Table.Briefing: Security

Geisel-Deal: Druck auf Netanjahu wächst + Brigade Litauen: Ampel wirbt für Freiwillige mit finanziellen Anreizen

Liebe Leserin, lieber Leser,

Russlands Propagandaarbeit trägt Früchte. Ein guter Teil des Erfolgs von AfD und des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen geht auf Narrative zurück, die der Kreml über seine Auslandspropagandasender und über Telegram-Kanäle verbreitet. Deutschland habe sich in den “Ukraine-Konflikt” hineinziehen lassen, heißt es da regelmäßig, Deutschlands Wirtschaft leide, weil sie keine günstige russische Energie mehr habe, Deutschland habe eine “ineffiziente Migrationspolitik”.

Es ist kein Zufall, dass diese Erzählungen gepusht wurden, als Russland 2014 die Krim annektierte und ein Jahr später viele Geflüchtete aus Syrien und dem Irak nach Europa kamen. Propagandaarbeit – das ist eine in vielen Jahrzehnten verfeinerte Kompetenz Russlands. Und sie zahlt sich nun offenbar aus.

Der Schwerpunkt unseres heutigen Briefings aber liegt im Nahen Osten: In seiner Analyse erläutert Markus Bickel, wie Israels Premier Benjamin Netanjahu von innen wie von außen unter Druck steht, einem Deal zur Freilassung der überlebenden Geiseln im Gazastreifen zuzustimmen. Und Wilhelmine Preußen befragt den Nahost-Experten Ehud Yaari, ob es Aussichten auf eine sicherheitspolitische Ordnung nach dem Krieg in Gaza gibt.

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Ihr
Viktor Funk
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Analyse

Geisel-Deal: Weshalb Netanjahu intern wie aus Washington unter Druck steht

Kein Flugverkehr: Wartehalle des Ben Gurion International Airport in Tel Aviv am 2. September.

Der Druck auf Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, einem Waffenstillstand zur Freilassung der im Gazastreifen verbliebenen israelischen Geiseln zuzustimmen, wächst. Am Montag legten Zehntausende Israelis die Arbeit nieder, nachdem der Dachverband der Gewerkschaften Israels, Histadrut, zu einem Generalstreik aufgerufen hatte. Bereits am Wochenende waren mehr als 300.000 Menschen in Tel Aviv auf die Straße gegangen – die größte Demonstration gegen die Kriegspolitik der Regierung Netanjahus seit dem Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober 2023.

Bei der Beerdigung des am Sonntag neben fünf weiteren Geiseln tot in einem Tunnel im Gazastreifen aufgefundenen Hersh Goldberg-Polin sagte Israels Präsident Izchak Herzog am Montag in Jerusalem: “Ich bitte im Namen des Staates Israel um Vergebung dafür, dass wir es nicht geschafft haben, Sie sicher zurückzubringen, dass wir Sie nicht beschützt haben.” Zuletzt hatte Verteidigungsminister Yoav Gallant Regierungschef Netanjahu dazu aufgefordert, einem von den USA vorgelegten Abkommen zuzustimmen, das die Rückkehr der Geiseln beinhaltet. Dessen Kabinett hatte das vergangene Woche gegen die Stimme Gallants jedoch abgelehnt.

Entdeckung erschossener Geiseln löst neue Protestwelle aus

Elf Monate nach der Entführung von 240 Israelis in den Gazastreifen gehen Sicherheitskräfte davon aus, dass von 101 weiter in den Händen der Hamas vermuteten Geiseln lediglich fünfzig weiter am Leben sind. Zumindest diese sicher zurück nachhause zu bringen, könnte sich nun auch Netanjahu nicht mehr erwehren. Denn durch die Entdeckung von sechs offenbar durch Kopfschüsse getötete Israelis in einem Tunnel im Süden des Gazastreifens ist am Wochenende eine neue Protestwelle ausgelöst worden, die den konservativen Regierungschef stärker in Bedrängnis bringen könnte als vorherige Demonstrationen. Deutschlands Botschafter in Israel, Steffen Seibert, sprach gegenüber Table.Briefings von einer Mehrheit der Bevölkerung, die die Rückholung der Geiseln mit folgender Begründung befürworte: “Sie zurückzubringen, ist die größte Pflicht, die wir haben.”

Netanjahu hingegen setzt bislang weiter auf einen “totalen Sieg” gegen die Hamas, ein Kriegsziel, von dem sich nicht nur Verteidigungsminister Gallant, sondern weitere Teile des israelischen Sicherheitsestablishments längst verabschiedet haben. Auch Seibert sagte, dass ein “Zuviel an militärischem Druck Geiseln nicht befreien wird, sondern sie noch in eine zusätzliche Gefahr bringt”. Israelische Medien berichten, dass Netanjahu die seit Monaten anhaltenden Verhandlungen Israels mit den USA, Ägypten und Katar immer wieder torpediert habe. Sein mangelndes Engagement für eine Befreiung der Geiseln sei auch dadurch begründet, dass diese vor allem aus den linksgerichteten Kibbuzim im Süden des Landes stammten – und damit nicht seiner Wählerschaft angehörten.

Rechtsextreme Minister bestimmen den Kurs im Kabinett

Neben dem Generalstabschef der Israel Defense Forces (IDF), Herzl Halevi, haben auch der Direktor des Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, und der Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Ronen Bar, wiederholt deutlich gemacht, dass der Abschluss eines Abkommens mit der Hamas Israels Sicherheit stärken und seine strategische Position in der Region verbessern würde. Doch wehrt sich Netanjahu nicht nur gegen eine Freilassung der Geiseln, sondern fordert gegen den Rat der höchsten Vertreter des Sicherheits-Establishments die Stationierung israelischer Soldaten im sogenannten Philadelphi-Korridor, der den Gazastreifen im Süden von Ägypten trennt.

Diese Haltung bekräftigte das durch die beiden rechtsextremen Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben Gvir dominierte Kabinett vergangene Woche in einem Beschluss – gegen den Willen von Verteidigungsminister Galant, der nun auf eine neue Abstimmung drängt. Finanzminister Smotrich und der Minister für nationale Sicherheit Ben Gvir sind führende Vertreter der anti-palästinensischen Siedlerbewegung, die im Schatten des Gazakrieges immer gewalttätiger im besetzten Westjordanland vorgeht. 662 Palästinenser seien demnach seit Oktober 2023 getötet worden, so das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (Ocha), davon 602 durch israelische Sicherheitskräfte und elf durch Siedler.

Gewalt im Westjordanland eskaliert

Dass allein in diesem Jahr 136 Palästinenser bei Luftangriffen durch die israelische Armee getötet wurden, zeigt, wie sich die West Bank zur zweiten Front neben dem Gazastreifen entwickelt hat. Am Sonntag wurden drei israelische Polizisten im Süden des seit 1967 besetzten Gebiets erschossen – möglicherweise als Reaktion auf den Großeinsatz der IDF in Dschenin, Tulkarem und Tubas, an dem seit vergangenem Mittwoch Hunderte israelische Soldaten beteiligt sind. Zum Vergleich: Zwischen 2020 und 2023 kam es nach Ocha-Angaben lediglich zu sechs Toten durch israelische Luftangriffe, alle im vergangenen Jahr.

Mit dem Näherrücken des Jahrestags des Hamas-Überfalls in fünf Wochen wächst jedoch nicht nur in Israel der Druck auf Netanjahu, die überlebenden Geiseln endlich zurückzuholen – und einem Waffenstillstand mit der Hamas zuzustimmen. Auch US-Präsident Joe Biden droht inzwischen damit, sich aus den Verhandlungen zurückzuziehen, sollten Hamas und Israel einem Deal nicht endlich zustimmen. Bidens Antwort auf die Frage, ob Netanjahu genug dafür tue, fiel am Montag vor Journalisten im Weißen Haus knapp aus: “nein”. In einem Telefonat im August soll Biden dem israelischen Regierungschef dem Vernehmen nach gesagt haben: “Hör auf, mich zu verarschen.”

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Nahost-Experte Yaari: “Ein Waffenstillstand liegt in weiter Ferne”

Ehud Yaari ist Experte für arabisch-israelische Beziehungen am Washington Institute mit Sitz in Israel.

Herr Yaari, die Hisbollah hat Ende August mit einem Raketenbeschuss Israels auf die Tötung ihres Militärkommandeurs Fuad Schukr reagiert. Die iranische Vergeltung für die Tötung von Hamas-Anführer Ismail Hanija in Teheran steht noch aus. Was erwarten Sie?

Der Iran hat seit über 200 Jahren – mit einer Ausnahme – keinen Krieg außerhalb seiner Grenzen geführt. Die Iraner würden gerne bis zum letzten Araber, egal ob Schiiten oder Sunniten oder Zaiditen im Jemen, kämpfen, aber sie wollen nicht, dass zu viele Iraner involviert sind. Das ist etwas sehr Entscheidendes in der iranischen politischen Kultur. Und sie wissen, dass sie angreifbar sind. Die israelische Luftwaffe könnte leicht 90 Prozent der iranischen Ölexporte, die hauptsächlich nach China gehen, ausschalten. Es muss nur die politische Entscheidung getroffen werden. Und das ist nur ein Beispiel.

Sie erwarten also keinen weiteren direkten Angriff vom Iran?

Die Iraner sind entschlossen, sich für die Tötung von Hanija zu rächen, aber nicht unbedingt mit einem direkten Raketen- und Drohnenbeschuss Israels, damit sind sie im April schon kläglich gescheitert. Sie suchen nach einer Möglichkeit der Vergeltung, die sie nicht in eine direkte Konfrontation zieht, besonders wenn die Amerikaner hier vor Ort sind – ähnlich des kontrollierten Vergeltungsschlags der Hisbollah.

Könnte dieses vorsichtige und kontrollierte Vorgehen der Parteien auch Hoffnungen für einen Waffenstillstand in Gaza und einen Geisel-Deal machen?

In den israelischen Medien wird bereits überall über den “Tag danach” gesprochen. Aber ich sehe diesen Tag nicht kommen – zumindest nicht in näherer Zukunft. Der Hamas-Chef im Gazastreifen, Jahia Sinwar, mit dem ich noch bis vor Kurzem indirekt in Kontakt war, will nur eines: ein Ende des Krieges mit einer Garantie, dass die Hamas überlebt. Aber das bekommt er nicht. Jede israelische Regierung wird Hamas und ihn persönlich weiterverfolgen, egal, ob es die Regierung von Israels derzeitigen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist oder eine andere. Sinwar möchte die Geiseln als Sicherheitsgarantien behalten.

Die israelische Öffentlichkeit selbst scheint aber zu großen Teilen auch die Regierung verantwortlich zu machen. Am Montag wurde im Land zum Generalstreik aufgerufen, um die Regierung zu einem Geisel-Deal zu bewegen. Wie sehen Sie das?

Die meisten Israelis verdächtigen “Bibi”, die Freilassung der Geiseln aus eigenen politischen Erwägungen heraus zu verzögern; die Öffentlichkeit will dem Rat des israelischen Militärs folgen, den Deal anzunehmen, um das Leben der übriggebliebenen 30 Geiseln zu retten. Das Argument ist, dass Israel danach die Verfolgung der Hamas wieder aufnehmen kann, einschließlich unter anderem der Rückeroberung des Grenzstreifens zu Ägypten. Das sehe ich auch so, aber Netanjahu fürchtet, dass das nicht möglich sein wird.

Wie steht es um die Friedensverhandlungen und um die Nachkriegsregelung mit dem Libanon?

Aus israelischer Sicht ist der einzige Weg, die 100.000 Israelis, die mit Beginn des Gaza-Krieges aus Nordisrael vertrieben wurden, nach Hause zurückkehren lassen, die Hisbollah weiter zurückzudrängen. Israel muss eine glaubwürdige militärische Bedrohung aufrechterhalten. Es wird an allen möglichen Friedensformeln gearbeitet, allen voran durch den amerikanischen Vermittler Amos Hochstein, aber es gibt wenig Aussichten auf Erfolg.

Auch Frankreich ist hier involviert und bemüht, eine diplomatische Lösung zu finden. Wie wichtig sind die Franzosen?

Die Franzosen tun so, als würden sie eine Rolle spielen. In Wirklichkeit ist die Hisbollah nicht daran interessiert und Israel offen gesprochen auch nicht. Beide bevorzugen die Amerikaner. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat viel dazu beigetragen, dass das Ansehen Frankreichs im gesamten Nahen Osten stark gesunken ist.

Welche Rolle können die Europäer insgesamt spielen?

Die Europäer debattieren über eine Rolle bei der Verwaltung des Grenzübergangs Rafah, falls es zu einem Geiselabkommen kommt. Aber das liegt in weiter Ferne. Insgesamt ist die EU mit Blick auf den Konflikt tief gespalten. Aber wo Europa jetzt wirklich etwas tun könnte, ist im Umgang mit dem Iran. Hier gibt es zwei Hauptaspekte. Zum einen versucht Teheran, Israel mit Proxys von allen Seiten zu bedrohen, einen “ring of fire” zu bilden, mit dem erklärten Ziel, den Staat Israel zu eliminieren. Hier können die europäischen Partner beispielsweise die Bemühungen der USA unterstützen, den Einfluss des Irans auf Syrien oder den Irak einzuschränken. Zum anderen geht es um das Atomprogramm. Es gibt kein anderes Land, das es wie der Iran seit über 30 Jahren versucht, eine Atombombe zu erlangen, und es nicht schafft.

Woran liegt das?

Die Iraner fahren eine Strategie der nuklearen Abschreckung. Sie wollen so nah wie möglich an den Punkt kommen, an dem sie eine Bombe bauen können, ohne die Kosten zu tragen, die sie zahlen müssten, wenn sie offen ein Atomwaffenstaat werden würden. Unter anderem fürchten sie ein umfassenderes internationales Sanktionsregime. Hier können die Europäer eine Rolle spielen, indem sie Druck auf Washington ausüben: Die Option einer “Rücknahme” der Sanktionen muss bereits jetzt auf dem Tisch liegen.

Ehud Yaari ist Experte für die israelisch-arabischen Beziehungen und Kommentator des israelischen Fernsehsenders Channel 2. Nach eigenen Angaben war er noch vor Kurzem mit Hamas-Chef, Jahia Sinwar, über einen Mittelsmann in Kontakt.

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Die entscheidenden Köpfe der sicherheitspolitischen Community – NGOs

Von

Mads Christensen – Geschäftsführer Greenpeace International

Seit über 30 Jahren kämpft Mads Christensen bei Greenpeace für mehr Umweltschutz, eine klimafreundliche Politik und Menschenrechte. Im Oktober 2023 wurde er Geschäftsführer von Greenpeace International. Zuvor war Christensen 15 Jahre lang Geschäftsführer von Greenpeace Nordic. 2013 leitete er die Mission zur Freilassung der Arctic 30: Greenpeace-Mitgliedern, die in Russland trotz friedlicher Proteste verhaftet wurden. Die NGO setzt sich für Friedenspolitik, menschliche Sicherheit und gegen Atomwaffen ein.

Tsafrir Cohen – Geschäftsführer Medico International

Tsafrir Cohen arbeitet seit 2007 bei Medico International, zunächst als Büroleiter Israel / Palästina, dann im Bereich Öffentlichkeitsarbeit für die Region Mittlerer Osten und seit zwei Jahren als Geschäftsführer. Von 2014 bis 2022 war er Büroleiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Israel, Großbritannien und Irland. Medico ist in den Bereichen Gesundheit, Menschenrechte, psychosoziale Arbeit, Nothilfe, sowie Flucht und Migration aktiv. Seit Februar 2022 unterstützt die Organisation vor Ort in der Ukraine, hilft Geflüchteten und versorgt Verwundete.

Julia Duchrow – Generalsekretärin Amnesty International e. V.

In ihren Jahren bei Amnesty International beschäftigte Julia Duchrow sich mit einer Vielzahl von sicherheitspolitischen Themen, wie Asylpolitik, Menschenrechte und Terrorismusbekämpfung. Die Rechtswissenschaftlerin ist seit November 2023 als Generalsekretärin Teil der vierköpfigen Geschäftsleitung der deutschen Abteilung der NGO. Diese setzt sich derzeit vor allem gegen Menschenrechtsverletzungen im Iran, sowie für einen sofortigen Waffenstillstand im im israelisch-palästinensischen Krieg ein.

Florian Westphal – Geschäftsführer Save the Children

Seit 25 Jahren arbeitet Florian Westphal für Hilfsorganisationen, die Menschen in Kriegsregionen unterstützen. Im Mittelpunkt seiner Arbeit für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, für Ärzte ohne Grenzen und jetzt Save the Children steht die Zivilbevölkerung, die versucht, der Gewalt zu entfliehen, gesund zu bleiben und ihre Kinder aufzuziehen. Wiederholt besuchte er Krisenländer wie Afghanistan, den Jemen und die Demokratische Republik Kongo, um sich dafür einzusetzen, dass die Menschen dort in Deutschland nicht vergessen werden.

Wolfgang Kaleck – Generalsekretär European Center for Constitutional and Human Rights e. V.

2007 gründete Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck mit weiteren Anwälten das European Center for Constitutional and Human Rights. Die NGO setzt sich gegen Folter, Ausbeutung und abgeschottete Grenzen ein. Kaleck blickt in seinen Publikationen auf das Völkerrecht im Krieg, Staatsfolter, die Aufarbeitung von Kolonialverbrechen und Menschenrechtspolitik. Zudem arbeitet er als Dozent und schrieb die Bücher “Mit Recht gegen die Macht” und “Die Konkrete Utopie der Menschenrechte: Ein Blick zurück in die Zukunft”.

Dagmar Pruin – Präsidentin Brot für die Welt

Dagmar Pruin ist Theologin, Pfarrerin und Präsidentin der evangelischen Hilfswerke Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe. Die Organisationen leisten humanitäre Hilfe in akuten Krisensituationen und leiten mehr als 1500 dauerhafte Projekte in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa. Brot für die Welt arbeitet viel mit lokalen, oft kirchlichen, Hilfsorganisationen zusammen. Pruin legt den Fokus ihrer Arbeit auf die Themen Ernährungssicherung, sowie Klima- und Gendergerechtigkeit.

Parnian Parvanta – Vorsitzende Ärzte ohne Grenzen e. V.

Ihren ersten Einsatz für Ärzte ohne Grenzen hatte Parnian Parvanta 2011 in der Zentralafrikanischen Republik. Es folgten Aufenthalte in Indien, Nepal, Nigeria, der Elfenbeinküste und im Irak. Währenddessen arbeitete die Gynäkologin als Oberärztin an der Universitätsklinik Mainz. Seitdem 2023 ist sie Vorsitzende von Ärzte ohne Grenzen. Als Kind floh Parvanta mit ihrer Familie aus Afghanistan. Heute macht sich für Hilfslieferungen nach Gaza, HIV-Prävention und den Schutz von Krankenhäusern in Konfliktregionen stark.

Birgit Spiewok – Geschäftsführender Vorstand Ärzte der Welt e. V.

Birgit Spiewok ist Beraterin für internationalen Katastrophenschutz und legt dabei den Fokus auf Organisation und Qualitätssicherung von humanitärer Hilfe. Dass Ärzte der Welt sie 2020 zum Vorstandsmitglied wählte, kommt also nicht von ungefähr. Die NGO ist global aktiv: In Gaza betreuen trotz massiver Einschränkungen zwei mobile Teams zwischen 130 und 150 Menschen am Tag. In der Ukraine bietet die Organisation psychologische Betreuung an. Und in Asien liegt der Fokus auf der medizinischen Unterstützung von Schwangeren.

Angelika Claußen – Vorstand Deutsche Sektion der Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzt*innen in sozialer Verantwortung e. V. (IPPNW)

Waffenstillstände in der Ukraine und Gaza, keine Stationierung von US-Raketen in Deutschland und vor allem eine atomtechnologiefreie Gesellschaft; so lauten die Ziele von IPPNW. Deren Vorständin Angelika Claußen ist Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Friedenswissenschaftlerin und Expertin für die gesundheitlichen Gefahren von Niedrigstrahlung. Mit der deutschen Sektion der IPPNW setzt sie sich für Frieden, Atomwaffenverbot, Ausstieg aus der Atomkraft und Abrüstung zugunsten des Klimas ein.

Christof Johnen – Leiter Internationale Zusammenarbeit Deutsches Rotes Kreuz

Seit dem Zivildienst Ende der 80er Jahre beim Deutschen Roten Kreuz brennt Christof Johnen für die humanitäre Hilfe. Im Blick hat er neben den in den Medien präsenten Krisen auch immer die vergessenen Katastrophen wie im Jemen, im Sudan oder in Bergkarabach. Da sich Deutschland in den vergangenen zehn Jahren hinter den USA zum zweitgrößten Geber humanitärer Hilfe entwickelt hat, ist die internationale Zusammenarbeit dabei von zentraler Wichtigkeit. Seit 2012 kümmert sich Johnen beim DRK darum.

  • Deutsches Rotes Kreuz
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News

Scholz nimmt erstes Iris-T SLM für die Bundeswehr in Empfang

Das Flugabwehrsystem Iris-T SLM aus deutscher Produktion, das bereits in der Ukraine im Einsatz ist, wird nun auch in die Bundeswehr eingeführt. Am Mittwoch stellen Bundeskanzler Olaf Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius in Schleswig-Holstein das erste von sechs Systemen in Dienst, die für die deutschen Streitkräfte bestellt wurden.

Die Ukraine hatte bereits im Oktober 2022 das erste dieser Luftverteidigungssysteme erhalten, die von der deutschen Firma Diehl gebaut werden und Ziele bis zu 40 Kilometer Entfernung abwehren können. Inzwischen erhielt das Land zur Abwehr des russischen Angriffs vier Feuereinheiten des Typs Iris-T SLM und drei des auf kürzere Reichweite ausgelegten Typs Iris-T SLS, geplant sind acht weitere SLM- und neun zusätzliche SLS-Einheiten. Nach Berichten aus der Ukraine soll vor allem Iris-T SLM eine fast hundertprozentige Trefferquote bei der Abwehr zum Beispiel russischer Drohnen haben.

Erstes System soll der Ausbildung dienen

Für die Bundeswehr hatte das Parlament im Juni vergangenen Jahres die Bestellung von sechs Iris-T SLM für rund 950 Millionen Euro aus dem Sondervermögen für die Streitkräfte gebilligt. Das erste System, das am Mittwoch zunächst an das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) und danach an die Luftwaffe übergeben wird, soll vor allem für die Ausbildung genutzt werden. Am Standort Todendorf werden zwar schon seit August vergangenen Jahres ukrainische Soldaten an dem System ausgebildet, allerdings von Mitarbeitern der Herstellerfirma, nicht von der Bundeswehr.

“Die Einführung von IRIS-T SLM in die Bundeswehr ist ein sichtbarer Teil der Zeitenwende und wird eine Lücke in der Luftverteidigung schließen sowie die europäische Luftverteidigung stärken”, begründete Regierungssprecher Steffen Hebestreit die Anwesenheit des Bundeskanzlers bei der Indienststellung des ersten Systems. Die neuen Feuereinheiten sollen das von der Luftwaffe betriebene “Leichte Flugabwehrsystem” ablösen, bei dem von einem sogenannten Geräteträger “Wiesel” Stinger-Raketen auf Luftziele abgefeuert werden. tw

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Brigade Litauen: Gesetzespaket soll Freiwillige mit finanziellen Anreizen locken

Mit einem Bündel an Neuregelungen in zahlreichen Gesetzen soll der Dienst in den Streitkräften finanziell attraktiver gemacht und die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr erhöht werden. Ein sogenanntes Artikelgesetz “zur weiteren Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft und zur Änderung von Vorschriften für die Bundeswehr”, dessen Entwurf Table.Briefings vorliegt und das Bundeskabinett voraussichtlich am Mittwoch beschließen will, sieht unter anderem neue Zahlungen für den Ausgleich von Mehrarbeit bei längeren Übungen, aber auch für den Dienst in der geplanten neuen Kampfbrigade in Litauen vor.

Ein wesentlicher Bestandteil ist ein Teil-Abschied von der Soldatenarbeitszeitverordnung, die unter der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen für die Bundeswehr eingeführt wurde. Mehrarbeit ist demnach in Anlehnung an die EU-Arbeitszeitverordnung innerhalb von 12 Monaten mit Freizeit auszugleichen. Künftig soll es vor allem einfacher werden, über diese Bestimmung hinausgehende wöchentliche Arbeitszeiten finanziell und nicht mit Freizeit abzugelten. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Befürchtung, dass die künftige Brigade in Litauen bei entsprechendem Freizeitausgleich nicht mehr einsatzbereit würde. Für Personal in hoher Alarmbereitschaft soll es ähnliche Regelungen und einen besseren finanziellen Ausgleich geben.

Bundeswehr lockt Freiwillige mit Pflege- und Kinderzuschüssen

Mehr Anreize für eine freiwillige Meldung zum Dienst in Litauen verspricht sich das Verteidigungsministerium von Ausgleichszahlungen, die künftig auch zusätzlich zum höheren Sold für die Dienstzeit im Ausland gezahlt werden können. Für den – geplant mehrjährigen – Einsatz im Baltikum werden zudem die Regelungen für Trennungsgeld und Umzugskosten geändert. Nach Rückkehr aus Litauen soll damit vermieden werden, dass ein Soldat an einem neuen Dienstort bislang nur begrenzt zwischen Trennungsgeld und Umzugskosten wählen kann. Weitere geplante finanzielle Anreize sind zusätzliche Verpflichtungsprämien für bestimmte Dienstposten und eine ausgeweitete Übernahme von Betreuungskosten für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige. Mit ins Ausland übersiedelnde Familienangehörige sollen unter bestimmten Umständen Zuschüsse zu ihrer Altersversorgung erhalten können.

Bislang ist noch offen, wie viele Soldaten sich freiwillig für die Brigade in Litauen melden, die ab 2027 einsatzbereit sein soll. In der Truppe wurde die Bereitschaft zu dieser Stationierung nicht zuletzt von den Rahmenbedingungen abhängig gemacht, die bislang unklar blieben. tw

  • Bundeswehr

Ukraine: Warum eine Petition das Höchstalter für den Wehrdienst auf 50 Jahre senken will

“Verleihung des Ehrentitels Held der Ukraine”, “Ehrentitel Held der Ukraine”, “Held der Ukraine” … und immer wieder “Held der Ukraine”: Es sind Titel der Petitionen auf der offiziellen Petitionsseite des ukrainischen Präsidenten. Angehörige gefallener Männer bitten um die posthume Ehrung ihrer Brüder, Söhne, Partner.

Diese vielen Petitionen erreichen bisher nicht die zur Prüfung nötige Zahl von 25.000 Unterstützenden. Dagegen hat die Petition, das Höchstalter für die Einberufung zum Kriegsdienst von 60 auf 50 Jahren zu senken, innerhalb von knapp zwei Monaten nun mehr als 25.000 Unterschriften eingesammelt. Somit muss Wolodymyr Selenskyj formal diesen Antrag prüfen. Begründet ist der kurze Antrag mit der wirtschaftlichen Situation im Land: “Ein Appell an den Präsidenten der Ukraine, das Mobilisierungsalter für Männer von 60 auf 50 Jahre zu senken, um die wirtschaftliche Lage im Land zu verbessern.”

Frauen füllen die Lücken

Der Ukraine fehlen Arbeitskräfte, nicht nur Soldaten. In vielen Berufen, die traditionell nur Männern zugänglich waren, werden nun Frauen beschäftigt, etwa in den Kohle-Minen. Doch nachdem rund 13 Prozent der Frauen das Land wegen des Krieges verlassen haben, können auch die in der Ukraine gebliebenen, die fehlenden Männer nicht ersetzen. Wie in Russland, so konkurrieren auch in der Ukraine die Armee und die Wirtschaft um dieselben Menschen, nur dass die Kapazitäten des Aggressors etwa viermal höher sind.

Nach Angaben des ukrainischen Wirtschaftsministeriums melden drei Viertel der Unternehmen Arbeitskräftemangel. Drei Gründe werden offiziell genannt:

  • Rund 4,3 Millionen Menschen sind ins Ausland geflohen
  • Einige Hunderttausend sind im Krieg, viele inzwischen tot oder so sehr verletzt, dass sie nicht mehr arbeiten können
  • Ein Teil ist “verschwunden” – untergetaucht, kommt nicht zur Arbeit und ist unauffindbar

Ob die Petition Erfolg haben wird, ist fraglich. Erst im April hatte Selenskyj das Einberufungsalter von 27 auf 25 gesenkt. In der Altersgruppe 25 bis 60 unterliegen von insgesamt etwas mehr elf Millionen Männern 3,7 Millionen der Einberufung. Würde das Alter von 60 auf 50 gesenkt werden, würde das Verteidigungsministerium protestieren. Die vielen Unterschriften unter der Petition, auch wenn sie ökonomisch begründet ist, sind wohl ein Ausdruck der Sorge um die Angehörigen. Die Anträge auf posthume Ehrungen werden nicht weniger werden. vf

  • Russland
  • Ukraine
  • Ukraine-Krieg

Must-Reads

Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik: Germany and Europe Can Boost Security by Reforming Capital Markets. Schlecht entwickelte Kapitalmärkte in Deutschland und der EU schaden der europäischen Sicherheit, so die These dieses Textes. Um Europas militärischen Vorsprung zu stärken, schädliche Abhängigkeiten zu reduzieren und die wirtschaftliche Dynamik zu fördern, bedürfe es einer Reform der Märkte.

The New Yorker: In the Dark. In der dritten Staffel dieses preisgekrönten Investigativ-Podcasts geht es um das Haditha-Massaker: die Ermordung von vierundzwanzig irakischen Zivilisten durch US-Marines im Jahr 2005. Host Madeleine Baran rekonstruiert die Geschehnisse, spürt die beteiligten Soldaten auf, untersucht, warum ihre Verurteilung damals scheiterte.

Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik: The End of the Zeitenwende. Hat die deutsche Zeitenwende ihre Ziele erreicht? Nein, so das Urteil eines zweijährigen DGAP-Projekts. “Deutschland braucht jetzt eine umfassende strategische Neuausrichtung und eine mutige Führung in der Innen- wie in der Außenpolitik”, schreibt Sicherheitspolitik-Forscher Benjamin Tallis in diesem Text.

Stiftung Wissenschaft und Politik: Welche Strategie im Umgang mit China in Afrika? Im Vorfeld des “Forum on China-Africa Cooperation” blickt dieser Text auf den wachsenden Einfluss Chinas in Afrika. Afrika-Forscherin Karoline Eickhoff beschreibt, welche unterschiedlichen Interessen Europa und Afrika mit China verbinden und wie wir zukünftige Handelskonflikte vermeiden können.

Foreign Affairs: The Fall and Fall of Mahmoud Abbas. Seit 20 Jahren herrscht in der palästinensischen Führungsriege keine Einigkeit. Dieser Text analysiert Ziele und Pläne von Präsident und Fatah-Chef Mahmoud Abbas, die Geschichte der palästinensischen Führung und wie die Uneinigkeit den Ausgang des aktuellen Krieges beeinflusst.

Heads

Christian Mölling – Zeitenwende-Erklärer bei der Bertelsmann-Stiftung

Christian Mölling hat die DGAP verlassen und arbeitet nun für die Bertelsmann-Stiftung.

Christian Mölling gehört zum überschaubaren Kreis der Zeitenwende-Erklärer. Er ordnet ein, kritisiert, regt an und sagte kurz vor seinem Jobwechsel gegenüber Table.Briefings: “Irgendwann ist es gut, weiterzuziehen.” Nicht zuletzt deshalb, weil Entscheidungen von Führungspersonen korrigierbar sein müssten, seien regelmäßige Wechsel wichtig.

Diese Woche beginnt Mölling als Direktor des Programms Europas Zukunft bei der Bertelsmann-Stiftung und bekommt dort “eine doppelte Aufgabe”, wie er sagt: Seinen Verantwortungsbereich Europa will er nachschärfen, das Thema Sicherheit soll eine größere Rolle spielen. Wie viele andere Stiftungen in Deutschland habe auch Bertelsmann mit dem Thema Sicherheit und Verteidigung “in den letzten Jahrzehnten sehr gefremdelt”. Zur strategischen Aufstellung gehöre aber auch, die guten Arbeitsergebnisse aller Kolleginnen und Kollegen in Entscheidungsprozesse einzuspielen, dass “gute Politik möglich wird”.

Europa befinde sich derzeit “in der wahrscheinlich kritischsten Phase der letzten siebzig Jahre”, sagt Mölling. Von Krieg bis Klimakrise gebe es eine Reihe existentieller Herausforderungen. Die Frage sei: Wie kann die Bertelsmann-Stiftung in diesen Zeiten ihre Ressourcen sinnvoll einsetzen, um ihre Ziele zu erreichen?

Zuletzt war Mölling stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung. Vor seiner Tätigkeit bei der DGAP arbeitete er beim German Marshall Fund of the United States (GMF), in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), am Center for Security Studies der ETH Zürich sowie am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Ohne Doktortitel kein Projektleiter

Wenn der 1973 in Bad Oeynhausen geborene Politikwissenschaftler über seinen Werdegang spricht, kommt er vom Kleinen ins Grundsätzliche. Erst mit Anfang dreißig – nach Studium der Politik-, Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften an den Universitäten in Duisburg und Warwick – habe er gemerkt, dass er einen Doktortitel brauche, um Projektleiterstellen zu bekommen. “Und heute würde ich sagen: zu Recht.” Mit seiner Promotion an der Ludwig-Maximilians-Universität in München habe er “Leidensfähigkeit” gelernt – was für akademischen Erfolg wichtiger sei als “Brillianz”.

Es ist viel Understatement. Möllings Sicht auf die deutsche Debattenkultur kommt ohne solches Understatement daher. “Dass in der medialen Debatte immer wieder Leute zu Experten gemacht werden, es aber nicht sind, finde ich ziemlich schwierig: Da werden Meinung und Wissen oder begründete Einschätzung gleichgesetzt.” Weil man die medialen Regeln aber nicht ändern könne, gibt er viele Interviews, schreibt Gastbeiträge, macht Hintergrund-Briefings. Anfragen nehme er an, wann immer es gehe, sagt er. “Es gibt den ersten Kristallisationspunkt nach einem Ereignis, das erste Interview, an dem sich der politisch-mediale Diskurs dann entlang hangelt.” Und wenn man dann die Möglichkeit nicht nutze und meinungs-, aber nicht unbedingt wissensstarken Beiträgen die Deutungshoheit lasse, dann, habe man danach “den Scherbenhaufen in der Diskussion, den man nicht mehr weggekehrt kriegt”.

Mit Leidenschaft und Leidensfähigkeit

In Westdeutschland habe es nach Gründung der Bundesrepublik eine “schwere Auseinandersetzung” darum gegeben, wie wissenschaftlich und wie politisch Friedensforschung sein sollte und was das richtige Verhältnis zu Politik und zur Friedensbewegung wäre. Mit der politischen Ideologisierung sei auch früh die Ausrichtung gekommen: Dabei seien “die Sicherheitspolitiker fast ganz rausgeflogen, auch aus den Förderlinien”. Das wirke bis heute nach: So gebe es in Großbritannien oder Skandinavien eine Reihe guter Universitäten, die ohne Probleme Verteidigung und Konfliktforschung zusammen unterrichten, “hier in Deutschland aber haben Sie noch immer mit einem ideologischen Bias zu kämpfen, der die weitgehende Wissensfreiheit beim Thema Verteidigung auch bei Forschenden erklärt: kein Lehrstuhl, keine Seminare”.

Deshalb ist es ihm wichtig, Diskurse mitzuprägen. Man müsse für das Thema und die Art der Arbeit brennen, um auch am Freitagnachmittag da zu sein. Und Krisen begännen schließlich “meistens freitagnachmittags – empirisch gefühlt”. Gabriel Bub

  • ETH Zürich
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Aret Demirci wird Büroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Istanbul

Aret Demirci von der Friedrich-Naumann-Stiftung wechselt vom Libanon in die Türkei. Am 4. September wird er in Istanbul die Leitung des Stiftungs-Büros übernehmen. Mit Blick auf die angespannte Lage im Libanon seit Oktober 2023 konnte Demirci nicht mehr mit seiner Familie in Beirut bleiben. Sein Wechsel in die Türkei, wo er bereits als Projektkoordinator im Istanbuler FNF-Büro gearbeitet hatte, wurde daraufhin vorgezogen.

2018 war er von der türkischen Justiz wegen eines Tweets der Amtsbeleidigung schuldig gesprochen worden und zu einem Jahr Haft verurteilt. Wie häufig bei Ausländern wurde die Strafe auf fünf Jahre ausgesetzt. Schweigen will er in der Türkei aber nicht, sondern die Arbeit seiner Vorgängerin Beate Apelt mit neuer Dynamik fortsetzen und vor allem Projekte in den Bereichen Medienfreiheit und Migration, aber auch liberale Kernthemen wie Förderung von Unternehmertum und Start-ups vorantreiben. Demirci spricht fließend Türkisch. wp/leo

  • Türkei

Security.Table Redaktion

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    Es ist kein Zufall, dass diese Erzählungen gepusht wurden, als Russland 2014 die Krim annektierte und ein Jahr später viele Geflüchtete aus Syrien und dem Irak nach Europa kamen. Propagandaarbeit – das ist eine in vielen Jahrzehnten verfeinerte Kompetenz Russlands. Und sie zahlt sich nun offenbar aus.

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    Geisel-Deal: Weshalb Netanjahu intern wie aus Washington unter Druck steht

    Kein Flugverkehr: Wartehalle des Ben Gurion International Airport in Tel Aviv am 2. September.

    Der Druck auf Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, einem Waffenstillstand zur Freilassung der im Gazastreifen verbliebenen israelischen Geiseln zuzustimmen, wächst. Am Montag legten Zehntausende Israelis die Arbeit nieder, nachdem der Dachverband der Gewerkschaften Israels, Histadrut, zu einem Generalstreik aufgerufen hatte. Bereits am Wochenende waren mehr als 300.000 Menschen in Tel Aviv auf die Straße gegangen – die größte Demonstration gegen die Kriegspolitik der Regierung Netanjahus seit dem Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober 2023.

    Bei der Beerdigung des am Sonntag neben fünf weiteren Geiseln tot in einem Tunnel im Gazastreifen aufgefundenen Hersh Goldberg-Polin sagte Israels Präsident Izchak Herzog am Montag in Jerusalem: “Ich bitte im Namen des Staates Israel um Vergebung dafür, dass wir es nicht geschafft haben, Sie sicher zurückzubringen, dass wir Sie nicht beschützt haben.” Zuletzt hatte Verteidigungsminister Yoav Gallant Regierungschef Netanjahu dazu aufgefordert, einem von den USA vorgelegten Abkommen zuzustimmen, das die Rückkehr der Geiseln beinhaltet. Dessen Kabinett hatte das vergangene Woche gegen die Stimme Gallants jedoch abgelehnt.

    Entdeckung erschossener Geiseln löst neue Protestwelle aus

    Elf Monate nach der Entführung von 240 Israelis in den Gazastreifen gehen Sicherheitskräfte davon aus, dass von 101 weiter in den Händen der Hamas vermuteten Geiseln lediglich fünfzig weiter am Leben sind. Zumindest diese sicher zurück nachhause zu bringen, könnte sich nun auch Netanjahu nicht mehr erwehren. Denn durch die Entdeckung von sechs offenbar durch Kopfschüsse getötete Israelis in einem Tunnel im Süden des Gazastreifens ist am Wochenende eine neue Protestwelle ausgelöst worden, die den konservativen Regierungschef stärker in Bedrängnis bringen könnte als vorherige Demonstrationen. Deutschlands Botschafter in Israel, Steffen Seibert, sprach gegenüber Table.Briefings von einer Mehrheit der Bevölkerung, die die Rückholung der Geiseln mit folgender Begründung befürworte: “Sie zurückzubringen, ist die größte Pflicht, die wir haben.”

    Netanjahu hingegen setzt bislang weiter auf einen “totalen Sieg” gegen die Hamas, ein Kriegsziel, von dem sich nicht nur Verteidigungsminister Gallant, sondern weitere Teile des israelischen Sicherheitsestablishments längst verabschiedet haben. Auch Seibert sagte, dass ein “Zuviel an militärischem Druck Geiseln nicht befreien wird, sondern sie noch in eine zusätzliche Gefahr bringt”. Israelische Medien berichten, dass Netanjahu die seit Monaten anhaltenden Verhandlungen Israels mit den USA, Ägypten und Katar immer wieder torpediert habe. Sein mangelndes Engagement für eine Befreiung der Geiseln sei auch dadurch begründet, dass diese vor allem aus den linksgerichteten Kibbuzim im Süden des Landes stammten – und damit nicht seiner Wählerschaft angehörten.

    Rechtsextreme Minister bestimmen den Kurs im Kabinett

    Neben dem Generalstabschef der Israel Defense Forces (IDF), Herzl Halevi, haben auch der Direktor des Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, und der Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Ronen Bar, wiederholt deutlich gemacht, dass der Abschluss eines Abkommens mit der Hamas Israels Sicherheit stärken und seine strategische Position in der Region verbessern würde. Doch wehrt sich Netanjahu nicht nur gegen eine Freilassung der Geiseln, sondern fordert gegen den Rat der höchsten Vertreter des Sicherheits-Establishments die Stationierung israelischer Soldaten im sogenannten Philadelphi-Korridor, der den Gazastreifen im Süden von Ägypten trennt.

    Diese Haltung bekräftigte das durch die beiden rechtsextremen Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben Gvir dominierte Kabinett vergangene Woche in einem Beschluss – gegen den Willen von Verteidigungsminister Galant, der nun auf eine neue Abstimmung drängt. Finanzminister Smotrich und der Minister für nationale Sicherheit Ben Gvir sind führende Vertreter der anti-palästinensischen Siedlerbewegung, die im Schatten des Gazakrieges immer gewalttätiger im besetzten Westjordanland vorgeht. 662 Palästinenser seien demnach seit Oktober 2023 getötet worden, so das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (Ocha), davon 602 durch israelische Sicherheitskräfte und elf durch Siedler.

    Gewalt im Westjordanland eskaliert

    Dass allein in diesem Jahr 136 Palästinenser bei Luftangriffen durch die israelische Armee getötet wurden, zeigt, wie sich die West Bank zur zweiten Front neben dem Gazastreifen entwickelt hat. Am Sonntag wurden drei israelische Polizisten im Süden des seit 1967 besetzten Gebiets erschossen – möglicherweise als Reaktion auf den Großeinsatz der IDF in Dschenin, Tulkarem und Tubas, an dem seit vergangenem Mittwoch Hunderte israelische Soldaten beteiligt sind. Zum Vergleich: Zwischen 2020 und 2023 kam es nach Ocha-Angaben lediglich zu sechs Toten durch israelische Luftangriffe, alle im vergangenen Jahr.

    Mit dem Näherrücken des Jahrestags des Hamas-Überfalls in fünf Wochen wächst jedoch nicht nur in Israel der Druck auf Netanjahu, die überlebenden Geiseln endlich zurückzuholen – und einem Waffenstillstand mit der Hamas zuzustimmen. Auch US-Präsident Joe Biden droht inzwischen damit, sich aus den Verhandlungen zurückzuziehen, sollten Hamas und Israel einem Deal nicht endlich zustimmen. Bidens Antwort auf die Frage, ob Netanjahu genug dafür tue, fiel am Montag vor Journalisten im Weißen Haus knapp aus: “nein”. In einem Telefonat im August soll Biden dem israelischen Regierungschef dem Vernehmen nach gesagt haben: “Hör auf, mich zu verarschen.”

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    Nahost-Experte Yaari: “Ein Waffenstillstand liegt in weiter Ferne”

    Ehud Yaari ist Experte für arabisch-israelische Beziehungen am Washington Institute mit Sitz in Israel.

    Herr Yaari, die Hisbollah hat Ende August mit einem Raketenbeschuss Israels auf die Tötung ihres Militärkommandeurs Fuad Schukr reagiert. Die iranische Vergeltung für die Tötung von Hamas-Anführer Ismail Hanija in Teheran steht noch aus. Was erwarten Sie?

    Der Iran hat seit über 200 Jahren – mit einer Ausnahme – keinen Krieg außerhalb seiner Grenzen geführt. Die Iraner würden gerne bis zum letzten Araber, egal ob Schiiten oder Sunniten oder Zaiditen im Jemen, kämpfen, aber sie wollen nicht, dass zu viele Iraner involviert sind. Das ist etwas sehr Entscheidendes in der iranischen politischen Kultur. Und sie wissen, dass sie angreifbar sind. Die israelische Luftwaffe könnte leicht 90 Prozent der iranischen Ölexporte, die hauptsächlich nach China gehen, ausschalten. Es muss nur die politische Entscheidung getroffen werden. Und das ist nur ein Beispiel.

    Sie erwarten also keinen weiteren direkten Angriff vom Iran?

    Die Iraner sind entschlossen, sich für die Tötung von Hanija zu rächen, aber nicht unbedingt mit einem direkten Raketen- und Drohnenbeschuss Israels, damit sind sie im April schon kläglich gescheitert. Sie suchen nach einer Möglichkeit der Vergeltung, die sie nicht in eine direkte Konfrontation zieht, besonders wenn die Amerikaner hier vor Ort sind – ähnlich des kontrollierten Vergeltungsschlags der Hisbollah.

    Könnte dieses vorsichtige und kontrollierte Vorgehen der Parteien auch Hoffnungen für einen Waffenstillstand in Gaza und einen Geisel-Deal machen?

    In den israelischen Medien wird bereits überall über den “Tag danach” gesprochen. Aber ich sehe diesen Tag nicht kommen – zumindest nicht in näherer Zukunft. Der Hamas-Chef im Gazastreifen, Jahia Sinwar, mit dem ich noch bis vor Kurzem indirekt in Kontakt war, will nur eines: ein Ende des Krieges mit einer Garantie, dass die Hamas überlebt. Aber das bekommt er nicht. Jede israelische Regierung wird Hamas und ihn persönlich weiterverfolgen, egal, ob es die Regierung von Israels derzeitigen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist oder eine andere. Sinwar möchte die Geiseln als Sicherheitsgarantien behalten.

    Die israelische Öffentlichkeit selbst scheint aber zu großen Teilen auch die Regierung verantwortlich zu machen. Am Montag wurde im Land zum Generalstreik aufgerufen, um die Regierung zu einem Geisel-Deal zu bewegen. Wie sehen Sie das?

    Die meisten Israelis verdächtigen “Bibi”, die Freilassung der Geiseln aus eigenen politischen Erwägungen heraus zu verzögern; die Öffentlichkeit will dem Rat des israelischen Militärs folgen, den Deal anzunehmen, um das Leben der übriggebliebenen 30 Geiseln zu retten. Das Argument ist, dass Israel danach die Verfolgung der Hamas wieder aufnehmen kann, einschließlich unter anderem der Rückeroberung des Grenzstreifens zu Ägypten. Das sehe ich auch so, aber Netanjahu fürchtet, dass das nicht möglich sein wird.

    Wie steht es um die Friedensverhandlungen und um die Nachkriegsregelung mit dem Libanon?

    Aus israelischer Sicht ist der einzige Weg, die 100.000 Israelis, die mit Beginn des Gaza-Krieges aus Nordisrael vertrieben wurden, nach Hause zurückkehren lassen, die Hisbollah weiter zurückzudrängen. Israel muss eine glaubwürdige militärische Bedrohung aufrechterhalten. Es wird an allen möglichen Friedensformeln gearbeitet, allen voran durch den amerikanischen Vermittler Amos Hochstein, aber es gibt wenig Aussichten auf Erfolg.

    Auch Frankreich ist hier involviert und bemüht, eine diplomatische Lösung zu finden. Wie wichtig sind die Franzosen?

    Die Franzosen tun so, als würden sie eine Rolle spielen. In Wirklichkeit ist die Hisbollah nicht daran interessiert und Israel offen gesprochen auch nicht. Beide bevorzugen die Amerikaner. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat viel dazu beigetragen, dass das Ansehen Frankreichs im gesamten Nahen Osten stark gesunken ist.

    Welche Rolle können die Europäer insgesamt spielen?

    Die Europäer debattieren über eine Rolle bei der Verwaltung des Grenzübergangs Rafah, falls es zu einem Geiselabkommen kommt. Aber das liegt in weiter Ferne. Insgesamt ist die EU mit Blick auf den Konflikt tief gespalten. Aber wo Europa jetzt wirklich etwas tun könnte, ist im Umgang mit dem Iran. Hier gibt es zwei Hauptaspekte. Zum einen versucht Teheran, Israel mit Proxys von allen Seiten zu bedrohen, einen “ring of fire” zu bilden, mit dem erklärten Ziel, den Staat Israel zu eliminieren. Hier können die europäischen Partner beispielsweise die Bemühungen der USA unterstützen, den Einfluss des Irans auf Syrien oder den Irak einzuschränken. Zum anderen geht es um das Atomprogramm. Es gibt kein anderes Land, das es wie der Iran seit über 30 Jahren versucht, eine Atombombe zu erlangen, und es nicht schafft.

    Woran liegt das?

    Die Iraner fahren eine Strategie der nuklearen Abschreckung. Sie wollen so nah wie möglich an den Punkt kommen, an dem sie eine Bombe bauen können, ohne die Kosten zu tragen, die sie zahlen müssten, wenn sie offen ein Atomwaffenstaat werden würden. Unter anderem fürchten sie ein umfassenderes internationales Sanktionsregime. Hier können die Europäer eine Rolle spielen, indem sie Druck auf Washington ausüben: Die Option einer “Rücknahme” der Sanktionen muss bereits jetzt auf dem Tisch liegen.

    Ehud Yaari ist Experte für die israelisch-arabischen Beziehungen und Kommentator des israelischen Fernsehsenders Channel 2. Nach eigenen Angaben war er noch vor Kurzem mit Hamas-Chef, Jahia Sinwar, über einen Mittelsmann in Kontakt.

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    Die entscheidenden Köpfe der sicherheitspolitischen Community – NGOs

    Von

    Mads Christensen – Geschäftsführer Greenpeace International

    Seit über 30 Jahren kämpft Mads Christensen bei Greenpeace für mehr Umweltschutz, eine klimafreundliche Politik und Menschenrechte. Im Oktober 2023 wurde er Geschäftsführer von Greenpeace International. Zuvor war Christensen 15 Jahre lang Geschäftsführer von Greenpeace Nordic. 2013 leitete er die Mission zur Freilassung der Arctic 30: Greenpeace-Mitgliedern, die in Russland trotz friedlicher Proteste verhaftet wurden. Die NGO setzt sich für Friedenspolitik, menschliche Sicherheit und gegen Atomwaffen ein.

    Tsafrir Cohen – Geschäftsführer Medico International

    Tsafrir Cohen arbeitet seit 2007 bei Medico International, zunächst als Büroleiter Israel / Palästina, dann im Bereich Öffentlichkeitsarbeit für die Region Mittlerer Osten und seit zwei Jahren als Geschäftsführer. Von 2014 bis 2022 war er Büroleiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Israel, Großbritannien und Irland. Medico ist in den Bereichen Gesundheit, Menschenrechte, psychosoziale Arbeit, Nothilfe, sowie Flucht und Migration aktiv. Seit Februar 2022 unterstützt die Organisation vor Ort in der Ukraine, hilft Geflüchteten und versorgt Verwundete.

    Julia Duchrow – Generalsekretärin Amnesty International e. V.

    In ihren Jahren bei Amnesty International beschäftigte Julia Duchrow sich mit einer Vielzahl von sicherheitspolitischen Themen, wie Asylpolitik, Menschenrechte und Terrorismusbekämpfung. Die Rechtswissenschaftlerin ist seit November 2023 als Generalsekretärin Teil der vierköpfigen Geschäftsleitung der deutschen Abteilung der NGO. Diese setzt sich derzeit vor allem gegen Menschenrechtsverletzungen im Iran, sowie für einen sofortigen Waffenstillstand im im israelisch-palästinensischen Krieg ein.

    Florian Westphal – Geschäftsführer Save the Children

    Seit 25 Jahren arbeitet Florian Westphal für Hilfsorganisationen, die Menschen in Kriegsregionen unterstützen. Im Mittelpunkt seiner Arbeit für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, für Ärzte ohne Grenzen und jetzt Save the Children steht die Zivilbevölkerung, die versucht, der Gewalt zu entfliehen, gesund zu bleiben und ihre Kinder aufzuziehen. Wiederholt besuchte er Krisenländer wie Afghanistan, den Jemen und die Demokratische Republik Kongo, um sich dafür einzusetzen, dass die Menschen dort in Deutschland nicht vergessen werden.

    Wolfgang Kaleck – Generalsekretär European Center for Constitutional and Human Rights e. V.

    2007 gründete Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck mit weiteren Anwälten das European Center for Constitutional and Human Rights. Die NGO setzt sich gegen Folter, Ausbeutung und abgeschottete Grenzen ein. Kaleck blickt in seinen Publikationen auf das Völkerrecht im Krieg, Staatsfolter, die Aufarbeitung von Kolonialverbrechen und Menschenrechtspolitik. Zudem arbeitet er als Dozent und schrieb die Bücher “Mit Recht gegen die Macht” und “Die Konkrete Utopie der Menschenrechte: Ein Blick zurück in die Zukunft”.

    Dagmar Pruin – Präsidentin Brot für die Welt

    Dagmar Pruin ist Theologin, Pfarrerin und Präsidentin der evangelischen Hilfswerke Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe. Die Organisationen leisten humanitäre Hilfe in akuten Krisensituationen und leiten mehr als 1500 dauerhafte Projekte in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa. Brot für die Welt arbeitet viel mit lokalen, oft kirchlichen, Hilfsorganisationen zusammen. Pruin legt den Fokus ihrer Arbeit auf die Themen Ernährungssicherung, sowie Klima- und Gendergerechtigkeit.

    Parnian Parvanta – Vorsitzende Ärzte ohne Grenzen e. V.

    Ihren ersten Einsatz für Ärzte ohne Grenzen hatte Parnian Parvanta 2011 in der Zentralafrikanischen Republik. Es folgten Aufenthalte in Indien, Nepal, Nigeria, der Elfenbeinküste und im Irak. Währenddessen arbeitete die Gynäkologin als Oberärztin an der Universitätsklinik Mainz. Seitdem 2023 ist sie Vorsitzende von Ärzte ohne Grenzen. Als Kind floh Parvanta mit ihrer Familie aus Afghanistan. Heute macht sich für Hilfslieferungen nach Gaza, HIV-Prävention und den Schutz von Krankenhäusern in Konfliktregionen stark.

    Birgit Spiewok – Geschäftsführender Vorstand Ärzte der Welt e. V.

    Birgit Spiewok ist Beraterin für internationalen Katastrophenschutz und legt dabei den Fokus auf Organisation und Qualitätssicherung von humanitärer Hilfe. Dass Ärzte der Welt sie 2020 zum Vorstandsmitglied wählte, kommt also nicht von ungefähr. Die NGO ist global aktiv: In Gaza betreuen trotz massiver Einschränkungen zwei mobile Teams zwischen 130 und 150 Menschen am Tag. In der Ukraine bietet die Organisation psychologische Betreuung an. Und in Asien liegt der Fokus auf der medizinischen Unterstützung von Schwangeren.

    Angelika Claußen – Vorstand Deutsche Sektion der Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzt*innen in sozialer Verantwortung e. V. (IPPNW)

    Waffenstillstände in der Ukraine und Gaza, keine Stationierung von US-Raketen in Deutschland und vor allem eine atomtechnologiefreie Gesellschaft; so lauten die Ziele von IPPNW. Deren Vorständin Angelika Claußen ist Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Friedenswissenschaftlerin und Expertin für die gesundheitlichen Gefahren von Niedrigstrahlung. Mit der deutschen Sektion der IPPNW setzt sie sich für Frieden, Atomwaffenverbot, Ausstieg aus der Atomkraft und Abrüstung zugunsten des Klimas ein.

    Christof Johnen – Leiter Internationale Zusammenarbeit Deutsches Rotes Kreuz

    Seit dem Zivildienst Ende der 80er Jahre beim Deutschen Roten Kreuz brennt Christof Johnen für die humanitäre Hilfe. Im Blick hat er neben den in den Medien präsenten Krisen auch immer die vergessenen Katastrophen wie im Jemen, im Sudan oder in Bergkarabach. Da sich Deutschland in den vergangenen zehn Jahren hinter den USA zum zweitgrößten Geber humanitärer Hilfe entwickelt hat, ist die internationale Zusammenarbeit dabei von zentraler Wichtigkeit. Seit 2012 kümmert sich Johnen beim DRK darum.

    • Deutsches Rotes Kreuz
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    News

    Scholz nimmt erstes Iris-T SLM für die Bundeswehr in Empfang

    Das Flugabwehrsystem Iris-T SLM aus deutscher Produktion, das bereits in der Ukraine im Einsatz ist, wird nun auch in die Bundeswehr eingeführt. Am Mittwoch stellen Bundeskanzler Olaf Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius in Schleswig-Holstein das erste von sechs Systemen in Dienst, die für die deutschen Streitkräfte bestellt wurden.

    Die Ukraine hatte bereits im Oktober 2022 das erste dieser Luftverteidigungssysteme erhalten, die von der deutschen Firma Diehl gebaut werden und Ziele bis zu 40 Kilometer Entfernung abwehren können. Inzwischen erhielt das Land zur Abwehr des russischen Angriffs vier Feuereinheiten des Typs Iris-T SLM und drei des auf kürzere Reichweite ausgelegten Typs Iris-T SLS, geplant sind acht weitere SLM- und neun zusätzliche SLS-Einheiten. Nach Berichten aus der Ukraine soll vor allem Iris-T SLM eine fast hundertprozentige Trefferquote bei der Abwehr zum Beispiel russischer Drohnen haben.

    Erstes System soll der Ausbildung dienen

    Für die Bundeswehr hatte das Parlament im Juni vergangenen Jahres die Bestellung von sechs Iris-T SLM für rund 950 Millionen Euro aus dem Sondervermögen für die Streitkräfte gebilligt. Das erste System, das am Mittwoch zunächst an das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) und danach an die Luftwaffe übergeben wird, soll vor allem für die Ausbildung genutzt werden. Am Standort Todendorf werden zwar schon seit August vergangenen Jahres ukrainische Soldaten an dem System ausgebildet, allerdings von Mitarbeitern der Herstellerfirma, nicht von der Bundeswehr.

    “Die Einführung von IRIS-T SLM in die Bundeswehr ist ein sichtbarer Teil der Zeitenwende und wird eine Lücke in der Luftverteidigung schließen sowie die europäische Luftverteidigung stärken”, begründete Regierungssprecher Steffen Hebestreit die Anwesenheit des Bundeskanzlers bei der Indienststellung des ersten Systems. Die neuen Feuereinheiten sollen das von der Luftwaffe betriebene “Leichte Flugabwehrsystem” ablösen, bei dem von einem sogenannten Geräteträger “Wiesel” Stinger-Raketen auf Luftziele abgefeuert werden. tw

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    Brigade Litauen: Gesetzespaket soll Freiwillige mit finanziellen Anreizen locken

    Mit einem Bündel an Neuregelungen in zahlreichen Gesetzen soll der Dienst in den Streitkräften finanziell attraktiver gemacht und die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr erhöht werden. Ein sogenanntes Artikelgesetz “zur weiteren Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft und zur Änderung von Vorschriften für die Bundeswehr”, dessen Entwurf Table.Briefings vorliegt und das Bundeskabinett voraussichtlich am Mittwoch beschließen will, sieht unter anderem neue Zahlungen für den Ausgleich von Mehrarbeit bei längeren Übungen, aber auch für den Dienst in der geplanten neuen Kampfbrigade in Litauen vor.

    Ein wesentlicher Bestandteil ist ein Teil-Abschied von der Soldatenarbeitszeitverordnung, die unter der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen für die Bundeswehr eingeführt wurde. Mehrarbeit ist demnach in Anlehnung an die EU-Arbeitszeitverordnung innerhalb von 12 Monaten mit Freizeit auszugleichen. Künftig soll es vor allem einfacher werden, über diese Bestimmung hinausgehende wöchentliche Arbeitszeiten finanziell und nicht mit Freizeit abzugelten. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Befürchtung, dass die künftige Brigade in Litauen bei entsprechendem Freizeitausgleich nicht mehr einsatzbereit würde. Für Personal in hoher Alarmbereitschaft soll es ähnliche Regelungen und einen besseren finanziellen Ausgleich geben.

    Bundeswehr lockt Freiwillige mit Pflege- und Kinderzuschüssen

    Mehr Anreize für eine freiwillige Meldung zum Dienst in Litauen verspricht sich das Verteidigungsministerium von Ausgleichszahlungen, die künftig auch zusätzlich zum höheren Sold für die Dienstzeit im Ausland gezahlt werden können. Für den – geplant mehrjährigen – Einsatz im Baltikum werden zudem die Regelungen für Trennungsgeld und Umzugskosten geändert. Nach Rückkehr aus Litauen soll damit vermieden werden, dass ein Soldat an einem neuen Dienstort bislang nur begrenzt zwischen Trennungsgeld und Umzugskosten wählen kann. Weitere geplante finanzielle Anreize sind zusätzliche Verpflichtungsprämien für bestimmte Dienstposten und eine ausgeweitete Übernahme von Betreuungskosten für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige. Mit ins Ausland übersiedelnde Familienangehörige sollen unter bestimmten Umständen Zuschüsse zu ihrer Altersversorgung erhalten können.

    Bislang ist noch offen, wie viele Soldaten sich freiwillig für die Brigade in Litauen melden, die ab 2027 einsatzbereit sein soll. In der Truppe wurde die Bereitschaft zu dieser Stationierung nicht zuletzt von den Rahmenbedingungen abhängig gemacht, die bislang unklar blieben. tw

    • Bundeswehr

    Ukraine: Warum eine Petition das Höchstalter für den Wehrdienst auf 50 Jahre senken will

    “Verleihung des Ehrentitels Held der Ukraine”, “Ehrentitel Held der Ukraine”, “Held der Ukraine” … und immer wieder “Held der Ukraine”: Es sind Titel der Petitionen auf der offiziellen Petitionsseite des ukrainischen Präsidenten. Angehörige gefallener Männer bitten um die posthume Ehrung ihrer Brüder, Söhne, Partner.

    Diese vielen Petitionen erreichen bisher nicht die zur Prüfung nötige Zahl von 25.000 Unterstützenden. Dagegen hat die Petition, das Höchstalter für die Einberufung zum Kriegsdienst von 60 auf 50 Jahren zu senken, innerhalb von knapp zwei Monaten nun mehr als 25.000 Unterschriften eingesammelt. Somit muss Wolodymyr Selenskyj formal diesen Antrag prüfen. Begründet ist der kurze Antrag mit der wirtschaftlichen Situation im Land: “Ein Appell an den Präsidenten der Ukraine, das Mobilisierungsalter für Männer von 60 auf 50 Jahre zu senken, um die wirtschaftliche Lage im Land zu verbessern.”

    Frauen füllen die Lücken

    Der Ukraine fehlen Arbeitskräfte, nicht nur Soldaten. In vielen Berufen, die traditionell nur Männern zugänglich waren, werden nun Frauen beschäftigt, etwa in den Kohle-Minen. Doch nachdem rund 13 Prozent der Frauen das Land wegen des Krieges verlassen haben, können auch die in der Ukraine gebliebenen, die fehlenden Männer nicht ersetzen. Wie in Russland, so konkurrieren auch in der Ukraine die Armee und die Wirtschaft um dieselben Menschen, nur dass die Kapazitäten des Aggressors etwa viermal höher sind.

    Nach Angaben des ukrainischen Wirtschaftsministeriums melden drei Viertel der Unternehmen Arbeitskräftemangel. Drei Gründe werden offiziell genannt:

    • Rund 4,3 Millionen Menschen sind ins Ausland geflohen
    • Einige Hunderttausend sind im Krieg, viele inzwischen tot oder so sehr verletzt, dass sie nicht mehr arbeiten können
    • Ein Teil ist “verschwunden” – untergetaucht, kommt nicht zur Arbeit und ist unauffindbar

    Ob die Petition Erfolg haben wird, ist fraglich. Erst im April hatte Selenskyj das Einberufungsalter von 27 auf 25 gesenkt. In der Altersgruppe 25 bis 60 unterliegen von insgesamt etwas mehr elf Millionen Männern 3,7 Millionen der Einberufung. Würde das Alter von 60 auf 50 gesenkt werden, würde das Verteidigungsministerium protestieren. Die vielen Unterschriften unter der Petition, auch wenn sie ökonomisch begründet ist, sind wohl ein Ausdruck der Sorge um die Angehörigen. Die Anträge auf posthume Ehrungen werden nicht weniger werden. vf

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    Must-Reads

    Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik: Germany and Europe Can Boost Security by Reforming Capital Markets. Schlecht entwickelte Kapitalmärkte in Deutschland und der EU schaden der europäischen Sicherheit, so die These dieses Textes. Um Europas militärischen Vorsprung zu stärken, schädliche Abhängigkeiten zu reduzieren und die wirtschaftliche Dynamik zu fördern, bedürfe es einer Reform der Märkte.

    The New Yorker: In the Dark. In der dritten Staffel dieses preisgekrönten Investigativ-Podcasts geht es um das Haditha-Massaker: die Ermordung von vierundzwanzig irakischen Zivilisten durch US-Marines im Jahr 2005. Host Madeleine Baran rekonstruiert die Geschehnisse, spürt die beteiligten Soldaten auf, untersucht, warum ihre Verurteilung damals scheiterte.

    Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik: The End of the Zeitenwende. Hat die deutsche Zeitenwende ihre Ziele erreicht? Nein, so das Urteil eines zweijährigen DGAP-Projekts. “Deutschland braucht jetzt eine umfassende strategische Neuausrichtung und eine mutige Führung in der Innen- wie in der Außenpolitik”, schreibt Sicherheitspolitik-Forscher Benjamin Tallis in diesem Text.

    Stiftung Wissenschaft und Politik: Welche Strategie im Umgang mit China in Afrika? Im Vorfeld des “Forum on China-Africa Cooperation” blickt dieser Text auf den wachsenden Einfluss Chinas in Afrika. Afrika-Forscherin Karoline Eickhoff beschreibt, welche unterschiedlichen Interessen Europa und Afrika mit China verbinden und wie wir zukünftige Handelskonflikte vermeiden können.

    Foreign Affairs: The Fall and Fall of Mahmoud Abbas. Seit 20 Jahren herrscht in der palästinensischen Führungsriege keine Einigkeit. Dieser Text analysiert Ziele und Pläne von Präsident und Fatah-Chef Mahmoud Abbas, die Geschichte der palästinensischen Führung und wie die Uneinigkeit den Ausgang des aktuellen Krieges beeinflusst.

    Heads

    Christian Mölling – Zeitenwende-Erklärer bei der Bertelsmann-Stiftung

    Christian Mölling hat die DGAP verlassen und arbeitet nun für die Bertelsmann-Stiftung.

    Christian Mölling gehört zum überschaubaren Kreis der Zeitenwende-Erklärer. Er ordnet ein, kritisiert, regt an und sagte kurz vor seinem Jobwechsel gegenüber Table.Briefings: “Irgendwann ist es gut, weiterzuziehen.” Nicht zuletzt deshalb, weil Entscheidungen von Führungspersonen korrigierbar sein müssten, seien regelmäßige Wechsel wichtig.

    Diese Woche beginnt Mölling als Direktor des Programms Europas Zukunft bei der Bertelsmann-Stiftung und bekommt dort “eine doppelte Aufgabe”, wie er sagt: Seinen Verantwortungsbereich Europa will er nachschärfen, das Thema Sicherheit soll eine größere Rolle spielen. Wie viele andere Stiftungen in Deutschland habe auch Bertelsmann mit dem Thema Sicherheit und Verteidigung “in den letzten Jahrzehnten sehr gefremdelt”. Zur strategischen Aufstellung gehöre aber auch, die guten Arbeitsergebnisse aller Kolleginnen und Kollegen in Entscheidungsprozesse einzuspielen, dass “gute Politik möglich wird”.

    Europa befinde sich derzeit “in der wahrscheinlich kritischsten Phase der letzten siebzig Jahre”, sagt Mölling. Von Krieg bis Klimakrise gebe es eine Reihe existentieller Herausforderungen. Die Frage sei: Wie kann die Bertelsmann-Stiftung in diesen Zeiten ihre Ressourcen sinnvoll einsetzen, um ihre Ziele zu erreichen?

    Zuletzt war Mölling stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung. Vor seiner Tätigkeit bei der DGAP arbeitete er beim German Marshall Fund of the United States (GMF), in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), am Center for Security Studies der ETH Zürich sowie am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

    Ohne Doktortitel kein Projektleiter

    Wenn der 1973 in Bad Oeynhausen geborene Politikwissenschaftler über seinen Werdegang spricht, kommt er vom Kleinen ins Grundsätzliche. Erst mit Anfang dreißig – nach Studium der Politik-, Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften an den Universitäten in Duisburg und Warwick – habe er gemerkt, dass er einen Doktortitel brauche, um Projektleiterstellen zu bekommen. “Und heute würde ich sagen: zu Recht.” Mit seiner Promotion an der Ludwig-Maximilians-Universität in München habe er “Leidensfähigkeit” gelernt – was für akademischen Erfolg wichtiger sei als “Brillianz”.

    Es ist viel Understatement. Möllings Sicht auf die deutsche Debattenkultur kommt ohne solches Understatement daher. “Dass in der medialen Debatte immer wieder Leute zu Experten gemacht werden, es aber nicht sind, finde ich ziemlich schwierig: Da werden Meinung und Wissen oder begründete Einschätzung gleichgesetzt.” Weil man die medialen Regeln aber nicht ändern könne, gibt er viele Interviews, schreibt Gastbeiträge, macht Hintergrund-Briefings. Anfragen nehme er an, wann immer es gehe, sagt er. “Es gibt den ersten Kristallisationspunkt nach einem Ereignis, das erste Interview, an dem sich der politisch-mediale Diskurs dann entlang hangelt.” Und wenn man dann die Möglichkeit nicht nutze und meinungs-, aber nicht unbedingt wissensstarken Beiträgen die Deutungshoheit lasse, dann, habe man danach “den Scherbenhaufen in der Diskussion, den man nicht mehr weggekehrt kriegt”.

    Mit Leidenschaft und Leidensfähigkeit

    In Westdeutschland habe es nach Gründung der Bundesrepublik eine “schwere Auseinandersetzung” darum gegeben, wie wissenschaftlich und wie politisch Friedensforschung sein sollte und was das richtige Verhältnis zu Politik und zur Friedensbewegung wäre. Mit der politischen Ideologisierung sei auch früh die Ausrichtung gekommen: Dabei seien “die Sicherheitspolitiker fast ganz rausgeflogen, auch aus den Förderlinien”. Das wirke bis heute nach: So gebe es in Großbritannien oder Skandinavien eine Reihe guter Universitäten, die ohne Probleme Verteidigung und Konfliktforschung zusammen unterrichten, “hier in Deutschland aber haben Sie noch immer mit einem ideologischen Bias zu kämpfen, der die weitgehende Wissensfreiheit beim Thema Verteidigung auch bei Forschenden erklärt: kein Lehrstuhl, keine Seminare”.

    Deshalb ist es ihm wichtig, Diskurse mitzuprägen. Man müsse für das Thema und die Art der Arbeit brennen, um auch am Freitagnachmittag da zu sein. Und Krisen begännen schließlich “meistens freitagnachmittags – empirisch gefühlt”. Gabriel Bub

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    Aret Demirci wird Büroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Istanbul

    Aret Demirci von der Friedrich-Naumann-Stiftung wechselt vom Libanon in die Türkei. Am 4. September wird er in Istanbul die Leitung des Stiftungs-Büros übernehmen. Mit Blick auf die angespannte Lage im Libanon seit Oktober 2023 konnte Demirci nicht mehr mit seiner Familie in Beirut bleiben. Sein Wechsel in die Türkei, wo er bereits als Projektkoordinator im Istanbuler FNF-Büro gearbeitet hatte, wurde daraufhin vorgezogen.

    2018 war er von der türkischen Justiz wegen eines Tweets der Amtsbeleidigung schuldig gesprochen worden und zu einem Jahr Haft verurteilt. Wie häufig bei Ausländern wurde die Strafe auf fünf Jahre ausgesetzt. Schweigen will er in der Türkei aber nicht, sondern die Arbeit seiner Vorgängerin Beate Apelt mit neuer Dynamik fortsetzen und vor allem Projekte in den Bereichen Medienfreiheit und Migration, aber auch liberale Kernthemen wie Förderung von Unternehmertum und Start-ups vorantreiben. Demirci spricht fließend Türkisch. wp/leo

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    Security.Table Redaktion

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