Table.Briefing: Research

BMBF will von Israel lernen + Politikberatung: Theorie für die Praxis + Scicomm-Support startet + Deutsche Hochschule in Hainan

Liebe Leserin, lieber Leser,

Israel ist eine Start-up-Nation. In keinem anderen Land werden gemessen an der Einwohnerzahl so viele Firmen neu gegründet. Kein Wunder, dass die deutsche Forschungsministerin, die es nach mehr Agilität und Innovationsfreude dürstet, sich das genauer ansehen wollte. Von Montag bis Mittwoch war Bettina Stark-Watzinger mit einer BMBF-Delegation dort. Um zu lernen, wie sie betonte. Markus Weisskopf war dabei und berichtet über die Erkenntnisse.

Braucht Deutschland womöglich bessere Politikberatung beim Thema Innovation? Im zweiten Teil unserer Serie “Politikberatung, quo vadis?” blicken wir auf die Theorie dieses Metiers. Die meisten Beratenden richten sich nach dem Konzept des US-Forschers Roger Pielke, der mit der Idee des Wissenschaftlers als Honest Broker bekannt wurde. Ob in der Realität immer ehrlich vermittelt wird, lesen Sie im heutigen Briefing.

Falls unsere Serie weitere Forschende dazu anregt, sich in der Politikberatung zu engagieren, gehen sie möglicherweise das Risiko ein, für politisch unliebsame Aussagen öffentlich beleidigt, beschimpft und bedroht zu werden. In der Corona-Pandemie war das besonders evident. Der Bundesverband Hochschulkommunikation und die Initiative Wissenschaft im Dialog haben nun eine Anlaufstelle geschaffen: Heute startet der Scicomm-Support. Mehr darüber in den News.

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Anne Brüning
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Analyse

Viel Geld, wenig Bürokratie: Israels Innovationskonzept

Drei Tage hat sich Bettina Stark-Watzinger Zeit genommen. Sie wollte das viel gerühmte israelische Innovationssystem kennenlernen. Es standen unter anderem das Weizmann-Institut, die Israel Innovation Authority und die Tel Aviv-University auf dem Programm.

Ministerin: Das deutsche Mindset muss sich ändern

Wo die Probleme Deutschlands liegen, weiß die Ministerin nur zu genau. An das “Mindset” müsse man ran, ließ sie vor der Ankunft in Tel Aviv wissen. Denn da habe Deutschland ein Problem. Doch das ist nicht das einzige: Die Ministerin beklagte lange Entscheidungswege und viel Förderbürokratie. Gerade bei neuen, aktuellen Themen seien die Förderstrukturen nicht geeignet, agil zu reagieren. Deshalb gebe es jetzt den Umweg über die Agenturen Sprind und Dati. Darüber hinaus fehlt es in Deutschland an Venture Capital. Aber auch hier sei man dran, wie die Start-up-Strategie zeige, betonte die Ministerin. In ganz Europa müsse man die Dinge verändern – weg von Subvention, hin zu Innovation.

Ins Risiko gehen: In Israel ist das normal

In Israel gibt es die Rahmenbedingungen schon. Agile Strukturen wie beim Weizmann Institute of Science, viel Kapital – auch aus dem Ausland – und natürlich: das Mindset. “Hier ist es normal ins Risiko zu gehen”, sagte einer der Vertreter der israelischen Innovationsszene. Auch wenn man gescheitert ist, gibt es weiterhin Förderung – im Zweifel auch noch ein drittes Mal, sagte Ami Appelbaum, Chairman der Israel Innovation Authority. Dort liegt – was die Start-up-Förderung angeht – alles in einer Hand, mit einem Budget von 500 Millionen Dollar im Jahr. Das ist in etwa so, als wären in Deutschland die Agenturen Dati und Sprind sowie die Exist-Programme alle in einem Haus. Nur mit größerem Budget und ohne Reibungsverluste zwischen einzelnen Ministerien oder zwischen Bund und Ländern.

Israel will stärker an Horizon Europe ran

Immer wieder wurde deutlich, dass auch die Israelis großes Interesse an den Beziehungen mit Deutschland haben. Wenn es um die israelische Stellung in europäischen Förderprogrammen wie Horizon Europe geht, zum Beispiel oder bei den Zugängen zu großen Forschungsinfrastrukturen. Diese Punkte wurden auch beim Treffen mit dem israelischen Forschungsminister Ofir Akunis deutlich. Dort wurde über die Fortführung der German-Israeli-Foundation (GIF) gesprochen. Bis Oktober sollen die verbleibenden Fragen gelöst werden. Die GIF unterstützt den Austausch der beiden Länder bei Wissenschaft und Technologie.

Groß ist die Sorge der israelischen Wissenschaftler, dass Beziehungen und Kooperationen und auch die Wissenschaft in Israel selbst unter der Politik der aktuellen Regierung leiden könnten. Immer wieder war die Justizreform Thema auf der Rundfahrt der deutschen Ministerin. Einige fürchten, dass man sich nach der Justiz die Wissenschaft vornehmen wird. Diese Aussage soll es tatsächlich in Regierungskreisen gegeben haben, berichtete ein Vertreter der israelischen Wissenschaft. In den vergangenen Monaten gab es bereits erste Versuche, in die akademische Freiheit einzugreifen. So wollte Bildungsminister Yoav Kish die Besetzung des Boards der Nationalbibliothek beeinflussen. Und auch im Council for Higher Education wollte Kish einen passenden Kandidaten installieren. Die deutsche Ministerin dankte der israelischen Wissenschaftscommunity für ihr Engagement für die Demokratie, vermied zumindest offiziell aber klare Worte.

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Beratende Wissenschaftler zwischen Idealtypus und Realität

Welche Konzepte beschreibt die Forschung für die wissenschaftliche Politikberatung? Nach welchen Leitlinien arbeiten Akademien und Forschungseinrichtungen? Um diese Fragen geht es im zweiten Teil unserer Serie “Politikberatung, quo vadis?”.  

Roger Pielke ist im Bereich der Forschung zur wissenschaftlichen Politikberatung wohl der meistzitierte Wissenschaftler. Er beschrieb 2007 verschiedene Typen von Wissenschaftlern

  • Der reine Wissenschaftler (Pure Scientist) ist der Wissenschaftler im “Elfenbeinturm” 
  • Auch der Wissenschafts-Schiedsrichter (Science Arbiter) trennt strikt zwischen Wissenschaft und Politik. Er versucht jedoch politisch relevante Fragen zu beantworten, reduziert diese dann auf ihren wissenschaftlichen Kern.  
  • Der Anwalt in einer bestimmten Angelegenheit (Issue Advocate) hat an ausgewählten Themen ein besonderes Interesse und wird zum Verbündeten von politischen Gruppen. 
  • Der ehrenhafte Vermittler (Honest Broker) versucht Wissenschaft mit Politik zu verbinden, er wird aber nicht parteiisch.  

Das RIU-Modell skizziert eine wechselseitige Perspektive 

Das von dem Politologen Michael Böcher und dem Forstwissenschaftler Max Krott entwickelte RIU-Modell (Research – Integration – Utilization) stellt eine Weiterentwicklung dar und hat eine prozesshaftere Perspektive. Im klassischen technokratischen Modell bietet die Wissenschaft auf Nachfrage der Politik eine Lösung. Diese kann die Politik direkt übernehmen. In diesem Modell führt ein Mehr an Beratung zu einer besseren Politik. 

Im RIU-Modell ist wissenschaftliche Politikberatung dagegen ein wechselseitiger Prozess. In dessen Zentrum steht die Integration. Hier treffen politische und wissenschaftliche Ansprüche stetig aufeinander. Der Integrationsprozess garantiert am Ende, dass es keine rein wissenschaftlichen Lösungen gibt, sondern diese auch immer die politische Komponente im Blick haben. Dabei ist auch klar, dass Politiker oft nur die Lösungen wählen, die zu ihren Interessen passen und manchen wissenschaftlichen Rat völlig ignorieren. 

Akademien ziehen Anregungen aus den Theorien 

Erfolgreiche wissenschaftliche Politikberatung integriert beide Logiken. Böcher zufolge macht die Trennung zwischen wissenschaftlichen und politischen Argumenten in der Integration die Verantwortlichkeiten von Wissenschaft und Politik sichtbar. Er betont, dass in einer Demokratie “nur die gewählten Vertreterinnen und Vertreter der Bürger, nicht jedoch die Wissenschaft, politische Entscheidungen treffen” dürfen. 

In den Leitlinien und Thesen der deutschen Akademien werden verschiedene Anregungen aus den theoretischen Konzepten aufgenommen: 

Machtpolitik und spezifische Interessen statt Honest Broker 

Regina Riphahn, Vizepräsidentin der Leopoldina, sieht die Nationalakademie weder epistokratisch ausgerichtet, noch agiere sie als Honest Broker. Die Leopoldina zeige wissenschaftliche Fakten und Handlungsoptionen auf, entscheiden müsse die demokratisch legitimierte Politik. Gespräche mit anderen Verantwortlichen in den Akademien oder Wissenschaftsorganisationen zeigen, dass dort die meisten dem Idealbild des Honest Broker entsprechen wollen.  

Kenner des Feldes beobachten jedoch immer wieder, dass auch spezifische Interessen oder machtpolitische Erwägungen im Spiel sind. Einige Akteure hätten sich zu sehr “im Glanze der Macht gesonnt”, berichtet ein Vertreter der Szene. Man sei “stolz darauf gewesen, besonders regierungsnah” zu sein. Besonders evident sei dies in manchen Stellungnahmen der Leopoldina zur Pandemiepolitik gewesen.  

Auswahl der Experten ist ein umstrittenes Thema 

Teils sind die Ergebnisse bereits durch die Zusammensetzung der Expertengremien verzerrt. Armin Grunwald, Leiter des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) stellt beispielsweise fest, dass Wirtschaftsinteressen sehr wohl – und nicht nur bei acatech – eine Rolle spielen. Zivilgesellschaftliche Organisationen und Perspektiven würden hingegen nur selten eingebunden. Dies sei beim TAB anders.  

Generell ist die Auswahl der Experten ein umstrittenes Thema. In den Wiener Thesen stellen die Leopoldina und die ÖAW fest, dass nur die Akademien wirkliche wissenschaftliche Expertise erkennen könnten. Christoph Markschies, Präsident der BBAW, wünscht sich auch Selbstkritik der Akademien. Natürlich sollten die Akademien die beste Expertise vereinen. Aber der Zuwahlprozess müsse zu diesem Zweck immer wieder evaluiert werden, denn man habe gesehen, dass in der Vergangenheit nicht immer alle notwendige Expertise berücksichtigt worden sei. 

Mehr Transparenz und Krisenreaktionsfähigkeit gefordert. 

Grunwald wünscht sich vor allen Dingen eine höhere Transparenz bezüglich der Prozesse. Abseits prominenter Stellungnahmen durch die Leopoldina und einige Kommissionen geschehe vieles im Verborgenen. Hier brauche es eine bessere Kommunikation über die Strukturen und Prozesse wissenschaftlicher Politikberatung. Immerhin, bei acatech wird intern über das Thema wohl immer wieder diskutiert und reflektiert.  

Und auch mit der Politik diskutiere man über die Herangehensweisen in der Politikberatung. Eine öffentliche Diskussion über dieses Thema findet allerdings kaum statt.

Christoph Markschies wünscht sich hingegen einen Kulturwandel in dem gewachsenen Feld hin zu einer größeren Krisenreaktionsfähigkeit. Es brauche einen Professionalisierungsschub, dessen Anfänge auch bereits zu beobachten seien.

Konzentrationsprozesse und höhere Spezialisierung wahrscheinlich 

In der weiteren Entwicklung werde es wohl Konzentrationsprozesse sowie eine höhere Spezialisierung geben. So wie sich die BBAW unter anderem auf die Beobachtung des Wissenschaftssystems konzentriere, werde es entsprechende Organisationen geben, die Expertise in einem Fachgebiet langfristig aufbauen. Es gelte dann in einer Krise schnell auf dieses Wissen zugreifen zu können.

In Teil 3 lesen Sie, welche Erwartungen und Wünsche Politiker an beratende Wissenschaftler haben. Die Serie “Politikberatung, quo vadis?” finden Sie gesammelt hier. 

Weitere Informationen:

Leopoldina und ÖAW: Wiener Thesen  zur wissenschaftsbasierten Beratung von Politik und Gesellschaft

Leopoldina: Diskussionspapier “Nutzen von wissenschaftlicher Evidenz”

Forschung & Lehre: Schwerpunktausgabe zur Politikberatung

Pielke, R.A. Jr.: The Honest Broker. Making Sense of Science in Policy and Politics

Michael Böcher: Publikation über das RIU-Modell

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  • Politikberatung, quo vadis?

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Termine

6.-8. September 2023, Magdeburg
Jahrestagung des Bundesverbands Hochschulkommunikation Wissenschaft, Kommunikation, Politik: Wie neutral dürfen wir noch sein? Mehr

11.-13. September 2023, Osnabrück
18. Jahrestagung der Gesellschaft für Hochschulforschung Das Zusammenspiel von Hochschulforschung und Hochschulentwicklung: Empirie, Transfer und Wirkungen Mehr

20.-22. September 2023, Hyperion Hotel, Leipzig
Konferenz SEMANTiCS und Language Intelligence 2023 Mehr

27.-29. September 2023, Freie Universität Berlin
Gemeinsame Konferenz der Berliner Hochschulen Open-Access-Tage 2023 “Visionen gestalten” Mehr

News

Hochschulgründung in Hainan: Erste Belastungsprobe für die Chinastrategie

Das Timing wirkt kurios: Nicht einmal eine Woche nach der Veröffentlichung der Chinastrategie, in der die Bundesregierung strengere Grenzen für wissenschaftliche Kooperationen vorgibt, hat die Hochschule Bielefeld (HSBI) bekannt gegeben, dass sie eine eigene Hochschule auf der chinesischen Tropeninsel Hainan gründet. Die Süddeutsche Zeitung hatte darüber zuerst berichtet. An der Hainan Bielefeld University of Applied Sciences, abgekürzt BiUH, sollen ab dem Wintersemester bis zu 140 Studierende Computer Science und Digital Technologies auf Bachelor studieren können.

Nach Aussage von HSBI-Präsidentin Ingeborg Schramm-Wölk soll die BiUH “eine nach dem deutschen Modell der Hochschulen für angewandte Wissenschaften arbeitende, unabhängige Hochschule” sein, in der “Wissenschaftsfreiheit großgeschrieben” werde. Tatsächlich hat die neue Hochschule für chinesische Verhältnisse besondere Freiheiten. Der rechtliche Status der Wirtschaftsentwicklungszone Yangpu/Danzhou im Norden der Insel entbindet das deutsch-chinesische Projekt davon, dem chinesischen Partner 51 Prozent der Anteile zu überlassen.

BiUH soll Risiken im Blick haben und beiden Seiten zugutekommen

Trotzdem dürfte das Projekt vor der von der Bundesregierung ausgegebenen Maxime des De-Risking politisch äußerst sensibel sein. China hatte in der jüngeren Vergangenheit unliebsame Wissenschaftler sanktioniert und Stipendienprogramme und das Spionageabwehrgesetz verschärft, das auch deutsche Wissenschaftler betreffen könnte. Zudem nutzte die Volksrepublik gemeinsam erreichte Forschungsergebnisse für die Weiterentwicklung von Sicherheitssystemen oder militärischen Forschungsprojekten.

Letzteres könnte besonders brisant sein, denn der chinesische Ballon, der mutmaßlich Spionagezwecken diente und den das US-Militär im Januar über dem amerikanischen Festland abgeschossen hatte, soll nach Informationen des US-Militärs von der Insel Hainan gestartet sein. Die BiUH wird all das im Blick haben, verspricht Präsidentin Schramm-Wölk auf Nachfrage von Table.Media: “Wir wollen gewährleisten, dass Forschungsergebnisse der BiUH beiden Ländern, China und Deutschland, zugutekommen und dabei Dual-Use von Forschungsergebnissen ausschließen. Bekenntnisse in Grundordnungen sind dabei natürlich das eine, ein kontinuierlicher Verhandlungsprozess ist das andere.”

Clearingsstelle soll mögliche Gefahren kontinuierlich verhandeln

Dieser Prozess sei planmäßig vorgesehen, im Kuratorium, im Präsidium, in den Gremien der BiUH und in einer geplanten Clearingstelle, sagte Schramm-Wölk. “Unterm Strich wird in der BiUH Wissen ausgetauscht, und es werden internationale Fachkräfte ausgebildet. Davon können und sollen sowohl Deutschland als auch China profitieren.” Durch die Chinastrategie der Bundesregierung fühle sie sich sogar gestärkt, sagt die Wissenschaftlerin.

China sei für Deutschland von großer Bedeutung: “Wir haben hierzulande einen enormen Bedarf an Personen mit China-Expertise, um erfolgreiche Kooperationen auf Augenhöhe mit gegenseitigem Verständnis und kultursensiblem Umgang zu gestalten.” Für die Entwicklung des Projekts BiUH habe man sich unter anderem an den Leitfragen zur Hochschulkooperation mit der Volksrepublik China der Hochschulrektorenkonferenz gehalten.

Projekt ist auch eine Gratwanderung für das BMBF

Auch für Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger ist das Projekt eine Gratwanderung. Nach der Veröffentlichung der Chinastrategie kündigte die Forschungsministerin an: “Die Bundesregierung wird ihre Förderregularien entsprechend anpassen und den Dialog mit der Wissenschaft und den Hochschulen sowie deren weitere Sensibilisierung stärken.” Sie sehe zudem derzeit nur begrenzt Spielräume für neue Kooperationen, hatte Stark-Watzinger bereits bei den Regierungskonsultationen im Juni gesagt.

Das Hochschulprojekt könnte sie dementsprechend als Altlast des eigenen Hauses betrachten. Von deutscher Seite fördert nämlich der DAAD das Projekt zwischen 2021 und 2024 mit 3,5 Millionen Euro aus Mitteln des BMBF im Rahmen der Programmlinie “Transnationale Bildungsangebote deutscher Hochschulen im Ausland”. Die ganz erheblichen Mittel, die für den Bau der Hochschule in Yangpu erforderlich sind, werden nach Angaben der HSBI durch die Provinzregierung Hainan beziehungsweise die Stadt Danzhou bereitgestellt. Langfristig soll sich die Hochschule über die in China üblichen Studiengebühren selbst finanzieren. tg

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Digitale Podiumsdiskussion zum Start vom Scicomm-Support

Bei digitaler Gewalt, diskreditierenden Medienkampagnen und weiteren Formen von Angriffen in der Wissenschaftskommunikation bietet von heute an das Projekt Scicomm-Support Hilfe. Über eine Website und telefonische Beratung unterstützt und berät die Anlaufstelle betroffene Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren. Scicomm-Support ist ein Angebot des Bundesverbands Hochschulkommunikation und der Initiative Wissenschaft im Dialog. 

In einem digitalen Lunch-Talk am heutigen Donnerstag, 20. Juli, um 12:30 Uhr wird das Projekt vorgestellt. Julia Wandt, Vorsitzende des Bundesverbands Hochschulkommunikation, und Kristin Küter, Wissenschaft im Dialog, gehen auf die Hintergründe ein und geben Auskunft über die weitere Strategie und Entwicklung. Pia Lamberty, Geschäftsführerin des Center for Monitoring, Analyse und Strategie spricht über das Phänomen der Wissenschaftsfeindlichkeit. Moderiert wird die Veranstaltung von Elisabeth Hoffmann, Chief Communication Officer an der Universität Köln. abg 

Details über die Anlaufstelle Scicomm-Support lesen Sie am heutigen Donnerstag ab 8:00 Uhr hier.  

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Noch immer Gesetzeslücke bei Risikobewertung von Glyphosat und Co.

Beruhen die Entscheidungen der EU-Behörden, etwa zur Giftigkeit von Pestiziden, auf objektiven Daten? Das Europäische Parlament hat sich am Dienstag in einer öffentlichen Anhörung mit dieser Frage befasst. Zuletzt hatte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in ihrer Risikoeinschätzung grünes Licht für die Verlängerung des umstrittenen Herbizids Glyphosat gegeben und für Kritik gesorgt.

Anlass war eine Studie der Stockholmer Wissenschaftler Axel Mie und Christina Rudén. Die Forscher hatten sich angesehen, welche Toxizitätsstudien Antragsteller jeweils bei der US-amerikanischen Zulassungsbehörde EPA und der europäischen EFSA eingereicht haben. Das Ergebnis: Ein Viertel der Studien, die an die EPA gingen, wurden der EFSA nicht vorgelegt.

Eine Mehrheit dieser unterlassenen Studien hätte einen Einfluss auf die Risikobewertung haben können, sagte Axel Mie vor den Abgeordneten des Umwelt- und des Agrarausschusses. “Es ist die Verantwortung von Unternehmen, die Studien an die Behörden weiterzuleiten”, betonte der Forscher. Unternehmen wie Bayer und Syngenta, gestern beide vertreten, seien ihrer Verantwortung nicht nachgekommen.

McGuinness: Es zählt jede Studie

Sowohl Kommission als auch Regulierungsbehörden EFSA und ECHA sehen darin einen Gesetzesverstoß. “Aus Kommissionssicht wurde nicht korrekt gehandelt. Nicht alle relevanten Informationen wurden vorgelegt”, sagte Kommissionsvertreterin Claire Bury.

Die Vertreterinnen von Syngenta und Bayer wiesen den Vorwurf zurück. Man habe immer alle relevanten Studien eingereicht. ECHA-Direktorin Sharon McGuinness argumentiert, es sei nicht an den Herstellern zu urteilen, welche Studien relevant sind und welche nicht: “Es zählt jede Studie für eine vollständige Risikobewertung.”

Verantwortung liegt bei Mitgliedstaaten

Seit 2021 ist ein neues Gesetz in Kraft: die Verordnung über die Transparenz und Nachhaltigkeit der EU-Risikobewertung im Bereich der LebensmittelketteObwohl sich die Stockholmer Studie auf die Periode vor dem neuen Gesetz konzentriert, weisen die Ergebnisse auf eine Lücke in der neuen Verordnung hin. Demnach müssen Antragsteller die Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) über sämtliche in Auftrag gegeben Studien informieren. Die Rohdaten werden auch öffentlich gemacht. Das gilt allerdings nur für neue Studien. Bestehende Studien sind damit nicht erfasst. “Das Problem ist mit diesem Gesetz nicht gelöst”, sagt Forscher Mie.

Ein weiteres Problem, das bei der Anhörung deutlich wurde: Die Verantwortung, zu prüfen, ob das Dossier eines Antragsstellers komplett ist, liegt bei den Mitgliedsstaaten, nicht bei der EFSA. Und nur sie können Strafen oder Sanktionen verhängen, wenn Studien fehlen. In den von den Stockholmer untersuchten Fällen kam es nicht zu Sanktionen. Und nun sei es zu spät, betonte Kommissionsvertreterin Bury.

EFSA-Chef: System durch mehr Kontrollen verbessern

Dazu kommt: Die Hersteller müssen selbst nachweisen, dass ihr Produkt sicher ist. Sprich, es obliegt ihnen, die nötigen Studien durchzuführen und zu bezahlen. Die Stockholmer Forscher sehen darin einen inhärenten Interessenkonflikt: Den Herstellern, die Studien in Auftrag geben, ist am positiven Ergebnis gelegen. Die Labore wollen ihre Auftraggeber nicht verlieren.

“Wir ebenen den Weg dafür, dass wir uns in ein paar Jahren noch einmal hier austauschen”, sagte Forscher Mie. Das Problem sieht EFSA-Chef Bernhard Url nicht. Man könne nicht einfach einen fundamental anderen Ansatz wählen. Aber man könne das System durch mehr Audits und Kontrollen verbessern, erklärte er. Denn, das wurde auch bei der Anhörung klar: Öffentliche Behörden wie die EFSA und ECHA haben gar nicht das Budget, um Studien in Auftrag zu geben oder durchzuführen. cw

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Liebe Beschäftigte in Bundesministerien und obersten Bundesbehörden, Ihre Vorgesetzten (von denen viele China.Table Professional Briefing lesen) fordern in der neuen China-Strategie: “Die China-Kompetenz in der Bundesregierung muss gestärkt werden”. Wir laden Sie ein, so gut informiert zu sein wie Ihre Vorgesetzten. Lernen Sie China.Table Professional Briefing jetzt auch kennen: Zum kostenlosen Test

Presseschau

Nature – The true cost of science’s language barrier for non-native English speakers. Wissenschaftler, die nicht Englisch als Muttersprache haben, sind im Nachteil. Das zeigt eine Studie australischer Forscher, die im Bereich Umweltwissenschaften untersucht haben, wie viel Zeit einzelne Wissenschaftler benötigen, um zum Beispiel Studien zu lesen und zu schreiben. Dabei zeigte sich, dass Nicht-Muttersprachler bis zu doppelt so viel Zeit aufwenden und dazu weniger an internationalen Konferenzen teilnehmen. Mehr

Nature – Can India’s new billion-dollar funding agency boost research? Mit der National Research Foundation will Indien die Forschung an den Universitäten, Hochschulen und Instituten des Landes massiv fördern. Das Gesetz zur Einrichtung der Stiftung soll in den nächsten drei Wochen ins indische Parlament eingebracht werden. Die Foundation wird über ein Budget von rund sechs Milliarden US-Dollar für fünf Jahre verfügen. Etwa 70 Prozent dieser Mittel sollen von Investoren aus dem Privatsektor kommen, der Rest wird von der Regierung getragen. Die Wissenschaftsszene im Land ist voller Hoffnung, dass das klappt. Doch es gibt auch skeptische Stimmen. Mehr

Heads

Volker Hofmann – Berliner Forschungsperlen veredeln

Der gelernte Betriebswirt Volker Hofmann leitet die Humboldt-Innovation GmbH, die Unternehmenstochter der Berliner Humboldt-Universität.

“Wir haben im Land Berlin keine klassischen Rohstoffe, unser Rohstoff heißt Innovation”, sagt Volker Hofmann. Der Geschäftsführer der Humboldt-Innovation GmbH kümmert sich um die Veredelung der Erkenntnisse, die bei der Grundlagenforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU Berlin) entstehen. “Die Gründung eines Start-ups ist eine Option”, erklärt der 42-Jährige. Die unternehmerische Tochter der Universität unterstütze aber auch bei der unbürokratischen Umsetzung von Auftragsforschung und biete Weiterbildungsformate für Aufsichtsräte in Unternehmen an.

Wenn er auf Geburtstagspartys auf seinen Job angesprochen wird, merkt Hofmann oft, dass viele Berliner längst mit seiner Arbeit in Berührung gekommen sind. Der Grund: “Wir betreiben auch den Museumsshop im Naturkundemuseum und vertreiben die Merchandise-Produkte der HU.” Zwei davon sind im Videointerview hinter ihm auf einem Regalbrett zu sehen – kleine weiße Einstein-Büsten aus Gips. Die Aufgabenteilung mit der Universität ist ganz einfach, erklärt Hofmann: Die Humboldt-Innovation konzentriert sich auf die Bereiche Anwendung und Unternehmertum, die Universität als Körperschaft öffentlichen Rechts setzt den Fokus auf Forschung und Lehre.

Vielseitig interessiert

Hofmann kommt gebürtig aus Berlin und hat Betriebswirtschaftslehre studiert – natürlich an der HU. Mit der Wahl des Studienfaches hat er einen Treffer gelandet, sagt er rückblickend: “Das Fach deckt eine enorme Breite ab, man kann in viele Bereiche mal reinschauen.” Ihm als neugierigen Menschen komme das sehr gelegen. Noch während seines Studiums gelangte er an eine Beraterstelle und half europäischen Unternehmen dabei, in Südostasien Fuß zu fassen.

Nach anderthalb Jahren in Kuala Lumpur kehrte er 2009 nach Berlin zurück. “Ich habe die Möglichkeit bekommen, den Start-up-Service an der Humboldt-Universität aufzubauen.”

Präsentation mit Wirtschaftsminister

Die neuen Strukturen zu etablieren, das war für die HU und Hofmann Neuland. Auf seinem LinkedIn-Profil ist noch ein Foto aus dem Jahr 2012 zu finden, das ihn zeigt, wie er dem damaligen Wirtschaftsminister Philipp Rösler den Start-Up-Inkubator der HU präsentierte – bei belegten Brötchen. Der Gründungsservice ging nach einigen Jahren in der Humboldt-Innovation auf, seitdem steuert Hofmann das “unternehmerische Schnellboot” als Geschäftsführer. Inzwischen sind 25 Teammitglieder fest an Bord, hinzu kommen Projektmitarbeiter und 14 Kollegen am Servicezentrum Forschung der HU. Dort leitet Hofmann parallel den Bereich “Innovation und Transfer”.

Beide Einheiten arbeiteten eng zusammen. Für die Zukunft kann sich Hofmann gut vorstellen, die Bande zu anderen Berliner Forschungsstandorten enger zu knüpfen. Die Trennung nach Hochschulen ergibt seiner Meinung nach wenig Sinn: “Das ist eine künstliche Barriere, die dem, was wir zusammen könnten, nicht Rechnung trägt.” Wenn das Ziel ein gemeinsamer, “integrierter” Forschungsraum in Berlin sei, wäre ein gemeinsamer Innovationsraum nur die logische Konsequenz. Heißt die Humboldt-Innovation dann bald Berlin-Innovation? Hofmann muss lachen. So genau möchte er sich doch noch nicht festlegen. Paul Meerkamp

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Personalien

Hanno Gottschalk tritt an der Technischen Universität Berlin die erste von drei Professuren im Rahmen der Kooperation mit dem Werner-von-Siemens Centre for Industry and Science an. Er leitet das neu gegründete Fachgebiet “Mathematische Modellierung von industriellen Lebenszyklen” an der mathematisch-naturwissenschaftlichen und betreut das Technologiefeld Digitalisierung.

Hartmut Löwen vom Institut für Theoretische Physik II der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) ist für seine besonderen Leistungen im Bereich der Statistischen Physik mit dem SigmaPhi-Preis ausgezeichnet worden. Der Preis wird alle drei Jahre auf einer Tagung in Griechenland verliehen und gilt als bedeutende internationale Auszeichnung für Statistische Physik.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

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Bildung.Table. Thüringen zweckentfremdete Bildungsgeld vom Bund. Das “Aufholen nach Corona”-Programm sollte die Pandemie-Folgen für Kinder und Jugendliche abfedern. In Thüringen kam ein Großteil des Geldes aber nie bei den Schulen an. Was bedeutet das für künftige Bund-Länder-Schulprogramme? Mehr

Bildung. Table. Schulminister loben sich für Corona-Schülerhilfen. Im Abschlussbericht sind die Länder voll des Lobes für ihre “Aufholen nach Corona”-Maßnahmen: Schnell, unbürokratisch, wirksam. Selbst für die Tatsache, dass sie die Hilfen für Schüler eher im Blindflug verstreuten, finden die Minister einen Grund. Wer das Aufholprogramm überwiegend bezahlte, verraten sie nicht. Mehr

Climate.Table. Hitzewellen: Die Wissenschaft hat gewarnt. Exzessive Wärme rund um das Mittelmeer, Hitzerekorde in den USA und erwartete Temperaturhöchststände in Italien, Frankreich, Spanien, Polen und Deutschland passen in die Projektionen des UN-Weltklimarats IPCC. Das Gremium hat in seinen letzten Berichten vor genau diesen Zuständen gewarnt. Mehr

Dessert

Ist James Webb wirklich der passende Pate für das Weltraumteleskop? In Zukunft will die Nasa bei der Namensgebung vorsichtiger sein und auf Promi-Namen lieber verzichten.

Die Nasa hat viele ihrer Weltraumteleskope nach bedeutenden Persönlichkeiten benannt. Damit soll in Zukunft Schluss sein. Grund dafür ist ein Streit in den USA, ob der ehemalige Nasa-Chef James Webb wirklich ein würdiger Namenspatron sei. Webb hatte in den 1960er Jahren immerhin die erste bemannte Mondlandung der USA verantwortet, allerdings fällt auch die Apollo-1-Katastrophe in seine Amtszeit. Zuletzt waren auch Vorwürfe aufgekommen, dass er Personen aus sexuellen Minderheiten fristlos entlassen haben soll – auch wenn die noch nicht aufgeklärt sind.

Jedenfalls will man in Zukunft etwas sorgsamer auswählen, wem ein rund zehn Milliarden Dollar teures Weltraumdenkmal gesetzt wird. Fachleute sollen überprüfen, ob die Persönlichkeiten unvergleichbare Verdienste für die USA geleistet und gleichzeitig für Diversität, Inklusion, Zusammenhalt und Inspiration gestanden haben? Weil das für die Nasa wohl nach einer fast übermenschlichen Mission klingt, will man in Zukunft insgesamt weniger Namen und mehr passende Begriffe für die Benennung verwenden – etwa Curiosity. Ein Donald-Trump-Space-Observatory wird es in absehbarer Zeit wohl nicht geben. Tim Gabel

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Research.Table Redaktion

RESEARCH.TABLE REDAKTION

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    Israel ist eine Start-up-Nation. In keinem anderen Land werden gemessen an der Einwohnerzahl so viele Firmen neu gegründet. Kein Wunder, dass die deutsche Forschungsministerin, die es nach mehr Agilität und Innovationsfreude dürstet, sich das genauer ansehen wollte. Von Montag bis Mittwoch war Bettina Stark-Watzinger mit einer BMBF-Delegation dort. Um zu lernen, wie sie betonte. Markus Weisskopf war dabei und berichtet über die Erkenntnisse.

    Braucht Deutschland womöglich bessere Politikberatung beim Thema Innovation? Im zweiten Teil unserer Serie “Politikberatung, quo vadis?” blicken wir auf die Theorie dieses Metiers. Die meisten Beratenden richten sich nach dem Konzept des US-Forschers Roger Pielke, der mit der Idee des Wissenschaftlers als Honest Broker bekannt wurde. Ob in der Realität immer ehrlich vermittelt wird, lesen Sie im heutigen Briefing.

    Falls unsere Serie weitere Forschende dazu anregt, sich in der Politikberatung zu engagieren, gehen sie möglicherweise das Risiko ein, für politisch unliebsame Aussagen öffentlich beleidigt, beschimpft und bedroht zu werden. In der Corona-Pandemie war das besonders evident. Der Bundesverband Hochschulkommunikation und die Initiative Wissenschaft im Dialog haben nun eine Anlaufstelle geschaffen: Heute startet der Scicomm-Support. Mehr darüber in den News.

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    Ministerin: Das deutsche Mindset muss sich ändern

    Wo die Probleme Deutschlands liegen, weiß die Ministerin nur zu genau. An das “Mindset” müsse man ran, ließ sie vor der Ankunft in Tel Aviv wissen. Denn da habe Deutschland ein Problem. Doch das ist nicht das einzige: Die Ministerin beklagte lange Entscheidungswege und viel Förderbürokratie. Gerade bei neuen, aktuellen Themen seien die Förderstrukturen nicht geeignet, agil zu reagieren. Deshalb gebe es jetzt den Umweg über die Agenturen Sprind und Dati. Darüber hinaus fehlt es in Deutschland an Venture Capital. Aber auch hier sei man dran, wie die Start-up-Strategie zeige, betonte die Ministerin. In ganz Europa müsse man die Dinge verändern – weg von Subvention, hin zu Innovation.

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    Israel will stärker an Horizon Europe ran

    Immer wieder wurde deutlich, dass auch die Israelis großes Interesse an den Beziehungen mit Deutschland haben. Wenn es um die israelische Stellung in europäischen Förderprogrammen wie Horizon Europe geht, zum Beispiel oder bei den Zugängen zu großen Forschungsinfrastrukturen. Diese Punkte wurden auch beim Treffen mit dem israelischen Forschungsminister Ofir Akunis deutlich. Dort wurde über die Fortführung der German-Israeli-Foundation (GIF) gesprochen. Bis Oktober sollen die verbleibenden Fragen gelöst werden. Die GIF unterstützt den Austausch der beiden Länder bei Wissenschaft und Technologie.

    Groß ist die Sorge der israelischen Wissenschaftler, dass Beziehungen und Kooperationen und auch die Wissenschaft in Israel selbst unter der Politik der aktuellen Regierung leiden könnten. Immer wieder war die Justizreform Thema auf der Rundfahrt der deutschen Ministerin. Einige fürchten, dass man sich nach der Justiz die Wissenschaft vornehmen wird. Diese Aussage soll es tatsächlich in Regierungskreisen gegeben haben, berichtete ein Vertreter der israelischen Wissenschaft. In den vergangenen Monaten gab es bereits erste Versuche, in die akademische Freiheit einzugreifen. So wollte Bildungsminister Yoav Kish die Besetzung des Boards der Nationalbibliothek beeinflussen. Und auch im Council for Higher Education wollte Kish einen passenden Kandidaten installieren. Die deutsche Ministerin dankte der israelischen Wissenschaftscommunity für ihr Engagement für die Demokratie, vermied zumindest offiziell aber klare Worte.

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    Welche Konzepte beschreibt die Forschung für die wissenschaftliche Politikberatung? Nach welchen Leitlinien arbeiten Akademien und Forschungseinrichtungen? Um diese Fragen geht es im zweiten Teil unserer Serie “Politikberatung, quo vadis?”.  

    Roger Pielke ist im Bereich der Forschung zur wissenschaftlichen Politikberatung wohl der meistzitierte Wissenschaftler. Er beschrieb 2007 verschiedene Typen von Wissenschaftlern

    • Der reine Wissenschaftler (Pure Scientist) ist der Wissenschaftler im “Elfenbeinturm” 
    • Auch der Wissenschafts-Schiedsrichter (Science Arbiter) trennt strikt zwischen Wissenschaft und Politik. Er versucht jedoch politisch relevante Fragen zu beantworten, reduziert diese dann auf ihren wissenschaftlichen Kern.  
    • Der Anwalt in einer bestimmten Angelegenheit (Issue Advocate) hat an ausgewählten Themen ein besonderes Interesse und wird zum Verbündeten von politischen Gruppen. 
    • Der ehrenhafte Vermittler (Honest Broker) versucht Wissenschaft mit Politik zu verbinden, er wird aber nicht parteiisch.  

    Das RIU-Modell skizziert eine wechselseitige Perspektive 

    Das von dem Politologen Michael Böcher und dem Forstwissenschaftler Max Krott entwickelte RIU-Modell (Research – Integration – Utilization) stellt eine Weiterentwicklung dar und hat eine prozesshaftere Perspektive. Im klassischen technokratischen Modell bietet die Wissenschaft auf Nachfrage der Politik eine Lösung. Diese kann die Politik direkt übernehmen. In diesem Modell führt ein Mehr an Beratung zu einer besseren Politik. 

    Im RIU-Modell ist wissenschaftliche Politikberatung dagegen ein wechselseitiger Prozess. In dessen Zentrum steht die Integration. Hier treffen politische und wissenschaftliche Ansprüche stetig aufeinander. Der Integrationsprozess garantiert am Ende, dass es keine rein wissenschaftlichen Lösungen gibt, sondern diese auch immer die politische Komponente im Blick haben. Dabei ist auch klar, dass Politiker oft nur die Lösungen wählen, die zu ihren Interessen passen und manchen wissenschaftlichen Rat völlig ignorieren. 

    Akademien ziehen Anregungen aus den Theorien 

    Erfolgreiche wissenschaftliche Politikberatung integriert beide Logiken. Böcher zufolge macht die Trennung zwischen wissenschaftlichen und politischen Argumenten in der Integration die Verantwortlichkeiten von Wissenschaft und Politik sichtbar. Er betont, dass in einer Demokratie “nur die gewählten Vertreterinnen und Vertreter der Bürger, nicht jedoch die Wissenschaft, politische Entscheidungen treffen” dürfen. 

    In den Leitlinien und Thesen der deutschen Akademien werden verschiedene Anregungen aus den theoretischen Konzepten aufgenommen: 

    Machtpolitik und spezifische Interessen statt Honest Broker 

    Regina Riphahn, Vizepräsidentin der Leopoldina, sieht die Nationalakademie weder epistokratisch ausgerichtet, noch agiere sie als Honest Broker. Die Leopoldina zeige wissenschaftliche Fakten und Handlungsoptionen auf, entscheiden müsse die demokratisch legitimierte Politik. Gespräche mit anderen Verantwortlichen in den Akademien oder Wissenschaftsorganisationen zeigen, dass dort die meisten dem Idealbild des Honest Broker entsprechen wollen.  

    Kenner des Feldes beobachten jedoch immer wieder, dass auch spezifische Interessen oder machtpolitische Erwägungen im Spiel sind. Einige Akteure hätten sich zu sehr “im Glanze der Macht gesonnt”, berichtet ein Vertreter der Szene. Man sei “stolz darauf gewesen, besonders regierungsnah” zu sein. Besonders evident sei dies in manchen Stellungnahmen der Leopoldina zur Pandemiepolitik gewesen.  

    Auswahl der Experten ist ein umstrittenes Thema 

    Teils sind die Ergebnisse bereits durch die Zusammensetzung der Expertengremien verzerrt. Armin Grunwald, Leiter des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) stellt beispielsweise fest, dass Wirtschaftsinteressen sehr wohl – und nicht nur bei acatech – eine Rolle spielen. Zivilgesellschaftliche Organisationen und Perspektiven würden hingegen nur selten eingebunden. Dies sei beim TAB anders.  

    Generell ist die Auswahl der Experten ein umstrittenes Thema. In den Wiener Thesen stellen die Leopoldina und die ÖAW fest, dass nur die Akademien wirkliche wissenschaftliche Expertise erkennen könnten. Christoph Markschies, Präsident der BBAW, wünscht sich auch Selbstkritik der Akademien. Natürlich sollten die Akademien die beste Expertise vereinen. Aber der Zuwahlprozess müsse zu diesem Zweck immer wieder evaluiert werden, denn man habe gesehen, dass in der Vergangenheit nicht immer alle notwendige Expertise berücksichtigt worden sei. 

    Mehr Transparenz und Krisenreaktionsfähigkeit gefordert. 

    Grunwald wünscht sich vor allen Dingen eine höhere Transparenz bezüglich der Prozesse. Abseits prominenter Stellungnahmen durch die Leopoldina und einige Kommissionen geschehe vieles im Verborgenen. Hier brauche es eine bessere Kommunikation über die Strukturen und Prozesse wissenschaftlicher Politikberatung. Immerhin, bei acatech wird intern über das Thema wohl immer wieder diskutiert und reflektiert.  

    Und auch mit der Politik diskutiere man über die Herangehensweisen in der Politikberatung. Eine öffentliche Diskussion über dieses Thema findet allerdings kaum statt.

    Christoph Markschies wünscht sich hingegen einen Kulturwandel in dem gewachsenen Feld hin zu einer größeren Krisenreaktionsfähigkeit. Es brauche einen Professionalisierungsschub, dessen Anfänge auch bereits zu beobachten seien.

    Konzentrationsprozesse und höhere Spezialisierung wahrscheinlich 

    In der weiteren Entwicklung werde es wohl Konzentrationsprozesse sowie eine höhere Spezialisierung geben. So wie sich die BBAW unter anderem auf die Beobachtung des Wissenschaftssystems konzentriere, werde es entsprechende Organisationen geben, die Expertise in einem Fachgebiet langfristig aufbauen. Es gelte dann in einer Krise schnell auf dieses Wissen zugreifen zu können.

    In Teil 3 lesen Sie, welche Erwartungen und Wünsche Politiker an beratende Wissenschaftler haben. Die Serie “Politikberatung, quo vadis?” finden Sie gesammelt hier. 

    Weitere Informationen:

    Leopoldina und ÖAW: Wiener Thesen  zur wissenschaftsbasierten Beratung von Politik und Gesellschaft

    Leopoldina: Diskussionspapier “Nutzen von wissenschaftlicher Evidenz”

    Forschung & Lehre: Schwerpunktausgabe zur Politikberatung

    Pielke, R.A. Jr.: The Honest Broker. Making Sense of Science in Policy and Politics

    Michael Böcher: Publikation über das RIU-Modell

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    • Politikberatung, quo vadis?

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    Termine

    6.-8. September 2023, Magdeburg
    Jahrestagung des Bundesverbands Hochschulkommunikation Wissenschaft, Kommunikation, Politik: Wie neutral dürfen wir noch sein? Mehr

    11.-13. September 2023, Osnabrück
    18. Jahrestagung der Gesellschaft für Hochschulforschung Das Zusammenspiel von Hochschulforschung und Hochschulentwicklung: Empirie, Transfer und Wirkungen Mehr

    20.-22. September 2023, Hyperion Hotel, Leipzig
    Konferenz SEMANTiCS und Language Intelligence 2023 Mehr

    27.-29. September 2023, Freie Universität Berlin
    Gemeinsame Konferenz der Berliner Hochschulen Open-Access-Tage 2023 “Visionen gestalten” Mehr

    News

    Hochschulgründung in Hainan: Erste Belastungsprobe für die Chinastrategie

    Das Timing wirkt kurios: Nicht einmal eine Woche nach der Veröffentlichung der Chinastrategie, in der die Bundesregierung strengere Grenzen für wissenschaftliche Kooperationen vorgibt, hat die Hochschule Bielefeld (HSBI) bekannt gegeben, dass sie eine eigene Hochschule auf der chinesischen Tropeninsel Hainan gründet. Die Süddeutsche Zeitung hatte darüber zuerst berichtet. An der Hainan Bielefeld University of Applied Sciences, abgekürzt BiUH, sollen ab dem Wintersemester bis zu 140 Studierende Computer Science und Digital Technologies auf Bachelor studieren können.

    Nach Aussage von HSBI-Präsidentin Ingeborg Schramm-Wölk soll die BiUH “eine nach dem deutschen Modell der Hochschulen für angewandte Wissenschaften arbeitende, unabhängige Hochschule” sein, in der “Wissenschaftsfreiheit großgeschrieben” werde. Tatsächlich hat die neue Hochschule für chinesische Verhältnisse besondere Freiheiten. Der rechtliche Status der Wirtschaftsentwicklungszone Yangpu/Danzhou im Norden der Insel entbindet das deutsch-chinesische Projekt davon, dem chinesischen Partner 51 Prozent der Anteile zu überlassen.

    BiUH soll Risiken im Blick haben und beiden Seiten zugutekommen

    Trotzdem dürfte das Projekt vor der von der Bundesregierung ausgegebenen Maxime des De-Risking politisch äußerst sensibel sein. China hatte in der jüngeren Vergangenheit unliebsame Wissenschaftler sanktioniert und Stipendienprogramme und das Spionageabwehrgesetz verschärft, das auch deutsche Wissenschaftler betreffen könnte. Zudem nutzte die Volksrepublik gemeinsam erreichte Forschungsergebnisse für die Weiterentwicklung von Sicherheitssystemen oder militärischen Forschungsprojekten.

    Letzteres könnte besonders brisant sein, denn der chinesische Ballon, der mutmaßlich Spionagezwecken diente und den das US-Militär im Januar über dem amerikanischen Festland abgeschossen hatte, soll nach Informationen des US-Militärs von der Insel Hainan gestartet sein. Die BiUH wird all das im Blick haben, verspricht Präsidentin Schramm-Wölk auf Nachfrage von Table.Media: “Wir wollen gewährleisten, dass Forschungsergebnisse der BiUH beiden Ländern, China und Deutschland, zugutekommen und dabei Dual-Use von Forschungsergebnissen ausschließen. Bekenntnisse in Grundordnungen sind dabei natürlich das eine, ein kontinuierlicher Verhandlungsprozess ist das andere.”

    Clearingsstelle soll mögliche Gefahren kontinuierlich verhandeln

    Dieser Prozess sei planmäßig vorgesehen, im Kuratorium, im Präsidium, in den Gremien der BiUH und in einer geplanten Clearingstelle, sagte Schramm-Wölk. “Unterm Strich wird in der BiUH Wissen ausgetauscht, und es werden internationale Fachkräfte ausgebildet. Davon können und sollen sowohl Deutschland als auch China profitieren.” Durch die Chinastrategie der Bundesregierung fühle sie sich sogar gestärkt, sagt die Wissenschaftlerin.

    China sei für Deutschland von großer Bedeutung: “Wir haben hierzulande einen enormen Bedarf an Personen mit China-Expertise, um erfolgreiche Kooperationen auf Augenhöhe mit gegenseitigem Verständnis und kultursensiblem Umgang zu gestalten.” Für die Entwicklung des Projekts BiUH habe man sich unter anderem an den Leitfragen zur Hochschulkooperation mit der Volksrepublik China der Hochschulrektorenkonferenz gehalten.

    Projekt ist auch eine Gratwanderung für das BMBF

    Auch für Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger ist das Projekt eine Gratwanderung. Nach der Veröffentlichung der Chinastrategie kündigte die Forschungsministerin an: “Die Bundesregierung wird ihre Förderregularien entsprechend anpassen und den Dialog mit der Wissenschaft und den Hochschulen sowie deren weitere Sensibilisierung stärken.” Sie sehe zudem derzeit nur begrenzt Spielräume für neue Kooperationen, hatte Stark-Watzinger bereits bei den Regierungskonsultationen im Juni gesagt.

    Das Hochschulprojekt könnte sie dementsprechend als Altlast des eigenen Hauses betrachten. Von deutscher Seite fördert nämlich der DAAD das Projekt zwischen 2021 und 2024 mit 3,5 Millionen Euro aus Mitteln des BMBF im Rahmen der Programmlinie “Transnationale Bildungsangebote deutscher Hochschulen im Ausland”. Die ganz erheblichen Mittel, die für den Bau der Hochschule in Yangpu erforderlich sind, werden nach Angaben der HSBI durch die Provinzregierung Hainan beziehungsweise die Stadt Danzhou bereitgestellt. Langfristig soll sich die Hochschule über die in China üblichen Studiengebühren selbst finanzieren. tg

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    Digitale Podiumsdiskussion zum Start vom Scicomm-Support

    Bei digitaler Gewalt, diskreditierenden Medienkampagnen und weiteren Formen von Angriffen in der Wissenschaftskommunikation bietet von heute an das Projekt Scicomm-Support Hilfe. Über eine Website und telefonische Beratung unterstützt und berät die Anlaufstelle betroffene Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren. Scicomm-Support ist ein Angebot des Bundesverbands Hochschulkommunikation und der Initiative Wissenschaft im Dialog. 

    In einem digitalen Lunch-Talk am heutigen Donnerstag, 20. Juli, um 12:30 Uhr wird das Projekt vorgestellt. Julia Wandt, Vorsitzende des Bundesverbands Hochschulkommunikation, und Kristin Küter, Wissenschaft im Dialog, gehen auf die Hintergründe ein und geben Auskunft über die weitere Strategie und Entwicklung. Pia Lamberty, Geschäftsführerin des Center for Monitoring, Analyse und Strategie spricht über das Phänomen der Wissenschaftsfeindlichkeit. Moderiert wird die Veranstaltung von Elisabeth Hoffmann, Chief Communication Officer an der Universität Köln. abg 

    Details über die Anlaufstelle Scicomm-Support lesen Sie am heutigen Donnerstag ab 8:00 Uhr hier.  

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    Noch immer Gesetzeslücke bei Risikobewertung von Glyphosat und Co.

    Beruhen die Entscheidungen der EU-Behörden, etwa zur Giftigkeit von Pestiziden, auf objektiven Daten? Das Europäische Parlament hat sich am Dienstag in einer öffentlichen Anhörung mit dieser Frage befasst. Zuletzt hatte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in ihrer Risikoeinschätzung grünes Licht für die Verlängerung des umstrittenen Herbizids Glyphosat gegeben und für Kritik gesorgt.

    Anlass war eine Studie der Stockholmer Wissenschaftler Axel Mie und Christina Rudén. Die Forscher hatten sich angesehen, welche Toxizitätsstudien Antragsteller jeweils bei der US-amerikanischen Zulassungsbehörde EPA und der europäischen EFSA eingereicht haben. Das Ergebnis: Ein Viertel der Studien, die an die EPA gingen, wurden der EFSA nicht vorgelegt.

    Eine Mehrheit dieser unterlassenen Studien hätte einen Einfluss auf die Risikobewertung haben können, sagte Axel Mie vor den Abgeordneten des Umwelt- und des Agrarausschusses. “Es ist die Verantwortung von Unternehmen, die Studien an die Behörden weiterzuleiten”, betonte der Forscher. Unternehmen wie Bayer und Syngenta, gestern beide vertreten, seien ihrer Verantwortung nicht nachgekommen.

    McGuinness: Es zählt jede Studie

    Sowohl Kommission als auch Regulierungsbehörden EFSA und ECHA sehen darin einen Gesetzesverstoß. “Aus Kommissionssicht wurde nicht korrekt gehandelt. Nicht alle relevanten Informationen wurden vorgelegt”, sagte Kommissionsvertreterin Claire Bury.

    Die Vertreterinnen von Syngenta und Bayer wiesen den Vorwurf zurück. Man habe immer alle relevanten Studien eingereicht. ECHA-Direktorin Sharon McGuinness argumentiert, es sei nicht an den Herstellern zu urteilen, welche Studien relevant sind und welche nicht: “Es zählt jede Studie für eine vollständige Risikobewertung.”

    Verantwortung liegt bei Mitgliedstaaten

    Seit 2021 ist ein neues Gesetz in Kraft: die Verordnung über die Transparenz und Nachhaltigkeit der EU-Risikobewertung im Bereich der LebensmittelketteObwohl sich die Stockholmer Studie auf die Periode vor dem neuen Gesetz konzentriert, weisen die Ergebnisse auf eine Lücke in der neuen Verordnung hin. Demnach müssen Antragsteller die Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) über sämtliche in Auftrag gegeben Studien informieren. Die Rohdaten werden auch öffentlich gemacht. Das gilt allerdings nur für neue Studien. Bestehende Studien sind damit nicht erfasst. “Das Problem ist mit diesem Gesetz nicht gelöst”, sagt Forscher Mie.

    Ein weiteres Problem, das bei der Anhörung deutlich wurde: Die Verantwortung, zu prüfen, ob das Dossier eines Antragsstellers komplett ist, liegt bei den Mitgliedsstaaten, nicht bei der EFSA. Und nur sie können Strafen oder Sanktionen verhängen, wenn Studien fehlen. In den von den Stockholmer untersuchten Fällen kam es nicht zu Sanktionen. Und nun sei es zu spät, betonte Kommissionsvertreterin Bury.

    EFSA-Chef: System durch mehr Kontrollen verbessern

    Dazu kommt: Die Hersteller müssen selbst nachweisen, dass ihr Produkt sicher ist. Sprich, es obliegt ihnen, die nötigen Studien durchzuführen und zu bezahlen. Die Stockholmer Forscher sehen darin einen inhärenten Interessenkonflikt: Den Herstellern, die Studien in Auftrag geben, ist am positiven Ergebnis gelegen. Die Labore wollen ihre Auftraggeber nicht verlieren.

    “Wir ebenen den Weg dafür, dass wir uns in ein paar Jahren noch einmal hier austauschen”, sagte Forscher Mie. Das Problem sieht EFSA-Chef Bernhard Url nicht. Man könne nicht einfach einen fundamental anderen Ansatz wählen. Aber man könne das System durch mehr Audits und Kontrollen verbessern, erklärte er. Denn, das wurde auch bei der Anhörung klar: Öffentliche Behörden wie die EFSA und ECHA haben gar nicht das Budget, um Studien in Auftrag zu geben oder durchzuführen. cw

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    Liebe Beschäftigte in Bundesministerien und obersten Bundesbehörden, Ihre Vorgesetzten (von denen viele China.Table Professional Briefing lesen) fordern in der neuen China-Strategie: “Die China-Kompetenz in der Bundesregierung muss gestärkt werden”. Wir laden Sie ein, so gut informiert zu sein wie Ihre Vorgesetzten. Lernen Sie China.Table Professional Briefing jetzt auch kennen: Zum kostenlosen Test

    Presseschau

    Nature – The true cost of science’s language barrier for non-native English speakers. Wissenschaftler, die nicht Englisch als Muttersprache haben, sind im Nachteil. Das zeigt eine Studie australischer Forscher, die im Bereich Umweltwissenschaften untersucht haben, wie viel Zeit einzelne Wissenschaftler benötigen, um zum Beispiel Studien zu lesen und zu schreiben. Dabei zeigte sich, dass Nicht-Muttersprachler bis zu doppelt so viel Zeit aufwenden und dazu weniger an internationalen Konferenzen teilnehmen. Mehr

    Nature – Can India’s new billion-dollar funding agency boost research? Mit der National Research Foundation will Indien die Forschung an den Universitäten, Hochschulen und Instituten des Landes massiv fördern. Das Gesetz zur Einrichtung der Stiftung soll in den nächsten drei Wochen ins indische Parlament eingebracht werden. Die Foundation wird über ein Budget von rund sechs Milliarden US-Dollar für fünf Jahre verfügen. Etwa 70 Prozent dieser Mittel sollen von Investoren aus dem Privatsektor kommen, der Rest wird von der Regierung getragen. Die Wissenschaftsszene im Land ist voller Hoffnung, dass das klappt. Doch es gibt auch skeptische Stimmen. Mehr

    Heads

    Volker Hofmann – Berliner Forschungsperlen veredeln

    Der gelernte Betriebswirt Volker Hofmann leitet die Humboldt-Innovation GmbH, die Unternehmenstochter der Berliner Humboldt-Universität.

    “Wir haben im Land Berlin keine klassischen Rohstoffe, unser Rohstoff heißt Innovation”, sagt Volker Hofmann. Der Geschäftsführer der Humboldt-Innovation GmbH kümmert sich um die Veredelung der Erkenntnisse, die bei der Grundlagenforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU Berlin) entstehen. “Die Gründung eines Start-ups ist eine Option”, erklärt der 42-Jährige. Die unternehmerische Tochter der Universität unterstütze aber auch bei der unbürokratischen Umsetzung von Auftragsforschung und biete Weiterbildungsformate für Aufsichtsräte in Unternehmen an.

    Wenn er auf Geburtstagspartys auf seinen Job angesprochen wird, merkt Hofmann oft, dass viele Berliner längst mit seiner Arbeit in Berührung gekommen sind. Der Grund: “Wir betreiben auch den Museumsshop im Naturkundemuseum und vertreiben die Merchandise-Produkte der HU.” Zwei davon sind im Videointerview hinter ihm auf einem Regalbrett zu sehen – kleine weiße Einstein-Büsten aus Gips. Die Aufgabenteilung mit der Universität ist ganz einfach, erklärt Hofmann: Die Humboldt-Innovation konzentriert sich auf die Bereiche Anwendung und Unternehmertum, die Universität als Körperschaft öffentlichen Rechts setzt den Fokus auf Forschung und Lehre.

    Vielseitig interessiert

    Hofmann kommt gebürtig aus Berlin und hat Betriebswirtschaftslehre studiert – natürlich an der HU. Mit der Wahl des Studienfaches hat er einen Treffer gelandet, sagt er rückblickend: “Das Fach deckt eine enorme Breite ab, man kann in viele Bereiche mal reinschauen.” Ihm als neugierigen Menschen komme das sehr gelegen. Noch während seines Studiums gelangte er an eine Beraterstelle und half europäischen Unternehmen dabei, in Südostasien Fuß zu fassen.

    Nach anderthalb Jahren in Kuala Lumpur kehrte er 2009 nach Berlin zurück. “Ich habe die Möglichkeit bekommen, den Start-up-Service an der Humboldt-Universität aufzubauen.”

    Präsentation mit Wirtschaftsminister

    Die neuen Strukturen zu etablieren, das war für die HU und Hofmann Neuland. Auf seinem LinkedIn-Profil ist noch ein Foto aus dem Jahr 2012 zu finden, das ihn zeigt, wie er dem damaligen Wirtschaftsminister Philipp Rösler den Start-Up-Inkubator der HU präsentierte – bei belegten Brötchen. Der Gründungsservice ging nach einigen Jahren in der Humboldt-Innovation auf, seitdem steuert Hofmann das “unternehmerische Schnellboot” als Geschäftsführer. Inzwischen sind 25 Teammitglieder fest an Bord, hinzu kommen Projektmitarbeiter und 14 Kollegen am Servicezentrum Forschung der HU. Dort leitet Hofmann parallel den Bereich “Innovation und Transfer”.

    Beide Einheiten arbeiteten eng zusammen. Für die Zukunft kann sich Hofmann gut vorstellen, die Bande zu anderen Berliner Forschungsstandorten enger zu knüpfen. Die Trennung nach Hochschulen ergibt seiner Meinung nach wenig Sinn: “Das ist eine künstliche Barriere, die dem, was wir zusammen könnten, nicht Rechnung trägt.” Wenn das Ziel ein gemeinsamer, “integrierter” Forschungsraum in Berlin sei, wäre ein gemeinsamer Innovationsraum nur die logische Konsequenz. Heißt die Humboldt-Innovation dann bald Berlin-Innovation? Hofmann muss lachen. So genau möchte er sich doch noch nicht festlegen. Paul Meerkamp

    • Deutschland
    • Forschung
    • Technologie

    Personalien

    Hanno Gottschalk tritt an der Technischen Universität Berlin die erste von drei Professuren im Rahmen der Kooperation mit dem Werner-von-Siemens Centre for Industry and Science an. Er leitet das neu gegründete Fachgebiet “Mathematische Modellierung von industriellen Lebenszyklen” an der mathematisch-naturwissenschaftlichen und betreut das Technologiefeld Digitalisierung.

    Hartmut Löwen vom Institut für Theoretische Physik II der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) ist für seine besonderen Leistungen im Bereich der Statistischen Physik mit dem SigmaPhi-Preis ausgezeichnet worden. Der Preis wird alle drei Jahre auf einer Tagung in Griechenland verliehen und gilt als bedeutende internationale Auszeichnung für Statistische Physik.

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    Mehr von Table.Media

    Bildung.Table. Thüringen zweckentfremdete Bildungsgeld vom Bund. Das “Aufholen nach Corona”-Programm sollte die Pandemie-Folgen für Kinder und Jugendliche abfedern. In Thüringen kam ein Großteil des Geldes aber nie bei den Schulen an. Was bedeutet das für künftige Bund-Länder-Schulprogramme? Mehr

    Bildung. Table. Schulminister loben sich für Corona-Schülerhilfen. Im Abschlussbericht sind die Länder voll des Lobes für ihre “Aufholen nach Corona”-Maßnahmen: Schnell, unbürokratisch, wirksam. Selbst für die Tatsache, dass sie die Hilfen für Schüler eher im Blindflug verstreuten, finden die Minister einen Grund. Wer das Aufholprogramm überwiegend bezahlte, verraten sie nicht. Mehr

    Climate.Table. Hitzewellen: Die Wissenschaft hat gewarnt. Exzessive Wärme rund um das Mittelmeer, Hitzerekorde in den USA und erwartete Temperaturhöchststände in Italien, Frankreich, Spanien, Polen und Deutschland passen in die Projektionen des UN-Weltklimarats IPCC. Das Gremium hat in seinen letzten Berichten vor genau diesen Zuständen gewarnt. Mehr

    Dessert

    Ist James Webb wirklich der passende Pate für das Weltraumteleskop? In Zukunft will die Nasa bei der Namensgebung vorsichtiger sein und auf Promi-Namen lieber verzichten.

    Die Nasa hat viele ihrer Weltraumteleskope nach bedeutenden Persönlichkeiten benannt. Damit soll in Zukunft Schluss sein. Grund dafür ist ein Streit in den USA, ob der ehemalige Nasa-Chef James Webb wirklich ein würdiger Namenspatron sei. Webb hatte in den 1960er Jahren immerhin die erste bemannte Mondlandung der USA verantwortet, allerdings fällt auch die Apollo-1-Katastrophe in seine Amtszeit. Zuletzt waren auch Vorwürfe aufgekommen, dass er Personen aus sexuellen Minderheiten fristlos entlassen haben soll – auch wenn die noch nicht aufgeklärt sind.

    Jedenfalls will man in Zukunft etwas sorgsamer auswählen, wem ein rund zehn Milliarden Dollar teures Weltraumdenkmal gesetzt wird. Fachleute sollen überprüfen, ob die Persönlichkeiten unvergleichbare Verdienste für die USA geleistet und gleichzeitig für Diversität, Inklusion, Zusammenhalt und Inspiration gestanden haben? Weil das für die Nasa wohl nach einer fast übermenschlichen Mission klingt, will man in Zukunft insgesamt weniger Namen und mehr passende Begriffe für die Benennung verwenden – etwa Curiosity. Ein Donald-Trump-Space-Observatory wird es in absehbarer Zeit wohl nicht geben. Tim Gabel

    • Forschung

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