangelnden Wirkung des Wirkstoffs oder an erheblichen Nebenwirkungen. Bestimmte tierversuchsfreie Methoden hätten sich bereits als genauer und zuverlässiger als Tierversuche erwiesen. 

Beide Vorgänge sind unabhängig voneinander und üben doch gemeinsam einen gewissen öffentlichen Druck auf die Regulierung von Tierversuchen in der EU aus. Bisher ist es in der Kommission Konsens, dass das 3R-Prinzip – also “Reduction, Refinement und Replacement” von Tierversuchen weiter vorangetrieben wird. Es gilt aber auch, dass alternative Methoden zunächst validiert werden müssen, bevor Tierversuche ersetzt werden können. Wird dieser – von der Wissenschaft als vernünftig angesehene – Kurs in der EU nun infrage gestellt?  

Eine Einordnung: 

  1. Der FDA Modernization Act wird in den USA zunächst keine wesentliche Veränderung der Vorgehensweise mit sich bringen. Rolf Hömke vom Verband der forschenden Arzneimittelhersteller: “Es wird kein Schalter umgelegt. Die Änderung ist lediglich ein Beitrag zur Umstellung in Richtung alternative Methoden.” Das neue Gesetz ermöglicht es der FDA, neue Methoden zu akzeptieren, aber es zwingt sie nicht dazu, heißt es in einem Science-Artikel zum Thema. Und die FDA tendiere zu einem “konservativen Vorgehen”. 

EMA mit irreführenden Aussagen

  1. Es gibt in Europa kein Gesetz, das wie bisher in den USA Tierversuche in der Arzneimittelentwicklung generell vorschreibt. Deshalb verwundert die oben genannte Aussage der EMA auch Roman Stilling von der Initiative Tierversuche verstehen. Er erklärt, dass auch in Europa bereits jetzt eine Zulassung ohne Tierversuchsdaten durch die EMA theoretisch möglich ist, wenngleich die aktuelle Regelung durch die European Pharmakopeia für viele Bereiche noch keine alternativen Methoden vorsieht.  
  1. Ohne Kontext ist das 90-Prozent-Argument irreführend. In Deutschland klärt darüber zum Beispiel die Initiative Tierversuche verstehen auf, in Europa die EARA. Stefan Treue, Direktor des Deutschen Primatenzentrums in Göttingen ist enttäuscht, dass das irreführende Narrativ des Scheiterns klinischer Studien nun ungeprüft Eingang in die Berichterstattung vieler deutscher Medien findet. Dass neun von zehn Arzneimittelkandidaten in den klinischen Studien aussortiert werden, sei im Gegenteil vom System vorgesehen und eher Ausweis der Funktionstüchtigkeit. Die den klinischen Studien vorgeschalteten Tests seien vor allem dazu da, die Gefährlichkeit neuer Substanzen zu testen und die menschlichen Probanden zu schützen.   

Medien übernehmen Argumente der Tierversuchsgegner

  1. Alternative Methoden kommen voran und werden von den Herstellern als gleichwertig dargestellt. Treue weist darauf hin, dass die Hersteller der Biochips kommerzielle Interessen an ihren Produkten haben und daher mitunter der Versuchung erliegen, die Eignung ihrer Methoden zu übertreiben. Darüber hinaus kommen die Alternativen bisher nur für spezifische Gruppen von Tierversuchen infrage. 
  1. In der Bürgerinitiative wird die Forderung nach dem Ende aller Tierversuche nur sehr versteckt kommuniziert. Im Vordergrund stand das endgültige Verbot von Tierversuchen im Zusammenhang mit Kosmetika. Und das war vermutlich auch für viele Bürger der Grund, zu unterschreiben. Nichtsdestotrotz müssen sich Parlament und Kommission jetzt mit dieser Forderung beschäftigen. Auf eine Resolution des EU-Parlaments 2021, die ebenfalls einen Stufenplan zur Abschaffung der Tierversuche einforderte, antwortete die Kommission noch mit einem Bekenntnis zum aktuell eingeschlagenen Weg des 3R. 

Wie geht es weiter? 

Die Tierversuchsgegner sehen das Momentum durch beide Vorgänge auf ihrer Seite und werden die europäische Politik weiter unter Druck setzen. Kirk Leech von der European Animal Research Association (EARA) erklärt gegenüber Research.Table: “EARA wird eine Koalition europäischer Institutionen schaffen. Dort wollen wir sicherstellen, dass den Regulierungsbehörden ein ausgewogenes Informationsverhältnis zur Verfügung gestellt wird, und nicht nur von denen, die glauben, dass Tierversuche quasi übermorgen gestoppt werden können.” Auch Stefan Treue betont, dass man nun aktiv werden sollte. Die Kommission habe bisher eine sehr differenzierte und seiner Ansicht nach vernünftige Position zu diesem Thema entwickelt. Dennoch müsse man über Präsenz und Kommunikation dafür sorgen, dass die “Politiker auch ins Kleingedruckte von Unterschriftenaktionen schauen”

Aber es braucht nicht nur kurzfristige Aktion, sondern auch langfristiges Handeln der Forschung: 

  • Treue sieht den Bedarf in Richtung Politik und Öffentlichkeit noch mehr über Tierversuche zu kommunizieren – gerade zum Thema Potenziale und Grenzen von Alternativmethoden. 
  • Es braucht eine weitere Unterstützung der Forschung und Entwicklung im Bereich alternativer Methoden. 
  • Ein Faktor für das Scheitern von Arzneimittelkandidaten ist auch eine unzureichende Validität und Reproduzierbarkeit der vorgeschalteten Tests. Wenn deren Ergebnisse die Basis für tierexperimentelle und klinische Studien sind, dann ist es aus ethischer Sicht unerlässlich, eine bessere Qualitätskontrolle zu schaffen. 
  • Gleiches gilt für das Data Sharing. Daten aus Tierversuchsstudien müssen besser zugänglich gemacht werden, damit am Ende Tierversuche eingespart werden können. 

Ein solches Vorgehen könnte Wissenschaft und Pharmaforschung helfen, weiterhin ein politisches und gesellschaftliches Commitment für ein ernsthaftes und forschungsgetriebenes Replace, Reduce und Refine zu bekommen. 

Lesen Sie zum Thema Tierversuche auch den Bericht von Amelie Richter. Sie berichtet über knapper werdende Laboraffen für medizinische Versuche. Chinas Exportstopp für die Tiere wirkt sich auf die europäische Forschungslandschaft aus. Eine neue EU-Regel verschärft das Problem zusätzlich. Mehr 

  • Europapolitik
  • Forschung
  • Tierversuche

Termine

2. Februar 2023, 16:00-18:00 Uhr, Online
Diskussion Weizenbaum Institut/Michigan State University: Innovation and Competition in the Digital Economy Mehr

16. Februar 2023, 14:30 – 16:30 Uhr, Online
Vorstellung Expertenkommission Forschung und Innovation: Präsentation des EFI-Gutachtens Mehr

16. Februar 2023, 15:00 Uhr, Bremen
Round Table Stifterverband: Wege aus der MINT-Fachkräftekrise mehr

23. Februar 2023, 13:00-17:00 Uhr, Online
Öffentliche Anhörung Deutscher Ethikrat: Gerechtigkeit und Verantwortung angesichts des Klimawandels Mehr

2.-5. März 2023, Washington D.C./Online
AAAS – Annual Meeting “Science for Humanity”, Jahrestagung der American Association for the Advancement of Science. Mehr

News

Besserstellungsverbot: Forschungsinstitute  im Osten bedroht 

Kleinere gemeinnützige, industrienahe Forschungseinrichtungen (IFE) in Ostdeutschland sind in ihrer Existenz durch das Besserstellungsverbot bedroht. Davor warnen parteiübergreifend die Sprecher der Landesgruppen-Ost der Ampelkoalition. In einem Brief an die Bundesministerien für Finanzen, Wirtschaft und Forschung fordern die Politiker “eine Ausnahmeregelung zum Besserstellungsverbot mit Umsetzung im Bundeshaushaltsgesetz 2024”. 

Nach dem Besserstellungsverbot dürfen Mitarbeiter von – durch Bundesmittel geförderten – Einrichtungen nicht besser vergütet werden als Mitarbeiter mit einer vergleichbaren Tätigkeit im öffentlichen Dienst. Wissenschaftliche Koryphäen oder auch Geschäftsführer, die in Ostdeutschland zum Teil Forschungsinstitute mit mehr als 200 Beschäftigten führen und persönlich haftend sind, hätten “im öffentlichen Dienst keine klare Gegenüberstellung“, sagt Frank Junge, Bundestagsabgeordneter der SPD und einer der Unterzeichner. 

Fachkräftemangel verschärft sich 

Betroffen sind die IFE, weil sie oft mehr als 50 Prozent ihrer Einnahmen aus öffentlichen Mitteln beziehen. Sie müssen sich damit an das Besserstellungsverbot halten oder auf die Fördermittel verzichten. In Ostdeutschland seien die IFE ein wesentlicher Pfeiler für die mittelständisch geprägte Wirtschaft, sagt Junge. “Viele Unternehmen sind kleiner als im Westen und darauf angewiesen, dass sie ihre Forschung und Entwicklung an die IFE auslagern.” 

Der eklatante Fachkräftemangel in den ostdeutschen Bundesländern würde sich noch einmal verschärfen, wenn “die Bedingungen für die Fachkräfte nicht attraktiv genug sind”, sagt Frank Junge. Zudem würde man auch Probleme bekommen, gute Experten und Führungskräfte, die jetzt da sind, langfristig zu halten. “Wir brauchen noch in diesem Jahr eine Lösung, damit die industrienahen Forschungsinstitute nicht schon bald ohne wissenschaftliche Experten dastehen.” 

Veränderte Praxis im Bundeswirtschaftsministerium 

Hintergrund der Forderung, die auch Paula Piechotta und Stefan Gelbhaar (Grüne) sowie Gerald Ullrich und Hagen Reinhold (FDP) unterstützen, ist eine veränderte Praxis im BMWK. “Das Besserstellungsverbot ist schon viele Jahre gültig, aber punktuelle Abweichungen wurden bislang geduldet. Seit der neuen Legislaturperiode wird es aber sehr stringent umgesetzt”, sagt Frank Junge. Die Forschungseinrichtungen würden dadurch zunehmend in Bedrängnis kommen und hätten dies den Politikern auch wiederholt signalisiert.  

Bislang habe man keine Antwort auf den Brief bekommen, sagt Frank Junge. Auch direkte Schreiben an die Bundesminister Robert Habeck und Christian Lindner seien bislang unbeantwortet geblieben. Sein Kollege Gerald Ullrich von der FDP betont die Dringlichkeit: “Die Institute sind Grundpfeiler des ostdeutschen Mittelstandes und müssen unbedingt erhalten werden. Nur durch Forschung und Innovation kann der wirtschaftliche Rückstand zu den westdeutschen Bundesländern aufgeholt werden. Wenn wir Führungs- und Fachkräfte im Osten halten wollen, müssen wir auch gute Bezahlung ermöglichen.” tg 

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Wissenschaftsrat empfiehlt Umverteilung in der Forschungsfinanzierung

In der deutschen Forschungslandschaft sind eingeworbene Drittmittel ein unverzichtbares Qualitätsmerkmal. Die Bereitstellung der Infrastruktur und weiterer Eigenanteile für extern finanzierte Projekte frisst allerdings einen großen Teil des Grundbudgets der Hochschulen. Freie Forschung ist daher nur noch eingeschränkt möglich. Der Wissenschaftsrat will das ändern.

Gemeinsam stellten die Noch-Vorsitzende Dorothea Wagner und ihr Nachfolger Wolfgang Wick vergangene Woche das Positionspapier des Wissenschaftsrats zu Strukturveränderungen in der Forschungsfinanzierung vor. Ziel sei es, die vorhandenen Mittel “effizient und effektiv” einzusetzen, sagte Wagner. Dies sei vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen Ressourcenknappheit notwendig.

Vorschlag: Erhöhung der Projektpauschale auf 40 Prozent

Die wichtigsten Empfehlungen des Positionspapiers:

  • Eine schrittweise Erhöhung der Projekt-, bzw. Programmpauschalen bei BMBF und DFG von derzeit rund 20 auf dann 40 Prozent bis zum Ende des Jahrzehnts. Auch andere Forschungsförderer sollten sich diesen Quoten anschließen.
  • Die Selbstverständlichkeit, mit der von den Geförderten die Zusage zu Verstetigungen oder Beteiligungen an direkten Kosten gefordert werden, sollte infrage gestellt werden.
  • Ein Inflationsausgleich und Tarifsteigerungen sollen bei Projektanträgen Berücksichtigung finden.
  • Die Vorgaben der Fördermittelgeber sollten zumindest innerhalb einer Organisation vereinheitlicht werden, um Bürokratie abzubauen. Darüber hinaus wird eine höhere Flexibilität bei der Mittelverwendung angemahnt, die die Unsicherheiten in einem Forschungsprozess widerspiegelt.

Heike Solga, neue Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats, wies bei der Vorstellung des Papiers darauf hin, dass die Grundhaushalte der Hochschulen stark beansprucht seien. In einigen Einrichtungen gibt es bereits einen Stopp für die zusätzliche Einwerbung von Drittmittelprojekten. Die Eigenmittel zur Deckung der Overhead-Kosten können nicht mehr bereitgestellt werden. Für genuine Aufgaben wie freie Forschung, Strategiefähigkeit oder Infrastrukturen stehen zu wenig Mittel zur Verfügung.

Ursprünglich sollten Drittmittel lediglich eine zusätzliche Option sein, die temporäre Gelder, Impulse von außen und Qualitätskontrolle bringt. Bei einer Quote von nun 45 Prozent Anteil an den FuE-Ausgaben der Hochschulen bleibt die Gewichtung der Drittmittel dauerhaft hoch und es braucht eine Neujustierung von Grund- und Projektmitteln.

Der Anteil der Drittmittel an den FuE-Ausgaben der Hochschulen bleibt unverändert hoch.

BMBF setzt auf moderaten Aufwuchs und Erfolgsindikator Drittmittel

Die wichtigsten Geldgeber der Hochschulen – Bund und Länder – sitzen beim Wissenschaftsrat mit am Tisch. Eine mögliche Verschiebung der Gleichgewichte zwischen Bund und Ländern war wohl einer der Hauptkonfliktpunkte, die auch zu einer Verzögerung der Verabschiedung geführt hatten.

Das BMBF möchte nun “in einem ersten Schritt die entsprechende Vereinbarung des Koalitionsvertrags umsetzen, der in verlässlichen Aufwuchsschritten bis zum Ende der Vertragslaufzeit des Paktes für Forschung und Innovation die perspektivisch vereinbarte Steigerung der DFG-Programmpauschalen (PP) vorsieht”, sagte eine Sprecherin gegenüber Table.Media. Ort der Gespräche darüber soll die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz sein. Darüber hinaus macht das BMBF klar, dass es weiter auf den Erfolgsindikator Drittmittel setzt und verweist auf dessen Bedeutung gerade für “Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Anfang ihrer Karriere”. Auf Änderungen der Projektpauschalen bei eigenen Förderprogrammen geht das BMBF nicht ein.

Die DFG wird das Papier zunächst in ihren Gremien beraten. In einem Impulspapier vor der Bundestagswahl hatte man noch selbst die Erhöhung der Programmpauschale auf 30 Prozent gefordert – selbstverständlich aber finanziert durch frisches Geld von Bund und Ländern.

Und die Hochschulen selbst? Im Jahr der Exzellenzcluster möchte niemand mit offiziellen Stellungnahmen vorpreschen. In Gesprächen hört man aber viel Lob für das Papier des Wissenschaftsrats, denn viele spüren selbst die starke Belastung durch die Gegenfinanzierung von Drittmitteln in ihren Einrichtungen. mw

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EU: Hunderte Milliarden für das Klima

Zur Rettung des Industriestandorts Europa muss die EU nach Einschätzung der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hunderte Milliarden Euro in klimafreundliche Technologien investieren. Die hiesige Industrie stehe unter starkem Druck, nicht zuletzt, weil Subventionen in Ländern wie den USA und China die Wettbewerbsbedingungen verzerrten, heißt es in einer gestern vorgestellten Empfehlung der Behörde. Damit reagiert diese auf die Investitionsprogramme von China (280 Milliarden Dollar) und den USA (fast 370 Milliarden Dollar).

Diese Situation erfordere es, den Zugang zu Fördermitteln für klimaneutrale Industrie zu erweitern und zu beschleunigen, sagte von der Leyen. Konkret geht es etwa um erneuerbare Energien, Wärmepumpen, Batterieproduktion sowie Nutzung und Speicherung von CO₂. Schnellere Genehmigungsverfahren sollen den Bau von klimafreundlichen Produktionsanlagen erleichtern. Zudem ist vorgesehen, dass die Vorgaben für staatliche Beihilfen für den Zeitraum bis Ende 2025 gelockert werden.

Wie viel Geld genau gebraucht wird, sagte von der Leyen nicht. Sie will gegen Mitte des Jahres einen Vorschlag für einen sogenannten Souveränitätsfonds machen. Damit solle sichergestellt werden, dass in der ganzen EU Mittel für klimafreundliche Technologien bereitstehen. Die Kommission betont aber auch, dass in bereits bestehenden Geldtöpfen hunderte Milliarden für einen klimafreundlichen Umbau bereitstehen. “Im Moment müssen wir mit dem arbeiten, was wir gerade haben”, sagte die Kommissionspräsidentin. tg

Aus den anderen Briefings


Bildung.Table: Bundesländer ringen um Königsteiner Schlüssel2024 soll das Startchancen-Programm starten. 20 Milliarden Euro, über zehn Jahre, sind im Gespräch. Die Länder suchen in diesen Tagen eine gemeinsame Position. Doch es knirscht – vor allem bei der Verteilung der Startchancen-Milliarden. Bildung.Table liegt ein bislang unveröffentlichtes Finanztableau vor, das einige Überraschungen bereithält. Mehr

Bildung.Table: Wissenschaftler kritisieren BMBF-ExzellenzinitiativeBettina Stark-Watzinger will mit einer Exzellenzinitiative Ausbildungen attraktiver machen. Zwei Forscherinnen aus dem Wissenschaftler-Gremium der KMK haben das Konzept unter die Lupe genommen. Ihr Ergebnis: Das Projekt ist einseitig und entbehrt Evidenz. Die Berufsbildung insgesamt bringt es nicht voran. Mehr

Europe.Table: Antwort auf den IRA: EU muss wettbewerbsfähiger werden. Schon bevor die Kommission ihre Antwort auf den Inflation Reduction Act der USA vorgelegt hatte, startete die Debatte darüber. Finanzkommissar Paolo Gentiloni warnt bei seinem Besuch in Berlin davor, ausschließlich über neue Finanzhilfen zu reden. Mehr

China.Table: Baidu reagiert auf ChatGPT mit eigener KI: Das US-Unternehmen OpenAI erntet Bewunderung für die Fähigkeiten seiner künstlichen Intelligenz ChatGPT. Nicht nur Google fürchtet um sein Geschäftsmodell. Mit Baidu geht nun das erste chinesische Unternehmen in die Offensive. Mehr

Presseschau

Science – ChatGPT is fun, but not an author: Holden Thorp, Editor-in-Chief, berichtet in seinem Kommentar zu den Entwicklungen rund um ChatGPT, dass die Zeitschriften der Science-Familie derzeit ihre Lizenz- und Redaktionsrichtlinien aktualisieren. Damit soll klargestellt werden, dass von KI generierter Text nicht in ihren Arbeiten verwendet werden darf, da dies wissenschaftliches Fehlverhalten darstellt. KI spielt eine wichtige Rolle in der Wissenschaft, aber das Endprodukt muss aus menschlicher Arbeit und menschlichem Verständnis entstehen. Mehr

Financial Times – The growing tensions around spinouts at British universities: Nach Ansicht akademischer Gründer behindern die britischen Ausgründungsregeln den Erfolg universitärer Start-ups. Mit dem Argument, damit wieder die Basis für Gründungen zu finanzieren, behalten die Universitäten hohe Eigentumsanteile und Lizenzrechte. Die Unternehmen sehen darin einen Grund für die langsame Entwicklung vieler spin-offs.  Mehr

Foreign Affairs – The Trust Gap: How to fight Pandemics in a Divided Country: Michael Bang Petersen et al. unterstreichen die wichtige Rolle des öffentlichen Vertrauens für eine wirksame Reaktion auf Pandemien. Gerade Gruppen mit niedrigem Vertrauen sollten stärker in den Blick genommen werden. Um dort die Kooperation, empfehlen die Autoren, auf gemeinsame materielle Interessen, kulturelle, religiöse und verwandtschaftliche Bindungen zurückgreifen. Die US-Regierung hat es zum Beispiel während der Pandemie versäumt, in gemeindebasierte Organisationen zu investieren, die diejenigen hätten ansprechen können, die an den Pandemiepräventionsstrategien der Regierung zweifeln. Mehr

Laborjournal – Wissenschaftsbetrug ist selten. Oder? Wissen­schaftliches Fehlverhalten jenseits von HARKing und p-Hacking – also Plagiarismus, Falsifikation und Fabrikation von Daten – ist viel häufiger, als wir uns eingestehen, findet Ulrich Dirnagl in seiner Recherche heraus. Toxische Karriere- und Bewertungs­systeme zu reformieren wäre für ihn ein Lösungsansatz, der aber lange dauert. Schneller könnte ein breiter Diskurs über die Arbeitskultur in wissen­schaftlichen Arbeitsgruppen und wie wir sie verbessern können, die Wissenschaft weiterbringen und Verfehlungen Einzelner vermeiden. Mehr

Heads

Thomas Bachem – Der Hoodie-Kanzler

Thomas Bachem ist ein Nerd mit einem guten Draht zu Menschen und ein Hochschulkanzler, der auf den Anzug verzichtet.

“Hi, ich bin Tom”, daneben ein Foto von einem Mitdreißiger im Kapuzenpulli. So begrüßt der Kanzler der privaten Berliner CODE University of Applied Sciences Besucher auf seiner Website. Auch im Videointerview gibt sich Thomas Bachem jung und innovativ, ohne dabei künstlich oder anbiedernd zu wirken. Zurzeit verbringe er mit seiner Freundin und weiteren Freunden eine “Workation” in Kapstadt. Sein Auftreten erklärt er so: “Erstens habe ich keinen guten Modegeschmack, zweitens sitzen Kapuzenpullis echt bequemer, wenn man zu viele Kilo draufhat, und drittens will ich ja auch nicht aussehen wie ein Hochschulkanzler”. 

Jüngster Kanzler Deutschlands

Schon in jungen Jahren hat er sich das Programmieren selbst beigebracht und mit seinem Fachwissen Geld verdient. Anschließend war er mit unterschiedlichen Gründungen erfolgreich und auch als Business Angel tätig, bevor er den Bundesverband Deutscher Start-ups und schließlich seine eigene Hochschule gründete, die, wie er sagt, mehr Start-ups als Absolventen hervorbringt. Dort wurde Thomas Bachem der jüngste Hochschulkanzler Deutschlands.

Der 37-Jährige ist ein Nerd mit einem guten Draht zu Menschen – und er hat aus lauter Leidenschaft früh angefangen, viel zu arbeiten. Nicht alle seine Gründungen seien erfolgreich gewesen, sagt er. “Aber wenn man Talent mit vielen Versuchen kombiniert, hat man irgendwann Erfolg. Und wenn man ständig mit Menschen und Netzwerken aus der Start-up-Szene Kontakt hat, bleibt man auch am Puls der Zeit”.

Mit Rösler im Flieger nach San Francisco

Die Erfahrung, mit dem eigenen Tun etwas erreichen zu können, treibe ihn immer wieder an, sagt der gebürtige Kölner. Ein Beispiel: “Ich hatte zu Hause auf der Couch die jecke Idee, einen Verband zu gründen. Und plötzlich saß ich mit Philipp Rösler im Flieger nach San Francisco, um alle möglichen Politiker zu treffen, die ich nur aus dem Fernsehen kannte”. Es sei nie das Ziel des Verbands gewesen, Lobbyarbeit zu machen. Vielmehr wolle man eine Informations- und Anlaufstelle sein, etwa für Minister, die Zahlen aus der Szene benötigen.

Vor der Gründung des Bundesverbands deutscher Start-ups habe die Politik noch keine Ahnung davon gehabt und Start-ups bei der Entwicklung von Gesetzen wie der Abschaffung des Schachtelprivilegs einfach vergessen, sagt Thomas Bachem. Inzwischen hat aber auch die deutsche Politik erkannt, wie erfolgreich Start-ups für die deutsche Wirtschaft sind. Thomas Bachem hofft darauf, dass sie sich für eine stärkere Mitarbeiterbeteiligung und für mehr Gründungen außerhalb des IT-Sektors einsetzt.

Personalien

Auf seinen Wintersitzungen hat der Wissenschaftsrat Wolfgang Wick zu seinem 22. Vorsitzenden ab 1. Februar 2023 gewählt. Der am Universitätsklinikum Heidelberg tätige Neuroonkologe übernimmt das Amt von Dorothea Wagner, deren Mitgliedschaft im Wissenschaftsrat turnusgemäß nach sechs Jahren endet.

Der Bundespräsident hat folgende Mitglieder ab 1. Februar für drei Jahre neu in den Wissenschaftsrat berufen: Jakob Edler (Fraunhofer ISI), Christine Falk (MHH), Wolfgang Lehner (TU Dresden), Ursula Rao (Universität Leipzig), Christine Silberhorn (Universität Paderborn), Birgit Spinath (Universität Heidelberg), Harald Schwager (Evonik). Den Vorsitz der Wissenschaftlichen Kommission übernimmt Heike Solga (FU Berlin/WZB).

Nach seinem Ausscheiden als Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI) wechselt Lothar Wieler zum 1. April ans Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam. Er wird dort Sprecher des neuen Clusters Digital Health, in dem es um die Digitalisierung von Medizin und Gesundheitswesen geht. Nach acht Jahren an der Spitze des RKI freue er sich auf die Möglichkeit, seine Erfahrungen aus dem Public Health Sektor und der Bekämpfung von Pandemien nun im HPI einzubringen, erklärte Wieler.

Der Akademische Senat der Hochschule Bremen hat Konrad Wolf zum 1. September 2023 als Nachfolger von Rektorin Karin Luckey gewählt.

Die Hamburger Fern-Hochschule (HFH) hat Lars Binckebanck zum neuen Präsidenten berufen. Der 53-Jährige übernimmt die Leitung der staatlich anerkannten privaten Fernhochschule zum 1. Februar 2023 und löst damit Peter François ab, der die HFH seit 2010 geführt hat.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie uns gerne einen Hinweis für diese Rubrik an research@table.media!

q.e.d.

Der 31. Januar ist der Tag, an dem die Tastaturen in den Pressestellen der deutschen Hochschulen und Forschungsinstitute heiß laufen. 62 Forscherinnen und Forscher an deutschen Wissenschaftseinrichtungen erhielten vom European Research Council den “Consolidator Grant”. Die Förderung im Gesamtwert von 657 Millionen Euro ist ein ernstzunehmender Teil des EU-Programms “Horizon Europe”. Sie geht an junge Professorinnen und Professoren, die in einer entscheidenden Phase ihrer Karriere stecken.

Es soll den Talentiertesten dabei helfen, sich “als führende Persönlichkeiten in ihren Bereichen zu etablieren”, schreibt das ERC. Und natürlich sind die Unis und Institute stolz auf ihre ausgezeichneten Mitarbeiter. Jeder und jede bekommt eine eigene idw-Meldung, was für den geneigten Leser des idw-Abos relativ schnell anstrengend wird. Es ist oft der gleiche Dreiklang: Die Forschung wird vorgestellt, der Forscher wird vorgestellt und am Ende wird natürlich noch betont, wie viele Consolidator Grants die Universität insgesamt einheimsen konnte.

Gern etwas mehr Kreativität im nächsten Jahr! Besonders, weil Deutschland ein Vorbild sein kann, es ist schließlich das Land mit den meisten Consolidator Grants. Abgeschlagen auf Platz 2 liegt Frankreich mit 41 Auszeichnungen. Ein schwarzer Tag war der Dienstag für die junge Wissenschaftselite in Großbritannien. Weil die entsprechenden Verträge mit der EU nicht unterschriftsreif sind – Großbritannien hatte das laufende Horizon-Programm noch mitfinanziert – bekommen britische Forscher vorerst keine Consolidator Grants.

Eine kleine Spitze in Richtung Insel konnte sich das ERC in der Mitteilung zur Vergabe der Grants nicht verkneifen – und kommt damit auch Kritik aus Großbritannien zuvor: Ganz ausgeschlossen war es für britische Forscher nicht, eine Förderung von rund zwei Millionen Euro zu bekommen. “However, successful applicants from UK host institutions can still be funded, provided that they move to a host institution in an eligible country.” Vielleicht ja nach Deutschland, dann müssen sich die Pressestellen hierzulande im nächsten Jahr noch mehr anstrengen.

Research.Table Redaktion

RESEARCH.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Besserstellungsverbot: Ost-Institute in Not
    • CCS in Deutschland: Wohin mit dem CO₂?
    • Rafael Laguna: Für mehr Transformationsbereitschaft
    • Innovationsagentur in UK: Aria, das Superlabor
    • Peta-Petition: EU-Parlament diskutiert Tierversuche
    • Wissenschaftsrat: Höheres Grundbudget für Hochschulen
    • Heads: Thomas Bachem, Start-upler und Uni-Kanzler
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Carbon Capture and Storage gilt als eine wichtige Lösung, um die Einhaltung der Pariser Klimaziele doch noch zu erreichen. Die Industrie fordert die Möglichkeit für CCS, Robert Habeck erwägt eine Kooperation auf seiner Reise nach Norwegen und die FDP fordert, Deutschland müsse die eigenen CCS-Potenziale nutzen. Könnten wir in Deutschland CO₂ in tiefere Gesteinsschichten pressen, ist es aus Sicht der Forschung sinnvoll und was wäre dafür nötig? Ralf Nestler berichtet.   

    Rund 1,2 Millionen Unterschriften haben Tierschutzorganisationen gesammelt. Gefordert wird nicht nur eine Verschärfung des Verbots von Tierversuchen für Kosmetika, sondern auch – etwas versteckt – eine schrittweise generelle Abschaffung von Tierversuchen. Wie es in der EU mit dieser Europäischen Bürgerinitiative weitergeht, erläutert Markus Weisskopf

    Eigentlich ist es ganz einfach: Man gebe “herausragenden Menschen drei Jahre lang Mittel, damit sie Revolutionäres entwickeln können. Dazu ausreichend Zeit und Vertrauen”, sagt Rafael Laguna de la Vera. Im Gespräch wünscht sich der Gründungsdirektor der Bundesagentur für Sprunginnovationen eine größere Transformationsbereitschaft in Deutschland.

    Ein neues “Superlabor” ist gestartet: Die britische “Advanced Research and Invention Agency” soll – nach dem Vorbild der Darpa – transformative Wissenschaft und Technologie schnell identifizieren. Ausgeben kann Aria in den ersten vier Jahren rund 800 Millionen Pfund. Da die Auswahl der geförderten Projekte rein intern erfolgt, hat sich Aria bereits vor der offiziellen Gründung deutliche Kritik aus Politik und Wissenschaft eingehandelt. Aus Brüssel kommen derweil sehnsüchtige Töne. 

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    Ihre
    Nicola Kuhrt
    Bild von Nicola  Kuhrt
    • CCS
    • Klimaschutz
    • Tierversuche

    Analyse

    Deutschlands Weg zur CCS-Nutzung

    Mit rund 67.000 Tonnen versenktem CO₂ ist das Forschungsprojekt Ketzin (2008 bis 2013) das bislang größte hierzulande.

    CCS-Verfahren, mit denen CO₂ abgefangen und in tiefe Erdschichten gebracht wird, sind in Deutschland bislang nicht zugelassen. Die Industrie will die Entwicklung vorantreiben und hofft, mit CCS ihre Klimabilanz zu verbessern. Selbst in der Bundesregierung öffnet man sich dieser Option zusehends, zumindest was den Export von CO₂ für CCS-Verfahren angeht. Das signalisierte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei einem Besuch in Norwegen.

    FDP für Speicherung im Inland

    Die FDP geht sogar noch weiter. In ihrem Präsidiumsbeschluss von letzter Woche fordern die Liberalen: “Deutschland muss auch auf diesem Feld die eigenen Potenziale nutzen und darf sich nicht nur auf andere Länder verlassen, wie zum Beispiel Norwegen. Wir Freie Demokraten wollen die Speicherung von CO₂ im industriellen Maßstab kurzfristig zulassen und sprechen uns für eine Gesetzesänderung aus.”

    Die Abkürzung CCS steht für Carbon Capture und Storage, also das Abfangen von CO₂ aus dem Abgas von Chemie- oder Zementfabriken, um es anschließend tief in den Untergrund zu pressen. Das Wort “Storage”, also Speichern, ist allerdings etwas irreführend. Wer wollte das Treibhausgas da wieder hervorholen? Selbst wenn es künftig ein wertvoller Rohstoff sein sollte, ließe es sich an den genannten Industrieanlagen doch leichter und billiger gewinnen als aus dem geologischen Untergrund. Treffender wäre eher das Wort Deponie.

    Andere Länder sind weiter

    Norwegen, Dänemark, Großbritannien oder die Niederlande sind in Sachen CCS bereits aktiv. Dort gibt es bereits Speicher oder sie werden demnächst in Betrieb gehen.

    Habeck Norwegen
    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck deutete bei seiner Norwegen-Reise an, die norwegisch-deutsche Energiepartnerschaft auch um den Bereich CCS zu erweitern.

    Deutsche Unternehmen – etwa Chemie- oder Zementfabriken – wollen ihr CO₂ dort loswerden, wenn die Abscheidetechnik einsatzbereit ist. “Es muss noch geklärt werden, ob die geplanten Speicher im Ausland groß genug sind, die CO₂-Mengen der Industrie aufzunehmen”, sagt Franz May von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). “Derzeit ist die Nachfrage sehr groß.”

    Speicherungsgesetz anpassen und geologische Daten erheben

    Der Bundesverband der Industrie (BDI) will sich nicht auf den Export allein verlassen. Auf Anfrage von Research.Table erklärt ein Sprecher des Verbands, dass es “rasch eine Strategie für den Hochlauf dieser wichtigen Technologie” brauche und ergänzt: “Die Erkundung neuer potenzieller Speicherstätten in Deutschland sollte ermöglicht werden.”

    Dafür müssten:

    • zuerst das Kohlendioxid-Speicherungsgesetz (KSpG) geändert werden, das die geologische Speicherung in Deutschland derzeit untersagt.
    • geeignete Schichten im Untergrund gefunden werden. Bisher gibt es lediglich Potenzialgebiete, die als aussichtsreich gelten, etwa im Norddeutschen Becken oder im Oberrheingraben. Zudem bewertet die BGR derzeit potenzielle Speicherstrukturen in der deutschen Nordsee neu.
    • weitere geologische Daten erhoben und ausgewertet werden, seismische Untersuchungen und Grundwassermessungen erfolgen, dazu auch Bohrungen, um die Eigenschaften der mehrere hundert Meter tiefen Schichten besser einschätzen zu können.

    “Je nachdem, wie viele Informationen bereits vorliegen, dauert dies zwischen drei und zehn Jahren, ehe der Speicherbetrieb starten kann”, sagt Franz May. Vorausgesetzt, die Gesteinsschichten erweisen sich auch nach detaillierter Prüfung als geeignet.

    Während des Betriebs ist, insbesondere bei ersten Projekten, wissenschaftliche Begleitung nötig, sagt May. Mit rund 67.000 Tonnen versenktem CO₂ ist das Forschungsprojekt Ketzin (2008 bis 2013) das bislang größte hierzulande. Kommerzielle Speicher müssten um ein Vielfaches größer sein – insgesamt will die Industrie mehrere Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr loswerden.

    Großskalige Projekte könnten beginnen

    “Grundsätzlich ist das Einspeichern machbar”, sagt May. Das zeigten die Erfahrungen aus dem Ausland. “Die Extrapolation der Erkenntnisse aus Forschungsprojekten auf große Mengen in kommerziellen Speichern geht mit Unsicherheiten einher, die in Simulationen und Laborexperimenten nicht direkt abgedeckt werden können.” Die wissenschaftliche Begleitung dieser Projekte könnte dann Anpassungsbedarfe und Optimierungsmöglichkeiten zeigen sowie Anstöße für geotechnische Innovationen liefern.

    Das Deutsche Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam, das die Leitung beim Projekt Ketzin innehatte, erklärt: Die verfügbaren Technologien und das akquirierte Wissen sind ausreichend, um großskalige Projekte sofort zu beginnen. “Sollte Begleitforschung in zukünftigen CCS-Industrieprojekten angefragt werden, dann wird es sich unserer Einschätzung nach vor allem um behördlich beauflagtes Monitoring von Umweltauswirkungen handeln”, sagt die wissenschaftliche Vorständin Susanne Buiter.

    Auch die Abtrennung von CO₂ aus Industrieprozessen erfordert weitere Entwicklung. Zwei Technologien dominieren hier:

    • Post-Combustion Capture: Nach der Verbrennung wird CO2 aus dem Abgas geholt, beispielsweise mittels Aminwäsche.
    • Oxyfuel-Verfahren: Hier erfolgt die Verbrennung mit reinem Sauerstoff, das Abgas enthält fast nur Wasserdampf und CO₂, die sich leicht trennen lassen.

    Hoffnung auf Roll-out bis 2030

    Die Zementindustrie verfolgt parallel mehrere Ansätze, berichtet Jens Romeike, Leiter Energie- und Klimapolitik beim Verein Deutscher Zementwerke (vdz). Aktuell befänden sich diese auf einem Technology-Readiness-Level bei 5 bis 6 von neun möglichen Stufen. “Wir hoffen, diese bis 2030 auf Level 8 zu bekommen, um dann den Roll-out zu beginnen“, sagt Romeike.

    Führend ist das CCS-Vorhaben Brevik in Norwegen, wo Heidelberg Materials (früher Heidelberg Cement) ab 2024 rund 400.000 Tonnen CO₂ jährlich an einem Zementwerk abscheiden und speichern will. In Mergelstetten (Baden-Württemberg) wird ebenfalls eine CO₂-Abscheide-Anlage gebaut, für das Forschungsprojekt “catch4climate”, das von vier Unternehmen getragen wird.

    Die Fachleute haben noch einiges zu tun. Alle Verfahren erfordern einen erhöhten Energieeinsatz, weshalb der Wirkungsgrad der Anlagen sinkt.

    BMWK: Carbon-Management-Strategie kommt

    Innovationen tragen dazu bei, die CO₂-Abtrennung effizienter und billiger zu machen. Sie lassen sich zudem gut in andere Länder exportieren, die ebenso den Ausstoß der Industrie verringern wollen. Das macht Jens-Uwe Repke von der TU Berlin deutlich. Er forscht mit Industriepartnern an einer neuen Technologie zur Aminwäsche, die wesentlich platzsparender sein soll als das bisherige Verfahren. “Sie käme auch für andere Anwendungen infrage, beispielsweise auf Schiffen”, sagt er. Noch in diesem Jahr soll eine Pilotanlage im Holcim-Zementwerk Beckum (NRW) in Betrieb gehen.

    Derzeit arbeitet die Bundesregierung an einer Carbon-Management-Strategie. Darin soll unter anderem geklärt werden, bei welchen Emittenten das CCS-Verfahren unterstützt, ob und wie CO₂ zur Speicherung exportiert wird. Mitte des Jahres soll die Strategie fertig sein, teilt das Wirtschaftsministerium (BMWK) auf Anfrage mit. Dass sich Habeck zeitnah auf eine Diskussion über die Speicherung im Inland einlässt, gilt als unwahrscheinlich. Die Grünen dürften ähnlichen Gegenwind wie beim Braunkohleabbau oder der Endlagersuche erwarten.

    Bei CCS gehe es nicht nur um wissenschaftlich-technische Fragen, sondern auch um die Kosten, um den erhöhten Energiebedarf, der idealerweise von Erneuerbaren gedeckt werden sollte. Es gehe um die Umweltauswirkungen und ebenso um die Akzeptanz in der Bevölkerung, Politik und NGOs, sagt Hans-Joachim Kümpel, der bis 2016 Präsident der BGR war und anschließend eine Arbeitsgruppe der acatech zum Thema leitete. “Wenn es gelingen soll, muss man diese Aspekte unbedingt zusammenbringen, sonst droht es abermals zu scheitern.” Ralf Nestler

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    Laguna fordert Staatsfonds für Deep Tech

    Rafael Laguna de la Vera.

    Krisenerfahren ist er eigentlich schon, sagt Rafael Laguna de la Vera. Er komme aus der digitalen Welt, kenne die Infrastrukturen verteilten Arbeitens. Mehrfach habe er bereits Unternehmen aufgebaut. Und doch, die Sprind inmitten der Corona-Pandemie zu starten, das habe schon eine deutliche Verzögerung bedeutet. Wobei: Administrative und regulatorische Vorgaben hätten die Sprind dabei stärker ausgebremst als das Virus: “Wir mussten erst ohne Personal eine Ausschreibung für eine Personalagentur machen, bevor wir diese beauftragen konnten, uns bei der Personalsuche zu unterstützen. Im Nachhinein, wenn man das geschafft hat, kommt man sich ein wenig wie Münchhausen vor, der behauptete, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen zu haben.”

    Was es aber braucht, jetzt, wo man sich aus dem Sumpf gezogen hat, ist für Laguna glasklar: “Wir brauchen einen Staatsfonds, der irgendwann mal auf zehn Billionen aufwachsen muss.” Das sei die Zahl, die rauskomme, wenn man sich mit Norwegen oder Singapur vergleichen will. “In Deutschland leben 83 Millionen Menschen, in Norwegen rund 5,5 Millionen – sie haben 1,3 Billionen in ihrem Fonds.” Das gehe nicht von heute auf morgen, wäre aber nötig: Start-ups seien, wenn sie nicht Deep Tech machten und frühphasige Finanzierung suchten, mittlerweile gut versorgt. “Sehr schwierig wird es nach wie vor für Deep Tech auch im Frühphasenbereich, weil die nicht zwei Millionen, sondern eher 20 Millionen brauchen. Das bekommt man sehr schlecht. Im Spätphasenbereich sieht es dann für alle schlecht aus.”

    Stimmt die Incentivierung? Fördern wir die richtigen Projekte?

    Es brauche eine größere Transformationsbereitschaft in Deutschland. Wenn man die Projektförderung in Deutschland einmal von außen betrachte, dann müsse man sich schon fragen, ob Deutschland die richtigen Incentivierungssysteme habe und ob wirklich die richtigen Projekte finanziert werden.

    In Deutschland forsche man eigentlich an der Zeit vorbei, sagt Laguna. Durch die langen Antrags- und Bewilligungszeiträume werden dann zwei Jahre später oft Projekte aus der Vergangenheit genehmigt, die schon lange nicht mehr aktuell sind.

    Laguna plädiert eindringlich dafür, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Ruhe arbeiten zu lassen und auch mal Links- oder Rechtsschwenks zuzulassen. “Aktuell hat Deutschland zu wenig Vertrauen in die Forscher. Wir fragen zu oft die Juristen, wir haben zu viel Angst, etwa vor dem Abfluss von Knowhow nach China und sperren die Intellectual Property lieber so weg, dass keiner außerhalb der Institute mehr drankommt. Ergebnis: was die Forscherinnen und Forscher entwickeln ist dann weg, das gehört dem Institut, der Hochschule, dem Staat.” Dies mache Ausgründungen unnötig schwierig und langwierig, so entstünden keine neuen Industrien, die Wohlstand sichern.

    Misstrauen schafft großen Verlust an Forschungsförderung

     “Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen für die mit Projektförderungen verbundene Verwaltungsarbeit oft 50 bis 60 Prozent ihrer Zeit aufbringen”, sagt Laguna. “Also Mittelnachweis, Evaluation und all die Verwaltungsaufgaben, die sie im Rahmen ihrer Projekte immer machen müssen. Das heißt, schon mal mindestens die Hälfte des Geldes, das wir in Forschung und Innovation investieren, ist weg – für das Misstrauen, was wir haben.”

    Lagunas pragmatischer Wunsch: Aus dem Gesamtbundeskonzept einen großen Topf freimachen und damit die Vergabe der Mittel für die Forschung wesentlich personenzentrierter machen. Herausragenden Forscherinnen und Forschern könnte man drei Jahre lang Mittel geben, damit sie etwas Revolutionäres entwickeln. Das könne Grundlagenforschung sein, das könne angewandte Forschung sein. Diesen Prozess müsste man auch nur minimal steuern und eine Verlängerungsoption einbauen. Wenn es gut laufe, gebe es noch mal Geld und die Menschen könnten in dieser Zeit ihre Institute aufbauen.

    “Raus kommt in jedem Fall etwas, entweder Wissen an sich oder Translation und Applikationen des Wissens. Ich würde mir wünschen, dass wir nach und nach so fast das ganze Wissenschaftssystem ausbauen und pflegen.”

    Das ganze Interview lesen Sie in “Was jetzt, Forschung?”. Die Publikation enthält Impulse aus den Gesprächen u. a. mit Martina Brockmeier (Leibniz), Jan Wörner (Acatech), Heyo Kroemer (Charité), Rafael Laguna de la Vera (Sprind), Volker Meyer-Guckel (Stifterverband), Georg Schütte (VolkswagenStiftung), Otmar D. Wiestler (Helmholtz-Gemeinschaft) und Dorothea Wagner (Wissenschaftsrat). Den kostenlosen Reader erhalten Sie hier.

    • Intellectual Property
    • Sprind
    • Sprunginnovation

    Innovationsagentur Aria: Britain first

    Dominic Cummings hatte als politischer Berater von Boris Johnson die Idee zur Innovationsagentur Aria.

    Sie soll die Innovationskraft einer amerikanischen Darpa nach London bringen: Der britische Wissenschaftsminister George Freeman gab am Donnerstag die formelle Gründung der “Advanced Research and Invention Agency” (Aria) als unabhängige staatliche Institution bekannt. Aria soll transformative Wissenschaft und Technologie schnell identifizieren und diese dann auch finanzieren.

    Aria ist mit einem Budget in Höhe von 800 Millionen Pfund für die ersten vier Jahre ausgestattet, die recht frei ausgeben werden können: Der britische Staat vertraue auf die Entscheidungen ihrer Experten, die über die Auswahl förderfähiger Projekte entscheiden, erklärte Freeman. “Während sich der globale Wettlauf um die Führung in Wissenschaft und Technologie verschärft, wollen wir unsere Position als Wissenschafts-Supermacht weiter festigen”. Man habe Aria als globales Superlabor eingerichtet. Die Agency wird als das geistige Kind des politischen Strategen und Johnson-Beraters Dominic Cummings angesehen.

    Kritik: Aria von Informationsfreiheitsgesetz ausgenommen

    Zahlreiche Politiker und auch britischer Wissenschaftler übten im Vorfeld deutliche Kritik am Modell Aria, das Fachmagazin Nature berichtete. Es sei nur für wenige Menschen in Großbritannien möglich, die Entscheidungen der Aria zu überprüfen, da diese von den Gesetzen zur Informationsfreiheit ausgenommen wurde. Damit wolle man “den Verwaltungsaufwand für die Mitarbeiter von Aria verringern”, sodass sie “die innovativsten Forschungsergebnisse finden und finanzieren” können, hatte hierzu ein Regierungssprecher erklärt. Die Kritik blieb bestehen, es sei Unsinn zu behaupten, dass Transparenz nicht mit Exzellenz und Kreativität vereinbar ist.

    Kritiker sehen noch einen weiteren Grund in der Verschlossenheit der Aria: Wie Nature berichtete, habe ein verteidigungs- und sicherheitspolitisches Papier, das die Regierung im vergangenen März mit dem Titel Global Britain in a Competitive Age veröffentlichte, eine weitere Erklärung dafür geliefert, Aria hinter verschlossenen Türen zu halten. “Wissenschaft und Technologie werden im gesamten Dokument erwähnt. Die Regierung sieht beides als Schlüssel zur Abwehr externer Bedrohungen, beispielsweise aus Ländern, die das Vereinigte Königreich als feindselig ansieht oder die an Terrorismus oder organisierter Kriminalität beteiligt sind”, schreibt Nature.

    Abkehr vom diplomatischen Ansatz

    Aria werde in dem Papier als eine Komponente unter umfassenderen Reformen zur Finanzierung und Governance der Wissenschaft erwähnt. Dies sei eine Abkehr vom Ansatz früherer Regierungen (Konservative und Labour), die die Wissenschaft auch als Instrument der Diplomatie zur Bewältigung globaler Herausforderungen gesehen haben.

    Ungeachtet der Kritik startet Aria nun, um “mutige Wetten einzugehen, die die Stärken des britischen Forschungssystems nutzen, um weltverändernde Durchbrüche voranzutreiben”, wie es Aria-CEO Ilan Gur jetzt zum Kick-off beschrieb. Gur ist Begründer der US-Innovationsplattform Activate Global. Eigentlich hatte man Peter Highnam zum Chef der Agency machen wollen, doch der stellvertretende Direktor der Darpa hatte im vergangenen April den Posten überraschend wieder zurückgegeben und wechselte lieber direkt ins amerikanische Verteidigungsministerium. Vorstandsvorsitzender der Aria wird Matt Clifford, Co-Gründer von Entrepreneur first. Ebenfalls im Aria-Vorstand ist der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Chemiker Professor Sir David MacMillan und Catherine Elizabeth Bingham. Die britische Biochemikerin und Wagniskapitalgeberin leitete 2020 die Covid19-Impfstoff-Taskforce der britischen Regierung und steuerte deren Beschaffung.

    Die deutsche Innovationsagentur Sprind reagiert erfreut auf das britische Gründungsgeschehen. Man stehe in einem regelmäßigen losen Austausch mit verschiedenen Innovationsagenturen und -organisationen anderer Länder”, erklärt ein Sprecher. Ein gemeinsames Treffen sei geplant. Einen Konkurrenzkampf um die besten Ideen befürchtet man nicht – eher ein Zusammenwirken: “Im Idealfall schaffen mehr Innovationen den Durchbruch, die unser aller Leben besser machen.”

    Kritik an Brüssel wegen fehlendem EU-Pendant

    Eine Aria-ähnliche Struktur in der EU fordert André Loesekrug-Pietri, Leiter der Joint European Disruptive Initiative (Jedi) – einer stiftungsfinanzierten Non-Profit-Förderagentur nach dem Modell der staatlichen Darpa. “Es sieht so aus, als ob Großbritannien besser verstanden hat, dass die Forschungsförderung heute zielorientiert und nicht projektorientiert ausgerichtet sein muss.”

    Gutes Wissenschaftsmanagement sei nicht immer eine Frage des Geldes, sondern es gehe vielmehr um regulatorische und interdisziplinäre Freiräume. Aus Sicht von Loesekrug-Pietri sollte die EU ihre Forschungsförderung – ähnlich wie Aria und Darpa – unter anderem nach folgenden Gesichtspunkten ausrichten:

    • Schwerpunkte setzen und zielorientiert fördern. Die EU müsse ihre Förderprogramme an wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Zielen ausrichten und Themenfelder fördern, statt einzelne Projekte oder Firmen.
    • Einen Teil der Förderinfrastruktur in die Hände unabhängiger Institutionen legen, die agiler sind als Förderprogramme wie Horizon oder IPCEI.
    • Bürokratie bei der Forschungsförderung abbauen und stattdessen auf mehr Evaluation setzen, um Förderprogramme auch schneller abzuwickeln oder anders auszurichten, wenn sie nicht erfolgreich sind.
    • Deutschland
    • Forschung
    • Nobelpreis
    • Sprind
    • Technologie

    Verwirrung um Tierversuchsregulierung

    Tierversuche Forschung
    Maus in einer Two Choice Discrimination Versuchsanordnung im Biomedizinischem Forschungszentrum der Justus-Liebig-Universitaet Gießen.

    Mit 1,2 Millionen Unterschriften hat eine Europäische Bürgerinitiative die Schwelle überschritten, die eine Befassung von EU-Kommission und -Parlament mit dem Thema Tierversuche nach sich zieht. “Save Cruelty Free Cosmetics – Commit to a Europe Without Animal Testing” fordert nicht nur eine Verschärfung des Verbots von Tierversuchen für Kosmetika, sondern auch eine schrittweise generelle Abschaffung von Tierversuchen

    USA: Ende der Tierversuchspflicht

    Unabhängig davon gab es Ende 2022 in den USA mit dem FDA Modernization Act einen Schritt in Richtung Reduzierung von Tierversuchen. Dort müssen neue Medikamente nun nicht mehr verpflichtend an Tieren getestet werden, um von der US-Arzneimittelbehörde (FDA) eine Zulassung zu bekommen. Für Europa sieht die zuständige Arzneimittelbehörde EMA die Zeit für einen solchen Schritt noch nicht gekommen. Gegenüber Research.Table erklärte sie, “Tierversuche können nicht plötzlich ersetzt werden”

    Der Verein “Ärzte gegen Tierversuche” und amerikanische Tierschützer feiern den FDA Modernization Act als Erfolg. Sie fanden mit ihrem bekannten Argument Eingang in die Berichterstattung, dass “90 Prozent der Medikamentenkandidaten, die alle Tierversuche erfolgreich durchliefen, später während der klinischen Studien an Menschen aussortiert werden”. Dies liege oft an einer mangelnden Wirkung des Wirkstoffs oder an erheblichen Nebenwirkungen. Bestimmte tierversuchsfreie Methoden hätten sich bereits als genauer und zuverlässiger als Tierversuche erwiesen. 

    Beide Vorgänge sind unabhängig voneinander und üben doch gemeinsam einen gewissen öffentlichen Druck auf die Regulierung von Tierversuchen in der EU aus. Bisher ist es in der Kommission Konsens, dass das 3R-Prinzip – also “Reduction, Refinement und Replacement” von Tierversuchen weiter vorangetrieben wird. Es gilt aber auch, dass alternative Methoden zunächst validiert werden müssen, bevor Tierversuche ersetzt werden können. Wird dieser – von der Wissenschaft als vernünftig angesehene – Kurs in der EU nun infrage gestellt?  

    Eine Einordnung: 

    1. Der FDA Modernization Act wird in den USA zunächst keine wesentliche Veränderung der Vorgehensweise mit sich bringen. Rolf Hömke vom Verband der forschenden Arzneimittelhersteller: “Es wird kein Schalter umgelegt. Die Änderung ist lediglich ein Beitrag zur Umstellung in Richtung alternative Methoden.” Das neue Gesetz ermöglicht es der FDA, neue Methoden zu akzeptieren, aber es zwingt sie nicht dazu, heißt es in einem Science-Artikel zum Thema. Und die FDA tendiere zu einem “konservativen Vorgehen”. 

    EMA mit irreführenden Aussagen

    1. Es gibt in Europa kein Gesetz, das wie bisher in den USA Tierversuche in der Arzneimittelentwicklung generell vorschreibt. Deshalb verwundert die oben genannte Aussage der EMA auch Roman Stilling von der Initiative Tierversuche verstehen. Er erklärt, dass auch in Europa bereits jetzt eine Zulassung ohne Tierversuchsdaten durch die EMA theoretisch möglich ist, wenngleich die aktuelle Regelung durch die European Pharmakopeia für viele Bereiche noch keine alternativen Methoden vorsieht.  
    1. Ohne Kontext ist das 90-Prozent-Argument irreführend. In Deutschland klärt darüber zum Beispiel die Initiative Tierversuche verstehen auf, in Europa die EARA. Stefan Treue, Direktor des Deutschen Primatenzentrums in Göttingen ist enttäuscht, dass das irreführende Narrativ des Scheiterns klinischer Studien nun ungeprüft Eingang in die Berichterstattung vieler deutscher Medien findet. Dass neun von zehn Arzneimittelkandidaten in den klinischen Studien aussortiert werden, sei im Gegenteil vom System vorgesehen und eher Ausweis der Funktionstüchtigkeit. Die den klinischen Studien vorgeschalteten Tests seien vor allem dazu da, die Gefährlichkeit neuer Substanzen zu testen und die menschlichen Probanden zu schützen.   

    Medien übernehmen Argumente der Tierversuchsgegner

    1. Alternative Methoden kommen voran und werden von den Herstellern als gleichwertig dargestellt. Treue weist darauf hin, dass die Hersteller der Biochips kommerzielle Interessen an ihren Produkten haben und daher mitunter der Versuchung erliegen, die Eignung ihrer Methoden zu übertreiben. Darüber hinaus kommen die Alternativen bisher nur für spezifische Gruppen von Tierversuchen infrage. 
    1. In der Bürgerinitiative wird die Forderung nach dem Ende aller Tierversuche nur sehr versteckt kommuniziert. Im Vordergrund stand das endgültige Verbot von Tierversuchen im Zusammenhang mit Kosmetika. Und das war vermutlich auch für viele Bürger der Grund, zu unterschreiben. Nichtsdestotrotz müssen sich Parlament und Kommission jetzt mit dieser Forderung beschäftigen. Auf eine Resolution des EU-Parlaments 2021, die ebenfalls einen Stufenplan zur Abschaffung der Tierversuche einforderte, antwortete die Kommission noch mit einem Bekenntnis zum aktuell eingeschlagenen Weg des 3R. 

    Wie geht es weiter? 

    Die Tierversuchsgegner sehen das Momentum durch beide Vorgänge auf ihrer Seite und werden die europäische Politik weiter unter Druck setzen. Kirk Leech von der European Animal Research Association (EARA) erklärt gegenüber Research.Table: “EARA wird eine Koalition europäischer Institutionen schaffen. Dort wollen wir sicherstellen, dass den Regulierungsbehörden ein ausgewogenes Informationsverhältnis zur Verfügung gestellt wird, und nicht nur von denen, die glauben, dass Tierversuche quasi übermorgen gestoppt werden können.” Auch Stefan Treue betont, dass man nun aktiv werden sollte. Die Kommission habe bisher eine sehr differenzierte und seiner Ansicht nach vernünftige Position zu diesem Thema entwickelt. Dennoch müsse man über Präsenz und Kommunikation dafür sorgen, dass die “Politiker auch ins Kleingedruckte von Unterschriftenaktionen schauen”

    Aber es braucht nicht nur kurzfristige Aktion, sondern auch langfristiges Handeln der Forschung: 

    • Treue sieht den Bedarf in Richtung Politik und Öffentlichkeit noch mehr über Tierversuche zu kommunizieren – gerade zum Thema Potenziale und Grenzen von Alternativmethoden. 
    • Es braucht eine weitere Unterstützung der Forschung und Entwicklung im Bereich alternativer Methoden. 
    • Ein Faktor für das Scheitern von Arzneimittelkandidaten ist auch eine unzureichende Validität und Reproduzierbarkeit der vorgeschalteten Tests. Wenn deren Ergebnisse die Basis für tierexperimentelle und klinische Studien sind, dann ist es aus ethischer Sicht unerlässlich, eine bessere Qualitätskontrolle zu schaffen. 
    • Gleiches gilt für das Data Sharing. Daten aus Tierversuchsstudien müssen besser zugänglich gemacht werden, damit am Ende Tierversuche eingespart werden können. 

    Ein solches Vorgehen könnte Wissenschaft und Pharmaforschung helfen, weiterhin ein politisches und gesellschaftliches Commitment für ein ernsthaftes und forschungsgetriebenes Replace, Reduce und Refine zu bekommen. 

    Lesen Sie zum Thema Tierversuche auch den Bericht von Amelie Richter. Sie berichtet über knapper werdende Laboraffen für medizinische Versuche. Chinas Exportstopp für die Tiere wirkt sich auf die europäische Forschungslandschaft aus. Eine neue EU-Regel verschärft das Problem zusätzlich. Mehr 

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    Termine

    2. Februar 2023, 16:00-18:00 Uhr, Online
    Diskussion Weizenbaum Institut/Michigan State University: Innovation and Competition in the Digital Economy Mehr

    16. Februar 2023, 14:30 – 16:30 Uhr, Online
    Vorstellung Expertenkommission Forschung und Innovation: Präsentation des EFI-Gutachtens Mehr

    16. Februar 2023, 15:00 Uhr, Bremen
    Round Table Stifterverband: Wege aus der MINT-Fachkräftekrise mehr

    23. Februar 2023, 13:00-17:00 Uhr, Online
    Öffentliche Anhörung Deutscher Ethikrat: Gerechtigkeit und Verantwortung angesichts des Klimawandels Mehr

    2.-5. März 2023, Washington D.C./Online
    AAAS – Annual Meeting “Science for Humanity”, Jahrestagung der American Association for the Advancement of Science. Mehr

    News

    Besserstellungsverbot: Forschungsinstitute  im Osten bedroht 

    Kleinere gemeinnützige, industrienahe Forschungseinrichtungen (IFE) in Ostdeutschland sind in ihrer Existenz durch das Besserstellungsverbot bedroht. Davor warnen parteiübergreifend die Sprecher der Landesgruppen-Ost der Ampelkoalition. In einem Brief an die Bundesministerien für Finanzen, Wirtschaft und Forschung fordern die Politiker “eine Ausnahmeregelung zum Besserstellungsverbot mit Umsetzung im Bundeshaushaltsgesetz 2024”. 

    Nach dem Besserstellungsverbot dürfen Mitarbeiter von – durch Bundesmittel geförderten – Einrichtungen nicht besser vergütet werden als Mitarbeiter mit einer vergleichbaren Tätigkeit im öffentlichen Dienst. Wissenschaftliche Koryphäen oder auch Geschäftsführer, die in Ostdeutschland zum Teil Forschungsinstitute mit mehr als 200 Beschäftigten führen und persönlich haftend sind, hätten “im öffentlichen Dienst keine klare Gegenüberstellung“, sagt Frank Junge, Bundestagsabgeordneter der SPD und einer der Unterzeichner. 

    Fachkräftemangel verschärft sich 

    Betroffen sind die IFE, weil sie oft mehr als 50 Prozent ihrer Einnahmen aus öffentlichen Mitteln beziehen. Sie müssen sich damit an das Besserstellungsverbot halten oder auf die Fördermittel verzichten. In Ostdeutschland seien die IFE ein wesentlicher Pfeiler für die mittelständisch geprägte Wirtschaft, sagt Junge. “Viele Unternehmen sind kleiner als im Westen und darauf angewiesen, dass sie ihre Forschung und Entwicklung an die IFE auslagern.” 

    Der eklatante Fachkräftemangel in den ostdeutschen Bundesländern würde sich noch einmal verschärfen, wenn “die Bedingungen für die Fachkräfte nicht attraktiv genug sind”, sagt Frank Junge. Zudem würde man auch Probleme bekommen, gute Experten und Führungskräfte, die jetzt da sind, langfristig zu halten. “Wir brauchen noch in diesem Jahr eine Lösung, damit die industrienahen Forschungsinstitute nicht schon bald ohne wissenschaftliche Experten dastehen.” 

    Veränderte Praxis im Bundeswirtschaftsministerium 

    Hintergrund der Forderung, die auch Paula Piechotta und Stefan Gelbhaar (Grüne) sowie Gerald Ullrich und Hagen Reinhold (FDP) unterstützen, ist eine veränderte Praxis im BMWK. “Das Besserstellungsverbot ist schon viele Jahre gültig, aber punktuelle Abweichungen wurden bislang geduldet. Seit der neuen Legislaturperiode wird es aber sehr stringent umgesetzt”, sagt Frank Junge. Die Forschungseinrichtungen würden dadurch zunehmend in Bedrängnis kommen und hätten dies den Politikern auch wiederholt signalisiert.  

    Bislang habe man keine Antwort auf den Brief bekommen, sagt Frank Junge. Auch direkte Schreiben an die Bundesminister Robert Habeck und Christian Lindner seien bislang unbeantwortet geblieben. Sein Kollege Gerald Ullrich von der FDP betont die Dringlichkeit: “Die Institute sind Grundpfeiler des ostdeutschen Mittelstandes und müssen unbedingt erhalten werden. Nur durch Forschung und Innovation kann der wirtschaftliche Rückstand zu den westdeutschen Bundesländern aufgeholt werden. Wenn wir Führungs- und Fachkräfte im Osten halten wollen, müssen wir auch gute Bezahlung ermöglichen.” tg 

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    Wissenschaftsrat empfiehlt Umverteilung in der Forschungsfinanzierung

    In der deutschen Forschungslandschaft sind eingeworbene Drittmittel ein unverzichtbares Qualitätsmerkmal. Die Bereitstellung der Infrastruktur und weiterer Eigenanteile für extern finanzierte Projekte frisst allerdings einen großen Teil des Grundbudgets der Hochschulen. Freie Forschung ist daher nur noch eingeschränkt möglich. Der Wissenschaftsrat will das ändern.

    Gemeinsam stellten die Noch-Vorsitzende Dorothea Wagner und ihr Nachfolger Wolfgang Wick vergangene Woche das Positionspapier des Wissenschaftsrats zu Strukturveränderungen in der Forschungsfinanzierung vor. Ziel sei es, die vorhandenen Mittel “effizient und effektiv” einzusetzen, sagte Wagner. Dies sei vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen Ressourcenknappheit notwendig.

    Vorschlag: Erhöhung der Projektpauschale auf 40 Prozent

    Die wichtigsten Empfehlungen des Positionspapiers:

    • Eine schrittweise Erhöhung der Projekt-, bzw. Programmpauschalen bei BMBF und DFG von derzeit rund 20 auf dann 40 Prozent bis zum Ende des Jahrzehnts. Auch andere Forschungsförderer sollten sich diesen Quoten anschließen.
    • Die Selbstverständlichkeit, mit der von den Geförderten die Zusage zu Verstetigungen oder Beteiligungen an direkten Kosten gefordert werden, sollte infrage gestellt werden.
    • Ein Inflationsausgleich und Tarifsteigerungen sollen bei Projektanträgen Berücksichtigung finden.
    • Die Vorgaben der Fördermittelgeber sollten zumindest innerhalb einer Organisation vereinheitlicht werden, um Bürokratie abzubauen. Darüber hinaus wird eine höhere Flexibilität bei der Mittelverwendung angemahnt, die die Unsicherheiten in einem Forschungsprozess widerspiegelt.

    Heike Solga, neue Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats, wies bei der Vorstellung des Papiers darauf hin, dass die Grundhaushalte der Hochschulen stark beansprucht seien. In einigen Einrichtungen gibt es bereits einen Stopp für die zusätzliche Einwerbung von Drittmittelprojekten. Die Eigenmittel zur Deckung der Overhead-Kosten können nicht mehr bereitgestellt werden. Für genuine Aufgaben wie freie Forschung, Strategiefähigkeit oder Infrastrukturen stehen zu wenig Mittel zur Verfügung.

    Ursprünglich sollten Drittmittel lediglich eine zusätzliche Option sein, die temporäre Gelder, Impulse von außen und Qualitätskontrolle bringt. Bei einer Quote von nun 45 Prozent Anteil an den FuE-Ausgaben der Hochschulen bleibt die Gewichtung der Drittmittel dauerhaft hoch und es braucht eine Neujustierung von Grund- und Projektmitteln.

    Der Anteil der Drittmittel an den FuE-Ausgaben der Hochschulen bleibt unverändert hoch.

    BMBF setzt auf moderaten Aufwuchs und Erfolgsindikator Drittmittel

    Die wichtigsten Geldgeber der Hochschulen – Bund und Länder – sitzen beim Wissenschaftsrat mit am Tisch. Eine mögliche Verschiebung der Gleichgewichte zwischen Bund und Ländern war wohl einer der Hauptkonfliktpunkte, die auch zu einer Verzögerung der Verabschiedung geführt hatten.

    Das BMBF möchte nun “in einem ersten Schritt die entsprechende Vereinbarung des Koalitionsvertrags umsetzen, der in verlässlichen Aufwuchsschritten bis zum Ende der Vertragslaufzeit des Paktes für Forschung und Innovation die perspektivisch vereinbarte Steigerung der DFG-Programmpauschalen (PP) vorsieht”, sagte eine Sprecherin gegenüber Table.Media. Ort der Gespräche darüber soll die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz sein. Darüber hinaus macht das BMBF klar, dass es weiter auf den Erfolgsindikator Drittmittel setzt und verweist auf dessen Bedeutung gerade für “Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Anfang ihrer Karriere”. Auf Änderungen der Projektpauschalen bei eigenen Förderprogrammen geht das BMBF nicht ein.

    Die DFG wird das Papier zunächst in ihren Gremien beraten. In einem Impulspapier vor der Bundestagswahl hatte man noch selbst die Erhöhung der Programmpauschale auf 30 Prozent gefordert – selbstverständlich aber finanziert durch frisches Geld von Bund und Ländern.

    Und die Hochschulen selbst? Im Jahr der Exzellenzcluster möchte niemand mit offiziellen Stellungnahmen vorpreschen. In Gesprächen hört man aber viel Lob für das Papier des Wissenschaftsrats, denn viele spüren selbst die starke Belastung durch die Gegenfinanzierung von Drittmitteln in ihren Einrichtungen. mw

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    EU: Hunderte Milliarden für das Klima

    Zur Rettung des Industriestandorts Europa muss die EU nach Einschätzung der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hunderte Milliarden Euro in klimafreundliche Technologien investieren. Die hiesige Industrie stehe unter starkem Druck, nicht zuletzt, weil Subventionen in Ländern wie den USA und China die Wettbewerbsbedingungen verzerrten, heißt es in einer gestern vorgestellten Empfehlung der Behörde. Damit reagiert diese auf die Investitionsprogramme von China (280 Milliarden Dollar) und den USA (fast 370 Milliarden Dollar).

    Diese Situation erfordere es, den Zugang zu Fördermitteln für klimaneutrale Industrie zu erweitern und zu beschleunigen, sagte von der Leyen. Konkret geht es etwa um erneuerbare Energien, Wärmepumpen, Batterieproduktion sowie Nutzung und Speicherung von CO₂. Schnellere Genehmigungsverfahren sollen den Bau von klimafreundlichen Produktionsanlagen erleichtern. Zudem ist vorgesehen, dass die Vorgaben für staatliche Beihilfen für den Zeitraum bis Ende 2025 gelockert werden.

    Wie viel Geld genau gebraucht wird, sagte von der Leyen nicht. Sie will gegen Mitte des Jahres einen Vorschlag für einen sogenannten Souveränitätsfonds machen. Damit solle sichergestellt werden, dass in der ganzen EU Mittel für klimafreundliche Technologien bereitstehen. Die Kommission betont aber auch, dass in bereits bestehenden Geldtöpfen hunderte Milliarden für einen klimafreundlichen Umbau bereitstehen. “Im Moment müssen wir mit dem arbeiten, was wir gerade haben”, sagte die Kommissionspräsidentin. tg

    Aus den anderen Briefings


    Bildung.Table: Bundesländer ringen um Königsteiner Schlüssel2024 soll das Startchancen-Programm starten. 20 Milliarden Euro, über zehn Jahre, sind im Gespräch. Die Länder suchen in diesen Tagen eine gemeinsame Position. Doch es knirscht – vor allem bei der Verteilung der Startchancen-Milliarden. Bildung.Table liegt ein bislang unveröffentlichtes Finanztableau vor, das einige Überraschungen bereithält. Mehr

    Bildung.Table: Wissenschaftler kritisieren BMBF-ExzellenzinitiativeBettina Stark-Watzinger will mit einer Exzellenzinitiative Ausbildungen attraktiver machen. Zwei Forscherinnen aus dem Wissenschaftler-Gremium der KMK haben das Konzept unter die Lupe genommen. Ihr Ergebnis: Das Projekt ist einseitig und entbehrt Evidenz. Die Berufsbildung insgesamt bringt es nicht voran. Mehr

    Europe.Table: Antwort auf den IRA: EU muss wettbewerbsfähiger werden. Schon bevor die Kommission ihre Antwort auf den Inflation Reduction Act der USA vorgelegt hatte, startete die Debatte darüber. Finanzkommissar Paolo Gentiloni warnt bei seinem Besuch in Berlin davor, ausschließlich über neue Finanzhilfen zu reden. Mehr

    China.Table: Baidu reagiert auf ChatGPT mit eigener KI: Das US-Unternehmen OpenAI erntet Bewunderung für die Fähigkeiten seiner künstlichen Intelligenz ChatGPT. Nicht nur Google fürchtet um sein Geschäftsmodell. Mit Baidu geht nun das erste chinesische Unternehmen in die Offensive. Mehr

    Presseschau

    Science – ChatGPT is fun, but not an author: Holden Thorp, Editor-in-Chief, berichtet in seinem Kommentar zu den Entwicklungen rund um ChatGPT, dass die Zeitschriften der Science-Familie derzeit ihre Lizenz- und Redaktionsrichtlinien aktualisieren. Damit soll klargestellt werden, dass von KI generierter Text nicht in ihren Arbeiten verwendet werden darf, da dies wissenschaftliches Fehlverhalten darstellt. KI spielt eine wichtige Rolle in der Wissenschaft, aber das Endprodukt muss aus menschlicher Arbeit und menschlichem Verständnis entstehen. Mehr

    Financial Times – The growing tensions around spinouts at British universities: Nach Ansicht akademischer Gründer behindern die britischen Ausgründungsregeln den Erfolg universitärer Start-ups. Mit dem Argument, damit wieder die Basis für Gründungen zu finanzieren, behalten die Universitäten hohe Eigentumsanteile und Lizenzrechte. Die Unternehmen sehen darin einen Grund für die langsame Entwicklung vieler spin-offs.  Mehr

    Foreign Affairs – The Trust Gap: How to fight Pandemics in a Divided Country: Michael Bang Petersen et al. unterstreichen die wichtige Rolle des öffentlichen Vertrauens für eine wirksame Reaktion auf Pandemien. Gerade Gruppen mit niedrigem Vertrauen sollten stärker in den Blick genommen werden. Um dort die Kooperation, empfehlen die Autoren, auf gemeinsame materielle Interessen, kulturelle, religiöse und verwandtschaftliche Bindungen zurückgreifen. Die US-Regierung hat es zum Beispiel während der Pandemie versäumt, in gemeindebasierte Organisationen zu investieren, die diejenigen hätten ansprechen können, die an den Pandemiepräventionsstrategien der Regierung zweifeln. Mehr

    Laborjournal – Wissenschaftsbetrug ist selten. Oder? Wissen­schaftliches Fehlverhalten jenseits von HARKing und p-Hacking – also Plagiarismus, Falsifikation und Fabrikation von Daten – ist viel häufiger, als wir uns eingestehen, findet Ulrich Dirnagl in seiner Recherche heraus. Toxische Karriere- und Bewertungs­systeme zu reformieren wäre für ihn ein Lösungsansatz, der aber lange dauert. Schneller könnte ein breiter Diskurs über die Arbeitskultur in wissen­schaftlichen Arbeitsgruppen und wie wir sie verbessern können, die Wissenschaft weiterbringen und Verfehlungen Einzelner vermeiden. Mehr

    Heads

    Thomas Bachem – Der Hoodie-Kanzler

    Thomas Bachem ist ein Nerd mit einem guten Draht zu Menschen und ein Hochschulkanzler, der auf den Anzug verzichtet.

    “Hi, ich bin Tom”, daneben ein Foto von einem Mitdreißiger im Kapuzenpulli. So begrüßt der Kanzler der privaten Berliner CODE University of Applied Sciences Besucher auf seiner Website. Auch im Videointerview gibt sich Thomas Bachem jung und innovativ, ohne dabei künstlich oder anbiedernd zu wirken. Zurzeit verbringe er mit seiner Freundin und weiteren Freunden eine “Workation” in Kapstadt. Sein Auftreten erklärt er so: “Erstens habe ich keinen guten Modegeschmack, zweitens sitzen Kapuzenpullis echt bequemer, wenn man zu viele Kilo draufhat, und drittens will ich ja auch nicht aussehen wie ein Hochschulkanzler”. 

    Jüngster Kanzler Deutschlands

    Schon in jungen Jahren hat er sich das Programmieren selbst beigebracht und mit seinem Fachwissen Geld verdient. Anschließend war er mit unterschiedlichen Gründungen erfolgreich und auch als Business Angel tätig, bevor er den Bundesverband Deutscher Start-ups und schließlich seine eigene Hochschule gründete, die, wie er sagt, mehr Start-ups als Absolventen hervorbringt. Dort wurde Thomas Bachem der jüngste Hochschulkanzler Deutschlands.

    Der 37-Jährige ist ein Nerd mit einem guten Draht zu Menschen – und er hat aus lauter Leidenschaft früh angefangen, viel zu arbeiten. Nicht alle seine Gründungen seien erfolgreich gewesen, sagt er. “Aber wenn man Talent mit vielen Versuchen kombiniert, hat man irgendwann Erfolg. Und wenn man ständig mit Menschen und Netzwerken aus der Start-up-Szene Kontakt hat, bleibt man auch am Puls der Zeit”.

    Mit Rösler im Flieger nach San Francisco

    Die Erfahrung, mit dem eigenen Tun etwas erreichen zu können, treibe ihn immer wieder an, sagt der gebürtige Kölner. Ein Beispiel: “Ich hatte zu Hause auf der Couch die jecke Idee, einen Verband zu gründen. Und plötzlich saß ich mit Philipp Rösler im Flieger nach San Francisco, um alle möglichen Politiker zu treffen, die ich nur aus dem Fernsehen kannte”. Es sei nie das Ziel des Verbands gewesen, Lobbyarbeit zu machen. Vielmehr wolle man eine Informations- und Anlaufstelle sein, etwa für Minister, die Zahlen aus der Szene benötigen.

    Vor der Gründung des Bundesverbands deutscher Start-ups habe die Politik noch keine Ahnung davon gehabt und Start-ups bei der Entwicklung von Gesetzen wie der Abschaffung des Schachtelprivilegs einfach vergessen, sagt Thomas Bachem. Inzwischen hat aber auch die deutsche Politik erkannt, wie erfolgreich Start-ups für die deutsche Wirtschaft sind. Thomas Bachem hofft darauf, dass sie sich für eine stärkere Mitarbeiterbeteiligung und für mehr Gründungen außerhalb des IT-Sektors einsetzt.

    Personalien

    Auf seinen Wintersitzungen hat der Wissenschaftsrat Wolfgang Wick zu seinem 22. Vorsitzenden ab 1. Februar 2023 gewählt. Der am Universitätsklinikum Heidelberg tätige Neuroonkologe übernimmt das Amt von Dorothea Wagner, deren Mitgliedschaft im Wissenschaftsrat turnusgemäß nach sechs Jahren endet.

    Der Bundespräsident hat folgende Mitglieder ab 1. Februar für drei Jahre neu in den Wissenschaftsrat berufen: Jakob Edler (Fraunhofer ISI), Christine Falk (MHH), Wolfgang Lehner (TU Dresden), Ursula Rao (Universität Leipzig), Christine Silberhorn (Universität Paderborn), Birgit Spinath (Universität Heidelberg), Harald Schwager (Evonik). Den Vorsitz der Wissenschaftlichen Kommission übernimmt Heike Solga (FU Berlin/WZB).

    Nach seinem Ausscheiden als Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI) wechselt Lothar Wieler zum 1. April ans Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam. Er wird dort Sprecher des neuen Clusters Digital Health, in dem es um die Digitalisierung von Medizin und Gesundheitswesen geht. Nach acht Jahren an der Spitze des RKI freue er sich auf die Möglichkeit, seine Erfahrungen aus dem Public Health Sektor und der Bekämpfung von Pandemien nun im HPI einzubringen, erklärte Wieler.

    Der Akademische Senat der Hochschule Bremen hat Konrad Wolf zum 1. September 2023 als Nachfolger von Rektorin Karin Luckey gewählt.

    Die Hamburger Fern-Hochschule (HFH) hat Lars Binckebanck zum neuen Präsidenten berufen. Der 53-Jährige übernimmt die Leitung der staatlich anerkannten privaten Fernhochschule zum 1. Februar 2023 und löst damit Peter François ab, der die HFH seit 2010 geführt hat.

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    q.e.d.

    Der 31. Januar ist der Tag, an dem die Tastaturen in den Pressestellen der deutschen Hochschulen und Forschungsinstitute heiß laufen. 62 Forscherinnen und Forscher an deutschen Wissenschaftseinrichtungen erhielten vom European Research Council den “Consolidator Grant”. Die Förderung im Gesamtwert von 657 Millionen Euro ist ein ernstzunehmender Teil des EU-Programms “Horizon Europe”. Sie geht an junge Professorinnen und Professoren, die in einer entscheidenden Phase ihrer Karriere stecken.

    Es soll den Talentiertesten dabei helfen, sich “als führende Persönlichkeiten in ihren Bereichen zu etablieren”, schreibt das ERC. Und natürlich sind die Unis und Institute stolz auf ihre ausgezeichneten Mitarbeiter. Jeder und jede bekommt eine eigene idw-Meldung, was für den geneigten Leser des idw-Abos relativ schnell anstrengend wird. Es ist oft der gleiche Dreiklang: Die Forschung wird vorgestellt, der Forscher wird vorgestellt und am Ende wird natürlich noch betont, wie viele Consolidator Grants die Universität insgesamt einheimsen konnte.

    Gern etwas mehr Kreativität im nächsten Jahr! Besonders, weil Deutschland ein Vorbild sein kann, es ist schließlich das Land mit den meisten Consolidator Grants. Abgeschlagen auf Platz 2 liegt Frankreich mit 41 Auszeichnungen. Ein schwarzer Tag war der Dienstag für die junge Wissenschaftselite in Großbritannien. Weil die entsprechenden Verträge mit der EU nicht unterschriftsreif sind – Großbritannien hatte das laufende Horizon-Programm noch mitfinanziert – bekommen britische Forscher vorerst keine Consolidator Grants.

    Eine kleine Spitze in Richtung Insel konnte sich das ERC in der Mitteilung zur Vergabe der Grants nicht verkneifen – und kommt damit auch Kritik aus Großbritannien zuvor: Ganz ausgeschlossen war es für britische Forscher nicht, eine Förderung von rund zwei Millionen Euro zu bekommen. “However, successful applicants from UK host institutions can still be funded, provided that they move to a host institution in an eligible country.” Vielleicht ja nach Deutschland, dann müssen sich die Pressestellen hierzulande im nächsten Jahr noch mehr anstrengen.

    Research.Table Redaktion

    RESEARCH.TABLE REDAKTION

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