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Digitale Souveränität entsteht durch Handeln

von Melanie Kehr

Stellen Sie sich vor, Sie müssten eine Entscheidung treffen: Soll die nächste Cloud-Lösung für Ihr Unternehmen von einem EU-Anbieter kommen oder aus den USA? Oder Sie wollen Generative KI tief in Ihr Geschäftsmodell implementieren – soll diese aus China importiert werden oder in Deutschland entwickelt worden sein? Um es klarzumachen: Hier geht es nicht um Ideologie, sondern um die Wahl zwischen verschiedenen nationalen, europäischen und internationalen Anbietern nach Leistung und Qualität. Utopisch? Nur, wenn wir jetzt nicht handeln.

Denn die Realität ist ernüchternd. Etwa 70 Prozent der globalen Cloud-Infrastruktur stammen aus den USA, allen voran von den Konzernen Amazon Web Services, Google und Microsoft. Europäische Cloud-Anbieter haben auch im Heimatmarkt bisher nur geringe Marktanteile. Die Europäische Union importiert rund 80 Prozent ihrer digitalen Produkte und Dienstleistungen. Das ist keine Schwarzmalerei, es ist der Status quo – den wir durch Diversifizierung, Risikominimierung und gezielte Förderung europäischer Alternativen schrittweise verändern können.

Es gibt nämlich auch gute Nachrichten: Die Digitalisierung kommt voran. Und das nicht nur in den Unternehmen, sondern auch auf Seiten des Staates. So können Kunden der KfW ihre Heizungsförderung online beantragen – und erhalten binnen Sekunden eine Entscheidung. Was früher Wochen dauerte, ist jetzt nur ein paar Klicks entfernt, selbst abends und am Wochenende.

Allein im ersten Halbjahr 2025 hat die KfW etwa 200.000 Anträge digital zugesagt sowie für zehntausende Zuschüsse die Nachweise automatisiert geprüft und die Auszahlung veranlasst. Darüber hinaus können die mehr als 10.000 Kommunen in Deutschland Kreditanträge digital erfassen – ein Fortschritt, der Verwaltungsprozesse bundesweit enorm vereinfacht. Auch im Finanzmarkt schaffen digitale Innovationen Mehrwert. Die erste Blockchain-basierte Anleihe der KfW hat neue Maßstäbe gesetzt und den Markt für digitale Finanzinstrumente bereichert.

Dies sind gelebte Beispiele dafür, wie die Digitalisierung konkret funktioniert. Den digitalen Wandel müssen die Wirtschaft und der öffentliche Sektor gemeinsam bewältigen. Das geht nicht ohne Unterstützung. Im vergangenen Jahr hat die KfW deshalb in diesem Bereich Fördergelder mit einem Volumen von rund vier Milliarden Euro vergeben.

Reicht das, um mit den Besten mitzuhalten? Im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt liegen die deutschen IT-Investitionen bei 1,4 Prozent – in den USA, aber auch in den Niederlanden oder Frankreich sind sie bis zu dreimal so hoch. Folge: EU-weit liegt Deutschland in Sachen Digitalisierungsfortschritt auf Platz 14, also unter dem Durchschnitt. Die Zahl der Patentanmeldungen für Digitaltechnologien stagniert hierzulande, China, Japan, Südkorea und die USA melden mindestens zweieinhalbmal so viele Innovationen an. Und mehr als zwei Drittel der deutschen Unternehmen haben keine Strategie für die digitale Transformation.

Geld ist ein wesentlicher Faktor, sorgt allein aber nicht für das notwendige Tempo beim Erreichen der technologischen Selbstbestimmung. Es ist auch unser Mindset, das uns den Weg in die Zukunft ebnet. Wir müssen aufhören, Technologie-Debatten wie Glaubenskriege zu führen. Digitale Souveränität entsteht durch Offenheit gegenüber neuer Technologie, nicht durch Abschottung. Es ist entscheidend, dass Europa sich dabei nicht auf fremde technologische Exzellenz verlässt.

Wir müssen in Europa beispielsweise KI-Modelle noch viel stärker selbst entwickeln – mit Souveränität über unsere Daten, gestützt durch eine smarte Regulierung, die unsere demokratischen Werte stärkt. Wir müssen unsere exzellente Forschung entschlossen weiter ausbauen und so die Grundlage für innovative mittelständische Geschäftsmodelle schaffen. Im Klartext: Deutschland – und Europa – braucht bessere Rahmenbedingungen, um sich aus der Abhängigkeit von anderen Ländern zu lösen.

Künstliche Intelligenz spielt in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle: Unternehmen müssen generative KI strategisch einsetzen, um ihre und damit die deutsche Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Dabei kann die öffentliche Hand etwa beim Aufbau der notwendigen Infrastruktur unterstützen, wie die EU-Investitionen in fünf Giga-Fabriken belegen.

Nachhaltige Unabhängigkeit erfordert eine Neudefinition digitaler Souveränität: Nicht völlige Entkopplung, sondern der Aufbau eigener Entscheidungsspielräume steht im Fokus. Die Basis ist vorhanden: In vielen Unternehmen – und oft auch in den Gemeinden – gibt es Ideen, Mut, den Willen zum Fortschritt. Unsere Forschung ist Weltklasse, Konzerne setzen auf Digitalisierung, Mittelständler zeigen sich innovativ, Start-ups kreieren ganz neue Lösungen. Jetzt gilt es, die Zögernden mitzunehmen, die Zusammenarbeit auf allen Ebenen zu fördern und so Innovationen zu beflügeln.

Ideen, Mut und Willen zum Fortschritt sind, um auf das Eingangsszenario zurückzukommen, die Grundvoraussetzung, um in fünf bis zehn Jahren Infrastrukturen aufzubauen, die in Performance und Datenschutz überzeugen - und auf deren Basis ein starkes digitales Ökosystem mit hoher Innovationskraft entstehen kann. Entscheidend für den Aufbau eines solchen Ökosystems in Europa sind die richtigen Rahmenbedingungen und strategische Partnerschaften. Strategische Partnerschaften sind der Schlüssel, um nachhaltige Nachfrage zu bündeln und den Aufbau leistungsfähiger europäischer Technologieangebote zu ermöglichen. Politik und Wirtschaft – und hier versteht sich die KfW als Mittlerin – müssen dabei Hand in Hand arbeiten.

Digitale Souveränität ist kein Selbstzweck. Sie ist Voraussetzung dafür, dass wir auch morgen noch selbstbestimmt entscheiden können – als Gesellschaft, als Ökonomie, als Nation in einem vereinten Europa. Dafür müssen wir nicht perfekt sein. Wir müssen beginnen!

Die Frage ist nicht, ob wir digitale Souveränität erreichen können. Die Frage ist, ob wir den Mut haben, heute die Entscheidungen zu treffen, die uns Handlungsfreiheit für morgen verschaffen. Wir brauchen diesen Mut. Jetzt!

Autorin: Melanie Kehr ist Vorständin der KfW.

Was ist jetzt entscheidend, um Digitale Souveränität zu erreichen? Wie transformieren wir richtig auf dem Weg zu Smart State und Smart Society? Die führenden Köpfe aus Politik, Wirtschaft, Technologie und Wissenschaft geben Handlungsimpulse für Deutschlands und Europas strategische Zukunftsfragen.

Unser Partner: Sopra Steria – das führende europäische Tech- und Beratungsunternehmen verbindet Strategie und Umsetzung mit digitaler Souveränität und europäischer Haltung in 30 Ländern.

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