von Johannes Schätzl
In einer zunehmend digitalisierten Welt ist es für Deutschland und Europa überfällig, ihre digitale Souveränität entschlossen zu stärken. Gemeint ist damit keine nationale Abschottung oder Kleinstaaterei, sondern die Fähigkeit, zentrale Schlüsseltechnologien eigenständig und selbstbestimmt zu entwickeln, zu betreiben und zu regulieren. Digitale Souveränität bedeutet: Kontrolle über eigene Daten, Unabhängigkeit von externen Anbietern, Schutz sensibler Informationen, technologische Innovationsfähigkeit und regulatorische Gestaltungsfreiheit.
Digitale Regulierung im geopolitischen Spannungsfeld
Die Europäische Union hat in den vergangenen Jahren ein umfassendes Regelwerk für den digitalen Raum geschaffen: Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), Digital Services Act (DSA), Digital Markets Act (DMA), Digital Resilience Act (DRA), NIS-2 für Cybersicherheit, Media Freedom Act (MFA), Data Governance Act (DGA) – sowie zuletzt der EU AI Act, die weltweit umfassendste Regulierung für künstliche Intelligenz. Europa übernimmt damit regulatorisch eine Vorreiterrolle.
Gleichzeitig wächst der geopolitische Druck. Am 21. Februar 2025 unterzeichnete US-Präsident Donald Trump ein Memorandum mit dem Titel „Verteidigung amerikanischer Unternehmen und Innovatoren vor Erpressung und ungerechtfertigten Bußgeldern und Strafen in Übersee“. Dieses verpflichtet amerikanische Behörden zu prüfen, wie ausländische Regulierungen – namentlich die europäische Digitalgesetzgebung – die Interessen US-amerikanischer Tech-Konzerne beeinträchtigen. Dieses Vorgehen markiert einen klaren Kurs in Richtung digitalpolitischer Konfrontation.
Strategische Abhängigkeiten – besonders bei Cloud und KI
In kaum einem Technologiebereich ist Europas Abhängigkeit so ausgeprägt wie im Cloud-Sektor: Über 86 % des Marktes für digitale Plattformen und Cloud-Services werden von US-Unternehmen dominiert. Laut einer aktuellen Bitkom-Studie betrachten 78 % der deutschen Unternehmen diese Abhängigkeit als kritisch, 82 % wünschen sich leistungsfähige europäische Alternativen. Für rund zwei Drittel der Firmen sind Cloud-Dienste heute bereits geschäftskritisch – ohne sie steht der Betrieb still.
Zwar reagieren einige Anbieter: Microsoft kündigte kürzlich an, europäische Unternehmen könnten künftig Daten in der Microsoft-Cloud mit eigenen Hardware-Sicherheitsmodulen (HSM) verschlüsseln, kontrolliert durch Mitarbeitende mit Wohnsitz in Europa. Ziel ist es, dem Zugriff US-amerikanischer Behörden gemäß dem Cloud Act entgegenzuwirken. Doch diese Maßnahme mindert nur Symptome – das strukturelle Abhängigkeitsverhältnis bleibt bestehen, denn die Kontrolle über die Dienste bleibt in der Hand des Anbieters. Deutlich wurde das zuletzt im Fall der Sperrung des E-Mail-Kontos von Karim Khan, Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH).
Noch gravierender ist die Lage im Bereich Künstlicher Intelligenz. US-Technologiekonzerne sichern sich durch milliardenschwere Investitionen eine marktbeherrschende Rolle bei Entwicklung, Betrieb und Monetarisierung generativer KI. Deutsche KI-Start-ups sind nahezu vollständig auf Cloud-Infrastrukturen von Amazon, Microsoft oder Google angewiesen. Selbst Unternehmen mit eigenen Modellen nutzen deren Plattformen für den globalen Vertrieb. Diese strukturelle Abhängigkeit gefährdet nicht nur wirtschaftliche Souveränität – sie erschwert auch eine demokratisch legitimierte Kontrolle über Zukunftstechnologien.
Der digitale Binnenmarkt als Grundlage für Souveränität
Der Aufbau digitaler Souveränität setzt eine strategisch ausgerichtete Industrie- und Technologiepolitik voraus. Staatliche Förderprogramme, gezielte öffentliche Beschaffung, der Schutz kritischer digitaler Infrastrukturen sowie moderne gesetzliche Rahmenbedingungen sind zentrale Pfeiler.
Notwendig sind zudem umfangreiche Investitionen: in europäische Cloud-Infrastrukturen, in Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz, Open-Source-Software und Chipentwicklung sowie in leistungsfähige digitale Netze (5G, Glasfaser). Diese Investitionen dienen nicht nur technologischer Resilienz – sie sind essenziell für die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und die geopolitische Handlungsfähigkeit Europas.
Ziel muss ein souveräner digitaler Binnenmarkt sein: ein starkes, europäisches Ökosystem für Infrastruktur, Software, Daten und KI. EU-Programme wie „Horizon Europe“ oder die „European Alliance for Industrial Data, Edge and Cloud“ setzen wichtige Impulse. Auch die deutsche Bundesregierung hat angekündigt, die Investitionen in digitale Schlüsselinfrastrukturen deutlich auszuweiten und die öffentliche Hand stärker als Ankerkunde in der Digitalwirtschaft zu positionieren.
Fazit: Strategische Führungsaufgabe für Europa
Digitale Souveränität ist keine Option, sondern eine zentrale Führungsaufgabe. Europa muss eigene digitale Infrastrukturen und Ökosysteme entschlossen aufbauen – nicht in Abgrenzung, sondern in partnerschaftlicher, aber gleichberechtigter Kooperation mit internationalen Akteuren. Der digitale Binnenmarkt ist der Schlüssel, um technologische Abhängigkeiten zu überwinden und Europas digitale Zukunft aktiv und selbstbestimmt zu gestalten.
Autor: Johannes Schätzl ist Mitglied des Bundestages und Digitalpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.
Digitale Souveränität entscheidet über Deutschlands und Europas Handlungsfähigkeit im globalen Wettbewerb. Experten aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft erläutern in diesem Table.Forum, warum und wie strategisch investiert, föderale Strukturen modernisiert und digitale Kompetenzen gestärkt werden müssen – technisch, politisch und gesellschaftlich.
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