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Wirtschaft im Einklang mit der Natur - Wege in eine lebenswerte Zukunft

von Johannes Vogel

Unbestritten ist die Natur die Grundlage für unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft, ja für jedes einzelne menschliche Leben. Die meisten unserer Lieferketten beginnen in der Natur. Ohne die Leistungen der Ökosysteme fehlt uns die Luft zum Atmen, das Wasser zum Trinken, gesunde Böden für Lebensmittel, Senken für Treibhausgase, etc. Doch all dieses berücksichtigen die nationalen Bilanzen genauso wenig wie die der Unternehmen. Dabei tragen nach aktuellen Schätzungen die globalen Ökosystemleistungen etwa genauso viel zu unserem Wohlbefinden bei, wie die im Bruttosozialprodukt erfassten Leistungen. Ein Beispiel: Für ein 500-Gramm Glas Honig müssten wir 310.000 Euro bezahlen, falls Bienen Mindestlohn erhalten. Diese eindrucksvolle Zahl errechnete Esther Gonstalla auf Basis von wissenschaftlichen Daten. Es lässt sich spielend um weitere Beispiele ergänzen – man denke nur an die Leistung der Insekten und Vögel als Bestäuber!

Doch wir leben über unsere Verhältnisse. Daran sind in der Geschichte schon Hochkulturen zerbrochen. Ein „weiter so“ riskiert wirtschaftlichen Wohlstand, gesellschaftlichen Zusammenhalt und demokratische Entwicklung. Das zeigt schon ein Blick in den Global Risk Report 2025 des Weltwirtschaftsforum. Unter den Top Ten der Risiken für die (Wirtschafts-)Welt stehen auf den ersten vier Plätzen Extremwetter, Verlust an Biodiversität und Zusammenbruch von Ökosystemen, Überschreiten der Erdsystemgrenzen und Mangel an Ressourcen.

Wer morgen florierende Unternehmen, sichere Arbeitsplätze und Wohlstand für alle will, gestaltet heute mit der Natur seine Geschäfte. Oder wie es Papst Franziskus in seiner Umwelt-Enzyklika „Laudatio si“ formulierte: „Die Anstrengungen für eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen sind kein nutzloser Aufwand, sondern eine Investition, die mittelfristig andere wirtschaftliche Gewinne bieten kann.“ Und er fordert, „den Weg für andere Möglichkeiten zu öffnen, die nicht etwa bedeuten, die Kreativität des Menschen und seinen Sinn für Fortschritt zu bremsen, sondern diese Energie auf neue Anliegen hin auszurichten“.

Es geht eben nicht um ein „zurück in die Steinzeit“. In der Menschheitsgeschichte haben wir „Fortschritt“ mehrfach neu erfunden, auch dank wissenschaftlicher Erkenntnisse, innovativer Techniken und mutiger Investoren. Wir sind in der Lage, das erneut zu leisten. Wir verstehen genug von den grundlegenden Prozessen, um im Einklang mit der Natur unsere wirtschaftliche, technologische und gesellschaftlich Entwicklung auf unserem Heimatplaneten zu gestalten. Die Werkzeuge liegen bereit.

Allein schon das Wissen in den Sammlungen der Naturkundemusen war und ist Quelle von Inspirationen und von Innovationen. Das durfte ich als Chefkurator am Natural History Museum in London und das darf ich als Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin jeden Tag erleben. Die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen liefert jeden Tag nicht nur neue Erkenntnisse, sondern auch konkrete Anregungen für Lösungen.

Ob Plastik oder Bodenfruchtbarkeit, ob psychische Gesundheit oder Wiederverwertung – die Natur hat dafür längst Vorbilder geschaffen. Diese gilt es technisch umzusetzen, so dass alle Menschen jetzt und zukünftig in Harmonie mit der Natur leben können. Ein Leben in Harmonie mit der Natur bedeutet, sichere Arbeitsplätze, blühende Unternehmen, grüner Strom für die KI und Kaffeemaschinen, nährstoffreiche Lebensmittel, Parks in der Nachbarschaft, die zum Erholen einladen – das ist kein Wolkenkuckucksheim, das ist möglich. Unsere Kreativität und Intelligenz reichen dafür locker aus, wie die Geschichte der Menschheit lehrt.

Diese Zukunft mitzugestalten, das ist auch unsere Aufgabe als Wissenschaft. Wir haben keine Patentlösungen und wir wissen, dass jede Lösung maßgeschneidert werden muss. Naturkundemuseen betreiben nicht nur exzellente Naturforschung sondern bieten Raum, um wissensbasiert gemeinsam Pläne zu schmieden, auszuprobieren und zu überarbeiten. Wir wollen, ja wir müssen das Gespräch mit denen vertiefen, die in der Wirtschaft aktiv sind. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer wirken konkret für ein Produzieren im Einklang mit der Natur. Teilweise setzen sie seit Jahren Schritt für Schritt den Weg zu einer Kreislaufwirtschaft um, indem sie Lieferketten umstellen, neue Produktionszweige eröffnen oder grüne Technologien etablieren wie der diesjährige Gewinner das Deutschen Umweltpreises. Von ihnen kann die Wissenschaft auch für das Bewirtschaften ihrer Infrastrukturen viel lernen.

Es mag pathetisch klingen, doch ich möchte diesen Text mit den bewegenden Worten aus der Erd-Charta schließen: „Wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit fordert uns unser gemeinsames Schicksal dazu auf, einen neuen Anfang zu wagen. (. . . ) Lasst uns unsere Zeit so gestalten, dass man sich an sie erinnern wird als eine Zeit, in der eine neue Ehrfurcht vor dem Leben erwachte, als eine Zeit, in der nachhaltige Entwicklung entschlossen auf dem Weg gebracht wurde, als eine Zeit, in der das Streben nach Gerechtigkeit und Frieden neuen Auftrieb bekam und als eine Zeit der freudigen Feier des Lebens.“

Autor: Professor Johannes Vogel, Ph.D. ist Generaldirektor des Museums für Naturkunde, Berlin, Leibniz Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung und Professor für Biodiversität und Öffentliche Wissenschaft an der Humboldt Universität. Zusammen mit seiner Frau Dr Sarah Darwin und dem Politikjournalisten Boris Herrmann veröffentlichte er im Frühjahr 2025 das Buch: Das Parlament der Natur.

Biodiversität ist entscheidend für die Zukunft von Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt, da ihr Verlust nicht nur Ökosysteme, sondern auch Wertschöpfung, Investitionen und Innovationskraft gefährdet. Gleichzeitig erkennen immer mehr Akteure aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, dass der Schutz und die Förderung der Natur Chancen für nachhaltige Entwicklung, neue Geschäftsmodelle und größere Resilienz bieten. Das Table.Forum widmet sich einer natur-positiven Zukunft und zeigt anhand konkreter Beispiele, wie Unternehmen, Forschung und Zivilgesellschaft diesen Wandel aktiv gestalten. Im Mittelpunkt stehen dabei praxisnahe Fragen: Wie kann Biodiversität in der Kommunikation, im Geschäftsmodell und als Investitionschance erfolgreich genutzt werden?

Unsere Partner: Biodiversity Bridge ist ein gemeinnütziger Zusammenschluss erfahrener Biodiversitäts-Expertinnen und -Experten, die European Biodiversity Coalition ist eine sektorübergreifende Plattform, die Verantwortungsträger großer europäischer Unternehmen zusammenbringt, um geschäftsgetriebene Maßnahmen für Biodiversität zu beschleunigen und das Museum für Naturkunde Berlin ist eines der weltweit bedeutendsten Forschungsmuseen für biologische und geowissenschaftliche Evolution und Biodiversität.

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