beinah ein Jahr ist es her, dass auf der Mitgliederversammlung der Fraunhofer-Gesellschaft ein umstrittener Präsident abdankte und ein neuer gewählt wurde: Nach einer Zeit der Skandale richteten sich die Hoffnungen der mehr als 30.000 Mitarbeitenden der Forschungsorganisation auf Holger Hanselka. Und die Erwartungen und Forderungen der Politik und der Wirtschaft sowieso.
Eine Neuausrichtung wurde gewünscht, schlankere und transparente Strukturen, Klärung in heiklen Finanzfragen, mehr Frauen in Führung. Ganz schön viel für einen einzelnen Menschen könnte man denken. Doch Hanselka blieb zuversichtlich, er sah beste Voraussetzungen, man müsse sich eben auf die Wurzeln besinnen und zurückgehen zum Fraunhofer-Modell.
In wenigen Wochen treffen sich die Mitglieder der Fraunhofer-Gesellschaft wieder. Was hat sich in der ersten Zeit mit Holger Hanselka bewegt? Wir haben für Sie einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen geworfen.
Und noch mehr China-Spion-Kontakte: Die Bundesanwaltschaft informierte am vergangenen Montag über die Festnahme von drei mutmaßlichen Wissenschaftsspionen. Sie sollen für den chinesischen Geheimdienst Informationen zu Dual Use-Technologien beschafft haben. Neben den Universitäten Duisburg-Essen und Chemnitz bestätigt nun auch die Universität Stuttgart Kontakte zu Innovative Dragon Ltd., der Firma der Wissenschaftsspione. Wie reagiert die Wissenschaftscommunity auf die Vorfälle? Mein Kollege Markus Weisskopf hat nachgefragt. Er erfuhr von fehlenden Regularien, Negativlisten anderer Länder, der Warnung vor roten Linien und den Plänen der EU.
Ich wünsche Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre,
Der Mai wird für die Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) wieder einmal ein besonderer Monat. Vor rund einem Jahr endete die Ära Neugebauer, der Senat der Fraunhofer-Gesellschaft wählte einstimmig Holger Hanselka. Sein Vorgänger, seit langem umstritten wegen unzähliger Vorwürfe, hatte während der Mitgliederversammlung selbst angeboten, sein Amt niederzulegen.
Mit dem Wechsel waren viele Hoffnungen verbunden, auf eine dringend nötige Neuausrichtung der Forschungsgemeinschaft, schlankere und transparente Strukturen. Hanselka sagte, man müsse sich auf die Wurzeln zurückbesinnen: Fraunhofer müsse zurück zum Fraunhofer-Modell. Bald treffen sich die Mitglieder wieder. Was hat sich seit dem Wechsel getan?
In einem Prüfbericht hatte der Bundesrechnungshof im Februar 2023 die Führungsspitze der Fraunhofer-Gesellschaft deutlich kritisiert. Seit März 2023 ermittelt die Staatsanwaltschaft München I gegen Fraunhofer, erst gegen Unbekannt, im September wurden dann Namen genannt.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die früheren Vorstandsmitglieder Reimund Neugebauer, Innovationsvorstand Alexander Kurz und den früheren Finanzvorstand M. laufen noch, wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft gegenüber Table.Briefings bestätigte.
Aus der Fraunhofer-Zentrale ist nichts zum Thema zu hören. Der übrige Vorstand um Hanselka ist unverändert zusammengesetzt. Die Position von Alexander Kurz, zuständig für den Bereich Innovation, ist bisher nicht neu besetzt worden. Holger Hanselka hat diese Aufgabe mitübernommen.
Schon länger kritisieren Verantwortliche aus den Ländern das Wachstum von Fraunhofer in den vergangenen Jahren auf 76 Institute. Der Bundesrechnungshof forderte in seinem zweiten Prüfbericht zur FhG: “Um in der Spur des PFI zu bleiben und Risiken für den Bundeshaushalt durch ein überproportionales institutionelles Wachstum der FhG zu vermeiden, sollte das BMBF die Anzahl der Fraunhofer-Institute limitieren”.
Hier wird Fraunhofer aktuell aktiv: “Um das Portfolio der Fraunhofer-Gesellschaft fachlich und wirtschaftlich bestmöglich weiterzuentwickeln und die Forschungsorganisation zukunftsfähig zu gestalten, hat der Vorstand verschiedene Maßnahmen beschlossen”, erklärt ein Sprecher am 19. April.
Am Fraunhofer-Zentrum für Internationales Management und Wissensökonomie IMW werde eine Teilbetriebsschließung sowie die Auflösung der Eigenständigkeit des Zentrums erfolgen. Die verbleibenden Abteilungen werden in das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI integriert. Dies alles soll zum 1. Juli 2024 erfolgen.
Das Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT, seit 50 Jahren ein verlässlicher Partner für das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), soll in das Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE integriert werden.
Die Angst vor Kostenreduktion und Konsolidierung gehe in der Gesellschaft um, berichten Mitarbeitende, von weiteren Schließungen ist die Rede. Es seien “kosmetisch gewollte Maßnahmen“, kritisieren andere, diese “erfolgten nicht auf Basis eines sinnhaften Plans, klarer Geschäftszahlen oder gar der Begleitung einer Strategieberatung oder eines Unternehmensentwicklers”.
Tatsächlich würden an anderer Stelle noch Millionen investiert, um nicht-lebensfähige Institute oder deren Außenstellen am Leben zu halten. Genannt wird etwa das ITEM in Hannover. Eine Re-Fokussierung, ein Schritt zu mehr Wirtschaftsnähe, könne man dem neuen Präsidenten erst abnehmen, wenn auch die Zentrale in München schrumpfe. Bislang wachse diese sogar noch, wohl auch durch die umstrittene SAP-Einführung.
Der Bundesrechnungshof hatte in seinem Bericht das Finanzgebaren der Fraunhofer-Gesellschaft deutlich kritisiert. Die FhG habe mehr Geld bekommen als nötig und Rücklagen nicht zurückgezahlt. Wie Holger Hanselka im Interview mit Table.Briefings (“Manche Mechanismen sind in die Jahre gekommen”) im Dezember dazu erklärte, betrage die Rücklage bei Fraunhofer rund 400 Millionen Euro, sie wurde 2014 durch den Haushaltsausschuss über eine Ermächtigung eingestellt. Es sei ein normales legales Instrument, da Fraunhofer Projekte mit der Industrie durchführe.
Eine Lösung in der Angelegenheit ist bisher nicht gefunden worden: “Die Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung erachten die bisherige Rücklage als zu hoch. Die Zuwendungsgebergemeinschaft der FhG wird Zweck und Obergrenze der Rücklage festlegen. Dieses Verfahren ist noch nicht abgeschlossen”, erklärt hierzu eine Sprecherin des Forschungsministeriums gegenüber Table.Briefings.
Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger hatte gleich bei der Amtseinführung Holger Hanselkas klargemacht, dass sie sich nicht nur Innovationen, sondern auch mehr Gleichstellung von dem neuen Fraunhofer-Präsidenten erhoffe. Die Zahlen der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) zum Thema Chancengleichheit hatten große Unterschiede gezeigt: Bei der Max-Planck-Gesellschaft und der Leibniz-Gemeinschaft lag der Anteil von Frauen in Führung 2022 bei 29,9 Prozent, bei der Fraunhofer-Gesellschaft lediglich bei 8,5 Prozent.
“Wir arbeiten kontinuierlich an unseren Zielen weiter. Aktuell leiten 14 Frauen ein Fraunhofer-Institut”, teilt ein Sprecher der Fraunhofer-Gesellschaft mit. Ende Dezember 2023 waren es zwölf Frauen von insgesamt 105 Institutsleitungen, im April 2024 sind es 14 Frauen in Führung bei insgesamt 104 Institutsleitungen. Im Juni könnte eine weitere Frau als Institutsleitung hinzukommen.
Kritik gibt es an der tatsächlichen Rollenverteilung. Nicht selten handelt es sich um Doppelspitzen, in denen Männer für Personal- und Finanzentscheidungen zuständig sind, Frauen für die wissenschaftliche Leitung. Diese Rollen sollen offiziell nach einem bestimmten Rhythmus gewechselt werden.
Viele fragen sich, wie lang etwa ein solches System “rolliert”, warum es so ein System überhaupt braucht, warum offenbar eher Frauen ein männlicher Kollege zur Seite gestellt wird als andersherum.
Den aktuellen Stand nennt die FhG so:
Auf einer weiteren Führungsebene ist nichts passiert: Die Fraunhofer-Gesellschaft hat insgesamt neun Verbünde, die Sprecher sind Teil des Präsidiums, sind an entscheidenden Sitzungen beteiligt und wirken in der Unternehmenspolitik sowie bei der Umsetzung des Funktions- und Finanzierungsmodells der Fraunhofer-Gesellschaft mit. Noch ist keine Frau als Verbundssprecherin berufen worden, noch nie hat eine Frau bei Fraunhofer dieses Amt innegehabt.
Holger Hanselkas Aufgaben scheinen eher größer als beherrschbarer geworden zu sein.
Die Bundesanwaltschaft informierte am vergangenen Montag über die Festnahme von drei mutmaßlichen Wissenschaftsspionen. Sie sollen für den chinesischen Geheimdienst Informationen zu Dual-Use-Technologien beschafft haben. Dazu hatten sie Kontakt zu mehreren deutschen Hochschulen, mit einer hatten sie einen Vertrag geschlossen.
Recherchen von Table.Briefings legen nahe, dass es sich dabei um die TU Chemnitz handelt. Hier wurde von Innovative Dragon eine Studie zum Thema Gleitlager in Auftrag gegeben. Auch die Universität Duisburg-Essen und die Universität Stuttgart bestätigten Gespräche mit Innovative Dragon. In Duisburg-Essen wurden Gespräche zum autonomen Fahren geführt, eine Tagung wurde von Innovative Dragon gesponsort. Ein Professor beteiligte sich an einer Firma aus dem Umfeld der Verdächtigen. Eine konkrete, vertraglich fixierte Zusammenarbeit habe es jedoch nicht gegeben, sagen die Universitäten.
Als Reaktion auf diese Veröffentlichungen forderte Bettina Stark-Watzinger nun die Hochschulen auf, ihre Kooperationen mit China zu überprüfen. Eine noch kritischere Abwägung von Risiko und Nutzen bei der Zusammenarbeit gerade auch in Wissenschaft und Hochschulen sei notwendig. Unterstützung gebe es nur für solche Vorhaben, “die einen klaren Mehrwert für Deutschland und Europa haben”, sagte sie der Wirtschaftswoche.
In Deutschland habe Wissenschaftsfreiheit Verfassungsrang, damit sei aber auch eine Verantwortung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen verbunden, sagte die Forschungsministerin. Sie kündigte an, dass Information und Sensibilisierung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen gemeinsam mit den zuständigen Behörden weiter verstärkt werden sollen. Zudem unterstütze man weiterhin den Ausbau unabhängiger China-Kompetenz.
Dass es dringenden Handlungsbedarf gibt, findet auch der Verfassungsschutz. “Eine ausreichende Sensibilität, um die Gefahren der Spionage und das hohe Risiko des Knowhow-Verlusts richtig einschätzen zu können, fehlt jedoch an deutschen Hochschulen häufig genauso wie entsprechende Schutzmaßnahmen”, schreibt dieser in seinem hauseigenen SPOC-Magazin 2023.
Jetzt legte Verfassungsschutz-Vizepräsident Sinan Selen bei einer Wirtschaftsveranstaltung nach: Der Verfassungsschutz wolle sich verstärkt um die chinesischen Aktivitäten bei Ausgründungen aus Universitäten und Start-ups kümmern, kündigte er an. Denn man sehe, dass China über Forschungskooperationen im zivil-militärischen Bereich Technologien erhalten wolle, die man auch militärisch nutzen könne.
Bereits der Verfassungsschutzbericht 2022 bezeichnet China als “die größte Bedrohung in Bezug auf Wirtschafts- und Wissenschaftsspionage” in Deutschland. Auf Anfrage von Table.Briefings wollte man sich beim Bundesamt für Verfassungsschutz allerdings nicht näher zu konkreten Anhaltspunkten für Spionagefälle im Wissenschaftsbereich äußern.
In der Wissenschaft wird nun diskutiert, wie man künftig im Spannungsfeld zwischen Wissenschaftsfreiheit, eigenen Interessen an internationalen Forschungskooperationen und den teils gegensätzlichen Anforderungen der Politik agieren kann.
Der Deutsche Hochschulverband etwa fordert übergeordnete Standards, die Wissenschaft und Politik gemeinsam entwickel sollen. Dann könnten sich die Hochschulen daran orientieren. Darüber hinaus bräuchte es “qualifizierte, Institutionen übergreifende Informations- und Beratungsangebote”, sagte ein Sprecher zu Table.Briefings. Damit könnten unter Wahrung der Wissenschaftsautonomie tragfähige Entscheidungen getroffen werden, “mit wem und in welchen Bereichen Austausch und Kooperationen vertretbar sind”.
Diese Beratungsangebote fordern auch die TU9-Universitäten. Gleichzeitig bekennen sich diese auf Anfrage von Table.Briefings zu der Verantwortung, die ihre Autonomie mit sich bringt und wollen “intern Strukturen, Expertise und ein Bewusstsein für die politische Dimension von Wissenschaftsbeziehungen schaffen”. Rote Linien, die diese Autonomie eindämmen, müssten von der Politik mit Bedacht gezogen und klar und konsistent kommuniziert werden.
Neben der Etablierung neuer Strukturen und Prozesse fordert die HRK eine bessere Verzahnung der bereits vorhandenen Ressourcen. Insgesamt sei “klar, dass wir hier von einem erheblichen Investitionsbedarf sprechen, den Bund und Länder angehen müssen”.
Wie mögliche neue Maßnahmen aussehen könnten, skizziert auch das Positionspapier Forschungssicherheit des BMBF. Man möchte Leitlinien und Listen entwickeln, sowie die Einrichtung einer “Clearingstelle” prüfen. Unklar bleibt jedoch, wer die Initiative wann wofür ergreifen wird. Und vor allem – wer das Geld gibt.
Kanada zeigt, dass klarere Richtlinien möglich sind: Seit Anfang 2024 werden dort Anträge auf Forschungsförderung nicht mehr genehmigt, wenn diese einen sensiblen Forschungsbereich betreffen und einer der beantragenden Forscher mit einer Institution verbunden ist, die als unsicher eingestuft wird. Dafür stellt die Regierung Listen bereit, die sowohl die sicherheitsrelevanten Themen als auch die betreffenden Institutionen beinhalten. Für die Beratung von Forschern steht zudem ein Research Security Centre zur Verfügung.
Die EU scheint in eine ähnliche Richtung zu gehen, wie ein Factsheet aus dem Januar deutlich macht. Man möchte anscheinend in Anlehnung an den China Defense Universities-Tracker ein Due Diligence-Tool entwickeln und ein European centre of expertise on research security ins Leben rufen, das Expertise bereitstellen und die Community vernetzen soll.
Fördermittel per Los verteilen, das klingt nach einem schlechten Scherz. Die VolkswagenStiftung in Hannover hat das getan und ist sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Demnach wird die Diversität gesteigert, sowohl in der thematischen Breite der geförderten Projekte als auch bei den Mittelempfängern selbst. Eine Voreingenommenheit, die bei Begutachtungen durchaus entsteht, werde umgangen, heißt es. Die Qualität der Forschung, ob nun von einem Expertengremium oder durchs Los zur Finanzierung empfohlen, unterscheide sich nicht – zumindest in dem Verfahren, das die VolkswagenStiftung angewendet hat.
Unter Forschungsfinanzierern wird intensiv darüber diskutiert. Einige setzen das Losverfahren bereits ein, darunter die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (Dati), der Schweizerische Nationalfonds und die British Academy. Das Vergabeverfahren wird als “teilrandomisiert” bezeichnet. Denn ehe ein Antrag in die Lostrommel kommt, muss er die formalen Voraussetzungen erfüllen und eine Jury zunächst grundsätzlich überzeugen.
Bei der Förderinitiative “Experiment!” der VolkswagenStiftung reichen Forscher einen Kurzantrag ein. Entspricht er den Programmkriterien, wird er mit vielen weiteren anonymisiert einer wissenschaftlichen Jury vorgelegt. Diese ermittelt alle förderwürdigen Anträge (etwa 80 bis 100) und wählt die besten zur direkten Bewilligung aus (15 bis 20).
Anschließend kommen alle 80 bis 100 Förderwürdigen in die Lostrommel und es werden gemäß der Anzahl aus der “Spitzengruppe” entsprechend viele Anträge per Zufall ausgewählt. So kann es geschehen, dass ein Vorschlag doppelt ausgewählt wird, durch die Jury und per Los. Das gewährleistet die Vergleichbarkeit der Verfahren.
Ein wesentlicher Grund für die teilrandomisierte Vergabe: Gutachter sind knapp. “Geeignete Fachleute sind überlastet, sie werden für Preise angefragt, für Anträge und für Publikationen”, sagt Ulrike Bischler von der VolkswagenStiftung. “Als Förderer bekommen wir viele Absagen, wenn wir Gutachter anfragen.” Daher suche man nach alternativen Wegen. Hinzu komme das Risiko der Voreingenommenheit, das bei menschlichen Entscheidungen nie auszuschließen sei.
Die Stiftung wagte den Versuch. Die “Experiment!”-Initiative lief bis 2021, die Auswertung wurde jetzt abgeschlossen. Sie war auf riskante, explorative Forschung ausgerichtet, die beispielsweise klärt, ob eine Idee überhaupt funktionieren kann. Mit einer Förderung von bis zu 120.000 Euro war sie zudem eher schmal ausgestattet, richtete sich an Natur- und Lebens- sowie Ingenieurwissenschaften.
Von 2013 bis 2017 lief “Experiment!” zunächst auf herkömmlichem, gutachterbasiertem Wege. “Wir stellten fest, dass Anträge aus Nischenfächern weniger gut durchkamen und auch solche von Early Career Scientists vergleichsweise seltener ausgewählt wurden”, sagt Bischler. Das änderte sich, nachdem 2017 das Losglück hinzukam. Die Förderungen wurden insgesamt fachlich diverser und erreichten mehr aus der jungen Generation, was nebenbei den Frauenanteil steigerte, da diese heute in frühen Karrierephasen häufiger vertreten sind als in der Professorenschaft.
Die Qualität der geförderten Forschung wurde unter anderem anhand von Publikationen und Patenten gemessen. Da gebe es keine Unterschiede zwischen Los- und Juryverfahren, sagt Bischler. Auch nicht bei Indikatoren wie darauffolgende Forschungspreise oder Karriereschritte. “Das zeigt, dass die Vorauswahl gut gelaufen ist.” Die anfängliche wissenschaftliche Einschätzung ist maßgeblich für die Akzeptanz, auch bei den Geförderten.
Eine Befragung ergab, dass die teilrandomisierte Vergabe akzeptiert wird, sofern es sich um riskante Forschung handelt, für Programme mit niedrigen Bewilligungsquoten und eher geringen Summen. “Geht es um hohe Summen, wird das Verfahren nicht akzeptiert”, sagt Bischler. Für die Gutachter sei es eine Erleichterung. Weil grundsätzlich alle geeigneten Anträge in die Lostrommel kommen dürfen und keine Höchstzahl festgelegt sei, kürze das Diskussionen in den Expertenrunden ab.
Gerade unkonventionelle Ideen, die in üblichen Förderprogrammen kaum Chancen haben, profitieren von der Teilrandomisierung. Das zeigt die Begleitforschung durch Dagmar Simon und Martina Röbbecke von Evaconsult.
“Die Förderorganisationen sind mutiger geworden”, schreiben die Autorinnen. Beispielsweise habe der Schweizerische Nationalfonds nach einer Pilotphase nun die Option eines Losverfahrens für alle Förderprogramme offeriert, die British Academy setze bei den Sozial- und Geisteswissenschaften eine teilrandomisierte Auswahl für kleinere Förderprojekte (bis zu 10.000 Pfund Sterling) ein. “Damit und mit der Anonymisierung von Anträgen experimentiert ebenfalls in einigen Förderlinien die dänische Novo Nordisk Foundation.”
Die Deutsche Agentur für Transfer und Innovationen (Dati) nutzt in der Förderlinie “Innovationssprints” ebenfalls ein Losverfahren – sofern die Anträge fachlich überzeugten. Das Verfahren wird durch das Monitoring und die Begleitforschung beobachtet und ausgewertet.
Auch in der Deutschen Forschungsgemeinschaft würden derzeit Überlegungen angestellt, ob und in welchem Rahmen eine Zufallsauswahl in den Verfahren eine Rolle spielen könnte, erklärt die DFG auf Anfrage und betont: Diese Überlegungen sind ergebnisoffen. “Sollten sie sich konkretisieren, wird die DFG in ihren Gremien darüber beraten und über die Ergebnisse informieren.”
Der Stifterverband lobt das neue Verfahren als “eine gute Möglichkeit, um den Weg für Anderes oder Unerwartetes zu ebnen und etablierte Auswahlmuster zu durchbrechen”. Insbesondere Stiftungen hätten die notwendige Freiheit, um solche Verfahren auszuprobieren, heißt es auf Anfrage. “Der Stifterverband selbst arbeitet nicht mit Losverfahren, er legt aber besonderen Wert auf Perspektivenvielfalt über Sektoren hinweg in seinen Jurys – auch Studierende haben hier eine wichtige Stimme.”
Die VolkswagenStiftung selbst nutzt derzeit keine teilrandomisierte Vergabe. Nach einer Umstrukturierung des Portfolios gebe es aktuell keine Small-Grant-Programme, die dafür geeignet wären, sagt Bischler. Gelost wird in Hannover dennoch: Um Gutachtertätigkeiten attraktiver zu machen, nehmen alle Fachleute, die sich zwischen Juni 2023 und Juni 2024 entsprechend eingebracht haben, an einer Verlosung teil. 25-mal werden je 10.000 Euro vergeben, die für einen wissenschaftsrelevanten Zweck, etwa für einen Gastvortrag oder zur Vernetzung, investiert werden können.
15./16. Mai 2024, Katholische Akademie in Bayern, Mandlstraße 23, 80802 München
XVII. Hochschulsymposium der Schleyer-Stiftung in Kooperation mit Heinz Nixdorf Stiftung und TU München “Nachhaltigkeit in der Wissenschaft: Notwendigkeiten neuer Formen der Zusammenarbeit” Mehr
27./28. Mai 2024, Dresden/International Congress Center Conference
Konferenz “Building Bridges for a Net Zero Future” Mehr
28. Mai 2024, 18:00-20:00 Uhr, TU Berlin, Hauptgebäude, Straße des 17. Juni 135, Hörsaal 0107 (EG) und online
Veranstaltungsreihe über Grundfinanzierung statt Projektwettbewerb, u.a. von GEW und NGAWiss “Projektfinanzierung und/oder Wissenschaftsfreiheit?” Mehr
4. Juni 2024, 18:00 bis 20:00 Uhr, online
Veranstaltungsreihe u.a. von GEW und NGAWiss über Grundfinanzierung statt Projektwettbewerb “Nachhaltige Finanzierung akademischer Lehre” Mehr
Sie sehen großen Reformbedarf im Wissenschaftssystem und wollen sich dafür einsetzen, dass es an Hochschulen und Forschungsinstituten fortschrittlicher und gerechter zugeht. Mit diesem Ziel haben sich am vergangenen Wochenende in Leipzig 16 Professorinnen und Professoren getroffen und eine Interessengemeinschaft ins Leben gerufen.
“Mitte Mai treffen wir uns erneut, dann aber online. Bis dahin wollen wir über den Namen für die Gruppe entscheiden und gemeinsam ein Grundsatzpapier erarbeiten”, sagt der Psychologe Daniel Leising, Professor für Diagnostik und Intervention an der TU Dresden. Er wurde zusammen mit der Anglistin Ruth Mayer (Universität Hannover), der Archäologin Katharina Meinecke (Universität des Saarlandes) und dem Soziologen Tilman Reitz (Universität Jena) in die Sprecher:innengruppe des neuen Netzwerks gewählt.
“Wir waren selbst überrascht, bei wie vielen Themen wir uns im Grunde völlig einig waren. Es war nicht schwierig, sich auf eine gemeinsame Agenda zu verständigen. Dazu gehört zum Beispiel das Ziel einer Entflechtung der Rolle als wissenschaftlicher Kooperationspartner von der Personalverantwortung und von der Bewertung wissenschaftlicher Arbeit.” Derzeit haben Professoren jüngeren Forschenden gegenüber all diese Rollen gleichzeitig inne, und diese unnötige Ballung von Macht berge die Gefahr von Machtmissbrauch. “Das Hofstaatsprinzip finden wir nicht mehr zeitgemäß”, sagt Leising. Andere Länder machten vor, wie es besser gehe.
Andere grundlegende Probleme, mit denen sich die Professoren befassen wollen, sind Fehlanreize im Wissenschaftssystem: Beispielsweise Metriken für wissenschaftlichen Erfolg, die wenig aussagekräftig und zudem leicht manipulierbar sind. Oder ein Drittmittelwesen, bei dem das Einwerben und Verausgaben möglichst großer Summen als besonders wünschenswert gilt.
“Zu all diesen Themen hat sich die Professorenschaft bisher ziemlich bedeckt gehalten”, sagt Leising. Reformwünsche seien eher aus dem Bereich der wissenschaftlichen Mitarbeitenden gekommen. “Wir könnten uns jetzt bequem zurücklehnen und einfach weiter mitspielen. Das möchten wir aber nicht.” Das System sei in vielen Aspekten dysfunktional, es gehöre korrigiert und reformiert. “Profs haben im System die stärkste Position und wir denken, dass wir deshalb eine Verantwortung dafür haben, dass es endlich vorangeht.”
Zum Gründungstreffen des Netzwerks kamen vor allem Professorinnen und Professoren, die sich in der Mitte ihrer Berufslaufbahn befinden und noch einige Zeit vor sich haben, berichtet Leising: “Wir hoffen auf viele weitere Mitstreiter, damit wir uns als starke Stimme etablieren können.” abg
Die Innovationsstrategien der Bundesländer haben zwar häufig konkrete thematische Überschneidungen. Vielfach fehlen aber gemeinsame Zielsetzungen und Synergien bei der Gestaltung von Förderprogrammen. Zu diesem Schluss kommt ein Diskussionspapier des Stifterverbands, das am heutigen Dienstag veröffentlicht wird.
Die Analyse der Innovationsstrategien der Bundesländer soll unter anderem dazu dienen, Möglichkeiten für gemeinsame Projekte, Programme und Maßnahmen zu ermitteln, etwa durch die Bildung von Kooperationsnetzwerken. Es fanden sich jedoch nur punktuelle Hinweise auf Programme und Ansätze für bundeslandübergreifende Kooperation. Auch die Anbindung an Bundesprogramme und -initiativen sei häufig unklar, heißt es in dem Papier.
Durch asynchrone und nur wenig aufeinander abgestimmte Förderprogramme sowohl der Bundesländer untereinander als auch zwischen Bund und Ländern wirke die Förderpolitik Deutschlands insgesamt wenig kohärent. Dies trage auch dazu bei, dass die notwendige “kritische Masse” auch im internationalen Vergleich oft fehlt. red
Das deutsche Start-up HyImpulse plant in dieser Woche den ersten Start seiner Trägerrakete SR75. Die zwölf Meter lange Rakete soll im australischen Koonibba abheben und 60 Kilometer in die Höhe fliegen. Damit würde sie noch unterhalb der Weltraumgrenze bleiben, die bei 100 Kilometern liegt.
Bei dem Test geht es darum, die Triebwerke zu testen. Das Antriebskonzept ist ungewöhnlich: Die Rakete fliegt mit Paraffin und flüssigem Sauerstoff. Die Rakete könne eine Nutzlast von 250 Kilogramm transportieren, sagt Christian Schmierer, Co-CEO und Mitgründer von HyImpulse, das seinen Sitz in Neuenstadt am Kocher bei Heilbronn hat.
Der sogenannte Mikrolauncher wurde konzipiert, um Kleinsatelliten ins All zu befördern. Die Raketen sind nach Firmenangaben durch das hybride Triebwerk aus festem und flüssigem Treibstoff günstiger als herkömmliche, da weniger Bauteile nötig seien als bei herkömmlichen Antrieben. HyImpulse wolle preislich deutlich attraktiver als aktuelle Anbieter aus den USA und China sein. Zu den potenziellen Kunden gehöre etwa die Automobilindustrie, die Satelliten für die Navigation und das autonome Fahren benötige. HyImpulse arbeite bereits an einer zweiten, größeren Rakete, die auch größere Kapazitäten habe. Die Raketen sollen in etwa eineinhalb Jahren Satelliten ins Weltall transportieren.
HyImpulse ist nicht das einzige Start-up in Deutschland, das an der Entwicklung von Mikrolaunchern arbeitet. Auch Rocket Factory in Augsburg und Isar Aerospace nahe München entwickeln Trägerraketen, mit denen Satelliten ins All befördert werden können und planen demnächst erste Testflüge.
Alle drei Firmen haben am Mikrolauncher-Wettbewerb der Deutschen Raumfahrtagentur teilgenommen. Mit HyImpulse hat nun offenbar das Unternehmen die Nase vorn, das sich dabei an dritter Stelle platzierte. Erster Sieger war Isar Aerospace, in der zweiten Runde gewann Rocket Factory. Die bayerischen Unternehmen erhielten elf Millionen Euro aus der “Boost!”-Initiative der Esa.
Der ehemalige Astronaut Ulrich Walter sieht viele Chancen für private Hersteller von kleineren Raketen. Die neuen Kleinraketen-Anbieter seien flexibler als die großen, bei denen man schon zwei Jahre im Voraus einen Platz buchen müsse. In Zukunft werde der Markt ordentlich wachsen, sagte der Professor für Raumfahrttechnik an der TU München. abg mit dpa
Es ist ein blinder Fleck im Wissenschaftssystem: Obwohl bereits in den 1980er Jahren erschreckende Erkenntnisse über die Relevanz sexualisierter Diskriminierung und Gewalt im Hochschulalltag vorlagen, wurde das Thema lange Zeit nicht ernst genommen oder schlicht ignoriert.
Für die betroffenen, zumeist weiblichen Studierenden und Wissenschaftlerinnen führten die Erfahrung sexualisierter Grenzverletzungen und von Übergriffen nicht selten zu psychischen und folgenreichen biografischen Einschnitten: Studierende brachen ihr Studium ab, weil ihnen nicht geglaubt wurde oder sie selbst dafür verantwortlich gemacht wurden. Wissenschaftlerinnen wurden aus Netzwerken ausgegrenzt, mussten ihren Arbeitsplatz verlassen und Karriereknicke hinnehmen.
Bei der schwierigen Aufarbeitung ihrer traumatischen Erlebnisse fehlte den Betroffen nicht nur die so dringend benötigte Unterstützung. Vielmehr kam es nicht selten zu Täter-Opfer-Umkehrungen, was eine weitere Traumatisierung bedeutet. So wurden unerwünschte sexualisierte Anspielungen, Handlungen und Übergriffe, etwa in Sprechstunden, auf Forschungsreisen oder im Rahmen von Forschungsprojekten nicht selten als missglückte erotische Umwerbung etwa von Professoren gegenüber Wissenschaftlerinnen oder Studierenden abgetan.
Die Ursache für diese Übergriffe wurde zudem regelmäßig den Betroffenen selbst in für sie beschämender Weise angeheftet: Ihnen wurde unterstellt, sie hätten unmissverständliche Zeichen für eine Erwünschtheit gegeben, etwa durch einen vermeintlich aufreizenden Kleidungsstil. Die Umdeutung massiver Grenzverletzungen und abscheulicher sexualisierte Übergriffe als fehlgeleitete Annäherungsversuche der Täter waren keine Seltenheit, von den Betroffenen wurde eher Verständnis als Abscheu erwartet. Sie sollten sich sogar geschmeichelt fühlen, da die Betroffenen immerhin so attraktiv seien, dass der Täter ihr seine sexuelle Aufmerksamkeit schenkte.
In den 1990er Jahren sorgten Fälle wie die sogenannte Bettscheinaffäre kurzzeitig für öffentliche Skandale. In der “Bettscheinaffäre” deckten Studierende Vorfälle auf, bei denen die Vergabe von Leistungsnachweisen an sexuelles Entgegenkommen gekoppelt wurde, wie Ursula Müller in dem Aufsatz “Thirty Years After” schreibt, der in dem demnächst bei SpringerVS erscheinenden Band #MeToo in Science (Reihe “Geschlecht und Gesellschaft”) nachzulesen sein wird. Aber auch diese Skandale führten zu keiner breiteren Aufarbeitung von Relevanz und Ursachen sexualisierter Diskriminierung und Gewalt im Hochschulalltag oder gar der Entwicklung adäquater Gegenmaßnahmen.
Die Vorfälle wurden eher als bedauerliche Einzelfälle fehlgeleiteter Professoren verhandelt. Im Gegensatz zu den Opfern, die ihre Studien- und Arbeitsplätze nicht selten aus Scham oder aufgrund sozialer Ausgrenzung verlassen haben, führten Grenzüberschreitungen und Übergriffen bei den Tätern selten zu weitreichenden Konsequenzen.
Es zählte zudem zu den häufig gemachten Erfahrungen der Betroffenen, dass gemeldete Übergriffe aus Sorge vor Reputationsverlust der Hochschule nicht mit dem nötigen Nachdruck verfolgt wurden. Geändert hat sich die Perspektive auf sexualisierte Diskriminierung und Gewalt erst durch die #MeToo-Bewegung, die von 2017 an zunächst die Kultur- und Kunstszene in den USA und dann auch Deutschland aufrüttelte und schließlich auch das Wissenschaftssystem erreichte.
Warum ist das Wissenschaftssystem so schwerfällig bei der Aufarbeitung des Themas sexualisierter Diskriminierung und Gewalt? Ein Grund dafür dürfte nicht zuletzt darin liegen, dass die Wissenschaftseinrichtungen als Orte der Aufklärung und des Fortschritts, der Vernunft und der Reflexion gelten. Damit erscheinen sie vermeintlich immun gegen sexualisierte Diskriminierung und Gewalt oder zumindest als Orte, an denen die Thematisierung einer solchen Erfahrung aufgeklärt und eben nicht ignoriert oder abgewehrt würde.
Und es gibt noch weitere Besonderheiten: Für viele Beschäftigte bilden Wissenschaftseinrichtungen ein Umfeld, in dem sie aufgrund der prekären Ausgestaltung des Karrieresystems in langen persönlichen Abhängigkeiten arbeiten, was auch ein Nährboden für Machtmissbrauch sowie Ignoranz gegenüber übergriffigem Verhalten und Grenzverletzungen durch privilegierte Beschäftigte bilden kann.
Und nicht zuletzt mag auch die ungleiche hierarchische Verteilung der Geschlechter dazu beitragen, dass sexualisierte Belästigung und Gewalt allzu oft als männliches “Kavaliersdelikt” gedeutet und dadurch normalisiert werden. Für die Wissenschaftseinrichtungen geht es also darum, ein Arbeitsumfeld zu kreieren, in dem hingeschaut und Verantwortung übernommen wird. Und in dem Betroffenen mit ihren Erlebnissen ernst genommen und unterstützt werden, um ihre Erfahrungen ohne Angst vor Anzweiflung und einer erneuten Traumatisierung thematisieren zu können.
Entsprechende Handreichungen gibt es dazu. An einzelnen Hochschulen werden inzwischen Maßnahmen ergriffen, die zu einem solchen Wandel beitragen können, wie die Einbeziehung von externen und in der Thematik erfahrenen Beratungsstellen.
Bleibt zu hoffen, dass dies der Beginn eines umfassenden Kulturwandels ist. Denn es ist unzureichend, sich allein auf die von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt betroffenen Personen zu fokussieren. Es bedarf zusätzlich einer stärkeren Problematisierung missbräuchlichen Verhaltens sowie neuer organisationaler Strukturen, die weniger anfällig für Machtmissbrauch sind und mehr Diversität und Geschlechteregalität ermöglichen.
Elmar Reiss wird Ehrensenator der Goethe-Universität Frankfurt. Der Jurist, Investor und Gründer der “Dr. Elmar und Ellis Reiss Stiftung” erhält die Auszeichnung für sein langjähriges und hervorragendes Engagement für die Stiftungsuniversität.
Richard Socher hat die Ehrendoktorwürde der TU Dresden erhalten. Die Fakultät Informatik würdigt mit dieser Auszeichnung die bahnbrechenden Leistungen Sochers im Bereich “Deep Learning” und “Natural Language Processing” sowie sein Engagement für die KI-Bildung in Dresden. Der gebürtige Dresdner zählt zu den wenigen aus Deutschland stammenden Pionieren im Bereich Künstliche Intelligenz im Silicon Valley. Er ist CEO der KI-basierten Suchmaschine “you.com” und gilt als visionärer Tech-Unternehmer.
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Berlin.Table. Rüstungsproduktion in Deutschland: Habeck will schnelleren Bau von Fabriken. Schneller als bisher vermutet, sollen in Deutschland Rüstungsgüter hergestellt werden. Minister Habeck will sich dabei auch an LNG-Terminals orientieren. Mehr
Bildung.Table. KMK-Reform: Prognos begleitet auch die Umsetzung. Mit ihrem Gutachten zur Funktionsfähigkeit der KMK hatte die Unternehmensberatung Prognos im Vorjahr viel Wirbel verursacht. Nun soll sie die Kultusministerinnen und -minister dabei unterstützen, die Organisation zu verschlanken und politisch handlungsfähiger zu machen. Mehr
China.Table. VDA-Chefin Hildegard Müller: “Europa baut seine Stärken nicht schnell genug aus.” Viele innovative lokale E-Auto-Startups standen bei der Messe Auto China wenigen Traditionsherstellern gegenüber. Hildegard Müller vom VDA sieht dennoch gute Chancen für die deutsche Autoindustrie, fordert aber mehr politische Unterstützung. Mehr
Eile mit Weile: Im April 2024 das “Internationale Weichtier des Jahres 2024” zu küren, ist nicht sonderlich flink. Aber vielleicht hat das gemächliche Tempo damit zu tun, dass es sich um eine Schnecke handelt. Bei einer Online-Abstimmung ging eine Landschnecke, die konstant leuchten kann, als Sieger hervor: Phuphania crossei.
Diese in den tropischen Wäldern Thailands heimische Schnecke ist wirklich cool. Sie produziert fortwährend biolumineszentes Licht und strahlt grünlich wie ein lebender Leuchtstab. Zeitweise kann sie ihr Leuchten aber auch einstellen.
Die Abstimmung zum “Internationalen Weichtier des Jahres” wird vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt, dem Loewe-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik und Unitas Malacologica, der internationalen Gesellschaft für Molluskenforschung, initiiert. Es geht darum, die enorme Artenvielfalt der Weichtiere bekannter zu machen und für ihren Schutz zu sensibilisieren. Dazu tragen wir gern bei. Allerdings leicht verspätet, denn die Pressemitteilung dazu ist vom 18. April. Eine echte Schneckenmeldung also. Anne Brüning
beinah ein Jahr ist es her, dass auf der Mitgliederversammlung der Fraunhofer-Gesellschaft ein umstrittener Präsident abdankte und ein neuer gewählt wurde: Nach einer Zeit der Skandale richteten sich die Hoffnungen der mehr als 30.000 Mitarbeitenden der Forschungsorganisation auf Holger Hanselka. Und die Erwartungen und Forderungen der Politik und der Wirtschaft sowieso.
Eine Neuausrichtung wurde gewünscht, schlankere und transparente Strukturen, Klärung in heiklen Finanzfragen, mehr Frauen in Führung. Ganz schön viel für einen einzelnen Menschen könnte man denken. Doch Hanselka blieb zuversichtlich, er sah beste Voraussetzungen, man müsse sich eben auf die Wurzeln besinnen und zurückgehen zum Fraunhofer-Modell.
In wenigen Wochen treffen sich die Mitglieder der Fraunhofer-Gesellschaft wieder. Was hat sich in der ersten Zeit mit Holger Hanselka bewegt? Wir haben für Sie einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen geworfen.
Und noch mehr China-Spion-Kontakte: Die Bundesanwaltschaft informierte am vergangenen Montag über die Festnahme von drei mutmaßlichen Wissenschaftsspionen. Sie sollen für den chinesischen Geheimdienst Informationen zu Dual Use-Technologien beschafft haben. Neben den Universitäten Duisburg-Essen und Chemnitz bestätigt nun auch die Universität Stuttgart Kontakte zu Innovative Dragon Ltd., der Firma der Wissenschaftsspione. Wie reagiert die Wissenschaftscommunity auf die Vorfälle? Mein Kollege Markus Weisskopf hat nachgefragt. Er erfuhr von fehlenden Regularien, Negativlisten anderer Länder, der Warnung vor roten Linien und den Plänen der EU.
Ich wünsche Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre,
Der Mai wird für die Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) wieder einmal ein besonderer Monat. Vor rund einem Jahr endete die Ära Neugebauer, der Senat der Fraunhofer-Gesellschaft wählte einstimmig Holger Hanselka. Sein Vorgänger, seit langem umstritten wegen unzähliger Vorwürfe, hatte während der Mitgliederversammlung selbst angeboten, sein Amt niederzulegen.
Mit dem Wechsel waren viele Hoffnungen verbunden, auf eine dringend nötige Neuausrichtung der Forschungsgemeinschaft, schlankere und transparente Strukturen. Hanselka sagte, man müsse sich auf die Wurzeln zurückbesinnen: Fraunhofer müsse zurück zum Fraunhofer-Modell. Bald treffen sich die Mitglieder wieder. Was hat sich seit dem Wechsel getan?
In einem Prüfbericht hatte der Bundesrechnungshof im Februar 2023 die Führungsspitze der Fraunhofer-Gesellschaft deutlich kritisiert. Seit März 2023 ermittelt die Staatsanwaltschaft München I gegen Fraunhofer, erst gegen Unbekannt, im September wurden dann Namen genannt.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die früheren Vorstandsmitglieder Reimund Neugebauer, Innovationsvorstand Alexander Kurz und den früheren Finanzvorstand M. laufen noch, wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft gegenüber Table.Briefings bestätigte.
Aus der Fraunhofer-Zentrale ist nichts zum Thema zu hören. Der übrige Vorstand um Hanselka ist unverändert zusammengesetzt. Die Position von Alexander Kurz, zuständig für den Bereich Innovation, ist bisher nicht neu besetzt worden. Holger Hanselka hat diese Aufgabe mitübernommen.
Schon länger kritisieren Verantwortliche aus den Ländern das Wachstum von Fraunhofer in den vergangenen Jahren auf 76 Institute. Der Bundesrechnungshof forderte in seinem zweiten Prüfbericht zur FhG: “Um in der Spur des PFI zu bleiben und Risiken für den Bundeshaushalt durch ein überproportionales institutionelles Wachstum der FhG zu vermeiden, sollte das BMBF die Anzahl der Fraunhofer-Institute limitieren”.
Hier wird Fraunhofer aktuell aktiv: “Um das Portfolio der Fraunhofer-Gesellschaft fachlich und wirtschaftlich bestmöglich weiterzuentwickeln und die Forschungsorganisation zukunftsfähig zu gestalten, hat der Vorstand verschiedene Maßnahmen beschlossen”, erklärt ein Sprecher am 19. April.
Am Fraunhofer-Zentrum für Internationales Management und Wissensökonomie IMW werde eine Teilbetriebsschließung sowie die Auflösung der Eigenständigkeit des Zentrums erfolgen. Die verbleibenden Abteilungen werden in das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI integriert. Dies alles soll zum 1. Juli 2024 erfolgen.
Das Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT, seit 50 Jahren ein verlässlicher Partner für das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), soll in das Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE integriert werden.
Die Angst vor Kostenreduktion und Konsolidierung gehe in der Gesellschaft um, berichten Mitarbeitende, von weiteren Schließungen ist die Rede. Es seien “kosmetisch gewollte Maßnahmen“, kritisieren andere, diese “erfolgten nicht auf Basis eines sinnhaften Plans, klarer Geschäftszahlen oder gar der Begleitung einer Strategieberatung oder eines Unternehmensentwicklers”.
Tatsächlich würden an anderer Stelle noch Millionen investiert, um nicht-lebensfähige Institute oder deren Außenstellen am Leben zu halten. Genannt wird etwa das ITEM in Hannover. Eine Re-Fokussierung, ein Schritt zu mehr Wirtschaftsnähe, könne man dem neuen Präsidenten erst abnehmen, wenn auch die Zentrale in München schrumpfe. Bislang wachse diese sogar noch, wohl auch durch die umstrittene SAP-Einführung.
Der Bundesrechnungshof hatte in seinem Bericht das Finanzgebaren der Fraunhofer-Gesellschaft deutlich kritisiert. Die FhG habe mehr Geld bekommen als nötig und Rücklagen nicht zurückgezahlt. Wie Holger Hanselka im Interview mit Table.Briefings (“Manche Mechanismen sind in die Jahre gekommen”) im Dezember dazu erklärte, betrage die Rücklage bei Fraunhofer rund 400 Millionen Euro, sie wurde 2014 durch den Haushaltsausschuss über eine Ermächtigung eingestellt. Es sei ein normales legales Instrument, da Fraunhofer Projekte mit der Industrie durchführe.
Eine Lösung in der Angelegenheit ist bisher nicht gefunden worden: “Die Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung erachten die bisherige Rücklage als zu hoch. Die Zuwendungsgebergemeinschaft der FhG wird Zweck und Obergrenze der Rücklage festlegen. Dieses Verfahren ist noch nicht abgeschlossen”, erklärt hierzu eine Sprecherin des Forschungsministeriums gegenüber Table.Briefings.
Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger hatte gleich bei der Amtseinführung Holger Hanselkas klargemacht, dass sie sich nicht nur Innovationen, sondern auch mehr Gleichstellung von dem neuen Fraunhofer-Präsidenten erhoffe. Die Zahlen der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) zum Thema Chancengleichheit hatten große Unterschiede gezeigt: Bei der Max-Planck-Gesellschaft und der Leibniz-Gemeinschaft lag der Anteil von Frauen in Führung 2022 bei 29,9 Prozent, bei der Fraunhofer-Gesellschaft lediglich bei 8,5 Prozent.
“Wir arbeiten kontinuierlich an unseren Zielen weiter. Aktuell leiten 14 Frauen ein Fraunhofer-Institut”, teilt ein Sprecher der Fraunhofer-Gesellschaft mit. Ende Dezember 2023 waren es zwölf Frauen von insgesamt 105 Institutsleitungen, im April 2024 sind es 14 Frauen in Führung bei insgesamt 104 Institutsleitungen. Im Juni könnte eine weitere Frau als Institutsleitung hinzukommen.
Kritik gibt es an der tatsächlichen Rollenverteilung. Nicht selten handelt es sich um Doppelspitzen, in denen Männer für Personal- und Finanzentscheidungen zuständig sind, Frauen für die wissenschaftliche Leitung. Diese Rollen sollen offiziell nach einem bestimmten Rhythmus gewechselt werden.
Viele fragen sich, wie lang etwa ein solches System “rolliert”, warum es so ein System überhaupt braucht, warum offenbar eher Frauen ein männlicher Kollege zur Seite gestellt wird als andersherum.
Den aktuellen Stand nennt die FhG so:
Auf einer weiteren Führungsebene ist nichts passiert: Die Fraunhofer-Gesellschaft hat insgesamt neun Verbünde, die Sprecher sind Teil des Präsidiums, sind an entscheidenden Sitzungen beteiligt und wirken in der Unternehmenspolitik sowie bei der Umsetzung des Funktions- und Finanzierungsmodells der Fraunhofer-Gesellschaft mit. Noch ist keine Frau als Verbundssprecherin berufen worden, noch nie hat eine Frau bei Fraunhofer dieses Amt innegehabt.
Holger Hanselkas Aufgaben scheinen eher größer als beherrschbarer geworden zu sein.
Die Bundesanwaltschaft informierte am vergangenen Montag über die Festnahme von drei mutmaßlichen Wissenschaftsspionen. Sie sollen für den chinesischen Geheimdienst Informationen zu Dual-Use-Technologien beschafft haben. Dazu hatten sie Kontakt zu mehreren deutschen Hochschulen, mit einer hatten sie einen Vertrag geschlossen.
Recherchen von Table.Briefings legen nahe, dass es sich dabei um die TU Chemnitz handelt. Hier wurde von Innovative Dragon eine Studie zum Thema Gleitlager in Auftrag gegeben. Auch die Universität Duisburg-Essen und die Universität Stuttgart bestätigten Gespräche mit Innovative Dragon. In Duisburg-Essen wurden Gespräche zum autonomen Fahren geführt, eine Tagung wurde von Innovative Dragon gesponsort. Ein Professor beteiligte sich an einer Firma aus dem Umfeld der Verdächtigen. Eine konkrete, vertraglich fixierte Zusammenarbeit habe es jedoch nicht gegeben, sagen die Universitäten.
Als Reaktion auf diese Veröffentlichungen forderte Bettina Stark-Watzinger nun die Hochschulen auf, ihre Kooperationen mit China zu überprüfen. Eine noch kritischere Abwägung von Risiko und Nutzen bei der Zusammenarbeit gerade auch in Wissenschaft und Hochschulen sei notwendig. Unterstützung gebe es nur für solche Vorhaben, “die einen klaren Mehrwert für Deutschland und Europa haben”, sagte sie der Wirtschaftswoche.
In Deutschland habe Wissenschaftsfreiheit Verfassungsrang, damit sei aber auch eine Verantwortung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen verbunden, sagte die Forschungsministerin. Sie kündigte an, dass Information und Sensibilisierung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen gemeinsam mit den zuständigen Behörden weiter verstärkt werden sollen. Zudem unterstütze man weiterhin den Ausbau unabhängiger China-Kompetenz.
Dass es dringenden Handlungsbedarf gibt, findet auch der Verfassungsschutz. “Eine ausreichende Sensibilität, um die Gefahren der Spionage und das hohe Risiko des Knowhow-Verlusts richtig einschätzen zu können, fehlt jedoch an deutschen Hochschulen häufig genauso wie entsprechende Schutzmaßnahmen”, schreibt dieser in seinem hauseigenen SPOC-Magazin 2023.
Jetzt legte Verfassungsschutz-Vizepräsident Sinan Selen bei einer Wirtschaftsveranstaltung nach: Der Verfassungsschutz wolle sich verstärkt um die chinesischen Aktivitäten bei Ausgründungen aus Universitäten und Start-ups kümmern, kündigte er an. Denn man sehe, dass China über Forschungskooperationen im zivil-militärischen Bereich Technologien erhalten wolle, die man auch militärisch nutzen könne.
Bereits der Verfassungsschutzbericht 2022 bezeichnet China als “die größte Bedrohung in Bezug auf Wirtschafts- und Wissenschaftsspionage” in Deutschland. Auf Anfrage von Table.Briefings wollte man sich beim Bundesamt für Verfassungsschutz allerdings nicht näher zu konkreten Anhaltspunkten für Spionagefälle im Wissenschaftsbereich äußern.
In der Wissenschaft wird nun diskutiert, wie man künftig im Spannungsfeld zwischen Wissenschaftsfreiheit, eigenen Interessen an internationalen Forschungskooperationen und den teils gegensätzlichen Anforderungen der Politik agieren kann.
Der Deutsche Hochschulverband etwa fordert übergeordnete Standards, die Wissenschaft und Politik gemeinsam entwickel sollen. Dann könnten sich die Hochschulen daran orientieren. Darüber hinaus bräuchte es “qualifizierte, Institutionen übergreifende Informations- und Beratungsangebote”, sagte ein Sprecher zu Table.Briefings. Damit könnten unter Wahrung der Wissenschaftsautonomie tragfähige Entscheidungen getroffen werden, “mit wem und in welchen Bereichen Austausch und Kooperationen vertretbar sind”.
Diese Beratungsangebote fordern auch die TU9-Universitäten. Gleichzeitig bekennen sich diese auf Anfrage von Table.Briefings zu der Verantwortung, die ihre Autonomie mit sich bringt und wollen “intern Strukturen, Expertise und ein Bewusstsein für die politische Dimension von Wissenschaftsbeziehungen schaffen”. Rote Linien, die diese Autonomie eindämmen, müssten von der Politik mit Bedacht gezogen und klar und konsistent kommuniziert werden.
Neben der Etablierung neuer Strukturen und Prozesse fordert die HRK eine bessere Verzahnung der bereits vorhandenen Ressourcen. Insgesamt sei “klar, dass wir hier von einem erheblichen Investitionsbedarf sprechen, den Bund und Länder angehen müssen”.
Wie mögliche neue Maßnahmen aussehen könnten, skizziert auch das Positionspapier Forschungssicherheit des BMBF. Man möchte Leitlinien und Listen entwickeln, sowie die Einrichtung einer “Clearingstelle” prüfen. Unklar bleibt jedoch, wer die Initiative wann wofür ergreifen wird. Und vor allem – wer das Geld gibt.
Kanada zeigt, dass klarere Richtlinien möglich sind: Seit Anfang 2024 werden dort Anträge auf Forschungsförderung nicht mehr genehmigt, wenn diese einen sensiblen Forschungsbereich betreffen und einer der beantragenden Forscher mit einer Institution verbunden ist, die als unsicher eingestuft wird. Dafür stellt die Regierung Listen bereit, die sowohl die sicherheitsrelevanten Themen als auch die betreffenden Institutionen beinhalten. Für die Beratung von Forschern steht zudem ein Research Security Centre zur Verfügung.
Die EU scheint in eine ähnliche Richtung zu gehen, wie ein Factsheet aus dem Januar deutlich macht. Man möchte anscheinend in Anlehnung an den China Defense Universities-Tracker ein Due Diligence-Tool entwickeln und ein European centre of expertise on research security ins Leben rufen, das Expertise bereitstellen und die Community vernetzen soll.
Fördermittel per Los verteilen, das klingt nach einem schlechten Scherz. Die VolkswagenStiftung in Hannover hat das getan und ist sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Demnach wird die Diversität gesteigert, sowohl in der thematischen Breite der geförderten Projekte als auch bei den Mittelempfängern selbst. Eine Voreingenommenheit, die bei Begutachtungen durchaus entsteht, werde umgangen, heißt es. Die Qualität der Forschung, ob nun von einem Expertengremium oder durchs Los zur Finanzierung empfohlen, unterscheide sich nicht – zumindest in dem Verfahren, das die VolkswagenStiftung angewendet hat.
Unter Forschungsfinanzierern wird intensiv darüber diskutiert. Einige setzen das Losverfahren bereits ein, darunter die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (Dati), der Schweizerische Nationalfonds und die British Academy. Das Vergabeverfahren wird als “teilrandomisiert” bezeichnet. Denn ehe ein Antrag in die Lostrommel kommt, muss er die formalen Voraussetzungen erfüllen und eine Jury zunächst grundsätzlich überzeugen.
Bei der Förderinitiative “Experiment!” der VolkswagenStiftung reichen Forscher einen Kurzantrag ein. Entspricht er den Programmkriterien, wird er mit vielen weiteren anonymisiert einer wissenschaftlichen Jury vorgelegt. Diese ermittelt alle förderwürdigen Anträge (etwa 80 bis 100) und wählt die besten zur direkten Bewilligung aus (15 bis 20).
Anschließend kommen alle 80 bis 100 Förderwürdigen in die Lostrommel und es werden gemäß der Anzahl aus der “Spitzengruppe” entsprechend viele Anträge per Zufall ausgewählt. So kann es geschehen, dass ein Vorschlag doppelt ausgewählt wird, durch die Jury und per Los. Das gewährleistet die Vergleichbarkeit der Verfahren.
Ein wesentlicher Grund für die teilrandomisierte Vergabe: Gutachter sind knapp. “Geeignete Fachleute sind überlastet, sie werden für Preise angefragt, für Anträge und für Publikationen”, sagt Ulrike Bischler von der VolkswagenStiftung. “Als Förderer bekommen wir viele Absagen, wenn wir Gutachter anfragen.” Daher suche man nach alternativen Wegen. Hinzu komme das Risiko der Voreingenommenheit, das bei menschlichen Entscheidungen nie auszuschließen sei.
Die Stiftung wagte den Versuch. Die “Experiment!”-Initiative lief bis 2021, die Auswertung wurde jetzt abgeschlossen. Sie war auf riskante, explorative Forschung ausgerichtet, die beispielsweise klärt, ob eine Idee überhaupt funktionieren kann. Mit einer Förderung von bis zu 120.000 Euro war sie zudem eher schmal ausgestattet, richtete sich an Natur- und Lebens- sowie Ingenieurwissenschaften.
Von 2013 bis 2017 lief “Experiment!” zunächst auf herkömmlichem, gutachterbasiertem Wege. “Wir stellten fest, dass Anträge aus Nischenfächern weniger gut durchkamen und auch solche von Early Career Scientists vergleichsweise seltener ausgewählt wurden”, sagt Bischler. Das änderte sich, nachdem 2017 das Losglück hinzukam. Die Förderungen wurden insgesamt fachlich diverser und erreichten mehr aus der jungen Generation, was nebenbei den Frauenanteil steigerte, da diese heute in frühen Karrierephasen häufiger vertreten sind als in der Professorenschaft.
Die Qualität der geförderten Forschung wurde unter anderem anhand von Publikationen und Patenten gemessen. Da gebe es keine Unterschiede zwischen Los- und Juryverfahren, sagt Bischler. Auch nicht bei Indikatoren wie darauffolgende Forschungspreise oder Karriereschritte. “Das zeigt, dass die Vorauswahl gut gelaufen ist.” Die anfängliche wissenschaftliche Einschätzung ist maßgeblich für die Akzeptanz, auch bei den Geförderten.
Eine Befragung ergab, dass die teilrandomisierte Vergabe akzeptiert wird, sofern es sich um riskante Forschung handelt, für Programme mit niedrigen Bewilligungsquoten und eher geringen Summen. “Geht es um hohe Summen, wird das Verfahren nicht akzeptiert”, sagt Bischler. Für die Gutachter sei es eine Erleichterung. Weil grundsätzlich alle geeigneten Anträge in die Lostrommel kommen dürfen und keine Höchstzahl festgelegt sei, kürze das Diskussionen in den Expertenrunden ab.
Gerade unkonventionelle Ideen, die in üblichen Förderprogrammen kaum Chancen haben, profitieren von der Teilrandomisierung. Das zeigt die Begleitforschung durch Dagmar Simon und Martina Röbbecke von Evaconsult.
“Die Förderorganisationen sind mutiger geworden”, schreiben die Autorinnen. Beispielsweise habe der Schweizerische Nationalfonds nach einer Pilotphase nun die Option eines Losverfahrens für alle Förderprogramme offeriert, die British Academy setze bei den Sozial- und Geisteswissenschaften eine teilrandomisierte Auswahl für kleinere Förderprojekte (bis zu 10.000 Pfund Sterling) ein. “Damit und mit der Anonymisierung von Anträgen experimentiert ebenfalls in einigen Förderlinien die dänische Novo Nordisk Foundation.”
Die Deutsche Agentur für Transfer und Innovationen (Dati) nutzt in der Förderlinie “Innovationssprints” ebenfalls ein Losverfahren – sofern die Anträge fachlich überzeugten. Das Verfahren wird durch das Monitoring und die Begleitforschung beobachtet und ausgewertet.
Auch in der Deutschen Forschungsgemeinschaft würden derzeit Überlegungen angestellt, ob und in welchem Rahmen eine Zufallsauswahl in den Verfahren eine Rolle spielen könnte, erklärt die DFG auf Anfrage und betont: Diese Überlegungen sind ergebnisoffen. “Sollten sie sich konkretisieren, wird die DFG in ihren Gremien darüber beraten und über die Ergebnisse informieren.”
Der Stifterverband lobt das neue Verfahren als “eine gute Möglichkeit, um den Weg für Anderes oder Unerwartetes zu ebnen und etablierte Auswahlmuster zu durchbrechen”. Insbesondere Stiftungen hätten die notwendige Freiheit, um solche Verfahren auszuprobieren, heißt es auf Anfrage. “Der Stifterverband selbst arbeitet nicht mit Losverfahren, er legt aber besonderen Wert auf Perspektivenvielfalt über Sektoren hinweg in seinen Jurys – auch Studierende haben hier eine wichtige Stimme.”
Die VolkswagenStiftung selbst nutzt derzeit keine teilrandomisierte Vergabe. Nach einer Umstrukturierung des Portfolios gebe es aktuell keine Small-Grant-Programme, die dafür geeignet wären, sagt Bischler. Gelost wird in Hannover dennoch: Um Gutachtertätigkeiten attraktiver zu machen, nehmen alle Fachleute, die sich zwischen Juni 2023 und Juni 2024 entsprechend eingebracht haben, an einer Verlosung teil. 25-mal werden je 10.000 Euro vergeben, die für einen wissenschaftsrelevanten Zweck, etwa für einen Gastvortrag oder zur Vernetzung, investiert werden können.
15./16. Mai 2024, Katholische Akademie in Bayern, Mandlstraße 23, 80802 München
XVII. Hochschulsymposium der Schleyer-Stiftung in Kooperation mit Heinz Nixdorf Stiftung und TU München “Nachhaltigkeit in der Wissenschaft: Notwendigkeiten neuer Formen der Zusammenarbeit” Mehr
27./28. Mai 2024, Dresden/International Congress Center Conference
Konferenz “Building Bridges for a Net Zero Future” Mehr
28. Mai 2024, 18:00-20:00 Uhr, TU Berlin, Hauptgebäude, Straße des 17. Juni 135, Hörsaal 0107 (EG) und online
Veranstaltungsreihe über Grundfinanzierung statt Projektwettbewerb, u.a. von GEW und NGAWiss “Projektfinanzierung und/oder Wissenschaftsfreiheit?” Mehr
4. Juni 2024, 18:00 bis 20:00 Uhr, online
Veranstaltungsreihe u.a. von GEW und NGAWiss über Grundfinanzierung statt Projektwettbewerb “Nachhaltige Finanzierung akademischer Lehre” Mehr
Sie sehen großen Reformbedarf im Wissenschaftssystem und wollen sich dafür einsetzen, dass es an Hochschulen und Forschungsinstituten fortschrittlicher und gerechter zugeht. Mit diesem Ziel haben sich am vergangenen Wochenende in Leipzig 16 Professorinnen und Professoren getroffen und eine Interessengemeinschaft ins Leben gerufen.
“Mitte Mai treffen wir uns erneut, dann aber online. Bis dahin wollen wir über den Namen für die Gruppe entscheiden und gemeinsam ein Grundsatzpapier erarbeiten”, sagt der Psychologe Daniel Leising, Professor für Diagnostik und Intervention an der TU Dresden. Er wurde zusammen mit der Anglistin Ruth Mayer (Universität Hannover), der Archäologin Katharina Meinecke (Universität des Saarlandes) und dem Soziologen Tilman Reitz (Universität Jena) in die Sprecher:innengruppe des neuen Netzwerks gewählt.
“Wir waren selbst überrascht, bei wie vielen Themen wir uns im Grunde völlig einig waren. Es war nicht schwierig, sich auf eine gemeinsame Agenda zu verständigen. Dazu gehört zum Beispiel das Ziel einer Entflechtung der Rolle als wissenschaftlicher Kooperationspartner von der Personalverantwortung und von der Bewertung wissenschaftlicher Arbeit.” Derzeit haben Professoren jüngeren Forschenden gegenüber all diese Rollen gleichzeitig inne, und diese unnötige Ballung von Macht berge die Gefahr von Machtmissbrauch. “Das Hofstaatsprinzip finden wir nicht mehr zeitgemäß”, sagt Leising. Andere Länder machten vor, wie es besser gehe.
Andere grundlegende Probleme, mit denen sich die Professoren befassen wollen, sind Fehlanreize im Wissenschaftssystem: Beispielsweise Metriken für wissenschaftlichen Erfolg, die wenig aussagekräftig und zudem leicht manipulierbar sind. Oder ein Drittmittelwesen, bei dem das Einwerben und Verausgaben möglichst großer Summen als besonders wünschenswert gilt.
“Zu all diesen Themen hat sich die Professorenschaft bisher ziemlich bedeckt gehalten”, sagt Leising. Reformwünsche seien eher aus dem Bereich der wissenschaftlichen Mitarbeitenden gekommen. “Wir könnten uns jetzt bequem zurücklehnen und einfach weiter mitspielen. Das möchten wir aber nicht.” Das System sei in vielen Aspekten dysfunktional, es gehöre korrigiert und reformiert. “Profs haben im System die stärkste Position und wir denken, dass wir deshalb eine Verantwortung dafür haben, dass es endlich vorangeht.”
Zum Gründungstreffen des Netzwerks kamen vor allem Professorinnen und Professoren, die sich in der Mitte ihrer Berufslaufbahn befinden und noch einige Zeit vor sich haben, berichtet Leising: “Wir hoffen auf viele weitere Mitstreiter, damit wir uns als starke Stimme etablieren können.” abg
Die Innovationsstrategien der Bundesländer haben zwar häufig konkrete thematische Überschneidungen. Vielfach fehlen aber gemeinsame Zielsetzungen und Synergien bei der Gestaltung von Förderprogrammen. Zu diesem Schluss kommt ein Diskussionspapier des Stifterverbands, das am heutigen Dienstag veröffentlicht wird.
Die Analyse der Innovationsstrategien der Bundesländer soll unter anderem dazu dienen, Möglichkeiten für gemeinsame Projekte, Programme und Maßnahmen zu ermitteln, etwa durch die Bildung von Kooperationsnetzwerken. Es fanden sich jedoch nur punktuelle Hinweise auf Programme und Ansätze für bundeslandübergreifende Kooperation. Auch die Anbindung an Bundesprogramme und -initiativen sei häufig unklar, heißt es in dem Papier.
Durch asynchrone und nur wenig aufeinander abgestimmte Förderprogramme sowohl der Bundesländer untereinander als auch zwischen Bund und Ländern wirke die Förderpolitik Deutschlands insgesamt wenig kohärent. Dies trage auch dazu bei, dass die notwendige “kritische Masse” auch im internationalen Vergleich oft fehlt. red
Das deutsche Start-up HyImpulse plant in dieser Woche den ersten Start seiner Trägerrakete SR75. Die zwölf Meter lange Rakete soll im australischen Koonibba abheben und 60 Kilometer in die Höhe fliegen. Damit würde sie noch unterhalb der Weltraumgrenze bleiben, die bei 100 Kilometern liegt.
Bei dem Test geht es darum, die Triebwerke zu testen. Das Antriebskonzept ist ungewöhnlich: Die Rakete fliegt mit Paraffin und flüssigem Sauerstoff. Die Rakete könne eine Nutzlast von 250 Kilogramm transportieren, sagt Christian Schmierer, Co-CEO und Mitgründer von HyImpulse, das seinen Sitz in Neuenstadt am Kocher bei Heilbronn hat.
Der sogenannte Mikrolauncher wurde konzipiert, um Kleinsatelliten ins All zu befördern. Die Raketen sind nach Firmenangaben durch das hybride Triebwerk aus festem und flüssigem Treibstoff günstiger als herkömmliche, da weniger Bauteile nötig seien als bei herkömmlichen Antrieben. HyImpulse wolle preislich deutlich attraktiver als aktuelle Anbieter aus den USA und China sein. Zu den potenziellen Kunden gehöre etwa die Automobilindustrie, die Satelliten für die Navigation und das autonome Fahren benötige. HyImpulse arbeite bereits an einer zweiten, größeren Rakete, die auch größere Kapazitäten habe. Die Raketen sollen in etwa eineinhalb Jahren Satelliten ins Weltall transportieren.
HyImpulse ist nicht das einzige Start-up in Deutschland, das an der Entwicklung von Mikrolaunchern arbeitet. Auch Rocket Factory in Augsburg und Isar Aerospace nahe München entwickeln Trägerraketen, mit denen Satelliten ins All befördert werden können und planen demnächst erste Testflüge.
Alle drei Firmen haben am Mikrolauncher-Wettbewerb der Deutschen Raumfahrtagentur teilgenommen. Mit HyImpulse hat nun offenbar das Unternehmen die Nase vorn, das sich dabei an dritter Stelle platzierte. Erster Sieger war Isar Aerospace, in der zweiten Runde gewann Rocket Factory. Die bayerischen Unternehmen erhielten elf Millionen Euro aus der “Boost!”-Initiative der Esa.
Der ehemalige Astronaut Ulrich Walter sieht viele Chancen für private Hersteller von kleineren Raketen. Die neuen Kleinraketen-Anbieter seien flexibler als die großen, bei denen man schon zwei Jahre im Voraus einen Platz buchen müsse. In Zukunft werde der Markt ordentlich wachsen, sagte der Professor für Raumfahrttechnik an der TU München. abg mit dpa
Es ist ein blinder Fleck im Wissenschaftssystem: Obwohl bereits in den 1980er Jahren erschreckende Erkenntnisse über die Relevanz sexualisierter Diskriminierung und Gewalt im Hochschulalltag vorlagen, wurde das Thema lange Zeit nicht ernst genommen oder schlicht ignoriert.
Für die betroffenen, zumeist weiblichen Studierenden und Wissenschaftlerinnen führten die Erfahrung sexualisierter Grenzverletzungen und von Übergriffen nicht selten zu psychischen und folgenreichen biografischen Einschnitten: Studierende brachen ihr Studium ab, weil ihnen nicht geglaubt wurde oder sie selbst dafür verantwortlich gemacht wurden. Wissenschaftlerinnen wurden aus Netzwerken ausgegrenzt, mussten ihren Arbeitsplatz verlassen und Karriereknicke hinnehmen.
Bei der schwierigen Aufarbeitung ihrer traumatischen Erlebnisse fehlte den Betroffen nicht nur die so dringend benötigte Unterstützung. Vielmehr kam es nicht selten zu Täter-Opfer-Umkehrungen, was eine weitere Traumatisierung bedeutet. So wurden unerwünschte sexualisierte Anspielungen, Handlungen und Übergriffe, etwa in Sprechstunden, auf Forschungsreisen oder im Rahmen von Forschungsprojekten nicht selten als missglückte erotische Umwerbung etwa von Professoren gegenüber Wissenschaftlerinnen oder Studierenden abgetan.
Die Ursache für diese Übergriffe wurde zudem regelmäßig den Betroffenen selbst in für sie beschämender Weise angeheftet: Ihnen wurde unterstellt, sie hätten unmissverständliche Zeichen für eine Erwünschtheit gegeben, etwa durch einen vermeintlich aufreizenden Kleidungsstil. Die Umdeutung massiver Grenzverletzungen und abscheulicher sexualisierte Übergriffe als fehlgeleitete Annäherungsversuche der Täter waren keine Seltenheit, von den Betroffenen wurde eher Verständnis als Abscheu erwartet. Sie sollten sich sogar geschmeichelt fühlen, da die Betroffenen immerhin so attraktiv seien, dass der Täter ihr seine sexuelle Aufmerksamkeit schenkte.
In den 1990er Jahren sorgten Fälle wie die sogenannte Bettscheinaffäre kurzzeitig für öffentliche Skandale. In der “Bettscheinaffäre” deckten Studierende Vorfälle auf, bei denen die Vergabe von Leistungsnachweisen an sexuelles Entgegenkommen gekoppelt wurde, wie Ursula Müller in dem Aufsatz “Thirty Years After” schreibt, der in dem demnächst bei SpringerVS erscheinenden Band #MeToo in Science (Reihe “Geschlecht und Gesellschaft”) nachzulesen sein wird. Aber auch diese Skandale führten zu keiner breiteren Aufarbeitung von Relevanz und Ursachen sexualisierter Diskriminierung und Gewalt im Hochschulalltag oder gar der Entwicklung adäquater Gegenmaßnahmen.
Die Vorfälle wurden eher als bedauerliche Einzelfälle fehlgeleiteter Professoren verhandelt. Im Gegensatz zu den Opfern, die ihre Studien- und Arbeitsplätze nicht selten aus Scham oder aufgrund sozialer Ausgrenzung verlassen haben, führten Grenzüberschreitungen und Übergriffen bei den Tätern selten zu weitreichenden Konsequenzen.
Es zählte zudem zu den häufig gemachten Erfahrungen der Betroffenen, dass gemeldete Übergriffe aus Sorge vor Reputationsverlust der Hochschule nicht mit dem nötigen Nachdruck verfolgt wurden. Geändert hat sich die Perspektive auf sexualisierte Diskriminierung und Gewalt erst durch die #MeToo-Bewegung, die von 2017 an zunächst die Kultur- und Kunstszene in den USA und dann auch Deutschland aufrüttelte und schließlich auch das Wissenschaftssystem erreichte.
Warum ist das Wissenschaftssystem so schwerfällig bei der Aufarbeitung des Themas sexualisierter Diskriminierung und Gewalt? Ein Grund dafür dürfte nicht zuletzt darin liegen, dass die Wissenschaftseinrichtungen als Orte der Aufklärung und des Fortschritts, der Vernunft und der Reflexion gelten. Damit erscheinen sie vermeintlich immun gegen sexualisierte Diskriminierung und Gewalt oder zumindest als Orte, an denen die Thematisierung einer solchen Erfahrung aufgeklärt und eben nicht ignoriert oder abgewehrt würde.
Und es gibt noch weitere Besonderheiten: Für viele Beschäftigte bilden Wissenschaftseinrichtungen ein Umfeld, in dem sie aufgrund der prekären Ausgestaltung des Karrieresystems in langen persönlichen Abhängigkeiten arbeiten, was auch ein Nährboden für Machtmissbrauch sowie Ignoranz gegenüber übergriffigem Verhalten und Grenzverletzungen durch privilegierte Beschäftigte bilden kann.
Und nicht zuletzt mag auch die ungleiche hierarchische Verteilung der Geschlechter dazu beitragen, dass sexualisierte Belästigung und Gewalt allzu oft als männliches “Kavaliersdelikt” gedeutet und dadurch normalisiert werden. Für die Wissenschaftseinrichtungen geht es also darum, ein Arbeitsumfeld zu kreieren, in dem hingeschaut und Verantwortung übernommen wird. Und in dem Betroffenen mit ihren Erlebnissen ernst genommen und unterstützt werden, um ihre Erfahrungen ohne Angst vor Anzweiflung und einer erneuten Traumatisierung thematisieren zu können.
Entsprechende Handreichungen gibt es dazu. An einzelnen Hochschulen werden inzwischen Maßnahmen ergriffen, die zu einem solchen Wandel beitragen können, wie die Einbeziehung von externen und in der Thematik erfahrenen Beratungsstellen.
Bleibt zu hoffen, dass dies der Beginn eines umfassenden Kulturwandels ist. Denn es ist unzureichend, sich allein auf die von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt betroffenen Personen zu fokussieren. Es bedarf zusätzlich einer stärkeren Problematisierung missbräuchlichen Verhaltens sowie neuer organisationaler Strukturen, die weniger anfällig für Machtmissbrauch sind und mehr Diversität und Geschlechteregalität ermöglichen.
Elmar Reiss wird Ehrensenator der Goethe-Universität Frankfurt. Der Jurist, Investor und Gründer der “Dr. Elmar und Ellis Reiss Stiftung” erhält die Auszeichnung für sein langjähriges und hervorragendes Engagement für die Stiftungsuniversität.
Richard Socher hat die Ehrendoktorwürde der TU Dresden erhalten. Die Fakultät Informatik würdigt mit dieser Auszeichnung die bahnbrechenden Leistungen Sochers im Bereich “Deep Learning” und “Natural Language Processing” sowie sein Engagement für die KI-Bildung in Dresden. Der gebürtige Dresdner zählt zu den wenigen aus Deutschland stammenden Pionieren im Bereich Künstliche Intelligenz im Silicon Valley. Er ist CEO der KI-basierten Suchmaschine “you.com” und gilt als visionärer Tech-Unternehmer.
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Berlin.Table. Rüstungsproduktion in Deutschland: Habeck will schnelleren Bau von Fabriken. Schneller als bisher vermutet, sollen in Deutschland Rüstungsgüter hergestellt werden. Minister Habeck will sich dabei auch an LNG-Terminals orientieren. Mehr
Bildung.Table. KMK-Reform: Prognos begleitet auch die Umsetzung. Mit ihrem Gutachten zur Funktionsfähigkeit der KMK hatte die Unternehmensberatung Prognos im Vorjahr viel Wirbel verursacht. Nun soll sie die Kultusministerinnen und -minister dabei unterstützen, die Organisation zu verschlanken und politisch handlungsfähiger zu machen. Mehr
China.Table. VDA-Chefin Hildegard Müller: “Europa baut seine Stärken nicht schnell genug aus.” Viele innovative lokale E-Auto-Startups standen bei der Messe Auto China wenigen Traditionsherstellern gegenüber. Hildegard Müller vom VDA sieht dennoch gute Chancen für die deutsche Autoindustrie, fordert aber mehr politische Unterstützung. Mehr
Eile mit Weile: Im April 2024 das “Internationale Weichtier des Jahres 2024” zu küren, ist nicht sonderlich flink. Aber vielleicht hat das gemächliche Tempo damit zu tun, dass es sich um eine Schnecke handelt. Bei einer Online-Abstimmung ging eine Landschnecke, die konstant leuchten kann, als Sieger hervor: Phuphania crossei.
Diese in den tropischen Wäldern Thailands heimische Schnecke ist wirklich cool. Sie produziert fortwährend biolumineszentes Licht und strahlt grünlich wie ein lebender Leuchtstab. Zeitweise kann sie ihr Leuchten aber auch einstellen.
Die Abstimmung zum “Internationalen Weichtier des Jahres” wird vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt, dem Loewe-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik und Unitas Malacologica, der internationalen Gesellschaft für Molluskenforschung, initiiert. Es geht darum, die enorme Artenvielfalt der Weichtiere bekannter zu machen und für ihren Schutz zu sensibilisieren. Dazu tragen wir gern bei. Allerdings leicht verspätet, denn die Pressemitteilung dazu ist vom 18. April. Eine echte Schneckenmeldung also. Anne Brüning